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August A p e l.

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Erster Tlieil.

Leipzig, 181 4 , in der Weygand'schen Buchhandlung-

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University of Toronto

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Vorrede.

ilis ist eine oft wiederholte Behauptung, ' dass die Verse tles klassischen Alterthums unsre neuern Verse an Schönheit des rhyth- mischen Gesanges weit ühertrofTen haben j befremdend ist es aber dabei , dass die Be- wunderer des Rhythmus in den ahen Ver- sen über nichts uneiniger sind, als eben über diesen Rhythmus selbst, welchen der Eine so, ein Andrer anders angibt. Man vergleiche nur verschiedene Ausgaben des Pindarus, der Tragiker, der Skollen, oder andrer Gedichte. Jeder Herausgeber hört einen andern Rhythmus und lässt die Le- ser einen andern hören. Betrachtet nun ein Unbefangener das, was die Gelehrten als göttlichen Rhythmus des Alterthums preisen, so wird er über das Ansinnen, in man eben Versen einen schönen Rbyth- mus zu vernehmen, um so mehr crstau-

IV Vorrede.

iicn , well er oft in dJesen gepriesenen Versen gar keinen PJiylhnius vernehmen kann. Sagen doch selbst die Gelehrten einander sehr unsclimeichelliafte Dinge über ihr Gehör und ihre Kunst bei Anordnung der alten Rhythmen.

Indessen haben wir zu viel Beweise von dem Kunstsinn des Rassischen Alterthums, als dass wir uns überreden könnten, die Griechen hätten ein so wunderliches Ge- wirr von Lang und Kurz , w ie uns die Ge- lehrten vorzeigen, für schönen Rhythmus angesehn. Der Grund, warum wir jene Rhythmen, die wir bewundern sollen , nicht mit dem Gehör vernehmen können, dürfte vielleicht weder in uns , noch in den Rhyth- men liegen, sondern in den Erklärungen der Gelehrten , die jene Rhythmen missver- standen, und ihren Fantasierhvthmen die Bewunderung zollten, welche die wirklichen Rhythmen in dem Alterthum verdient hat- ten. Es war' wenigstens nicht das erstemal, dass den Gelehrten so etwas begegnete.

Bevor man über die Schönheit der alten Versrhythmen entscheidet, sollte man billig diese Rhythmen selbst kennen , d. h. sie so bestimmt und unzweideutig vernehmen , als andre Rhythmen, z. B. in unsrer Musik.

Vorrede, V

Dieses Ist bei den Rlij-^llimen, die uns die Gelehrten als alte Rhythmen aufzeigen, kei- nesweges der Fall. Glclchwol zeigen die alten Verse , wenn man sie ohne die Erklä- rungen und Abmessungen derGelehrlen be- trachtet, einen ganz fassllchcn, und zuwei- len sehr gefälligen, uns gar nicht fremden Gesang, z. B. der galliambische, priapische, epionische Vers und mehre andre. Hat man diesen cigenthünillchen Gesang Im Verse selbst gehört, und vergleicht ihn nun mit dem metrischen Schema- der FI- lologen, so begreift man sogleich, dass nur die Unbeholfenheit jenes Schema an dem Verkennen des wahren Rhythmus im Verse Schuld ist, und man wird unwillkürlich an ähnliche MlssgrlfPe erinnert, die von der Ungeschicktheit des Organes, wodurch man sich mitthcilte, oder von der Einsei- tigkeit der Ansicht herrührte, mit der man das MItgethellte auffasste. So schrieb ein Ausländer, dass man in Deutschland Ku- chen aus Asche backe, well man ihm Asch- kuchen genannt hatte, und ästhetische MIssvcrsländnisse veranlassen oft eben so drollige Aeusserungcn , als jenes morali- sche, das Ernst Wagner's vierzigjähriger Fibclschütz erzält.

VI Vorrede.

Den wahren Rhythmus der Verse an« ihnen selbst, abgesehn von den Deu- tungen der Grammatiker und Fllologen herzustellen, und zugleich zu beweisen, dass eine allgemflne Theorie des Rhyth- mus dieselben Rhythmen a priori entwik- kelt, welche wir a posteriori in den un- verderbten alten und neuen Versen und in unserer Musik finden, unternahm der Verfasser schon früher, zuerst in dem An- han«: zu einem Versuch In der antiken Gattung des Drama (die Aetoller, Leipzig 1806) und dann in einer Abhandlung: über Rhythmus und Metrum (in der AUgem. Musik. Zeitung, 1807 und 1808). Dieselben Sätze, welche in den genannten Abhandlungen zuerst aufgestellt wurden, sind in diesem Buche zum System verar- beitet, wenn man diesen Namen einer Art von Bearbeitung gönnen will, die das Gan- ze sowol in allgemeiner llibersicht , als in den einzelnen Thellcn umfasst, die aber aus Gründen, welche nicht in der W'is- senschaft selbst liegen , sondern in der Art, wie man sie bisher behandelte, die syste- matische Form oft verlassen muss, um, entweder fremde Meinungen zu bestrcilcn, oder früher Gesagtes, bei besondern Ge-

Vorrede. VII

legenheiten, von neuem, und in verander- tei* Beziehung in Erinnerung zu bringen.

Wer diese Bellandiungs^veise tadeln will, der bemerke, dass sie nicht aus Nach- lässigkeit und Bequemlichkeit entstand, sondern absichtlich, nach sorgfältiger und Vviederholter Prüfung, erwählt wurde. So- bald man eine Wissenschaft nicht bloss erlernt, sondern sich selbst von Grund aus entwickelt hat, und sie nun im Ganzen sow ol , als Einzelnen, klar übersieht, so ist es nicht eben schwer, dem Vortrag dieser Wissenschaft eine systematische Gestalt zu geben. Damit ist aber noch nicht erreicht, was der Zweck des Vortrags, besonders bei neuen Ansichten , seyn muss, nämlich all- gemein verstanden zu werden. Der Leser, der mit andern Ansichten desselben Ge- genstandes bekannt ist, oder vielleicht für eine dieser fremden Ansichten schon Par- tei ergriffen hat, hört, indem er die Lehr- sätze des neuen Systems lieset, gewönlich die ihm schon bekannten dagegen dlspu- tlren, und es kann nicht feien, dass ihn die entgegentönenden Zweifel und Einwürfe oft Irre machen , und im richtigen und deutlichen Auffassen fies Gelesenen stö- ren. Was dem mündlichen Vortrage , be-

VIIT V o r r e rl ft.

sonders dem in Gesprächsform, Vorzüge vor dem schriftlichen gibt, nämlich die Mög- lichkeit, entstehenden Einwürfen schnell zu begegnen , wollte der Vf. , dem die Ein- würfe von mehr als einer Seite nicht un- bekannt sind, seiner Behandlungart zu- kommen lassen. Deswegen widerlegt er fremde Ansichten, und wiederholt, oder bestätigt und erläutert eigene, wie es eben erforderlich scheint, um eine Sache auch dem Befangenen einleuchicnd zu machen.

Dabei kann es nun nicht feien, dass ein und dieselbe Sache dem Musiker höchst trivial und des Erwähnens unwerth vor- komme, die dem Metriker unerhört und in der Ausführung so unmöglich, als in der Theorie unbegreiflich scheint. Dage- gen wird manche IMeinung der Theoreti- ker erwähnt werden, die der Metriker mit Pomp verkündiget, während der Musiker, vom Kapellmeister bis zum letzten Ripieni- sten, dazu den Kopf schüttelt. Jede Partei erlaube hier, dass der Vf auch der entge- gengesetzten Partei dieselbe Aufmerksam- keit widme , auf welche sie seligst gerech- ten Anspruch macht.

Dass die Behauptungen Hermann's vor- züglich widerlegt und seine Irrthümer frei

Vorrede. IX

aufgedeckt werden, kann wol niemand befremden. Hermann's Verdienste, als Fi- iolog, bleiben unangefochten, selbst als Metriker \vird sein Andenken beständig in Ehren bleiben; denn er war der Erste, der N es versuchte, das Ganze der Metrik wis- senschaftlich zu bearbeiten. Nur indem er die Mängel eines ersten Versuches durch Gelehrsamkeit zu sanktioniren unternimmt, and gegen die Bestreitung seiner metri- schen Lehre das vSchild der Filolo^-ie l>rauc]ien will (Allg. Mus. Zeit. 1809 No. 19), fordert er den Gegner, dem es mehr um Wahrheit, als um Autorität und «-län- zenden Schein zu thun ist, zu strcno-er Prüfung seiner Sätze auf, wo es freilich gilt, jeden Irrthum mit dem rechten Namen zu nennen und im hellsten Licht die ver- schobene Gestalt der Sache dem prüfenden Leser vor Augen zu legen. Die Takltheo- rie wird dadurch aufhören ein „efemeres Fantasma" zu scheinen, und statt sicli selbst „unangefochten Dunst aufzulösen" möchte sie vielmehr die taktlose Theorie als ein Dunslgebild erscheinen lassen, das sich im Nebel musikloser Verworrcnlieit durch das, übrigens chrenwerthe, Licht der Trelehrsamkeit erzeugte. GIcichwol fürchte

X V ü r r c d f.

liier Niemand eine blosse Polemik gegen Hermann 7ai finden! Ein richtiges, aus der Natur des Rhythmus abgeleitetes Zeit- maas anzugeben, und so ein wahres Sy- stem der Metrik, wenn nicht aufzustellen, doch zu begründen, ist der Zweck dieses Buchs.

Fi'ir einige Beurtheiler, welche gern' in jedem Bache nur eine Verarbeitung frem- der Gedanken linden, bemerkt der Verf , dass die Hauptsätze dieses Buches von ihm zuerst in dem erwähnten Anhang zu den Aetoliern (I8O6) aufgestellt worden sind. So viel ihm bekannt ist, hat zuvor nie- mand auf die dunkle Andeutung Quinti- lians von der Uiberlänge der Endsylbe in. der ersten Pentameterhälfte und auf die Unterscheidung des Anapästs und Dakty- lus, von Dionysius, eine andre, als die gewönliche zweizeitige Messung gegründet, und Voss braucht in seinem vortrefflichen Werke : Zeitmessung der deutschen Spra- che, zwar Musikzeichen, allein er misst Sylben, Füsse und Verse anders und nach andern Grundsätzen.

Böckh's gelehrte Abhandlung: de me- tris Pindari in dessen Ausgabe des Pm- darus bekam der Vcrf erst während des

Vorrede. XI

DnicliS dieser Metrik 'zu sehen, und also zu spät, um in dem Buche seihst darauf einige Riicicsicht nehmen zu können, ßöckh gibt in jener Abhandlung seine früher bezeigte Bilh'gung der Anwendung des Taktes auf alte Ilh) Üimen auf. Seine Gründe sind diese (S. 92): „Quam doctri- nam sads cjuidcm acutam duo tarnen la- ^hefaetant, immo prosternunt argumenta, aiterum, quod \eteres trium hrevium syl- lahas non agnoscun«, aiterum, quod hac ratione expediri nequit choriambicus ab iambica incipiens dipodia,

w— l oo

quo saepe utuniur veteres. Inde profectus universam Apelii doctrinam , ut despera- lan^i prorsus, coepi relinquerc.''

Dass die Alten die dreizeitige Läno-e nicht gekannt haben, beweiset Böckh S. 19 bloss damit: „Longam autem syllaham a musicis poetisque \cterum in trisemhm longitudinem produciam esse quamquam viri harum rerum periiisslmi oplnantur, qui me quoque auctoiitate sua in eiTorem ollm induxerunt: tarnen nunc perreptatis iterum musicorum libris nego hoc fortiler propterea quod nihil usquam eiusmodi

XII Vorrede.

traditur, tibi si factum esset reticerl non poterat." Ein schwaclier Beweis in de^ That! Einmal werden die Grammatiker als die unwissendsten, oberflächlichsten Köpfe geschildert, und dann wieder ihnen solche Autorität zugeschrieben, dass eine aus der Natur des Rhythmus erwiesene Sache für unrichtig erklärt wird, bloss weil jene Grammatiker nichts davon mel- den. Die Musiker melden aber allerdings davon, wie jene Stelle des Marius Yicto- rinus (Putsch. 2481) beweiset. Sie feiten nur darin, dass sie ihren Streit nicht im Gebiet der reinen Rhythmik führten, son- dern auf dem Gebiet der Grammatiker, in der Sprache, wo wsle sich bemüheten, die verschiedene metrische Länge der Zeit-r momente aus den prosodischen Elementen der Sylben zu erklären. Die prosodisi- renden Grammatiker verwerfen diese Kün- steleien mit Recht; denn prosodisch fin- det kein Maas der Länge und Kürze Statt, sondern eine Sylbe ist bloss im Allgemei- nen lang, oder kurz, oder mittelzeitig (S. Metrik 3 18); sie kommen aber in das Un- recht, sobald sie, wie eben Marius Victo- rinus beim Metrum selbst das verschiedene Maas nicht wollen gelten lassen. Feiten

Vorrede. XIII

aber auch selbst in den Werken der Mu- siker diese Andeutungen, so vergesse man doch nicht, dass es sehr verschieden sei, etwas ausüben, und einen richtigen Begriff davon andern mittheilen; man denke nur an die IVühere Art, unsre Musikrhythmen zu bezeichnen. Wenn ein unmusikalischer Gelehrter behaupten wollte, 'unsre neue Musik kenne keine dreizeitige Länge, weil unsre Notirung kein selbständiges Zeichen dafür hat, indem sie die Noten nicht in Drittheile, sondern nur in Hälften theilt, war' wol diese herkömmliche Schreibart ein Beweis gegen die Sache, die uns Al- len bekannt ist? Lässt sich auch wol an- nehmen, dass die Alten jene verwickelten rhythmischen Zeitverhältnisse sollten wahr- genommen haben, die Böckh S. 107 an- gibt, während ihnen das einfache Verhält- nlss der dreizeitigen Länge fremd gewesen wäre ? Mit dem dreizeitigen Fuss ( vi ^ u ) ist ja die dreizeitige Länge ( JVij « w ü ) eben so bestimmt gegeben, als mit dem zwei- zeitigen Fusse (^ ^) die zweizeitige Länge ("uciw)? welches letzte Böckh selbst (29) behauptet. Wenn ferner (ebenfalls nach Böckh S. 29) der dreizeitige Fuss durch grössere Energie der Arsis ( J ^ y ) entsteht,

XI V Y o r r t tl e.

SO sind ja die sömmtlichen zsvei Theses eben sosvol Produkte der arslsclien stär- kern Kraft, als die eine Thesis im zwei- zeiligen Fuss Erzcugniss der arsischen ge- ringem Krait ist. Was aber Produkt ei- nes andern ist, ist ideell in ihm enthal- ten, eil' es producirt ^vurde, und so ist also die Dreizeitigkeit eben sowol in der Arsis enthalten, als die Zweizeitigkeit. Mithin postuliren selbst Böckh^s theoreti- sche Säize die Annahme der dreizeitigen Länge.

Der zweite Grund, warum ckh seine frühere Meinung aufgab, weil aus meiner Theorie der choriambische Vers, der mit der iambischen Dipodie anfängt :

sich nicht erklären lasse , ist noch befrem- dender. Das Maas ist dieses:

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Kretische und choriambische Form wech- selt unbezvYeifelt (Metrik 254, 4H und an mehren Orten). Das einzige auffallende könnte nur seyn, das5 ein Vers, der im Niedertakt anfängt, mit einem im Auftakt wechselte :

V o r r e d vä. XV

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Allein, theils ist dieses üherlianpt weder ungewönllch, nocli rhythmuswidrig, iheils darf es in choriambiscben Systemen, wo der Fall nur vorkommen kann, gar nicht befremden, weil Verse im System genau zusammenhängen, und gleichsam einen einzigen grossen Vers bilden. Wo ist also hier etwas , was unsre Theorie anfechten , oder gar stürzen könne? W^ahrscheinlich war es bloss die Unvollkommenheit der ersten, durch den Ort, wo sie erschien, beschränkten Darstellung, was den Her- ausgeber des Pindarus veranlasst, an die- ser Theorie wegen so leichter Zweifel so schnell zu verzweifeln.

Uibrigens glaube Niemand, dass das leichte , angenehme Spiel des Verses durch eine wissenschaftliche Begründung dem freien Gebrauch des Lebens und des Um- gangs entzogen w^erden solle. Durch je- nes Spiel geschieht dem Ernst der Sache so wenig Eintrag, als jenem Spiel durch den wissenschaftlichen Ernst. Denn diess sey erlaubt zu wiederholen ~ um den Tempel jeder Kunst erstreckt sich ein weiter Vorhof, in welchem jeder beten

XVI ' V o i- r c d e.

und opfern mag, auch ohne prlesterlichen Schmuck. Freilich macht das Priesterkleid noch nicht den Priester; aher noch ver- werflicher wäre doch wol der Satz: dass unter dem Taiar kein lehendiger Leih, sondern bloss ein Gliedermann, oder höch- stens ein Automat verborgen seyn könne.

Geschrieben zu Leipzig, am 5. März 18i4.

Der V^erfasser.

1 11 11 a 1 c.

V o r e r i n u e r u n g e n.

Genie und Regel. §. i.

Versbau. §. 8.

Urtheü des Gehörs. §, li,

Takt und Taktlosigkeit, ^s. i5.

Die Grammatiker. §, 21«

Füsse. §. 20.

Hermann. §. 44.

Voss. §. 55.

CcÄSug und Deklamation. §. 54.

Metrische Bezeichnung. §, 64.

TJibersicht. §, 66.

Allgemeiner Theil,

Vom Rhythmus. §. 68.

Von dem Metrum. §. io4.

Metrische Entwickelung des Rhythmus, §. Il5.

Gerades Metrum. §. 120.

Gemischtes Metrum. §. 123.

Gemengtes Metrum. §. i43.

Ungerades Metrum. §. 154.

Vom schweren ungeraden Metrum. §. lÖy»

Vom tripodischen Metrum. §, i6l.

Vom leichten ungeraden Metrum. §. 172,

Accentirende und quantitireude Rhythmen. §. 176.

Von der Verschiedenheit der Rhythmen. §. IQl.

Von der Rhythmischen Bewegung. §, ig2.

Von Punkten und Pausen. §. 20 3.

Vom Schluss der Rhythmen. §, ai5.

XVni Inhalt.

Vom Anfang der R.hythmen. §, 23-±.

Verbindung der Rhythmen. §. 256.

Verbindung der Verse. $. 281.

Verbindung der Strofen. §. 29O.

Vom Vers. §. 2^5.

Allgemeine Prosodie. §. 5o4.

Nähere Bestimmung des Verses. §. 5l5.

Wortf üsse. §. 321.

Verbindung des absoluten Rhythmus mit der SpracHo. §. 025.

Von der , Cäsur. §. 336.

Von der unbestimmten Sylbe. §. 35l.

Vom Maas der let;5tcn Sylbe in Rhythmischen Reihen. §. 555.

Vom Maas der letzten Sylbe in metrischen Reihen. §. 362.

Vom Maas der Endsylbe des flüchtigen Daktylus in rhyth- mischen und metrischen Reihen. ^. 38 1.

Vom Maas der Auftaktsylbe. §. 586.

Von einer besondern Art der repräsentirenden Länge, §■ 094.

Von der Kraft der Arsis, eine kurze Sylbe zu verlangen.

§. 397.

Von der Bestimmung der Sylbenquantität durch den

Rhythmus. §. 4o3. Von den Veränderungen des Rhythmus. §. 4ll. Von den Versraessungen der Grammatiker. §. 'i20. Von polyschematischen Versen. (). 454. Von widerstrebend zusammengeiügten Versen. $. 442. Von Asynarteten. §. 447- Vom Hiatus. §. 46 1-

Von der Brechung der Worte am Ende der Verse. $.476. Einiheilung der Verse. §. 486. Schlussbenitrkuiig. §. 490.»

Vorerinnerungen.

Genie unfl Regel.

1.

jjer Musik und den bildenden Künsten gesteht jeder Sacliversländij^e unbedenklich einen wis- senschaftlichen und technischen Thcil zu, der sich lehren, lernen und üben lässt , und dessen gründliche Kenntniss man um so mehr von dem Künstler verlangt, je weiter die Kunst selbst fortschreitet, und durch gemeinschaftliches Be- mühen der Künstler und Beschauer der Kunst, der Vollendung entgegenrückt. Dieser wissen- schaftliche und technische Thcil besieht in der gründlicheil Kennlniss des Stoffes, den eine Kunst zu Darstellung der Ideen verarbeitet, und in ei- ner sichern und leichten Handhabung dieser Ma- terialien. Der bildende Künstler macht daher seine Schule durch Sludium der Figur, d. h. der räumlichen Verhältnisse sichtbarer Gegen- stände; der Musiker durch Studium der Ton- Verhältnisse in harmonischer und melodischer Beziehung.

1

Voreriniiei-uuseu.

Nicht so allgemein erkennt man bei der Dicht- kunst einen wissenschaftlichen und technischen Theil an. Der Sprache, als des Materials der Poesie , scheint jeder durch die lange Gewohn- heit des Sprechens schon mächtig. Er wird also, das vermuthet man, ohne besondre Schule nö- thig zu haben, ein Dichter seyn, und vollendete Gedichte liefern, sobald ihn nur poetischer Geist wirklich belebt. Daher kommt es auch wahr- scheinlich, dass niemand Bedenken trägt, sich selbst als Maler oder Musiker aufzuführen; soll er sich hingegen einen Dichter nennen , so hindert ihn seine Bescheidenheit , denn die Beschäftigung mit bildender Kunst oder Musik sagt eben noch nicht etwas Schmeichelhaftes von Jemand ausj nennt er sich aber einen Dichter, so kann er sich nicht hinter die Technik der Poesie, die Niemand anerkennt, verstecken, sondern er hat sich selbst Genie beigelegt, was nicht allzube- scheiden klingt.

5.

Gleichwol spricht der Dichter nicht die ge- wöhnliche Sprache, welche Erziehung und Gram- matik lehrt, sondern er gebraucht, wenigstens in dem, was man in Ansehung der Form ge- wöhnlich ein Gedicht nennt, den Vers. In so fern nun der Vers Sprache des Dichters ist.

Vorerinnerungeii. 3

scheint die Versbaukunst der technisch wis- senschaftliche Theil der Poesie zu seyn. Die meisten Kritiker verlangen auch wohl eine Vers-^ technik, (d. i. eine gewisse, von feinem Ge- fühl geleitete Fähigkeit, die Sprache mit Leich- tigkeit für den Vers zu handhaben), von dem Dichter, als eine nicht zu verachtende Zugabe, allein eine Wissenschaft des Versbaues was man gewöhnlich unter Metrik versteht, scheint ihnen ein Unding, oder vielmehr ein Missgriff des in Pedanterei ausschweifenden Ver- standes. '

4.

Der Versbau scheint nämlich vielen eine so unbedeutende und unwesentliche Zierde des Ge- dichtes, dass es sie lächerlich bedünkt, eine Sache mit dem Ernst der Wissenschaft behan- delt zu sehen, die sie bisher als ein leichtes Spiel zu treiben gewohnt waren. Es geht in- dessen mit mehrern Dingen so. Wer die Musik bloss vom Tafelzimmer oder vom Ballsaale kennt, wird auch \iclleicht über die Wichtigkeil lachen, mit der alte und neue Musiker die Verhältnisse der Intervalle berechnet haben. Lacht aber je- ner Unmusikalische damit die Akustik und Har- monik aus der Reihe der Wissenschaflen weg? Ob übrigens der Versbau eine unwesentliche Zierde des Gedichtes sey , wird die Folge lehren.

4 Yorerinuerungvn.

5.

Andre, der Freiheit des Genius eingedenk, verwerfen die Wissenschaft des Versbaues, als eine Fessel , die dem Genie angelegt werden solle. Das Genie wiederholen sie duldet keine Regel, es ist über alle Regel erhaben; und doch, wie jede wahre Kraft, des Erfolges gewiss. Wenige bemerken , dass dieser Gemein- platz von der Freiheit des Genies , auf dem Dop- pelsinn in dem Worte Regel beruhe.

6.

Es ist allerdings gegründet, dass überall die Ausübung der Regel vorausgegangen ist, und dass die Regel seDjst erst von den Werken der Kunst abslrahirt und zur Theorie ausgebildet wurde. Das Genie hat also oflenbar vor der Regel und ohne d i e Regel gewirkt und gebil- det, welche von seinem Werk später abstrahirt wurde, aber nicht ohne die Regel, welche in der Idee des Kunstwerkes liegt, und von dem genialen Künstler in der Rildung seines Werks dargestellt wurde, üeber diese Regel ist nie- mals das Genie erhaben, denn Genialität besieht eben darin, nicht die zufällige Erscheinung nach- zubilden, sondern die Idee in ihrer wesentlichen Gestalt aufzufassen und darzustellen. Dieser Geist aber ist oft über dem Buchstaben verlo- ren gegangen, indem die Theoretiker zufällig

Vor«rinnerungeii. 5

Eigenheiten genialer Werke als Vorbilder be- trachteten, und ihre Befolgung zur Regel erho- ben. Denn die Aesthetik hat ihre Menschen- satzung wie die Moral. Ueber solche todte Regeln ist allerdings das Genie erhaben, und wird sie niemals befolgen, ausser wo dieselbe Eigenheit auch seiner freien Darstellung nöthig wird. Dann aber ist es nicht Befolgung frem- dei Regel, was das Genie leitet, sondern gleiche Freiheit des Darstellens.

Doch nicht allein das Genie zerstört prak- tisch dergleichen todte Regeln, sondern auch jede wahre Theorie muss sich bemühen sie wis- senschaftlich zu vernichten. Deswegen äussert sich die Theorie immer polemisirend, so lange noch Trugbilder andrer Theorien vorhanden sind, welche irreleiten und die reine Idee ver- dunkeln können.

7- Der Dichter ist mithin eben so, wie jeder andre Künstler, an das gebunden, was wir, im Gegensatz der todten Regel, lebendige Regel nennen; und wenn der Versbau (nach 5) den wis- senschaftlichen und technischen Theil der Poetik ausmacht, so kommt es nur darauf an: zu zei- gen, dass der Vers nicht eine bloss willkühr- liche Verzierung sey, mit der die Dichter ihre Werke auszuschmücken pflegen, sondern, dass

a Vorerinnevu ngen.

der Bau des Verses auf eigenlhümliclien , in sei- ner Natur gegründeten G'isetzen beruhe, um einzusehen, dass dem Dichter, der über den Dilettantismus hinausstrebt, diese Schule eben so zu empfehlen sey, als dem Maler und dem Musiker die seinige.

Versbau.

8.

Um dieses eigenthümliche Gesetz des Vers- baues zu finden, ist es nöthig von den Worten des Verses ganz abzusehen, und bloss auf des- sen Klang und Bewegung zu merken. Wer die Worte nicht beachtet, •während er auf den Vers horcht, fasst blos das mit dem Gehör auf, was unsre Vorfahren die Weise, die Römer Numerus und die Griechen Rhythmus nann- ten. Von diesem Rhythmus, (denn das grie- chische Wort ist uns technisch geworden) be- haupten wir nun, dass er auf eignen, in der Natur gegründeten Principien beruhe, und dass mithin jeder Vers, als Rhythmus, oder Verbin- dung von R.hythmen betrachtet, nach diesen Grundsätzen gebildet und beurtheilt werden müsse.

9-

Die Wissenschaft dieser Principien nennen wir Metrik. Sie lehrt keinesweges Rhythmen

Vorerfnnerungen. 7

oder deren Zusammensetzung erfinden, oder, wie manche sich vielleicht einbilden, der Empfin- dung des Gedichtes die passende Versart aneig- nen. Dieses ist Sache der Kunst, nicht der Wissenschaft. Die Metrik lehrt bloss, wenn wir von der Musik einen Ausdruck entlehnen diir- ten , den reinen rhythmischen Satz , oder die Gesetze , nach welchen ein Rhythmus , ohne alle Beziehung auf die Worte , welche ia ihm tönen, «ich erzeuget und bewegt.

10. Da der Rhythmus nicht von dem Vers ent- lehnt ist, sondern nach völligem Vergessen des Verses noch übrig bleibt, so können wir die Metrik nicht Wissenschaft oder Theorie des Versbaues nennen. Sie ist vielmehr Wissen- schaft des Rhythmus im Allgemeinen, er mag aji Worten (im Vers) oder an Tönen (in der Melodie) oder am blossen Schall (z. B. im Trom- melsclilag) vernehmbar werden. Der Vers nimmt, so wie die Musik, an den allgemeinen Gesetzen des Rhythmus nur Theil, ohne auf diese Gesetze selbst einigen Einiluss zu äusserni^

Urthell des Gehörs.

Wenn Rhythmus im Verse (8) das ist, was abgesehen von Inhalt und Worten dem Gehör

j^ Vorferinnerungen.

allein iibrig bleibt , so hat man allerdings zu er- warten , flass dem Gehör ein Urtheil über den Vers zustehe. Dieser Meinung sind indessen nicht alle Theoretiker, und nur noch vor kur- zem hat Sejjdler in seinem Werk über die doch- mischen Verse behauptet: man dürfe sich bei Beurlheilung der alten Verse nicht auf das Ge- hör verlassen, oder sich auf dessen Entschei- dungberufen; die Theorie sey dagegen ein siche- rer und untrüglicher Grund des Urtheils.

12.

So auffallend und vielleicht wunderlich diese Behauptung dem klingen mag, der, an sang- bare, bekannte Versarten gewöhnt, keine Miss- helligkeit zwischen den Behauptungen der Theo- rie und dem Urtheil des Gehörs ahndet, so ist doch, wie gewöhnlich in jedem Wort wahr- heitsuchender Männer, so auch in jener Be- hauptung etwas, das Aufmerksamkeit und nä- here Betrachtung verdient.

i5. Mit den Versarten nämlich, die aus dem Alterthum, besonders aus dem griechischen, auf uns gekommen sind, hat es eine ganz eigne Be- wandtniss. Wer sie , gewöhnt an die Bewegung unsrer modernen Verse , lieset , wird in manchen ihrer Gattungen kaum einen Vers erkennen wol- len z. B. in dem sotadischen:

Vorerinnerungen. y

'ÜQr^v TtOTS q)ccaiv diu rov xfqniV.fQu.vvov

Gott hört das Emporflehu der geheim klagenden Unschuld (Voss).

Wer hingegen von den gewölmlichen Theoriceo des alten Versraaasses belehrt , dergleichen Verse betrachtet, z. B. den dochmischen: q)uvriTOi (.lOQoiv 6 naD.iaT iftoiv

Wer hnischwand in Gram und Mühseligkeit und sie dem üblichen metrischen Schema:

anpassen will, kommt allerdings in einen Wi- derstreit zwischen Theorie und Gehör. Denn er bemüht sich vergebens mit dem Gehör die- ses Schema singbar zu finden , und gleichwohl kann er sich nicht abläugnen, dass jene Stelle des Sophokles ein Vers sey, und das metrische Schema den Rhythmus jenes Verses bezeichne.

i4. Selbst bei den Metrikern hat die Theorie das Gehör noch nicht so weit befangen, dass sie die- sen Widerstreit nicht fühlen sollten. Indessen suchen sie den Ausspruch des Gehörs abzuwei- sen, weil das Ohr der Neuern unfähig sey, Rhythmen zu vernehmen, die allein aus der Ei- genthümlichkeit der allen Musik begriifen wer- den könnten.

lo Vor er innorimgen.

Takt und Taktlosigkeit.

i5.

Diese Eigeuthümlichkeit soll nämlich dariu bestanden haben, dass die griechische, oder übei'haupt die alte Musik durchaus von allern Takt entblösst gewesen sey (S. Hermann's Handb. der Metrik S. XX ff.). Verwöhnt durch unsre neuere Musik, deren Rliythmeu der Takt zum Grunde liegt behauptet der angeführte Me- triker — können wir jetzt eine solche taktlose Musik gar nicht fassen, unser Gehör muss sich daher des Urtheiles über dergleichen Rhythmen enthalten, und sich mit den Aussprüchen der Theorie begnügen.

16.

Eine Ausflucht dieser Art, die das Gehör mit seinen Einwendungen zur Ruhe verweisen soll , muss allerdings etwas gewaltsam und ge- zwungen scheinen, da sie sich des verdächtigen Mittels bedient, die Entscheidung der Sache in eine dunkle Region zu spielen, deren Verhält- nissen wir ganz entwöhnt seyn sollen. Allein, wenn wir auch hiervon absehen, so fordern wir doch mit Recht von jenen Theoretikern den Re- weis, dass die Musik der Griechen, ganz gegen die Natur alltj uns bekannten Musik, die Ei- genschaft der Taktlosigkeit gehabt habe.

Vorerinnerungtn.

V

Sonderbar genug zeigt es sich hier, dass ein Theoretiker dem andern diese Behauptung nach- geschrieben, Wahrend es keinem einzigen ein- fiel, den Beweis davon zu versuchen. Alle spre- chen von der Sache mit einer Zuversicht, als wären sie in den Odeen und Theatern der Al- ten einheimisch gewesen, gleichwol ist bekannt- lich über wenig Gegenstände des Alterthuras noch so viel Dunkel verbreitet, als über die Mu- sik desselben. Das einzige was einer Art von Beweis für jene Behauptung ähnlich sieht, ist von den Versrhythmen hergenommen, die nach der Meinung dieser Theoretiker ebenfalls taktlos seyn sollen. So führt z. ß. Hermann die Stella aus Pindaros:

y^QVGia Cf.OQ(.uy'i AnolX<a-

vog KUL ionXoxctfA,o)V

Gvvdi'AOV MotGCiv y.r!avov

Froh begrüsst Wohllaut des Frühlings

blüthengefeierten Tanz,

Fluss und Wald rauscht jubelnd im Chor als Beispiel taktloser Rhythmen an , weil sie, seiner Ansicht nach, auf folgende Art im Takt wechseln sollen.

I X^v-af~ I f a (fOQ- I

l'roli he- I grüsst Wohl- J laut des ] Frühlings |

la Voreriiinfrungen.

^ vog YMt i~ I f onloTia- \ ^ (itav | blü-thenge- J feierten j Tanz j I ^vv -8t J f V.OV Mol- j Fluss und I Wald rauscht j \ (J(XV XT(- «- I j vov I jubelnd im | Chor j oder in den bekannten musikalischen Zeichen:

J.M JJ 1 j;i JJ I

j;*jN j;>jN j i

JJ^I JJ I J/.M J I

deren sonderbare Zusammenstellung den Musi- ker allerdings etwas befremden wird. Aus die- ser angeblichen Taktlosigkeit der Versrhythmen wird nun, durch einen etwas schnellen Schluss, die Taktlosigkeit der griechischen Musik gefol- gert, und aus dieser Folgerung wiederum rück- wärts die Taktlosigkeit der Ycrsrhythmen gegen die Forderung des Gehörs in Schutz genommen. Man sieht, die Metriker Ujehmen es mit der Lo- gik nicht immer allzugcnau.

18.

Allein die Taktlosigkeit jener alten Rhyth- men, z. B. der angeführten pindarischen Stelle, ist noch nicht so ganz erwiesen. Es könnte der Fall möglich seyn, dass die Meti-iker in ihrer Ansieht der Messung in einem Irrthum gewesen wären, der sie verhinderte, den vorhandeneu

Vorerinnerungen. J3

Takt zu bemerken. Man denke sicli einen Kla- vierspieler, dem die Behandlung der andern In- strumente fremd ist, vor der Stimme einer Be Klarinette in einem Tonstück aus Ce. Er wird mit seiner beschränkten musikalischen Kennt- nis«, die wunderlichen Harmonien, die er sieht, nicht begreifen können ; deswegen ist aber doch die Harmonie in dem Tonstiick vorhanden. So könnte ebenfalls in den alten Pvhylhmen Takt seyn, gesetzt auch die Metriker hätten ihn auf ähn- liche Art verkannt, wie jeuer Klavierspieler die Harmonie.

19- Wir können diesen Satz vorjetzt nur proble- matisch aufstellen, da sein Beweis und die Nach- weisung des Taktes in den alten Rhytlimen, noch einige Untersuchungen über Rhythmus und Takt voraussetzt. Dieser Bev/eis wird aber mit der vollkommensten Deutlichkeit gefiihrt wer- den , denn eben darin besteht das Eigenthüm- liche unserer Theorie, dass sie beweiset, in al- len Rhythmen scy Takt, Rhytlimus ohne Takt lasse sich dem Wesen des Rhythmus nach nicht denken, und die alte Musik sey so viel sich aus den vorhandenen Yersrhythmen schlit,ssea lässt der neuen Musik vollkommen gleich, wenn auch in mancher Rücksicht beschränkter und unvollkommener guwcseu.

i4 Vo r erinnerungen.

Es •wird dabei zwar nicht nöthig, aber doch in geschichtlicher und andrer Hinsicht interes- sant seyn, zu bemerken, Avie die neue Musik dieselben Melodien hervorgebracht hat, deren Rhythmen in den Versen der alten Zeit (wie- wol lange durch falsche Theorien verkannt) auf uns gekommen sind. Die Gesetze des Rhyth- mus sind in der Natur gegründet, und so darf es jNiemand befremden , dass sie im alten Vers und in der neuen Musik immer dieselben sind, ohne dass, nach Hrn. Hermanns etwas verfehl- tem Scherz (Allg. Mus. Zeit. 1809. N. 19. S. 291) „die Urgrossmutter von der Urenkelin tanzen lernte." Durch ene solche Vergleichung ge- winnt ' auch die , manchem vielleicht trocken scheinende Untersuchung über Versgattungen einen besondern Reiz, und, während die grund- losen Erhebungen der alten Musik über die neue, in welchen manche Philologen (Vossius, Meibom, Hermann u. a. m.) sich gefallen, ver- schwinden müssen, Avird sich über die Natur der alten Musik und über ihren Unterschied von der neuen, vielleicht von selbst manche be- stimmtere Ansicht eröffnen.

20.

Nimmt man an, die' erste Musik sey taktlos, und mitliin der Takt eine Erfindung der neuern Zeit gewesen, so hätte diese neue Erscheinung

Vorerinnerungen. ' j5

ohne allen Zweifel Epoche in der Geschichte der Musik gemacht. Eine ähnliche Erscheinung, die nur die Veränderung der hen'schenden Takt- art in der kirchlichen Musik betraf, machte wirklich Epoche und blieb unvergesslich. Es war die Einfuhrung des Gregorischen Gesanges an die Stelle des Ambrosischen, von welchen beiden an gehörigem Orte die Rede seyn wird. Allein nirgends findet man in der Geschichte der Musik einen Zeilpunkt bemerkt , wo aus taktlosen Rhythmen ein Uebergang zu dem gleich- massigen Takt statt gefunden habe. Der Takt erschien also niemals als etwas neues, zuvor noch unerhörtes , und so darf man wohl auch für hi- storisch ausgemacht annehmen , dass er von An- fang an den Rhythmen eigenthümlich gewesen sey. ]Nur verwechsele man nicht den Takt in der Musik, mit der bestimmten, zweckmässigen Bezeichnung des Taktes in der Notirung.

Die Grammatiker.

21.

Aus den Schriften der alten Theoretiker (Grammatiker) lässt sich über diesen Gegen- stand : ob nämlich der Rhythmus der alten Mu- sik und Poesie taktlos gewesen sey, und ob das Gehör eine Stimme bei Beurlheilung eines Rhyth- mus habe, wenig Aufschluss erwarten. Diese Metriker schrieben zum Theii zu einer Zeit . wo

i() Vor erinnc r ungcn.

sie nocli Gelegenheit hatten, die Verse der al- ten Dichter in lebendigem Vortrag recitii-en oder singen zu hören, es konnte ihnen also nicht leicht einfallen, dass sich jemals ein Widerstreit zwischen Gehör und Theorie werde vernehmea lassen. Theils aber hatten jene Grammatiker gar nicht die Absicht, eigentliche Theorien des Versbaues und des Rhythnius zu schreiben. Sie wollten so zeigen es wenigstens ihre auf uns gekommeneu Schriften nichts anders liefern, als Beobachtungen über die bei den Dichtern vorkommenden Versarten und ihre eignen gele- gentlichen Bemerkungen dabei. An eine voll- ständige Theorie des B.hythmus dachten sie da- bei nicht, und wenn sie, wie gewöhnlich, einige Abschnitte der Lehre vom Rhythmus oder vom Metrum w^idmen, so geschieht es, wie man bald sieht, mehr aus einer Art von gelehrter Conve- nienz, als aus Interesse an der wissenschaftlichen Begründung eines Systems.

22.

Aus den Schriften der Grammatiker, die sich leicht beurtheilen lassen, weil gewöhnlich einer dem andern nachschrieb, sieht man, dass ihre Ansicht der Metrik ungefähr diese gewesen seyn mag:

Sie fanden die verschiedenen Versgattungen, als etwas Gegebenes , schon vor sich. Nun hatte man seit den frühesten Zeiten, in der ältesten

Vor erinneru n gen. jt

Versgattung, dem Hexameter, die sechs metri- schen Abschnitte, oder Takte bemerkt, und als Maas des \ erses gebraucht. Man nannte sie Füsse. Bekanntlich sind die Füsse des Hexa- meters abwechselnd Spondeen oder Daktylen, und so trug man die Benennung Fuss auf diese bestimmten Formen des Verstaktes über, und. nannte den Spondeus und den Daktylus eben- falls Füsse. Ein solcher Fuss an sich , ausser seiner Stelle im Verse betrachtet, zeigte sich als eine Zusammensetzung von Sylben , und weil man diese hier bloss ihrer Quantität nach be- trachtete , als eine Zusammensetzung von Längen oder Kürzen, dergleichen im Hexaiueter der Spondeus und Trochäus zwei, der Daktylus drei enthält. Diese Beobachtung führte auf den Ver- such, mehr Zusammensetzungen von Längen und Kürzen zu machen, und diese gleichfalls Füsse zu nennen. So kam in das Wort Fuss eine Viel- deutigkeit, indem man bald den Verstakt (z. B. der Hexameter hat sechs Füsse,) bald die Form dieses Verstaktes, bald überhaupt eine der ver- schiedenen Zusammensetzungen langer oder kur- zer Zeitabtbeilungen oder Sylben darunter ver- stand. Worte , Welche mit ihrer Sylbenquanti- tät einen solchen Fuss erfüllen, hat man neuer- lich Wort füsse genannt. So ist z. B. das Wort Unschuld ein trochäischer, das Wort Dop- pelgeslirn ein choriambischer Worlfuss.

2

iS V ore rinne r ujig c 11.

F ü s s e.

25.

Durch diese Zusammensetzung langer und kur- zer Syibcn bekamen die Grammatiker eine be- träcbtiiche Anzahl von Füssen, die sie gewöhn- lich nach der Zahl der darin enthaltenen Syl- ben, in zwei, drei und viersylbige theilen, de- nen sie auch zuweilen ein Verzeichniss von fünf und sechssylbigen beifügen. Jeder Fuss bekommt «einen Namen , eini'^en hat man auch mehrere iSamen zugeiheill. So heisst der Trochäus auch Choreus, der Kretikus auch Amfimacer u. s. f.

JNach der üblichen metrischen Bezeichnung wird bekanntlich die lange Sylbe mit dem Quer- stx'ich ( ), die kurze mit dem Häkchen (^) be- zeichnet, und so wird das nachfolgende Ver- zeichniss der Füsse verständlich seyn.

24. Zweisylbige Füsse gibt es vier :

Spondeus, z. B. Wohllaut.

Trochäus oder Choreus, z. B. Vater.

^ - Jambus: Prophet.

'*' -' Pyrrhichius: Deus. In der deutschen Spruche gibt es allerdings pyr- rhichisclie Worlfüsse, z. B. Jeder, oder, weder und ähnlicbe, doch sind sie noch so wenig an- erkannt, als vor einiger Zeit die Spondeen Un- schuld, Freiheit und andi-e.

Voreri nii erungen. - jq

25.

Dreisylbige Füsse sind acht:

Molossus : andaclitvoll.

^ s^ ^ Tribracliys: canite.

^ «- Daktylus: heilige. w Anapäst: Diamant.

- Kretikus: Vaterland. '

w - w Amfibrachis : Gefilde.

w Bacchius: anbeten.

-' Palimbacchius : Gewaltthat. Nach einigen heisst der mit der Kürze anfan- gende Fuss (^ ) Bacchius und dei- entge- gengesetzte ( ^) Palimbacchius.

26. Viersylbige Füsse sind sechszehn : w w w w Proceleusmatikus : celeriter. _ _ _ _ Dispondeus : Seekriejschauplatz.

- w - w Ditrochaeus : Ungewitter. w «^ Dijambus : Bekümmerniss.

- ^ w _ Choriambus: Doppelrubin. ^ w Antispast: Gebirgklüfte.

- - "^ w- sinkender Joniker ( lonicus a ma-

iore) Anküudiger.

- »^ - - steigender Joniker (Ion. a minore)

Meteorstein.

- ^ ^ ^ erster Päon: Flüchtigere. -' ^ -' zweiter Paon : Beseliger. ^ w _ w dritter Päon: Alabaster.

2(, Vorer Iniieruug en.

^ ^ ^ _ vierter Pänn : lleligioii.

^ erster Epitritus : Triumphausruf.

_ ^ _ _ zweiter Epitritus: Tociesanblick. __,.,- dritter Epitritus: Abschiedgesaug. *, vierter Epitritus: Epheuranke.

27.

Fünfsylbige Füsse gibt es zwei und dreissig. Ihre Namen werden verschieden und nicht mit hinlänglicher Bestimmtheit angegeben. So nennt 2. B. Diomedes (Putsch. S. 478.) nur ein und dreissig, und zuweilen verschiedene mit demsel- ben Namen. Die gewöhnlichsten Benennungen sind folgende.

,^ w ^ ^ -< Orthius.

- ^ Molossospondeus.

^ w w v^ Pyrrhichianapäst.

_ _ w Kalalypus.

^ ^ ^ Hegemoskolius.

-' Spondeokretikus.

^ ^ _ w ^ Mesomacer.

Mesobrachys.

-/ _ « sK ^ Pariambus.

^ Hyperbrachys.

•/w w Dasius.

__ ■«'-' Spondeodaktylus.

w . Musicus.

w w- _ Amoebaeus.

*. w w Jambodaklylu«.

Vo'rerinn erunges. 21

_ w w Choreobacchius. ^ w Dipliyes. _ _ w >-- ^ Syinplektus. w _ w ,./ Cyprius*

_ ^ ^ Aulicyprius.

^ w - « - Hegemokretikus. _ _ v^ _ s^ Spondeoskolius. w w w Perio.dikus.

. _ V- - Anliperiodikus.

w - - - Pfobracliys. w *^ *.- w Parapäon. 1.^ _ _ w D o c h ui i u s. ^ ^ ^ ^ Doriskus. _ v^ w w Strofus.

^^ _ Anüstrofus.

.^ w Paviaiubocles. _ ^ _ »^ w Choreodaktylus*.

28.

Secbssjlbige Füsse gibt es vier und sechzig, wtlchc uebst ihren Bcnenuuugeu der Yollslän- (ligkeit wegen hier Platz, finden mögen. .^ w w w w Dichoi*eus.

^ Dikanius.

^ w V* w »-< - ChoreoantidaktyluSa _ _ w Kaniolalius. .^ w w w - w Choreoskolius. _ «-' Kaniokrclikus. »^ w -* _ ,^ w Choreodaktylus.

V o r e r 1 n n 0 r u n c, e n.

___« Kaniobacchius. w w _ ^ v^ w^ Anapästochoreus

^ Laliocaniiis.

w - w -. w w Skoliocl)oreus.

_ w Kretikokanius.

w ^ w ^ Choreobacchius.

^ ^ Kanioclaktylus.

w ^ V «^ ChoreoantibaccbiuS. _ _ _ ^ v„ _ Kaiiiantidaktylus. w w _ _ ^ w Anapästodaktylus.

w .- _ _ Latiobacchius.

w _ _ w w w Bacdiiochoreus.

_ w »^ Daktylocanius.

w. w v^ w _ Choreokretikus. _ _ ^ ^ Kanioskolius. »> w _ w w< Anapäsloskolius. _ _ w _ w Laliokretikus. »^ _ w w w Skoliodaktybis. _ ^ w _ _ Krelikobacchius. ^ _ _ w _ _ Dibacchius. _ ^ ^ _ w «- Diclaklybis. ^ _ w^ ^ w - Ökolianapästus.

w> _ Kredkolatius.

-. w w _ Cboreomolossus.

w w ^ Molossocboreus.

w ^ - - w/ Anapästolatius.

w - w - Latiautidaktylus.

w ^ w Bacchiodaklylus.

- ^ ^ ^ Daktylobacchiu^.

Vorerinnerungen. a3

^ Skoliokretikus. _ ^ Krciikoskolius,

Skoliobacchius.

^ w Kretikodaktylus.

w Bacchioskollus. w Daklylocreticus.

^ Skoliolatius.

^ Ki'etikanapästus.

Anapästokretikus.

>- Lalioskolius.

•^ Baccliianapästus.

«^ Daktylolatius.

Skoliokanius.

>-' -' Kretikochoreus. -^ DJanlidaktylus.

-- DilaUus.

^ Diskoliiis. •V Diki'elikus.

«" - Baccliiokjfctikus.

>-' Daktyloskolius.

Baccliiülalius,

w Daktylanapästus.

Anapästomolossus.

'-' -' Laliüdioreus.

Baccliiokanius.

"x ^ Daklylocliorcus. «- s^ Laliodaktylus. Aiiapästobaccliius.

24 Vorerinnerungen.

29.

Es hegreift sich leicht, ciass die Zahl der Füsse in das Unbestinitiite auf diese Art veiTnehrt Avex'- den kann, denn ausser dem Nachlassen der Ge- duld, die endlich doch ausgeht, findet sich kein Grund, das Zusetzen neuer Sylben einzustellen. Wollte man aber, um siebensylbige Worte, z. B. Flulenbesänftigerin, als Füsse zu benennen, alle 128 siebensylbige Füsse aufzählen, so unternahm' man ohne Zweifel eine sehr unnütze Mühe, denn mit der Kenntniss der zwei , drei und \ ier- sylbigen und einiger wenigen unter den fünf- sylbigen Füssen, reicht man bequem aus, und die gajize Klasse der sechssylbigen ist hier nur aufgeführt, theils der Vollständigkeit wegen, theils um die verschiedenen Namen , mit denen die Theoretiker oft denselben Fuss bezeichnen, bei dieser Gelegenheit zu bemerken.

In neuei-n Zeiten hat es nicht an Versuchen gefehlt, den Füssen andre Namen zu geben. Von dem deutschen Purismus, der statt Spon- deuSi> Tritt; statt Trochäus, Wälzer; für Dak- tylus, Fingerfuss empfahl, ist wenig zu sagen. Erwähnung aber verdient der Einfall des Hrn. Kirchenrath Perschke. Dieser schlägt, in sei- ner, sonst nicht sehr zu empfehlenden Or t hö- rne tri c (1809) vor: den Füssen solche Namen zu geben, die zugleich die prosodische Natur des bezeichneten Fusses selbst hören lassen. Er

Vorerinner ungen. 26

nennt deswegen den Spondeus: Klopstock; den Trochäus: Hölty; den Jambus: von Kleist; und die Einzellänge , die er als Fuss geltend machen will: Voss. So wunderlich die Sache beim er- sten Anblick aussieht; so ist doch nicht zu läug- neu, dass durch dergleichen charakterisirende Benennungen der Füsse dem Gehör ein Sche- ma gegeben Avird, dem ähnlich, welches die metrischen Zeichen für das Auge bilden. Hätte der Verfasser nur übrigens nicht zu voreilig und ohne hinlängliche Kenntniss der Metrik, über Metrik geschrieben, so würde dieses hörbare Schema beim Ijnterricht allerdings manchen \ or- theil gewähren.

5o.

Ausser dieser Klassifikation nach der Sylben- zahl, theilten die Grammatiker die Füsse auch nach den darin enthaltenen Zeiten ein. In- dem sie nemlich in den langen und in den kur- zen Sylben einen verschiedenen Zeitgehalt be- merkten, und diesen durch ein bestimmles. ^'er- hältniss bezeichnen wolilen, theilten sie der kur- zen Sylbe ein Zeitmomeut (Zeit, lem})us, mora, Xoovog -, at]f.i{cov) zu, der langen hingegen zwei dergleichen Momente. JNach dieser, nicht zäh- lenden, sondei^n messenden Ansicht, theilten sie die Püsse ein , in:

1. Zweizeilige. Zu dirser Klasse gehört nur

20 Vorerinnerunp;en.

der Pyrrliicliins ( ■), denn die Einzel- lange (-), wo sie auch zwei Zeilen hat, ist doch nur Sylbe und nicht Fuss zu nennen. 2. Dreizeitige. Diese sind nach den Graju- niatikern :

der Tribrachys w w ^

der Trochäus

der Jambus -' 5. Vierzeitige. Dahin zählten sie:

den Proceleusmatikus «-^ w ^ «,«

den Daklylus - w w

den Anifibrachys ^ w

den Anapäst ^ ^ -

den Spondeus

rr

Ol.

Es war Zeitverlust, dieses Verzeichniss fort- zusetzen , denn theils sieht man an der Bezeich- nung jedes Fusses gleich, wie viel Zeiten er nach der Ansicht der Grammatiker haben müs- se ; theils ist diese Ansicht selbst durchaus falsch, und hat die Metrik den gross ten Verwu'rungen und Missverständnissen ausgesetzt.

32.

Die Behauptung nemlich , dass jede Länge zwei Kürzen gleich sey, beruht auf einer Täu- schung, die sich von den ältesten Zeiten an bis auf die neuesten erhalten hat, und der zuerst von dem Verfasser dieser Metrik in dem Anhang

Vorerinnerungen. 17

zvi der Tragödie: die Aetolier, und später in einer ÄJjliandiung über Rliythmus und Metrum (Allg. Mus. Zeitung 1807 u. 1808) widersproclien worden ist. Es ist nölhig, diesen Gegenstand hier vorläufig zu erwähnen.

53.

Wem die Geschichte der Musik nicht unhc- kannt ist, der erinnere sich, dass die musikali- sche Bezeichnung des Zeitgehaltes anfangs sehr unzureichend war, und dass Jahrhunderte vei-- gingen, ehe mau die Intervalle der Töne und ihre Dauer mit der Genauigkeit, wie jetzt, be- zeichnen lernte. Das Länger und Kürzer war bald angedeutet , aber in dem Wie lang und Wie kurz, lag die Sclnvierigkeit. Die Noten reich- ten deswegen in den ersten Zeiten nicht zu, den Gesang eines Liedes zu lernen , und man inusste die Sänger oft weit in ferne Länder schicken, um den Gesang zu hören, an dessen Melodie alsdann die unvollkommne Bezeichnung erinner- te. Ueberlegt man, Avie ganz verschieden es sey: mit dem Sinn etwas lebendig aufzufassen ; und da- gegen es in Worten oder andern Zeichen so klar und vernehmlich auszudrücken, dass Jeder, der das conventionelle Zeichen sieht, dadurch sogleich das Bezeichnete in lebendiger Anschau- ung vor sich habe, und selbst innerlich sinnlich wahrnehme, so wird man zugeben, dass die

28 Vorerinnerungen,

Sänger cler alten Zeit eine Melodie richtig sin- gen konnten, ohne im Stande zu seyn, über die Verhältnisse der Längen und Kürzen darin, durch. Worte oder Messung genaue Rechenschaft zu ge- ben. Uns, die wir die Melodie gewöhnlich mit Hülfe der bestimmten Taklzeichen erlernen, wii*d dieses freilich leicht, aber, so wie ein Ungeüb- ter im Schreiben selbst das, Avas er richtig spricht, nicht immer richtig bezeidinet, eben so, und noch weit unzulänglicher, wird ein Sänger vor Erfindung der musikalischen Bezeichnung, die Verschiedenheit der Längen und Kürzen ange- deutet haben , und eben so unbestimmt wird er sich auch in Worten über das Wie lang und W^ie kurz, ausgedruckt haben.

54.

Indessen drang sich doch zuweilen die Noth- wendigkeit einer solchen Bestimmung auf, und dann war nun wohl das einfachste Verhältniss, welches der Länge noch einmal so viel Dauer gab als der Kürze , das nächste und erste , was man beim Theoretisiren ergriff. Auch der Um-» stand, dass vielleicht die ältesten Rhythmen, welche man bezeichnen wollte, eben aus diesem einfachen Verhältnisse liestanden, konnte dazu beitragen, dass niemand dieser bequemen An- nahme zu widersprechen Ui-sachc fand. So muss durfh eine alte Tradition dieses Verhältniss der

Vorerinnerungeo. ' 29

Kürze zur Länge wie Eins zu Zwey auf die Grammatiker gekommen seyn, denn sie sprechen davon als von einer bekannten, längst unbe- zweifelten Sache , ohne einen Grund für die An- nahme dieses Yerhähuisses anzuführen. 'Auch gilt ilinen überall die Länge zwei Kürzen gleich.

55.

Doch scheinen die Musiker der alten Zeit schon gefühlt zu haben, dass dieses \'erhällniss der Länge zur Kürze nicht das einzige sey, und die iNIusik rausste auch in der That sie bald zu dieser Bemerkung veranlassen.

Der Grammatiker IMarius Viktorinus (Putsch S. 248o) sagt: Unter den Musikern und Metri- kern ist grosser Streit über den Zeitgelialt der Sylben. Denn die Musiker behaupten, nicht alle Längen und alle Kürzen haben gleichen Zeitgehalt, indem es Sylben gebe von grösse- rer Länge, als die vollkommene, und von ge- ringerer Dauer, als die einzeitige Kürze hat. Deshalb hielten sie auch in ihren Melodien manche Länge länger, und fertigten manche Kürze kürzer ab, als das gewöhnliche Maas es bestimmte. Die Metriker hingegen blieben bei dem gewöhnlichen Zeitmaas stehen, und ge- stehen nicht zu, dass es Längen von verschied- nem Zeilmaas und Kürzen von verschiedner Dauer gebe.

5d Vorerinnerungen.

Mari US selbst zieht sich bequem aus diesem Streit, iudtm er sagt: Lang sey lang , und kurz sey kurz. Wenn man sage , die Deutschen seyen von langer Statur, so behaupte man damit nicht, dass sie alle nach der Schnur gemessen seyen. Dergleichen Subtilitäten möchten die Musiker aushorchen, der Mtlriker nehme darauf keine Riicksiclit.

Man sieht, dass die Metriker schon in der allen Zeit einen Tick gegen die Musiker hatten, und ihren bessern Einsichten widersLrebien. Auf jeden Fall zeigt diese Stelle des Marius Vikto- rinus, dass die allen Khythmen in der x\usübiing ein andres Maas hören liessen , als die Metriker mit ihren bloss zweizeitigen Längen und ein- zeiligen Kürzen zu bezeichnen im Stand waren, und dass mithin die metrischen Zeichen, deren Beibehaltung nicht ihre Zweckmässigkeit, son- dern der Eigensinn der Theoretiker veranlasste, uns keine richtige Anschauung des Gesanges der alten iihythmeu geben können.

36.

Dass es noch andre Verhältnisse der Länge zur Kürze geben müsse, als das von Zwei zu Eins, wird bei der Entwickeluug des Metruiu vollkommen bewiesen werden. Jetzt genüge uns voriiamg die Sprache selbst, um das wirkliche \ orhujidenseyn eines andern Verhältnisses nach-

Vorerinnerungen. 3i

zuweisen. Diese Hinsicht auf das Maas in der Sprache ist uns um so nöthiger, da einige Me- triker ( z. B. Hermann Metrik §. 5o ) in der Sprache nur ein einfaches und ein doppehes Maas hören Avollen, und so durch eingestande- nen Mangel eines richtigen Gehörs den besten Aufschluss über die Irrthümer ihrer Theorien geben.

Man spreche Worte , als: Anbeten, Aus- rufen, D urchg an ge, deutlich und mit Auf- merksamkeit aus, aber ganz auf die ungezwun- gene Art , wie man sie im alltäglichen Gespriich auszusprechen pflegt. jNiemals wird man sprechen Durchgänge Furchtbares

I >

sondern jeder, der sich natürlich gehen lässt, spricht deutlich und bestimmt:

Durchgänge Furchtbares

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«• « tf «

und gibt also der ersten Sylbe, nicht bloss den Accent, sondern drei Zeitmomente, der zweiten Zwei und der dritten Ein Moment. Nur wenn er, des veränderten Sinnes AVegen Furchtbares und Furchtloses unterscheiden wollte, würde er zwar die zweite Sylbe betonen, aber deswe- gen immer noch nicht :

Furchtbares

3a Vor eriniie rungen.

sondern vielmehr im Auftakt: Furchtbares

I sprechen. Man sielit also , dass die Sprache selbst schon die dreizeitige Länge hat, und dass diese unverkennbar dem genau hörenden Beob- achter erscheint. Dieser Umstand allein wäre schon hinlänglich, die Messung der Füssc nach Zeiten, in dem Verhältniss, welches die Gram- matiker lehren, zu verwerfen, allein die Folge wird dieses noch einleuchtender machen.

57.

Neben der Ansicht der Füsse als Zusammen- setzungen von Längen und Kürzen, hatte sich den (Grammatikern auch der ursprüngliche Cha- rakter der Füsse als Versmaas (Takt) erhalten. Hierdurch wurden sie wahrscheinlich zu dem Ii'rthum veranlasst, als sey jeder Fuss und jede Zusammensetzung von Sylben, zugleich auch als Versmaas zu gebrauchen, und hierauf gründet sich die zuweilen ganz unmetrische und verwor- rene Messung, Benennung und Abtheilung man- cher \ersarten.

Fanden z. B. die Grammatiker einen Rhyth- mus, dem wir in unsern musikalischen Zeichen ganz singbar

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V o r e r i n n e r u u g e n. 55

bezeichnen ^vü^clcn in dem Vers: Im rotliglühenden Morgenlicht

SO suchten sie die Bezeichnung seines Sylbenge- hahes auf Füsse zurückzuführen und fanden nun einen Antispast und einen Diiambus.

Nun war ihnen der Vers ein antispastischer, und um den zAveiten iambischen Theil nicht ausser der Theorie zu lassen , ward die Bemerkung hinzugefügt, die antispastischen Verse wechsel- ten neben dem Grundfuss der Antispasten auch mit der ianxbisclicn Dipodie (oder dem Diiam- bus). Als Grund dieses Wechsels gab man auch wol an, der Antispast würde dui'ch seine öf- tere Wiederholung den \ ers rauh und hart machen. So erklärt sich z. B. auch Hermann (Metrik §. 65) über diesen Wechsel.

Kam derselbe Rhythmus mit der geringen Veränderung

•-'3— ^^ F

vor, z. B. in dein Vers:

Wo fröhlicheres Lied ertönt

so passte er nicht mehr auf das vorige Schema, und es musste ein andres entworfen Werden:

Die vorige Länge ( j'^ statt J^ ) schien in zwei Kürzen aufgelöset. Der Vers galt den Metrikern

S4 Vorer iimerun ^e 11.

nun für einen Anlispast lait einem Krelikus, und 3ie bemerkten nicht; dass sie vorhin nur durch die Zerreissung des Daktylus ( j" J^ > in \ >^) ihren Diiambus statt des Krelikus er- hielten.

Kam folgender Rhythmus vor:

3

^m

2. B. in dem Vers:

In dem Gesang zum Olymp empor so musste es ebenfalls ein Antispast seyn, dessen erste Länge in zwey Kürzen aufgelöset war

mit nachfolgender iambischer Dipodie; und so wurden die verschiedensten Rhythmen oft als gleich und gleiche als verschieden betrachtet, wie es die metrische Bezeichnung der Füsse ver- anlasste.

Dieses ist wol Beweis genug , dass die Me- triker den Vers nicht als lebendigen Gesang vernahmen, sondern bloss als todles unorgani- sches Aggregat von Sylben und Füssen analy- sirten und auch wol zusammensetzten. Sic wa- ren, wenn der Vergleich erlaubt ist, Anatomen des \erses und befassten sich nicht mit der Fy- siologie seines Organismus. Bei den meisten Versgattungen wird sich in der Folge Gelegen-

Vorerinnerungen. 36

heit finden, diese Ansicht der Grammatiker nachzuweisen.

38. Nicht allemal indessen konnten die Gram- matiker in einem vorkommenden Vers den be- stimmenden Grundfuss auffinden, und die an- dern als Varietäten desselben betrachten. So fanden sie z. B. den saffischen A'^ers :

oixffg GTQOv&oi, -JiTiQvyag [xilaivag

lam satis tevris nivis atque dirae

Klaggetön umher, und des wilden Schlachtrufs

dessen leichter und fliessender Gesang sich doch auf keine regelmässig wiederkehrenden Füsse wollte zurückführen lassen. Denn, wenn man ihn in solche zu zerlegen sucht,

so entsteht allerdings ein sehr verworrenes und widersprechendes Gemisch, und selbst die Ab- iheilung des Hefästion

gab keine Gleichförmigkeit in den Abschnitten. Die Grammatiker erdachten daher fiir diese Gat- tung von Versen eine besondere Klasse, die sie widrig gemischte Verse [f^uxQu xaz upti- ■naOftuv ^iixcu) nannten. Aon diesen wird iu ei- nem besonderu Abschnitte die l\cde seyn.

36 Vorerinnerungen.

3c,.

Indem wir das eben Gesagte übersehen , fin- den wli" die Grammatiker in einem doppelten Irrthiim befanijen, wodurch ihre Lehre vom \ers und Versbau, der äussersten Verworrenheit aus- gesetzt werden musste.

Der erste Irrthujn besteht darin, dass sie den verschiedenen Geliah der Längen und Kür- zen verkannten und jeder Kürze ohne Unter- schied Ein Zeitmoment, jeder Länge ohne Aus- nahme zwei dergleichen Momejite zuschrieben. Daher bedienten sie sicli auch nur zwei metri- scher Zeichen , des liegenden c (-) für die Länge, und der untern Kreishälfte (-') für die Kürze. Isidor. Orig. i. 16.

4o.

Wir haben bemerkt, dass die Sprache in den Worten selbst schon dreizeitige Längen hat, z. B. Ruhmvolle , schamhafte , Jungfrauen u. a. m. Rhythmen, mit dreizeitiger Länge, sind aus der Musik allgemein bekannt:

jtir.-Dt.

=}:

:^

j Wenn nun Verse vorkommen, wie

Liedvolle , laubdunkle Waldesnacht ist es nicht , ohne noch auf Theorie jZu sehen, wahrscheinlicher, dass der Dichter sie, der JNa-

Vorerinnerungen. 3y

tur der Sprache gemäss, nach jenem musikali- schen Pthythmus

J- J jN J. J / 1 J .^ J.

gedacht hahe, als , mit Widerstreben der Sprache, nach der zweizeitigen Länge des metrischen Schema

in folgendem Maasi

^ 1 I "N I » I «

Liedvolle, laubdunkle Waldesnacht wobei der Leser sich zwingen muss, nicht hö- ren zu lassen, was Sprache und Versrhyth- mus fordern?

Gleichwohl bestehen die Metriker auf dieser unrhythmischen Messung , wiewohl einige dar- imter z. B. Quintilianus (IX. 4, 98) richtig hör- ten, aber, wie es Tlieoretikern oft geht, avo sie theoix;lisirien (das. 47.) sich nicht auf das be- sannen, was ilinen, wo sie naliu'lich fühlten und sprachen, wohl bewusst war.

4i. Da nun , wie später noch einleuchtender wei*- den wird, die Längen und Kürzen nicht alle von gleichem Zeitgehalt sind, so ist es klar, dass die Analyse vder Verse bei den Grammati- kern durcliaus unrichlig scyn muss in allen Vcrsgattungeii, deren Längen andern als zwei-

.■SS V o r e r i n n e r u n j^ e n.

zelligen Gehalt haben. Hätten Dichter, was ijidessen wol selten geschehen seyu mag, den Grundsatz der Grammatiker von der bloss zwei- zeitigen Länge bei der Bildung ihrer Verse be- folgt, so würden die Rhythmen, welche drei- zeitige Länge fordern , w enigstens dann fehler- haft gebildet worden seyn, wenn solche drei- zeitige Längen aufgelÖset, und nicht durch drei, sondern nur durch zwei Kürzen im Vers er- stattet worden wären. Bei spätem Dichtern, die mehr der Theorie als der Natur folgten, war die- ser Fall nicht unmöglich und der Pvhythmus

». ä m \ 0. s 0 \ 0 0 0. Hin sank das blutgierge Ungeheur

könnte vielleicht in diesen:

und es sank, des La-bi - riutbes Un-geheur verkehrt worden seyn , dem der Leser von selbst durch leichte Dehnung des ersten Takttheiles nachzuhelfen sucht, wenn er die angezeigte Mes- sung erhalten will. Welche Verse nun Längen von andrem als zweizeitigen Gehalt haben, wird aus der Natur des Rhythmus und des Metruni vollkommen klar werden.

42.

Der zweite Irrlhum der Grammatiker besteht darin, dass sie die Füsse, welche durch die vex*-

Vorerinnerungen. Sg

scliiedencn Zusammenstellungen von Längen und Kürzen entstanden sind, durch eine Verwech- selung mit den Verstaktfüssen, als Yersmaasse brauchen, und bald Verse aus dergleichen Füs- sen zusammensetzen, hald sie in solche Füsse zerlegen, Avie oben (3?) an einem Beispiele ge- zeigt worden ist.

Durch dieses Verfahren ward die Wahrneh- mung des Rhythmus im Verse durchaus gehin- dert, denn die Verse wurden in Theile zerris- sen, von welchen oft keiner ein rhythmisches oder metrisches Ganzes war, indem er doch mit dem Schein eines solchen Ganzen täuschte und spätere Metriker zu den sonderbarsten, allen Rhythmus zerstörenden Behauptungen verleitete.

VVär übrigens diese Synthesis der Verse aus Füssen richtig, so müssien entweder alle Zu- sammensetzungen der verschiedenen Füsse Verse geben, oder es müsste eine Regel gefunden wer- den, die festsetzte, welche Füsse mit einander verbunden werden können. Eine solche R.egel ist aber nirgends aufgestellt worden, ja, die Grammatiker heben ihi'en Begriff auf, indem i\c widrig gemisclile Verse annehmen.

45.

Bei allen Bemühungen der Grammatiker und Philologen blieb also di<; Theorie des \ Crsbaucs und die Frkciintniss <1( .s llliylbmiis in <icn ;illtn

4o V o r e r i n n e r u n g c n.

Versarten noch ganz unbestimmt. Die Gelehr- ten stritten darüber mit gewohnter Heftigkeit oluie dass jemand ausser der Schule die \ or- trelFlichkeit ihrer aufgezeigten Rhythmen ver- nommen hätte , und innerhalb der Schule selbst kam es aus Mangel an festen Grundsätzen zu keinem sichern Resultate.

Hermann.

44. So stand es noch zu der Zeit, als durch Kaufs Kritik ein Streben nach Gründlichkeit in allen Wissenschaften aufgeregt wurde. Man begrill", dass es jeder Wissenschaft gezieme, auf festen Principien zu ruhen, und Kenntnisse , die man früher höchstens als angenehme Erheite- rungen des Lebens zu betrachten gewohnt ge- wesen war, wurden jetzt als wissensehaftliche Lehrgebäude begründet, und mit systematischer Strenge beurtheilt.

45. Vorbereitet zu wissenschaftlichen Untersu- chungen durch Bekanntschaft mit den Schriften Kaufs, fas.-te der Philolog Hermann in Leip- zig den Vorsalz, die Metrik wissenschaftlich zu begründen und aus dem Begrilf des Rhythmus selbst, die Theorie (\cs Rhythmus abzuleiten. Sein erstes Werk erschien zu Leipzig im Jahr

Vor er um erun g c 11. 4i

1796 unter dem Titel: Godofredi Hernianni, de melris poelarum Graecorum et Romanoi-um , li- Lri III. Diesem folgte 1799 iu deutscher Spra- che: Handbuch der Metrik, von Gottfried Her- manu , worin die allgemeine Theorie des Pvhyth- mus noch weiter ausgeführt Avard. Gelegenlliclie Erörterungen über Rhythmus in akademischen Schriften und Ausgaben alter Dichter, so wie die specielle Abhandlung über die Rhythmen Pindars , können hier nicht besonders aufgeführt werden. Hermanns Schriften fanden zwar liei den Filologen, die ihr System abgeschlossen hatten, wie dieses bei neuen wissenschaftlichen Ansichten immer der Fall zu seyn pflegt, Wi- dei'spruch, dagegen erregte des Verfassers Bele- scnheit, und die, pn solchem Stoff nocli nie ge- sehene Filosofische Form bei Unbefangenen Bewunderung und das Ansehen der (jrammati- ker ward nach und nach durch den neuen Me- triker verdrängt.

46.

Hermann halte den Plan (Metrik §..^ 9), ein a priori bestimmtes, objektives, und forma- les Grundgesetz des Rhythmus aufzustellen, und aus diesem die; voUstäJidige Theorie des Rhyth- mus und des Metrum abzuleiten, gegen welche alsdann allerdings kein Z\v( ifel würde erho])en werden könne»). 1)ics( s (hiscIz auf/,uliuden be-

42 Vor e rinne ruii gen.

»liente er sich der Kantlscheii Formen. Denn wiewol sclion damals, als Hermann schrieb, die Kaiitischen Lehrsätze manche tiefere Begründung gefunden hatten, so scheint Hermann doch sein filosofi ches Forschen mit Kant, wie die meisten damaligen Filologen ihr metrisches mit den Grammatikern, beschlo' sen, und von neuern Ansichten nur eine unwillige und widerstrebende Notiz genommen zu haben. Was aber die glück- liche Ausführung seines Planes hauptsachlich hinderte, war, dass er nicht, bevor er Hand an das Werk legte, sich bemühte, die sinnliche Anschauung des Rhythmus bestimmt aufzufassen und mit Sicherheit festzuhalten.

Ein mächtiges Hinderniss dabei war ihm der Mangel an Kenntniss der Musik, der aus mehrern Stellen seiner Werke sich errathen lässt. JNicht als wäre Kenntniss des technischen in der Musik nö- thig, um einen Rhythmus oder eine Melodie zu fassen, aber die Beschäftigung mit Musik, in wel- cher der Rhythmus freieres Spiel hat, und noch reiner wahrgenommen wird, als im Vers, dessen Rhythmus selbst zuweilen noch zweifelhaft ist, übt das Gehör und erleichtert das Aidfasseri der Rhythmen, und ihre Anerkennung in manchen veränderten Gestalten.

Diese Unbekanntschaft mit der Musik er- schwerte nicht nur bei Hermann die, vor der Theorie so nothwendige Anschauung des Rhylh-

Vorerin ner iingen. 45

mus , sie nährte auch in ihm den Wahn , als sey die ahe Musik etwas ganz andres gewesen, als die neue, von welcher sie sich hesonders (wie schon oben erwähnt) durch gänzlichen Man- gel an Takt unterschieden habe.

Weil Hermann den Rhythmus nicht durch unmittelbare sinnliche Anschauung, sondern durch das Mittel der alten Verse und überdies der Kanlischen Formen betrachtete, so niusste es ihm begegnen, dass er die Sache über der Beschreibung verlor, und gleichsam das Wort vor lauter Buchstaben nicht sah. Er streift zu- weilen (wie Kant selbst), an dem Wahren nahe vorüber, ohne es zu berühren, oder zu ergrei- fen. So ist er oft nahe daran, den Bliythmus als ein Ganzes in der Zeit zu erkennen, abtr, weil ihm die sinnliche Anschauung dieses Gan- zen, entweder gar nicht, oder nur vorüberge- hend kommt, so verliert er sie in einer Menge von Erläuterungen über Causalilät und Wech- selwirkung , die den Leser wie ein Räthsel äuir- stigen, wenn er nicht die Deutuixg in der An- schauung des Rhythmus als eines Zeilganzen schon hat und zum Lesen mitbringt. E]>eji so ist er nahe daran, wo er von Arsis uitd 'Ihesis spi-ielti, den Grund des Rl)yihmus (das Princip der Eiidieit im Zeitganzen) in dem Accent zu

44 Vorerinnerungen.

finclen, allein die Kürzen und Längen, die er, ohne sie abzuleiten (was nothwendig war), als ein schon Gegebenes aufnimmt , leiten ihn wie- der irre, dass er mit grösster Inkonsequenz das Zeitmaas anticipirt, und in die Erklärung des Rhythmus aufnimmt , der ohne Längen und Kür- zen bei gleichen Zellablheiluugeu durch den Accent statt findet.

48. Ein auffallender Widerspruch, der zugleich beweiset, dass diesem Metriker die Anschauung des Rhythmus nie deutlich geworden ist, zeigt sich zwischen der Behauptung ( Metrik §. 48 ) ,,das Maas der unbestimmten Sylbe sey durch den Rhythmus eben so genau , wie das der vibri- gen Sylben bestimmt, und die Sylbe möge in einem Wort, das an dieser Stelle steht, lang oder kurz seyn, so habe sie doch in dem Verse nur das vom Rhythmus Ixstimmte Maas ; " und zwischen der Messung der Verse (Metvin. . Vorr. S. XXVIIl) wo die unbestimmte Sylbe, die an der Stelle der Kürze steht, wegen ihrer prosodischen Quantität als wirklich lang im Ver- se, gemessen wird. Misst man jene pindarische Stelle nach der Bemerkung des §. 48.

XQvof - « cpoQ-fJiiy^ ^AnolXb) - vog zai lonkoyMfxwv Froh bcgrüsst Wühllnut des Frühlings blüthengefeierten Tanz

Vorerinnerungen. 45

SO ist von der sonderbaren Veränderung der Taktart bei jedem Takt (Vorrede XXV 111) keine Spur. In jener Bebauptung (§. 48) blitzte dem Metriker die wahre Gestalt der Sache entgegen, allein weil er ohne deutliche Anschauung des Rhythmus die Bedeutung der prosodischen Liinge an der Stelle der metrischen Kürze nicht fassen konnte, so verlor er die Wahrheit (S. XX VIII) unter dem Gerüst von Begrifl'en.

Dieser Mangel an deutlicher und festgehal- tener Anschauung des Rhythmus äussert seinen Einfluss auf das ganze Werk dieses Metrikers. Obgleich das Grundgesetz des R.hylhmus als objektiv, formal und a priori bestimmt ange- kündigt isi; so werden doch so subjektive, ma- terielle und a posteriori bestimmte Momente in Anspruch genommen z. B. der Gebrauch der Dichter, die Deutlichkeit für den Leser, ja so- gar die Kraft der Lungen, dass am Ende von der Strenge der ersten Forderung wenig in der Ausführung zu bemerken ist, wie bei dem Durch- gehen der einzelnen Versgattungen sich oft zei- gen wird. Daher kommt es denn auch, dass oft die direktesten Widersprüche in deui Zwi- schenraum weniger Seiten auf einander folgen. So scliickt sich §. i>27 der Daktylus besser als der Spondeus, §. 24a der Spondeus besser als

45 Vo rprinnerungen.

der Daktylus zu dem Ende des Verses, und bei- des der Ermüdung wegen.

5o.

Urtheilt man nun nach dem, was Hermann wirklich geleistet hat, und nicht nach dem, was er seiner Ankündigung nach leisten Avollte , so steht er, so heftig er immer auf die Gramma- tiker schilt, doch in Ansehung des Systems der Metrik nicht über ihnen.

Die Ableitung der Theoi-ie des Rhythmus aus einem Princip hat er nicht bewerkstelliget, ja es fehlt seinem Werk bei allem Schein syste- matischer Strenge doch ganz an einer wissen- schaftlichen Begründung. Denn das angeführte Grundgesetz, dass die Zeitabtheiluugen einander durchgängig gleich seyen , dass die freie Ursache (die Arsis) den Anfang der Reihen bilde , und dass das Bewirkte (die Thesis) zwar eben so gross oder kjeiner, nicht aber grösser seyn kön- ne, als die Arsis, bleibt unzulänglich und un- fruchtbar, weil die Erörterung aus der Acht gelassen worden ist , wie man dazu komme Län- gen und Kürzen in Zeilabtiieilungen anzuneh- men. Daher reicht dieses Gesetz auch gar nicht

zu, den Moloss (- unfruchtbar) zu erklären^

oder den Päon (_ w. ^ w göttlichere) dessea Lünsfe Hermann als zweizeitisr euinimmt und

Vorerinnerungen. 47

mehres andre, was in den einzelnen Versarten nachgewiesen werden wird.

5i. Die Gleichheit aller Längen (als zweizeitig) and aller Kürzen (als einzeitig) nimmt Hermann mit den Grammatiker.! unbedingt an. Dabei bezieht er sich auf die Sprache, welche nur zweizeitige Längen habe, (wir haben das Ge- genlheil gesehen) und, sonderbar genug, auf die Musiker, die dem Beispiel der Spi'ache ge- folgt seyen. Mit einiger Kenntniss der Musik ' hätte sich Hermann auf die Figuren J_ / J^ J^ und «^ ^^ ^'^ besonnen , und war auf seinen Irr- thum aufmerksam geworden.

52.

Hermanns Hauptidee scheint gewesen zu seyn, die Verse nicht, nach Art der Grammatiker in Füsse , sondern in Rhythmen zu zerlegen. Hätte er dieses ausgeführt, was aber ohne jene, oft bei ihm vermisste Anschauung des Rhythmus unmöglich Avar, so hätte er etwas sehr nütz- liches geleistet in einem Felde, das die Gram- matiker noch unberührt gelassen hallen. Allein was er für den rhythmischen Theil der Vers- kunde tliun wollte, missrieth durch seine An- sicht von den Reihen, in eben dem Grade, als das, was die Grammatiker für den metrischen Theil ihatcu, durch ihre Ansiclit der Füss«

48 V o r er inner ung e 11.

missrailien musste. Hermann verfeliilc über sei- nen Keilien, die er mathematisch berechnen wollte, die wahre Gestalt des Rhythmus; den Grammatikern entging über der Sylbenausglei- chung in den Fc-Ssen, das Metrum oder der Takt. So stehen beide genau auf einer Stufe, nur die Grammatiker auf der metrischen, Her- mann auf der rhythmischen Seite. Beide fehl- ten darin, dass sie sich eben nur auf einer Seite hielten , und durch Zahlen und Berechnen das finden wollten, was vor aller Berechnung und Demonstration dem Sinne klar seyn muüs. Wenn Hermann's Metrik als Theorie , von einigen über die Ansichten der Grammatiker ei'hoben wird, so liegt der Grund wol bloss in seinem Ver- dienst als Filolog, durch welches er seine Irr-

Me sanktiouirt.

ihümer als Metriker vor befangenen Augen

Voss.

53. Ohne eine Theorie des Rhythmus schreiben zu wollen, brauchte \oss in seinem vortreff- lichen Wei'ke : Zeitmessung der deutschen Spra- che (1802), die musikalischen Zeichen statt der gewöhnlichen metrischen, und zeigte dadurch in den meisten der alten Versgatlungen den Takt. Indessen hat er oft den Takt durch willkühr- liche Punktirung der Viertel in vier Viertellakt

Vorerinnerungen. ^q

hervorgebracht, und sich dieses Hülfsmittels be- dienen müssen, ^veil er die wesentliche drei- zeitiije Länge nicht kannte, und die prosodische Länge an der Stelle der metrischen Kürze, so wie Hermann, als metrische Länge mass. Der Charakter dieser prosodischen Länge, ist aber starke Betonung der Kürze und dem sforzando in der Musik gleich, wie die Folge ausführlich beweisen wii'd.

Ueber die Ansichten Bernhardi's, Böckh's und Andrer von Rhythmus und Takt wird sich m(;hrcmal Gelegenheit finden, im Einzelnen zu sprechen.

Gesang und Deklamation.

Indem wir behaupten, und fernerhin be- haupten werden, in jedem Rhythmus sey Takt, und ohne Takt kein Pdiythraus denkbar, müs- sen wir einer Einwendung im Voraus bcirei'- ncn, die, so viel uns bewusst, zwar noch von Niemand gegen den Takt im Rhythmus gemacht worden ist, die aber doch zu erwarten steht, und am meisten von denen, die in unsre Meinung, von der iSothwendigkeit des Taktes in jedem Rhythmus, am tiefsten einzugehen geneigt sind.

55. Solche Leser und Urlheiler werden sich zwar überzeugen, dass in jedem rhythmischen Ge-

4

Vorcrinneru 11 y on.

sang unfehlbar Takt seyn müsse; allein, könn- ten sie entgegnen, nicht jeder Rhythmus ist für eigentlichen Gesang bestimmt. Wenn wir auch den Rhythmus nicht erwähnen, der von der Prosa verlangt wird , so giebt es doch selbst Verse , die bestimmt sind, bloss gesprochen und nicht gesungen zu werden. Von den Rhapso- den und von den Interlokutoren auf dem alten Theater ist es wenigstens wahrscheinlich , dass sie sprachen, und dass wir noch jetzt von fer- sen Rhythmus fordern, die zu dem Gesang gar nicht bestimmt und geeignet sind, liegt am Tage. Nun wird aber jNiemand vom Deklamator for- dern dass er nach dem Takt deklamiren solle. Von der unschicklichen hörbaren Skansion ist hier nicht einmal die Rede, aber selbst das eleichmässig Fortlaufende des Taktes würde die Deklamation entstellen. Oft fordert diese eine zögernde, oft eine beschleunigte Bewegung, oft Anhalten einer Sylbe, über die vom Takte vor- geschriebene Zeit, oft unbestimmte Pausen, die sich nach der Taktmessung nicht richten. Al- les dieses aber sind Dinge, welche dem Takt gerade zuwiderlaufen, und ihn ganz aufheben.

56.

Dieser Einwand hat allerdings viel schein- bares. Um ihn zu beantworten, müssen wir uns vor Allem darüber vex'ständigen , was man

Vorerinnerungen.- 5i

Takt halten nenne, und zugleich das Verhält- niss der Rede zum Gesang genauer betrachten.

In dem Ausdruck: Takt halten, liegt ein Doppelsinn, denn man bezeichnet im Gespräch damit zwei ganz verschiedenartige Dinge.

Wenn ein Sänger oder Instrumentist einzelne Töne eines Tonstückes in einer andern Zeit- dauer vorträgt, als es ihr melodisches Yerhält- niss zu den übrigen Tönen erfordert, so sagen wir mit Recht, er hält keinen Takt, denn er hebt durch solches Spiel den Takt wirklich auf, es ist unmöglich, zu seinem Sj)iel den Takt zu bezeichnen, den die vorgeschriebene Melo- die fordert, und Avenn der Taktschläger taklirt, so geschieht es nicht zu dem taktlosen Spiel, sondern um den gestörten Takt wieder herzu- stellen. Wer auf diese Art gegen den Takt fehlt, (vorausgesetzt, dass sein Instrument;, ihn nicht hindert) verräth, dass ihm die Anscliau- ung des vorzutragenden Rhythmus mangelt, denn hat er diese, so kann er den Takt nicht ver- letzen.

Wenn hingegen ein Virtuos das melodische Verhältniss der Töne zu einander beobachtet, aber dieselbe Melodie bald in schnellerm, bald in langsamem l'empo vorträgt, ofler wenn er zwischen ihrem Anfang und End« die Bewegung

.')2 Vorerinnc rungcn.

beschleunigt oder vei*zÖgert, so sagt niau woJ aucli, wenn dieses Eilen und Zögern lunvill- kürlich oder mit frivoler Willkürlichkeit ge- schieht , er halte keinen Takt , da man doch vielmehr, sohakl das innere Tonverhällniss nur nicht gestört wird, bloss sagen sollte, er halte nicht Tempo.

Durch diese Bemerkung wollen wir den Sprachgebrauch nicht ändern, sondern nur ver- hüten, dass uns nicht durch Verwechselung bei- der Bedeutungen , Einwürfe von Seiten des Tempo gemacht werden , indem wir vom Takt- halten spi'echen, und umgekehrt.

58.

Diese Beschleunigung und Verzögerung des rhythmischen \ortrages dürfte also in der De- klamation des Verses um so weniger befremden, da sie sogar in der Musik den eigentlichen Takt nicht stört. Allein wichtiger ist die Störung des eigentlichen Verstaktes, durch Verlan- gung einiger und Verkürzung andrer Sylben gegen die Natur des Taktes, und was dasselbe ist, durch Einmischung ungemessener Pausen, die bald der Sinn der Rede, bald das Gefühl Verursacht. Man versuche irgend ein Gedicht zu dtklamiren, und man wird sich überall, nicht allc;in auf Beschleunigvmgen und Verzögerungen ganzef Rhythmen, sondern bei Verweilen auf

Vorerlnuerungen. 55

einzelnea Sylben, bei schneller Abfertigung an- derer, und bei ungemessenen Pausen autreffen. Wie bestellt aber fragt man mit Pieclit hierbei der Takt? Ein Blick auf die Musik wird unsre Meinung erläutern.

%• In der Musik entdecken wir bald, bei einiger Bekanntschaft mit ihren Werken, etwas, jenem Verweilen des Deklamators ähnliches, nämlich die Fermate. Der Virtuos wird bei gewissen Stellen vom Komponisten selbst aufgefordert, auf einem Tone zu verweilen, und dadurch das gleichmässig Fortgehende des Taktes zu unterbre- chen. Man betrachte aber die Fermate zuerst uj ihrer einfachen Gestalt ohne Koloratur. Sie unterbricht zAvar den Forlscliritt des Taktes, man kann aber nicht sagen, dass sie den Takt selbst aufhebt, so wenig als eine Interjektion, oder selbst eine Parenthese den Zusammenhang der Bede stört, wiewol sie ihren Schritt unter- bricht. Wie der Zuhörer mit dem Festhalten des Siunes gleichsan^ über der Parenthese schwebt, so seh webt sein Taktgefühl ülaer der Fermate, die eben tlaflurch Fermate ist, dass sie bei forl- währenti<.iu TaktgcAihl, das reelle FoiHgehcn des Taktes selbst anhält. Man könAte diesen, durch die Fermate angehaltenen Takt, mit dem sinn- vollen Ausdruck bezeichnen, den Göthe von

54 Vor erinn er ungen.

den Farben so schön erklärt , und ihn inten- tiouellen Takt nennen. Die Wahrheit die- ser Benennung fühlt der Taktschläger am sinn- lichsten nächst dem Virtuose^i selbst.

60. Die Fermate , wo sie nicht conventionell ge- worden ist , z, B. ehmals vor dem Schlusstril- ler koncerlirender Stimmen , bezeichnet ein Uebertragen des Ausdrucks der allgemeinen Em- pfindung an die individuelle des Virtuosen. Die- ser Charakter der Fermate findet sich aber nicht bloss auf der einzelnen, mit dem Zeichen der Fermate kenntlich gemachten Note , sondern überhaupt in jedem con expressioue oder con afl'ctto, das daher oft durch ad libitum, a pia- cere , senza tempo bezeichnet wird. In solchen Stellen ist das , was wir intentionellen Takt ge- nannt haben, von der einzelnen Note auf ganze Tonrhythmen übergetragen, allein aufgehoben oder zerstört ist der Takt durch das ad libitum so wenig als durch die Fermate.

61. Es fällt in die Augen : Je weniger individuell und subjektiv der Charakter einer Musik ist, um so strenger sind ihre Rhythmen und Melo- dieen an den Takt gebunden, z. B. in kirchli- chen Fugen, Motetten, und im Choralgesang. Je mehr hingegen die musikalische Darstellung

VorerinneruugeK. 55

sich dem Ausdruck des Individuellen und Sub- jektiven liiugiebt, um so mehr und öfter tritt der Ch^irakter des intentioneilen Taktes hervor, ^der im Recitativ der herrschende wird, in- . dem ihn der Virtuos selbst nach Gefallen (ad libitum) anwendet, wo ihm sein Gefühl sagt, dass er statt finde. Dass aber Taktlosigkeit nicht Charakter des Recitatives sey, zeigt der Um- stand, dass es dem Urtheil des Sängers über- lassen bleibt, ob er strengen Takt hahen wolle, wozu er in manchen Gattungen von Recitati- ven, wo die Begleitung während des Gesanges rhythmisch fortgeht, ohnedies veranlasst wird. Das Recitativ ist also als objektives Kunstwerk in strengem Takt gedacht, und dieser bleibt, wenn auch der Vortrag des Virtuosen den stren- gen Takt als intentionelleiv hören lässt. Etwas ähnliches wie vom Rechativ gilt auch vom kirch- lichen Kollektengesang. Bei diesem findet die Eigenheit Statt, dass er (in der gewöhnli- chen Gattung) den Satz unmetrisch und unmu- sikalisch (monoton) anfängt, oder doch nach einer sehr geringen Modulation zum Anfange fortführt, und nur am Schluss gesaugmässig me- trisirt und modulirt. Er verbindet Rede und Gesang, nicht wie das Recitativ, gleichzeitig, sondern in der Aufeinanderfolge, und der Takt bleibt intenlionell bis zum Eintritt des Schlus- ses, daher denn auch in den prosaischen Kol-

56 Vorerinncrungen.

lektengesängen die Sätze von sehr ungleicher Länge seyn können und sind. Wir sclni in dieser Art des Gesanges das musikalische Ge- gcnbild einer Gattung gereimter Verse, die je- dem Keimwort eine willkührliche Zahl unge- ordneter Sylben vorsetzen, welche bis zu dem Reim regellos abrollen, und die man wol noch vom Volk cxtemporiren hört, oder in kunstlo- sen Inschriften hie und da findet. So las man auf einem Grabstein:

Ich sohlummre sanft in meiner Gruft,

Bis mich die Posaune zum ewigen Leben ruft.

In musikalischen Koloraturen findet man auch zuweilen, wie bekannt, ein ähnliches unbestimm- tes Aufhalten des Schlusses, welches die Natur dessen, was wir intentionellen Takt nennen, deutlich macht, Diese Art des Kollektengesan- ges ist folglich als Rede zu betrachten, die aus Convenienz in singendem Ton gesprochen wird, und zufolge dieser Annäherung an den Gesang, den Sehluss der Sätze metrisirt und modulirt. Dasselbe findet Statt bei dem vormals üblichen Absingen der Episteln und Evangelien. Dass über der Kollektengesang, wo er wirklich Ge- sang ist, eben so wenig Taktlosigkeit zum Cha- rakter habe, als das Recilativ, zeigen thcils sol- che Gesänge dieser Art, welche die Modulation nicht bloss auf den Sehluss beschränken j z. B.

Vorerinnerungen. jy

manche Präfationen, die Konsekrationsformel und ähnliche, theils Kollektenmelodien, weiche in Kirchengesängen taktmässig, und zuweilen mit Instrumenteubegleitung ausgefühi'tj gefunden werden.

62.

Die Freiheit des Virtuosen um das Gesagte kurz zusammen zu fassen im Vortrage, hebt also den Takt im Musikstücke seihst nicht auf, und was vom Sänger gilt , das gilt offenhar in noch höhcrm Grade und mit grösserer Freiheit vom Deklamator. Der Takt des \erses wird bei dem lebendigen deklamatorischen Vortrage intenlionell , die Pausen, welche der Deklama- tor macht, sind nicht musikalisfjie Pausen, wel- che schweigende Besiandlheile des Rhythmus sind. Jene Pausen in der Deklamation sind vielmehr eigentliche leere Zeiten (inauia tem- pora), binnen welchen der Pihythmus selbst suspendirt Avird, wie denn auch in der Musik die Fermate auf einer Pause Statt finden kann. Die Pflicht des Deklamators bleibt indessen, bei metrischen Stücken so zu sprechen, dass jener intenlionelle Takt niclit überspannt, und da- durch seine fortdauernde Anschauung im Zu-^ hörer gestört werde. Die Erhaltung dieser ide- ellen Taklauschauung, ohne reelle Darstellung des Zeitmessens, würde eine der höchsten Auf-

5S Vororinnerungen.

gaben der metrischen leidenschaftlichen Dekla- niution scyn.

65.

Man hat auch Wol geglaubt, die behauptete Taktlosigkeit alter Rhythmen durch Beispiele aus neuer Masik zu erläutern, indem man sich auf Fantasien grosser Musiker berufen hat, worin die Musik sogar einige Zeit ohne die ge- wöhnliche Abzeichnung durch Taktstriche fort- geht. Der Beweisgrund für die Sache ist zwar schwach, indem er die Ausnahme unsrer Musik als Regel für alle Musik aufstellen will, indes- sen wird es nölhig seyn, auch diese letzte Zu- flucht abzuschneiden.

Allerdings können in einem Tonstück Stel- len vorkommen, wo der Komponist die Takt- eintheilung wegliess. - Man unterscheide aber nur vor allem, ob diese Stellen rhythmische Stellen waren, oder ob die IMusik an diesem Ort zu andrer Darstellung gebraucht wurde. Wenn z. B. ein Orgelvirtuos in einem Tonstück den Donner auf der Orgel nachahmt , so kann diese Nachahmung ganz vom Takt entbunden seyn, sie ist aber auch nicht rhythmisch, und braucht daher keinen Takt, sondern nur eine allgemeine Zeitbegränzuug , um die nebenbei fortgehenden , oder darauf folgenden Rhythmen nicht zu stören. Eben dieser Rhythmen wegen

Vorerinnerungen. 5ij

tritt hier der Fall ein , dass das unrhythmische Getön nach einem rhythmischen Maasse ( dem Takt) gemessen werden miiss, und dass also der Takt auf das unrhythmische uneigentlicher Weise übergetragen wird , damit dieses in sei- ner Dauer beschränkt werde. Wenn aber ei- nige (z. B. Herr Direktor Gotthold, Berl. M. Sehr. 1809. lul. S. 5i.) die Meinung hegen : der Takt sey vielleicht erfunden, damit mehrere (rhythmische) Stimmen zugleich ohne Ver- wirrung vorgetragen werden können, so zeigen sie, dass sie die zeitmessende Eigenschaft des Taktes (der bloss ein \ erhältuissmaass ist) gar nicht kennen.

Ein einzeln fortklingender Ton ist ebenfalls kein Rhythmus, und kann daher taktlos fortge- halten werden, denn es ist nichts vorhanden, was Takt erfordere , und die blosse Begränzung der Dauer in Anfang und Ende ist kein Takt. Dasselbe gilt, wenn dieser gehaltene Ton von dem Virtuosen koloi'irt wird, durch Arpcggio oder andres Passagenwerk. Nur sobald das Ar- peggio oder die Koloratur, aus dem Gebiet des bloss Tönenden tritt, und sich gleichsam aus dem Tonchaos zu einem Rhythmus gestaltet, dann ist auch in diesem Rhythmus der Takt (vielleiclit der Darstellung des Werdenden we- gen, Anfangs intentionell) vorhanden, gesetzt auch, der Komj^ouist bezeichne ihn nicht durch

6o Vorer inner uHf'jfcij.

Taktstriche, well er ihn vielleicht noch nicht festhalten, sondern nacli und nach aus dem Chaos unrliythmischer Töne entstehen lassen will. So sind dergleichen wirklich taktlose SteUen zu verstehen; scheinbare Taktlosigkeit erkennt der Musiker leicht.

Metrische Bezeichnung.

64. Gewöhnlich bedient mau sich noch jetzt in der Metrik der alten Zeichen der Grammatiker, nämlich zu Bezeichnung der Lange <\cs Quer- striches ( ) und zum Zeichen der Kürze des Halbzirkels oder Häkchens. (^) Beide Zeichen vereinigt man, um die unhesllmmte Stelle an- zudeuten, die (aus später anzuführenden Grün- den) eben so wol lange als kurze Sylben zu- lässt. [z) Man pflegt dann die Bestimmung, welche das Metrum fordert, unten, und die, mit welcher sie vertauscht werden kann, darüber zu setzen. Z. B. in dem iambischen Verse:

Aus jedem Wohnplatz staubgeboiner Sterblicher ist die erste Stelle metrisch kurz, sie gestattet aber eine Sylbe von prosodischer Länge. (Aus) Umgekehrt ist die letzte Stelle metrisch lang, sie gestattet aber die prosodisch kurze Sylbe. Daher steht im ersten Fall das Zeichen der

Vorerinnerungen. 6i

Kürze unten, und das der Länge über diesem [3] und umgekehrt im zweiten Fall.

Um anzudeuten, dass eine lange Sylbe mit zwei kurzen vertausclit, oder in diese aufgelö- set werden könne, setzt man über den Strich, der die lange Sylbe bezeichnet, zwei Halbzirkel, als Zeichen der Kürze , [ ÜH! ] z. B.

Wohnt in Paradiesen Umgekehrt bedeutet das Zeichen ~, dass zwei kurze Momente durch eine lange Sylbe ersetzt, oder zwei Kürzen in eine Länge zusammen ge- zogen werden können, z. B. im anapästischen Vers:

unheiliger Kampf, vro Gewalt obsiegt Zuweilen finden auch an der Stelle der metri- schen Kürze zwei kurze Sylben Statt, diese be- zeichnet man alsdann durch das doppelte Zei- chen der Kürze über dem einfachen. ['C'] Lässt eine solche Stelle auch die prosodische Länge zu, so setzt man das Zeichen der Länge dazwi- schen [^] z. B.

nOTUfitav T6 m]^tti, novriMv rt ttvfjiuroiv Aeschyl, pavidumque leporem et advenam laquco griiem Horat.

Und den Hasen in Angst, und dich, du reisender Kranich , fangt Voss.

62 Vorerinnarungen.

Nur vermulhe man nicht, dass die zwei Kür- zen Auflösung der Statt habenden Länge seyen, diese Länge (3) ist unauflösbar, weil sie, wie wir beweisen werden, nicht metrisch, sondern nur prosodisch ist.. Zum vorläufigen Beweis dient, dass die doppelte Kürze statt der einfa- chen auch auf Stellen vorkommt, welche die Länge statt der Kürze nicht dulden, wie das obige Beispiel zeigt.

65.

Es ist indessen schon im Vorbeigehn erin- nert worden , Avie unzureichend und irreleitend diese Bezeichnung sey. Denn da der Zeitgehalt nicht bei allen Längen und Kürzen derselbe ist, so ist eine Bezeichnung dieser Verschiedenheit unumgänglich nothig, diese aber gewähren jene nietri.3chen Zeichen nicht, und der ganz ver- schiedne Rhythmus in

und

j j .\N j j j":-

wird durch dieselbe Bezeichnung

also höchst zweideutig und un.sicher ausgedrückt. Wir werden uns daher hauptsächlich der schick- lichem und ebenfalls allgemein bekannten mu- sikalischen Zeichen, oder Noten, bedienen, durch welche alle Zweideutigkeit der metrischen Be-

Vorerinnerungen. G3

Zeichnung gehoben wird. Man darf die Be- kanntschaft mit diesen Zeichen wol hei jedem Leser voraussetzen, auch würde sie ein Musik- unkundiger sich mit leichter Mühe erwerhen, und vielletclit dann es dem Zufall Dank wissen, der ihn der Musik zuführte, während er sich nur der Metrik zu nähern gedachte. Wo indes- sen keine Zweideutigkeit veranlasst werden kann, und hesonders bei bloss prosodischen Quanti- tätbestimmungen, welche die metrische Bestimmt- heit (aus später anzugebenden Gründen) nicht haben sollen, werden die gewöhnlichen metri- Ächen Zeichen iu diesem Buche ihren Gebrauch behalten.

Uebersicht.

66. Nach diesen Vorerinnerungen wird nun un- ste Theorie die Ordnung beobachten, dass zu- erst im allgemeinen Theile, vom Rhythmus, vom Metrum, vom Vers und von den damit verwandten Gegenständen gehandelt werde. Der besondre Theil wird dann die einzelnen ver- schiedenen Versgattungen, welche insgesammt ans dem Wesen des Rhythmus abgeleiltt wer- den , . erklären. Beide Theile machen ein fest Verbundenes Ganzes aus, und der allgemeine wird im besondern s».ine Erläuterung, so wie dieser in jenem seine Begründung linden.

£4 V or »r i 11 n er Ulli- ou.

67. Sollte der Verfasser manclien Lesern viel- leiclit hier und da zu ansfiilirlicli, ja weilscliwei- fig und in das Kleinliche gehend scheinen, so Littet er diese, solche Stellen zu überschlagen, und ihn selbst mit der nothweudigen Püicksjcht auf andre Leser zu entschuldigen, die vielleicht die Ausführlichkeit, oder selbst Wiederholung des früher Gesagten ihren W ünschen angemess- ner finden. Um dieselbe Entschuldigung bittet er auch wegen der gehäuften Beispiele, beson- ders aus den griechi eben und lateinisc'hen Dich- tern. Da sich die Metrik bis jetzt hauptsäch- lich in den Händen der Filologen befindet, so war es nöthig, den Kinweisungen dieser Ge- lehrten auf die Praxis der alten Dichter zuvor- zukommen, und diese ihre Autoritäten selbst gegen ihre möglichen Einwendungen zu benu- tzen. Deutsche Beispiele sind überall hinzuge- fügt, denn nur zu leicht versteckt sich die Un- klarheit hinter das Fremde, besonders wenn es durch Gelehrsamkeit sanktionirt ist. Uns ist es aber darum zu ihun, mit Gelehrten und Un- gelehrlen gleich deutlich und vernehmlich über die Sache zu sprechen.

Allgemeiner Theil. Vom Rliytlimus. GS

Allgemeiner Theil.

Vom Pi h y t h m u s.

68.

Um nicht iu den Fehler zu fallen, eleu wir an Andern gerügt haben, wird es nöthig seyn, vor Allem eizie bestimmte Anschauung dessen zu erwecken, was man Pihythmus nennt. Hat man erst diese mit Deutlichkeit und voller Sicherheit aufgefasst ( so , dass man sie unter allen Gestal- ten wieder zu crl^ennen im Stand ist) , dann ist es Zeit, die wissenschaftliche Erörterung des Rhythmus zu versuchen, die allerdings nöthig ist, um beurtheilen zu können, ob unsere Theo- rie eine willkühriiche sey, oder bestimmt durch die Natur des llhythmus.

69. Numeros memini , si verba tenerem sagt Virgii's Lycidas, als er vom nächllielien Ge- sänge nur die Melodie (die S a n g w e i s e , nach dem allen Ausdruck) vernommen, und die Worte überhört hatte. Das lateinische: Numerus,

f,(, All ge meiner Thcil.

korrespoiidirt bekanntlich dem gneclilschen Worte Rh yt lim US. Man dachte sich also un- ter Numerus und P\.hythmus ungefehr dasselbe, •\vas wir gewöhnlich mit einem, ebenfalls aus dem Griechischen entlehnten Worte Melodie nennen, die musikalische Weise oder Form des Gesa?ages, abgesehen von den Worten oder dem Text. In diesem Sinn sagt man auch wol von einem Liede , es gehe nach der Melodie eines andern, und so unterscheidet man genau die musikalische Form des Gesanges von seinem Inhalt als Gedicht.

70. Betrachten wir eine solche Melodie weiter, sie sey nun vom Gesänge entlehnt, oder ohne Verbindung mit Poesie, gleich für die Musik selbst erfunden, so lässt sich zweierlei in ihr unterscheiden. Es ist hinlänglich bekannt, dass ein musikalischer Gedanke fast in jedem, nicht ganz leicht behandelten Tonstück, in verschied- nen Tonarten wiederholt, und auf mancherlei Art gewendet wird. Der Hörer erkennt den Gedanken bei allen Veränderungen und tim- kehrungen wieder, und zwar, wie es nicht an- ders seyn kann, an dem, was bei allen Ver- änderungen doch in ihm unverändert geblieben ist. Z. B. in dem Gedanken :

V o m R ]i }' t h m u s. C7

er mag, in welcher Tonart es sey, in gerader oder umgekelirter Bewegung (alla riversa)

vorkommen, sind die Töne zwar nicht diesel- ben geblieben, wir erkennen aber den Gedan- ken in jeder Stellung wieder an der Bewegung:

welche überall dieselbe geblieben ist. Was wir verändert finden, ist das melodische Verhältniss der Töne zu einander; was unverändert blieb, nennen wir das rhythmische Verhältniss, oder auch den Rhythmus überhaupt.

71- Wie wir zuerst die Worte vom Gesang ab- zogen, und die Melodie übrig behielten, so ha- ben wir nun von der Melodie, das Tonverhält- niss abgezogen , und den Rhythmus übrig be- halten, der auch ausser dieser künstlichen Ab- straktion wirklich ohne Tonverhältniss vorkommt, z. B. im Trommelschlag. Wir unterscheiden die verschiedenen Arten des Trommelschlages im Generalmarsch, Zapfenstreich und andern Gat- tungen dieses militärischen Rufes, an den ver- schiedenen Rhythmen, z. B.

unterscheidet sich durch blossen Rhythmus von :

(iö Allgemei ner Th eil.

ohne dass irgend ein Tonverliältniss die Untci'- scheidung l)ewirkte, oder auch nur erleichterte.

72. Betrachten wir dagegen manche andre Klän- ge, die an sich vielleicht angenehmer seyn ken- nen, als der Trommellärm, z. B. das Tönen der Acolsliarfe, das Rauschen des Windes in den Blättern, so werden wir selten, und dann bloss durch Zufall, das darin gewahr werden, was wir rhythmische Bewegung genannt haben. Das Brausen eines Wasserfalls, oder das Bie- sein eines Quells hat wol auch einige Verschie- denheit, aber wir bemerken sie nicht. Wir un- terscheiden dieses Geräusch nur, wo wir es un- terscheiden, nach Stärke und Schwäche, nicht aber nach Verschiedenheit des l\hythmus, und nicht mit Bestimmtheit. JNiemand wird es ein- fiillen , durch die \ erschiedenheit eines solchen unrliythmisehen Geräusches Signale von ver- schiedener Bedeutung geben zu wollen, weil er nicht voraussetzt, dass jemand im Stande sey, jene Versciiiedenheiten so sicher aufzuAissen, dass er sie mit Gewissheit wieder erkennen, und sich danach richten könne.

75. Ein subjektives Merkmal des Bhythmischen ist also die Eigenschaft, mit Bestimmtheit auf- gefasst, unterschieden und wieder erkannt zu

V o m R h y t h ra u s. 6g

werden. Wir fassen zuerst das subjektive Merk- mal auf, weil uns daran gelegen ist , vor aller andern Untersucliung , die bestimmte Auscliau- ung des Rhythmus zu fassen und festzuhalten. Die objektiven Eigenschäften des Rhythmus wer- den deswegen hier noch als Bedingungen be- trachtet, unter welchen ein Rhythmus aufgefixsst werden kann. Es wird nützlich seyn, zur Er- läuterung der Sache ein Gleichniss von einer Anschauung im Räume zu gebrauchen,

74. Man denke sich unter den räumlichen Ge- genständen für das Gesicht, eine weitausgebrei- tete, unbegränzte, gleichfarbige Flüche, z. B. ei- nen gleichbcwölkten , düstcrgrauea Regenhim- mel, dessen Ausdehnung jaur durch die zuiiil- ligen Gegenstände des Erdhorizontes , als Berge, Häuser, Wälder u. d. g. abgeschnitten wird. Der Sinn nimmt hier die Empfindung der grauen Farbe z^war unter der Form des Raumes als Aus- dehnung walir, allein In der Einbildung bleibt nur ein bestimmtes Bild von der Empfindung (der Farbe), nicht von der Form zurück. Denn weil die Begränzungen des Horiz;onlcs zufällige sind, die von fremden Gegenständen herrüh- ren, so erkennen wir sie sO' wenig für IJmrisse jöncr grauen Fläche, als wir den Rahmen, dex' die Figur eines (jomäldcs «ntorbruht, als Um-

A 1 1 ^ e m e i n t- r T Ji e i 1.

riss dieser Figur belracliten. Mit, einem Worte, die graue Iliinmelsfläche zeigt uns keine Figur, weil sie selbst als gränzenlos erscheint.

75. Nun nehme man ferner an, das Gewölk habe sich abgeregnet, die gleichfarbige Wolkenmasse fange an , sich zu sondern, einzelne Stellen und Streifen werden lichter, doch ohne noch die blaue Heitere des Himmels durchscheinen zu las- sen, andre verdichten sich noch mehr^ um bald in abgesonderten Wolkcnmasscn aus einander zu gehn, aber alles ringt erst wie ein Chaos nach fester Gestalt. Hier bekommt die Einbil- dungskraft zwar die Anforderung, ein Bild auf- zufassen, aber sie vermag nicht es festzuhalten. INur das Bild des Allgemeinen, das Streben der Masse , sich zu gestalten, bleibt in der Fantasie. Ein Maler würde , wenn es seyn sollte , einen Wolkenhimmcl dieser Art malen, aber niemals ein bej>iimmtes Wolkenchaos treu nach der Na- tur auffassen und wiedergeben können, eben weil die Grunzen fehlen, imter welchen allein ein bestimmtes Bild aufgefasst und wiedergege- ben werden kann.

Erst dann, um das Beispiel noch einmal auf- zunehmen, wenn die Wolkenmassen sich ganz gesondert haben, und von allen Seiten sich die

Vom Rhythmus. 7'

Bc"-i'äiizung wesentlich, nicht durch zufällige Bedeckung fixirt hat, entsteht das feste Bild, die Figur, welche die Einhildungskraft festhal- ten, und treu in der Darstellung wiedergeben

kann.

Oder, was dasselbe ist, erst dann wird ein räundicher Gegenstand für uns zur Figur, wenn die Fantasie im Stande ist, seine Ausdehnung als ein Ganzes, in seinen wesentlichen Begrän- zungen, oder Umrissen, aufzufassen. Je zufal- liger diese Begränzungen scheinen, um so schwie- riger wird das Auffassen, daher Falten , Luft, Laub, Haar, dem angehenden Zeichner manche Mühe machen, eh' er das rechte Verhältniss von Wahrheit und Dichtung (Treue und Fan- tasie) in der Nachbildung treffen lernt.

71-

Was hier beispielsweise von räumlichen Ge- genständen gesagt worden ist, gilt auch von den Erscheinungen, die in der Zeit wahrgenommen werden.

Es ist eine Behauptung Kanfs, die oft nach- gesprochen w^orden ist: Raum sey die Form al- ler äussern sinnlichen Anschauung, d. h. jeder Gegenstand der äussern Anschauung, oder jede Empfindung des äussern Sinnes werde unter der Foriu des Baumes (räumlicher Ausdehnung) von d«;r Sinnlichkeit wahrgenommen.

•J2 Allgemeiner T heil.

Dieser Salz aber ist falsch. Es gibt Empfin- dungen des äussern Sinnes, welche durchaus nicht in der Form des JR.auincs, sondern blos in der Form der Zeit wahx'genommen werden. Zu diesen Empfindungen gehört vornehmlich der Schall. Der Schajl, als Empfindung, ist durchaus ohne irgend eine räumliche Beziehung. Nennt man ihn dick, voll, rund, so sind die- ses, wie jeder weiss, uneigentlichc, von räum- lichen Verhältnissen übergetragene Benenniuigen. So nennt man wol einen Gedanken gi'oss, ein Gefühl lief, ohne beiden deshalb räumliche Be- ziehung anders als melaforisch zuzuschreiben. Der tönende Körper ist im Raum, die bewegte Luft desgleichen , aber das Fänomen dieser Be- wegung, der Schall, wird vom Sinn nicht im Baume vernommen. Das ]Nah und Fern, was Avir beim Schall unterscheiden, deutet zwar al- lerdings auf ein räumliches Verhähniss, allein dieses wird nicht vom Sinn, sondern von der Reflexion aufgefassl, und deutet nicht auf die Schallempfindung, sondern auf den klingenden Körper, was schon durch den dabei möglichen Irrllium erwiesen ist, und so ist wol jeder Schein gehoben, als mische sich irgend eine räumliehe Beziehung in die sinnliche Wahrnehmung des Schalles, der, wie man sich bei jedem \ersucli überzeugen kann, in keiner der drei räumlichen Dimensionen, sondern bloos unter der Form

Vom Rhy tlimus, yS

der Zelt vernommen wird, und mit der einzi- gen, der Zeit eignen Dimension. Es war kaum nöthig, hierüber ein Wort zu spreclien, wenn nicht Filosofen aus der Kautischen Schule, den Antheil der IleÜexion an der Sinnempfiudung zuweilen auf die Sinnlichkeit übergetragen, und 50 zu Irrthümern Veranlassung gegeben hätten.

Die reine äussere Anschauung der Zeitdi- meusion (des Zeitverlaufes) geschieht also mit- telst des Schalles. Vielleicht liegt hierin der Grund, warum die Mittheilung cor Objekte des innern Sinnes (der Gedanken) an den äussern, durch hörbare Zeichen ( \Vorlc ) allgemein in der Sprache bcAvirkt wird. Die Anschauung räumlicher Dimension wird dagegen durch Farbe vermittelt. Der Schall wird daher in und für seine Sfäre gerade das seyn, was die Farbe für die ihrige ist.

79- VVic vorhin die unbcgränzte Fläche des grauen

RegenhJmmels, so denken wir uns jetzt das mo- notone Brausen eines fernen Wasserfalles. Was die Fantasie davon behält, wenn w^ir uns aus der SchalJweile entfernt habeu, ist (in Ansehung der Schal]em]>rindung) bloss das Allgemeine des Geräusches, ein Gegenstück in der Zeil, zu der Formlosigkeit jeuer grauen Fläche iiu llaura.

-4 Allgemeiner 'l'heil.

Die Begi'äuzuugeu , nämlicli das Anfangen und Aufliören, liegen auch hier nicht iji der Natur jenes Schalles, sondern in der Zufälligkeit des Ein- und Austretens in die Scliallwcite. Wir nehmen an, dass wir heim Nähertreten bemer- ken, wie der Strom verschiedene Gegenstände, Holz, Moos, und ähnliche Dinge über den Was- serfall führe, und dadurch eine Abwechselung in seinem Geräusch verursache. Wie bei der angehenden Sonderung des Geivölks, wird zwar die Einbildungskraft hier ein allgemeines Bild erhalten, nämlich das Bild eines Schallwechsels, das aber noch einem Chaos von Schällen gleicht. Im Allgemeinen wird auch die Fantasie ein sol- ches Bild dai-stellen können, allein ein treues Bild eines eben vernommenen Schallchaos, wird sie' niemals, weder festhalten, noch in der Dar- stellung wiedergeben können.

Wir nehmen ferner an, dass, bei grösserer Nähe, wir bemerken, w^ie der Strom sein Spiel mit einem halb losgerissenen Balken treibt, den die Welle hebt, bis er durch eigne Schwere zurücksinkt, und w^ieder von neuen Wellen ge- hoben wird. Diesen ordnungmässig wiederkeh- renden Schall des An- und Abprallens, z. B. d J I d o^c^ d J J I d verliert die Einbildungs- kraft nicht in der Wahrnehmung des Allgemei- nen, sie kann ihn aulfassen, und treu, wie sie ihn vernahm, wiedergeben, eben so, wie sie nach

Vom Rhythmus. n^

dem obigen Beispiel die Figur eines vollkom- men begränzlen Gegenstandes im Räume, auf- zufassen und wiederzugeben im Stande ist.

80.

Wir finden also in der Zeiterfüllung etwas, der Figur im Piaume analoges, was wir mit ei- nem niebt unpassenden Worte Zeit figur nen- nen könnten, d. h. ein Ganzes, das rein in der Zeit, obne Hinzukommen eines räumlicben Ver- hältnisses, als Ganzes sinnlich aufgefasst, be- halten und wiedergegeben werden kann.

81.

Wie die Figur im Räume, als begränzte far- bige Fläche wahrgenommen wird , ( denn die dritte Raumdimension wird nicht vom Sinn, sondern von der Reflexion erkannt) so wird die Zcitfigur als begranzter Schall wahrgenom- men werden, denn Schall ist die reine Zeiter- füllung, und eigenthümliche Gränze ist die Be- dingung der Figur.

Es fragt sich aber dabei: wie kann der Schall mit einer eigenthümlichen Gränze erscheinen, um die Bedingungen zu erfüllen, unter welchea er eine Zeitfigur bildet?

82. Wie die Zeit selbst, so verläuft der Schall als reine ZciterfüUung nur in Einer Dimension.

76 Allg emeiner Th eil.

Anfang und Ende sind daher seine Gränzen, allein diese Gi'änzen erscheinen nicht als eigen- ' thümliche Avesenliiche Gränzen, der Sehall könnte durch sie bloss abgeschnitten seyn in seiner Dauer, so wie die farbige Himmelsfläehe durch den Horizont, die Figur im Bilde durch den Piahmcn abgeschnitten ist.

Die eigenthiimlichc Begrenzung der Figur im Baume ist Ausdruck ihrer innern Cohäsion, oder Selbstständigkeit. Was aber für das Bäum- liclie Cohäsion ist, das ist für die Erscheinun- gen in der Zeit Evolution. Die Gränze, welche wir von der Zeitfigur erwai-ten, wird, also sinnlicher Ausdruck der Evolution, oder des successiven nothwendigeu Zusammenhanges seyn.

85.

Um Cohäsion zu bemerken, muss die Be- flexlon erst Theile (eine Vielheit) unterscheiden, die nun von der Anschauung als zusammenge- hörig (Totalität) aufgefasst werden. Eben so kann auch Evolution nicht angeschaut werden, ohne Mannigfaltigkeit der Momente, die als Ganzes unter dieser Form aufgefasst werden Süllen. Zeilmomente müssen also erscheinen, ihre Vielheit muss wahrgenommen, aber als Einheit angeschaut werden, indem ein Moment als Erzeugniss des Andern sich offenbart. Die Zeitligur ist mithin eine Beihc von Evolutionen.

Vom Rhythmus. y-»

84. Wir haben diese vorstehende Reflexion zwar unternommen bei Gelegenheit einer rhythmi- schen Schallreihe des Trommelschlages; allein wie wir Anfangs von den Worten des \erses, dann von den Tonverhältuissen der Melodie abstrahirten , so haben wir bei jener Reflexion auch selbst vom Schall abstrahirt, der uns zur reinen Zeitcrfüllung wurde. So blieb uns nichts übrig, als die Zeit selbst, in der wir Figuren (Ganze) erkannten, wie im R.aume. Wir erken- nen in der Zeitfigur leicht den Rhythmus wie- der, dessen Charakter eben dieser ist (74) wie bei der Zeitfigur , nämlich als Ganzes in der Zeit aufgefasst werden zu können. Insofern also Rhythmus eine Figur in der Zeit ist, verslehn wir darunter, die anschaulich dargestellte Ein- heit einer Reihe von Zeilmoraeuten.

85.

Diese Abstraktion, nach welclicr bloss die Zeit übrig bleibt, scheint Vielen die höchste zu scyn, und sie erklären dann den Gebrauch des Wortes Rhythmus von räumlichen Verhältnis- sen für einen metaforischen Ausdruck, mit dem man jedes regelmässige Verhäiluiss überhaupt bezeichne. Allein es zeigt sich bald, dass die Abstraktion ilir Geschäft noch nicht vollendet habe, so lang noch von Zei tmomenlen die

7>i A 1 } ^ ff m e i u « r '1' h t i J.

Piede Ist, imd iiiclit von Momenten der Evolu- tion überhaupt, durch welche erst die Anschau- ung der Zeit selbst (als Form der Evolution) entsteht. Führen Avir also den Begriff Pihyth- mus zu seiner höchsten Allgeraeinheit zurück, so verstehn wir unter Rhythmus eine Reihe von Momenten der Evolution , welche dem Sinn als ein Ganzes (Totalität, empirisches Bild der Ein- heit in der \ielheit) erscheint. Die Nothwen- digkeit, bei dem Begriff des R.hythmus auch von der Zeit zu abstrahiren, wird sich späterhin zeigen.

86. Ist der Rhythmus, wie wir abgeleitet haben, die sinnlich angeschaute Evolution, so ist schon dadurch die objektive Bedingung angezeigt, un- ter der eine Reihe von Momenten als ein Gan- zes oder als eine Zeitfigur wahrgenommen wird, nämlich, wenn ein Moment als Erzeugtes des Andern erscheint. Der anschauliche Charakter des Hervorbringenden oder Verursachenden ist nun, der Natur der Sache nach, Kraft; der des Hervorgebrachten oder Bewirkten hingegen Schwäche.

87. Man bemerke aber sogleich Folgendes: Ein Hervorgebrachtes kann allerdings seiner Ursache an Kraft ausserordentlich überlegen seyn, und

Vom Rhythmus. 79

es ist niclits seltenes , dass z. B. der Sohn dem Vater, oder auch der Widerhall den Schall an Energie weit iibertrift; allein indem wir dieses Verhältniss bemerken, geht uns auch eben da- durch die Anschauung der Abhängigkeit des Erzeugten vom Erzeugenden verloren. Wenn wir z. B. in einem künstlich akustischen Bau, den Widerhall unsrer Worte stärker als unsre eigne Stimme vernehmen, so verwundern wir uns darüber, weil unserm Wissen, dass dieses Widerhall sey, von der sinnlichen Wahrneh- mung widersprochen wird. Nicht die Anschau- ung ei'kennt also hier die Abhängigkeit des Wi- derhalles , sondern die Reflexion.

88.

Hierdurch erklären sich, um dieses der Deut- lichkeit wegen voraus zu bemerken, die rhyth- mischen Inganni, wenn der schlechte Taktlheil mit Uebergewicht an Kraft gegen den guten an- geschlagen wird. Das Analogen davon im Vers ist, wenn das Erzeugende vom Erzeugten durch einen Einschnitt getrennt wird , und dieses als- dann mit überwiegender Kraft nachtönt, wie z. B. in der berühmten Cäsur des heroischen Verses vor der Endsylbe:

Schönheit selbst und Geschlecht {^ibt alles der grosse Monarch: Gold!

8o A 1 1 g e m e j n 0 r T li e i 1.

Dcv Effekt (lieser Cäsur bcrulit einzig und allein auf dem rliylhmisclicu Ingaiino, wie am gehö- rigen Ort weiter ausgeführt werden wird.

89- Ferner vergesse man nicht, dass niclit alle- mal, wo Kraft sich zeigt, auch ein wirkliches Hervorbringen folgen müsse. Im einzelnen Mo- ment ist zwar die Anlage zur Evolution gege- ben, aber die Evolution kommt darin noch nicht zur wirklichen sinnlichen Anschauung. ]Xur wo eine Pieihe, also Avenigstens zwei Mo- mente angeschaut werden, ist jenes Verhältniss der Abhängigkeit gegeben , nach welchem das Starke zum Schwachen sich verhält, wie Her- vorbringendes zum Erzeugten, oder wie Ursache zum Bewirkten.

90- Wir werden künftig zuweilen, mit einem, von sichtbaren Gegenstanden hergenommenen Gleichniss, das bewirkende Moment das Bild nennen, das bewii'kte hingegen das Gegen- bild, so wie man von höi-baren Erscheinungeu die ähnlichen Ausdrücke: Schall und Wider- hall, und von aussersinnlichen lledc und Ge- genrede braucht, um die Erweckbarkeit des Ei- nen (hirch das Andre, und ihren Gegensalz, wo beide vorhanden sind, zu bezeichnen.

Vom E.hythmu5. 81

ri::!-:> iC 91.

Vorläufig haben wir das Bild vom GegenLilde im Rliytlimus uur der Intensität nacli unter- schieden, indem wir das Bild als stark, das Ge- genbild uh schwach hezeichneten. Allein auch der Extensität nach kann der Charakter der Abhängigkeit und des Bewirkten im Gegenbilde erscheinen. \^ as nämlich der Intensität nach als stark oder schwach sich zeigt, das erscheint der Extensität nach , als laug oder kurz. Beides ist eins und dassellic, nur einmal unter qualitativen, das andremal unter quantitativen Verhältnissen betx*achtet. Das Bild wird also in Beziehung auf das Gegenbild, als Länge, und dieses als Kürze sich kcnnilich ujachea.

Indem das Bild zum Gegenbild in das Ver- hältniss der Länge zur Kürze tritt, entisteht die rhylhmische Figur; cJ*'? denn alle andere Ver- hältnisse der Länge zur Kürze z. B. 0. J sind erst, wie die Forge lehren wird, aus jenem als dem ursprünglichen abgeleitet. Wir erkennen in

dieser Figur den Trochäus ( Sonne.) Wie

nun aber in der ursprünglichen i*hylhmischeu fi/^^- Einheit die Fähigkeit oder das Streben liegt, ßich in Bild und Gegenbild zu scheiden, und durch diese Scheidunar als Rhythmus zur Ei'- ecUeiuuug zu kommen, so liegt diese Tendenz,

G

82 ALIgemeJner TheiL

sich von neuem zu rhy thmisiren , auch in dem Bilde, das hier als Länge sich chai'akterisirt hat, und durch den Gegensatz der Kürze schon eine Duplicität des Gehaltes in sich ankündigt. Zer- legt sich die Länge nun in zwei Momente, die nur der Intensität nach entgegengesetzt sind, so entsteht die rhythmische Figur:

k^ <■« «.<

a b c in welcher, wie diese Ableitung zeigt, h das Gegenbild zu a, und c das Gegenbild zu a+h ist. Mithin ist c ein Gegenbild höherer Ord- nung als &, wie es denn auch durch frühere Evolution

Ä+5 * Ö+6

: J

e

V .1/ /

a b c

entstand. Der Charakter dieser Entstehung zeigt sich ganz deutlich im Praktischen. Denn c ist von viel stärkerm Gewicht, als h. Daher ist auch die Stellung j J^ natürlich , diese hingegen ^ J gewaltsamer, weil sie Produkte verschiedner Zeugungen verbindet (synkopirte Noten in der Musik). Daher ist der Daktylus J* J J aus dem Tribrachys f ^J (- ** w aus :. ^ ^) ebenfalls natürlich, denn er gibt dem Moment a, wel- ches den Charakter des Bildes gegen h hat, die Extensität der Quantität statt der blossen In*

,Voni Rhythmus. 85

tensilät des Accentes , die Verlängung der mitt- lem Kürze hingegen J^ J^ ^ ist gewaltsam, denn sie täuscht durch Quantität mit dem Schein des Bildes, bei dem Gegeubild, und gehört also' unter die rhythmischen Inganni.

Ausser diesen Verhältnissen der Extensität und Intensität zeigt sich noch ein \erhäliniss der Pielation zwischen Bild und GegenLild, wel- ches in der metrischen Proportion besieht. Die genaue Auseinandersetzung des Metrum wird dieses erst vollkommen deutlich machen. Man setze indessen den Fall , mehx'ere Klänge wech- selten mit lang und kurz, oder stark und schwach ab, aber in ganz willkührlichen Verhäliuissen, wie dieses z. B. bei den Tonen der Aeolsharfe der Fall ist, so würde man nicht im Stande seyn, ihre Folge als ein Ganzes aufzufassen; mithin war auch in einer solchen Tonreihe kein rhythmisches Yerhältniss. Die metrische Pro- portion der rhythmischen Momente ist daher eine Haupibedingung zum Auflassen einer Beihe als Bhylhmus.

Um Alles zu erschöpfen, muss noch der sub- jektiven Bedingung der Auffassbarkeit gedacht Werden. "Man setze den Fall , dass in einer Beihe die Momente sich mit so ausserordentlicher

84 Allgemeiner Theil.

Sclmelligkeit folgten, dass sie die Walirnch- mung übereilten, oder in so Aveiten Intervallen, dass sie das Auffassungsvermögen ermüdeten, so können alle objektiven Bedingungen des Rhyth- mus vorhanden seyn, ohne dass er vernommen würde. Die Bestimmuiig solcher subjektiven Verhältnisse liegt aber ausser den Gräuzen der Theorie.

95.

Wir haben (85.) , um den Begriff des Pihyth- mus ganz rein aufzufassen, uns bemüht, auch die Voi'stellung von Zeilabtheilungen aus ihm zu enlfernen. Um nicht missverstanden zu wer- den, sind hierüber einige Worte nöthig.

Versteht man unter Zeit die Succession der Erscheinungen, sie sei nun objektiv an diese gebunden^ oder nur subjektive Form ihrer W ahr- nehmung; so müssen wir bei dem allgemeinen Begriff des Rhythmus von der Zeit abstrahiren; denn, wie wir bald finden werden, es sind rliythmische Reihen möglich, ohne dass die Mo- mente in der Zeit einander nachfolgen. Denkt man hingegen die Zeit in ihrem ursprünglichen Wesen, als reines Werden (Evolution, oder mit einem Schulausdruck: das unendliche, formell ideelle Bild der Einheit), so ist .Rhythmus al- lerdings das endliche formelle Bild der Zeit, deren Anfang und Ende für uns im LiiendJI-

Vom Pchy t hmus. 85

chen Hegt. Bei dieser Ansicht darf es aber auch nicht befremden, rhytliniische Reihen im Piaunae zu finden. Denn die Zeit spiegelt sich im Rau- ane, und erscheint räumlich in ihm, was frei-. lieh paradox und seltsam klingt, sobald man Zeit in einer andern, als der eben erwähnten ursprünglichen, Bedeutung nimmt. Hier aber zeigt es sich, dass z. B. die Pflanze in den Ab- iheilungen ihrer Knoten, oder Augen eine Zeit- reihe im Räume darstellt, und dass überhaupt die ganze Vegetation sich als ein Abbild der Zeit im Räume betrachten lasse. Wir lassen aber diese Ansichten, die zu leicht auf entfernte Gegenstände fühlten, und nicht selten zu einem, zwar intei'essanten, aber unfruchtbaren und ein- seitigen Spiel mit Begriffen verleiten, hier un- ausgeführt, und begnügen uns, das Verhältniss zwischen Zeit und Rhythmus hier im Allgemein nen angedeutet zu haben.

96.

Wenn Rhythmus die sinnlich angeschaute Form der Evolution ist, so wird er so viel Ar- ten der Erscheinung zulassen, als es Arten sinn- licher Anschauung gibt. Der Rhylhmus erscheint mithin tlieiis dem iuuern Siini, theils dem äus- sern , und diesem wiederum entweder im Räu- me, oder in der Zeit, oder in Raum und Zeit zugleich.

86 Allgemeiner Theil.

97- Dem Innern Sinn bei unsern Lesern dür- fen "wir wol die Bekanntschaft mit diesem Aus- druck voraussetzen erscheint Rhythmus in einer Reihe von Bildern, oder Empfindungen. Der Verstand kann vielleicht den Inhalt dieser Reihe tadeln, während sich der innere Sinn doch an ila-er Form ergötzt, und umgekehrt. Dieser innere Rhythmus macht oft einen bedeutenden Theil der Schönheit eines Gedichtes, oder einer Rede aus, indem das Wohlgefallen nicht sowol durch die Gedanken, oder Bilder des Gedichtes selbst, sondern durch ihre Verbindung, ihre ^ Beziehung und Erzeugung aus einander erregt wird, er ist daher ein Haupttheil der innern Musik eines Gedichtes. Die Regeln seiner Be- urtheilung gehören aber nicht hieher, sondern in die Poetik, wiewohl sie im Allgemeinen sich auf das Wesen des Rhythmus überhaupt gründen.

98.

Dem äussern Sinn im R^aume erscheint der Rhythmus nicht als „regelmässiges Verhältnis» überhaupt", denn dieses erscheint auch in der Symmetrie. Symmetrie aber und Rhythmus sind sehr verschieden. Rhythmus ist seinem Begriff nach im räumlichen Verhältniss nur dann vor- handen, wenn eine Evolution räundich als ein Ganzes angeschaut wird. Die Pflanze zeigt, wie

Vom Rhythmus. V^j

ficlion oben erinnert, in den Augen, Knoten u. s. w. die Momente einer successiven Evolu- tion im Räume festgehalten, und so bildet z. B. der Halm mit seinen Knoten eine rhythmische Keihe im Raum. Indessen erkennt bei Natur- produkten oft mehr die Reflexion, als die sinn- liche Anschauung, dass hier eine Evolution vor- handen sei 5 soll die Anschauung die Form der Evolution wahrnehmen, so sind bei räumlichen Rhythmen ebenfalls die allgemeinen objektiven Bedingungen erforderlich, unter welchen eine Reihe als Ganzes angeschaut werden kann, näm- lich metrische Proportion der Intensität und Ex- tensität , und diese findet sich auch bei den schönsten Pflanzengestalten, welche den Cha- rakter der Vegetation am reinsten und freisten darstellen. Die Kunst, welche ausschliesslich für die Anschauung bildet, ist deswegen an jene objektiven Bedingungen des Pihythmus gebun- den, und beobachtet sie überall, wo es darauf ankommt, die Momente der Länge, sei es in die Höhe oder in die Weite, als ein Ganzes zu fassen. Rhythmus im räumlichen Verhältniss ist also nicht Ebenmaass im Allgemeinen, sondern Proportion, im Gegensatz der Symmetrie, Welche die Momente der Breite regelmässig ordnet, und das Analogon der Harmonie ist.

88 Allgemeiner The il.

99- Dem äussern Sinn in der Zeit erscheint clei?

Rhylhmus am reinsten mittelst des Schalles,

■welcher {_']']•■ 78.) die reinste Zeiterfüllung ist.

Am freisten also zeigt sich der Piliythmus iu der

Musik, wo der Schall reiner Ton ist, unge-

gehemmt durch Artikulation und logischen Sinn,

^vie es im Vers der Fall ist. Befremdend muss

es daher allerdings einer unbefangenen Ansicht

seyn, wenn einige Metriker ( z. B. Hermann

§. 55.) durch Erinnerung an die Musik „falsche

rSehenhegrifTe" zu veranlassen fürchten, da doch

nichts natürlicher scheint, als das Zusammen-:

gesetzte aus dem Einfachen zu erläutern.

100. Im Ptaum und iu der Zeit zugleich erscheint der Pihythmus im Tanz und in der Älimik, mit Welchen auch gewöhnlich, wegen der nahen Verwandtschaft zwischen Rhytlimus und Schall, Musik verbunden zu seyn pflegt. Diese Er- scheinung dics, Pihythmus liegt aber ausser den Gränzen unserer Unlersiuhung, wicAVol ihi'e Gesetze ebenfalls in den allgemeinen Gesetzen des Bhylhmus gegründet sind.

,. 101. Ln Laufe dieser Unlersachung haben sich von selbst verschiedene Ei'klänmgen des Rhyth- mus dargeboten, welche insgesammt dasselbe

Vom Rhythmus. 8t)

aussagen, und vollkommeu verständlicli sind, sobald man nur die bestimmte und klare An- schauung des llliylbmus sieb eigen gemacht hat. Ohne diese Anschauung bleiben alle Erkläi'un- . gen leere unverstandene Worte. Hat man sich aber geübt, den Rhythmus z. B. eines Gesan- ges aufzufassen, und ihn in jeder Abstraktion, Vom Vers , vom melodischen Verhältniss , selbst vom Schall *) -wieder zu erkennen, und von

*} Es ist bekannt, dass mehrere Aerzte, aller und neuer Zeit, ia den Pulsschlägen Rhythmus suchten, und jedem Gcsnndheltzustand seinen bestimmten Puls- rhythmus beilegten. Samuel riafenrcüer nahm diese Ansicht vom Puls in seinem Buch : Mouochordon Svmholico- biomanticum, abstrusissimam pulsuum do- ctrjnam ex harmoniis niusicjs dilucidc, figurisque ocu— lariter demonstrans. Ulm iG'lO. Später hat ein französischer Arzt, Marqnet, die Pulsbewegung in Musikzeichen auszudrücken gesucht, iu seinem Buch : NouvelltJ melhode facilo et curleuse pour connaitre le pouls par les notes de la musique. Nancy 1747. 4. Zweite vermehrte Ausgabe von Buchoz. -Amst. et Paris, l'/ÖQ. Die Verwechselung von Tempo lind Rhythmus ist in den meisten Sätzen nicht zu verkennen. Uebcvhaupt trägt man gewöhnlich in die meisten Naturphänomene, z, B. den Fall der Tropfen, erst den Riiythmus über. Das Tremuli- ren zweier, -wenig in der Ilül^e verschiedener zu- j^Ieich llin^H-nder Töne, \vä'r vielleicht zu untersu-

» nhcn, nm die Veränderung des Rliyllnnus bei Vcr^ äudcrung d<s TuavcrhälLnisscs zu bemerken.

go A 1 1 g e m e i n e r T Ji e i I.

andern zu unterscheiden, dann wird man seine Erklärungen als Zeitfigur, als Ganzes in der Zeit, als Form der Evolution, als sinnliche Anschauung der Einheit in einer P«.eihe von Momenten, und wie sie alle heissen mögen, leicht verstehen; denn mehre Ausdrücke für dieselbe Sache, können insgesammt richtig, und dennoch sehr verschieden seyn, je nachdem man den Standpunkt nimmt, von welchem aus man die Sache betrachtet. Wer z. B. den Rhyth- mus eine Zeitfigur nennt, bestimmt ihn eben so richtig, als der, welcher die sinnliche Form der Evolution in ihm sieht, nur spricht die- ser gründlicher, jener anschaulicher.

102.

Selbst Hermanns Definition: (Metrik §. 18.) „Rhythmus sei die, durch blosse Zeit darge- stellte Form der, durch Wechselwirkung be- stimmten Caussalität" , so sonderbar sie auch klingt, würde bei einer deutlichen Anschauung des Rhythmus cinigermassen verständlich wer- den, wenn dieser Metriker nicht durch gänzli- ches MIssverstehn der Kantischen Lehre von der Wechselwirkung die Sache verwirrt hätte, indem er die Caussalität Im Rhythmus durch Wechselwirkung bestimmen will. In den Mo- menten der Caussalität ist allerdings Wechsel des Positiven und Negativen; allein eigentliche

Vo m Rhythmus. «,

Wecliselwirkuug findet nur dann Statt, wo von beiden Seiten zugleich Positives und Negatives auf und gegen einander wirken. Jene Einmi- schung der Wechselwirkung verwirrt also aller- dings den Begriff; denn das Gegenbild (nach Hei'mann Thesis) wirkt nicht positiv auf das Bild (Arsis) zurück, und steht also mit diesem nicht in Wechselwirkung, sondern hloss in rei- ner Caussalverbindung.

io5.

Wechselwirkung ist in dem reinen Begriff des Rhythmus gar nicht enthalten, sie ist viel- mehr der Grund der Harmonie , ^ welche aller- dings mit dem Rhythmus sehr nahe verwandt, und nur eine andre Erscheinung der Einheit ist, als dieser. Wenn Rhythmus die Einheit in verschiedenen Momenten der Succession er- scheinen lässt, so zeigt Harmonie die Einheit in verschiedenen Momenten des Zugleichseyns, und ebenfalls am reinsten in Tönen, die ohne räumliches Verhältniss, als geistige unsichtbare Naturen zugleich und neben einander sind, ohne Daseyn und Substantialität zu haben. Metaforisch könnte man daher den Rhyllimus fliessende Harmonie, und die Harmonie siehen- den Rhyllimus nennen, wenn man dabei nur nicht vergissl, dass hierdin-ch nichts erklärt, sondern bloss das nahe Verhältniss beider bild-

(ji Allgera 0 i ucr Tlieil.

licli ausgedrückt wcrtlcu soll. In räumliclieo; Verliäknissen zeigt sich die Harmonie als Sym- metrie, Proportion deutet auf rhythmisches Yer- hältuiss im Raum, wie schon oben (98.) im Vorbeigehn erinnert wurde. Unterscheiden wir beide Worte genau, so finden wir die frühere Bemerkung bestätigt, dass wir bei Gegenslän- den, die wir der Breite nach vor uns sehn, har- monische Verhältnisse (Symmetrie) fordern, bei Gegenständen aber, die wir nach ihrer Länge betrachten, sei es der Ferne oder der Höhe nach, rhythmische Verhältnisse (Proportion.) Das Anschauen der Breite geht nämlich auf das Si- multane, das Anschauen der Läifge hingegen auf das Successive. In der perspektivischen Darstellung geht daher das Symmetrische in das Proporlionale (das harmonische Verhältniss in das rhythmische) nach und nach über. In so fern sich nun die Architektur hauptsächlich mit Darstellung von Symmetrie und Proportion be- schäftigt, so scheint sie allerdings das im Bau- me zu vollbringen, was die Musik in der Zeit wirkt. Nennt sie jemand die Musik des Rau- mes, so sagt er in der That damit nichts auf- fallenderes, als wenn er die Jugend den Früh- ling des Lebens nennt.

Vom Metrum, ^5

Vom M e t r 11 m.

io4. Wir erwälinten oben (§. 90.), dass sich das Bild vom Gegcublld im Piliythmus , niclit allein. " der Extensität und Intensität, sondern auch der inctrisclien Proj^ortion nach, nnterscheide. Diese metrische Proportion ist jetzt zu bestimmen.

100. Fast Jede Theorie bemüht sich, das Metrum Vom Rhythmus zu unterscheiden, und gesteht eben durch diese Bemühung, dass beide Begriffe leicht zu verwechseln scyn. Betrachtet man in- dessen die Erklärungen des Metrum , wie sie in den Theorien sich finden, so ist wenig damit deutlich gemacht. Wenn z. B. Quintilianus sagt: rdiythmi, i. e. numcri, spatio temporum con- slant: nielra etiam ordine; ideoque alterum esse quantitatis videtur, alterum qualitatis. Rhyth- •mis libera spatia, metris finita sunt. Inania quo- que tempora rhythmi facilius accipient so ist durch diese Antithesen für die Erklärung nicht viel gewonnen. Man muss erst wissen, was Rhythmus und Metrum sei, um diesen Gegen- slelbiugen Beifall zu geben, oder zu versagen, r^ach Hermann (§. ^9. ) bezeichnet Metrum kei- ncswcges den Rliythmus selbst, sondern bloss: „das VerhäJtni.ss der L[a\^c der Zeitabtheilun- gen gegen einander, ohne al]<'n Rhythmus." In

(ji Allgemeiner Theil.

dieser Erklärung liegt allerdings etwas Wahres, nur wird sie falsch durch den Zusatz: ohne allen Rhythmus. Es sollte vielmehr heissen: im Rhythmus; denn nur in diesem ist eia Verhältniss der Zeitabtheiluugen denkbar. Ohne Rhythmus bestimmt nicht das Metrum, sondern die Prosodie die Länge der Zeitabiheilungen, (im Material, nämlich den Sylben) aber eben deswegen auch ohne Verhältniss. Die Folge wird diese Behauptung rechtfertigen»

106.

Metrum im Allgemeinen bedeutet Maas. Zeit- maas, Yersmaas nennt man es auch wol, so wie man in der Musik den Takt das Zeitmaas nennt. Allein die Benennung Zeitmaas ist zwei- deutig. Der eigentliche \ ei'lauf der Zeit wird durch das Metrum und den Takt nicht gemes- sen; dazu dienen andre Zeitabschnitte, Jahr, Tag, Stunde, Minute und ähnliche. Dieses sind allgemeine absolute Maasse, die wir an- wenden, um die Dauer eines Zeitverlaufes zu bestimmen, so wie wir für räumliche Ausdeh- nung, Zolle, Schuh, Linien, Meilen und andre Maasse gebrauchen. Etwas ganz verschiede- nes sind relative Maasse, Avodurch nicht zeit- liche und räumliehe Ausdehnungfliii Allgemei- nen gemessen, sondern zeitliche und räumliche Proportionen bestimmt werden. So misst man

Vom Metrum. g5

z. B. eine Säulenhölie nacli Ellen oder Schu- hen, um sich eine allgemeine Vorstellung von ihrer Grösse, oder auch von ihrem Verhältuiss zu andern Säulen oder Höhen zu machen; mau mi^st sie aber nach Modeln, um ihre eigenthüm- liche innere Proportion zu bestimmen, oder mit den Proportionen andrer Säulen zu vergleichen* Ein solches relatives Maass ist nun auch das Metrum, oder der Takt. Isicht also für die Zeit überhaupt dient es zum Maass, sondern für Anschauungen, oder Figuren in der Zeit, also für Rhythmen. Metrum ist seinem Begriff nach Proportionsmaas des Rhythmus in der Zeit, Es entsteht mithin durch und mit dem Rhyth- mus, und ist zugleich Gesetz desselben, oder, wie ein alter Schriftsteller sich darüber etwas mystisch ausdi-ückt: „der Vater des Metrum ist der Rhythmus und Gott, denn vom Rhythmus hat das Metrum den Anfang, Gott aber sprach das Metrum aus. "

107;

Das Metrum als Proportionsmaas des Rhyth- mus kann nichts anders messen, als das Ver- hällniss des Bildes zum Gegenbilde. Diese» Verhältniss kcmn kein willkührliches scyn, son- dern es muss in der Natur des Rhythmus selbst liegen, und sich nachweisen lassen.

A 1 1 2 e m e i 11 e r T h e i 1.

io8. Indem das Bild zum Gegenbilde sicli bloss der Intensität nach, wie Stark zu Sclnvach ver- liält, so ist ia Ansehung der Zeit, welche jedes erfüllt, zwischen beiden keine Ungleichheit ge- setzt. Das Verhältniss vom Bild zu Gegenbild ist also in Ansehung der Dauer gleich Eins za Eins. Von Länge und Kürze kann hier noch nicht die Frage seyu, eben weil die Dauer beir der von gleichem Maasse sejn soll. Wir be- zeichnen daher einen solchen Rhythmus noch nicht mit den metrischen Zeiclien der Länge und Rüi'ze, sondern mit einem Buchstaben, Z. B. a. Das Metrum dieses, durch Intensität charakterisirten ß.hytlmms , Avird also diese»

scyn ;

ct. a.

Bild Gegenbild

Der Charakter des Bildes (die Kraft) zeigt sich hier als Accent, und kündiget sich dadurch als Ursache des bewirkten Gegenbildes an. Die beiden Sylben des Wortes Anmuth z. B. sind von gleichem metrischen Gehalt, (dass sie beide Längen sind, geht erst durch "V ergleich ung mit Kürzen hervor) allein der Accent auf der er- sten Sylbc, welcher der zweiten fehlt, macht ])eide zu einem Ganzen, indem sich die erste Sjlbc durch, jenen Accent die zweite unterord- net. ?\lan befreie die zweite Sylbe von dieser

Vom Metrum. q-,

Herrschaft der ersten, indem raan ihr gleiche Kraft des Accentes gibt, so hört man nicht mehr das einfache Wort Anmuth, sondern mau hört zwei Worte, z. B. die Ausrufe: Anl Muth! Oder man nehme der ersten vSylbe den Accentj und gebe ihn ausschliesslich der letzten, so ist der Rhythmus verändert, und man hört statt Anmuth, jetzt : an Muth (z. B. gebricht es,) Die- sen Accent, als Charakter des Bildes im Bhytli- mus, nennen die Musiker in Tonrhythmen den guten Takttheil, im Gegensatz des schlech- ten Takttheiles (des accentiosen Gcgenbiides), Weil sich die Stimme bei dem Aus prechen der accentirten Sylbe hebt , bei der accentiosen hingegen senkt, so nennen die Metriker die ac- centirte Stelle im Rhythmus (das Bild) die H e- bung (elatio, ekvatio, u^Gig)^ oder mit dem adoptirten griechischen Worte Arsis, die ac- centlose Stelle hingegen (das Gegenbüd) die Senkung (positio, S^emg), oder mit dem eben- falls adoptirlen Worte: Thesis. In: Sanftmuth z. B. ist die Sylbe Sanft Arsis, die Sylbe Muth hingegen Thesis. Die Arsis bezeichnen wir im Rhythmus, wo es nöthig ist, mit dem Zeichen des Accentes

d a

Arsis Theais

Bild Gegenbilcl

ijJi Allgemeiner '1' heil.

Nur vergesse man nicht, dass der Acccnt nie- mals eine Länge, sondern bloss die Kraft der Arsis anzeigt,

109.

Zu bemerken ist hierbei, dass die Musiker die Worte Arsis und Thesis in ganz umgekehr- tem Sinne brauchen. Bei ihnen heisst Thesis der Niederschlag des Taktes, mithin der gute Takltheil, Arsis liingegen d<3r Aufschlag oder der schlceiite Takttheil, oft auch wohl der Auf- takt ( Hermanns (xvanQovGig ) , wenn sie unter- scheiden, ob ein Stück in Arsi oder in Thesi anfange , weil der Auftakt nichts andei^s ist, als ein schlechter Takttheil, dessen guter nur ideell vorhanden ist , daher er zuweilen durch eine anfangende Pause angezeigt wird.

Hermann hat zuerst , unbekannt mit dem Sprachgebrauch der Musiker, diese Benennun- gen umgcAvend^t, es war leicht diese Aenderung zu bewirken, da die wenigsten Metriker mit der Musik so bekannt waren, um daran Anstoss zu nehmen, die Musiker aber würden auch ohne diese Verschiedenheit der Benennuug nicht leicht in Hermanns Lehrgebäude den Eingang gefun- den haben, weil sie in Gegenden längst hell zu sehn giwohnt sind, über Avelche in jenem Ge- bäude kimmerisches Dunkel verbreitet wird. Wir wcrjeu indessen die Wörter Ar.sis und

Vom Metrum, 99

Thesis in dem, von Hermann elngefiilirten Sinn gebrauclien, tlieils, weil diese Bedeutung nun einmal bei den Metrikern Eingang gefunden hat, theils, weil es billig ist, dass der Melriker eine Benennung von Hebung und Senkung der Stim- me hernimmt, während der Musiker sie von Hebung und Senkung des Taktirstabes ableitet. Dass dieser durch die Verschiedenheit tler Be- nennung nicht irre geleitet werde, wird sich durch vorsichtigen Gebrauch doppelsinniger Worte leicht bewirken lassen.

Die Grammatiker scheinen mit Arsis und Thesis keinen bestimmten Begriü" verbunden zu haben. Gewöhnlich nennen sie Arsis die erste Sylbe eines Fusses, und Thesis die zweite. So war im Trochäus (- - Sonne) die lange Sylbe die Arsis, die kurze Thesis; im Jambus hinge- gen (-' - Gewalt) würde die kurze Sylbe Ar- sis die lange Thesis seyn. Auf diesen Gebrauch der Grammatiker ist also gar nicht Rüchsicht au nehmen.

110.

Wo sich das Bild nicht bloss durch Intensi- tät, sondern durch Extensität (91) vom Gegen- bild unterscheidet, und sich zu ihm verbält, wie Länge zur Kürze, da ist sclion in Anse- hung des Maasses eine Ungleichheit gesetzt. Da die Ungleichheit hier ohne alle Bedingung ge-

lüo Allg eine i II e r 'J'lieil.

fordert ist, so iindcl \Aoss die ursjnimglrcliyle und unbcdi älteste aller Ungleicbheiteu Statt, nämlich die Hälfte oder das Verliältniss von Zwey zu Eins. Das Bild wird also zwei Mo- mente (Zeilen, Mora) enthalten, das Gegeuhild hingegen nur Ein Moment. Wir bezeichnen nun das Bild mit dem metrischen Zeichen der Länge, das Gegenlüld hingegen mit dem Zei- chen der Kürze, wodurch dieser Rhythmus:

Bild Gegenbild

entsteht. Indem wir so den metrischen Gehalt dieser Länge gefunden haben, wird das noch klarer , was schon früher ( 92 ) in andrer Be- ziehung erwähnt Avurde, dasrs diese Länge sich

in Arsis und Thesis von neuem zerfallen lasse:

«••

So entstehn drei gleiche Zeitabtheilungen:

wovon die erste sich nun durch den Accent als Ai'sis charaktei'isirt. Sie ist ber Arsis gegen das zweite Moment, und zugleich Arsis gegen das dritte, weil, in Beziehung auf dieses, das zweite^ später aus ihr entwickelte, dem Wesen nach immer noch zu ihr zu rechnen ist. Diese Eigenschaft einer Arsis in doppelter Beziehung, werden wir, wo es nöthig ist, mit einem dop- pelten Accent:

<•# «^

bezeichnen.

Vom Metrum. loi

111.

Indem die Lange gegen die Kürze gestellt ist, (- ~) entsteht allerdings schon im Rhyth- mus ein Verhältniss der Länge zur Kürze. In- dem aber die drei gleichen Zeilabtheilungen (>^ w _) entstehn, ist es wiederum bloss die Kraft der Ax'sls, oder des Accenles, welche den Rhythmus bestimmt', und für diese Beslimm,ung ist der Unterschied* der Länge und Kürze ver- schwunden. Man kann also die drei gleichen Zeitabtheilungen eben so richtig durch I^ürzen

als durch Längen

bezeichnen, oder wo man diesen X^nterschied übergehen will, sich der indilferenten Zeichen:

d a a

bedienen.

112. So haben wir zwei Gattungen des Rhyth- mus gefunden, wovon die eine nach gleichen, die andre nach ungleichen Theilen gemessen wird, oder nach einer andern Ansicht, deren eine den Rliythmus in zwey, die andre in drei gleiche Theilt; (Momente) metrisch zerlegt. ISach einer gewöhnlichen Mt:tafer trägt man diese verschiedne Eigenscliaft des Rhythmus auf sein Maass (das Metrum) über, und nenut es gera-

103 Allgemeiner Theil.

des Metrum, wo es den Piliyllimus nach der geraden Zahl (zwey), ungerades liingegen, wo es ihn nach der ersten ungeraden Zahl ( drei ) ablheilt.

ii5.

Indem wir jetzt das Metrum, und Vorher den Rhvihmus in den ersten Elementen betrach- teten , ward es einleuchtend , dass beide zugleich, mit und durch einander, entstehen. Der Rhyth- mus ist nämlich in seinem ersten Erscheinen als Bild und Gegenbild metrisch bestimmt, und da das Metrum nichts anders ist, als Propor- tionsmaass des Rhythmus, so entsteht es zu- gleich mit dem Rhythmus, und ist ohne ihn nicht denkbai*.

Mau würde jedoch sehr irren, wenn man glaubte, hiermit sei der Streit entschieden, ob jeder Rhythmus Takt habe, oder ob es auch taktlose R^hythmen und Verse gebe. Wollte je- mand auch mit einiger Voreiligkeit behaupten, was von den Elementen gelte , müsse d urch die ganze Sfäre, die aus diesen Elementen entsteht, Gültigkeit haben, so könnte man ihn vorläufig durch die Bemerkung aufmerksam machen, dass schon aus der Zusammensetzung rhythmischer Elemente, z. B.

taktlose Reihen entstehen würden, und dass wenigstens die Prosa, deren Sätzen man doch

Mclrische Entwi'jkeluüg des Piliythmus, io5

auch Rhytlunus zuschreibt, nicht nach einem bestimmten, gleichiörmigen Takt sich bewege. Die Untersuclxung , sehen wir bald, ist noch nicht an dem Punkte, wo jene Frage entschie-. den werden kann.

ii4. Uebcrhaupt ist jetzt der Rhythmus nur in seiner Grundform nachgewiesen w orden , es ist aber nötliig, ihn durch alle EntAvickelungen die- ser Grundform zu betrachten, wodurch zugleich das Metrum, das jetzt ebenfalls nur als Element des Taktes erschien, seine nähern Bestimmun- gen erhalten wird.

Metrische Entwictelung des Rhythmus.

11.5. Die einfachste Form, oder die Grundform des Rhythmus im geraden ÄIcLriun ist (108) diese:

d a

und zAvischen beiden IMomenten ist kein Quan- titätunlerschied, jedes hat dieselbe Dauer in der Z('it wie das Andre, und das erste Moment (das Bild) , unterscheidet sich nur durch den Accent (die Arsis) von dem zweiten (dem Gegenbilde).

116. Wie die vhytlimische ui'^piningirche Einheit y j^ überhaupt als Fälligkeit gedacht wird, ihr Ge- genl»ild aus .sich hervoivnbriugen . so hnl nnch

io4 AlIgemeinerTheil.

jedes i'hythmisclie Moment, die Arsis sowohl als die Tliesis, jene Fälligkeit, sich von Neuem in Momente zu zerlegen, zwischen Avelchen nun ebenfalls das Verhällniss dei* Arsis und Thesis, mit allen rhythmischen und metrischen Beziehun- gen statt findet. Wir bezeichnen diese, aus je- nen entstandenen Momente mit denselben, aber kleinci'n Buchstaben:

A A

d a a a

und nennen sie Momente der zweiten Ordnung, im Gegensatz jener, die wir Momente der er- sten Ordnung, oder auch Hauj)tmomente nennen.

117.

Diese Momente der zweiten Ordnung neh- mc7i dieselbe metrische Bestimmung an, wie die Hauplmomente selbst. Nach dem geraden Me- trum, welches sie der Intensität nach bestimmt^ sind sie unter sich selbst von gleicher Quanti- tät, und bloss als Arsis und Thesis durch den Accent verschieden :

A A

d a d a

Arsis Thesis Arsis Thesi« Gegen die Hauptmomente gehalten aber, hat je- des der Momente zweiter Ordnung nur die Hälfte des Zeitgchaltes von dem Hauptmomenl, aus

3Ietrische Entwickelung des Rh)rthmus. io5

welchem es hervorging, und in dieser Beziehung entsteht unter beiden Galtungen erst ein Quanli- lätverhältniss, das wir nun so ausdrücken können :

d d

\ \ \ \ «

und welchem in der Musik der Vier-Viertehakt

entspricht.

118.

Denkt man sich eine Reihe von Rhythmen, die sich bloss in Haiijitmomenten bewegten, so zeigte sich in ihnen kein Quantitiitverhaltuiss sondern das einzige rhythmische Princip einer solchen Reihe würde der Aecent seyn.

Dasselbe würde Statt finden, wenn die Rhyth- men bloss Momente der zweiten Ordnung ent- liielten. Denn da die Kürze dieser Momente nur relativ ist gegen die Hauptmomente, so kommt sie unter blossen Momenten zweiter Ord- nung nicht vor. Sie wird nur ein schnelleres Tempo verursachen, innerhalb demselben aber wird keine Quantilätverschiedenheit , sondern nur ein Wechsel Von Arsis und Thesis Statt

finden.

119.

Die Bedingung aller Quantitätverschiedenheit ist daher Wechsel der Momente verschiedener Ordnungen, also:

Ada a J J d a A J J r-i

laG Allgemeiner T h e i I.

Damit wird indessen nicht behauptet, dass un- ter wirklich quantitirendeu Versen niemals eine Picihe von Momenten derselheu Ordnung vor- kommen könne. Ist nur einmal das Quanlilät- verhältniss durch wahrgenommenen Wechsel der Ordnungen bestimmt, so treten auch die Mo- mente einzelner Ordnungen nicht aus dem ein- mal festgesetzten Quanlilätverhältniss, und die Verse :

TV) div Meaarivri ^vf^ßli^ri^v u^r^koiiv Homer

Clves Romani tunc facti sunt Campani

Ahndungvoll Avehklagt beim Festmal Abschiedwehmuth.

werden unter Hexametern ebenfalls als Hexame- ter anerkannt werden, \Niewol sie sich nach vierzeitiger Messung des heroischen Verses blos in Hauptmomenten , nämlich Spondeen bewegen.

Gerades Metrum.

120.

Im geraden Metrum finden also vier Foi'- men des Rhythmus statt, nämlich: J J die sjioudcische _

j m' 0^ ^^^ daktylische _ »1^ J^ J^ J die anti daktylische J. «* _ un- terschieden von der anapästischen

•^ »^ 0^ J^ ^i^ proccleusmatische Z •*> L ^

Gerades Metrum. 107

von welchen in dem besondern Tbeile unter den Yersgattungen des geraden Metrum beson- ders gehandelt werden wird. Wir nennen das gerade Metrum von seiner Grundform auch das «p ende i sehe.

121. Dieses Zerfallen der Momente würde sich allerdings in das Unbestimmte fortsetzen lassen; allein alle neuen Zerfallungen der jNIomente spa- terer Ordnungen würden dieselben Verhältnisse bloss wiederholen, welche zwischen den Momen- ten erster und zweiter Ordnung Statt finden, und Momente entfernter Ordnungen, z. B. der ersten und vierten, können in demselben Rhyth- mus nicht mit einander wechseln.

122.

Hier ist es nothwendig, einer sonderbaren VeriiTung zu gedenken, zu welcher der Mangel an Einsicht in die Musik einige Metriker ver- leitet hat.

„In unsrer Musik sagt Hermann, Metrik S. XX. hat zwar der Rhythmus der Melodie ein siebenfaches Maass vom ganzen Takt bis zu Vierundsechzigthcilcn, da der Rhythmus der griecliisehen Musik, Avenigstens bei dem Ge- sänge und der Begleitung desselben nur eia zweifaches Maass, der ganzen und halben No- ten hatte."

loS Allgemeiner Theil.

Man sieht gleicli aus dem siel)enfaclien Maass der Melodie vom ganzen Takt bis zum \ier- undsechzigtlieil "■ , dass dieser Metriker eine et- was mangelhafte, und bloss gelegentliche Keunt- "niss von der Musik hat, sonst wären ihm die übrigen Extreme de? Notenreihe vor der ganzen Taktnote, und nach dem \ ierundsechzigtheil in längern und kürzern Tonzeichen nicht unbe- kannt geblieben, und er hätte sich überzeugt, dass hier überhaupt gar keine Gränzü ist, denn was hindert den Componisten, die Theiiung der Noten fortzusetzen, so weit er es nöthig findet, und Fünfhunderlzwölftheile zm schreiben, wie man schon lange Zweihundert sechs und funfzig- theile schrieb? Auch hätte er bemerkt, dass im Sechsachteltakt das punktirte Viertel (J. ) ein eben so selb.stständiges Maass ist, als im Vier- vierteltakt die halbe Taktnote (cJ)? denn beide erfüllen einen halben Takt, also ein ganzes Hauptmoment (vergl. i23.) Doch dieser Irr- thum, wiewohl er einem Kritiker der neuen Musik in Beziehung auf alte, nicht wohl ansteht, betrilTt nur eine Nebensache.

Die Hauptsache, auf welche es hier ankommt, ist diese: Wo ist denn in unsrer neuen Musik eine Melodie zu finden, in deren Rhythmus auch nur das Hex-mannsche siebenfache Maass vom ganzen Takt bis zum Yierundsechziglheil wechselte? Unstreitig verwechselt Herrmann die

Gorades Metrum. loq

Koloraturen des Rhythmus mit dem Rhytlimus selbst, allein die Noten der Koloratur sind doch nicht die, den Rhythmus constiluirenden Mo- mente. Was Hermann einseitii», zwiefaches Maass der griechischen Musik nennt, pas^t im allge- meinen Ausdruck vollkommen auf jede, und folglich auch auf unsre Musik. Die Rhythtnen selbst, entkleidet von ihren zufälligen Coloratu- ren, wecbseln bloss mit Momenten benachbar- ter Oi'dnungen, und selbst der Rhythmus, wel- cher in den Coloraturen Statt findet , hält sich allezeit in den Grenzen benachbarter Ordnun- gen. Es darf nicht befremden, dass der Rhyth- mus eben so wohl seine durchgehenden Noten hat, wie die Harmonie, und eben so wenig, dass in demselben Tonstiick Meiodieen aus verschie- denen Klassen der Momente, jedoch immer nur im Wechsel benachbarter Ordnungen vorkom- men, da sogar dieselbe Melodie erweitert (per augmenlationem), oder vermindert (per dimiuu- tionem), in demselben Toustück kunstmässig behandelt wird. Nur in dem eigentlichen Rhyth- mus wird man niemals Sprünge in entfernte Ordnungen der Momente bemerken.

So wenig niui die Koloraturen den Haupt- ihythmus constituiren, eben so wenig bilden ihn die aushalteuden Noten entfernter Ordnun- gen. Die Nnie des OrgeI])unkles z. B. wird niemand einen RJiylhmus nennen. Ks kann

HO Allgeinei ner Theil.

aber seyn, dass lange aushakende Noten für sich ehie besondre Melodie (z. B. per augmen- talionem) führen, alsdann ist anch selbst in die- ser Melodie nur ein Wcclisel benachbarter Ord- nun.qfeu vorhanden, wiewol in der Summe der verschiedenen gegeneinander geslellten Rhyth- men, die entferntesten Ordnungen der Momente eri^cheiuen können. Denn es ist das Wesen des doppelten Contpapunktes, Rhythmen gegenein- ander zu bearbeiten, so wie der einfache Con- trapunkt Töne harmonisch geg^n einander stellt. An Koloraturen fehlte es der allen Musik auch nicht, wenn den Klagen über \erkünste- lung der Rhythmen durch die Virtuosen zu trauen ist, und die Neumen über deren Miss- brauch schon in den frühesten Zeiten des Kir- chenge^angs geklagt Avird, deuten wenigstens auf eine Art davon , und erregen gegründete Zwei- fel, ob Hermanns Behauptung, (Metrik XXIII.) im griechischen Gesänge habe jede Sylbe nur Eine JNote gehabt , mehr aus Unkenntniss , als aus gründlicher Kenntniss der Sache herrühre.

Gemischtes Metrum.

125.

Die Hauptmomente des geraden Metrum kön- nen sich, so wie die rhythmische Einheit selbst, auch der Extensität nach zerlegen, oder was dasselbe ist (112), jedes Hauptmomeut kann

Gemischtes Metrum. IH

sicli in drei Momente zweiter Ordnung zer- fallen :

A A

d a a d a a

Unter sich haben diese Momente zweiter Ord- nung zwar ebenfalls kein Quantitätverhältniss (ii.)), indessen ist das starke Uebergewicht des ersten jeder drei Momente nicht zu verkennen, da CS in doppelter Beziehung (iio) Arsis ist.

124.

Gegen die Hauptmomeute gehalten, hat je- des iMoment zweiter Ordnung den dritten Theil vom Gehalt des Hauplmomentes, und so ent- stehn folgende Quanlitätverhältnisse:

d d J J J J j J

Wir müssen aber hier zuvörderst einer Eigen- heit unserer gewöhnlichen Notenhezeichnung ge- denken.

125.

Nach unsrer jetzt üblichen Art zu notiren, theilt man jede ^iote in zwey, und niemals in drei gleiclic Theile. Daher haben wir bloss Zeichen für Ganze-, Halbe-, Viertel-, Achtelno- ten u. s. 1., nicht aber fiir Drittel, Sechstel, Neuntel u. s. w. Um diese zu bezeichnen, hilft juau sich bekauullich mit dem Punkt, oder durch

112 Allgemein er The il.

das Zeichen dei' Triole. Allein lileriius entstellt eine Inconsequenz im musikaliscliea SpracLge- braiicli. Wir sprechen nämlich vom Dreiviertel, Sechsachtel und anderm Takte, ohne durch diese Benennung anzeigen zu wollen, Jass ein Takt dieser Taktart kein v^^ller, geschlossener Takt sey, sondern nur drei Viertel, oder Sechs Ach- tel von einem vollen Takt enthalte. *) Wir er- kennen vielmehr an, dass jeder Takt in jeder Taktart ein volles Ganzes sey. (Ich vermeide den A usdruck : ein ganzer Takt, weil dieser technisch geworden ist, anstatt Viervierteltakt, und folglich Missverständniss erzeugen konnte.) Die Benennung Viertel, Achtel u. s. f. hat dem- nach ihre relative Bedeutung verloren, und ist gleichsam Eigennahme der verschiedenen Zei- chen gcAVorden, der bloss zufällig in Viervier- teltakt mit seiner eigenthümlichen Bedeutung zusammentrifi\. Denn, da jeder Takt ein Gan- zes ist, so ist z. B. im drei Achtel Takt das Achtel nicht ^ des Taktes, sondern f, wir be- halten aber die gewöhnliche Benennung: Ach- tel, eben, weil sie bedeutunglos geworden, ist. Man setze nun den Fall, der Urheber dieser

*) Der Musiker versteht es zwar richtig ; dass aber die- ser zweideutige Sprachgebrauch selbst hei sehr scharf- siuiiigeu Nichtmnsikern ganz irrige Vorstellungen und Resultate verursache , zeigt 2. B. Bernliardi's Spracli- wissenschaft S, 386. ^

Gemisch t es Me truui. ii3

Bezeichnung habe auf die Bedeutsamkeit der Benennung aufmerksam reflektirt, so Avürde er jede Taktavt als ganzen Takt mit der ganzen Taktnote bezeichnet haben; aber so wie der Schlüssel zeigt, wie eine Note im System heisse, so würde er durch die Benennung dts Taktes, gleichsam durch den Taktschlüssel, bezeichnet haben, wie viel eine Note in diesem Satz gelle. In der That finden wir auch, dass Franchino Gafurio, ein musikalischer Schriftsteller aus dem fünfzehnten Jahrhundert, und Professor der Musik zu Mailand, diese Ansicht der No- tirung gehabt habe. Er bestimmte durch die besondere Gestalt eines Taktschlüsstls den re- lativen Gehalt der Noten. Das Verhältuiss der Hauptmomente zu der Einheit nannte er Tem- pus, und zwar perfectum, wenn drei Haupt- momente entwickelt waren, (nach damaliger Mystik vielleicht zu Ehren der Dreiheit), im- perfectum hingegen, wenn nur zwei Hauptmo- mente vorhanden waren. Das \erliähniss der Momente zweiler Ordnung zu den Hauplmo- jnenten hiess bei ihm Prolalio, und zwar wie- derum perfecta, wenn drei, imperfecta, weim zwei Momente aus jedem Hauplmonienle sich entwickelten. So bekam er folgende vier Ycr- hällnisse, bei welchen wir die rhylliniische ur- sprüngliche Einheit mit dem Zeichen der gan- zen Taktnote (o) bezeichnen,

8

1 14 All ge m ein er The iL

1. Prolatio perfecta in tempore perfeclo :

a 1 ( 1

a a a

J^JJ JJJ JJJ

wo ein jedes von drei Hauptmomenten, sicli in drei Momente zweiter Ordnung zerlegt. Dieses Verliahniss })ezeiclinete er mit dem Zeichen 0 als Tal^tsclildssel, weil es als Zeichen der Sonne, des Goldes u. S. w. auf das Voiikomnienste deutet.

2. Prolatio pei'fecta in tempore imperfecto :

O

ö a

JJJ JJJ

Für dieses Verhidtniss wählte er als Taktschlüs- sel die Hälfte des vorigen Zeichens (• , um das Halbvollkommene auszudrücken.

3. Prolatio imperfecta in tempore perfecto:

O d d d

j j j j j J Der Taktschlüssel für dieses Verhältniss sollte O «eyn.

4. Prolatio imperfecta in tempore imperfecto:

a a J j j J

G emi seht es Metrum. ii5

Der Taktschlüsscl war wieder die Hälfte des vori- gen Zeichens, also : C worin Avir dea(jrniid iinsers gegenwärtigen \iervierteltakizeicliens erkeuneu.

Wahrsclieinlicli haben diese Verhähnisse spä- tem Schriftsteilern zu komplicirt geschienen^ vielleicht trug auch die, von den Meti'ikcrn an- genommene Meinung von der bloss zweizeiligen Theilung etwas dazu bei, die, alleixlings griiud- lichere Bezeichnung Franehino's aufzugeben. Kurz, wir bedienen uns jetzt, wie bekannt, der zweigetbcilten Notirung, . und helfen uns, wo eine JNote wesentlich drei Zeiten enthalten soll, eben so mit dem Punkte (J J^^,^). wie in Fällen, Avo sie durch willkiihrliche Dehnung in das folgende Moment dreizeitig wird {l^J.J')^ wiewohl die Verschiedenheit beider Fälle nicht zu verkennen ist.

126.

Nach dieser jetzt üblichen Art zu notiren, bedienen wir uns fiir das oben (124) angege- bene Yerhällniss folgender allgemeiner verständ- licher Bezeichnung :

J- J.

; ; j^ ." ." j"

worin wir sogleich unsern Sechsachteltakt (Fran- chino's prolaliü perfecta in tempore imperfecto) erkennen.

, j (, A 1 1 ii c in e 1 II t r .1' h e i 1.

IQ--.

Die Kraft der zweiten Arsis, welche das erste der drei Aelitel gegen das zweite hat (in), kann sich nun ebenfalls als Länge zeigen, wo- durch das zweite Achtel zur Kürze werden muss. Es tritt alsdann hier schon ein Quantitätver- hült-niss ein, näiniich ^\?5/ statt /J^^^— Auf- merksame Hörer temcrken, dass in der musl- kaiischen Figur ^^^ die mittlere Note sehr der Willkühr des Virtuosen überlassen bleibt. Er fertigt sie, nach dem allgemeinen Charakter der Melodie, bald etwas geschwinder ab , bald lang- samer. Wir sehn aber auch hier, dass ihr Ge- halt /wischen f und ^ einer Viertelnote schwankt. Jenes tirfoi'dert die Analogie des Maases, diesem die Gleichförmijkeit. Ey tritt hier gkiclisam eine rhytlimisch gleichscliwebende Temperatur ein die nicht befremden darf, wenn man sich der Verwandtschaft zwischen lliijthmus und Har- monie erinnert.

128. Wir nennen dieses Metrum das gemischte, weil seine Grundtheilung in zwei, und die spä- tere , auf jener ruhende , in drei Theile ist.

129. In diesem gemiscliten Metrum zeigen sieh nun sehr mannigfaltige Formen, und wir wer- den die Fasse der Meüuker, welche diese durch

Grcmi^cJites Metrum. 117

Sylbenzusammensetzuugen erliielten, liier in ih- t6v waliren Psatur als iiuyllimen entstcLen oclin. Die Formen des gemischten jMetrum sind foIg(jnde :

1. Wenn Leide Hauplmomente uuzerfallt bleibeii»

J^ j in metrischer Bezeichnung ^ ^ Wir erkennen hic^' den Spondeus des gera- den Metrum Avieder, der aber, wo tr unter an- dern Formen, des gemischten Metrum vorkommt, nothwendig die angezeigte Me-ssuag hat. Die Metriker haben ihn verkannt, und dadurch in der Messung vieler Verse geirrt, z. B. iu fol- gcn,dem Sütadisclien;

0. •. \ 0 * g m. €^ 0 \ 4 » e 9 \ 0. ä. Q7]aiv öido^evrjv uyu&rtv qvkaaae aavroj.

Weinlaub in dem Gelock, den Pokal bekränzt mit Efeu, dessea metrisches Schema zu gauü falscher Vor- $tellung des eigentlichen, Gesanges iu diesem Vers verleitet, wenn man es nicHt durch, mu- sikalische Zeichen berichtiget.

i5o*

2. Wenn das erste Moment unserfallt bleibt, uud das zweite sich in drei gleiche Theile- zerlegt.

j ^ j^ J^ metrisch beze^ichpel -^ J, ^ ^ Wir erkennen hier den ersten Püon der MQ" triker, und flas walyre INIaijs dieses Fusses.

ii8 Allgemeiner Th eil.

l5l.

5. Wenn in der eben genaiyiten Form das erste Achtel zur Lange wird (nach 127.)

j J^^ ^ ^ metrisch bezeichnet _ ^ Wir sehen hier von selbst aus den Principien des Rhythmus und dc-s Metrum den Fuss her- A'orgehen, den die (Grammatiker lonicus a ma- iore (sinkender loniker) nennen, und be- merken zugleich seinen wahren Rhythmus, den die metrische Bezeichnung verbirgt. Der Vers z. B.

'/I^i]v nOT€ aaatv Jicc rov refJTciaiQuvi'Ov wird in der gewöhnlichen metrischen Bezeichnung

nur gesehen , aber nicht gehört. Begreift man die Entstehung des ionischen Fusses aus der Natur des Rhythmus, so hört man in ihm be- stimmt folgende, unsrer Musik gar nicht fremde Melodie :

«. 9. ^ 9 I W. »• »^ ■m \ s. 9. 4^ 4 \ m. 41 Laut tönet der Jagdruf', und das frohschallende Waldhorn.

die in der Unbestimmtheit der metrischen üb- lichen Bezeichnung, und noch mehr in den Theorien der Metriker untergegangen war.

102. 4. Wenn bei unzcrfHlllcm ersten Moment, das zweite sich in die Grundform der Läugr und Kürze zerlegt:

•'• j •'** wietrisrh bezeichnet: « _ ^

Gemischtes Metrum. uy

SO entsteht der Fuss, den die Grammatiker Bacchius (nacli andern Palimbaccliius) nen- nen, und wir sehn seine Messung in den mu- sikalichen Zeichen, welche ehenlklls durch die gewöhnhchen metrischen Zeichen, die vollkom- mene, iinvollkommene und dreizeitige Länge nicht unterscheiden, verdunkelt wird,

i53. 5. Wenn bei nnzerlegtem zweiten Moment 'das erste sich in drei gleiche Theile zerfallt

N j^ j*^J metrisch bezeichnet ^ ^ ^ - Diesen Fuss nennen die Grammatiker den vier- ten Päou. Wir sehn, dass er nicht im Auf- takt > ^ ^ I I zu messen i'st, wie Herrmann durch die Bezeichnung ^ ^ w 1 und ^ ^ w i - andeutet. Der vierte Päon hat die Hauptarsis vielmehr auf der ersten Sylbe, und kann daher mit dem ersten Päon zusammengesetzt werden:

^www 1 S ^ das ist: ^'. ^ J # \ » a 0 ^

und mit dem sinkenden Joniker

^ ^ , ^^^_ musikalisch J. 4'. ,^* !•«#«■

oder anfangend:

, das ist: ,\\'^J. UJ'i

Ucberall fangt der vierte Puon in Psiedertakt an, und niuss also vom ersten Päon mit drei- zeitigem Auftakle ^^w I -*'-'w 1 - tl. 1.

> ^ N I 1 ^ ^ N I I ^vol unterschieden wer-

« \ d' « '4'

lao Allgemeiner Theil.

den , wenn man niclit den Rhythmus der Verse ofTenbar verwixTen will.

i54.

6. Wenn bei der vorigen Form das erste Achtel (127) zur Länge wird:

«^ ^ «^ j. metrisch bezeichnet ^ ^ ^ ^ Hier finden wir den Choriamben und seine Messung im gemischten Metrum, z. B,

^ I I > I 1 ^ ^ ^ J

igi" olg-pcff), M %()VGokoq>ot.

Vom Siegerschwert niedergestürzt

Eine andre Messung, nämlich J«,^,^J, ha? er im schweren dreizeitigen Metrum , z. B.

\ g i * » \»«ä4\0g9« \ a ä v/o das Schlachtfeld von Triurnfmelodien aiifjauchzl' in

Entzückung

Doch ist diese Messung unstreitig die seltnere.

7. Wenn , bei unzerlegtem zweiten Haupt- moment, das erste sich in die Grundform der Länge und Kürze zerfällt,

9 J^ m. metrisch bezeichnet: _ w - Wir erkennen hier den Kretikus, oder Am- f imacer der Grammatiker, und zugleich seine wahre Messunar.

•3

Gemischtes Metrum. jai

l56.

8. Wenn beide Hauptmomente sich in die Grundform der Länge und Kürze zerlegen.

J j^ J J^ im metrischen Zeichen _ ,^ _ Hier entsteht die trochäische Dip odie. oder der Dit roch aus, dessen Messung auch die inetrischen Zeichen richtig angeben.

9. Wenn jedes Hauptmomeiit sich in drei gleiche Theile zerlegt:

•^•^•^•^J^rf^ ^^ metrischen Zeichen Jv<w J^w^-» Die Form., welche hieraus entsteht, ist die tri- b r a c h i s c h e , der sechssylbige Fuss wird auch von einigen Pichoreus genannt, weil sie ihn als entstanden aus dem Dilrochäus durch Aul- lösuugen beider Längen

betic-4itei\,

W «»'

i58. 10. Wenn bei der vorigen Form das erste Achtel jedes Momentes die Länge annimmt:

f^ ^ J^ j! ^ «^ ^^ metrischen Zeichen ^ ^ _ ^ ^

Wir linden hier wiederum eine daktylische Form, wie in dem geraden Metrum {l'2o). Die metrischen Zeichen unterscheiden beide , so ganz verschiedenen Formen nicht, dereu Unterschied aus der E^twickelung des JKhylhmus hervor-

122 All gemeiner Theil.

gellt, und durch musikalisrlie Zeichen deutlich dargestellt wird. Wir nennen zum ünler.schiid den Daktylus des gemischten Metrum: den flüchtigen oder drei zeitigen Daktylus; den des geraden Metrum hingegen: den schwe- ren oder vier zeiti gen. Denn wie die Ne- Leneinanderstelluug in musikalischen Zeichen

beweiset :

^ ^ ^ und I '^ >

so haben die flüchtigen Daktylen drei Zeiten, die schweren aber vier,

iSg.

Dieser, aus der Natur des Rhythmus und des Metrum abgeleite Unterschied beider Gat- tungen von Daktylen, war den Grammatikern, und noch mehr beinah (i4o) den neuen Metri- kern unbekannt. Sie maassen alle Daktyk^n vierzeitig, und verkannti.'n also den Rhythmus aller Verse , welche im gemischten Metrum ge- dacht sind. Bei solchen Messungen konnte es freilich nicht fehlen, dass ihnen die alten Rhyth- men und Yerse taktlos erschienen. Was ist z. B. leichter, als der Vers:

m. ä 0 \ 0 e 0. \ 0. 0- 0^ 0 \ 0. 0- Schon tünt der Morgengruss sani'tlockendes Waldhorns

allein man maass nach der metrischen Bezeich- nung

Gemischtes Metrum. »af

ohne die wahre Messung zu kennen, so;

ä 0 0 \ ä 0 d \ 0 0 0 <• und wenn man so den Gesang verdorben hatte, bemühte man sich, das wunderliche Gewirr, durch das noch wunderlichere Fantom taktloser Schönheit vortretlich ?u finden.

i4o. Indessen scheinen selbst einige von den al- ten Grammatikern ein dunkles Gefühl dieses Unterschiedes gehabt zu haben. Dionysius (tt^^* cvv&t(5. opoft^ erwähnt die Behauptung alter Rhythmiker, dass die Länge des Daktylus un- vollkommen sey , und setzt dazu, jene Rhyth- miker hätten sie deslialb unbestimmt genannt." Gleich wol machte jemand von dieser Beob- achtung bei Messung daktylischer Verse Ge- brauch, wiewol die Daktylen unter Trochäen, und die Verwechselung der Trochäen mit Dak- tylen auf die dreizeitige Messung des letzten hätten führen sollen, war auch der Grund a priori dieser Messung, aus den Gesetzen des Rhythmus, verborgen geblieben. Zuerst hat auf diesen Unterschied beider Daktylen, und auf die wahre dreizeitige Messung des flüchtigen Daktylus , der Verfasser dieser Metrik aufmerk- sam gemacht in den beiflen in der Vorrede ge- nannten Abhaml hingen. Böckh hat diese Mes- sung in seiner bekannten Untersuchung über die

124 Allgemeiner T heil.

Versraaasse des Pindaros (Mus. d. Altei-tli. Wiss. 2. B. 2. Stck.) zum TheÜ ^uf pindavische Verse, Vplger in seiner Ausgabe der SafFo, beson- ders auf die Fragmente, und Besseldt in sei- nen Beiträgen zur Metrik, auf melire Yers?irten angewendet, die man durch unrichtige Messung lange 'verkannt hatte. Wie \ oss in seiner Zeit- messung auf den flüchtigen Daktylus deutete, wenn er ihn auch nicht als bestimmtes Maas inancher Versgattungen annahm , ist bekannt.,

i4i. . ^g

Die übrigen möglichen Formen des gemisch- ten Metrum, als : der flüchtige Daktylus mit dem Trihrachys

ä^^J^ 0*0^0^ in metrischen Zeichen _ww 4«y die umgekehrte Stellung:

»'J'J^J^^J' metrisch J, ^ ^ _ ^ ^ der Trochäus mit dem Trihrachys

J.^#^// metrisch _ .^ 1 ^ ^ die umgekehrte Stellung:

•^J^/J#'^ metrisch Z ^ ^ -. ^ der flüchtige Daktylus mit dem Trochäus

•\^«rjj^ metrisch _ ^ v - «-' die umgekehrte Stellung:

Jm'J^J^^ metrisch _ w. _ w ^^ führen keine besondern Namen, man müsste denn bei der Form _ ^ ^ ^ ,. all den Parapaon

Gemischtes Metrum. 125

denken ^vollen, mit dem sie in Jessen, wie sich später zeigen ^vi^d|, nur Aelmlichkeit hat. Hier sind diese Formen hauptsächlich deswegen an- gezeigt, damit man sie in den Zerstückelungen- der Metriker als bekannte Figuren wieder zu erkennen wisse, z. B. wenn der Metriker den

Vers:

y.ac g:c(i'i^Mg snriiJiif-i/ov

in einen Choriamben und einen Diiambus theilet

Fejergeläut durchhallt die Flur

SO erkennen wir die beiden Formen des ge- mischten Metrum:

ä. 4^ 0 «) « I j 0 d.

--'--- 1 *-

und theilen den \ ers richtig ab , ohne an das Fantom einer Veränderung des Choriamben in die iambische Dipodie , wegen seines zu gewalt- samen Rhythmus, zu denken.

l42.

So ist also ein dreifaclics Maas der Länne abgeleitet: die dreizeitige Länge (J, ), die ein Hauptmoment des gemischten Metrum erfüllt, die zweizeitige (J), die im geraden Metrum ein Hanptmoment ausfüllt, und im gemischten zwei Drilihcil eines Hauplmomenlcs, und die unvollkommene (J^), die noch niclit volle zwei Zeilen erfüllt. Sehr bedeutend nannten

la6 A 1 1 g e m e i n e r T h e i 1.

sie flie alten Metriker unbestimmt (aXoyoi), denn sie schwankt, wie wir gesehen haben, zwischen ^ und ^ der vollkommnen, zweizeitigen Länge. Die Grammatiker indessen, und die meisten Metriker bezeichneten alle diese verschiedenen Längen mit demselben Zeichen der Länge (-). Dai'f man also von ihnen bei solcher Messung, Einsicht in den wahren rhythmischen öinn ei- nes Verses erwarten?

Gemengtes Metrum. i43. Ausser der Mischung des geraden und un- geraden Metrum, lässt sich i.och eine ^ ermen- gung beider in derselben Ordnung der Mo- mente, denken.

Man setze den Fall, dass von zwei Haupt- momenten, das Eine sich in zwei, das Andre in drei Momente zweiter Ordnung zerfalle, so wüi'den folgende Verhältnisse entstehn: A A

da ci ci ci

oder entgegengesetzt

A A

d a a da

Das Quanlitätverhältniss dieser Form zeigt sich in der musikalischen Bezeichnung :

i J

Gemischtes Metrum. 137

oder umgekehrt:

J J

'S N ^ > ^

^ ä « ünsre iibliche musikalische Notirung macht es nölhi"^, die drei Achtel des einen Momentes als TrJolen zu hezeichuen. (#«*)*) Daher schreiLt

man dergleichen Stellen in Zwei -Viertel, oder überhaupt geraden Takt, wiewohl der Sechsach- teltakt mit demselben Rechte als Grundbestim- mung angenommen werden konnte , was aher die ungewöhnliche Schreibart:

ä 0 g 0 ^ ocier 0 0 0 0^0

verursachen würde. Franchino würde dieses Verhältniss als prolalio imperfecta et perfecta.

*) Hiermit war denn also Herman's Frage (Allg. ; Mus. Zeit. iSog-) beantwortet: „Wenn unter den,

in dem Umfange eines sogenannten Taktes enthal- tenen Noten ein Rhythmus von drei Triolen vor- kommt, welchen Takt hat dieser Rhythmus?" Herr nermaan ist so •wenig mit unsrer Musik bekannt, und, "wie es aus seiner Unbekanntscliatt mit dem hemiolischen Yerhältniss des Aristidts scheint, mit der alten, dnss er niclit nur diese Frage aufwerffin kann, sondern sog;ir duich ihr blosses Aufwerlon, unsre Theorie ,, beseitigt" zu liaben mcii\l. Ein eben nicht günstiger Beweis fiir die Competenz sein«* Ur- theils.

jgg Allgemeiner Theil.

und in umgekelirler Ordnung perfecta et im- perfecta ex tempore imperfecto bezeiclinet ha- ben. Allein nach seiner Schreibart Avürde der öftere Wechsel des - Taklschlüssels : Q und Q das Lesen der Noten sehr erschweren.

"Wo solche Verhältnisse vorkommen, erfül- len die zwei Achtel, als Repräsentanten eines Hauptmomentes, dieselbe Zeit, welche die drei Aclitel erfüllen, welche ebenfalls ein Hauptmo- ment repräsentiren. Der augeuscheinlif'.hste Be- weis hiervon ist die Begleitung von Triolea durch die Grundabtlieiluug des Taktes:

Wollte man diese Messung bezeichnen, so miisste man jedem der beiden Achtel einen Punkt bei- setzen ( j^ j^ JT^)' Doch war dieses nur in der Theorie brauchbar, in der Ausübung würde es den Musiker, dem das Triolenzeichen beque- mer ist, nur verwirren.

i45. Dass dieses Vcrhältniss in unserer neuern Musik vorkommt, ist bekannt genug. Allein auch in den Versrhythmen der Griechen findet es sich. Folgender Vers z. B.

Gemeng tes Metrum. lag

0 Ttevijg ileicrat, 6 ds Ttlovaiog (f&oveitKt., Wo Gesang melodievoll zu dem Saitenspiel ertönte. hat zum Anfang den Pyrrhichlus {^ ^) statt eines dreizitlgen Fusses , den das Metrum er- fordert :

Dieser Pyi-rhicliius enthält also drei Zeiten, sey es , dass man beide Achtel dehne, oder das erste durch die Kraft der Arsis sich zur Länge ge- hoben denke, was bei dem als frivol bekannten Sotadi sehen *) Gedicht nicht befremden darf, da selbst der eiuiste Hexameter sich diese Deh- nun«^ gestattet. Die alten Metriker und Musi- ker bestimmen dieses Verhältniss deutlich, gleich- •wol haben spätere Metriker diese ganz klare

*) Der Sotadische Vers scheint in den quantitlrenden Rhythmen das zu seyn , was der Saturnische Vers unter den accentirten , und unter den gereimten der Knittelvers ist. Der vielfache Wechsel der me- trischen Formen , den er gestattet, machte ihn vor- züglich zum Improvisiren geschickt, und eben daher darf es uns nicht wundern , wenn er zur Aufnahm© mancher leichten Einfalle gebraucht Avurde, und wie unser Knittelvers schon durch seine Form eher auf Muthwillen, als Ernst deutete. Wie sein Grund- schema mit dem, des, ebenfalls zum ImproYisiren sehr geeigneten. Saturnischen Verses übereinstimmt, wird sich in der Folge zeige«.

9

i3o All jj eine in er iheil.

klare Saclie^mlt der tielsteu Dunkelheit bedeckt und verwixTt.

i46. Die griecliischen Metriker nämlich, z. B. Ari- stides, unterschieden vier Gattungen des rhytli- mischen ( genauer : metrischen ) Verhältnisses {yei'7j QvU^uixu ).

1. Das Yerhältniss von Eins zu Eins {ysvog iGOv), wenn Arsis und Thesis in Ansehung der Quantität gleich sind, oder genauer bestimmt, wenn der Rhythmus aus zwei Hauplmoraenleu besteht, deren jedes sich wieder in zwei Mo- mente zweiter Ordnung zerlegt. Hier bleibt unter diesen Momenten immer das Yerhältniss Eins zu Eins, oder was dasselbe ist: Zwei zu 2iwei, kurz ein gleiches Yerhältniss der Ar- sis zur Thesis. Dieses findet im geraden Me- trum Statt , zwischen Spondeen, vierzeitigen Puktylen und Antidaktylen.

147.

2. Das Yerhältniss von Zwei zu Eins {yivog dmluaiov) , wenn die Arsis zwei Zeiten enthält, die Thesis aber Eine Zeit. Allgemeiner ausge- di'ückt : wenn der Rhytlimus sich in drei Ilaupt- momente theilt, oder jedes Hauptmoment, es mögen zwei oder drei seyn, sich in drei Mo- Hienle zweiter Ordnung zerlegt. Hierzu gehört also das uneerade und das i^emischtc Metrum.

Gemengtes Metrum. i3i

i48.

5. Das Verliältniss von Drei zu Zwei {yspog 7]f.uohov) , wenn ein Moment drei Zeiten entliäk, das Andre zwei, der ganze Rhythmus also fünf- Zeiten.

Man sieht leicht, dass sich hier ein Dop- pelsinn in das Wort Zeit eingeschlichen, der Verwirrung hervorbringt.

Aus der Natur des Rhythmus ergibt sich, dass die Entgegensetzung von drei und zwei, nicht in den Hauptmomenten vorkommen kann, denn, wiewol sich das \ erhäilniss des Bildes zum Gegenbilde durch grössere Extensität aus- drücken kann, so kann doch auf diesem Punkte, wo für unsre Sfäre die Zaltnreihe erst entste- hen soll, nicht aus der empirisch vorhandenen Zalenmenge ein beliebiges Verliältniss aufgenom- men, und willkühi'lich festgesetzt werden, son- dern das \erhältniss muss das ursprüngliche seyn, welches den andern Zalen zum Grunde liegt, nämlich das, von Zwei zu Eins. Unter den Hauptmomenten kann mithin kein andres Yerhältniss vorkommen, als Zwei zu Eins, oder Eins zu Eins. Jedes zusammengesetzte Verliält- niss deutet allemal auf Momente späterer Ord- nung.

149.

Aus dem ungeraden Metrum würde das Ver- hältnlss von Drei zu Zwei nur so eulstehn kön-

4 Ji A 1 1 g e m L' i n e r T Ji u i 1.

neu, dass das lange Moment sicli in drei, dai kurze in zwei Momente zerlegte:

J J^

Wir werden dieses Verhältniss in der Folge (207) näher zu betrachten Gelegenheit finden.

100.

Aus dem geraden Metrum haben wir dieses Verliäitniss oben (i43) als eine der, in seiner Totalität enthaltenen Formen entwickelt:

j J

,> > ^ > >

am e m e Diese Entwickelung zeigt, dass im hemiolischen Metrum zwar fünf Theile, aber nicht fünf glei- che Thtile, oder fünf Zeiten enthalten sind. Denn, reflektirt man auf die gerade Theilung, so enthält der Rhythmus Vier Zeiten, wovon aber Zwei in drei Momenten (Klangen, Noten) erscheinen, als Triolen, wie man es gleich all- gemein verständlich ausdrücken kann; reflektirt lüan hingegen auf die ungerade Thcilung, so sind, es Sechs Zeiten, wovon drei in xwci Mo- menten (Tönen, Noten) erscheinen, und also dieselbe Zeit in ihrer Zweiheit erfüllen, welche ihnen als Dreiheit zukommt. Worauf man also auch reflektire, so bleibt in beiden Fällen das Lild dem Gegenbildc dei- Quantität nacli gleieli, und

Gemengte s Metrum. i33

an einen Fünf-Achtel oder Fünf-Yierlehakt ist nicht zu denken, so wenig als in folgender mu- sikalischer Figur :

\—^-v—Jv- h- -y

Es begegnete hier dem Aristides, dass er die Töne (Sylheu) mit den Zeiten verwechselte, und die fünf Klange im gemengten Metrum (y. -lij-Hohov) für eben so viel Zeiten ansah. Dieser Irrthum verfolgt ihn auch noch weiter. Denn wie er das yivoq laov und dinXuaiov richtig durch das Maas bestimmt, so betrachtet er im '/fvos ■j'jfuohov und tniTQaov die Zal, und verwechselt sie stets mit dem Maas.

i.'n. Dass in dieser Ableitung der Sinn des Ari- stides nicht verfehlt sey, beweiset die Messung des Päon, dem Aristides das hemiolische Ver- hältniss zuschreibt. Wir haben seine Messung (ijo) so bestimmt:

J. i^.^i"

«•» uy «^ Da nun die Länge dieses Päon bei den Dich- tern auch in zwei kurze Sylben aufgelös^t, vor- kommt ;

> ^ A N ^

m m m

<Tf rroTf Jteg

O wie sich im ('re-saii/'

i54 Allgemeiner Theil.

SO zeigt sich hier das hemiolische Verhähniss des Päon, und der wahre Sinn seines lihyth- mus, der aus zwei einzeiligen Kürzen statt der Länüre nicht vernommen werden kann. Dasselbe hemiolische Verhältniss wird bleiben, wenn man die Theilung in Zwei dem letzten Moment gibt

N ^ |S N I\ 0 9 «

,^ «^ s../ t-' W

wodurch der aufgelösete vierte Päon entsteht.

i5-2. 4. Das vierte Verhiiltniss, welches Aristides angibt , ist wie Vier zu Drei ( yevog entT^nov ). Die Ableitung dieses Verhältnisses aus dem un- geraden Metrum wird sich bei diesem bewäh- ren. Wir lassen daher die Erklärung des epi- triiischen Verhältnisses bis zu Erläuterung des ungeraden Metrum ausgesetzt, denn jede Er- klärung steht an dem Ort am schicklichsten, wo sie am besten vorbereitet ist.

i53. Bei genauer Betrachtung des hemiolischen, oder gemengten Metrum zeigt sich, dass es al- lerdings von der Theorie erwähnt werden muss, dass aber sein Gebrauch sehr beschränkt ist, und so wenig eine besondre Galtung des Me- trum nöthig macht, als die Einmischung von Triolen eine besondre Taktart. Selbst die zwei- getheilte Auflösung der Länge des Päon ("^Jr" ^^S}

Ungerades Metrum. i35

bekommt durch die Kraft der Arsis leicht ei- nen Schein trochäischer Bewegnng, und so wird sich der Päon immer zu den Gattungen des ge- mischten Metrum zälen lassen , dem er seiner Natur nach angehört.

Ungerades Metrum.

i54. Die ursprüngliche Form des Rhythmus im ungeraden Metrum ist diese: J j^, oder in me- trischer Bezeichnung _ ^. Sie verwandelt sich durch eine neue' Zerlegung der Arsis in diese Form J^ j^J* ^^ w «, welche, da sie wieder aus gleichzeitigen Momenten hesteht, ohne Quanti- tätbestimniung ist, und blos durch den Accent d a a rhythmisirt.

i55. Aus dieser doppelten Form des ungeraden Metrum entspringen zwei Gattungen desselben. Betrachtet mau die Form a a a als quantität- los, und jedes Moment derselben als fähig, sich in Momente zweiter Ordnung zu zerlegen, so entsteht die eine Gattung, in welcher sich die Hauptniomenle gegen die Momente zweiter Ord- nuni; als Längen charakterisiren.

'o

A A J J

a a a a a a j ' r -i ' j ' j " j

^ ^ > > > ^ \ g » »

a36 Allgemeiner Theil.

Betrachtet man hingegen die Form JJ^ _ «, so ist schon in den Haup tmomenten selbst ein Quaiiiitätverhältniss der zweizeitigen Arsis ge- gen die einzeitige Thesis vorhanden. Löset sich also die Arsis auf, so sind die sämmtlichen drei Älomente Ct—T S) als Kürzen charakterisirt.

i56.

Wir nennen deswegen die erste Gattung das schwere ungerade Metrum , welchem in der Musik der Dreivierteltakt zur Seite steht. Die zweite Gattung nennen wir das leichte unge- rade (oder dreizeitige) Metrum, dem in der Mu- sik der Dreiachteltakt entspricht.

Der charakteristische Unterschied beider Gat- tungen ist, dass die schwere Gattung, weil die Kauptmomente selbst Längen sind, die Zusam- menzieh ung nicht gestattet, dahingegen die leichte Gattung schon ursprünglich die ersten beiden Momente zusammengezogen enthält, nämlich in der Grundform J J^, woraus erst J^ ^ J^ entsteht.

Von dem schweren ungeraden Metrum.

157. Wenn die Hauptmomente des schweren un- geraden Metrum sich in zwei gleiche Theile zeilegon (Franchino's prolatio imperfecta e tem- pore; perfeclo), so entstehn durch den Wechsel

Von dem schweren ungeraden Metrum. y'Sn

der Momente beider Ordnungen, vorzüglich fol- gende Formen:

1. Die molossisclie: jJJ> in metrischen Zeichen _ _ _, welcher Fuss bekanntlich Mo- lo ssus heisst, daher man auch das schwere dreizeitige Metrum selbst von dieser Grund- form das molossischc nennen könnte. Ob übri- gens Verse aus lauter wirklich molossischen Füs- sen vorkommen, und ob der von Diouysius an- geführte :

£0 Zrivog xac Aridag 'AaXXiaroi GbirtiQfg

Weh , -weh uns ! ruft ringsher unmuthvoU Angstausruf ^.^u Voss

ein molossischcr 5&iimeter, oder spondeischer Hexameter sey, gehört noch nicht hieher.

i58.

2. Die schwere ionische Form JJJ^J^ metrisch , v^. Es ist hierbei eine Bemer- kung nöthig. Die Grammatiker unterscheiden zwei iouiscbe Füsse. Den sinkenden loniker (lonicus a maiore) , der mit den langen Sylben anfangt _ _ ^ ^, und den steigenden lonikcr (lonicus a minore) , der mit den kurzen Sylben

anfangt ^ w- , und zwar im Auftakt w ^ | ,

wie alle Beispiele zeigen. Metrisch ist also der steigende loniker vom sinkenden nicht ver- schieden , denn eine Pieibe steigender loniker

i38 Allgemeiner Theil.

ist gleich einer Reihe sinkender mit dem Auf- takt:

Allein die prosodische Gestalt des lonikers,

welche das gewöhnliche metrische Zeichen ^ ^

darstellt, kann auf zweierlei Art metrisch vei'- standen werden: entweder J J^ ^ J^, wo wir die ionische Form des gemischten Metrum wieder- finden; oder so JJJ^g", welche wir ehen als schwere ionische Form im molossischen (oder schweren ungeraden Metrum) nachgewiesen ha- ben. Beide Formen lassen den Auftakt von zwei Sylben zu: die 1 eichte, ionische (so nen- nen wir der Kürze wegen die ionische Form des gemischten Metrum) , z. B. im Anakreonti- sehen Vers:

^W I V.W I

Ä Ä I I > ^ ^ 1 i 1

xuTtt y.iaaoiGt ßQffiovTug

in dem Lenz fröhlicher Jugend

die schwere ionische in den Versen, die als steigende Joniker aufgeführt werden, z. B. :

miserai' est nequ' amori (las so furclitbar wie der Ausspruch Nicht also der Auftakt, sondern die innre ver- schiedene Bewegung bildet die Verscliiedenheit

Von dem schweren ungeraden Metrum. iSg

beider Formen. Indessen bemerkt man bald bei Vergleichung mehrer Beispiele, dass die schwere ionische Form mehrenlheils mit dem Auftakt vorkomme. Der Grmid ist leicht einzusehn. In der schweren ionischen Form ist die erste Kürze eine Arsis (nämlich zweiter Ordnung im aufgelösten dritten Hauptmoment) , in der leich- ten Form hingegen eine ganz accentlose The_ «is (4^). Soll der Charakter jener Arsis nicht verloren gehn oder verdunkelt werden, so muss sie von der vorhergelienden Lange gesondert eintreten, sie bildet daher den Auftakt zu dem folgenden Takt, und um die Reihe vollzäiig zu machen, nimmt dann auch der erste Takt die beiden Auftaktsylben an. Vernachlässigt man die Hebung der erwähnten Arsis durch Absonderung von der vorhergehenden Länge, so geht die Bewegung sogleich in die leichte ionische über. Dies ist vier Fall bei Iloratius':

patruae verbcra liiiguae

welches wegen der ganz accentlosen Mittelsylbe in verbera in die Bewegung

"^ ^ I J '^ ^ > I J J tr m^ \ ä. ä. 0^ 4 \ ä. ä

patruae verbera linguae Übergeht.

Durcli diese Bemerkung dürfte unsre Be- nennun,;^ : schwere iouis( he Form, gerechtfertigt

110 .'Mlgem einer The i I.

seyn. Daas Verse, in dieser Form gesclirieli«;!!. dem Dreivierteltakt angehören, ist wold nicht zu bezweifeln, und dass die steigenden lonlker der Grammatiker zu dieser Form gehören, zeigt der Gruudfuss dieser Verse,

k«<«ti> I ^r '^ I

der selbst nach der zweizeitigen Langenmessung der Grammatiker und Hermanns,

\ * 9 e » IJJ einen ganz unverkennbaren Dreivierteltakt gibt. Was soll man nun aber zu Hermanns Behaup- tung (Allg. Mus. Zeit. 1809. S. 295) sagen: „Es gibt Taktarten, die, so wenig sie auch auffal- lendes haben, doch in keinem griechischen Rhythmus vorkommen, z. B. die vom Verfasser der erwähnten Abhandlung ( über E.hyth. und Metr.) angenommenen molossisclien Rhythmen, welche | Takt haben." (Es steht zwar | Takt, allein offenbar ist dies ein Druckfehler, denn in jener Abhandlung ist wie hier, das molossi- jjche Metrum dem | Takt gleich gesetzt.) Also gab es im griechischen Rhythmus keinen Drei- vierteltakt, und doch folgenden Vers:

^^|M >>|ji ^^1JJ >'^!Jj

iixt deilav, ffie iiuGav Y.c.noraTMV Ttidey^oiauv. iniscrar' est nequ' amori dare luduni , nequ<; dulci Was ermalint ihr zu dem Siegvsmahl um dem KrouhirscJi mich, den Waidmanu Voss

Von dem schweren uiigeiaden Metrum, i4i

oflcr wären diese, doch gewiss nicht unbekannte Rhythmen , selbst nach dem Hermann'schen Handbuch, anders als im Dreivierteltakt zu mes- sen, und also, nach der angegebenen Benen- nung, nicht molossische Rhythmen? Solche Behauptungen muthen doch wirklich dem Le- ser zu viel Vergessenheit und Geduld an.

169. 3. Die schwere choriambische Form: J J* J^ J ^^ metrischen Zeichen _ ^ ^ _. Sie unterscheidet sich von der leichten choriambi- schen, im gemischten Metrum «"^ j^J^J , wie die schwere ionische von der leichten, nämlich durch die Arsis auf der ersten Kürze, statt welcher die leichte Form eine ganz accentlose Thesis ( ^) hat. In einzelnen Yerstakten kann sie allerdings vorkommen, z. B.:

.VIJJ.\NJ.N^J JJ.V J

Wo der Goldthron und der Prachtobelisk hinstürzU

in den Staub.

und eben sowol in ganzen Versen, wiewol diese seltener gefunden werden möchten.

160. ' Die andern Formen des molossischen Mc- Ivnm

J^J^mJ metrisch: S ^

N N N N ' I

* metnscli? ^ ^ ^ ._ ..

i4a Allgemeiner T li is i l.

J^J^JJ^J^ metrisch: ^ w _ ^ « Jj^i'^J^J^ metrisch: _ ^ ^ ^ ^

j^«r«r/j^j'^ metrisch: ^ ^ J. ^ s^ « erklären sich und ihre Messung von selbst. Auch findet man mehre von ilineu in Versen des molossischen Metrum, z. B. in schweren ionischen :

wo das Kriegsheer um die Freiheit von Germania sich den

Tod focht

oder :

^^ I . ^ |_^^_,_^^:,^ ,_

In dem Labirint der gewaltigen anstürmenden Melodie Man sieht aus diesen wenigen Beispielen, dass auch das molossische Metrum nicht arm an wechselnder Bewegung ist, dass aber der Dich- ter sor^^fältig wachen müsse, damit nicht der Charakter dieses Metrum verdunkelt werde.

Vom tripodischen Metrum.

161. Mit diesem noch ungewöhnhchen Namen, benennen wir ein Metrum, welches bisher in den Theorien eben so unbekannt war, als diese Benennung.

V o m tripodischen Metrum. i43

162. Die Hauptmomente können sich im schwe- ren ungeraden Metrum von neuem nach der Regel des ungeraden Taktes zerfallen: A A A J. ,1 .1

d a a d a a d a a ^^^ /^>J^ ^J^J^ und so entüleht das Verhältniss, welches dem Neunachteltakt entspricht: Franchino's prolalio perfecta ex tempore perfecto.

i63. Wiewol dieses Verhältniss ganz natürlich aus dem Wesen des lUiythmus hervorgeht, und, in der Musik längst hekannt ist, so hat es doch noch kein Melriker erwähnt, und \ erse danach gemessen. Dass aher eine hedeutende Anzahl Ycrse nach diesem Metrum gemessen werden müssen, z. B. die dochmischen:

(pavi^Tü) fX0()(fiv 0 nuUuarffiOiV S o p h o k I.

Wer lnns!hvv;md in Cram und Mühseligkeit Voss.

wird die besondre Ausführung der einzelnen Vei'Sgaltungen zeigen.

i64. Wir nennen dieses Metrum das tripodi- sche, weil jede metrische Periode desselben drei Zeilfüsse durch die Zcrtälkmg der Haupt-

14«* Allgeraeiner ThaiL

momcnte erliält. Da wir das gemlsclite Metrum, wclclies Perioden von zwei Füssen enthalt, nicht das dipodische genannt haben, so kann jene Benennung mit Recht unschickJich genannt werden. Sie ist aber hier provisorisch vorgezo- gen Avorden, um die Aufmerksamkeit auf das Fremdartige in dem Maas dieser Periode zu richten. Richtiger würde dieses Metrum das molossisch-tribrachische genannt werden, oder das neunzeitige.

i65. Angedeutet wird dieses Metrum von Aristi- des, wo er die epit ritische Gattung des Rhythmus (yevog iixiTQixov) erwähnt, dessen Ver- hältniss Vier zu Drei seyn soll. Nehmen wir an, dass bei dem tripodischen Metrum, wie bei dem gemischten, auch eine Untermengung (i4:3) Statt finden könnte , so entstehen , Avenn zwei Mo- mente sich nach der Regel des geraden Rhyth- mus theilen, das dritte aber nach der Regel des ungeraden, folgende Formen:

A A A J. J. J.

a a a a aaa ^^ J^/ ^^^

aaa a a a a J^J^J^ J^J^ j^ j^

a a aaa a a «'^ ^««i

in deren erster man das Yerhältniss Vier zu Drei erkennt, wenn man die ersten beid(;n Mo-

Vom tilpodi scheu IMetrum. i45

mente zusammcnzlelit, und gegen das dritte

hält: _=_

J '.'' « « « J Dieses ist also das yevog (tiitqitov des Aristides^ welches indessen nach seiner Versicherung sel- ten gebraucht Avorden ist, auch gibt er keine Beispiele davon.

166. Man sieht, dass Aristides dieses Verhältniss, so wenig, als das heniiolische in seinem wahren , Grunde fasslc. Beide waren ihm bloss Zahlen- Verhältnisse, und daher entgingen ihm, beson- ders bei dem genus epitritum nicht allein die beiden andern (löf)) angegebenen Formen, son- dern auch die ganze zweite Seite des Verhält- nisses.

167. ^

Es können nämlich zwei Momente sich zu

drei Theilen zerfallen, und nur Eins in Zwei,

wodurch folgende drei Formen entstehen:

A A A J_ J_ J_

aaaaaaaa ^^'^ j^j^'^ ^^

«•« •«• dm

aaa a a aaa ^ ^ ^ J^ J^ ^ ^ d^ a a aaa aaa > ^ J" J^ J^ ^ J^ J^ die bei Zusammenziehung der ersten beiden Momente, das ^ erliältiiiss der Hanpiarsis zur Hauptthesis Avic Fünf zu Drei, oder Sechs zU' Zwei angeben v>iirdcn.

10

Allgemeiner Theil.

168. So wenig als bei dein hemiolisclien \erhäit- niss ist CS nöthig, wegen des cpitrilisclicn eine besondre Gattung anzunehmen. Die Verse, wel- clie das walu'e epiti'itische Verhältniss zeigen, Werden nach dem schweren ungeraden Metrum gemessen, und die drei Theile des einen Mo- mentes als Ti'iolen betrachtet. So lässt sich der Strophus nach gleichem Maas mit dem schwe- ren Choriamben messen:

j\N J J«^M Jj^v^ J 1 JJ.^N JJ

In des Festmahls dithyrambischen Gesang tönt laut der

Pokalklang

und eben so der Dasius (w w w ) nach dem

Maase des schweren lonikei's, unter diesen so- wol ;

m e \ » e e o 4 \ e s a m \ tt

und es stürmt laut zu dem Olymp auf das Geschrei als auch allein :

.N\NJJ/j\NJJj\^.NJJ

KBVBu nvcvauig ertöne itto/i>o> ß^ci'/v ti Tiffnvop

rind. Ol. X. A. 5. O wie der Festwein In dem Pokal hier zu Melodi«

weck t ! Voss

Vom trjpodischeii Metrum. i47

ohne dass man ein besondres Metrum dafiii* anzunehmen braucht.

169. Ist hingegen neben zwei Dreigetheilten , nur Ein Moment zweigetheilt (167), so werden dcr- gleiclien Yerse nach dem tripodischen Metrum gemessen , und die zwei Aclitel erfüllen , wie bei dem hemiolischen Verhältniss, dieselbe Zeit, wie die drei Achtel der andern Momente:

J J JJ J J J J

Vw/

Ein Beispiel solcher Messung fludet sich in man- chen Formen dochmischer Yerse , z. B. :

j>>JS> ,>

«0 « « « «.

I I H

in der Vergötterung und in mehrern andern.

170. Wie bei dem gemischten Metrum, so kann auch bei diesem der Tribrachys sich in den flüchtigen Daktylus verwandeln, so, dass nacli der geAvöhulichen metrischen Bezeichnung ein Pyrrhicliiu.s von gleicher Dauer mit dem Dak-^ lylus seyn kanu , z. B. : t

»-' 1 »i* s«- . ».^

Gv de -jiu^' oipiyovov in dein vertraulichen Taiiz

i84 Allgemeiner Theil.

was unter den dochmisclien Formen vorkommt. Kennt man die wahre Messung niclit, so macht der Doppelanapäst mit dem Auftakt fi-eilich eine etAvas sonderbare Figur, oder der Daktylus gibt den Metrikern Anstoss, die, den Rhythmus mehr sehend, als hörend, die Identität des flüchtigen Daktylus mit dem Tribrachys nicht fassen.

171.

Die einzelnen Formen des tripodischen Me- trum sind zu mannigfaltig, um hier, wo wir nur im Allgemeinen davon handeln, ausgeführt werden zu können. Sie entstehn durch den Wechsel dieser vier Formen:

J, J, J. metrisch ^ ' _ _

J .> i j" i j" ------

'S 'S>^N>>>> ••••• «••

i'^ Ä > > Ä > ^ 1^ j^

und werden im besondren Theile, bei Erörte- rung des tripodischen Metrum, im Einzelnen Letraclitet werden. Man erkennt, um dieses vorläufig zu bemerken in der trochäischen Foi*m :

'O

den ilhyfallischen Vers:

veris et FavonI

Weil der Mond lierabLlictt"

wenn dieser nicht vielleicht dipodische Mes- cung hat:

Vom trJpodischen Metrum. l4g

^ w >»' I •-

J .N jM J. J.

Lenzgesang im Buchhain «lies ist der Fall in dem Vers: ^

;>.Vj\V 1 .Wi\'*.N J .N .M J. J.

Solvitur aeris hieras grata vice veris et Favoni Lieblicher grünte die Flur und es zwitscherte Lenzge-, sang im Buchhayn

In folgendem Vers liingegen hat er unbc-« z>veifelt tripodisches Maas:

0 e J ^ » I s m d m «• Inniger iu dem geflügelten Wirbeltanz umschlungen

Von dem lelchlen ungeraden Metrum; 172. In dorn leichten ungeraden INIetrum kom- men unter den llauptmomenten seihst folgende verschiedene Formen vor:

die Irochäische: J ^ metrisch _ ^ die irihrachische : 2" m m metrisch J, ^ w die flüchtig daklyhsche: ^}.^ metrisch _ ^ ^ Die Form J. kann nicht vorkommen, ^veil durch diese Zusammenziehung beider llauplmomeute

i5o Alli^'emeiner Tlieil.

in Eine, die Verschiedenheit aufgehoben wer- den würde, ohne welche der Rhythmus nicht Statt finden kann.

175. Es fällt in die Augen, dass die Form J^'^ ]^ zwischen der Natur der Hauptmomenle , und der ' Momente zweiter Ordnung schwanke. Die beiden ersten Achtel gehören einer sj)ätern rhyth- ini sehen Zerlegung an (92), das dritte hingegen ist offenbar Hauptmoment. Wegen dieser Na- tur der Hauptmomente, kann bei dieser Form, wiewol die Quantität sich schon in der Zusam- nienziehung zeigt, noch eine besondere Zerfäl- lung Statt finden, nämlich:

J .>

-T J" .^

und durch diese Zerfällung entsteht unter meh- jen Formen vorzüglich der P a r a p ä o n (_ ^ ^ ^ ^ »^,^,nJs), der sich durch Zusammenziehung des ersten Achtels mit dem ersten Sechzehntheil

^ ». »^ o^ J^ - >^ ^ ^) in eine Art P ä o n ver- wandeil, den wir den trochäischen, oder pa- rapäonischen nennen müssen, weil er sich durch den Accent auf der vorletzten Note, z. B. kriegerische, A^on dem ersten Päon, der den accent auf der dritten INole vom Ende hat.

Von dem leichten ungeraden Lletrum. i5i

z. B. göttlichere , unterscheidet. Diesei' para- päoi'ische Rhythmus, würde sich aus der Zer- fälhmg des Molossus _ ^U" "LT J i" ^ ^ ^ schon wegen seiner grösseren Fhichtigkeit nicht ahleiten lassen. Die genauere Bestimmung die- ses Päon kann erst später (207) deutlich werden.

174. Mit diesen, hier aus der Grundform des Pdiythmus abgeleiteten Gattungen, ist der ganze Cyklus der metrischen Formen beschlossen, und wenn unsre gegebene Ansicht die richtige ist, so müssen alle vorkommende Rhythmen auf eine der angegebenen Formen sich zurückführen, oder, was dasselbe ist, alle möglichen Rhyth- men müssen sich aus diesen Formen entwickeln lassen.

175. Unsre Theorie hat daher nicht nöthig, ne- ben den regelmassigen Galtungen des Rhythmus ■noch unregelmässige {yfvt] akoya) anzunehmen. Was mithin bei den IMcirikern unter den jNa- men versus jiolyschematisti, {.ur^ex '/.ax uvrma'&fiav 'fimTa n. d. g. vorkommt, wird zwar in histori- scher Rücksicht dem Siim dieser Metriker ge- mäss erklärt werden, doch muss es in dem Sy- stem selbst seinen Platz, wie jeder andre Rhyth- mus ünden.

j32 Alli^emcinerTheil.

Accentirejiflc und quanlltlrencle Pihythmen.

176. VlcUeiclit ist es nicht ganz unnützlicli, liier zu erinnern, dass jetzt noch nicht von Versen, sondern nur von Rhythmen im Allgemeinen, ohne Beziehung auf Sprache, die Rede ist. Be- vor wir vom Vers hanJehi können, muss die Betrachtung des Rhythmus an sich geendet seyn, und wenn hier und da Beispiele in Versen schon im Voraus gegeben werden, so geschieht dieses nur, um den Satz zu erläutern, Avas durch Beispiele aus der Musik zuweilen zu um- släudlich seyn wüi'de.

177. Es ist schon mehrmals Gelegenheit gewesen^ zu bemerken , dass unter einzehien Momenten derselben Ordnung kein Quantitätverhältniss Statt findet, indem alle Quantitätverschieden- heit nur unter folgenden Bedingungen entsteht:

1) bei dem geraden Metrum durch Wechsel der Momente verschiedener Ordnungen,

2) bei dem ungeraden Metrum

a. in der Grundform selbst, nämlich j J^ in metrischen Zeiclien _ ^,

h. durch Wechsel der Momente verschiede- ner Ordnxmg: z. B. J. ^ ^ ^^ otler me- trisch _ J, ^ ^,

Accentirende und quantiiireude llLytlimCn. i55

c. durch beides in demselben Rhythmus

vei'einigt: z.B. j^ J J^ metrisch bezeichnet

178.

Wo keine dieser Bedingungen eintritt, ist bloss der Accent das rhythmisirende Prineip. Dahin gehören alle Rhythmen , die sich in Mo- menten derselben Ordnung bewegen , z. B. : da da da d ' d a a d a a d a a d a Es ist dem Missversthndniss ausgesetzt, Beispiele des accentirten Rliythmus in Versen zu geben, weil die verschiedene prosodische Quantität der Sylbeu leicht durch einen Irrthum auf die me- trische Quantität des Rhythmus übergetragen werden möchte. Wir müssen also die nöthigen Beispiele aus der Musik wählen, oder doch aus solchen \erseu, welche Avir gcAVohnt sind mit der Musik za denken. Der Toiu-hythmus

bewegt sich bloss in Momenten derselben Ord- nung (in Sechzehulheilen), gleiehwol wird er durch alle Tonveränderungen selbst in der Um- kehriiiig:

i5i Allgemein er The iL

und eben so in der Trausposition in eine an- dre Ordnung der Momente (per augmenlatio- nem oder diminutionem)

^^^

einzig an seiner rhythmischen Bev/egung wieder erkannt. Da aber alle Momente desselben von gleicher Quantität sind, so ist einzig der Ac- cent, nicht die Quantität das rhythmisirendc Princip dieses Rhythmus.

Hier zeigt sich nun, dass die Musik dem Rhythmus einen ungleich grössern Spielrciam gewährt, als der Yers. Der Musik nämlich steht das weite Gebiet accenlirter Rhythmen of- fen, weil sie ihren rhythmischen Stolt', den Ton, unbestimmt findet, und ihn also i^^t^i so wol aus derselben Ordnung der Momente wä- len kann, als aus verschiedenen. Der \er.s- künstler hingegen findet in den Sylben der Wörter schon grösstentheils Momente verschie- dener Quantität (denn Verse, wie der vöu Voss angeführte (y- ^'orv- Jl. (^^./ y'>r^. ^/^- f^J

Xtyi Ss av tcara rtoöa veolvra fiilia gehören selbst in der griechischen Sprache zu den Seltenheiten uii/d Ausnahmen.) Kr ist da-

Accentirende und quantiü'rende Rhythmen. 3 55

her in den prosodiscli gebildeten Sprachen, \on dem Gebiet der bloss accentirten Rhythmen ausgeschlossen, in A^elches nur die Musik von neuem den Ycrs einführen kann, indem sie die Quantilätbestimmungen aufhebt, und in Quali- tätbestimmungen umwandelt, so dass die lange Sylbe dem accentirten (guten) die kurze, dem accentlosen (schlechten) Taktthcile gleich wird. Dieses geschieht am unzweideutigsten im Choral, dessen Melodie sich in Tönen von gleicher Quantität bewegt:

während die Sylbcu des Yerses prosodisch ver- schieden sind:

Nun sich der Tag geendet hat

denn auch hier sind Verse von prosodisch glei- tlrn Sylben , z. B.:

. I J J I J J I jp J

Dein Werk kann Niemand hindern dein' Arbeit darf nicht ruhn

Ausnahmen und Seltenheiten, die übrigens nur durch /iifall, aus ISichtachtung der Quantität entstanden sind.

Verse, bei welchen der Dichter nicht die Quantität der Sylben. sondern nur den Wort-

l5ö Allg emeiiier Theil.

accent beobachtet, nennt man daher, auch wenn gie nicht unmittelbar der Musik angehören, ac- centirte Verse. Es versteht sich dabei , das« diese Behandlung der Sprache nur bei, an sich sclion bloss accentirten Rhythmen Statt finden kann, und dass daher quantilirende Rhythmen, z. B. dochmische, gailiambische, und das weile Oebiet dier leichten ionischen , durch accentirte Behandlung , ohne Beobachtung der Sylbencjuan- tilät, gar nicht gebildet werden können.

*Das Gebiet der accentirten Rhythmen hat daher die Musik vor der Verskunst voraus. Allein in quantitirenden Rhythmen kann die Sprache im Vers es der Musik, bis auf wenige Ausnahmen, gleich thun, denn, sobald sie nur prosodisch hinlänglich ausgebildet ist, so bietet sie dem Rhythmus fast dieselbe Fülle und Ver- «cliiedcnheit metrischer Momente und Formen (in den Wortfüssen) wie die Musik. Daher fin- den wir auch wix'klich d«» R^hythmen unsrer bekanntesten Älelodien schon in den Versrhyth- nien der Griechen. Z. B. die Melodie:

finden wir unverkennbar im Rhythmus des Gal- liamljcn:

ü uie schön pranget die Jungfrau , mit dem Brautkranz

iu dem Haar

Accentirende und quantitirend« Rhythmen. i^-j

Folgende ;

?bi:^:

' ' f- t— / '

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-a -N-\t-^^^-i R-N- -^^M .-- 1 : y » tti— »-i.-i-

4 1 1 C LJ ^-^

in dem priapiJschen Vers und dessen Variatio- nen;

Fackeln leuchten dem Feiertanz Bacchos' heiliger Festnacht t)QiGTT]aa [isv Itqiov XtitTov fuxQov anoxlag

Schon vom Gebirg her schallet der Chor frölicher Jub«i-

lieder

VTt KvadevÖQadtov ocrcaXag ccanaXci-&ovg narcovTfg Frohrauschend ertönet dtr Hayn: Preis, Preis dir.

laccho»

Folgende :

t 1 '^ö >

im epionischen Verse (Metrum epionicura po- lyschcmalistiim)

Umkränzt dio Becher mit Efeu , mit Rosenblülcn das ll«ar

jj3 Allgemeiner T heil.

nnci so lassen sich zu jedem Rhythmus alter Verse, gleiche Melodien in unsrcr Musik nach- weisen, die milhin, in rhythmischer Hinsicht, der alten Musik nicht so unähnlich seyn kann, als die Melriker uns versicliern.

Accentirte Koloraturen qiiautilirender Illiyth- meu überlässt der Vers wiederum der Musik, und dieses um so mehr, da die Koloratur, wenn sie sich auch in gleich kurzen Sylben bilden liess, den logischen Sinn des Verses mit dem llliythmüs in Disharmonie bringen würde. Der Komiker findet indessen in einer solchen Be- handlung der Sprache im Khythmus einigen komischen Stoff.

180.

Ist es nun wahr, wie es denn wahrscheinlich ist, was die meisten Alterthumforscher behaup- ten, dass die alte Musik an die Poesie gebun- den war, und sich nicht als selbständige Kunst bewegte, wie in unsern Zeiten, so ist der Un- terschied zwischen alter und neuer Musik nicht zu verkennen, und mit ziemlicher Deutlichkeit zu bestimmen. Die alte INlusik nämlich be- schränkte sich auf das Gebiet quantitirender Rhythmen, und wir können sie, wenigstens in Ansehung des Rhythmus mit Sicherheit aus den alten V ei-srhythmen herstellen, wo wir sie bei den Griechen mit unserer Musik, wenn sie <juan-

Accentirende und quautItJrende Rhythmen. aSg

titirende Rhythmen bildet, sehr ühereinstim- mend finden werden. Allein das weite Gebiet acccntirter Pvhythmen, worin unsre selbständige Musik vorzüglich glänzt, folglich, wenn auch" nicht die Harmonie der Töne, doch die har- monische Behandlung der Rhythmen (der dop- pelte Contrapunkt) war der alten Musik fremd, mithin auch der weitere Umfang der Harmonie, den die neue Musik durch den doppelten CoH- trapunkt auszubilden Gelegenheit fand.

181.

Da nun im ungeraden Metrum eine ungleich grössere Zal quantitirender rliythmischcr For- men sich findet, als im geraden, so darf es nicht befremden, dass die alte Musik, wie die alten Ycrsrhythmen zeigen, sich mehr im un- geraden, als im geraden Takt bewegte, beson- ders da in der griechischen Spraclic (wie es auch iu der deutschen der Fall ist), die Zal der lldclitig daktylischen choriambischen und ionischen Wortfüsse, die der schweren beträcht- lich übersteigt. *)

*) Herr Direktor Gotthold in Küstrin (Taktlose LIu- sik, BcrI. Monatscli. 1809. Julius N. 3.) übersieht, ich -vveis niclit v.-aruni , überall die Eeweise , und nennt Sätze, die ans der Natur des Metrum abse- loitet sijnd , Froihftilen. Dns-; die Verse der Grie-

i6o AI 1 gern e jne r Theil.

182. Diese Eigenlieit der Musik (178), die Quan- titätverschiedenheit der Sylben accentirler Verse in eine Acccntverschiedenlieit umzuwandeln, ist von den , mehr gelehrt als musikalisch gebilde- ten Metrikern, als eine Willkiihrlichkeit ange- sehn worden, und, weil sie über den Unter- schied des accenlirtcn Rhythmus vom q^iantiti- renden, und über das Yerhältniss beider Gat- tungen des Rhythmus zu Musik und Sprache (oder Vers) durchaus nicht im Klaren sich be- fanden, so kamen jene Metriker auf die sonder- baren Behauptungen von der Beschaffenheit al- ter Musik, und von der Verderbtheit der neuen durch Abweichung von der prosodischen Syl- benquantität, wie man dergleichen in den Schrif- ten Isaac Vossius, Hermanns und andrer fin- det. Wenn man hingegen durch eine richtige Ansicht des R.hythmus den Accent als sein,

chen grösstentlieils Tripeltalct hören lassen, liegt in der Natur des quantitirenden Rhythmus, und ist ■ss'cder als Vorzug (wie Hr. Dir. G. mir Schuld gibt), noch aLs Tadel von mir angeführt, sondern als historisches Faktum. Warum wir Neuem, he- sonders im voUstimmigen Gesang, den geraden TakC dem ungeraden vorziehen, wird ausführlich erörtert ■werden, wo vom accentirten Vers besonders dia Rede ist, und von seiner Aufnahme in den Kirchen--' gPiang.

Accentirende und quantitirende Rhythmen. i6i

Grundprincip kennen gelernt hat, so darf es nicht befremden , dass selbst prosodisch gebil- dete Sprachen es lieben, ihre Prosodie zu ver-, gessen, und die Worte zu Bildung accentirtep Pvliythmen quaulitällos zu gebrauchen. So sind z. B. unsre modernen trochäischen und iambi- schen Verse , grö^istentheils bloss accentirt ge- dacht, und selbst der feiuhörende Dichter braüclit die Kürze weniger des Maasses wegen, als um die Schwäche des Takttheiles darzustellen. Der Vers z. B. : Bösen auf den Weg gestreut, hat zwar unbezweifelt das prosodische Maas:

und würde, als quantitirender Rhythmus von der Musik im Sechsachteltakt

behandelt werden müssen; allein Dichter und Leser hören ihn, ohne an der Quantität Anstoss zu nelimen, als accentirten Vers, und singen ihn unbedenklich nach der bekannten Melodie im Viervierteltakt. Durch diese Umwandlung der Quantitälverschiedenheit in Accenlweehsel, nimmt die Verskunst an dem Gebiet accenlir- ter Rliythmen Theil, welches ihr sonst fremd, und der Musik allein überlassen bleiben müsste. Wie eng und einseitig muss also die Ansicht der alten und neuen Musik und Verskunst bei jenen gelehrten Metrikern erscheinen, die, stall den Gewinn eines neuen Gebietes für die Vers-

11

l6a Allgemeiner Theil.

kunst, den kein Verlust früheres Eigenthumes begieilet, anzuerkennen, die Musik lieber auf den kleinem Theil ihres Gebietes, den sie mit der Yerskunst zugleich beherrscht, beschränken möchten, näraiich auf das, der quantitii'enden Gattungen des Rhythmus.

i83.

Es wird hier der Ort seyn, noch einige Irr- thünier zu berichtigen, die in Ansehung accen- tirter Rhythmen manche Verwirrungen in den Theorien hervorgebraciit haben. .

Die einseitige und empirische Ansicht des Rhythmus, nach welcher er in dem Verhältniss der Längen und Kürzen in einer Zeitreihe be- stehn soll, hat bei m;;nchen Theoretikern die Meinung hervorgebracht, als sei in Gesängen, deren Töne ohne Unterschied von Längen und Kürzen in gleichgemessenen Zeiten fortschreiten, kein Rhythmus zu finden. So trifft man, um gleich ein Haupibeispiel anzuführen, bei vielen Schriftstellern die Behau] tung: in den Kirchen- choralgesängen sei kein Rhythmus, weil ihre Melodien sich in gleichzeitigen Theilen , ohne Unterschied von Längen und Kürzen bewegen. Andre gehen in ihren Behauptungen so weit, dass sie in den Choralmtlodieen weder Rli^lh- mus noch Metrum annehmen wollen. Auf diese Weise, sagen sie, unterscheide sich der Cho-

Accentirende oder quantitireiide Rhythmen. i63

räl'^esang vom Mensural - oder Figui'algesang, in dem Ouautitätverscliiedenlieit Statt findet, und dem sie deswegen Rhythmus und Metrum zu- schreiben. Von diesem falschen Gesichtspunkte sind eine grosse Menge Urtheile über den Am- brosischen und Gregorischen Kirchengesang, und über die alte Musik, besonders der Griechen, ausgegangen.

i84. An- sich betrachtet, ist es keinem Zweifel unterworfen, dass der Pihythmus in seiner Grund- form {da) durch den Accent bestimmt werde. Allein, auch bloss empirisch angesehn, ist Rhyth- mus und Metrum in den Choi-almelodien nicht zu verkennen, und es gehörte die Hartnäckig- keit einer erlernten Theorie dazu, um beides in ihnen nicht zu finden. Man betrachte zwei ver- schiedene Choralmelodien, z. B. :

d 1 d d I d d I d d I ö

Ach Gott vom Himmel sieh dareiu und:

dlddld O Tramigkeit

wodurch unterscheiden sie sich denn, abgesehn vom melodischen Tonverhältniss, als durch den verscliiedenen Rhythmus , durch ihre verschie- dene Form in der Zeit? Koch auffallender ist

jG4 Allgcm e i ner T h eil.

es , wenn man Clioralmclodien von verscliletle- ner Bewegung mit einander vergleicht, z. B.:

C2cia\6a6\dat^\dad\aa

Lobet den Herren , deu inächtigeu König der Ehren und:

dlddlddlddld Ich hab' mein Sach' Gott heimgestellt Würden diese Melodien nicht als E.hythmen und im Metrum vernommen, so könnte diese ver- schiedene Bewegung in ihnen gar nicht wahrge- nommen werden. So fest aber setzt sich eine, nicht selbst erkannte, sondern auf Autorität an- genommene Meinung in der Theorie fest, dass man lieber an seiner eignen Wahrnehmung zwei- felt, ehe man dem Zweifel gegen sanktionirte, und oft nachgesprochene Meinungen Raum giebt.

i85. Betrachtet man die accentirenden Rhythmen gegen die quantitirenden , so ündel man bei ei- nigen Gattungen der letztern eine analoge Be- wegung mit den accentirenden, bei andern aber hört selbst diese analoge Bewegung auf.

186.

Es täuscht nämlich der Wechsel von stark

und schwach in einer rhythmischen Reihe leicht

mit dem Schein eines Wechsels von lang und

kurz, und so entsteht in der Bewegung acceu-

Accentirende und quantitirende Rhythmen. i65

tirter Rhythmen die erwähnte Analogie mit quan- titirenden. Z. B. in der Reihe:

d a d a d a d a hört man etwas der folgenden

älinliches. Eben so ist die Reihe: daa daa daa daa der daktylischen:

«^ « t' 4^ B g. ä^ 0 c. «^ « ähnlich, die zwischen accentirten und quantitl- renden Reihen das ISIittel hält. Glaubt man sie der schweren daktylischen Reihe

I > > I 'S > i ^ ^ I > >

gm» gm» gg» 00»

ähnlich , so beruht diese Meinung auf einer neuen Illusion, indem man die schweren iDakty- len von den leichten nicht unterscheidet, und was mau von den leichten als richtig fühlt, auf die schweren überträgt, welche die Theorie al- lein nennt.

187.

Es zeigt sich schon hieraus, dass diese Ana- logie nur dann Statt findet, wenn der quantiti- rende Rhythmus in derselben Ordnung der Mo- mente sich bildet , also, um gleicli den gewöhn- lichen und verständlichen Ausdruck zu brau- chen, in trochäischen und flüchtig daktylischen Rhythmen. Sobald Momente verschiedener Ord-

1

0 löG Allgemeiner Theil.

nung wechseln, z. B. in ionischen Rhythmen (J. ml ^ »)"> liört alle Analogie mit den acccn- tirenden P\^hythmen auf. Der quantitirende Khythmus hat zwar noch das Princip des Ac- centes in der Arsis und Thesis , auf welchem aller Rhythmus beruhet, allein der Wechsel mit Momenten in verschiedenen Ordnungen, giebt ihm einen Charakter, der von den Rhythmen, welche in derselben Ordnung der Momente wechseln, ganz verschieden ist.

188.

Wo nämlich Momente derselben Ordnung den Rhythmus bilden, da wechselt allezit die Arsis mit einem oder zwei thetischen Theilen, und der Arsis folgt niemals unmittelbar eine zweite Arsis. In dieser Art quantitirender Rhyth- men findet also derselbe Accentwechsel stp.tt, wie in den accentirenden Rhythmen selbst, und dieses begründet jene Analogie. Wechselt hin- gegen ein Hauptmoment mit Momenten der fol- genden Ordnung, so treffen zwei Avses unmit- telbar auf einander, wovon die zweite zwar eine Thesis gegen die erste Arsis , aber eine Arsis gegen die aus ihr entwickelte Thesis ist:

j. j :

Ars. Thpfl,

Arsia

Thesi«

Accentirende und (luantitirende Rhythmen. 1C7

Hicvdurcli -wird der Wechsel von Arsis und Thesis, der den accentirenden Rhytlimen eigen ist, unterbrochen, und mithin jene Aehniich- keit gestört. So erhahen diese Art Rhythmen einen von den accentirten ganz verschiedenen Charakter , -sviewol sie ar.f denselben Principien beruhen, welche vom Rhythmus im Allgemei- nen, vom quautilirendeu , wie vom accentirten gelten.

189. Aus diesem Verhältniss beider Gattungen von Rhythmen lässt sich ein Grund einsehen, warum ein grosser Theil der antiken Rhythmen von den Neuern weder Aernommen noch nach- gebildet worden ist, und wai'um die Nachbil- dung, wo sie ja unt^jrnommen ward, mehr auf den Schulgebrauch beschränkt, als in die Poesie selbst aufgenommen wurde. Man erinnere sich nur z. ' B. an die wunderlichen Messungen des galliambischen Verses, die bei Gelegenheit des CaluUschen Atys an den Tag gekommen sind. Wer kann wol in dem wunderlichen Fussgewrr:

>^ 1 ««<'— I W>— I -m^ ^mt

«.y W 1 *.««.'

das einige Erkliirer, (z. B. Werthcs) aufstellten, etwas versöhnliches finden, und wem, der den galliambischen Gesang :

ij>!:.\«s/ij.j.*/ij..\vij.

iGS Allgemeiner Theil.

oder in der üblichsten Art Catuirs:

Äl^M^'^ll i]^n!I !>>>>! •: m^ &^ \ ^ j 00 I J. j «^ ^ I ^ 0 j j I ;.

Super alta vectiis Atys celerfrate maria Wie erbebt im Glauz die Weinlaub'; a Beseliger, du er- scheinst Voss

nur einmal vernommen hat, kann es einfallen, dieses Metrum so, wie z. B. Werthes, zu be- zeichnen , oder gar zu behaupten , wie andre Filologfcn , der Dichter habe sich an kein be- stimmtes Metrum gebunden , sondern sich der Begeistrung überlassen, numeris lege solutis?

190. Die Neuern, an den accentirten Rhythmus, aus spater anzugebenden Ursachen, gewöhnt, vernahmen zuerst unter den antiken, quantiti- renden Versgattungen diejenigen, bei welchen die oben erwähnte Analogie mit den accentirten Rliythmen Statt findet, nämlich die trochäi- schen nebst den iambischen, und die daktyli- schen, nebst den anapästischen , und auch diese vernahmen sie nicht ihrer Quantität nach, son- dern gleichsam transponirt aus dem quantitircn- den in den accentirten Rhytlimus. iNur wo sie theoretisii'ten, unterschieden sie als lang und kurz, was sie in Wahrheit nur als stai'k und schwach (Hebung und 'Senkung) vernahmen. A s diesem Grunde blieben ihnen auch die deut- schen «Spoudeen unbekannt, denn sie hnvtcu

Accentirende und quantitirende Rhj-thmen» 1G9

ihre tlietische Länge nur als Senkung, und be- haudt'lleu sie als Trochäen, was sie in Anse- hung des Accentes wirklich sind, und so kann man begi'eifen, dass sie auch in den alten Spra-- fchen die Quaniilät der Sylben nicht hörten, sondern nur darum wussten. Für die zweite Klasse quantitirender Rhythmen fehlte ihnen jene aneignende Illusion, sie konnten daher diese Rhythmen niemals sinnlich vernehmen, so^^^rn sie mussten sich begnügen, theoretischer Weise ihre Regel zu finden und zu lernen. So fielen diese \ersgattangen lediglich der Schule an- iieim, die durch Untersuchungen dessen, was ohne sinnliches Ergreifen nicht vernommen wer- den kann, das nicht Erkannte auch unkenntlich machte. JNur auf diese Art vvar e möglich, dass Vorstellungen über alte Musik Eingang finden und bewundert werden konnten , wie Isaak Yossius, Meibom, Hermann und Andre der Welt vorgetragen haben.

Während die Gelehrten über alte Musik stritten , hatte die neue Musik sich längst in Besitz aller Rhythmen der alten Musik (i~3) gesetzt. Die Gelehrten aber, nicht ungleich je- nen Patrioten, die den lebenden Euripides vor der, von Mitbürgern gefertigten Büste prüften, und lür unächt erklärten, verwarfen, was die neue Musik hören liess , und erhoben ihr Fan- tom taktloser Musik, das dem, sonst verdientea

170 All gern einer Theil.

Meibom selbst ziu* Verzweiflung brachte, als er es aus der Schule, vor die Königin Christine in die Welt treten Hess. So gross ist aber die Macht der Gewohnheit, und der Bef|uemlich- keit , dass man lieber vergisst, was man besitzt, eh' man sich enlschliesst, es auf eine ungewohnte Art zu gebrauchen.

Von der VerschiedenKeit der Pihythmen.

191. Wir haben schon früher den Rhythmus eine Zeitfigur genannt, und dieses mehr im ei- gentlichen, als bloss metaforischen Sinn. Wie Figuren im Räume durch wesentliche Begrän- zung der räumlichen Dimensionen gebildet, und durch die Verschiedenheit dieser Begränzung unterschieden werden, so bildet die wcsentliclie Begränzung der Zeitdimension den Rhythmus, als Zeitfigur, und die Vei-schiedenheit dieser Begränzung wird die Verschiedenheit der Rhyth- men hervorbringen. Diese Begränzung erscheint aber als wesentlich, wenn nicht ein blosser Zeit- verlauf begTänzt wird, sondern eine Reihe von Momenten, in deren Evolution schon ein inne- rer Grund der Begränzung liegt. Wir bekom- men also drei verschiedene Bestimmungspunkte des Rhythmus als einer Figur in der Zeit, näm- lich: den Anfang, das Ende, und die Art

Von der rhythmischen Bewegung, 171

der Evolution, oder die . rhythmi sehe Be- wegung.

Von der rhythmischen Bewegung.

192. In den verschiedenen Formen des 'Rhyth- mus, welche wir (120 his 172) enlwickek La- ben, ist die Verschiedenheit der Bewegung, durch die Art, wie sich der Rhythmus metrisch evolvirt, aufgefunden. Die ionische Bewegung z. B. unterscheidet sich von der choriambischen, diese von der trocliäischcn u. s. f. Wir nen- nen diese Formen deswegen rhythmische Formen , oder'' Formen der rhythmischen Be- weguug, weil nämHch in ihnen die Verschie- denheit der E.hythmen in Ansehung ihrer Be- wegung sich zeigt.

195. Diese Verschiedenheit der Bewegung nennen wir rhytli misch, wenn sie unter verschiede- nen Formen desselben Metrum sich zeigt. So ist z. B. die Bewegung des flüchtigen louikers (^^•^•^•^) ^'"^1 ^^^^ ^^^' trochäischen DIpodie (Jj'^J*^) ihylhmisch verschieden, metriscli hin- gegen sind beide sich gleich. Wir nennen da- gegen die Bewegungen metrisch verschieden, wenn sie in verschiedenem Metrum Statt linden. So ist die Bewegung d<\s schweren Daktylus

172 ' All;^ e in ei n er Theil.

(J ^J') von der des Baccliius (j. JJ^) metrisch verschieden, rhythmisch hingegen sind Leide sich gleich. Die Bewegung des flüchtigen Cho- riamhcn (J^e^#^j. ) J'^t "von der, des schweren Daktylus zugleich rhythmisch und metrisch ver- schieden. Aus dieser Gleichheit und Verschie- denheit erklärt sich, welche Formen mit einan- der in rhythmischen oder metrischen Variatio- nen der Verse wechseln können. So ist z. B. jeder der drei folgenden Verse:

■^ s^ >^ I >^

Sjlvarumque virentiura Ahndungsvolle Bekümmerniss

] N 1 > I > ^ JS !

0 I «. «r 0 v

Stille ruht auf HLicel und Thal

Feiergeläut durchhaut die Flur

eine der vielen rhythmischen Variationen des glykonischen Verses, dessen Grundthema da« einfache

<— ' s^ I >i<

Klageton der Nachtigall

Von der r hyth'mischen Bewegung. 1^5

ist. Metrische Variation findet dagegen in fol-

genden Versen Statt:

I _ ^ ^ 1 _ w ^ I

j j^ ; I j .'' .N j j

Schon tönt der Gesang in dem Haus der Vermälung

.^ I J. J ; 1 J. .1 .N J. J j" I J. J 7

In rastloser Arbeit entfliehn uns die Stunden

deren einer denselben Rhythmus in derselben Bewegung nur in ein andi'es Metrum trans- ponirt.

194. Bei aller rhythmischen und metrischen Ver- schiedenheit dieser Formen, bemerken wir doch etwas, worin sie sich insgesammt gleich sind. Sie erfüllen nämlich alle dasselbe relative Zeit- maass. Dieser Satz scheint beim ersten Anblick allerdings etwas paradox, wenn man absolutes Zeitmaass vom relativen nicht sorgfältig genug unterscheidet. Deswegen bedarf es einer nä- hern Bestimmung.

195. Alle Momente späterer Ordnung bringen keine Vermeidung der Zeit iii das Moment, aus dem sie sich entwickeln, sondern sie be- stimmen durch ilire Zal nur, ob jedes von ih- nen die Hälfte oder den dritten Theil von dem

1^4 A llgemeiuer Th c il.

Zeitgelialte ihres Stammmomentes haben soll. Die Hauptmomente behalten daher dasselbe Zeit- maass, sie mögen sich in drei oder in zwei Mo- mente zerlegen, mithin ist nicht nur die Form

7] r^ §^"*^^i ^^^' ^^^'^ m JT3t und umge- kehrt dieser j"^ J"J^» sondern, was noth^vendig folgt, die Formen TJ] /J« ^^^ Ü si"d , sich rh^^misch gleich, Tvicwol sie im Metrum* verschieden sind.

In demselben Verhäitniss , wie die spatern Momente zu ihrem Stammmomenle, stehn nun die Hauptmomente zu der ursprünglichen Ein- heit, welche sich i'hythmisirt, d. h. in Arsis und Thesis zerlegt. Drei Momente oder zwei Momente mögen sich aus diesen evolviren, im- mer repräsentiren sie dieselbe Einheit, und ha- ben also, wo diese Einheit als Maas gilt, das- selbe Maas. Wir nennen dieses Maas, oder die- ses Zeitganze , welches entsteht, indem die Ein- heit sich rhythmisirt, abgesehn von der Zal der entwickelten Hauptmomente, die metrische Periode.

196. Wir wiederholen nun unsern obigen Salz (194) bestimmter: Alle rhythmischen Formen, welche wir metrisch entwickelt haben, sind sich darin gleich , dass jede die ganze metrische Pe- riode austuUt. Der schwere Daktylus also i^t

Von der rhythmischen Bewegung. 175

in seiner metrisclien Ausdehnung der trochäi- scheu Dipodie, oder dem Bacclnus gleich, und eben so auch der Tripodie, denn eins wie das andre erfüllt eine metrische Periode, oder mu- sikalisch ausgedrückt, einen Takt.

Aus diesen Sätzen läisst sich schon im Vor- aus begreifen , warum daktylische Pihytlimen nach Monopodien (Füssen) , trochäische nach Dipodien, und andre nach Tripodien gemessen werden, und dass diese verschiedene Messung der Verse zwar, wie Rufinus (Putsch 2712.) sagt, ein „altes Institut" sey, aber keinesweges eine willkürliche , sondern in der Natur des Rhythmus und des Meti*uni gegründete Einrich- tung.

In sofern jede rhythmische Form eine me- trische Periode ausfüllt, ist sie Form dieser Pe- riode , und wir werden daher , wo wir in die- ser Beziehung von ihr sprechen, sie auch die metrische Form, d. h. die Form der metri- schen Periode nennen. Denn Avir werden sehn, dass rhythmische Foi'men auch so voikomuien können , dass sie nicht zugleich Formen der metrischen Periode sind. So kann z. B. die choriambische Form rhythmisch vorkommen (z. B. im Worlfuss), wenn die metrische Form der flüchtige loniker ist:

ijb Allgemeiner Theil.

J. .^ J^.N J. j\'^/l J.N.M J.J.

Hallt Flötengetön lockender, als der Ruf des

Schlachtliorns

und umgekehrt ?<ann die ionische Form rhyth- misch vorkommen, avo der Choriamb metrische Form ist :

J^ .^ .'^ J. I .^ .!* j^ J / I J. J-

Lieblich in jungfräulicher Schaam arröthend Dieser Unterschied , ob eine Form an einer Stelle bloss rhythmische, oder zugleich metri- sche Form sey, wird sich in der Folge als sehr bedeutend zeigen.

198.

Die metrische Periode ist also ein Maas. So betrachteten sie auch die Griechen, indem sie den Fuss, oder die DIpodie, nach welcher sie den Vers maassen, fifr^ov, und den Vers selbst» nachdem er das Maas zweimal oder dreimal enthielt, Dimeter, Trimcter u. s. w. nannten. Sie ist aber ein Maas, nicht des einfachen Rhyth- mus in seiner Grundform, sondern des zusam- mengesetzten Rhythmus, der das Maas der Pe- riode überschreitet, also des Verses, mithin ganz das, was in der Musik der Takt ist (iy6).

Von der rhythmischen B e w f g u n g. \■J^

199- Wir haben hier eine erweiterte Bedeutung^ des Wortes Metrum gefunden, welche indessen ebenfalls in der Allgemeinheit des BegritFcs-, Maas, enthalten ist. Zuerst bedeutet Meti'um das Yerhältnissmaas der Arsis und Thesis, also die Mora {'/^opog, atjftfiov , tempus, Zeit), v als, das einfachste Maas der rhythmischen Grund- form. So wie sich die rhythmische Form er-/ weitert, indem jedes Hauptmoment sich wieder rhvthmisirt (d. i. in neue Momente zerlegt) , so wird das Hauptmoraent selbst zum INlaas der Periode, als F u s s. Daher die Periode Mo- iiot)odie , Dipodie, Tripodie ist, gleichwie das einzelne Moment eine Zeit, zwei Zeiten, oder: drei Zeiten enthält. Jetzt finden wir in noch- mals erweiterter Ansicht die metrische Periode selbst als Maas, des Verses nlimlich, der, wie-, derum als Maas eines Gedichtes betrachtet, eben-, falls Metrum heisst, z. B. das epische, saffivsche Metrum, wo überall der Begrifl' Maas in foj't- währender Erweiterung zum Grunde liegt.

Durch diese Darstellung werden die Begriffe: Fuss und Metrum hinlängliche Bestimmtheit er- halten haben. Dass auch aus diesem BegrifT von Metrum der Takt in jedem Verse nothwen- dig folge, wird sich schon als Vcrmulhung hier aufdringen, indem ja der Takt nichts anders ist, als das ursprüngliche, dem Bhythmus wcscnt-

12

1^8 A 1 1 g e m a i n u r T h o i 1.

liclie Proportionmaas dei* Grundform in seiner Erweiterung auf abgeleitete Formen bezogen.

200.

Indem unsre Untersuchung hier auf dem Punkt angelangt ist , wo der Begriff des Taktes als wesentliclier Eigenheit des Verses und mu- sikalischer Melodie uns von selbst sich darstellt, wird es, schon in historischer Beziehung, nÖ- thig seyn, zu erwähnen, welche Vorstellung die Gegner unsrer Meinung vom Takt sich machen.

„Eine unbefangene Ansicht der allen Metrik sagt Hermann, in der Allg. Mus. Zeit. 1809. N. 19. leitet uns geradezu auf die Behaup- tung, dass die alten Versmaasse mit unserni Takte nichts zu thun haben. Der Takt ist an sich kein nothwendiger Theil des musikalischen Rhythmus. Er ist nur ein Mittel, ohne wel- ches die jetzige Musik in ihrer Vollkommenheit nicht bestehen könnte. Denn da in ihr nicht nur eine Note mittelst der Theil ung durch Zwei in vier und sechzig Theile getheilt werden kann,'' (man sieht, Hr. IL ist 1809. noch so wenig über musikalische Notenzeichen und de- ren Zerfällung in drei Theile im Klaren, als 1799., wie schon (122) bemerkt worden ist), „sondern auch nacli einer Theilung durch drei Triolen, und nach andern Theilungen, andre Auflösungen zulässt; da ferner oft, oder fast im-

V o u der r 11 y l h m i s c ii e 11 li e \\ c g u n g. i -'y

mer mehrere verschiedene Khylhmen neben ein- ander herlaufen, und die Menge dersclLen oft noch gar durch die Anzal der begleitenden In- strumente vervielfältigt wird , " (hier wird die Unbekanntschaft mit der Sache zu einiger Dun- kelheit) ,,sü ist ein einziger, einfacher, sich durcliaus gleichbleibender Khythmus, welcher der des Taktes ist. unentbehrlich, um alle jene mannichfalligen Rhythmen und Veränderungen der Rhythmen zusammen zu halten. Wo aber nichts zusammen zu halten ist, wozu soll da der Takt? dies ist aber bei den Griechen der Fall."

IN'och unbefangner und planer spricht Hr. Dr. Gotthold diese Meinung aus (N. Berl. Mon. Sehr. 1809. Jul. S. 5i. Anm.): „Wie, wenn der Takt sein Entstehen überhaupt dem Bedürfnisse verdankte, mehrere Stimmen einer Musik "e- nau unter einander zu setzen, und mit Leber- einslimmung vorzutragen ? Der | Takt z. B. in alten kanonischen Arbeiten scheint olt nur eine Abtheilung für das Auge zu seyn ; und ein während der Aullührung Hinzutretender sollte wol nicht die sogenannten guten und schiechten Takttheile von einander unterscheiden."

201.

Es ist eine sonderbare Erscheinung, dass manche, sonst nicht ungeübte, öciiriilstelkr zu-

1 bu A 1 1 j; e m c i 11 c r '1' h e i 1.

weilen nicht im Stand siiul, ihre Gedanken fortdauernd und unver\N endet auf den Gegen- stand ihrer Untersuchung zu ricliten, ohne mit- unter damit auf verwandte Gegenstände, oder auch wol Fanlome , zu schwanken. Dieses he- gegnet auch den beiden angeführten Männern.

Hr. Gotthold yerwechselt offenbar Takt, d. i. innres cigenlhümliches Maas der Melodie, und Taktbezeichnung, mit einem Worte, den Takt- strich. Sein Beispiel beweist dieses. Eben darum hört man in vielstimmigen Sätzen oft den .Uten und schiechten lakllheii verschiede- ner Stimmen /.usammea treffen, weil jede Stim- me ihren besondern innern eignen Takt liat, unabhängig von den neben ihr forllaufenden Stimmen, deren Mehrheit also nicht erst den Takt (den innern jeder Stimme) als ein Postu- lat hervorruft, sondern nur dem Komponisten aullegt, dass er die Stimmen nicht taktwidrig, sondern im Yerhällniss des, ihnen eigenthümli- chen , schon vorhandenen Taktes verbinde. In einer solchen Verbindung berührt allerdings sehr oft das gute Taktlheil des einen Rhythmus das schlechte Taktlheil eines zugleich tönenden, so dass ein und dieselbe Zeit für einen Rhyth- mus Arsis, für den andern Thesis ist, wie die JN'atur z. B. in Zwillingkrystallbildungen die- selbe Linie, Seite des einen und Zuspitzung des andern Krystalls seyn lässt, und wie der-

't

Von der rli3'th m is c hcn Bewegung. i'.h

selbe Ton in verschiedenen Stimmen versclne- dene liarmonisclie Beziehung haben kann. Nacli Hrn. Goühokrs und Ilermann's Ansichten aber würde man eben so wol von der Harmonie be- haupten können: sie sei nicht in der ÄNalur der Töne vorhanden (oder nach liermann's Wor- ten: „kein wesentlicher Theil der musikalischen Melodie") , sondern danke ihr Entstehen nur dem Bedürfniss der Musiker , mehrstimmig zu komponiren; denn der Komponist wirft ja die Töne eben so wenig gegen die Harmonie unter einander, als die B.hythmcn ohne Biicksicht auf ihren Takt.

Der Taktstrich aber, der allerdings in viel- stimmigen nachahmenden Sätzen, nianche Me- lodie mitten in ihrer metrischen Periode schnei- det, z. B. :

m

oder in zusammengesetztem Rhythmus :

^;d^=:^

«■— *-

dieser ist allerdings erfuntlcn, um mehre Stim- men unter einander setzen und übersehn , atK'h durch den Taktschlag jede Stimme erinnern zu können, wo die andern Stimmen seyen, ohuo dass cImh der Taktscblag und der Taktstrich in

i8a _ A.llgc inei ner Tlieil.

jerler Stimme den Anfang und das Ende ihrer wirklichen metrischen Periode bezeici)in>n miis.s.

Den Taktstricli kannten nun die (i riechen wol sehAverlieh, so wenig als in friiluni Zeilen der Schreibkunst die Inlerpunktionzeichen. La- sen und sprachen sie also deswegen wol g<';>en den Sinn, den wir durch diese Zeichen andeu- ten? Könnte also auch sogar historisch erwie- sen werden, dass sie den Takt nicht kann- ten (d. h. doch nichts anders, als, dass sie von diesem Maass des Rhythmus keinen hesoudern Begriff sich gebildet huien, so wie viele ihre Muttersprache richtig sprechen, ohne ihi*e Re- geln zu wissen), wüi'de dai-aus wol folgen, dass ihre Melodien keinen Takt hatten? Gesetzt, die Griechen hätten die Harmonie nicht ge- kannt, ist sie deswegen nicht in der INatur je- der Miisil^? Dass aber der Takt so wesentlich in der Natur^ des Rhythmus gegründet ist, wie Harmonie im Vei'häliniss der Töne , ist in den Abschnitten vom Rhythmus und vom Metrum erwiesen.

Liess' aber auch sogar sich darthun , dass die Griechen ihi'e Rhythmen wirklich anders, als nach dem Takt gemessen, und sogar sich gegen ein gleichförmiges Maas darin erklärt hät- ten — was an sich nicht dargethan wei'den kann so würde dennoch daraus, das< sie die "Natur des rhythmischen Maasscs verkannten,

Von der r h y th m is c h e n B e w e g u n g. 185

nocli nicht folgen, dass in den Rhythmen selbst, welche sie bildeten und hörten, kein Takt ge- wesen sey , sondei'n uui' , dass ihre Theoi-eliker durch ihre Bezeichnung die Gleichförmigkeit des Maasses störten. Oder sollte wol dai-aus, dass Hermann (M. Zeit. a. a. O.) für den Klopstock- ischen \ers:

Nieder zu dem Haine der Barden senkt folgendes Maas angibt:

J .^ .'^ .M J .^^ J^ I J / 1 J

und dieses, um einen Takt darin zu haben, auf diese Ai't, seiner Meinung nach, laktmässig ab- theilt :

0 9 m \ m 0m l# •• l*7 Nieder zu dem Haine der Barden senkt

folgen können, dass Klopstock jenen Vers wirk- lich als so ein rhythmisches Ungeheuer gedacht, oder dass der Vers an sich eine solche Unform sey, da doch vielmehr jeder Leser ihn in rich- tigem Takt so:

«^ »^ »^ I #. /^ \ ä 0 •• Nieder zu dem Haine der Barden senkt »»<>»<«,/ l_^^l_^l_

lieset und hört? Eben in diesem natürlichen Maas hört ihn ohne Zweifel auch selbst Her- mann, nur dass er der musikalisch -rhythmi- schen Orthografie nicht machtig genug ist, um das vieldeutige unbestimmte melrische Schema/

i84 All gern einer T hei 1.

das er gewohnt ist, riclitig und vevstanfilich, so wie er es wiikücli hört, in musikalische Zei- chen übei-zutragen.

202.

Jede metrische Periode fängt mit der Arsis an, und endet mit der Thesis des Grundrhylh- mus ; denn sie umfasst die ganze Zeit, die aus der Einheit entsteht, indem sie sich zum Rhyth- mus bildet. Da nun jede metrische (197) Form die ganze metrische Periode erfüllt, so fängt auch jede metrische Form, als solche, auf der Arsis an, und schlicsst auf der Thesis. Ei- nige Formen, z. B. die kretische, choriambi- sche, und vierte päonischc , scheinen davon Ausnahme zu machen, indem keine Thesis an ihrem Schlüsse hörbar wird; allein diese Aus- nahme ist nur scheinbar, denn metrisch be- tracl.tet ist die Thesis vorhanden, nur dass sie nicht rhythmisch vernommen wird. Die Musik bezeichnet die Vollständigkeit des Taktes jedes- mal durch Punkte oder Pausen,

die zuweilen auch durch den Anfang eines fol- genden Rhythmus (Auftakt) ausgefüllt werden, z. Jö. : _ ^ »^ —, 4^ I */

daher wird die metrische Bezeichnung, welche rhythmische Foi-men, nicht metrische, zu sou-

Von Punkten und Pausen. i85

dem pflegt, in solchen Füllen vor den Auftakt gesetzt :

V^«^_ I w* >d>

Schattengebiet der Unterwelt was zu seltsamen und verwirrenden Missver- ständnissen der Metriker Veranlassung gegeben hat. Da Hermann an mehren Orten seiner Schriften sicli wie es scheint, aus Mangel an Sachkenntniss gegen die Punkte und Pausen erklärt , und noch in der eben angeführten Stelle, wo er den Klopstockischen Vers beuvtheilt, äus- sert: „es finde sich kein Rechtsgrund auf, Punkte und Pausen anzunehmen," so wird es nöthlg seyn, über diesen Gegenstand einige Worte zu sagen.

Von Punkten unrl Pausen.

205.

Der Punkt an einer Note bedeutet bekannt- lich in der Musik (Jj, dass der so bezeichnete Ton nocli um die Hälfte länger gehalten wer- den soll, als die Dauer der Note selbst es ver- langt. Bei dem Viertel gilt er daher ein Ach- tel, bei dem Achtel ein Sechzehntheil u. s. w.

Aus dem, was oben (i25) und bei Gelegeu- hyit der von Franchino vorgeschlagenen Noten- bezeichnuug gesagt worden ist, erhellt, dass m unserer Notimmg der Punkt an der Note nicht allezeit eine Verlängerung des Tones in das

i8G Allgemeiner Theil.

fol^^ende Moment, (J / statt J^/ j^) anJeutel, sondern dass er zuweilen des einmal ein^^efühiten Systems unsrer Notirung wegen, der Note bei- geschi'ieben werden muss ( j. ) , um die volle Zeitdauer eines Momentes auszufüllen. Unsre Notenzeichen nämlich deuten einzig die Halbi- rung an, und haben deswegen auch alle ihre Benennung von dergleichen Theilung durch Zwei erhalten, z. B. Viertel, Achtel, Sechzehn- theil u. s. f. Wollen wir nun die Länge des Tripeltaktes, welche drei Zeiten enthält, so müssen wir, weil wir für eine solche Dauer kein besonderes Zeichen , und eben so wenig den Franchino'schen Taktschlüssel haben, uns mit dem Punkt an der Note helfen, z. B. J_ 9 e" m'' Dieser Punkt ist keine willkührliche Verlängerung, welche die Dauer eines Tones aus einem Momente in das andre hinübei'zieht, sondern der Punkt bildet mit der Note ein selbstständiges Moment, das wir nur iu Er- mangelung eines einfachen Zeichens mit dem zusammengesetzten der punktirten Note bezeich- nen müssen. Punklirte Noten dieser Art, wel- che im ungeraden Metrum ein dreigetheiltes Hauptmoment bezeichnen :

A A l J.

a a a a a a ••• i d ä

Von Punkten und Pausen. 187

ekelten also in metvisclier Hinsicht ganz für ein- fache. Es ist bemerkenswerth , wie der Metri- ker, indem er den „falschen Nebenbegrifien aus der Musik" entgehen will, sich selbst durch" falsche Begrifi'e von Musik irre leitet. Hätte ihn die zufallige Bezeichnung des dreigetheilleu Mo- mentes durch die punktirte Note nicht zurück- geschreckt, so war ihm vielleicht bei der Be- zeichnung Franchino's das wahre Verhältniss des ungeraden und gemischten Metrum nicht entgangen. So veranlasste aber das Zufällige der punktirten Note iu der musikalischen Be- zeichnung das ganze Gewebe von li-rthtimern, das unter dem JNamen der Hermann sehen Me- trik bekannt ist.

2o4. Willkührlich ist der Punkt an der Note nur dann, wenn die Note ohne Punkt schon das ganze Moment ausfüllt , z. B. :

J. .'^ J J

Die Willkührlichkeit dieser Punktirung erhellt daraus, dass der Gehalt der Note mit Eiuschluss des Punktes , nicht in der metrischen Form selbst enthalten ist. So entsteht z. B. das punk- tirte Vierlei in dem obigen Beispiel des Vier- vierteltaktes nicht in einer der Formen des geraden Metrum, sondern durch eine willkür- liche, d. h. metrisch nicht angedeutete Verlan-

i88 Allgem einer Tj»eij.

gcvung des Tones in das folgende Moment. Das Moment seihst erhält auch tiadurch kchie Ver- längerung, sondern der Ton klingt nur unah- gesetzt in das folgende Moment hinüber j daher ist der Punkt bloss als eine Abbreviatur der Fi- gur J^J^ /■ zu betrachten, er ist mithin mehr ein musikalisches (auf den Ton sich beziehen- des) Zeichen, als ein eigentlich metrisches. Hin- gegen das punklirte Vierlel in folgender Figur I ^ > ^

0. e a » ist in der metrischen Form des ersten Päon an- gedeutet. Der Punkt ist also nicht willkühr- lich, sondern vertritt mit der Note zusammen das Zeichen des dreigethejiten Momentes in Er- mangelung einer einfachem Bezeichnung.

2o5. Die willkürliche Punktirung einer Note enl- izieht daher der folgenden von ihrem wesentli- chen Gehalt allezeit so viel, als auf den Punkt verwendet wui'de. Auf ein punktirtes Viertel z. R. kann zu Erfüllung des, mit dem Punkte angefangenen Momentes, nur der Gehalt eines Achtels folgen:

J. J^ oder J. ^ Folgte eine Note von längerm Gehalt, so würde das Uebergreifen des Tones in tlas folgende -Moment nur fortgesetzt , und es entständen Syn- kopieen, die am Ende erst die Gleichheit her-

Von Punkten und Pausen. 185

stellen. Die wesentliche Puiiktirung einer Note kann dagegen der folgenden an ihrem Gehalt nichts entziehen, denn der Punkt führt den Ton nicht in das folgende Moment, sondern, bloss zum Ende des von der Note angefangenen Momentes; daher können mehr punktirle No- ten dieser Art .auf einander folgen , ohne dass Synkopieen entstehen. So gewiss bewährt sich also die metrische Verschiedenheit dessen, was selbst unsre musikalische Bezeichnung mit dem- selben Zeichen, der punklirten Note, andeutet.

206.

Es fragt sich nun, in wie fern die Note mit dem Punkte in dem Maas eines Verses gebi-aucht werden könne?

Dass die wesentlich punktirte Note (im Tri- peltakt) als Versmaas gelte, ist aus dem eben Gesagten klar. Die aus der Natur des Metrum abgeleiteten Formen enthalten das Maas, wel- ches sie bezeichnet (die dreizeitige Länge) , und in den Wörtern der Sprache (z. B. ausrufen, anbeten, H e e r f ü h r e r) , zeigt sie sich unver- kennbar. Die Zulassung der willkürlich punklir- ten Noten als Versmaas, möchte dagegen noch einigem Zweifel unterworfen scyn.

207. Ist der willkürliche Punkt, wie (2o5) er- wiesen worden, nicht ein metrisches, sondern

juo A 1 1 g e 111 e j u e r '1 h e i 1.

ein mtisikalischeü Zcicheu, wie er denn auch hauptsäclillch in accentirlcn Pvliythmen vorkomml, die dtr Musik vorzüglich angehören, so findet er bei dem absoluten Maasse des Rhythmus und des Verses allerdings nicht Statt; nur lasse man sich auch hier von der Aelinlicidteit punklirler Noten nicht verleiten, einen Punkt für will- kürlich zu halten , der wesentlich, d. h. in den metrischen Formen gegründet ist. Dieses ist der Fall hei dem flüchtigen Daktylus {J^ ^ J^), und bei dem trochäischen Päon ( J^ J^ ^^ ^»5

Es ist mehrmals in der Ableitung des flüch- tigen Daktylus gezeigt worden, dass seine Länge eine unvollkommne und unbestimmte sey, die selbst die musikalische Bezeichnung nicht mit voller metrischer Genauigkeit bestimmt. Denn sie enthält eigentlich nicht ^, sondern nur f der vollkommenen zweizeitigen Länge (des Vier- tels), wie die Entstellung:

zeigt. Die Musik bedient sich aber in ihren Zeichen einer metrischen Ausgleichung (Tem- peratur), um Verwirrungen zu vermeiden, und deswegen müssen wir die reine metrische Form des flüchtigen Daktylus, in welcher, kein Punkt ist, durch Einmischung der puuklirlen JN ote be- zeichnen.

Von Punkten und Pausen. l'gi

Dasselbe findet Statt bei dem Päon, den wil- den trochäischen nennen. Er entsteht durch Zerlegung des kurzen Momentes im Trocliäus, während das lange sich quantitirend , also zur. trochäischen Form von neuem rhylhmisirt :

«-^ kW

Die oben erwähnte metrische Temperatur, wel- che die Bezeichnung des flüchtigen Daktylus ordnet, macht bei diesem Päon ebenfalls die Bezeichnung

nöthig, welche aber nicht eine willkürliche Verlängung der ersten ]N ote , sondern nur ihr Quantilätübcrgewicht gegen die zweite ausdrückt, das in der metrischen Form gegründet ist. Wir wenden also in diesen beiden Fällen ein musi- kalisclies Zeichen zu Bezeichnung eines ähnli- chen metrischen Verhältnisses an, weil uns ein eigenlhümliches Zeichen mangelt, itnd so be- dienen wir uns der punktirten Noten in den Formen j^ ,^ *" und j^ J^ J^ ^^ mit demselben Recht, als bei der Bezeichnung der dreizeitigen Längen (J. ) in andern metrischen Formen.

208.

Als Bestätigung dieser Sätze dient die Spra- che selbst, Avelche in llüchti!? daktvlischen und

iga Allgemeiner T h e i 1.

päouischen Wortfüssen, das angegebene Maas die- ser I^oi'men hören lässt. Die Daktylen: Flüch- tiger, Lilie, spricht niemand anders, als in diesem Maas : j^ ^ ,]^. Eben so spricht jeder den trochäischen Päoil : Feierlicher, in dem ange- gebenen Maasse : J^ ^ ^^ ,^5^ , es war denn, dass er in bloss accentirten Rhythmen vorkam, wo er ebenfalls bloss accenlirt, z. L. :

in der schauerlichen Stille

feierlicher Mitternacht ausgesprochen würde. Anders im cjuantitiren- den Vers:

^^l ^Ä^5»l '^^^J^l^l >iJ^{^!i

f r ' '

^ ^ I _»*.W-' I ^ K^ ^ I ^ s^ ^ 1

Da ertönten Melodieen , und die Liebliche versank mit den tanzenden Gespielen in das silberne Gewog Dass dieser trochäische Päon sich auch im Spre- chen von dem ersten Päon (J J^ J^ J Iws^^w göttlichere) unterscheide, zeigt sich leicht iu der Vergleichung.

209.

In andern, als den angegebenen Rhythmen, die punktirte Note zu Messung der Verse anzu- wenden, gränzt nah' an WiHkühr. Deswegen ist auch Voss' Messung trochäischer

V o 11 P u 11 k t e n u ii d P a u s e n.

Uj3

I > I J ! I > I j

#. # 0 s i m- 0 0 0 Eürgtrwohlfahrt sann er rastlos

und iambisclier \erse:

J I J. jN J IJ. J'^ J J I J. .^^ J

Arbeite mutvoll , Trage flieht Glückseligkeit welche er durch Punklirung hewcrksteliigt, nicht zu billigen. Der Musiker kann allerdings, durch die schon erwähnte Kraft der Musik, die proso- dische Quantität aufzuheben, dergleichen Verse nach diesem Maas komponiren, indem er sie aus dem quantitirendcn Pvhythmus auf den ac- centirten zurückführt , allein für den quantiti- renden Rhythmus des Verses selbst ist jene Mes- sung untauglich. Auch hier irrt also Hr. Dir. Gotthold (S. 09), wenn er glaubt, diese Theo- rie löse die Aufgabe, wie wir Neuem Gedichte in antiken Versen in Musik setzen können. Ge- rade umgekehrt! Sie zeigt den wahren Rhyth- mus alter Verse ganz abgesehn von musikali- scher Behandlung. Der Musiker kann den tro- chäischen Rhythmus auf die von Voss angege- bene Art behandeln; aber der wahre trochäi- sclie Rhythmus und das trochäische Metrum ist es dann nicht, sondern eine Transposition in das accentirle Metrum

J J J J I J J J J

mit Verstärkung des trochäischen Charakters in der Bewegung, durch den Punkt:

J. .N J IJ. .N J

]o4 All^e nie i II er 1' h e j 1.

So verwandelt aucli die Musik den Irochäischeji Piiou in den accentirten Ditrochäus , der quan- litireud ein Proceleusmatikus ist , z. B. :

j .^ ;^ i j .^ jM j .^ ; N

Seht wiV d'?m Mai tlle Natur sich verjungt.

Fröhlicher Gesang u. s. -w.

Voss u. Reichardt.

WO dieser Päon ohne allen Zwang die Zeit ei- nes schweren Daktylus vertritt, dessen Stelle er einnimmt. Wer wollte wol eine solche musi- kalische B/^handiung tadeJn? Gleichwol ist die musikalische Messung vonVlem eigentlichen Maas des Yersrhythmus verschieden. Der (208) an- geführte trochäisch -päonische \ers wüi'de von der Musik als ein leichter trochäischer Tetra- mcter

_<M w I _.*/ w I s.*— te* 1 <^ und die Weberin der Fluten in dem muschlichen Gezelt der seine Längen nur accentirt, ungefähr wie

kf'/f de av nara nod'cc vfolviu f^nlea behandelt werden können, aber mit einer ein- zigen Zusammenziehung, z. B. :

.M ." j5 ;! .ij I .^'* .f* .M .^^'! ."* i w u

wirkt Teppiche dem Lager, das die Liebenden rereint ist die Täuschung aufgehoben, und der quan- tilirende Rhythmus tritt vor. Dann verlangt der accenlirende Leser wirket statt wirkt.

Von Punkten und Pausen. iq5

das den quantitirenden befriedigt. Wir glauben hierdurch zugleich gezeigt zu haben, wie ent- fernt unsre Theorie von der Einmischung mu- sikalischer Eigenheiten in das Maas des Rhyth- mus an sich sey.

210.

Pausen hat man zu betrachten als ideelle metrische Momente, d. h. als Ausfüllungen der metrisclien Reihe , die dem äussern Sinn nicht zur Erscheinung kommen.

Schon der Begrilf von Pausen als etwas Ideel- lem im Gegensatz eines Reellen zeigt, dass sie dem reinen Begriff des Metrum und des Rhyth- mus fremd sind. Erst wenn der Rhythmus zur Erscheinung kommt, z. B. in Tönen, lässt sich unterscheiden, ob alle metrische Momente wirk- lich (in Klängen, Sylben u. s. f.) erscheinen, oder nicht. Vorhanden sind alle Momente in der metrischen Reihe, z. B. :

.^ .f! .N\'> J^ I J ." 1 ." \ i ." i i" I J.Nr

Als er dem lieblichen Rosenmund sieghaft den Ersllini^ku.s«

geraubt

Nun setze man aber den Fall, dass der Rhyth- mus nicht alle diese Momente zu seinem Er- scheinen brauchte, z. B.:

j'^ .1* .^^^'^ I JrijNJjNj'^IJ.Nr

Als von dem blühenden Mund er kiiJin den ErsLlingknss

geraubt

ig6 Allgemehiei- Tlicil.

SO "Werden die scliweig-ciidrn Momente durch Pausen ausgefüllt, -welclie, so gut als die Noten, rhythmische Momente sind, nur ideelle, ehen weil sie nicht reell erscheinen, sondern bloss in der meti"ischen Reihe (die in Beziehung auf den wirklich erscheinenden Khythmus ideell ist), vorhanden sind. Die Pausen gehören mithin nicht unsrer neuei'n Musik an, sie sind viel- mehr ganz in der Natur des Metrum und in der Totalität metiüscher Reihen gegründet. Nur unterscheide mau wohl rhythmische und metri- sche Reihe. Innerhalb der rhythmischen Reihe kann keine Pause vorkommen, *) allerdings aber zwischen zwei Rhythmen in der metrischen , Reihe, welche sie verbindet, wie das obige Bei- spiel zeigt.

211.

Sind die Pausen aus der Natur des erschei- nenden Rhythmus erwiesen, so sind sie auch in

*) Dass die Pausen , z. B.

nur abgestossene Klänge bezeichnen , ujid also die rhythmische Reihe nicht unterbrcclien , hört Jeder. Sie sind ebenfalls keine Erfindung der neuen Mu- sik , und wurden in alten Zeiten anders als durch Pausen bezeichnet. Die aUen Blusiker nannten diese Art des Vortrags Ochelus, oder Hochctus, Ifoijuetus.

Von Punkten und Pansen. 197

der Messung der Verse anzuwenden, z. B. am Ende von Versen, deren Rhythmus nicht die ganze letzte metrische Periode ausfüllt, wie eben- falls das vorige Beispiel zeigt, oder auch in dtn- Mitte des Verses, wenn eine rhythmische Reihe mit einer kurzen , statt der langen Sylbe sehlicsst, z. B.:

e. »^ o e. »^ 6 c 7 « 1 « 0. m^ ä »4 Omnia vinciL amor , et nos cedamus amorl Folge dein Glücklicheren, Glück spenden die seligen

Götter

wie noch deutlicher in dem Abschnitt von dem Maas der letzten Sylbe in rhythmischen Rei- hen, gezeigt werden wird.

21 2w,

Diese ISalnr der Pause setzt es schon ausser Zweifel , dass auch die Griechen sie gekannt ha- ben, war uns auch historisch noch weniger da- von bekannt, als wirklich der Fall ist. Die \ olikonnucnheit solcher Bezeichnungen entsteht, wie die Geschichte der Musik lelu-t, sehr ^pät, und erst nach manchen vergeblichen Versuchen. Wir haben oft bemerkt, dass es selbst nnsrcr Notirung, die doch zu Aufzeichnung grosser musikalischer Werke hinreichend ist, noch an vollkommener Bestimmtheit fehlt, und ein Isaak Vossius, Meibom, oder Hermann künftiger Zeit, würde nach einem Zeitalter von Barbarei aus

igS AHg emejner Theil.

uiisrer Notlrung so wimderliclie Sätze über un- sre Musik heran sklügeln (z. B. von Takten, die Lloss drei Achtel eines Taktes enthalten haben), als mau uns jetzt von der Musik der Griechen vorträgt und bewundern lässt. Dass die Grie- chen zweierlei Pausen kannten , die einfache (Af^jMjM« und die doppelle n^oa-&eGig) bestätigt Arislides (Ed. Meib. S. 4o.). Die genaue Mes- sung dieser Pausen möchte aber nicht leicht aufzufinden seyn; vielleicht hing sie, so wie die Messung der Länge im Yers, von der Stelle ab, welche sie im Rhythmus einnahm. Warum Her- mann diese deutliche Stelle des Arislides igno- rirt, wo er allen Pausen den Rechtsgrund ab- spricht, ist nicht einzusehn.

Vom Schlüsse der Rhythmen.

2l3.

Wir haben bis jetzt die erste Seite der rhyth- mischen Figur betrachtet, nämlich die Bewe- gung. Es bleibt uns noch übrig, die Verschie- denheiten des Schlusses und des Aufauges zu betrachten.

2l4. Die metrischen Formen zeigen uns hier eben- falls die Verschiedenheiten an; denn, wiewol sie, metrisch betrachtet, alle die ganze Periode erfüllen, so schliessen sie doch, als Rliythraen,

V o tu Ö c h 1 u s s © der R h y t lim e n. 1 99

Lald auf diesem, bald auf jenem Moment der Periode. So scliliesst der Choriamb , wo er me- trische Form ist, auf der Arsis des zweiten Hauptmomentes,

Nebelgewölk und für den Rhyllimus des Choriamben ist es gleichglihig, ob dieses zweite Moment seine Thesis reell erscheinen lässt, z. B. :

Nebelgewölk verhüllt oder nur ideell, im Punkt oder Pause, wie das vorige Beispiel zeigt. Dagegen schliesst der Iro- chaischc lihythmus

j ; j ;

Morgenröthe

als metrische Form, auf der Thesis des zweiten Hauptmomentes, und so sind beide Rhythmen, bei gleichem Metrum, doch in Ansehung des Schlusses verschieden,

2l5. Die Verschiedenheit des rhythmischen Schlus- ses beruht, wie schon diese Beispiele zeigen, auf der Verschiedenheit der metrischen Momente,

200 Allgemeiner Tlieil.

in welche tlcr Sciiluss des Rhythmus fallt. So viel Momente ei'Ster und zweiter Ordnung die Periode eines Metrum hat, so vielerlei rhyth- mische Schlüsse werden in diesem Metrum vor- kommen können.

Je nachdem nun das Moment, welches ei- nen Rhythmus schliefest, eine Arsis ist, oder eine Thesis , oder das letzte von dreien ( im Tribrachys oder Daktylus), werden wir den Schluss den arsischcn, den ihetischen, (>der im dritten Fall den schwebenden nen- nen. Arsisch ist z. B. der choriambische Schluss:

> ^ > ! Morgengestirn thelisch ist der trochäische:

•1 > J J^

c « tf

Morgenröthe Schwebend der flüchtig daktylische:

N ^ > ^ N %

s. m^ m f . «^ «

Flaramengewallige

Man hat den flüchtig daktylischen Schluss nicht ohne Sinn schwebend genannt; denn die letzte Sylbe dieses Daktylus schwebt wirklich, wie oft erwähnt worrleu ist. zwischen arsischem und rl I et i sei I cm Chava ktcr.

Vom Schlüsse der Rhythmen. 2*1

216.

In acceutirten Rhythmen begnügen Avii* uns hekamillich mit dieser Eintheilung. Den ar- sischen Schluss hat man auch den steigenden, oder den männhchen genannt:

O schmücke dich, du grünbelaubtes Dach! Schiller Die Italiäucr nennen Verse, welche steigend schliessen, versi trouchi, gleichsam als mau- gelte ihnen etwas, nämlich die Thesis.

Den thetischen Schluss nennt man in accen- tirlen Versen auch den fallenden, oder, viel- leicht seiner Weichheit wegen, den- weibli- chen:

Und scherzt und spielt um ihre Rosenwangen Ders. Diese \erse nennen die Italiäuer versi piani.

Den schwebenden Schluss bezeichnet man auch in accentirten \ersen mit diesem JNamcn:

Lieblicher tönende, Wälderverschöuende.

Die Italiäner nennen sie versi sdruccioli.

Dieser Scliluss vertritt bei ihnen auch die Stelle

des fallenden , und steht unter diesen vermischt

in demselben Gedicht, %. B.:

Quando procuro a' miei ma^gior tristizia. Dante

was wol auch im Deutschen , z. B. :

Euch lohn' ein Kranz hells^rüner Petersilie. Voss So triiiniHit, erliegend noch, Ilispauia. Schlegel

doch nicht leicht mit Endungen, die keine Zu-

samnien/.icliiinir gcj-JalU-u , wie:

J02 A 1 1 ^ « in e I II e r T h e i 1.

Als rings umher Thalgrund und Fels orzilterte vorkommen wird. In alten deutschen (iedicli- ten ist dieser Ausgang statt des zweisilbigen nicht selten, z. B. :

Sie war ihm das unwehrende iu Wolframs Titurel.

In quantitirenden Pihythmen dagegen kön- nen wir uns mit di<;ser Abtheilung nicht be- gnügen; denn die Schlüsse sind verschieden, nachdem sie auf einem Moment erster, oder zweiter Ordnung stehen, und über dieses macht die Verschiedenheit des Metrum noch manchen Unterschied. Wir müssen daher die rhythmi- schen Schlüsse im Einzelnen nach diesen ver- schiedenen Bestimmungen betrachten.

2l8.

1. Arsische Schlüsse. Diese fallen

a. im geraden oder sponJeischen Metrum (/. auf die Hau2)tarsis. Z. B.:

- ^ ^ I _ S^ w. 1 _

4im\4*G\d Hoch in die Luft sich erhob

ß auf die Arsis des zweiten Momentes:

<^ -^ S^ ^ I ^ ^

^ N N N I N > N « \ 9 » m

vioXvrn nehu O wie si(h am Horizont s

Vom Schluss der Rhytiimen. so5

219.

b. Im gemischten Metrum:

« Auf die Hauptarsis

Lobgesang erschallt

{i Auf die Arsis des zweiten Momentes

>p»

Jagdgesang

220.

c. Im molossischen Meti-um:

a auf die Hauptarsis

Wehklag' in der Luft. ß auf der Arsis des zweiten Momentes:

f ' f

! I ^ ^ 1 > > >

ä ä 0 m \ 0 0 0 Tod fand in dem Labirinth

y auf der Arsis des dritten Momentes :

«-/w I »^M^»rf

0 0 0 0 \ 4 0 m 0 Andrang die gewaltigere

id4 A 1 1 ij e ra c i n e r T h e i I.

22 ] . d. Im tripodischcn Metrum: a auf der Hauptarsis

m. Jr 0 «^ « a. 4^ 0 I 0. hallt dithyrambischer Jubelgesang

Es versteht sich von selbst, dass die Gattung des Gedichtes beslimmen muss, ob ein solchex* Vers diese, oder die dipodische Messung

habe.

ß auf der Arsis des zweiten Momentes:

I j^ I ^ I ^ I i > I

Ueberall von Feindesuiacht bedrängt y auf der Arsis des dritten Momentes:

d m » » e ^ schraerzenvoU geliebt.

' 222.

c. Im ungeraden Metrum , wozu besonders das parapäonische, oder trochäisch- päonische gehört, kommen folgende ar- sische Schlüsse vor: a auf der ersten Arsis

^ Ä 5> i^ i >

J. ^ e" J^ I «J schaucrlichp Gruft

Vom Schlüsse der Rhythmen. ß auf der zweiten Arsis

w .w^ »< I W W

«. «^ e^ e^ I ». a ® 7

zagte die Erröthende,

223.

2. Thetisclie Schlüsse. Sie fallen:

a. im geraden (spondeisclien) Metrum: « auf die Hauptthesis

J '^ j^ I I 1 « 0 «1 I c

blüht Paradieslust

|ff auf die Thesis des ersten Momentes:

_ w w I ^ ^

j ^ ^ I > >

Peinigerinnen y auf die Tliesis des zweiten Momentes;

Af/f d"; ai» xttTu Tcoda

224.

6. Im gemischten Metrum: « auf die Hauj)lthesis

_ ^ _ w I _ -

Silberhell im Moadslaii;-

2ü(> Allgemeiner Thcil.

Dieser rliytlimische Schliiss war bisher von dei^ Theorien verkannt Avorden, so wie die spon- deische Form des gemischten Metrum (129) über- haupt. Man verwechselte ihn, durch die fal- sche Ansicht der Unbestimmtheit in der End- sylbe verleitet, mit dem folgenden Scliluss, von dem er, wie das ^Maas zeigt, ganz verschie- den ist.

ß auf die Thesis des ersten Momentes:

J jN ; I J / ? '

Göttermacht der Liebe Dieser Schluss wird selten am Ende eines Ver- ses vorkommen, öfter in der Mitte. Z. B. :

^ 1 _. ■^ I - ^ ■) - -^ I _ w,-

q>Q0Vi]f.iC(TO}v ineOTiv, fv&vvog ßocQVS Aeschylus. Auch seiger Himmelsgötter glanzumwogtes Reich

/ auf die Thesis des zweiten Momentes:

J .N J

Morgenröthe WO d^er Rhythmus die ganze metrische Form ausfüllt.

225.

c. Im molossischcn Metrum: « auf der Hauptthesis

,| ^i

> "^ I I I /"^ > I ' '

Vom Schlüsse der Rhythmen. 20-

Liparei nitor Hebri wo das Land Raub der Gewalt ward. ß auf clev Thesis des ersten Momentes:

und die Schicksalsgöttinnen y auf der Thesis des zweiten Momentes:

^ w I _ w ^

1 i > > I i > ,> 4mm m \ m m

Anstürmt der Gewaltige. Auch dieser rhythmische Schluss wird leicht» r in der Mitte:,

^Vl JJ.\''!JjV /w'^IJJJI J J

Dein Ratlischluss , Uuerforschlicher! wer im Weltall

durchschaut ihn ?

uls am Ende eines Verses vorkommen.

d auf der Thesis des di-itten Momentes :

w^ 1 w

m 3 m m I««« Rettung von den Rachgöttinnen

«in seltner und wenig branchbarer Rhythmus! 226.

d. Im iripodischen Metrum « auf tler Hauplthesis:

m. m' m m. m^ m 4 4 < m. ä. ^

2tj8 Allgemeiner Th e i 1.

Impavidum fericnt ruinae Hemme den Flug, du ereiltst dir Unlust.

ß auf der zweiten Haupttliesis, weun näm- lich das zweite Moment, wegen vor- hergehender Thesis aus Zerfiiliuug des ersten Momentes, arsische Kraft bekommt, und das dritte Moment nun dem zweiten als thetisches Ge- genbild nachklingt:

J/J. J.

Götterweisheit eine nicht seltne Form des Rhythmus, z. B. mit dem Auftakt :

^ \ I^J I I >^'^l Ri^l

d i 0 c d. «'. 1 •.«*'« J. «^ «j •'. v,sivo)v Xv&evTbjv Goiig vno '/^eQOiv ava'§ Pin dar

Aus dunkler Felsicluft steigen Gestalten empor und in mehren andern Versen.

y auf der Thesis des ersten Momentes:

J jN. J.l J.^

blutge Kriegsarbeiten

i auf der Thesis des zweiten Momentes:

J.N/ Jj^ I J. J-l*

Hingebannt zu dunklen Grabnächten

e a

VomSchluäs der Rhythmen. 209

iif der Thesis des dritten Momentes :

bei des Bachs Geh'spel

WO wieder der Rhythmus die metrische Periode ausfüllt.

227. e. Im ungeraden Metrum « auf der Hauptthesis:

- «^ w ^ I _ ^

Feierliche Glocken /? auf der letzten Thesis :

dl. !.> »^ m^ I #J. #N J^ *N Düsterer und schauerlicher.

228. 3. Schwebende Schlüsse:

a. Im spondeischen Metrum sind sie unmö^^- lich, Aveil dieses keine Theilung in drei Momente gestattet.

229. h. Im gemischten Metrum finden sie sich: a auf der ersten Stelle

I "^ '^ & i^ i > ^ >

Weins wie giäuzende i,ilieu.

i4

aiO Allg euiei ner Theil.

ß auf der zweiten Stelle :

porrige labra , labra corallina Reiche die Lippen, die süssen, koralleneii und in der Mitle des Verses:

Jam Cytherea thoros ducit Venus , imminente Lunsi

H o r a t.

Chöre voa Tanacnden führt nun Cypria , bei des Moa-

des Lichtglanz.

25o.

c. Im molossisclien Metrum kann der schwe-

bende Schluss so wenig vorkommen, al» im spondeischen.

d. Im tripodischen Metrum kommt er vor a auf der ersten Stelle:

Hoflahrt leitet zum Fall die Gewaltigen. ß Auf der zweiten Stelle:

Wo sich in dumpfen Geheul der Orkan ankündiget.

Vom Schluss der Rhythmen. 211

y Auf der dritten Stelle:

I ^ ^ l^ > > i^ > ' j ^ «I ^ j. i^ «

Zürnend floh die Erröthende.

Wahrscheinlich hat mancher für glykonisch ge- haltene Vers dieses Maas. Mi st man z. B. die asklepiadische Strofe mehr mit Hinsicht auf cho- riambisclien, als ionischen Rhythmus, so ist ihre Messung tripodisch:

Et malus celeri sauciiis Africo

Wie der Mast von des Süd fliegendem Sturme wund

Antennaeque gemant, ac sine funibus

t

»amt den Rahen erseufzt, und wie der Tau' ent-

blösst

«-« «-s^ »rf I ».' w«^ .^«^

Vis: durare carinae possint imperiosius (aequor) Horat.

kaum ausdaureu der Rumpf mehr kann den übergewalti- gen (Meerschwall) Voss

und wir erkennen in dem letzten Takt den eben erwähnten scliwebenden Schluss. Hora- tius, der die choriambische Bewegung sehr vor- schalkn lässt, halle wahrscheinlicli dieses Maas im Sinn, währeud die Gi'iechen, die den ioni-

212 AllgeiucJuer Tlieil.

seilen Rhythmus im asklepiadischeu Ver.s vor «challen Hessen , vielleicht so:

! N ^ t ^ I I > Ej > I I > I -ii

d da. e^ » I J. J. 0^ d I •' d 'W Auswärts schauendem, sanftbogigem Doppelhüru fügt, anspannend, er leichtzitternde Sehnen ein.

J/.^/.'^ I J. J.

V

Froh antwortete Lyra

»««. «N« \ 0 d d bald ambrosischer Finger Ruf.

diese Strofe gemessen halaen.

202.

e. Im leichten, ungeraden Metrum, kann der schwebende Schluss nur als Ausfuilung der gan- zen Periode durch den flüchtigen Daktylus vov- kommen. Dieser Schluss ist aber selten, v/ie denn überhaupt, ausser den parapäonischen, nicht leicht quanlilirende Rhythmen in dem leichten ungeraden Metrum vorkommen wenlen.

255. Wie die Grammatiker sich in Bestimmung der Schlussverschiedenheiten der Verse durch die Katalexis helfen, kann erst in der Folge,

Vom Anfang der Rhj'thmen. 2i5

WO vom Vers selbst die Rede ist, erläutert wer- den (426).

Vom Anfang der Rhythmen.

254. Aller Rhytlimus fängt seiner Natur nach notliwendig mit der Ai'sis an; denn die Thesis ist etwas bedingtes, dessen Begrili" nur unter Voraussetzung einer Arsis Sinn hat. So we- nig indessen der Rhythmus in der Erscheinung das Ende der metrischen Periode notliAvendig erreichen muss, eben so wenig ist sein reelles Hervortreten au den Anfang dieser Periode ge- bunden. Wie er seine thetischen Momente ideell ausfiilien kann, so kann er auch die ar- sischen ideell erfüllen, und mit den thetischen erst sein reelles Erscheinen anfangen. Vom Rhythmus, dessen Arsis im Ideellen liegt, und dessen reeller Eintritt mit der Thesis geschieht, sagen wir: er fange im Auftakt an. Die Mu- siker, die den metrischen Sprachgebrauch um- gekehrt anwenden, sagen: er fängt in Arsi an.

205.

Wenn der reelle Rhythmus, mit der letzten Thesis der Periode, unmittelbar vor der Ilaupt- «rsis (vor dem vollen Takt) eintritt, z. B.:

; '1 j } j. j.

Dort wohnt er glanzvoll

ai4 Allgem e iner Thcil.

SO nennen wir diesen Anfang den einfachen Auftakt; tritt er aber früher ein, so dass er schon untergeordnete Arsen hören lüsst, z. B. :

k^ y^ -^^ I .«■'«»'NM'*'«' I ^

und es versanken die Monumente

so nennen wir ihn den zusammengesetzten Auftakt.

206. Die Grammatiker hörten zwar olme Zweifel so gut, als wir, den Unterschied zwischen Auf- takt und Nieder.takt, und vernahmen den Rhyth- mus ^ I J J^ J gewiss nicht als den, den wir J^ JJ^ I J hezeichnen würden ; gleichwol bedien- ten sie sich für den Auftakt wahrscheinlich so wenig einer bestimmten Bezeichnung, wie unsre neuen Musiker vor nicht viel mehr, als einem Jahrhundert. Man verstand sich indessen auch bei geringerer Bestimmtheit der Bezeichnung, und selbst bei Ermangelung eines Namens für die Sache. In unsern Zeiten war Begriff und Wort den Musikern längst bekannt, als die Me- Irikcr, die an den Worten der Grammatiker hingen , noch die wunderlichsten Ansichten von Versen im Auftakt hatten.

207. Benllci (de Metris Terentianis) scheint, we- Tiiqslens hei den iambischen Versen, das Bediic

Vom Anfang der Rhythmen. ai5

geahndet zu haben , indem er bekennt , dass er sie von jeher nach trochäischen Dipodien mit Vorschlag eines Halbfusses:

Po ( eta dederit | quäe sunt adolescentium sliandirt habe. Allein Hermann musste zuerst (1796) die Melriker unsrer Zeit aufmerksam ma- chen, dass es Rhythmen gebe, die nicht im Nie- dertakt, sondern im xiuftakt anfangen. Wenig- stens zeigt der Name Anakrusis, den Her- mann dem Auftakt gab, und den die Metriker angenommen haben, dass sie durch den Erfin- der des iSamens zuerst von der Sache Kenntniss bekamen. Wir lassen ihnen den ISaraen, der ohnehin nicht ganz für die Sache zu passen «cheint, und bedienen uns des passenden und allgetnein verständlichen Wortes: Auftakt.

208. Ausser dem Auftakt will Hermann (de me- tris p. 21. und Metrik §. Sg.) noch eine beson- dre , Avillkürliche , und von den Grammalikern vcrnacldässigle Einrichtung der Dichter bemerkt haben, die er Basis nennt. Da wir diese Sache hier nur erwähnen, weil mehre Theoretiker auf Hermanns Autorität von einer Basis sprechen, so wird es am besten seyn, diese Basis mit den Worten des Entdeckers zu beschreiben ; denn an das, was die Grammatiker Basis nannten (Verbindung zweier Füsse. S. Marius Victorin.

ai6 Allgemeiner Theil.

p. 2489.) , ist dabei nicht zu denken. Indessen wird es gut seyn, hier einige Beispiele der Her- manuischen Basis zu geben, damit die Leser wissen , wovon die Pvede sei. In folgenden Versen :

Nunc de-

Wieder

Teucer Tydeus' Quamvis Erdum-

siderium, curaque non levis. Horatius

trägt dich, o Schiff, neues Gewog ins Meer

Voss te Sthenelus sciens

Sohn, dem der Vater weicht

Pontica pinus

wandelnde Sterne sollen die vorn abgeschnittenen Sylben jedes Verses die Basis seyn. Hermann bezeichnet diese Basis so :

.. ..I— s./«* *^

KvjtQt-dog &cilog wleaev

hoc non pollicitus tuae.

259. „Noch verdient sagt Hermann §. 09. - eine willkürliche, und von den Grammalikern Vernachlässigte Einrichtung der Dichter erwähnt zu werden. Sie setzen nämlich vor manche Reihen, und gemeiniglich vor solche, die mit der Arsis, und nicht mit der Anakrusis anfan- gen, zwei, aucli drei Sylben ohne allen Ivhyth- mus, gleichsam um dadurch eine Versammlung der Kräfte auszudrücken, die zu der folgouden

Vom Anfang der Rhythmen. 217

Ileihe gebrauclit werden sollen. Dass diese Syl- hen gar keinen Rliytlimus ' haben , ergibt sich aus dem Maasse derselben, welches ganz unbe- stimmt ist, und mitbin allen Rhythmus aufbebt. Wir nennen diese Sylben Basis. Sie lassen alle vier-und zweisylbigen Füsse, und von den drei- sylbigen den Tribracbys , den Anapäst, und den Daktylus zu. Die zAveisylbigen Füsse sind in der Basis die gewöhnlichsten. Der dreisylbi- gen bedienen sich vorzüglich die komischen Dichter, seltener die Tragiker und Lyriker."

24o. Die Willkürlichkeit der Dichter, welcher die Basis ihr Daseyn verdanken soll, muss in ei- nem System, das bloss objektive, formelle und apriorische Sätze gelten lassen will, allerdings etwas auffallen. Soll die Willkür der Dichter einmal auf die Bildung der Verse Einfluss ha- ben, und will die Theorie einmal diese Will- kür in Schulz nehmen, so hebt sie selbst sich und ihr angekündigtes Gesetz auf. Es wn<l sich aber zeigen, wie das, was Hcrman}i Basis nennt, keineswcges eine willkürliche Einrich- tung der Dichter ist, sondern eine vollkommen ^ gesetzliche Bildung des Rhythmus.

24l. Noch sonderbarer ist es, dass Hermann in .seinem grössern Werke (rle raclris S. 21.) die

31 8 Allgemeiner T heil,

Basis mit der Gewohnlicit der Musiker ver- gleicht, vor Anfang des Touslücks ein paar Töne zu greifen. ( Ac niusiei quoque consiie- runt, autequam symphonias incipianl, praeludii loco, binos sonos e pluribus coucordanlibus so- nis compositos praemiltere , qnibus simul vocis genus, quo usuri sunt, indicant. "Wenn wir solche Nachrichten über alte Musik bekommen haben, wie uns hier ein gleichzeitiger Autor über neue Musik berichtet, so ist es wol nicht befremdlich, dass wir nicht recht wissen, was wir daraus machen sollen.) Es ist nicht nö- thig , das Unpassende und Vergriffene in die- sem Gleichniss auszuhebei ? denn dass jenes Präludiengeräusper, das manche Musiker sich angewöhnt haben, mit dem Tonstücke so wenig in Verbindung stehe, als der Passagenunfug mancher Orchester bei dem Einstimmen, ist allgemein bekannt; die Hermaiinsche Basis ist aber ein Theil des Verses, vom Dichter selbst gebildet, nicht vom Rhapsoden, oder Sänger hinzugefügt. VVären die Sylben der Basis un- rhythmischer Ansatz, so Avär es der Natur des Rhythmus durchaus widersprechend , mit ihm eine uurhythmlsche Masse in den engsten Zu- sammenhang zu bringen, und ein Dichter, der so etwas anders, als im Seherz unternahm, ver- diente von der Tlieorie vielmehr Tadel, als Bel- slimmung.

Vom Anfang (Ter E.hythnifen. ai'j

Und was soll denn überhaupt diese unorga- nische Masse an dem Kopfe des Verses? „Sie soll eine Versammlung der Kräfte ausdrücken, die zu der folgenden Reihe gebraucht werden. "^- Allcin im Vers (als Vers, nicht als Dichtwerk), ist Rhythmus das einzige Darstellungsmittcl. Soll Versammlung der Kräfte anschaulich ge- maclit werden, so muss und kann es im Rhyth- mus und durch Rhythmus geschehn. Unrhylh- misches findet keine Anwendung, und avo es angetroffen würde, war es ein verwerflicher Auswuchs. Klar ist es also, dass die Herman- nische Basis der Verskunst ganz fremd, und seine Ideen von eineui unrhythmischen Ansatz, durch den man eine Kraftversammlung ausdrü- cken könne, ganz unhaltbar und in sich selbst widersprechend sei. Die getadelten Grammati- ker irrten nur auf eine andre, und weniger in- consequente Art, als ihr Tadler.

242.

Eben so wird es sich am gehörigen Orte zei- gen, dass kein Dichter (wenn er nicht, als ISach- bildner, vom Irrlicht der Hermannischen Basis verlockt wurde), jemals an eine solche unrhyth- mischc Missform gedacht habe. Alle \ erse, de- ren Anfang Hermann nur durcli die Basis zu erklären im Stande ist, werden (089) ohne diese Hülfe, als richtige Rhythmen, ihre Messung uTul l'>rMäriinir finchni.

220 A Ugcm einer T hell.

243.

"Wollte mau den, der Hermannschon Theo- rie ganz unhekannlen, zn.«animengeselzten Auf- takt (255) Basis nennen, so hätte man zwar eine ■wirklich vorkommende Sache lienannt, aber die Ikrmannische Basis damit nicht gerechtfertiget ; denn nur in einzelnen Fällen ist das , was Her- mann Basis nennt, als zusammengesetzter Auf- takt anzusehn, z. B. in dem langen Asklepia- disehen Vers, nach der Messung, die Horatius bei seiner choriambisch gehaltenen Cäsur wahr- scheinlich im Sinn hatte:

-Z I ~^^- 1 -ww._ I _^^_^ I _

« « I 0. 0^« ä. I e. m^ä m. i •. 0^» es I »• Tu ne quaesierls, scire nefas, quem mihi, quem tibi Lass trübsinnigen Gram, sieh wie der Wald grünende

Wipfel hebt !

Die Griechen maassen diesen Vers wahrschein- lich, wegen des vortönendeu ionischen Rhyth- mus im Niedertakt:

i > ^ ^ ^ ! i ^ s > i i > j> > i i >

m 'j o- ^ a I •. e. m^ e 1 9. ». 9^ 0 \ d ä

yv-via'^iv voo^ oiacoqe/.e -fiyoivdogin- o^ßolog

T h e o c r i t. Immer steht den wirthstliH fluchen Hausfrauen nach dir das Jlerz Voss.

Ausführlicher wird dieses bei den einzelnen A erscn erläutert werden. Man sieht indessen

V o m A n f a n g d e r R. li y t h m e n, 221

schon so Tiel. Wollte man den liorazischen Vers mit ionisclier Bewegung messen, so be- kämen die Schlusssylben in quaesieris und ne- fas, ausser der dreizeitigen Länge, noch arsische Kraft, wodurch sie gegen Sprache und Sinn über die Gebühr gehoben würden. Ein ähnli- ches Missverhältniss entsieht, "Vi'enn man den theokritischen \ ei-s nach choriambischer Bewe- gung lesen wollte. Denn wiewol die rhythmi- sche Form eines Verses zuweilen, nicht ohne Gewinn derBewegung, eine andere ist, als die me- trische (197), so dürfen doch die Momente der Kraft, Arsis und Üeberlänge, nicht auf unter- geordnete Ptedetheile in Wortfuss und Sinn, gehäuft werden, vielmehr ist hier eine geschickte Vertheilung nöthig , um schwache, aber bedeu- tende Sylben durch Stellung zu heben, starke unbedeutende dagegen durch Stellung zu mas- sigen. So erhält die, durch dreizeitige/ geho- / '^* bene Schlusssylbe in quaesieris durch die Stel- lung in die Thesis des Choriamben die nöthige Mässigung. Sollte in Lilien fuss die letzte Sylbe besonders gehoben werden , so kam sie bei io- nischer Versbewegung in die erste Länge des flüchtigen lonikers zu stehen, und der "Wort- choriamb blieb rhythmische Form ohne metri- sche zu seyn.

222 Allgemeiner Tlieil.

244. Auch mit sicli selbst ist Hermann wegen der Basis im Streit. De nittris S. '25. heisst es: Basin ubique statim sequitur arsis. Allein S. 370. wird in einer angeblichen Form des priapischen Verses die Basis unbedenklich vor den Auftakt (Ankkrusis) gesetzt :

.. .. I w_w- II .. .. I ^

Kttt fxe'hXotrivov Xaloiv | y.ai Qo\da ir^ogafatj^MS

Fröli- I eher grünt der Myrtenhain, 1 1 liebli- | eher

blüht die Rose

wobei die Umständlichkeit der basischen Kraft- \ ersammlung zu einer so leichten , planen Me- lodie , einen ziemlich sonderbaren Efiekt macht. Noch sonderbarer wird aber S. 217. sogar ei- nem Yers die Basis in der Mitte eingeschoben;

xoAttw aide iuvd-' uyvt/.i ^a^ufg K^ofco Der ohne alle Basis in der Mitte sich sehr leicht tripodisch misst:

noXnoj a'ide'-^avd^ ayvut y^agtreg Kpoj/o»

Der frohen Jugend anmiUhge Begleiterin.

Man sieht wol, dass Hermann, unbekacnt mit der tripof'ischen Messung, die beiden unbe- stimuiten Sylben in der Mitte des Verses aus

Vom Anfang der Rhythmen, aaä

seiner Theorie nicht erklären konnte, und sie deswegen zur Basis machte. Allein die erste dieser iSylben, die im Metrum lang ist, kann als thetische Endsylbe eines Rhythmus durch eine kurze, und die zweite, v.^elche als Auftakt des folgenden Rhythmus metrisch kurz ist, durch eine lange Sylbe (beides schon nach der Her- manuisclien Theorie) ersetzt werden ; daher nimmt mau keinen Anstoss, wenn beide kurz sind , z. B.:

der jungen Rosen erglühende Farbenpracht wiewol die Längen allerdings kräftiger tönen.

245.

In Rücksicht auf den Anfang unterscheiden wir also gleich den Musikern Rhythmen in Nie- dertakt , und Rhythmen im Auftakt.

Der einfache Auftakt lässt sich fast allen me- trischen Formen anschliessen. Da er dann oft, wenn auch nicht ihre Natur, doch ihren Na- men verändert, so ist es uöthig, diese Formen besonders zu erwähnen.

246. 1. Im spondeischen Metrum entsteht aus der daktylischen Form , durch den Auftakt die schwere, oder vierzeitige anapäslische, mithin:

\ m d *

alt A 1 1 g e ni o i n e r T ii ü 1 1.

Es Ist ans der Messung musikalisclier Piliyllimen bekannt, dass der (ieliult des Auftaktes dem Seidusstakte abgerechnet wird, und setzt mau mehr Rhythmen der Art neben einander, so zeigt sich sogleicli die INolhwendigkeit dieser Messung; denn die letzten Sylben des einen bilden sich sogleich zum Auftakt des folgenden Rhythmus:

so dass die ersten Kürzen sich als Thesis eine3 daktylischen Rliythmus zeigen, dessen Arsis reell nicht ei'scheint. Die anapästische Form ist daher :

denn ^vie\vol die beiden Kürzen in der metri- schen Periode vorhanden sind, so gehören sie doch zum folgenden Rhythmus. Der Auftakt des Anapäst ist aber eigentlich die lange Thesis des Spondeus; daher hat der Anapäst diese Form :

> ^ I 1

I I

und in sofern der Proceleusmatikus unter die Foi-men des spondeeischen IMetrum gehört, ist die vollständige Form des iVuapäst:

w W ' ttl 0 \ 0 0

I I

wobei aber der Accent des Proceleusmatikus (<!/ w w w) wohl in Acht zu nehmen ist.

V o m Anfang der R ii t h ni e n. ■2-ib

047.

2. Im gemischten Metrum eutstehn durch den Auftakt folgende Formen :

a. Aus der irochaischen Form der Dipodicj. wird die iambische Dipodie:

l ^ e \ 0 0 4 deren Rhythmus auf der zweiten Arsis schliessl wiewol die metrische Periode die Thesis ent- hält. Bedient man sich der metrischen Zeichen. mehr um die i'hythmische Bewegung zu bezeich- nen , als die metrischen Reihen , so fallen die Taktstriche bei den iambischen Versen in der metrischen Bezeichnung anders, als bei den mu- sikalischen , z. B. im iambiscTTcn Trimeter:

0 \ 4 ^ * 0 \ a Z' * #'*«'«

Schilt nicht den Fernen ! Fei:;e iliehn des Feindes Blick.

Aus der \ erwcchselung dieser beiden Arten zu bezeichnen, entstehen oft Irrlhiüner.

248. b. Aus der flüchtigen ionischen Form:

I N 1^ >

«. 0. iT 4

entsteht durch den Auftakt die anlispasti- sehe:

\ 0- 0 li^

1.'»

2a6 A 11g emeiner Th e IL

Die Messung zeigt eleu Sinn dieser Form, de- ren melrisclies Scliema ^ _ _ ^ mit zweizeili- gen Längen gedacht (J^ | JJ J^), nur die Ver- mutliung erregen kann, als habe irgend ein Grübler, um alle nur mögliche viersylbige Füsse aufzuzälen , auch diese rhythmische Missform an das Licht gebracht; denn ganz gesanglos, als ein leerer Schatten für das Auge, steht sie in den Theorien, die sich vergebens bemühen, der Uebeitönenden Wohllaut, oder doch Methode im Uebellaut anzudemonstrii-en. Beobachtet man die wahre Messung, so sind antispastische Rhythmen, z. B. :

7 avii^l w w

Dein goldlockiges Götterhaupt eben so leicht zu vernehmen, und dem Gehör der Neuern nicht fremder, als irgend ein an- drer Vers.

249. c. Aus der bacchischen Form (nach andern palimbacchischen) :

j. j ; _

wird durch den Auftakt die palimbacchi- sclie (nach andern bacchische):

.^ I J. .'

Vom Ani'an^ der R h}» ih iii en. 237

z. B. in dem Vers:

l I-- I -^

ti \ 0. d » \ ä. 0 0 \ £-. 0 0 \ 0. 0 tiv GXTUi', Tiv iikav dfjufiw ; noc TtoQfv&co;

Die Anmut, o Jungfraun , gewinnt mehr , denn Schönheit.

Voss

Voss (Zeilm. S. 254.) will diesen Vers nach dreiviertel Takt gemessen haben:

> 1 J I > I I I > 1 J I ^'^ I J J 0 \ 0 0. ä \ m 0, 0 \ 0 g. 0 \ 0 0

vielleicht, weil statt des Palimbacchius zuweilen ein Moloss stehn kann. z. B. :

---- 1 --- 1 ^-- I «^-- Nicht Schönheit, o Jungfraun, nur Anmut beseligt

oder auch wol ein loniker:

Voll Anmut der Jugend, im Reiz bräutlicher Sehnsucht

allein, dass der flüchtige loniker mit dem Bac- cli/eos wechseln könne , zeigen die Formen des gemischten Metrum, und die Länge statt der Kürze im Baccheus ist, wie die Folge zeigen wird (S. Messung der letzten Stelle iu metri- schen Reihen), nur prosodisch, nicht metrisch, und so wenig befremdend, als die lange Sylbe statt der Kürze am Sehluss der trochaischeu

Dipodie.

200.

d. Aus der leichten choriambischen Form:

J: ji } J.

2'-iÖ All gC 111 i :. ; '.''!i '1.

entstellt clurcli den AuiUikl von zwei Küi'zen

die Form :

-^ ^ I - - -' -

die wir die flüchtig a n a p ä s t i s c !i e uen- neu. Man versuche die meisten anapüslischen Ver.se, und weit öfter wird man sich auf der flüchtigen und heftigeren Bewegung:

•^ #^ I «'. «^ ^ » J^ 6^ \ e. 0" a 0 betreffen, als auf der ernsten vierzeitigeu

0 0\00a\00 0i6''!0\0 die Messung nach Dipodien, und die, so selten verletzte Cäsur in der Mitte des Dimetei'S:

qiXudilqu xßTto day.Qv nßofAivi] Soph. Dionysos erscheint mit dem 1 igergvspaiin

scheinen ehenfalis darauf hinzudeuten.

201.

3. Im molossischen Metrum entsteht durch den Auftakt die steigend ionische Form:

0 0 \ 0 0

weiche, nach dem schon früher crJnnerlen, niehl mit der metjischen Form der molossitchen Pe- riode {J^ J^ J J) , die im Jsiedertakt anfängt, ver- wechselt werden kann. Jeuer Auftakt kann auch das unaufgelösete (h'ilte Moment des Molosses

Vom Anfang der Rh3'thmen. a^o

N - I

1 I I I

und so entstehen in dieser \ ersart manrlic.rliytb- misclie Rütkungen , indem clioi'iainbischc «iin\1 schwere ionische Bewegung gegen einander stell», z. B,:

Hoch schwang er das Schwert , und voran emstürmt er in

die Geschw ader

v.clcher Vers mit dem schweren ionischen Te- trameter glei(']ien metrischen Schritt hält, und nur in der rhythmischen Bewegung seinen ei- gculhümiiehen Charakter zeigt.

Vielleicht gehört hieher der Rhythmus, oder, wenn mau will, Fuss, den die Grammatiker Pae(^)n cjjihaius nennen. Nach Aristides ( S. 3b. Edit. Meibom.) Lesteiit er aus einer langen The- sis, einer langen Arsis, aus zwei laugen Ihe- sen, uud nocU einer langen Arsis, mithin aus fünf laugen Sylben. Nimmt man Arsis und Thesis als Hebung und Senkung (nach Hcr- mann's Erklärung), so ist der Rhythmus dieser:

Wpnn Vollmondlirht stralt

2ÖO AllgeraoinerTheil.

und fla eine anfangende Senkung niclils anders ist, als Auftakt, so bezeichnen wir diesen Rhytli- mus :

» r

oder in Musikzeichen:

I I m ^ wodurch eben ein molossischer Rhythmus mit dem Auftakt entsteht. Gehört, wie Ügen ver- muthet (Scolia CXLIL), der von Clemens Ale- xandrinus erwähnte Anfang eines Hymnus zu dieser Gattung päonischer Rhythmen, so war sein Maas:

J IJ J J 1 J ; J U J J U

dem sich leicht eine passende Melodie aneignen lä.'ist.

252.

4. Im tripodischen Metrum entsteht beson- ders aus der Form :

I I ^ ! •. « « «

durch den Auftakt die doch mische Form: ^ I _ _ ^ _

die zwar manche gelehrte Untersuchung veran- lasst hat, aber in ihrem Rhythmus wol kaum norh vernommen worden ist. In richtiger Messung hat fh'r rjoclnrii.sclic Vers, wie der auli.s])a.stisclie,

VomAnfangderRhythmen. 23 1

einen unserm Gehör gar nicht widerstrebenden Gesang, selbst in Ziisamiaensetzuugcn nicht, de- ren Möghchkeit manche Metriker bezweifehen, z. B.: .

Der Freiheit aufdämmerndes Götlerlicht

Viel Sonderbares über dochmische Verse rührt ohne Zweifel daher, dass man dochraische For- men aufsuchte, ohne Unterschied, ob der Doch- mius dai-in metrische, oder bloss rhythmische Form sei. Diese nannte man dann insgesammt dochmische Verse. Der eben angeführte Vers ist ein dochmischer j denn die Messung zeigt in ihm den Dochmius als metrische Form. Fol- gender Vers hingegen :

In Mainächten von Lieb' entglüht Ertönt Lenzgesang im Hain, ist, der dochmischen Form des zweiten unge- achtet, kein doclimischer Vers ; denn seine Mes- sung ist dipodisch:

0 \ 0. 0. 0 0 \ 0 0 0

In Mainächten , von Lieb' entglüht

Nil I > 1 j ^ ' 0 \ 0. 0 0 \ 0 0 0

' ertönt Lenzgesang im Hain

•s";! '■ i . Q '- III ei n e r TheiJ.

iiiid die (locaniische Form ist Lloss rhyilmiiscli, liJclit metrisch in ihm vorljaiiden. A-uI" ähnliche Art kann in der Musik die Bewegung des Sechs- achteltaktes ' im Dreivierteltakt rhythmisch vor- kommen ,

ohne die Natur des Metrum zu ändern, und den Spieler zu irren.

255.

x^lle andern Formen lassen ebenfalls den Auf- takt zu; allein da sie dadurch keinen eigbn- ihümlichen Namen bekommen, so werden sie iii. ht besonders hier aufgeführt.

254.

Man würde irren, wollte man glauben, dass, bei einmal eingeleitetem Auftakt, alle Rhythmen, V. eiche in demselben Metrum mit einander ver- bunden sind, auch mit dem Auftakt anfangen sTiüssen. Die Musik zeigt das Gegentheil, und eben so der Vers in alten und neuen Gattun- gen. Dei'i ambische Trimeter z. B. langt in sei- ner üblichsten Form im Auftakt an, und fälirt nach dem ersten Einschiritt im Niedertakle fort, AVor;iuf wiederum ein Rliythmus im Auftakt be- <^oh]i(^sst :

Vom Anfang der Rhythmen. 235

Furonie caecus , an rapit vis acrior? Hoiat.

Reisit blinder Wahnsinn , reisst Gewalt von oben euch ?

Voss

Das Metrum behält liier freillcli die Auftakt- sylbe als Tliesis; allein in andern Fällen wird dieses Moment selbst im Metrum ideell zuiu Punkt, oder zur Pause, z. ^.. in der oft vor- kommenden Mischung des choriambischen und iambischen Rhythmus :

1 -ww_

> M > I I '^ i^ > J fq^ olgniQ , w '/^Qvaolocfa Es stürzt den Feind Göttergewalt

Manche Rhythmen würden besser verstanden worden s^^yn, hätte man hierauf mehr geachtet. Der dochmische Rhythmus fängt zwar allerdings im Auftakt an; das hindert aber nicht, dass in der Police mehrer Doelimier der Auftakt bei ei- nem, oder dem andeim wegfallen kann, z. B. :

^MJ^l |>>N|>i

Of TKVTUV, 10) /ifkfog , ovd'f/^M er folgt' ihr hinab, in das ersehnte Grab

Penn die Form ^ ^ ^ _ ^ _ im hemiolischen Verhall ni.ss zu denken, erschwert ofleubar dvu Rhyllimus, uud es ist kein ririin«! iui Vers vor-

i34 Allgemeiner Theil.

lianfleii, der dieses ungewöhnlichere Verhähniss rechlfci'ligle.

255. Aus der angezeigten Natur des Auftaktes er- hellt, dass Hermann irrt, wenn er die Auitakt- sylben „Theile einer vorhergegangnen unend- lichen Reihe" nennt (Metrik §. 55. de metr. p. 20.), weil ihnen keine Arsis 'mrhergehe. Sie sind nur thetische Theile einer vorhergehenden Periode, deren Arsis filoss ideell ist, ohne reell zu erscheinen. Dieser Irrthum war an sich un- bedeutend; er wird aber durch die Folgerun- gen wichtig, die Hermann in Beziehung auf Versabtheilung, z. B. de Metr. Pind. S. igS. daraus zieht. Wenn ein Rhythmus in der Ar- sis schliesst, und der folgende fängt in der The- sis derselben metrischen Periode an.

^ ^ N I

Auf zu dem Wald ! Es ruft die Jagd SO ist diese Thesis für den zweiten Rhythmus allerdings Auftakt, und ihre Arsis ist in Bezie- hung auf den anfangenden Rhythmus in der- selben Periode ideell, in welcher der vorherge- hende reell auf der Arsis schloss. Man denke sich beide Rhythmen an zwei Stimmen vertheilt, so ist die Sache klar, und jedes Tonstück ent- hält Beispiele davon.

Verbindung der Rhythmen. ajS

Verbindung der Rhythmen.

256. Uebei' Verbindung der Rliytlimen, so wich- tig der Gegenstand auch ist, sowol für Beur- tlieilung, als Bildung der Verse, haben die me- tvisclieu Theorien bis jetzt gar nicht, oder doch sehr in den allgemeinsten Ausdrücken sich ver- nehmen lassen. Die einzige Bestimmung, die man vielleicht findet, mochte die seyn, dass nur verwandte Rhythmen verbunden werden kön- nen. Was sind aber verwandte Rhythmen? Sind es solche, welche die Theorie in demsel- ben Abschnitt behandelt? Die Hermannische zäh die sinkenden louiker zu den daktylischen Rhythmen, gleichwol wechselt dieser Rhytlunus mit dem trochäischen; Daktylen und Trochäen wechseln in logaödischen Versen, und der Päon, der nach Hermann zu einer besondern Klasse der B.liytlimen gehört, wechselt mit lonikern und iiiil Trochäen. Die Verwandtschaft war also erst auszumitteln , ehe selbst jene leichte, oberfläeidichc Ansicht der Verbinduni? anwend- bar seyn könnte.

257. Wie unter den mehrsten Gegenständen, so findet auch unter den Rhythmen eine dop})ehe An von Verbindung Statt, die man als äusse- re und innere iinlcr.s<'h<'idcn kann. ,

^36 Allge iii ein er TJif 1 1.

258. Die ä II s s e r c Art der VerLindung , die wir äussere nennen, weil kein inneres, bindendes (orjjanisii'endes) Princip in ihr wahrgenommen wird, besteht in einer Jdüssen Nebeneinander- stellung (Juxtaposition) der Rhythmen. "Wir finden , um die Sache gleich zu nennen , eine Zusammenstellung der Rhythmen dieser Art in der prosaischen Rede, deren Benennung wir nur der Deutlichkeit wegen hier anliclpiren ; denn die Kunst des prosaischen Rhythmus, lä.s.st sich nur bei völliger Einsicht in die Kunst des metrischen Rhythmus theoretisch erläutern.

2,%.

Soll der rhythmische Styl der Prosa wirklich Styl seyn, und nicht bloss die Bequemlichkeit ausdrücken, welche die Entbundenheit Aom me- trischen Gesetz gcAvälirt, so darf er nicht durch metrische Bewegung die Forderung eines sol- chen Ganges aufregen, und dadurch das ünme- trische seines gewöhnliclien Schrittes als Ab- weichung vom Gesetz charaklerisiren. Die Theo- rien tadeln daher die \erse, oder Verstheile, wel(-he zuweilen in prosaischer Rede vorkommen, z. B. das esse videtur, das placuisse Ca- toni und ähnliche Rhythmen. Allein die Be- trachtung der, aus dem Grundrhythmus abge- leiteten Formen, zeigt bald die Unmö.-,i!<hkeil., <h'm Umfang dieser Forderung zu genüg(;n.

Verbindung der Rhythmen. aSy

Denn wir mögen die Wovte steilen , wie wir nur immer wollen, so stellen wir sie zu einer rhythmischen Form zusammen, und mitliin in eine Form, die ein \ers, oder ein \ erstheil seyn kann. Clodius (Poetik S. 55o.) schreibt, indem er den N ers in der Prosa tadelt, selbst ein Stück Hexameter:

_ ^ ^ _ _ schreiben in lauter lambon. Das

mjösfallt

Klopstock (Gramm. Gespräche S. 126) lässt sich einen aristofauischen iambischen Tttrameter ent- fallen :

Wir haben, ich sehe es nun -vvol ein, selbst gutgeschriebene

Bücher und S. 229. einen dochmischen Vers mit ange- hängtem Kretikus:

w w>— I _»^_

Du legst ihr dadurch Knoten an ganz nach dem Euripidischen:

(f6Li (f.£V 'j(^(QVlßb}V I TbiV iy.il,

Ja , die unschuldigste Zeitungsnachricht :

Halb zwei Uhr verliess der Feind urisre Stadt

läuft Gefahr, als dochmischer Dimeler, gleich dem Sofokleischen

Z .- I l, w_

na< , naiy viog vtM '^vv f.iOi)(o angehallen zu werden. So schwer ist es, keine Verse zu raaclien, und man wundert sich mit

2.'5.' Allgemeiner T h e i 1.

Unreclit, dass jener sich wunderte, als er hörte, er spreche Prosa. Gkichwol wird der Leser an allen diesen Stellen in den Büchern selbst weniger Anstoss finden, als wo man sie vor ei- nem prosodischenLängenhüreau über ihre Theil- nahme am Vers abhört.

260.

Die Prosa kann so wenig vom Rhythmus frei seyn , als der Klang der Rede vom Ton. Gleichwol soll die Rede nicht singend seyn. Der Sprachton ist, wie Schelling sich einmal sehr passend ausdi-ückt, ein Tonchaos. So soll auch die Prosa gleichsam ein Chaos seyn, in welchem die Rhythmen als Verselemente liegen, ohne sich jemals zum wirklichen \ers zu gestal- ten. Dieses Verhaitniss des Rhythmus zur Prosa erhält der Prosaist dadurch : theils , dass er Verbindungen solcher Pvhythmen vei-meidet, wel- che in demselben Metrum sich an einander schlicssen. (Nicht gut war z. B. die Wortstel- lung :

In verzweiÜLingvoller Verwirrung focht unten die Legion ,

denn die Melodie des galliambisehen Verses mit aller Lyrik der Antithese seiner beiden Hälften klingt durch); theils, und vorzüglich, dass er in Stellen , wo das Metrum sich zudrängt , sich hütet, eine rhythmische Form (z. B. einen Wort- fiiss) an solche Orte zu bringen, wo diesülbe

Verbindung der Rhythmen. a3f)

zugleich metiisclie Form ist. Zu versülmlich würde deswegen klingen:

Der anmutige Wechselgesang der kunstliebenden Jungfraiui; denn die Melodie des priapisclien Verses klingt. durch, und jedes Wort hat die rhythmische Form der Periode, in welcher es steht. Durch entgegengesetzte Stellnng kann sogar im wirk- lichen Vers die Auffassung seiner Melodie ge- stört werden. Der früher angefiihrte, z. B. :

«^w j w^—ww I w«*' ^JM «^t/ t/ «^ I •"

In dem Labyrintli der gewaltigen anstürmenden Melodie kann bei aller metrischen Richtigkeit in der Prosa Statt finden, weil die rhythmischen For- men darin niemals zugleich metrische sind. ]Nicht selten ist eine solche Stellung auch der Grund, warum manche der alten \erse nicht eher richtig vernommen werden, bis man aus andern Zeichen erschlossen hat, zu welcher Vers- gattuug sie gehören.

Es ist aber nicht, genug, nur einige Rhyth- men der metrischen Form entgegen zu stellen, wenn andre in demselben Satze wieder damit parallel laufen. Der völlig metrische Satz:

Hallt Flötengetön anlockender, als der Ruf des Schlacht-

hürns?

kann mit seiner ersten Hälfte unbedenklicli in der Prosa stehn ; denn die rliythmischen For- men Ivcfi'en niemals mit gleichen metrischen zu-

A U ü e m ö i ti f r T li c i 1.

sammcii, soajar der ionisolie Worlfass: anlo- ckender, steht der ionisclien metrischen Form durcli seine Stellung in der Periode :

t ^ > )^ >

^ w w

anlockender

entgegen. Die zweite Hälfte hingegen:

als der Ruf des Schlaclithorns gibt "die Meibdie des ithyfaliischen Verses

0 0^0 \ 0. a.

- - - - I

iinverdeckt, und gehört also nicht in die Prosa. Setzt man dafür:

als Sclilaclithornruf

SO ist zwar ebenfalls ein Vers vorhanden, näm- lich der anapästische Monomcter

allein dieser vereinigt sich mit der ersten Hälfte nicht zur metrischen Reihe, und so ist jener prosaische Satz kein \ers, Aviewol seii.e erste Hälfte, bei einmal eingeleitetem \ erstakt, untadeihaft im Vers srilm kann. Sehr beför- dert wird auch diese autimelrisehe Stellung ia der Prosa, wenn die Ar.sis im Worlrhylhmns, lind der logische Acceiit iiiclil auf SltlhMi trei- fen, die, wenn der Pihylhmus Theil eines ^ivr- sts war, in der Hebung dieses Verses stehe n

Verbindung d e v K h y t h m e u. 2 i x

würden. Mehr liicrüber zu sagen, ^vürde ausser den Gränzen der Metrik lie^^en, die ehen als Metrik nur den metriselien ilhythmus zu be- handeln hat.

261. Die innere Verbindung der Rhythmen muss ein innres organisirendes Princip des Zusam- menhanges in der ßeihe der verbundenen Rhythmen wahrnehmen lassen, so wie die Ele- mente des Rhythmus selbst (die Momente) durch ein innres organisirendes Princip verbunden sind. Dieses organisirende Princip des Rhyth- mus ist das Metrum, durch welches Accent und Quantität für den Rhythmus zu sichern Bestim- mungen werden. Eben dieses Metrum wird also auch Princip der Verbindung mehrer Rhythmen zu einem Ganzen seyn; allerdings aber in grö- ssern Dimensionen, als wo es nur für rhyth- mische Elemente das organisirende Princip war. Dieses Metrum in grössern Dimensionen ist die m e t r i s c h e P e r i o d e (in der Musik der Takt), und das Ganze der verbundenen Pihythmen, das sie organisirt, ist der Vers (in der Musik die Melodie).

261. Wie sicli nämlich die Hauptmomenle (oder die aus ihrer Zerfällung entstandenen Füsse), zu der metrischeu Periode (198. il.) verhalten,

x6

a42 Allgemeiner 'J'heil.

SO verhält sicli Avicder die mclriscfie Periode zum Vers. Sie stellt das Haujitraoraent in der grösseren Sfare des Verses vor, und wie die Pe- lüode, nach der Zal der in ihr enthaltenen Hauptmomente, oder Füsse, zur Monopodie, Di- podie oder Tripodie wird, so wird der Vers nach der Zal der in ihm enthaltenen metri- schen Perioden, bald Monometer, bald Dimeter, bald Trimeter seyn. Telrameter sind doppelte Dimeter, Hexameter doppelte Trimeter oder dreifache Dimeter. Wahre Pentameter gibt es so wenig, als Pentapodien, die sogenannten Pentameter haben ein andres Maas. Z. B. der, nach Monopodien gemessene daktylische Penta- meter des Simmias :

_^^ I -wv' I •-< r -^^ I

XOii^e, uvu^, iTu(J€ C^.&eug ficcy.u^ »J/^ßi' Blühend und zart , wie die Knospe des rosigen Frühling« ist entweder ein fiiichtig daktylischer Trhneter nach Dipodien:

«. e^ i* «. «^ e \ e. o^ e e. er » 1 #. #• oder ein tripodischer Dimeter:

d. /> J. •" d J. «' \ d. J^ » «. d. was aus den wenigen auf uns gekommnen Ver- sen dieser Art sich nicht bestimmen lässt; oder sie sind seltene Versuche, denen das Gehör so wenig beistimmte, als die Theorie, und die da- her nioht viel ISachahmung fanden. Zu diesen

Verbindung der Rhythmen. 245

scheinen die trocliäischen und kretischen Pen- tameter zu gehören.

262. Vielleicht aher entstanden dergleichen üher- lange Verse zuweilen durcli das, was die Grie- chen S c h al t in e t r u m ( f-iexQOv fxecov ) nennen. Um gleich eine anschauliche Vorstellung d-ivon zu bekommen, möge hier das Beispiel eines Schaltverses stehn. In dem bekannten Gedicht von Voss:

Auf meines Vaters Hügel

Da steht ein schöner Baum,

Gern singt das Waklgeflügel

Auf meines Vaters Hügel,

und singt mir manchen Traum ist die ausgezeichnete Stelle ein solcher Schalt- vers; das Metrum derSlrofe verlangt die Schluss- zeile nach der dritten, allein der Rhythmus verweilt hier mit einer Wiederholung, und hält so den Schluss um einen Strofentakt (einen Vers) auf. Es ist, wenn man den Ausdruck nicht misdeuten will, gleichsam eine ausgeführte Fer- mate höherer Ordnung. Marder s bekannte (Kom- position dieses Gediciiles bezeichnet den Cha- rakter dieses Schaltverses sehr trelleud.

26.0. Was der Schaltvers in der Strofe, das ist das (xitf^op fiiGov, oder die Schal tper iode,

24* A 1 1 j^ e in o J II er lljoil.

in dem Vers, oder der Schal Ltakl in der Me- lodie. In einer sehr einfachen Gestalt erwähnt ilin schon der Verfasser des Artikels Rhythmus in der Sulzerschen Theorie, und zeigt in dem Beispiel :

■\vlc der Satz , der eigentlich nur vier Takte, seinem Rhythmus nach, enthalten kann, durch den eingeschobenen dritten Takt zwar fünf Takte bekommt, aber an sich doch ein Satz von viei' Takten bleibe. Das Metrum des Hauptrhyth- mus hat hier eine eigentliche leere Zeit (62), nicht eine Pause; denn diese ist wahres, erfal- lendes metrisches Moment, nur nicht im Reel- len, sondern im Id-eellen (210). Eben so, wie ein musikalischer Satz durch einen Schalttakt, kann auch ein Vers durch eine Schfiltj^eriode aulgehaiten werden. Hierzu gehören die Aus- 'rufe [fniqMi/r^fiazu und [.ifGVf.ivca) , welche man in di'amatischen und lyrischen Gedichten zwischen den Versen eingeschaltet findet, auch die Mono- meter zwischen Dimelern. Vielleicht liegen manche dergleichen Schaitperioden in der Mitte mancher Verse , die deswegen Aerkannt worden sind. Der Vers z. B.:

Selbst von mir , durch eignen Wahnsinn (Wehe, Weli ! ) ward das Scliicksalsvvort erfüllt.

Verbindung' der Pi h y tli m e m. »45

ivird, des eingeschalteten Epifonems vmgcaclitet, kein Pentameter, sondern bleibt Telrameter, was er oliuc das Schaltmetrum ist,

264.

Bei den Grammatikern bekommen auch an- dre Thtile des Verses den Namen ^uz^ov f(iCfOt\ indem sie, nach ihrer Art die Yerse auseinander zu nehmen und zusammen zu setzen, manche längere Verse als auseinander geschobene und mit Einschaltungen ausgefüllte kürzere Verse betrachten. Der Choriamb ist ihnen besonders ein sehr gebräuclilicbes Schaltmetnim. Nach dieser Ansicht ist ihnen z. B. der asklcpiadischc Vers ein glykouischer mit eingeschalteten Cho- riamben

Vielen Redlichen, ach! [samc er beweint] hinab \ oss der bekannte horazische:

Te Dens o[ro, Sybarin] cur properas amaudo H o r. Immerhin scy [taub der Musik] Schulenbarbar und Welt- mann ! Voss

ein safGscher Vers mit eingeschaltetem Choriam- ben. Wer den Vers als Vers vernimmt, wird diese Ansiclit bloss historischer Weise bcmcr- kenswerlh lindcji.

a46 Allgemeiner Theil.

265. Betrachten wir nun in Rücksicht auf den Vers die metrischen Perioden als dessen Mo- mente , so zeigt sich die rhythmische Einheit des Verses, der sich, gleich der ursprünglichen rhythmischen Einheit, in zwei oder drei Momente (Perioden) zerlegt, die sich zu einander verhal- ten, wie Ar is und Thesis in der einfachen rhythmischen Form. In Melodien, deren Rhyth- mcn mit den metrischen Formen der Periode parallel laufen, zeigt sich deswegen der Cha- rakter der Arsis und Thesis im Dimeter, als Antithese, und im Tetrameter nochmals als hö- here Antithese unter zwei dimelrischen Versen, z. B. :

ttjiox^tvuc fiOi , rivog ovvfua '^^rj 'O-av/.i^ueiP uvÖQU

TiOiriTiiv / A r i s t o f.

Antworte flu mir, weswegen gebürt die Bewund^ung wo!

dem Poeten ?

oder im io ischen Rliythmus:

_.'_-, _.^_ II _3 ,--

Piebenlaub umkränzet das Haar, th3'rsusschwingender

Mänas.

Im Trimeter wird diese Antithese verdunkelt; er ist gh'ichsam eiiJer— vveiterter Tribrachys, oder flüchtiger Daklylus, dessen Zeitverhältniss er auch in seiner üblichsten Form:

Verbindung der Rhythmen. 2*7

Der Götter AnÜitz hab' ich oft furchtlos geschaut andeutet.

266. Aus diesem Begriff des Verses, als grösserer Einheit melrischer Perioden, folgt unwider- sprechiich, dass jeder Vers dadurch, dass er Vers ist, auch an den Takt gebunden sei. Diese Taktraässigkeil liegt aber nicht darin, dass der Vers aus Rhythmen besteht, sondern darin, dass der Zusammenhang der Rhythmen im Vers nach einem metrischen Princip Statt findet. Jeder Fuss (Messungsfuss, 22) liat Metrum (Takt), aber nicht jede Zusammensetzung von Füssen hält denselben Takt fort. EJ.en so hat jede metri- sche Periode Takt, aber nicht jede Zusammen- setzung von Perioden führt diesen Takt gleich- formig weiter. Jeder Vers hat Takt in seinem Umfange, aber nicht jede Zusammensetzung von \ crsen Uisst denselben angefangenen Takt fort- <rehn. Durch dieses Takthallen und ISicbttakt- haken entsteht, Avie schon erwähnt ist, der Unterschied zwischen prosaischer und metrischer Rede.

267. Wir haben schon bei mehren Veranlassun- gen des Unterschiedes zwischen metrischen und rhythmischen. Reihen, metrischen und rliythmi-

a43 Allgemeiner Theil.

sehen Formen erwähnt, nieht ganz ohne cli(i Nebenabsicht, auf die Anwendung dieses Un- terschiedes voi'zubereiten , die hier davon ge- macht werden soll, wo wir von den vei-schiede- nen Arten der Verbindung rhythmischer Reihen zu sprechen haben. Die metrischen und rhyth- mischen Reihen sind allerdings leicht zu ver- wechseln ; denn jede metrische Form ist auch eine rhythmische Reihe, und jede rhythmische R^eihe ist wenigstens einer der metrischen For- men ähnlich, gesetzt auch, sie stünden nicht in der Stelle der metrischen Periode, auf welcher die ähnliche metrische Form sich bildet. So stellt z. B. der Clioriamb , als metrische Form, mitten in der Periode:

Wenn des Lieds Wolillaut sich erhebt ( Es ist mit Vorsatz in diesem Reispiel der cho- riambische Wortfuss A ermieden , um bloss auf die Wirkung des reinen Rhythmus die Sache zu beziehn) , er kann aber auch aus einer Pe- riode in die andre übergreifen:

1 ^ ^ ^ N i I > !

Schroffes Felsengestad am Meer nnd dasselbe findet bei jeder andern rhythmi- schen Form Statt, wie mehre früher gegebene r!ris])l(l(> deullicli gemacht haben. Fs bri;vi>ift

Verbindung der R li y thr.ien. a-iq

sich nun leiclit, dass der Charakter jeder Form ungleich starker und le]>]iafter hervortritt, wenn die rhythmische Form auf derselben Stelle steht, wo sie zugleich auch als metrische Form ihren Platz hat, und dass im Gegentheil der Cliarak- ter einer Form um so mehr verdunkelt werde, je verschiedener ihre Stelle in der Periode von der ist, welche sie als metrische Form darin l)ehauptet. Zugleich aber sieht man, ungeachtet der Aehnlichkeit, auch die Verschiedenheit der metrischen Reihe von der rhythmischen, die selbst da, wo beide Keihcn zusammen treffen, noch unterschieden werden können. Dieses Zu- sanimentrcfren beider Arten von Keihcn in Ton- slücken von stark markirtem Pihythmus, z. B. in Tänzen, ist es vermutlich, was Hermann mit seinem Rhythmus des Taktes meint, welcher unsrer Musik Einförmigkeit geben, und den Griechen unbekannt gewesen seyn soll ; denn den Takt selbst würde man doch nur sehr un- eigenllich vuid in einer leeren Tautologie Rhythmus des Taktes nennen.

268.

Dieses Zusammentreffen und Auseinanderscyn metrisdier und rhythmischer Reihen culstcht nicht bloss von Ungefähr, sondern es deutet auf einen (iriindiuUersrliied iu dem Priucip die- ser Reilii'u si'Ihst. Wir versli^hn aber uiiler nie-*'

25o . A 1 1 g e m e i n e r T h e i 1.

Irischer Reihe allezeit tlie metrische Periode, sei ^ie nun Monopodie, Dipodie, oder Tripo- die; unter rhythmischer Reihe aber jede rhythmische Form, ohne Rücksicht, ob sie als metrische Form an ihrer Stelle sich befinde, oder in mehr als eine Periode sich ausdehne, oder vielleicht die metrische Periode nicht ganz ausfülle. So erfüllt z. R. der Choriamb die tiü- podische Periode nicht ganz, und ist deswegen doch als rhythmische Form im tripodischen Metrum anwendbar.

269.

Rhythmus und Metrum gehn zwar, wie wir gesehn haben, aus eincili und demselben Prin- cip hervor, nämlich aus dem Streben der Ein- heit sich zu gestalten (man gestatte diesen Aus- druck, der nach dem Obigen jedem klar seyn muss.) Gleichwol lassen sich in diesem Streben zwei Richtungen unterscheiden, die ausdelniende und die begränzende. Die erste zeigt sieh als das metrische, die zweite als das eigentlich rhythmische Princip. Die erste entfaltet aus der Einheit die Momente in gemessenem \ er- hällniss , und setzt dieses Entfallen in jedem Moment, als einer neuen Einheit, bis in das Un- bestimmte fort, die zweite hält dieses Entfalten an, indem sie die entfalteten Momente als ein entstandenes Ganzes aufiasst, und so begränzt.

Verbindung der Rhythmen. aSi

Man kann dalier bei einer metrischen Reihe \on ihrem Rhythmus abstrahiren, und die metri- schen Momente bloss als Material betrachten, welches von dem eigentlich rhythmischen Prin- cip begränzt werden soll. Hierdurch entsteht die Möglichkeit eines sehr mannigfaltigen Rhyth- mus iu derselben , einfachen oder zusammenge- setzten, metrischen Reihe. In folgenden \ er- sen z. B. ist die metrische Reihe, im Einzelnen und in der Zusammensetzung dieselbe j sie sind insgesamt iambische Trimeter:

w-w_ I 3-w_ I Z .-

Gv f.iev rad'av ttqov/^oi \ ifo) de dtj ru<f.ov Soph. Als starr am Brautaltar | die Unglücksel'ge stand' ^wGova udikofiO) [ (fikruTM | no^evaofiui Ders.

Bald schliesst zum Aufruhr j jede Stadt | feiadsel'-

gen Bund

&fQfiriv iTci ipv^QOiüt I nuo§iav s'/(ig Ders. Nicht hohe Himmelsgötter, i nicht Tiefherrschende (f^ikolfvo:; , MelijGcug , \ ^-^^ivfiag \ Aristo f. Der Schlachten Gott | verhängnissvoll | entgegennihrt

Schiller

allein in jedem sind die rhythmischen Reihen anders, als in dem andern, Avie die Striche in den Versen anzeigen. Auf diese Möglichkeit ei- ner Verschiedenheit der rhytiimischen Reihen, bei (Gleichheit der metrischen, gründet sich die Verschiedenheit der Ciistir in derselben Vers-

Ab'J. A 1 1 g e m e i n e r T li c i i.

gattung, wovon weiter unten ^\e Kode «eyn wird. Eben so kann man umgekehrt Lei einem llliyilimus von dessen Metrum abstrahi- ren, und ihm ein anderes aneignen, was die Veränderung eines Thema in eine andre Takt- ?irt mögiieh macht. (4io)

270.

Indem wir den Unterschied des rhythmischen Priucips vom metrischen genau beobachten, zeigt sich auch unter ilinen eine doppelte Möglichkeit der Verbindung. Entweder beide Principe ent- wickeln sieh gleichmässig, so, dass die rhyth- mischen Formen, weil sie aus einer und der- selben Einheit hervorgehen, mit den metrischen Formen zusammen treffen , oder das rhythmi- sche Princip der Begränzung bestimmt eine von ihm unabhängig entwickelte metrische Reihe.

Bei ganz strenger Beobachtung sieht man bald, dass jene metrische Reihe, welche wir hier als bestimmbares Material denken, schon in ihrer Entstellung rhythmisch bestimmt ist; denn überall ist Metrum ohne Rhythmus un- denk])ar, eben so ist die rhythmische Reihe, welche wir hier als bestimmende Form jenes Materials annehmen, scliou an sich metrisch beslimml; denn Rhythmus ohne Metrum ist ebenfalls undenkbar; allein bei der Verbindung der zweiten Art, von welcher wir sprechen,

Verbindung der Rhythmen. ahö

■wird diircli die A^erLinJende Kraft, die bestim- mende Thätigkeit des Rhythmus auf ein Mate- rial gerichtet, das sich unler einer andern rhythmischen Einwirkung entwickelte, und jetzt seine natürliche Form aufgibt, um sich von dem ihm fremden Princip bestimmen zu lassen. So hat z. B. die metrische Doppelperiode:

die natürliche und mit ihr zugleich aus dersel- ben Einheit entstandene rhythmische Form zweier trochäischer Dipodien, und im Yers: Bürgerwohlfahrt sann er rastlos Voss

ist diese rhythmisch-metrische Form ausgedrückt. Ferner hat die rhythmische Reihe:

Goldiies Mor^enroth

•fest die natürliche und mit ihr entstandne me- trische Form der Tripodic:

J / J j" j.

In dem Vers:

w w I _w_.^

GoIdiies Morgenroth der Freiheit

verlässt aber die erwähnte rhytlimische Reihe ihre ui'spvungliche metrische Form der Tripo- dic, und nimmt dieses Maas:

J j"^ J .M J

Goldnes Mor"enroth

a5"t Allgemeiner Theil.

an , Iiuleni sie nun zu einem, in der ersten Ar- sis endcndeu rhythmisclien Scliluss wird (219). Dagegen verlässt die metrische Reihe ihre ur- sprüngliche rhythmische Begränzung durch die dipodische Form, und nimmt in der ersten Ab- iheilung des \erses, die, ihrer ISalur nicht ei- genthiimiichc, rhythmische Bestimmung vom tri- podischen Rhythmus an. So trellen metrische und rhythmische Formen gauz verschiedener Art in demstlben \ers zusammen, des en Me- trum sich von fremden Rhythmen bestimmen lässt. und eben dadurch diese Rhythmen zu dem Ganzen eines V crses verbindet. Die Be- wegung eines solchen Verses wird allerdings dadurch freier und lebhafter; sie entfernt sich aber auch in demselben Grade weiter vom Ge- sangähnlichen, in welchem die Verschiedenheit der metrischen und i-hythmischen Formen her- vortritt. Dies zeigt sich besonders in lungern Versen, wenn die metrische Schlussform des ei- genlhümlichen Rhythmus, durch die Bcilinimung des fremden Rhythmus in die Mitle einer rhyth- mischen Reihe zu stehn kommt. Z. B. im Te- trameter :

Heiiges Morgenlicht der Freiheit glüht empor aus dunkler

Nacht

fallt der metrische und rhythmische Sehluss der ei'sten Doppelperiode auf eine und «lieselbe

Verbindung der Rhythmen. aSS

Stelle, und diviSe gleiche rhytlimische und me- trische Cadenz orhält den Vers sangbar. Die Stellung hingegen:

_W W_W I W II I W «-» *-.>

Heilger Freiheitmorgen, Lobgesang nnd Jubel grüssen dich bringt den metrischen Schluss der ersten Dop- pelperiode iix die JNlitte eines Rhythmus , und so verliert der Yers den, nach den metrisch- rhythmischen Formen, ihm natürlichen Gesang.

271. Die erste Art der \erbindung rhythmischer und metrischer Reihen, wenn nämlich die me- trische Form durch den, ihr natürlichen und mit ihr selbst aus demselben Princip evolvirten, Rhythmus bestimmt wird, nennen wir die voll- kommene, natürliche, wesentliche \ er- bindung. Die zweite Art hingegen, wenn die metrische Reihe nicht von ihrem eigenthümli- chen, sondern von einem fremden rhythmischen Princip bestimmt wird, die un voll kommene, fremdartige, zufällige Verbindung.

272. Auf diese Verschiedenheit der Verbindung der rhythmischen und der metrischen Rtilien grünJct sich nun die dojipelte Art der Verbin- dung mehrer rhythmischen Reihen im Verse selbst. Sie sind näjnlich alle entweder aus der-

ubi) Allye lu einer Thöil.

selben rliyllunisclieu Eiiilieit entwickelt, und stellen einander im \evs als grosse (nicht mehr eleraentarische , sondern organisirte) Arses nnd Theses entgegen, oder sie stammen aus ver- schiedenen Einheiten, und vereinigen sich nur mit einander durch das Band des gemeinschaft- lichen ]Metruni. Wir werden die erste Art die lyrische Verbindung der Rhythmen nennen, die andre hingegen die deklamatorische.

rr

2 70.

Lyrisch verbunden helsseu solche Pihylhmen, welche aus einer und derselben Einheit sich entwickelt haben, xmd also wie Arses und The- ses sich zu einander verhalten. Es fallt sogleich in die Augen , dass diese Verbindung nur un- ter solchen Rhythmen möglich Ist, deren rhyth- iniscJie und metrische Form wesentlich verbun- den ist. Der flüchtige lonlker und der flüch- tige Chorlamb z. R. sind Im gemischten Metrum aus derselben Einheit hervorgegangen: C.

d. 6.

wo sie daher Im gemischten Äletrum mit einan- der zu einem ganzen Vers verbunden sind, da ist ihre Vei'bindung lyinsch , z. B. :

Goldlocklges Morgengestim

Verbindung der Rhythmen. 207

Man sieht hieraus schon, dass alle Forn^n des- selben Metrum in lyrischer Verbindung neben einander gestellt werden könneji, z. B.:

GoIdlücki£?es Götterhaiipt

Goldbesäamtes Morgengewölk

Die lyrische Verbindung wird dabei nicht ge- stört , Avenn auch der zweiie Rhythmus mit ei- nem Auftakt anfängt. Denn die erste Form ist rhythmisch vollendet, wenn sie auch die The- sis ideell im Punkt enthält, deren Zeit dann der Auflakt zur folgenden Picihe einnimmt, z. B.:

' Felergelkut durclihallt die Flur

Hier ist der Choriainb und der Kretikus mit dem Auftakt, lyrisch verbunden, eine Stellung, welche die Hermannische Metrik für eine Ver- änderung des Choriamben in die iambische Di- podie, „des harten und beschwerlichen cliori- ambischen llhythmus wegen" ansieht. (Metrik §. 68.). Uebcrail slthn sich , wie man sieht, die lyrisch verbuudneu Khytlimen anlilhetisch, wie Arsis und Thesis, entgegen, und wir wer- den diesen (lliar; kter der rliylbmiselieii Kutgc- genstellung die lyrische Antilhcse|neuuen. N^-'*^^^*

17

238 A 1 1 g e m t- i n e r 1' h o i 1.

274.

Wir bemerken, diese lyrische Antithese bei Rhythmen, weiche sich aus der ursprünglich zweigetheilten Einheit entwickeln, indem jedes Moment hier durch einen vollen, aus ilmi, als untergeordneter Einheit, entwickelten, llhyth- mus repräsentirt wird. Allein auch die drei- getheille Einheil lässt ihre Momente durch drei lyrisch verbundene Rhythmen im Verse repra- sentiren. Z. B. der Vers:

w «^ I v^ 9«.^ I - Streng verhüllt sich iinserm Blick das Schicksal entwickelt sich aus derselben Einheit. O. d d. d.

j. > J. J. J. J.

ä a J e e e » o 0. ä.

Wie aber die tribrachische Form sehen ganze Verse bildet , sondern lieber in den ilüchligen Daktylus , oder den Trochäus sich verwandelt, so möchte auch die lyrische Zusammensetzung dreier rhythmischer Formen sehen auhaltend vorkommen. Dieser Tri^ueter, selbst wo er ly- risch ist, gibt gern der ersten Abtheilung, gleich dem flüchtigen Daktylus, etwas mehr Länge:

_ w . I _,s^ - ^ [ -1

Stolzer llcbermiith erzürnt cilu' Göllcr

Verbindung d er R. hythmc-n. iSy

oder zielit beide Perioden, gleich dem Tro- chäen, zu einem Rhythmus zusammen, z. B. :

Wo willst du, klares Bäclilein, hin, so munter? Gdthe.

oder in noch grössei'n Rhythmen :

Irrt doch nicht so, es freut nicht allein in den Ster- nen , es freuet auch in dem Himmel Musik. Klo|)s t o c k.

Seihst die Form des lamhus scheint in der Stel- lung :

Qui vidit mare turgidum , et

infames scopulos , Acroceraunia? Ho rat. Den hat nimmer des rankigen

Weinstocks Traube gelabt, nimmer der Liebe Kuss. ZU Rhythmen erweitert, und so sehn wir im- mer das ursprüngliche Maass der rhythmischen Grundform als Takt und als Versmetrum wie- derkeliren. Auch ist in der Schlussperiode des lyrischen Trimeters der Keim der Epode, und der Sehliissreime in der modernen Strofe (chia- ve) niclit zu verkennen.

Wenn indessen der lyrische Charakter am voll- kommensten in solchen Versen sich zeigt, deren ur- sprüngliche Einheit zweigetheilt ist. so liegt dieses in der iSatur der Zal zwei, weiclie den Gegensatz (die lyrische Antithese) am vollkommensten aus- drückt, wie die zwelgetheilte Saite den Gegen- sal/, des Griuidloues, die Oktave. Lei der Ein-

aßo Allgemeiner T li « i 1.

theilung in drei Tlieilc, seilen wir, wie das di-itte Moment zwischen arsischer und theli.sclier Natur schwankt ; es ist Arsis , ohne (ausgenom- men durch neue Zerfällung) eine Thesis erwe- cken zu können, und ist selbst Thesis in der ursprünglichen F|Orm _ ^, aus weicher die Drei erst durch Erweckung des Gegensalzes in der Läncre (*'_'*' w) entsteht. Die Drei scheint da- her der Grund der rhythmischen Dissonanz zu seyn, so wie die Quinte, hei aller Konsonanz, doch zugleich der Grund aller harmonischen Dissonanz ist. Es leuchtet ein , dass , in Mo- menten späterer Ordnungen, die Drei nicht so stark gegen die lyrische Antithese dissonire, als in den Hauptmomenten; daher in sehr entfern- ten Oi-dnungen diese Dissonanz in der Triole so wenig bemerkt wird, als die harmonische 'Dissonanz in schnell durchgehenden Psoten. Der Rhythmus zeigt uns auf diese Art ganz anschau- lich den wesentlichen Unterschied zwischen Zwei- mal Drei, und Dreimal Zwei, wiewol, arithme- tisch belrachlet, die Produkte in beiden Fällen gleich sind; aber der Multiplikator bezeichnet allezeit die Zal der ursprünglichen Momente, und gibt daher dem Produkt seinen Charakter, als liau})tcharakter, der Multiplikand us hinge- gen bezeiclinet die der spätem und abgeleite-»- leu. Dieses lindet bei jeder Multiplikation Statt, und der Charakter jeder Zal spricht sich daher

Verb indu ng der Rhythmen. 361

am reinsten in ilirer Poteuziri\ug aus, der ly- rlscli-anlitlietisclie Charakter z. R. im Tetrarne- ter. Der dramatisclie Charakter würde sich im tripodischcn Trimeter am bestimmtesten zeigen. Allein wir finden beide durch einander gegen- seitig modiGcirt. Der gewöhnliche Telraraeler hat in seine letzte Zei-fällung die Drei aufge- nommen, und wird dadurch trochäisch. Der draniHlisehe Vers hingegen hat in seine zweite Zerfällung die Zwei aufgenommen, und wird dadurch Trimeter mit dipodischen Perioden.

275.

lu Gedicliten, welche sich durch ihre Form, durch ihre Bestimmung für den Gesang, oder durch andre Zeichen, als lyriscli ankündigen, hat mau ohne Zweifcd Grund, eine lyrische Verbindung der Rhythmen anzunelmien , und daher das lyrische Maass wieder herzustellen, wo es aus Unkunde der wahren Messung ver- kannt ist. So ist das Maas des alcäischen Ver- ücs wahrscheinlich nicht das gewölinlich ange- nommene :

^ \ .w «i« I ^ >-* '■-'

N r I > j jN I > > ^ j ^ I i

« 1 d d I •. m^ d m \ e.

V V

Aequnm memento rebus in arduis. Horat, Hervor des Nordpols grimmiger WintersUiTm welches den Vci^ ganz unlyrisch theilfc, son- ütfrii vielmehr diese:-?:

262 Allgemeiner Thcil.

^ I —>,«_-_ I s_w»^_v^_

V

Aus dunkler Felkliift weckt der Gesang mich auf das den lyrischen Vers in seiner lyrisclien An- tithese zeigt, welche der Rhapsode aus eignem Gefühl hören lässt. Man wird zu dieser Mes- sung sogar gezwungen, Avenn man die zweite Hälfte mit dem Auftakt anfängt:

\ ä et e. 0 » \ m. 0^ s * ä -A 0.

V V

Dein kaltes Brautbett in diinkeler Todtengruft Die Kürze, die sich zuweilen auf der fünften Sylhe findet:

w I _w> »»^ I w^ »-* I _

Durch blüh'nde Fluren tobte der Uebermuth

kann uns nicht irren ; denn so wenig diese Kürze zu empfelilen ist, so stört sie doch auf der Schlusssylbe der metrisch rhythmischen Reihe das Maas nicht (578. fi".). Die Stellung dieser Kürze in der Mitte eines Wortfusses hingegen: In schwarzer Waldesnacht , wo der Eber haust

und noch mehr:

Zu bangen Klaggesängen herabgestimmt

Stören d[en lyrischen Charakter des Verses. Ho- ratius braucht diese Sylbe stets lang, Avas Her- mann , der immer tadeln will , was ausser dtiii

Verbindung der Rhythuifn. aß5

Kreis seiner Theorie liegt, (de Metris 598.) eine imnülze Genauigkeit nennt. Ob das be- kannte :

la Bccxyt q}tt^f^iuy.ov dagiarov

in hulder Lieblichkeit heraufzog

eine niclit zu billigende Ausnahme bilde, oder ob die Miltelsyibe in (fu^fiaxov nicht von abso- luter Kürze sey, wie ebenfalls die Milteliyll)e in: Lieblichkeit, ist hier nicht der Ort zu untci'suchen.

276.

Viel Gedichte von offenbar lyrischer Zusam- menfügung sind indessen noch "vveit mehr ver- kannt worden , als der Alcäische Vers, der doch in der fremdartigen Messung noch einigen Ge- sang behielt. In vielen andern Versen finden wir den Rhythmus durch die Theorie auf die soiulerbavsle Art entsttjilt und verzerrt, so dass kaum eine S: ur von Rhythmus, am wenigsten von iln-em ursprüngiicheu Gesang, in den Ver- sen an/.uireü'en ist. Die Wichtigkeit des Ge- genstandes wird es entschuldigen, wenn wir •hier versuchen, den ursprünglichen Rhythmus eines alten Gedichtes aus der Verwirrung der Theorie herzustellen. Wir wäleu dazu dns sechs und zwanzigste Skolion der Ilgeuschcn

2^4 A 1 1 1; f m 0 i n e r T Ji o i F.

Auscfabe, über welches Bcsselclt *) raanclies Trei- feudc bemerkt hat, wiewol ihm die vvahre Mes- sung des Gedichtes entgangen ist. Das SkoJion heisst bei llgen:

EGTt fiot nlovTog fifyocg do^v xai ^i(fog, 'auc

TO HUXOV kaiOtfl'ov, 7lQ0ßXi](.lU '^QOitOg. TOVTO) yUQ tt^JOi, TOVTO) -d^S^l^tiij

TOVTO) nuTfi'i TOV udvv oh'ov €(7tdjii7if?>o)Uß TOVTO) öiguoTag [ivocag itexlTjfiai. Tot, de fitj Tolficovreg ty/tv doov , xat iiqiogf Hat TO Y.uXov \uiat]iov^ TiQoßhjfta ^QojTog, TtccvTig yovv7TenTf]OTfg c'/t' 6v zvvfovrt. öeanOTav , '/mi fityav ßu(Jili]u cfOit^eovTt,

Der Herausgeber gibt ihm diese Bezeichnung:

w I -w-w

w»*. I ^ I •*)

^s- j _w •^ I ^

M< S^ I ».* I

I ---'- 1

W <^ I

*) Beiträge zurProsodle und Metrik. S, 8o. ff. Halle i8l 3.

**) Ilgcn nennt in der zweiten Stelle dieses Verses, ohne Zweifel durch einen Schreibfehler, den driltea Epilritu.s statt des im Vers vorhandenen und hier bezeichneten vierten.

Verbindung der Rhythmen. 2O j

wodurch in der That eine seltsame Art von Gesung entsteht.

Ilgen nennt diese Verse sinkende loniker von der nngehundensten Gattung und verschiedener Liinge. Sinkende loniker sind sie allerdings, allein, wie sich zeigen wird, ganz nach deiA Ge- setz des ionischen E.hythraus mit andern For- men wechselnd, und übrigens nicht von ver- schiedener Länge, sondern sämtlich Tetrametcr, Lald in der Arsis schliessend, bald in der The- sis. Wir gehen zuerst die wahre Messung des Gedichtes, und zeigen dann, wie Ilgen den Ge- sang darin durchaus verkannt hat:

_w_ 1 ^ I . ^ - ^ j _

l^M I l^l^;5^l^|!T'<r•

« o 0. \ ». m e \ a. a^ 6 g e \ e. ^ 7 lart fxoi TrXovrog ^leyug, doQv nac 'ii<f.og,

Tummle dich, Schlachtschwert, es leuchtet der Ta^ des

Kampfs !

^^>J 1 1 l>l l>l>l I I

\ut TO xulov kcuG)] - i - ov TX()o(3h]Utt yocorog. Fröhlicher zog niemals zum Streit die tapfre Krie^sschaar.

,_r , ,__

.'■ .\'f j' IJ. ? r I J. J .M J. J.

J'üVTli) yUQ UQOi , ' TOVTO) 0(Ql,-^(a,

Freiheit von GcwaJl, Freiheit von Knechtschaff,

zGü AM gein ei n er Th eil.

ß. (S, e^ 10 I « « e; « I «. «^ « « ,> I «. ^ 7 rovTia Ttuieci) top ädvv oivov an afXTXclbiv.

Freiheit, mit dem Schwerte kämpft die mutige Schaar

um dieh. (_^_| ^1

0. ». \ 0 e £. \ e. 0 0 \ 0. 0. TOVTM deanorag fivoiag xexXi^-ficcc.

- Freiheit, Vaterland, hochheilgcr Heersruf!

0 0 m. l 0. «• tT 0 \ a. 0^ s 0 0 \ e. ^ 7 TOi de fit] ToXfioiVTSg tjf^^iv do^v xat iifpog.

Schütze sie, Schlachtschwert, an dem Tage des heilgeu

Kampfs.

^s^w— 1 __w 1 ^w I

^I^^J|llJ^|l^J^|ll

0. e^ 0 4. \ 0- 0 0 \ e 0 0 a \ e- 0. HUI TO nakov Xaiai] - i' ~ ov nQoßhina yjJOJTOg,

Kommst du zurück siegreich , dann windet statt des Lor- beers,

,^ !^ > i I M ^ r> ^ > ^ ^ i I j

a. &^ 0 \ 0. 0. \ t 0 & 0. 0^ 0 I 6). «.

TiavTig yovvTcen- ttj - ong i(.i ov xvpiov-Tt

Aus LräuLüchem Festzweig dir die Geliebte den Siegkranz,

JjN. I Jj'*.\'!.N J.NjN J. J.

fiianOTav ^ nue, fieyav ßaaihju (fcove - opct. Tapfres Schwert, freue dich, es erscheint der Tag der Freiheit.

V '" r b i n d u n g d e r E h y t Ji m e n. 267

Die Form j J_ liabeu wir schon (129) unter *]en Formen des gemischten Älttrum abgeleitet, und mit mehr Beispielen bestätigt. Die Form i t^ 7 ist dieselbe, nur mit ideeller Thesis. Wer- sich, freilich ohne allen zureichenden Grund, an diese stösst, der theile den Vers:

TOVTOJ yuQ C/.^0}j TOVTOt {yf^t^CD

Ohne Zweifel wird JNiemand läugnen können, dass der hier angezeigte Rhythmus dieses Sko- lion sehr fasslich, singbar, und nicht ohne leb- hafte passende Bewegung sey. Eben so liegt vor Augen, dass keiner Sylbe Gewalt gescheh- en, und bloss die Verschiedenheil der Län- gen , welche aus der JNatur des Rhythmus ab- geleitet wurde, zu unsrer Messung angewendet worden sey. Sollte es nun wol glaublich seyn, dass dieser, nach allgemeinen Principien aufge- zeigte, Gesang nur zufälliger Weise in dem Gedicht entiialten sey, nnd dass nur durch Zu- fall selbst die logische Abtheilung, ja die de- klamatorische Richtigkeit (z. B. in dem geho- benen TO^rfjj) damit übereinstimme, dass ihn aber der Dichter niclit gekannt, sondern die Verhältnisse in seinen Versen gedacht und ge- wollt habe, welche uns, wie wir eben sehn werden, llgen und Hermann angeben?

i68 A 1 1 g ft m e i n c r T ii e i 1.

Nach Ilgen ist rler erste Vers ein vollzaliger •seclisfassigei' sinkend ioniselier Vers (lonieus a maiore hexameter acalalecticus) und seine Mes- sunaf diese:

lart (lOi. irXovTog (if/cg d'0(ju aai ^iqjog , y.ut xo x«- ).(ju kuiar,'i'(jii TTfJoßhjfiu i^ioixoq.

Dieser unfönnliciie Strccloers sollte schon un- ter den andern kurzen befremden, und Besseldt hat ihn mit richtigerm Sinn, als Hermann, in der Mitte nach ^iq)og getheilt, aber anders ge- messen, als eben geschehen ist. INoch mehr in- dessen muss man erstaunen über die Füsse, welche darin dem sinkenden loniker gleichge- setzt werden.

Der erste Fuss, ein zweiter Epitrit {_ ^ )

war an sich statt der trochäischen Dipodie pas- send , desgleichen der zweite, nämlich die tro- chäische Dipodie selbst. Einer lyrisclien Vei'- bindung dieser beiden Rhythmen wird aber durch den Wortrhythmus widersprochen, der aus einer Periode in die folgende üfbergreift. In ach uusrer angegebenen Messung ist die rhyth- misclie Bewegung und Verbindung beider er- sten Perioden völlig lyrisch, wie es einem Ge- sang zukommt:

J > J I I 1 t 0 ä. I c. (^

V e X- b i n (1 u n g d e r il li y t h ni e u. ^Ct»

aber fliese Leiden Perioden enthalten nicht so viel Sylben, als die der Ilgenschen Abtheilung, wiewol dieselbe Zeit. Schon dieser lyrische Charakter uusrer Messung verbürgt und bestä- tigt ihre Richtigkeit.

Höchst unrbythmiscli stellt der dritte Fuss mit der kurzen Sylbe im Niederlakt, als eine iambische Dipodie^ die nach Hermann statt des louikers stehn kann, weil der loniker Avegen der unbestimmten Eudsylbe das Maas _ _ ^ _, und wegen der (von der Herraannschen Theo- rie) vorausgesetzten Scbwäche der ersten Pieihe die Kürze auf der ersten Stelle ^ _ ^ ^ zulasse, woraus denn ^ _ ^^ _ wei'de. Wir sahen bei der Lehre von den Ionischen \ ersen , dass Hermann auf

die ganz unpassende Form der lonikers ^ ^

bloss kam, weil er sich in der Messung der \fcrse verwirrte, worin er sie zu finden glaubte. Z. B.:

Qrjüiv dfdo I i.iivriv ayul'&ip (fvXuGGS guvtco. Die Messung ist aber :

J. J. r/.\^^.^jN J.N.M.'.J.

eine ähnliche Bewegung ist im vorletzten Yer« des obigen Skolion:

m. p. iT i \ 0. c. \ g ä ^ d. 0'' 0 \ 0. d. 7iavT!g yopVTTtmtj - ortg t/n' iv ttvi^eopri

und so loscL .sich jene rliyihmivsche Unform de*

louikers in leeren Schein auf.

a70 A 1 1 g e ni e i 11 (i r T ii e i I,

Der vierte Fus soll ein Moloss mit aufgo- löseter Miltelsylbe .seyn (_*tr_), aus dem lo- inkcr_'^ J"^ entstanden. Der Choriamb kann allerdings unter den lonikcrn stehn, nämlieli der flüchtige {J^^J^J.) eben so ein Moloss, wo er statt des Bacclieus (__3 ^'_ J > ) steht.

Allein der Moloss, der seine Mittellünge in zwei Kürzen löset, gehört dem Di-eivicrteltakt, und kann nieht unter louikern stehn, die mit Tro- chäen im Sechsachteltakt wechseln. Dieser Fuss ist ein flüchtiger Choriamlj und fängt den zwei- ten Vers des Skolion an.

Der fünfte Fiiss hat die ungelieure Form

^, welche Hermann durch die doppelte

Heihe in seinem loniker rechtfertigt, der, wie sein Antispast, bald Ein Ganzes seyn muss, bald zwei. Hier steht sie bloss aus irriger Messung, Sonderbar ist, dass Ilgen la.iGT,iov (viersylbig) schreibt, und doch das r^o zusammenzieht (ut metrum in ultimis pedibus sibi constet). Frei- lich kommt sonst die gleichmässige Sylbenzal nicht heraus, das Metrum aber bleibt ungestört: I I I I

1 ^ Xaiatj ~ c - ov

man lese dreisyibig, oder viersylbig, nur in der

metrischen Bezeichnung entsteht eine der Theorie

{rcmde Figur _ _ ^ _ ^, welcher durch die

Dreisylbigkeit ausgewieheu werden soll.

Verbilidung der Rhythmen. 271

Der sechste Fuss ist wieder die trocLäisclie Dipodie, gegen welche im Allgemeineu nichts einzuwenden war, nur bildet sie nicht den letz- ten Fuss des Verses, sondern zugleich die Hälfte des vorletzten:

SrJjN J.j.

OV 7tQ0ßh](Jl<X ^QbiTOQ

wie die obige Messung zeigt.

Ist nun wol in diesen sechs Füssen die Be- wegung eines Verses zu finden, und nicht viel- mehr bloss das peinliche Streben, eine Theorie anzuwenden, die einen lebendigen Leib aus mechanischen Atomen zusammenzusetzen un- ternimmt? Hätte man den angegebenen Gesang des Gedichtes früher gehört, und nun wollte die Theorie in solche Füsse ihn aus einander legen, was würde wol der Hörer dazu sagen?

VS'elchen Einfluss die Hermannsche Metrik auf die Kritik der alten Dichter habe, mag nun die Art zeigen , wie Hermann dieses Sko- lion , das seinen Rhythmus vollkommen klar ausspricht, seiner Theorie anpasst. Sic scriben- dum est sagt er de Melr. S. 558. Die Ac- cente bedeulen die Arsis nach seiner Messung :

tan (Aol nKovTog /ntyu do^v

y.ui ii(f.ng xuc zo ymXÖv kaia^fi'o v n^oßhj/^a

X!J(^TOg

TOVTf'J yUQ (X()0>, TOVTfß} xlf^l^Cü

272 All gemel n er Thcil.

TOVTif) TtaTSCn TOP a dvv oifov

ün ufiTtifioj f roi'ro) drönoTug (ivoiug xfxlrjfLKxi. '

Tol de fA?j TO?.f.i(')i'T('g tyfiv

6Ö0V itai To y.ci/.oi/ ?Mia}iJop , 7CQoßh']fiu ^Qojzog,

rrävTfg i'g yopv 7rf7iTi]oTfg f'fxoi nvpiöpii.

dtonoräp y.(/.t fir/üp ßuGih'ju ffuji/föpTi.

So entstehn freilich bequeme Beispiele für un- haltbare Sätze, z. B. in dem jxiyup ßaai-7.r,u zu der angeblichen päonischen Form des lonikei-s, in dem ToX-fKopztg iyfiv für die chorifimbische aus dem Moloss u. s. w. Allein so verwischt auch der Metriker durch eigenmächtige Abthei- lung und Wortveränderung allen eigenthümli- chen Pihythmus des Gedichts, und gibt statt des melodiereichen kräftigen Gesanges ein Zerr- bild , desien verschobene Gestalt man nur , we- gen, des vorgehalteiten Mantels der Gelehrsam- keit, nicht in seiner wahren hässlichen Gestalt erblickt. Statt des schönpassenden (ifyag muss das falsch bezogene [.uya hergestellt werden, um die ausser der liermanuischen Theorie nicht

vorhandene ionische Form 1 i, ^ ^ ^ in irlov- zog fiäya doQV zu bekommen, wo man wenigstens

^ w .1 w/ w ( J »^ »'"Jj ) l^sen müsste. Die dem Rliylhmas ganz uneulbehrliclien Worte: nai It- ipog werden, wo sie zum zweitenmal vorkom- men, gegen bessere Lesarten, gestrichen, (wic- wol sie der ganze Gang der Gedanken fordert),

Verbindung d»r Rhythmen. ayj

weU sie nicht zur Theorie passen. Dagegen wird nach navifs im vorletzten Vers das, wegen der Wiederholung des Lautes, nicht wohltönende es eingeschoben, das weder Sinn noch Rhyth- mus fordert, wenn man die Ilgensche Lesart an- nimmt.

Nach solchen Bearbeitungen darf man sich wol nicht wundem , wenn die alten Gedichte zum Theil in einer Gestalt auf uns gekommen sind, in welcher ihre Verfertiger so wenig sie wieder erkennen wüi'den, als Unbefangene sie ohne Affcktation wohlklingend finden werden.

Die Abtheilungen der andern Verse dieses Skolion können wir um so füglicher übergehen, daBesseldt*) ihre Mängel und ihre Unhaltbarkeit ziemlich ausführlich gezeigt hat. Hätte er die Form des gemischten Metrum J, J. nicht ver- kannt, und die Form ^ nicht als unbe- dingte Form des doppelten Trochäen statt des lonikers angenommen, so hätte 'ihm die wahre Messung dieses Skolion nicht entgehn können.

Eben so unpassend ist die Abtheilung, wel- che Schweighäuser (Ausgabe des Alhenäus) von Grolefcnd angenommen hat. Das Skolion soU nämlich folgendes Maas haben und au« zwei Strofeu bestehen :

*) A. a. O.

18

274 Allgemeiner Th«il.

Ion. pur. Li,^- \ LL^Z> \ w^-wj

Ti'ocli. 1^1^ I JLy^ LZ I 1^ IZ

Ti'ocli. LZZ^Z I l^L^Z

Ion. ZL^Z 1 l^lwJ

Troch. Iwlw I LZ'-^ I -w

St. ir.

Ion. pur. 1^'_3 i l^w« i Z^L^Z Troch. l^lw- I L^LZ ^ L^LZ Ion. 11^- , LL^Z Ion. ^^^'Ww'jwl.ws.^

Trocli. JZ w -1 <- 1 -7w w - « I -3

Egiiv ifioi nXovTog ^tfyag, doQv kui iccpoif Hat xuXov laiarji'ov, nQoßXr]/na yQwtOS' TOVTO) yag aQco, Tovno narfco

TQV udvv QIVOV CiTl UflTlslcjV

tövTco dianoTcxg /.ivoiag x6xh]i.iai.

Toi de i-in ToX^iwvng tx^tv ßoQv kki ^i<fiog, y.ui' yMkov Xuiaifi'ov, 7iQoßlriy.tt XQOiTog

TiavTtg '/ovi!ne7iir,QT6g

ifAS nvviovii dsonoxav, v,ai fxeyuv ßaaüeu qjiovsovTi.

und um diesen, ziemlich verworrnen, Rhythmus (wenn eine solche Zusammenstellung Rhythmus )ieiisoix kann) herauszubringen, muss das igt

V e r b 1 n d u n g d e r R li y t h m e n. ayS

fioi in i^Sf ffiOL verwandelt, und das tovto) -üe- ()iCoj, was alle Lesarten haben, weggelassen Aver- den. So w'irft jeder Metriker weg, was niclu in sgine Messung passen w^ill, einer wirft deiiv andern „die härtesten \erwirrungen der schön- sten Rhythmen" (Grotefend bei Schweighihiser S. 280) vor, und zeigt als diese „schönsten Rhythmen" wo mögLch noch verrworrnere auf. Das Spiel kann auch kein Ende nehmen, weil keiner der Tadler und Besserer seinem Rhyth- mus eine bestimmte, hörbare Gestalt gibt, in- dem jeder sich mit dem nebulislischen Schat- tenbild des metrischen Schema begnügt, das er nur sieht, aber nicht höi't.

Um die Sache ganz vor das Gehör zii brin- gen , möge hier der Gesang des Gedichtes auch musikalischer Weise Platz finden. So viel wir wissen, war die ionische Skala unsrer diatoni- schen Durskala gleich. Die sinnvoll kräftige Melodie zu dem Skolion von C. Schulze möchte wol also auch dem griecliischen Ohr nicht fremd zum ionischen R.hylhmus geklangen haben, und so könnte wol gegenseitig das Vorurtheil schwin- den, als sei die griechische Musik von einer Schönheit gewesen, die unser verwöhntes Ge- hör nur nicht begreifen könne. Man behandle den Gesang mit aller Freiheit, welche musika- lische Deklamation gestattet, dann dient er zu- gleich als Beispiel zu dtm, was früher (Sg. 6o'.)

a^G Allgemeiner Theil.

vom. inteniionellenTakt gesagt worden ist; denn bei aller Freiheit des Vortrags bestellt doch das angegebene Taktverhältniss im innern Wesen jener Rhythmen.

(Siehe Notenbeilage.)

277.

Die zweite Art der Verbindung der Pihyth- men im Vers nennen wir die deklamatori- sche, oder auch dramatische, weil sie eine Mittelgattung bildet zwischen lyrischem Gesang und prosaischer Rede, wie sie das eigentlich poetische Drama verlangt. Wir sehn beiläufig, dass diese Gattung des Verses und ihr Gebrauch im Drama und in andern für Deklamation be- stimmten Gedichten, in der Idee der metri- schen Rede selbst liegt und nicht durch Con- venienz entstanden ist.

Deklamatorisch verbunden sind Rhythmen, welche nicht von derselben Einheit abstammen, und nur durch die Einheit der metrischen Reihe, in welcher sie erscheinen , zusammen gehalten AN erden. Die Rhythmen, z. B.:

Traute Weinlaubhalle,

Becherklang

und Lieder preisen dich

Stammen nicht aus derselben Einheit ab. Gleich- wol können sie in demselben Vers:

Verbi ndung der Rhythmen. 377

Traute Weinlaubhalle, Becherklang und Jubel preisen

dich

vereinigt seyn, diese Vereinigung ist deklama- torisch, sie hebt den rhytiimischen Charakter der metrischen Reihe (des Tetrameters) auf, welcher die lyrische Antithese beider Hälften verlangt. Es fällt hier ebenfalls nicht schwer zu bemerken, dass die fremden Rhythmen, wel- che die metrische Reihe bestimmen, allezeit, eben weil sie fremd sind, den eigenthümlichen rhythmischen Charakter dieser Reihe zerstören, oder doch so verdunkeln, dass er nur in leiser Bewegung durchhallt : deswegen werden allezeit Rhythmen, welche den ursprünglichen Rhyth- mus der metrischen Reihe, in der sie erschei- nen, stören , dem Vers einen dramatischen Cha- rakter geben , gesetzt auch , die verbundenen Rhythmen liessen sich selbst auf eine rhythmi- sche Einheit zurückflvliren, die aber nicht Ein- heit der metrischen Evolution ist, in welcher die Rhythmen erscheinen. Z. B. die Rhyth- men in dem Trimcter:

Dort wütet niclit raubsüchtige Ruhmbegier

Stammen insgesammt von einer und derselben Einheit:

V.JÜ A 1 1 g c m ü i n er T h e i I,

a

a 6 a

i. l J. j. J. J.

& \ s a 6. 0. ä. 0^ ti m 4 » mid Jer Trimelcr ist lyrisch. Stellt man sie aber in düs Metrum des alcäisclien Verses, der ein lyrisclier tripodisclier Dimeter ist:

0 \ m a d. e. \ o. tr » a m Dort -wütet nicht raubsüchtige Ruhmbegier

SO ist der lyrisclic Cliai-akter des alcäisclien Ver- ses gestört , er wird deklamatorisch , und hält sich in der lyrischen Strofe nur durch vorsich- tige Behandlung des Säugers.

278. Da im Trimeter die lyrische Antithese schon durch die dreifache Theilung verdunkelt wird, lind selbst in lyrischen Versen nicht so stark her- vorlönt, als in den Dimetern, so schickt sich der Trimelcr allerdings am besten zum dramatischen Vers. Wie aber der Prosaist sich vor Stellun- gen zu hüten hat, welche den Verstakt vor- scliallcn lassen, so muss sich der Dichter hü- ten, dem dramatischen Vers lyrischen Charak- ter zu geben. Man tadelt dtiber mit Recht die Theilung des Triraetcrs:

cfi?.o'^(vog , Äfih;Giag, 'Afivpiag Den sühnt ckr Tod, der selbst die Schuld des Bhites lösrlit

Verbindung der Rhythmea. 275

mehr noch aber die Theilung, •welche ihn, nach Art des Alexandriners, in zwei Tripodien zer- legt. Z. B.:

Gv fitv Tttd^ccv TVQovxot' f'/o} ds dt] Ta<pov

verhasster Weissagung Terhiingnlssvoller Spruch ;

denn ein Alexandriner bleibt ein solcher Vers immer, wenn es auch wahr ist, dass man nicht aus jedem Alexandriner, z. B :

Die Sternlaufbahn erforsclit bang alindend der Profet

einen Trimeter bilden kann. Das Muster des dramatischen Trimeters bleibt deswegen immer eine solche Theilung, welche lyrische Abschnitte vermeidet, ohne das Grundmetrum in seinem leisen Anklang gan^ zu verwischen. Es ver- steht sich von^ selbst, dass durch ein solches Muster nicht der Freiheit leidenschaftlicher Stel- lung Zwang angelegt werden soll. Eben diese Freiheit wii'd dann am meisten anschaulich, wo sie die Anregung lyrischer Abschnitte vcr- jueidt't.

Wenn die lyrische Antithese nicht bloss ein- fache Perioden , sondern ganze Verse , in einem grössei'n Verse, mit einander vei'bindet, so ist es zum Bcstelin des lyrischen Charakters nicht nolhwendig, dass In jeder Vershälfle ebenfalls

u<io Allgemeiner Theil.

die lyrische Verbindung beobachtet sey, z. B. im Tetrameter:

Deiiie Blüten kehren "wieder, deine Tochter kehrt nicht

im Gegentheil gewinnt die Bewegung des Ver- ses, und wird selbst in der lyrischen Antithese grossartiger, wenn nur die Vershälften lyrisch zum Verse verbunden werden, während die Rhythmen in jeder Hälfte die deklamatorische Verbindung annehmen, z. B. :

vuvTtxog oxQUToq xuxu&iig m^ov colics arpuTOv

A e s c h.

Jede Nacht durchdrang der Klagruf bang und wehmuth-

Toll den Wald

oder in noch grössern Verhältnissen :

Gzafiiv ivtnnov ßuotXijt KvQuvug , 6(fQa KOj^a^oyTt

CVV u^fJüiatltt Pind.

Als im schicksalvollen gewaltigen Weltkampf siegesfrojx herstürmte die mutige Schaar.

Der Vers ist nämlich ein tripodlscher Tetrame- ter, dessen Hälften lyrisch zum Ganzen ver- bunden sind, während in beiden Dimetern de- klamatorische Verbindung Statt findet, wodurch die Bewegung gehoben wird. Betrachtet man ihn als dipodischen Hexameter, so besteht er aus zwei Trimelern.

Verbindung der Rhytlimen, abi

280. Accentirte Melodien eignen sich mehr dem Lyrischen, als dem Dramatischen; denn ilii-e rhythmischen Formen können sich nur wenig, und nur im Unwesentlichen, von den metrischen Formen trennen. Der lyrische \ers war auch deshalb unstreitig älter , als der dramatische, und noch jetzt schwankt der dramatische Vers sol- cher Sprachen, die bei prosodischer Bildung nur accentirte Pihythmen bilden, sehr auf die Seite des Lp'ischen , und verlangt daher , wenn er nicht eintönig werden soll, sehr abwech- selnde Wortfiisse. Die Dichter in solchen Spra- chen haben das Lyrische der Verse , die weni- ger für Gesang, als Deklamation gebildet w'aren, zuweilen dadurch gemildert, dass sie nicht so- wol Wortfiisse mit Zeitfüssen, als vielmehr Wortaccent mit Versaccent kontrastiren lassen- Z. B.:

Cöme Ic'gno dal boscu allora tratto

dalier behaupten einige Theoretiker, der accen- tirte Vers zäle die Sylben bloss, ohne sie zu messen. Der Vers für den Gesang bedient sich indessen dieser Freiheit mit Unrecht, und kommt dadurch, wo er von der Musik nicht frei be- handelt werden darf, mit dieser in Widei'streit. Z.B. im Choral, wovon wir im Deutschen aus- ser dem:

Allgemeiner Theil, Vater unser im HimmelreiGh

und:

Nun I.isst uns den Leib begraben

wenig Beispiele, mclir aber in französischen Kirchensjesänsen haben.

'o^

Verbindung der Verse.

281.

Wir müssen der Eutwickelung des Begrif- fes Vers vorgreifen, um nicht durch zu viel Abstraktion zu ermüden. Vers nennen wir vor- läufig eine Verbindung von Rhythmen zu ei- nem Ganzen, das nach metrischen Perioden ge- messen wird.

Dieselbe Verschiedenheit, wie bei Verbin- dung der Rhythmen, wird auch bei Verbindung ganzer Verse vorkommen können. Ohne das Gesagte zu wiederholen, verw^eisen wir auf den ganzen vorigen Abschnitt.

Verse können gleich den Rhythmen verbun- den wei'den, entweder durch Zusammenstellung, oder nach metrischem Princip.

Die freie Zusammenstellung steht in dieser Sfäre der rhetorischen Zusammenstellung der Rhythmen iu der Prosa gegenüber, In Anse-

Verbindung der Verse. 233

liimg der Stimme dem ßecitativgesangj in der Musik der Fantasie.

Jeder \ers hat zwar seine eigne metrische Ein- lieit, allein die Folge der Verse lässt sich nicht in einer* hohem metrischen Einheit auffinden, oder %vas dasselbe ist, jeder Vers hat seinen eignen Takt, aber mehre Verse führen nicht nothwendig denselben Takt fort. Z. B. :

Du stehst mit unerforschtem Busen,

geheimnissvoll , offenbar, n

über der erstaunten V.^elt

und schaust aus Wolken

auf ihre Reiche und Ht.riHchkeit,

die du aus den Adern deiner Brüder

nebcQ dir ■\^•ässerst. Göthe.

Das Gefühl des Taktes ist indessen so unaus- tilgbar, dass selbst iu solchen freien Zusammenr- slelluugen, ohne den Willeu des Dichters, der Takt sich einmischt,

283.

In der metrischen Verbindung der Verse lässt sich ebenfalls die lyrische Verbindung und die dekiamalorlsche unterscheiden, v.ie bei der Verbindung der Rhythmen.

Eine dramatische Verbindung dramatischer (oder deklamatoi'ischer) Verse findet namentlich Statt im eigentlichen dramatischen Dialog des

:i84 All^emoiner Theil.

Drama selbst. Der Hhytlimus eudet nicht noth- ncudig auf der Scldusssylbe eines Verses, son- dern greift oft mit dem logischen Satz aus dem Scliluss eines Verses in den Anfang des folgen- den hinüber. Z. B.:

oijttg ya(j ev 7ioX/,oiai.v, (Dg iyo), xanotg

^)j, noig X. T. A. ö o p h.

Wo durch die Waldeinöde, Tag und Nacht, der Wolf

Heult u. s. w. i\iif gleiche Art werden heroische Hexameter unter sich verbunden, wo sie mehr deklamato- risch, als lyi'isch behandelt sind , z. B. im Idyll, in der Epistel und im Epos selbst, dessen Vor- trag höchst wahrscheinlich kein Gesang war.

284. Auch unter lyrischen Versen kann eine de- klamatorische Verbindung Statt finden, wovon die Beispiele im Drama ebenfalls nicht selten sind. Die trochäischen Tetrameter greifen sehr oft in einander über, selbst wenn sie in ihrer Mitte den lyrischen Abschnitt regelmässig hal- ten. Ob die strofischen Chorgesänge eine lyri- sche, oder dramatische Verbindung der Verse enthalten, wird sich nicht eher bestimmen las- sen, bis wir sie eben so bestimmt in ihrem ur- sprünglichen Rhythmus vernehmen, wie die be- kanntesten Verse. Bis jetzt ist dieses bei wei- tem noch nicht der Fall.

Verbindung 3er Verse. 285

285. Eine lyrische Verbindung dramatischer Verse kann ebenfalls vorkommen , und wir haben schon gefunden , dass die Halbverse der lyri- schen Tetrameter gewönlich deklamatorischen Rhythmus haben. So finden wir auch mehr deklamatorische Verse zuweilen lyrisch verbun- den, und diese Verbindung zu Systemen anti- strofisch einander entgegengesetzt, wie Hermann in mehren Stellen seiner Schriften ausführlich in den Dramen der Alten nachgewiesen hat.

Die lyrische Verbindung lyrischer Verse eig- net sich vorzüglich für den Gesang. Die ei- gentlich lyrische Strofe entsteht dadurch, die sich also von der dramatischen so unterschei- det, wie der lyrische Vers vom deklamatori- schen. Metrum undRhythmus gehn in der ly- rischen Strofe gemeinschaftlichen Schritt, die Strofenkomposition selbst ist mit den, in dem Vers enthaltenen, metrischen und rhythmischeii Formen aus derselben Einheit entwickelt. E$ zeigt sich daher in der Strofe selbst der lyrisch antithesische Charakter. Z. B. in der ältesten Strofe, dem Distichon, ist der Hexameter und Pentameter in Antithese, und jeder trägt wieder in sich den anlithcsischsa Charakter zweier Uälftea:

2S6 Allgemeiner T hell.

Feuer des göttlichen Augs I und des Munds ambrosi- sche Süsse Mischt' Afrodite und schuf | süsse Konstanzia, dich.

Wie aber die metrische Periode auch Tripodie, der Vers auch Ämeter ist, so zeigen sich auch Strofon, in welchen ein drittes Moment die Antithese schliesst. Eine solche Strofe in ih- rer einfachsten Gestalt ist der daktylische He- xameter mit der sogenannten daktylischen Pent- hemimeres vereinigt. Dieser Hexameter ist aber richtig betrachtet, ein iripodischer Dimeler:

Als in der Laube, die Nacht j durchblickt von dem

Strale des Vollmonds dich dem Geliebten rereint.

In jeder lyrischen Sti'ofe, welche der Dichter nicht, von fremden Principien verleitet, ver- künstelt hat, wird man diesen Charakter der Antithese sowol in einzelnen Versen, als in ver- bundenen, finden , oft auch nach der Antithese den Schluss, so dass man jede Strofe wieder als einen erweiterten Vers ansehn, und das Ver- hältniss einer Strofe in irgend einem Vers vor- bildlich nachweisen kann. So ist z. B. die as- klepiadische Strofe, welche bei Horatius mit choriambischem llhythmus den Vers in der Mitte theilt:

^Z - ^ ^ - I ~w^ ill dreimal

1 ?> ^ ^ A I ^

« «

. *^ ^ » » \ 6. ^ 7 ^ 7

Verbindung der Verse, 2S7

Sjcriberis Vario fortis, et Iiostlum Victor, Maeonii carmiuis aliti, Quam rem cunque ferox nävibus, aut eqins IVIiles te duce gesserit.

die strofische Erweiterung des in der letzten Arsis scliiiessendeu Tetrameters. Jeder Fnss ist nämlich zur Periode geworden:

Die sclionste Form dieser Strofe wird dalier seyn, wenn die ersten zwei Yei'se mit den letz- ten die lyi'ische Antithese bilden. Der ei'ste Vers verträgt mit dem zweiten deklamatorische Verbindung, der zweite mit dem dritten nicht; denn mit dem dritten fangt die lyrische Anti- these an, der dritte und vierte macht die Anti- these gegen die erste Hälfte der Strofe* und der vierte rhylhmisirt selbst die Antithese, in- dem er gegen den dritten ein Nachbild der riauptantithese (gleichsam eine Antithesen-The- sis gegen die stärkere Arsis der Hauptantithesc) bildet. Das Horazische Beispiel zeigt diese An- ordnung.

287.

Von accentirten Strofen gilt dasselbe, AVas oben von accentirten Versen behauptet wurde. Sie nähern sich ihrer Natur nach mehr dein

388 Allgemeiner Theil.

lyrischen, und ihre Verbindung ist daher mehr IjTJsch , als dramalisch. Hierin liegt auch der Grund des Reimes , der in accenlirten Versen (wo er wirklicher Reim, nicht bloss voller as- sonirender Anklang seyn soll) , das Ende des Verses, und die antithetische Natur der Zu- sammenstellung bezeichnet und heraushebt.

Indessen lässt sich auch in der accentirten und gereimten Strofe eine dramatische und eine lyri- sche Verbindung der Verse unterscheiden, wie- wol die erstere durch den Reim schon so von der Lyrik modificirt wird, dass die accentirte dcclamatorische Strofe der lyrischen quantitiren- den gleich steht. Die Reimstellung niimlich, wel- che zwei Reime unmittelbar auf einander folgen lässt, sie seyen männlich oder weiblich (z. B. Band, Land: Bellona, Teutona), ist für den gereimten Schluss (wo also zwei Verse als Eins betrachtet werden) dasselbe, was der arsische Schluss für den reimlosen Vers ist. Die Reim- stellung hingegen, wo die Reime getrennt auf einander folgen (z. B. Bellona , Land : Teutona, Band, oder, um nicht durch den Wechsel des Steigenden und Fallenden zu täuschen: Hoheit, Teutona: Rohheit, Bellona) gleicht dem theti- schen Schluss im reimlosen Vers. Betrachtet man in dieser Hinsicht die Struktur der heroi- schen Stanze (ottava rlma), so findet man in ihr ebenfalls das Schema des Tetrameters durch

Verbindung der Verse. üSg

Reim und Strofc erweitert, die Periode wird zur Reimstellun^^ , die ersten drey tlietisch sclilies- senden, zu WecLselveimen (ab ab ab), die vier- te, arsisch scliliessende, zu unmittelbarer Reim— folge (cc) und auch die Verhältnisse der Anti- these zeigen sich in der Octave, auf dieselbe Art, wie im Tetrameter , oder der nach ihm ge- bildeten quanlitirenden Strofe.

Le lagrime e i sospiri degli amanti ,

l'inutil tempo, che si perde a gioco ,

e l'ozio liingo d'uoraiai ignoranti ,

rani disegni , che non han mai loco,

I ranl desideri sono tanti

che la pii parte ingombran di qnel loco :

Cio che, iiiÄomma, quaggiu perdesti raai>

La ju salendo , ritrovar potrai,

Ar I OST o.

Verliebter Seufzer »ind aJldort und Thränen,

die leere Zeit, die man beim Spiel verliert ,

die Mujse, die Unwissende vergähnen,

die eitlen Plane, die man nie vollführt:

In «olcher Meng' ist das vergebne Sehnen,

dass ihm des Raumes grösster Theil gebührt j

Was du verlorst ailhier, mit Einem Worte,

dat Alle» findest du an jenem Orte,

G r i e s.

Die älteste, oder sicilischc, Form der Stanje, welche auch in den beiden Schlusszeilen diesel- ben Wechselreirae wiederholt, ist der ihetisch

19

2t)0 A 1 1 g e m e i HC r 1 h e i i.

scliliessenJe strofisclie Tetrametcr, in wclclinTu die blosse einfache Hauptantitliese voihaudeii ist, nicht jener Nachklang der Antithese , in der Mitte der zweiten Hälfte, welcher den Schluss- zeilen einen leichten Anflug des epodisch(Mi Charakters, und dadurch der neuern italischen ottava riraa den eigenthümlichen Reiz gibt. Das Ausfühi'lichere über das Yerhä^ltniss quantiti- render Verse zu accenlirten Strofen gehört in

eine besondre Abhandl

^^•

Die lyrische accentirte Strofe hält den lyri- schen Charakter nicht bloss, wie die quautiti- rende, in den grössei-n Gliedern der Antithese; jeder Rhythmus vielmehr, wenn er nur das Ende eines Verses erreicht, ist an den lyrischen Cha- rakter gebunden. Zu diesen lyrischen Strofen gehöret vorzüglich die Strofe des eigentlichen Liedes, z. B. die Choralstrofe. Diese ist ganz streng an die Schlusspause jedes Verses gebun- den, und an die Antithese in den Theilen der Strofe. Ein Choraldichter, der diese lyrische Natur der Choralstrofe nicht beobachtet, ver- dii-bt den Gesang, und manche Veränderung, die man mit alten Kirchenliedern vorgenommen, hat sich auch in dieser Hinsicht keineswegs als Verbesserung bewährt.

V e 1- b i lul u n 2 der ^' a r s e.

29 1

289. Die Walirlieit dieser Satze, die -wir ganz a priori aus der Idee des Rhythmus abgeleitet ha- ben, zeigt sich Überali, auch in der Erfahrung, z. B. in der Art, wie die Musik sich einem Ge- dicht aneignet. Wir finden hier dieselbe Be- ziehung zwischen Gedicht und Musik, die wir oben (267) zwischen Metrum und Rhythmus be- merkten. Mit dem lyrischen Verse und der lyri- schen Slrofe ist die Musik in ihrem rhythmischen Theile zugleich entstanden. Der Komponist ei- nes Chorals z. B. darf von dem Metrum und dem Rhythmus des Gedichtes sich nicht die geringste Abweichung erlauben, der Dichter selbst durfte es eben so wenig, seine Beschränkung durcli den Rhythmus kommt nur nicht zum Vorschein , weil der Rhythmus selbst ei-st mit dem Gedicht vor die Anschauung kommt. Deswegen tadeln wir den Dichter mit Recht, der im Kirchenlied den zusammenhängenden Redesatz aus einem Ver^ in den andern überbeugen wollte. So ist z. P». Ramlers

Ihr Augen weint !

der Menschenfreund,

der Edle, der Gerechte,'

wird rerachtet, u. s. f. für den Choral viel zu deklamatorisch und ver- nachlässigt, über dem deklamatorisciien, den laothwcndigen Ivriicheu Schlnss am l^idc cIöj-

aijj AI ly e 111 c i n er Iheil.

«Iritteii Zeile, der Monotonie des immer wieder- kehrenden E nicht zu gedenken. In Abschnitl und Antithese ist das ahe Vorbild:

O Traurigkeit!

O Herzeleid!

Ist das nicht zu beklagen ?

tier Nachbildung vorzuziehen, und das accen- tirte zu ist nicht schlimmer, als Ramlers ac- cenlirtes der auf derselben Stelle.

Die deklamatorische Strofe hingegen hat ihre Musik nicht in sich selbst. Sie ist, gleich der metrischen Keihe , die von einem fremden Pvhyth- mus bestimmt wird (270), das Material, wel- ches von der INlusik rhythmische Bestimmung erhält. Hier ist also die Musik freier, als beim Lied, und unsre neuern Komponisten möchten das Rechte nicht ganz verfehlt haben, wenn sie deklamatorische Gedichte durchkomponirten, und ganz anders behandelten , als bei lyrischen Gedichten zu billigen seyn würde.

Verbindung der Strofen.

290. "Wir bezeichnen mit dem Wort Strofe hier iiberhaujJt jede verbundene Anzal von Versen. Ijnter diesen Strofen können ebenfalls verschie- tlene ArJ^en von Verbindungen statt finden, welche sich auf die Verschiedenheit der Vers- verbindung beziehen. :

Verbindung der Strofea. aqS

Freie Zusammensetzung von Strofen Verschie- dener Art findet sich nicht selten. Sie gibt dem Gedicht den äussern Charakter des Deklamato- rischen, und schickt sich daher am besten zu solchen Gedichten, deren Inhalt mehr zur De- klamation, als zum Gesang geeignet ist.

292. Die deklamatorische Verbindung der Stro- fen sieht nur auf Gleichheit derselben, wäh- rend der logische Sinn aus dem Schluss einer Strofe in den Anfang der andern übergreifen kann , wie dies zuweilen bei Horatius der Fall ist. Z. B.

possint imperiosius Aequor.

kann den übergewaltigea Meerschwall, Voss.

Die Musik zu solchen Oden kann unmög- lich lyrischen Charakter gehabt haben, wenn sie überhaupt gesungen wurden, und Lyra uud Pl6ktrum nicht bloss als allegorische, schmük- kende Attribute von ihnen gehen. "Vielleicht war auch manche horazische Ode den Sängern und Musikern nicht sehr willkommen,

293. Die lyrische Verbindung der Strofen zeigt ilircn Charakter iu dem bcstinnntcu Schluss der

,1 A 1 1 g e m e 'i n s r T L e i 1.

5iiüfe und in tlei' Antithese. Hier finden wirauck flic Anlillicse in nocli grösserer Erweiterung iils S t r o f e und A n t i s t r o f e , wozu nach dem ^ othild der dreifachen Theilung zuweilen noch dif Epode kommt. Ob in den anlistrofischen Ge- di'.hlen des Aherthums zuweilen mehr antistrofi- s»he Form als antislrofischer Charakter vorhanden sei, kann erst dann mit Sicherheit untersucht wer- den, wenn der wahre Gesang jener Gedichte auf- gcluuden worden seyn wird, was allerdings nach den vielen Bemühungen metrischer Kritiker kein iciclites Geschüft ist.

294. In accentirten Strofen ist mit dem Reim der Gipfel des Lyrischen erreicht, und da dieser in der Verbindung der Strofen nicht einen Gegen- salz in einem grössern Verhähniss antrifft, so scheint hierin der Grund zu liegen, dass den gereimten modernen Gedichten der anlistrofi- sche Gegensatz fremd ist. Einzelne Versuche mancher Dichter in dieser Gattung fanden keinen Eingang, eben weil der accentirte Vers im Reim sclion strofisch geordnet, und in der Strofe seil 011 antistrofiscii und epodisch behandelt ist. So erregt die Wiederholung derselben Reime in der förmlichen Antislrofe nicht die Empfindung des Gegensatzes, sondern vielmehr der Monoto- nie, die man in Sestincn, Kranzsoneten vmd aluiiiehcn poetischen Künsteleien, oft bemerkt.

\ o m V e 1- s. -2,^

Etwas dem Aulistrofischen ahnliclies zeigt sich indessen im Sonet , dessen ganze Struktur antistrofiscb und epodisch ist. Eigentlicli aber Lüdet es eine einzige Strofe, in welcher die in- nere antistrofi^.clie Coustruklion sehr deutlich sich auszeichnet.

V o m V e r

290.

In der Musik sind es Töne, in welchen der Khylhmus erscheint. Diese Töne liaben an sich noch kein fremdes Princip, was ihre verschie- dene Dauer, oder ihren Accent bestimmte ; bei- de Arten der Bestimmung bekommen sie erst durch den Rhythmus selbst, der sich mit ihnen verbindet. Ganz anders ist es mit dem Stoff des Verses, der Sprache. Die Sylbeu, in welchen die Momente des RliYthmus dargestellt werden, sind nicht einzelne, unbestimmte tönende Ele- mente, sie sind schon auf eine doppelte Art be- stimmt, einmal als Längen oder Kürzen, durch die grössere oder geringere Zeit, welche ihre Aussprache erfordert, (denn z. B. wohl ver- langt oirenl)ar mehr Zeit, als die Sylbe ob. und ist daher laug) dann zweitens, als accen- tirtc Sylben, durch den Accent, den sie indem Worte ciunchracn, in welchem sie stehen.

aijf) Allgemeiner Tlicil.

296. Jedes Woi't nämlicli soll, um die Einlieit seilies Begriffs auszudrücken , nicht als eine \ iel- licii , sondern ids eine Einheit (als ein Ganzes) walu'genoimnen werden. Da nun die Einheit in der Zeit Rhythmus ist, so muss jedes Wort eine rhythmische Reihe seyn, um als Ganzes zu gelten. In einsylbigen Wörtern wird diese rhythmische Beschaffenheit latent , weil sich die Elemente der Sylbe so innig vereinigen, dass man sie, wie etwa einen schnell arpeggirten Accord, als gleichzeitig vernommen betrachtet; daher wir auch nicht Buchstaben, sondern Syl- ben als rhythmische Elemente der Sprache an- sehen. In mehrsylbigen Worten ist die Mehr- heit der Sylben die Vielheit , welche im Wort rhythmisch vereinigt seyn muss , um als Ganzes wahi'genommeu zu werden. Ganz anders z. B. spricht man das Wort: Filister aus, als die im Laut ähnlichen drei einsylbigen: Viel isst er.

297. GewÖnlich nimmt man den Accent als ver- bindendäs Princip der Sylbenvlelheit zur Wort- einheit an, und allci'dings ist er das ani mei- sten auffallende Mittel, wodurch jene Verbin- dung entsteht; allein in prosodisch gebildeten Sprachen zeigt sich nicht weniger, als in quau- titirenden Rhythmen, auch eine metrische Pro-

Vom Vers, 297

portion der Quantität , die zur Bestimmung der Wortrhythmeu mitwirkt.

298. Wer sich einem andern scliriftlicli mittlieilt, braucht aus Bequemlichkeit wol zuweihn man- che Abkürzung seiner Wörter, und ist über- zeugt, der Leser werde, durch die Zeichen an- geregt , das Undeuthche, oder Fehlende aus dem Zusammenhange zu ergänzen im Stande seyn. So halten es auch sehr häufig die Sprechenden. Der Gegenstand, von dem eben die Rede ist, gibt den Schlüssel zu den undeutlichen Artiku- lationen, und daher verstehen es die Hörer ge- w önlich zum erstenmal nicht genau , wenn ein solcher Sprecher mit kühner Wendung zu ei- nem fremdartigen Gegenstand überspringt. Je mehr eine Sprache dieser bequemen und leich- ten Art der Conversation dient, um so undeut- licher wird der Rliylhmus in ihren Wörtern, der sich am Ende noch kaum in einer schwa- chen Spur des Accentes zeigt, so dass das me- trische Verhältniss der Quantität unbemerkt bleibt. Will man daher von den Bestimmungen der Worlrbvlhmen richtig urlheilen, so muss man nicht die Aussprache des gemeinen Lebens zum Grund legen, sondern die, welcher man sich dann selbst bedient , wenn man ein Wort ohne All'ektalioa deullicli uimI ohne logische

agS AIIgcmoinerTheil.

Beziehung als einzelnes Wort ausspricht. Dann •wird man fiuJen, dass wenigstens in der deut- schen Sprache \on den alten klassischen Sprachen ist es ohnehin bekannt ausser dem Accent auch die Quantität als metrisches \er- hiiltniss den Rhythmus der Worte bestimmt. Spricht man z. B. das Wort Moosrose, so bemerkt man auf der ersten Sylhe den Haupt- accent, auf der z^veilcn den untergeordneten der zweiten Arsis, und auf der dritten, als the- tischer Sylbe, keinen Accent:

*

Moos - ro - St.

Diese Accentirung deutet schon auf das Quan- tität-Verhültniss in diesem Piliythmus, und die Aussprache zeigt, dass die erste Sylbe drei Mo- mente, die zweite zwei, und die dritte ein Mo- ment enthalte. Die ganze rhythmische Form des Wortes ist also:

Jr J' .^

Moos-ro-se, '■

wovon sich jeder durch genaue Achtsamkeit auf sein eignes Sprechen bald überzeugen kann. Nur zweifle ein Unbekannter mit der Musik nicht an der Sache, weil er das, was er ver- nimmt , nicht vollkommen zu unterscheiden und z'.i bezeichnen im Stande ist. Wie lange brach- ten die Musiker zu, ehe sie den ganz gleiclien

0 V o na V e r s. 2g(^

luuslkalisclien Rhytlimus unzweideutig Bezeich- neu und mesien lernten!

299- Die accentlrte SylLe unterscheidet sich von

der accentlosen nicht durch ein längeres Ver- weilen der Stimme darauf, sondern durch stär- ,keren Ton, der «ch, der Natur des Sprechens gemäss, durch Erhebung der Stimme zeigt. INIan sagt deswegen von der accentirten Sylbe, »ie stehe in der Hebung des Wortes («(xr«?, clatio), von der accentlosen hingegen, sie stehe in der Senkung {-^ioig, positio). Die accent- lose Sylbe kann daher lang seyn, z.B. dieSylbe "Wahl in dem Worte Auswahl, wo sie in der Senkung steht; dagegen kann eine accentirte Sylbe kurz seyn, z. B. die erste in ovofiu. In neueren Sprachen , z. B. der deutschen , gilt jede Sylbe, welche einen Hauptaccent hat, für lang, obgleich Worte von geringem BegrilFsgchalt und ohne Quantitätlänge, z.B. oder, weder u.d.g. besser pyrrhichisch gemessen würden. Der un- tergeordnete Accent fällt indessen auch im Deut- schen auf unbezweifelbar kurze Sylben, z. B. feierlicher, Piächerinnen und ähnliche, die in quantilirenden Versen nur mit Vorsicht in die Stelle der Länge eintreten dürfen. 5oo. Welche Sylbe eines Wortes accenlirt sei, li.sM sich aus dem Aeussern der Sylbcnzusam-

5o« AlIgeM«incrTheI!,

mensetzung nicht bestimmen. Wo die Quantität nicht entschieden ist, die zuweilen auf den Ac- cent zurückwirkt, da wird der Accent eines Wortes Yon einem inuern Grunde bestimmt, nämlich von der Bedeutung des Woi'tes, und in der Regel bekommt diejenige Sylbe den Accent, welche den Hatiptbegrifl' enthält. 001. So lange in einem Worte keine Sylbenquan- tität bemerkbar ist, weil alle Sylbeu vou glei- cher Quantität sind, entscheidet der Accent al- lein über dessen Rhythmus. Denn ob die Syl- ben lang oder kurz seien, ergibt sich erst aus der Vergleichung mit einem andern Wort. Dergleichen Worte sind : Anmuthvoll, ovof*« , hominibus und äimliche. Da aber durch jede rhythmische Bestimmung, sei es durch Quan- tität oder Accent, sogleich metrische Verhält- nisse entstehen, so erfolgt dieses nothwendig auch hier. Indem der Accent sich fixirt, be- kommt also das dadurch rhythmisirte Wort sein metrisches Verhältniss, es entsteht Arsis und Thesis und dadurch eine metrische Reihe. So liat: anmuthvoll das metrische Verhältniss daa, Kanzleirath dieses: a üa, und Domprob- st ei dieses: aa ä. Wir finden in dergleichen Worten dasselbe, was wir früher oft von Rhyth- men bemerkt haben, die bloss in Hauplmomen- tcn sicli bewe;:;cn.

VomVers, 3oi

5o2.

Sobald in einem Wort ausser dem Accent (denn dieser fehlt niemals) auch ein Quantität- Yerhältniss unter den Sylben statt findet, so äussert auch diese Quantitätverscliiedenheit ih- ren Einfluss auf den Rhythmus der Worte, der nun solchen Rhythmen gleichen wird , die mit Momenten verschiedener Ordnungen wechseln.

Es fragt sich aber, wodurch eine Sylbe lang oder kurz werde ?

5o5.

Auf der accentirten Sylbe hebt sich der Toa wegen der Intensität, die er dieser Sylbe mit- theilt. Wenn aber der Ton auf einer Sylbe verweilt, länger als auf der andern, so ist diese Sylbe lang. Dieses Verweilen des Tons ist nicht vom Begriff abhängig, sondern von der Con- slruktion der Sylbe , auf welcher der Ton ver- weilt, daher linden wir, wo der Accent nicht die Quantität bestimmt, Hauptwörter aus kur- zen Sylben bestehend, z. B. 'O-fog, oQog und un- bedeutende Wörter, z. B. nui, eig aus langen. Wenn wir also den Accent ein inneres, ideelles Princip nennen, so ist die Quantität ein äusse- res, reelles Princip des Wortrhythmus. Die Sache bedarf aber einer nähern Betrachtung.

V

3o2 % Allgameiner 'ihexl, ^

Allgemeine Prosodie.

3o4. Das Körperliche , Materielle der Sprache Le- s,telit Lekanntlich aus Vokalen und Konsonan- ten. Die Vokale sind der eigentlich tönende Bcstaudtheil, und jede Sylhe muss, um bestimmt arlikulirt zu lauten , wenigstens Einen Vokal enthalten. Mit diesem Einen Vokal ist sie als Sylbe für die Aussprache beschlossen. Enthält die Sylbe mehr Vokale, als diesen Einen, zur Aussprache nothwendigen , so wird der Ton ge- nöthigt, länger auf ihr zu verweilen, als auf andern Sylben, die nur einen Vokal enthalten, die Sylbe bekommt daher Länge. Es bedarf kaum einer Erinnerung, dass mehr Vokale nur dann in derselben Sylbe zusammentreffen, wenn sie als Ein Laut, nicht aber als verscliie- dene Laute ausgesprochen werden; denn im letzten Fall würden sie nicht Eine, sondern mehre Sylben bilden. Dies ist z. B. der Fall mit den beiden A in Fraartes, Canaan; in Aal, Meer, Boot hingegen bilden beide Vo- kale nur Eine Sylbe.

oo5, V okale von gleichem Laut, in derselben Sylbe enthalten, }>ilden einen langen Vokal, der in ei- nigen Sprachen durch besondere Figur, in an- dern durch Verdoppelung, durch Anhängung

Allgemeine Prosodle 5o3

des Spiritus, oder durch ein Dehnungszeichen angedeutet, oft aber ohne besonderes Zei- chen, entweder aus seinem Stand in der Sylbe erkannt, oder aus dem Sprachgebrauch erlernt -wird. Die griechische Sprache hat bekanntlich für die langen Vokale besondere Formen und überdies noch am Circumflex ein Dehnungszei- chen , die lateinische erkennt den langen Vokal in der vorletzten Sylbe an der Betonung, in der letzten an prosodischen Bestimmungen und zum Theil an der Analogie des Accentes in Verän- derungen des Wortes. Diese Analogie und der Gebrauch der Dichter bestimmen die Quantität ^ der andern Sylben. Die deutsche Sprache be- dient sich der Vokalverdoppelung (Aar, leer, Moos), des augehängten Spii-itus (Ehre, ohne, Noth), des stummen, bloss dehnenden E (w i e- der, Liebe) welches im Hochdeutschen die Stelle eines Dehnungszeichen vertritt. Doch überlässt die deutsche Sprache nur zu oft dem Gebrauch die Bestimmung des langen und kurzen Vokals, und ohne durch ein Zeichen belehrt zu wer- den, muss man bloss lernen, dass in Mond das O lang, in blond kurz ist. (Scharf nennt man gewöhnlich den kurzen Vokal, der in einer durch Position, oder Accent langen Sylbe steht.) Dtiher variiren auch oft die deutschen Dialekt« liicrin, und Tag wird z. B. von manchen §e* dehntj von manchen scliarf gesprochen. Di«se

ju-t Aligdinelncr Theil.

Yerschiedeiiheil zeigt sich zuweilen auch in der Schreibart, und Vater, Eret, wird in manchen Dialekten auch Vatter, Brett gesprochen und geschrieben.

5o6. Bernhardl (Sprachwissenschaft i8o5. S. 65.) behauptet, auf einen Parallelismus gestützt, diese Dehnung könne sich nur auf die Vereini- gung zweier Vokale erstrecken , und gramma- tisch sey aa und aaa dasselbe , wiewol ein mu- sikalischer Unterschied eintrete. Da B. in der Prosodie hierauf den Satz gründet, dass jede Länge nur zwei Kürzen gleich sei, so muss je- ner Behauptung widersprochen werden. Die Contraktion eines kurzen (einfachen) Vokales, und eines langen (doppelten) zu Einem Vokal oder Difthong zeigt die Vereinigung dreier Mo- mente in derselben Sylbe grammalisch, und überhaupt muss grammatisch und musikalisch nicht widersprechend seyn, sobald von absolu- ten rhythmischen und metrischen Sätzen die Rede ist. Bloss prosodisch betrachtet ist aber die Sylbe weder dreizeitig, noch zweizeitig, son- dern bloss lang im Aligemeinen. (5 18. 4o3 11'.)

307. Vokale von verschiedenem Laut in ein»r Sylbe ausgesprochen, bilden Difthongen, die gleichfalls und aus demselben Grunde den Ton

Allgemeine Prosodie. 5o5

zum Verweilen nöthigen, und der SylLe dadurch Länge ertheilen. Von den alten Sprachen ist dieses bekannt, in der deutschen Sprache hat man es lange nicht, und auch bis jetzt noch nicht allgemein anerkannt : weil man die Quan- tität der deutschen Sylben bloss aus dem Prin- cip des Accentes, welches sich auf Begriffe be- zieht, herleitete. Daher brauchte man die Wörter aus, auf, euch, auch und ähnliche, weil sie keine Hauptbegriffe bezeichnen und bloss ver- binden, unbedenklich als Kürzen. Dem Ver- stand gefiel dieses freilich , und dass dieser selbst in Sachen, wo der Sinn einzig entschei- den kann, sich eine richterliche Tirannei an- gemaasst hat, ist bekannt genug. Dasselbe gilt auch von den langen Vokalen im Deutschen, die gewönlich ebenfalls, wenn der Begriff die Sylbc nicht hebt, kurz abgefertigt zu werden pflegen, z. B. ihr, wohl und ähnliche. 3o8. Als zweiter Bestandtheil der Sprache zeigen sich die Konsonanten. Wiewol sie grössten- theils nicht selbst tönen , sondern nur dem Ton des Vokales sich anschliessen , so erfordern sie doch einige Zeit, um ausgesprochen zu werden, und verlängern mithin die Dauer der Sylbe. Trost z.B. erfordert offenbar mehr Zeit, als das einfache O. Besonders auffallend wird dieses, wenn mehre Konsonanten in Einer Sylbe zti-

ao

3o6 All^jciueiuei Tiicil.

sammentreffen, die ohne einen dumpf dazwisclien- tönenden Halbvokal ( Sclnva ) nielit ausgespro- chen werden können, z.B. in: Sanft, Pabst, wo man zwischen den schliessenden Konsonan- ten den dumpfen Halbvokal vernehmlich hört. Weniger auffallend tont dieses Schwa in andern Sylben; aber wo es tönt, vermehrt es doch ohne« Zweifel die Dauer derSylbe, und nölhigt den Ton ebenfalls auf der konsonantenreichen Sylbe zu verweilen. Hierdurch also erhalten auch die Konsonanten Einfluss auf die Quanti- tät der Sylben, der in der Prosodie unter dem Namen der Position bekannt ist. Eine Sylbe erhält näudich durch Position Länge , wenn der Ton durch die Anzal, oder den Widerstand der darin befindlichen Konsonanten genöthigt wird, länger auf ihr, als auf andern Sylben, in wel- chen diese Hindernisse nicht angetroffen wer- den , zu verweilen. Es erhellt hieraus , dass die Länge durch Position bloss relativ ist, und dass unter Sylben, die bloss aus einfachen Vokalen bestünden, schon Ein Konsonant der Sylbe Po- sitionlänge ertheilen würde. Die Frage : wie viel Konsonanten zur Position 'erforderlich seyen, lässt sich mithin nicht im Allgemeinen beant- worten, sondern die Beschaffenheit jeder Spra- che muss darüber im Einzelnen entscheiden. *)

'') Diese Grundsätze über Position -mirden schon in der

Allgemeine Prosodie. 5q^

In Spraclieti', Avorin der grö.^ste Tlieil der Syl- ben mit Vokalen anfängt , oder mit Vokalen schllesst, ist gewönlicli jeder Vokal von dem andern durch Einen Konsonanten getrennt; das ZusammentrefTen zweier Konsonanten v.ird da- her den Ton über das Gewöhnliche aufhallen und dadurch eine Position bewirken. So ist es auch in der That in der griechischen und la- teinischen Spraclie, worin sich die Ausnahme dass z. B. der stumme mit dem fliessenden Kon- sonanten nur unvollkommene Position bildet sehr leicht aus der geringern Verweilung er- klärt, die der Ton hei dem leichten Leber<,^an<'^e zu dem fliessenden Konsonanten nötliifr hat. Findet sich hingegen bei der Mehrzal der Syl- ben in einer Sprache Vorn und hinten ein Kon- sonant, so ist das Zusammentrefien Von zwei Konsonanten das Gewöhnliche, und es wird nur dann Position entstehn, wenn w^enig tens drei Konsonanten unmittelbar auf einander fob'on. Diese Bewandniss hat es mit der deutschen Spra- che, und man sieht, wie sonderbar seiht Klopslock schloss, weil die Regel alter Sprachen von ^ er- längung einer Sylbe durch Zusammentreffen zweier Konsonanten unanwendbar scy, und es ihm gelang, einen verfelilten deutschen Ilexa-

Leipzi^er Literatur - Zeitung 1809. N. il>5. , bei Ge- lege^nheit einer Anzeige von Voss Uebeisetzung de» Iloralius, von dem Vf. aiii-cslcllt.

5o5 A I i^ein oiiicr TlieiJ.

meter nach den Regeln der griechischen Proso- die zu erfinden:

Tönender sangen verborgene Nachtigallen, SO sey es lächerlich und ungereimt, im Deut- schen Position anzunehmen, und überhaupt Quantitäthestimmungen aus der äussern Natur der Sylben herzuleiten.

509. Etwas ähnliches hat Bothe *) behauptet, und praktisch durchgeführt. Nur beschränkt er die deutsche Position zu eng durch die Kegel der griecliischen und lateinischen. Dennoch möchte er den Spottvers des Beurtheilers in den Hei- delberger Jahrbüchern (i8i3. April) nicht ver- dienen. Wenn aber der Leipziger Recensent (Lit. Z. 1812. N. 295.) die Sache erst dann als streng bewiesen annehmen will , „wenn ein wirk- lich grosser Dichter, wie Klopstock, in der von Bothe bestimmten Prosodie sich nicht gezwun- gen fültj" so möchte man fragen, warum der grosse Dichter, der allem Zwang so abhold ist, sich überhaupt die Fesseln des Verses anlegt? Wenn manchen recht guten Dichter die Reime im Deutschen geniren, ist darum der Reim aus der deutschen Sprache zu verbannen? Ist die Regel einmal in der Natur gegründet, so ist

*) Antikgemessene Verse Ton Bothe. 1812,

Allgemeine Prosodie. 505

etwas wundcrlicli , und eben nicht sehr genial vom grossen Dichter, wenn er sich nur halb fügt, und halb widerstrebt. Was wäre aber so wunderlich, das ein Kritiker nicht behauptete!

3io.

Der lange Vokal, oder Difthong macht also in jeder Sprache die Sylbe lang. Desgleichen wird in jeder Sprache die Sylbe durch Position lang; nur muss aus der Natur jeder einzelnen Sprache selbst bestimmt werden, wie viel Kon- sonanten zusammentreffen müssen, um eine Po- sition zu bewirken. Es verbirgt sich indessen hierbei die Bemerkung nicht, dass Sprachen, in welchen wenig Konsonanten zur Position genü- gen, weit leichter Sylbenquantität zeigen, als andre, welche nur durch viel Konsonanten Po- sitionlänge hervorbringen. Der Unterschied der Positionlänge durch zwei Konsonanten von der Kürze beträgt Eins, der durch drei Konsonan- ten nur zwei Drittel, und der durch vier Kon- sonanten würde gar nur ein Viertel betragen. Mithin wird der Unterschied der Länge von der Kürze immer geringer, und immer mehr ver- dunkelt, je mehr Consonanten zur Position er- forderlich sind, und in gleichem Verhältniss mit der Positionlänge verdunkelt sich auch unter der Masse von Consonanten die Quantität des lan- gen Vokals, so, dass man die Portion von drei

5iü AUge tue in er T 1; e il.

Konsonanten wolil als Glänze wird annehmen müssen, auf welcher die Quantitätbestimmung noch deutlich Yernehmbar ist. Je mehr aber das eine Piüncip verschwindet, um so mehr tiütt nothwendig das andre hervor. Wo die Quan- tität sich verherl , wird der Accent Hauptprin- cip des Khythmus in der Sprache; wo hingegen die Quantität sehr leicht vernehmbar ist, wird diese voi'herrschendes Princip.

5ii.

Hieraus wird klar , warum Sprachen '^mit leichter Quantilätbestimmung sich mehr zu quantitirenden Rhythmen neigen, und da in diesen der Tripeltakt vorherrscht , besonders auch zu diesem (180.) Dies ist, wie die Folge zeigen wird, in dem Griechischen fast durch- gehends der Fall, und der grösste Theil lyri- scher Verse bewegt sich in ionischem oder tri- podischem Metrum, so dass man fast keinen Vers anführen kann , der ganz unzweideutig ge- raden Takt hielt. Sprachen hingegen mit viel Konsonanten eignen sich leichter den accentirten Rhythmen, z. B. die englische und andre nor- dische Sprachen. Dass die italische und spani- sche Spi'ache ihre Quantitätverhältnisse im Vers nicht gellend macht, liegt nicht an der Sprache, sondern in den Verhältnissen, unter welchen sich die Poesie bei diesen Völkern ausbildete.

Allgemeine Prosodie. 5ii

Der Wolillaut des durch beide Sprachen so be- günstigten Reimes und der Assonanz hat die Poesie auf einen Weg geführt, der zu anlok- kend ist, um ihn einer Schönheit (der Bewe- gung) willen zu verlassen, welche die Musik leicht dem Gedicht zubringt.

Ein bemerkenswerther Beleg hierzu ist , dass die Musik, die am freiesten in accentirten Rhythmen sich bewegt, ihre hauptsächlichste Ausbildung unter solchen Völkern fand, deren Sprache bloss acceulirt, oder nur wenig quan- tilirt. Wo man bei leicht quantitirender Spra- che auch in quantitirenden Rhythmen dichtete und sang, z. B. in Griechenland, da blieb die Musik zu sehr an die selbst musikalische Spra- che gebunden und folgte Ton für Ton den Sylben "des Gedichtes. Ihre Melodieen behiel- ten deshalb zwar mehr Zierlichkeit, als die ro- hen accentirten Gesangweisen des Nordlandes haben mochten ; allein diese , welche nicht von der Sprache gefesselt wurden, konnten sich freier bewegen und der Musik einen Spielraum anweisen , wo die Sprache nicht mehr dem Ton Sylbc vor Sylbe folgen konnte. Hierin liegt ein Ilauptuntcrschied, nicht sowol der al- ten Musik von der neuern, als vieiraehr der Verbindung der Musik mit dem Vers zum Ge- sang in aller und neuer Zeit. Wie der accen- tirte Gesang in Italien iil>or den quantitirenden

3 i :i A 1 1 g e m e i u e r T h e 1 1.

siegle, und wie durch die Aufnahme quanliti- render Rhythmen in die accentirten Formen griechische Eleganz mit nordischer Kraft verei- nigt wurde, wird in der Folge nachgewiesen werden.

3l2.

Die deutsche Sprache steht wegen ihres nachgewiesenen Positionverhähnisses auf der Gränze der quantitirenden und accentirenden Sprachen; deswegen äussern Leide Principien ihren Einfluss auf den Wortrhythmus. Der Hauptaccent gibt der Sylbe , auf welche er fällt , wäre sie auch an sich kurz, doch den Charak- ter der Länge. In Rosse z. R. gegen Rose gehört, ist die erste Sylbe der Quantität nach kurz, allein der Accent gibt ihr Länge. Weil aber der Accent als ein innres und vom Ver- stand abhängiges Princip erscheint, so äussert er seine verlängende Kraft nicht auf unbedeu- tende Sylben, die nur den arsischen, nicht den BegrifFsjiccentKrhalten. Die dritte Sylbe in krie- gerische ist deswegen , des Accentes ungeachtet, kurz. Darum duldet der quantitirende Trime- ter die Sylbenstellung nicht :

W •«'— I y* >m' I t^ »^ -^

Des schauerlichen Zuges feierliche Pracht

wohl aber der accentirende Alexandriner:

der schauerliche Zug in feierlicher Pracht

Allgemeine Prosodie. 5i3

und eben so der zehn und elfsylbige jambische Vers:

Voll schauerliclier Ahndung sank die Nacht. Eben deswegen äussert der Accent auch sein« verlängende Kraft weniger in solchen Worten, die bloss Nebenbegrifte bezeichnen , z.B. oder, "weder u. a. m. , und die accentirten , an sich kurzen Sylben solcher Wörter bekommen nur eine zweideutige Länge, d. h. , sie können nach Willkühr als Längen, oder als accentirte Kür- zen gelten. So haben wir allerdings pyrrhichi- sche Wortfüsse in der deutschen Sprache, frei- lich ziemlich wenig, indessen sollte man doch diese wenigen anerkennen, OlD. Nicht allein in Sylben und Worten findet der Rhythmus die Sprache schon unabhängig von sich bestimmt, sondern auch in ganzen Sätzen. Wie nämlich das einzelne Wort seinen grammatischen Accent hat, so hat der Satz sei- nen logischen Accent , der ihn zur Einheit ver- bindet, und dessen veränderte Stelle bekanntlich auch den Sinn des Satzes verändert. Auch die Position findet nicht allein in der Mitte des Wortes, sondern oft und hauptsächlich in der Zusammenstellung der Worte Statt, so, dass die Endsylbe eines Wortes von veränderlicher Quan- tität ist, je nachdem sie vor einem Vokal, oder vor einem Konsonant sieht.

5i4 A llgem einer Theil.

Eine ähnliche Veränderlichkeit der Quantität findet auch bei dem langen Vokal Statt, der, wo der Accent keinen Einfluss auf die Quanti- tät äussert, vor einem andern Vokal kurz, oder doch von zweideutiger Quantität wird. Auch im Deutschen sind die Endungen der Worte : bei, einerlei u. d. g. vor einem Vokal zwei- deutig, die accentirten: Abtei, herbei, blei- ben lang , eben so einsylbige Ilauptworle , als : Thau, froh, Schnee und ähnliche.

3i4.

Der logische Accent des Satzes gibt einer kurzen Sylbe nicht nothwendige und unbedingte Länge, am besten steht sie als Kürze in der Hebung des Taktes. Will sie der Dichter als Länge, vielleicht gar als dreizeitige, in die Hauptarsis stellen, so muss Rhythmus und Me- trum schon sehr entschieden seyn, sonst ver- wirrt eine solche Stellung z. B.

Das hab' ich erkämpft, das hab' ich errungen, hält sich in der ionischen Bewegung

I ^ 5 N" I I ^ ^ I I j^ j^ > I I > y 9

lt. m. ä^ m \ a. S^ 7 \ J. J. J^ d I «. / / als Accentlänge ; allein wenn die Bewegung noch unentschieden ist , so kann man lesen :

Daher ist eine solche Accentlänge zum Anfang nicht zu empfehlen.

Näher'e Bestimmung des Verse«. 3ij

Nähere Bestimmung des Verses.

5i5. Findet nun verschiedene Sylbenquant^tät in den Worten einer Sprache Statt, so tritt auch" in dieser Rücksicht sogleich ein metrisches Ver- hältniss ein; denn eine Sylbe ist im Rhythmus nicht im Allgemeinen lang oder kurz, sondern sie ist es nach einem bestimmten Verhältniss.

3i6. Dieses bestimmte Verhältniss der Länge und Kürze erkennen die Metriker an; allein sie be- stimmen es für alle Fälle als das Verhältniss von Zwei zu Eins, ohne einen Beweis für diese Behauptung zu führen. Der einzige , Bernhardi , gibt in einem Parallelismus wenigstens eine Art von Beweis. (3o6.) Es muss jedem Unbefange- nen auffallen, wie sehr das Nachsprechen frem- der Worte unsern Denkern eigen sey, da sie gegen die laute Stimme der Musik und der Aus- sprache , und gegen alle Beweise aus der Natur des Rhythmus , dennoch auf jener willkührli- chen Behauptung bestehen, und sich, mit Ver- läugnung ihres Sinnes, lieber dem alten Vorur- ihcil fügen, eh' sie von einer, von allen Seiten probchaJteudcn , Ansicht Notiz nehmen.

317. Dasselbe metrische Verhältniss, welches bei quantitirenden Rhythmen überhaupt Statt findet,

5;i6 Allg e meiner Th eil.

muss aucli Lei Worthrhytlimen eintreten. Es ist kein Grund , es anders zu erwarten , und so ündet es sich aucli in der That.

In den absoluten Rhythmen so nennen wir sie in ihrer reinen Gestalt, ohne Verbin- dung mit Wort oder Ton fanden wir dreier- lei Quantität der Länge, in Musikzeichen aus- gedrückt: J. J und e'. 5 und zweierlei Quantität der Kürze ^ und Js Diese Verhältnisse werden sich in der Sprache, so fern sie rhythmisch in Ansehung der Quantität betrachtet wird, eben- falls finden. Nachweisungen von dergleichen metrischen Formen in der Sprache sind schon früher gegeben worden. Man spreche das Wort : Anmutig, so spricht man es in der metrischen Form des Bacchius:

! J >

B- •«>

Anmutig

Mau spreche: Anmutiges, so spricht man das Wort in der Form des Jonikers:

I ^ ^ > •. c. e^

Anmutiges und in diesen beiden Beispielen findet man alle verschiedenen Quantitäten der metrischen Län- gen und Kürzen. Eine vierte Gattung der Länge, die nicht metrisch , sondern prosodisch ist , kann erst später angezeigt werden.

Nähere Bestimmuiig des Verses. 617

5i8.' Es ist bei der ersten Entwickelung des Me- trum erwiesen worden, dass das Metrum kein absolutes, sondern ein relatives Maas sey, näm- lich ein Proportionmaas des Rhythmus. Das Allgemeine des Metrum, nämlich der Begriff eines Verhältnlssmaasses , entsteht mit dem All- gemeinen des Begriffes Rhythmus. Die bestimmte Proportion aber entsteht mit dem bestimmt ge- gebenen Rhythmus. Daher ist es nicht nur er- laubt, sondern nothwendig und in der Natur der Sache gegründet, dass dieselbe Sylbe in verschiedenen Wortrhythmen ein verschiedenes metrisches Verhältniss habe ; denn sie bekommt überhaupt erst irgend ein metrisches Verhältniss durch die Stelle, in welcher sie im Wortrhyth- inus steht. Die Sylbe Glück z. B. hat in dem Wort: glücklich zweizeitige Länge; denn das Wort ist ein Trochäus (JJ^); in glückse- lige hat sie dreizeitige Länge; denn sie nimmt die erste Stelle eines flüchtigen, sinkenden, io- nischen Wortrhythmus ( j. J. ^ J ) ein; in Unglücklicher hat sie unvollkommene Län- ge, denn sie steht auf der zweiten Stelle dersel- ben ionischen Form. Von der metrischen Quan- tität ist also die prosodische Quantität wohl zu unterscheiden. Diese, die prosodische, nennt die Sylben bloss lang und kurz , ohne alle Rück- sicht auf ein metrisches Verhältniss dieser I^änge

5x8 Allgemeiner Theil.

xind Kürze, nicht 'einmal auf das sich zuerst darbietende von Zwei za Eins, und wir wer- den späterhin sehn, dass die prosodische Lange in einigen Fällen sogar metrische Kürze ist. Die Prosodie sondert nur in der Sprache Syl- ben , welche die Verhältnisse metrischer Längen aufnehmen können, von solchen, welchen die Verhältnisse metrischer Kürzen sich aneignen lassen, und nennt die ersten ohne Unterschied lang, die zweiten kurz, diejenigen aber, mit welchen sich metrische Verhältnisse beider Art vereinigen lassen, mittelzeitig. Durch die Verwechselung der prosodischen Quantität mit der metrischen, entstanden ungemein viel Ver- wirrungen im Maas unbekannter Versformen, und in den metrischen Theorieen selbst.

519.

Ist die Relativität des Metrum erwiesen, so sieht man, wie weit Hermann von einer richti- gen Begründung der Metrik entfernt ist, wenn er (Metr. §.49.) sagt: „Metrum bezeichnet bloss das Verhältniss der Länge der Zeitabtheilungen gegen einander, ohne allen Rhythmus." Ein Verhältniss der Zeitabiheilungen ist aber nur im Rhythmus denkbar. Zu dieser Unklar- heit der BegrilFe kommt nun noch folgender Satz (das. §. 5o.) : „So vielfach das Maas der Zeitabtheilungen in dem Rhythmus der Musik

Nähere Bestimmung des Verse 3. 3 ig

und Tanzkunst ist, so hat doch die Sprache, die nicht bloss zum Ausdruck der Empfindun- gen erfunden ist, und der eben deswegen eine zu grosse Mannigfahigkeit des Maasses lästig seyn würde, nur eine einzige \ erschiedenheit des Maasses, ein einfaches und ein doppeltes." In der That, ein sehr befremdendes Versin- ken in die materiellste Empirie , von einer Theo- rie , die auf formale - objektive Gesetze a priori mit bis zur Trockenheit strengem Ernste dringt! Indessen lernen wir, dass Bequemlichkeit und Unklarheit der Grund ist, worauf die Verwer- fung andrer metrischer Verhältnisse im Vers als des beliebten Eins zu Zwei sich gründet, und dass gelehrte Filologen, die am Maas der Verse und der Musik des Alterthums bessern und meistern, nicht einmal im Stand sind, das Maas ihrer eignen Aussprache zu vernehmen, wenn sie ionische Wortrhythmen , z.B. Ankün- digen; ( J. «'. ,N ^ ) aussprechen. Würden sie sonst das Maas der Sprache auf jenes Verhäit- niss : Eins zu zwei beschränken wollen ?

520.

Es ist mithin mit den Worten, wie rhit den absoluten Rhythmen: das metrische Verhältniss, auf den Accent bezogen, bildet die Arsis und Thesis; auf die Quantität hingegen bezogen, bildet es das rhythmische Sylbenverhältniss der Länge und Kürze.

32o Allgemeiner ThelL

Wortfüssc.

021.

Wenn wir die Wörter einer Spraclie nach ilirem metrischen Verhältniss betrachten, so erkennen wir in ihnen den Rhythmus, und wir haben sie in dieser Piücksicht schon oft Wort- rhythmen genannt. Betrachtet man aber die Wörter bloss in Hinsicht auf die prosodi- sche Quantität ihrer Sylben, ohne Beziehung auf Rhythmus und metrischen Gehalt, so nennt man die Wörter Wortfüsse. So ist z. B. A n'm u t i g e r zugleich ionischer Wortrhythmus und Wortfuss ( J. J^ ,^ J^ - - w. ^ ) : Aus- drü'cklicher hingegen ist zwar ionischer Wort- fuss ( _ ^ «^ ), aber nicht ionischer, sondern iambischer Wortrhythmus ( J^ | j j^,^ 7 7 ) oder auch daktylischer mit Auftakt ( J [ J j^ J^ )•

322.

Zu Bezeichnung der Wortfüsse reichen die üblichen metrischen Zeichen , (die man richtiger prosodische Zeichen nennen könnte) vollkom- men aus. Nur vergesse man niemals bei ihrem Gebrauch, dass sie bloss Länge und Kürze in prosodischer Ansicht, keineswegs aber in metri- scher Beziehung anzeigen. Sie deuten also eben so wenig auf das Verhältniss Eins zu Zwei, als auf irgend ein anderes. Ein Vers- schema in solchen Zeichen i«t gleichsam eine

Wort füsse. Sax

Aufgabe zur Construktion eines Verses, wo der Verskünstler die Verhältnisse zu finden hat, wie etwa der Zeicliner, der aus fünf zufällii;en ge- gebenen Punkten eine Figur construiren solL Mancher Vers in den Theorien sieiit wirklich aus, als hätte der Zeichner bloss einige mensch- liche Glieder an die Stelle der Punkte gesetzt, und die Figur vergessen.

Eben so bekommen die Wortfüsse von dem Rhythmus ihre metrische Bestimmung, die ver- schiedenartig seyn kann, v/eil die prosodische Quantität verschieden bestimmbar ist. Der Wort-

fuss w - kann eben sowol den Rhythmus

J. J*^ .^ J" als den J J .^"^ oder diesen: J 1 J /> oder folgenden: ^ \ J^ ^ j^ enthalten. Ein

V

Vers aber enthält nicht unrhythmische Sylben- massen, sondern Rhythmen. Im Vers ist also das Maas des Wortfusses metrisch bestimmt, er ■wird Wortrhythmus ; und hier zeigt es sich von neuem, dass es blosse Willkührlichkeit sei, wenn man aus den vielfachen Bestimmungen des Maasses bloss das von Eins zu Zwei als das al«? lein gültige heraushebt.

S25.

Uibrigens ist der Ausdruck Wortfuss, wenn er auch vielleicht nicht vollkommen passend seyn sollte, seit Klopstock angenommen, un,d als einmal eingeführt beizubehalten, wenn man

21

oaa AllgtineiiierTlieil, .

ihn nur 6orgfaliig, was selbst von Klopslock und andern nicht immer geschehen ist , vom Worlrhylhmus unterscheidet. Alle oben ange- gebenen Füsse, oder rhythmischen Formen, von zwei bis zu sechs und mehr Sylben, können Worlfiisse werden, wenn ein Wort sie ganz ausfüllt. So ist Emporstreben ein antispa- stischer Worlf uss , Vernachlässigung ein dochmischer, Magnet ein jambischer, Dop- pelrubin ein choriambischer, General- marsch ein steigendionischer u. s. w. Von dem Gebrauch der Worlfiisse im Vers kann erst später die Rede seyn; hier müssen wir uns begnügen, ihren Begriff zu bestimmen.

524.

In etwas weiterm Sinne erfordert man zum Wortfuss nicht ein geschlossenes Wort in buch- stäblichem Verstände; man rechnet gewönlich den Artikel, Konjunktionen und andere Hülfs- wörter mit in den Wortfuss ein. So geht z. B. die Gewallthat unter den steigendionischen Wortfüssen. VV^er indessen genau beobachtet, unterscheidet unter denselben Wortfüssen sogar nach ihrem verschiedenen innern Zusammen- hang. So sind die Worte : Tausenderlei; Fu- rien tanz; Völkergeschick; Todmeteor, sämmtlich choriambische Worlfüsse (und zugleich chorlamJjische Wortrhylhmen); allein die verschie-

Verbindung des absoluten Rliylhmus mit der Sprache. 523

dene Zusammensetzung ändert ihren Charakter. Tausenderlei und Todmeteor haken sich im Dreiviertehakt { s J J J ), Furientanz und Völkergeschick nur im Sechsachteltakt- ( •'. J^ J J. )• Jene können zwar diesen, nicht aher diese jenen gleichen Schritt haken. Der Grund ist der verschiedene Rhythmus in den Bestandtheilen des zusammengesetzten Wortes, der den Worlfuss nicht ändert, wol aber sei- nen rhythmischen Gebrauch bestimmt, und dem Wort seinen Charakter mittheilt. Jagdgesang z. B. hat wegen der iambischen Struktur mehr Munterkeit, als derselbe ki-etische Wortfuss und, Wortrhythmus : J ä g e r 1 i e d. Aus demselbea Grunde ist T i r a n n e i ni o n u m e n t heftiger , als : von Ti rannen erbaut; heftig mit nach- druckvollem Ernst: Tiranneidenkmal.

Verbindung des absoluten Rhythmus mit der Sprache.

525.

Wie der Musiker Pihythmen und Melodien, durch Töne darstellt, so stellt der Dichter, ia so fern er zugleich Verskünstler ist, die Rhyth- men und ihre Zusammensetzungen duixh die Sprache dar.

Es erhellt aus dem Vorhergehenden, dass der Dichter hiei-bei beschränkter ist, als der

'ii^ A t,l y c m e i Ji e r 'T li e i L

Tonkünstler. Denn wenn dieser die Töne m Ansehung des Rhythmus noch völlig bestim- munglos findet, so trift der Dichter sein Ma- terial (die Sprache) schon dirchgängig von ei« nem fremden, rhythmischen Princip bestimmt, und zugleich prosodisch in absolute Längen und Kürzen gelheilt. Er ist daher genöthigt, die Worte für seine Gedanken so zu wälea und zu ordnen, dass ihr eigenlhümlicher Rhythm is dem Rhythmus, welchen er im Vers darstellen will, entspreche. Wie dies derX)ichter bewerkstel- lige, und wodurch die Sprache sich willig dem Gedanken und dem Rhythmus anschmiege, ist Sache der Kunst. Pfiemand glaube doch, dass Kenntniss der Sprache und Uibersicht der ganzen metrischen Wissenschaft, ihn ohne eigentliche Kunst, oder Poesie, in den Stand setzen werde, vollkommene Verse zu bilden; denn nur in den Augenblicken der Begeisterung ist auch die Kraft wirksam, die aus der Sprache schöne, freie, lebendige, rhythmische Gestalten bildet, und wer diese Kraft für eine mechanische Fer- tigkeit hält, irrt nicht weniger, als wer das Gedicht für ein Erzeugniss der Bemühung und des Verstandes ansieht.

Hier hat die Wissenschaft bloss zu untersu- chen, wie weit der allgemeine Rhythmus durch den vorherbestimmten Rhythmus der Sprache und ihre Prosodie darstellbar sei, und wie der

Verbindung des absoluten Rhythmus mit der Sprache. SaS

allgemeine Pihyllimus ( den wir hier den poe- tischen nennen können) den Rhythmus der Sprache und die Prosodie modificire.

526. Der bloss accentirte Yei's - Rhythmus beach- tet in der Sprache allein die Arsis und The- sis, ohne sich durch Quantität in seinem Gange auflialten zu lassen. Da accentirte Rhythmen gewÖnlicli bei Völkern entspringen , deren Spra- clie selbst kein, oder doch kein merklichei Quantitätverhältniss hat : so liegt in diesem Nichtachten der Quantität nichts befremdendes und keine Härte. Nur dann erscheint der Vers hart, wenn Arsis und Thesis des Wortrhyth- mus der Arsis und Thesis, welche der Vers verlangt , widersprechen,

527. Einsylhigc Worte zeigen sich in der Sprache Weder als Arsis, noch als Thesis; daher sind sie in accentirlcn Rhythmen von gleichgültiger metri- scher Beschaßenheit. Sie folgen bloss dem abso- luten Rhythmus, und nehmen jede metrische Be- stimmung an, die er verlangt. Durch Verwech- selung des Acccutes mit der Länge entstand aus diesem wahren Salze der ganz falsche : dass ein- sylbige ^Vorle von gleichgültiger Quantität seyeu , den Ramlcr nebst andern deutschen Verskünstkrn aufslcllle und befolgte. Indem

3iG Allgeinüiner Thejl.

man nun quantilirendc Verse bilden wollte, und In der Sprache nur Accentbestimmungen an- nalun, musslen nalüi'licli die Verse, welche zwar den accentirenden llhythmen analog, aber den- noch, quantitirend sind, z. B. Hexameter, durch prosodisclie Härten höchst ungelenk, oder im entgegengesetztcAi Fall bis zur Dünnheit schwäch- lich werden, z. B. an dem rieselnden Bach in dem Gemurmel der Wellen.

Diejenigen Verse aber, welchen, wegen des Wechsels der Momente verschiedener Ordnun- gen , die Analogie mit accentirten Rhythmen fremd Ist, mussten ganz unmöglich für die INachahmung scheinen, und überdies verkannte man selbst in den Originalen ihren Rhythmus, weil man die Quantität theils zu einseitig be- stimmte, theils überhaupt nur als iiccentvei*- scliiedenheit hörte.

328. Wo einzig der Accent den Vers und die Sprache rhythmisch und metrisch Bestimmt, da kommt allerdings auch dem logisclien Accent einiger Eintluss auf dtis Metrum zu. Er kann zv.'ar einer Sylbe nicht absolute Länge erthei- Icii ; allein von Länge Ist auch im accentirten Vers die Rede nicht. Indessen erlheilt er der Sylbe, auf welche er fallt, die Eigenschaft, sich, wenn sie auch an sich un])edeutcnd wäre, m

Verbindung des absoluten Rhythmus init der Sprache. 3^7

der Arsis des Verses zu halten. Allerdings fin- det man accenlirte Verse , in welchen der Rhyth- mus die Sprache gewaltsam mit sich fortreisst, so, dass bloss der absolute Rhythmus herrscht j und kaum in mehrsylbigen Worten die Arsis des Wortes mit der Arsis des Verses verbunden wird. Die extemporirten Gesänge kriegerischer Völker mögen auch wohl in alter Zeit dem Pihythnms des Gesanges diese Gewalt über die Sprache gestattet haben. Dass aber die Harmo- nie des Sprachaccentes mit dem absoluten in accentirten Versen dem Kontrast beider vorzu- ziehen sei, kann wol nur Lust an Paradoxie bezweifeln.

329.

Die Gewalt des logischen Accentes in accen- tirten Versen hat zur natürlichen Folge, dass zweisylbige Worte von untergeordneter Bedeu- tung, im Tripeltakt, ihre Arsis der Hauptarsis des logisch accentirten Wortes unterordnen , und daher mit beiden Sylben thetisch gleichsam als Accenlpyrrhichien erscheinen. Es ist also kein Fehler, was manche Kritiker, Accent und Quantität verwechselnd, tadeln, wenn zweisyl- bige Worte in accentirten Versen als dergleichen Accenlpyrrliichicn behandelt werden, z. B.

and in sad cyprcss let mo be laid.

1 am slajn by a fair cruel niaid. Sliakesp.

3a3 Allgemeiner TU eil.

Ihren Schleier hebt keines Sterbllclien Hand.

Schiller.

Dass es keine Accent - Tribrachen (als Worlfusse) geben könne, versteht sich von selbst, weil es keine andern Formen, als aa und daa, im accentirten Metrum gibt.

53o.

Je mehr eine Sprache Quanlitälverhältnisse in sich ausbildet, um so mehr nehmen selbst die accenlirenden Rhythmen in ihr neben der Accentbestimmung auch Quantitätbestimmungen an. So entsteht statt des geraden accentirten Metrum" der trochäische Vers , wo die Kürze die Stelle der Thesis vertritt, und statt des unge- raden, der daktylische Vers, in beiden Fällen also quantilireud genommen, eiu ungerades Me- trum , allein die Quantität ist hier nicht im Me- trum. , sondern in der Prosodie vorhanden. Denn wie die Musik, welche im Gebiet des Accentes herrscht , die quantilirenden Rhythmen des Ver- ses gern in accentirte transponirt, so übersetzt die prosodisch gebildete Sprache, die im Ge- biet der Quantität mächtiger ist, die accentirten Rhythmen der Musik gern in quantilirende. Der Beweis zeigt sich auffallend in Gesängen , welche in accentirten Rhythmen , selbst bei tro- chäischem Sylbcnmaas des Verses, doch den geraden Takt halten, (178.) z.B. Choräle. Dass

Verbindung des absoluten Rhythmus mit der Sprache. 829

accentirende Verse neben quantitirenden auch in prosodisch gebildeten Sprachen fortdauern können, zeigt die Geschichte der lateinischen Sprache. Der Saturnische Vers erhielt sich iin Saliarischen Gedicht noch zu Cicero's Zeit und die Antworten der Wahrsager, z. B.

Ludos minus diligenter factos pollutosque,

zeigen , dass man ihn zu feierlichen Gebräuchen noch lange beibehielt. Wahrscheinlich würde man auch unter den griechischen Versen accen- tirte antreffen, wenn man sie aufzufinden wüsste. Vielleicht wenn eine Vermuthung hier er- laubt ist erklären sich manche Formen quan- litirender Verse nur aus einem Zurücktreten des Rhythmus in die Alterthümlichkeit der Ac- centbestimmung, wie manche der neuern Musik ungewönlich harmonische Fortschreitung an den Ernst des Alterthums erinnert, indem sie in der verschollenen Form einen Laut der einfa- chem Vorzeit hören lässt. Besonders charak- teristisch in dieser Art scheint die Verlänaunsr der Kürze vor der schliesscnden Arsis zu seyu. Z. B.

«^ «»«w>~«'

Mit 'weithallendem Maditautruf, oder:

BlutTolIe ^\ ahnsiuntthat :

53o Allgemeiner Theil.

denn die Korrektlieit d^. «ruantitirenden Rhyth- mus verlangt hei der trochäischen Bewegung an dieser Stelle eine reine Kürze, wie etwa die moderne musikalische Skala von der Septime zur Oktave einen halben Ton verlangt. Die Abweichung von der Regel gibt hier, wie dort, den Charakter des Ernstes, und man kann die abweichende rhythmische Stellung so wenig im Allgemeinen regellos nennen, als den Schritt in die Oktave des Haupltons durch einen gan- zen Ton.

33i.

Quantitirende Rhythmen, die den accentir- ten analog sind, lassen sich, wie schon einige- mal erwähnt ist, in acceutirenden Sprachen ge- wissermaassen mittelst des Accentes nachbilden, indem der Accent die Stelle der Länge vertritt', und durch die accentlose Sylbe eine Kürze re- präsentii't wird. Diese Art der Versbildung war unter den deutschen Dichtern üblich von der Zeit, woKlopstock griechische Versgattungen und ihnen ähnliche Versmaasse einführte, bis aut Voss, der zuerst auf Quantität in der deutschen Sprache aufmerksam machte , und accentlose Längen anerkannte und selbst als Längen im Vers brauchte. Je mehr die Sprache ihre Quautilätbestimmung ausbildet und festsetzt, um so molir schwindet auch das Analoge sol-

Verbind;i3-g des absoIiUcn Rliythmus mit du- Sprache. 55 1

eher tjuantitirenden Rhytlimen mit den accenti- renden, und sie \verden als völlig quantitirend in der prosodischen ausgebildeten Sprache wie- der gegeben.

032. Je mehr das Quantitätverhältniss in einer Sprache ausgebildet wird, um so mehr ver- schwinden in ihren Wörtern die Bestimmungen durch den Accent. Das Kriterium der hohem Ausbildung für Quantität ist. wie wir gesehen haben, die leichtere Empfänglichkeit für Posi- tion. Je weniger Konsonanten nöthig sind, um durch ihr Zasammentreffeu Länge zu bewirken, um so höher ist die Empfänglichkeit einer Sprache überhaupt für Längen- und Kürzen- bestimmung, sowol durch Position, als Vokal- quantität, und um so veränderlicher sind des- wegen besonders die' Endsylbcn, die bald durch Zusammentreffen der Konsonanten lang, bald durch Nebeneinandcrstellung der Vokale kurz werden. So entstehen oft Längen auf Svlben, welche in Ansehung des Wortacccnles ganz un- bedeutend sind. Dieser wird also dadurch ver- dunkelt, und zwar um so mehr, je mehr die (luantitätverhältniise in dem Worte sich aus- zeichnen.

535. Denkt man sicli dieses Steigern der Quanti- tätverhäilnissc auf dm lH)r1i;st<:u T'unkt gctrie-

532 Allgemein er Tlieil.

ben , so war der Acceiit im Wort ganz aufge-» hoben, es fand kein Wortrhythmus mehr Statt, und die Worte wären in unzusammenhängcnde Sylben zerlegt , die der absolute Rhythmus bloss als Längen und Kürzen zusammenstellte, ohne sich durch das ihm fremde Princip des Wort- accentes und Wortrhyihmus gehindert zu fin- den. Dieses reine Extrem findet sich nun zwar in keiner der bekannten Sprachen (es würde auch die Sprache dem unmetrischen Gebrauch ganz entziehn) ; allein , je näher eine Sprache ihm steht , um so freier herrscht der absolute Rhythmus im Vers über den Wortrhythmus. Daher finden wir in der griechischen und la- teinischen Sprache Sylben, die bloss zufällig durch Position lang sind, als Längen in der Hebung des Verses, während oft eine accenlirte Sylbe, wegen ihrer Stellung vor einen Vokal, als unbedeutende Kürze in die Senkung des Taktes zu stehn kommt. Von den sehr musi- kalisch gebildeten neuern Sprachen, z. B. von der italischen, kann man auf eine ähnliche Art sagen, dass sie den Wortaccent in der Poesie aufheben, um den accenlirten Rhythmus freie Gewalt über die Sprache zur Bildung des Ver- ses zu lassen; daher denn der sclion früher be- merkte Widerstreit des prosaischen Wortaccen- les mit der Accentirung des Verses entsteht. Welches die Grenzen dieser Freiheit des acccn-

VerbJnfliing des absoluten Rhythmus mit der vSprache. 533

lirten E.hylliinus über die Sprache in den Ge- dichten der italischen Dichter seyen, ist eine für diesen Platz zu weitläuflige Untersuchung.

354. Die deutsche Sprache steht durch ihr Posi- tionverhältniss (3o8.) in der Mitte zwischen quantitirenden und accentirenden Sprachen. So lan^e sie nicht zu einem andern Positionver- hältniss, durch Vermehrung oder Verminde- rung ihrer Konsonantenmasse, gelangt, ist da- durch auch das Verl) ältniss des absoluten Rhyth- mus im Vers zu dem Rhythmus in ihren Wor- ten bestimmt.

Es entsteht nämlich dadurch die Forderung : dass in mehrsylbigen Worten keine von Natur kurze, und nur durch Position lange Sylbe als Länge in der Hebung des Verses stehn könne.

Dieser Satz ist nicht aus den besondern Ei- genheiten der deutschen Sprache ahstvahirt, «ondern er gilt nothwendig von jeder Sprache, welche in der Mitte der accentirenden und quantitirenden Sprachen steht, und deswegen unter mehren Sprachen auch von der deutschen, welche diesen Platz durch das Verhältniss ihrer Konsonanten zu den Vokalen behauptet.

Schon aus diesem Grunde war also der Klopslockische Spollvcr*;

55 ik A 1 1 g e m e i n e r T li e 1 1.

Tönender sangen verborgene Nachtigallen,

und der des Heidelberger Kritikers:

Bothe, dein antikes Sylbenmaas, das du so empfiehlst, Prüfe mit echt deutschem Geiste doch und kritischem^

gegen die Position in der deutschen Sprache, unpassend. Er -würde auch eben so unpassend seyn, wenn die Position aus drei Konsonanten gebildet war, z. B. :

Floh za § e' n d zum Gebirg , such e n d dort sichere

Freistatt,

Denn die bezeichneten Sylben sind nur durch Stellung lang, und halten sich daher nicht als Längen in der Hebung des Verses. Wollte man den lateinischen \ers:

ill' inter sese magna vi brachia tollunt

Im Deutschen nachbilden , so könnte dieses nicht durch Positionlängen geschehn , z. B. :

Zeus schleudert zürneud tausend roth flammend©

Blitze ;

dagegen halten sich ursprüngliche Längen, ob- schon in der Senkung des Wortes, sehr gut in des Verses Hebung:

Der müh s a m Zuk u n f't aus späht, voll sorglicher

Bangniss.

So gibt auch umgekehrt die Fähigkeit einer Sylbe, sich als Länge in der Hebung des Verses zu halten, ein Merkmal ihrer ursprüngHcheu Länge iu der deutschen Sprache. Die End-

Verbindung des absoluten Ilhyllimus mit der Sprache. 555

sylben der Wörter: Freiheit, Drangsal, Reicht h um, Demut h, Ambos, Ankunft, Altan, Antlitz, Hoffnung, Frühling, Niemand, niemals, langsam, mannhaft, dreimal, mutvoll, singbar, arglos, vielfach und ähnliche, welche sich in des Verses Hebung als Längen halten, sollten nie- mals kurz gebraucht werden. Die Endsylbe e n d ist bloss in dem Wort Elend von absoluter Länge,

335.

Dieses sind im Allgemeinen die Grundsätze, auf welchen das Erscheinen des absoluten Rhyth- mus im Verse beruht. Der Beurlheiler eines Verses muss erwägen , ob er einen accentirenden, oder quantitirenden Rhythmus vor sich habe, und ob der Vers in einer accentirenden oder quantitirenden Spi'ache geschrieben sei. Ohne diese Rücksicht wird er , wie von mehren Theo- retikern geschehn ist, an die eine Gattung Verse Forderungen machen, die nur die andere be- friedigen kann; er wird mit dem Gefül in ste- tem Widerspruch sich befinden, und bei Ver- ständigen seiner Ansicht, bei Voreiligen der Kritik überhaupt den Vorwurf der Pedanterei veranlassen.

356 Allgemeiner Theil.

Von der Gäsur.

536.

Was von den Formen der Rhythmen im Allgemeinen gesagt worden ist, und von ihrer bald lyrischen, bald deklamatorischen Verbin- dung, haben wir nun auf den Vers selbst an- zuwenden.

Um die Ansicht zu erleichtern, betrachten wir den Vers als eine (einfache, oder verbun- dene) metrische Reihe, auf welche der R.hyth- mus seine verschiedenen Figuren zeichnet. Fal- len die rhythmischen Figuren so, dass sie die metrischen Formen jener Reihe gleichsam dek- ken , so erkennen wir die vereinte Wirkung des metrischen und rhythmischen Princips , und nen- nen diese Verbindung, wie oben erwähnt ist, die lyrische, z. B. :

%^

w I _Ww<— I •«»».* l

Horch, Nachtigallengesaiig schallt ferne vom Buchhain. Decken sich hingegen die metrischen Formen nicht gegenseitig, z. B. in folgendem trochäi- schen Tetrameter :

Schöner blickt durch grüne Laubgewinde her des Monde*

Licht,

SO erkennen wir die verschiedene Wirksamkeit

lieider Principien, und nennen die Verbindung

deklamatorisch.

Von der Cäsur. 55j

537. Die Gränze der rliytlimlschen Figur auf der metrischen Reihe, gleichsam ihr UnuMss, der sie von dem übrigen Theil der metrischen Pveihe. abschneidet, (also der Punkt, wo die rhythmi- sche Reihe auf der fortgehenden metrischen en- diget,) heisst die Cäsur. Fällt diese Cäsar auf das Ende einer metrischen Periode, so begränzt sie einen Rhythmus, dessen Foi-m die metrische Form deckt, in welchem also Metrum und Rhythmus wesentlich, vollkommen, oder lyrisch verbunden sind. Wir werden deswegen diese Cäsur die lyrische nennen, oder auch den Abschnitt des Verses. Fällt die Cäsur hingegen in die Mitte einer metrischen Pieihe, W'O also rhythmische und metrische Form nicht gleichen Schritt halten, so nennen wir sie die deklamatorische Cäsur, oder den Eiu«- schnitt des Verses.

338. Die metri*;che Form ist vollendet, wenn die Hauptthcsis der metrischen Periode getönt hat, denn z. B. j J J. ist eben so volle metrische Form , als j / J J^ Es ist also lyrische Cä- sur vorhanden, wenn der Rhythmus auf der Arsis des letzten Hauplmomenlt s schliesst . eben so wol, als wenn auch die Thesis dieses Momen- tes nachlönte. Der trochäische Tetra meter z. B.

23

33.^ A 1 1 g « m c i II e 1- T hulL

j j^j /u jN. in .'^J .M J ^N

Durch die Einsamkeit des Hains tönte dumpf der

Klaggesang.

hat eben sowol lyrische Casur , ( nur in einer

andern Form) , als der gewönliche :

Armes Herz von namenloser Kümmernis» gepeiniget,

Voss.

Auch wird die lyrische Cäsur nicht aufgehoben, wenn die Thesis nach der Cäsiir wirklich er- scheint, aber als Auftakt des folgenden Rhyth- mus, z. L.:

i \ S. 0. 0^ » \ d » » ^ \ t>. t. 0^ 0 \ 0. 0

und voll stralet des Mondes Licht auf schönsinkenden

Nachtthau.

Denn der Kretikus ist eben so gut volle metri- sche Form, als der Ditrochäus. Die Thesis ist ideell, während eine zweite Stimme gleichsam mit dem zweiten Pvhythmus des Verses einsetzt.

559.

Man kann mithin die lyrischen Cäsuren wiederum eiutheilen in unbewegliche und bewegliche. Durch die bewegliche Ciisur entsteht eine Mittelklasse zwischen lyrischen und deklamatorischen Versen. Ein Vers mit beweg- licher lyrischer Cäsur ist z.B. der sotadi-

Von der C a s u r. 33g

sehe Vers, (so heisst nämlich der fiürhlig io- nische Vei'S im jNieflertakt von vier Perioden) :

«. ». g^ a \ 0 s 0 » \ \ «. t. 9^ ä } 9. ä. ii xai ßaaikevg ■JTiq)Vi(ug, ojg '&.'7]Tog uxovgop

Hell glänzen die Meereswellen, fi-oh tan.^.end im

IMondiicht

cot TOVTO ysi'ic&o} rpilo%> , /LUid'uf-iojg utay.r(iv Thetis -winkt zu blaawogendera Weilenbad die Jungfrau

tJff nfvr,g '&£)mv i'/eiv , xai nlovaiog nkfov ff^^iv

Auf gowundner Muschel blässt ein kunsterfahrner

Triton

zuweilen schweift er auch wol in die Gattnnff deklamatorischer Verse über, was jedoch bei seiner lebhaft markirten Bewegung durch den Vortrag des Sängers gemildert werden kann :

.^}}j. I A j j" ! j }^ j" ij.j

itcct TO xukov ?,uiG>]top n(Joßhj,uu '^^(orog

Tönt' in dem Heer Schlachtliedgesang zu tapferm

Angriff.

Der priapische Vers hingegen hat unbeweg- liche lyrische Cäsur:

Lieder tönen , es rauscht des Bergs rehenbekränzete

Waldung

hunc lucum tibi dedico, consccro({ue Priapc. Catull.

54e Allgemeiner Theii.

und ist gleiclisam ein zur Ruhe gekommncr so- tadischer Vtrs, der sich bloss durch die unbe- ^vegliche Casur unterscheidet.

Unter Verse von feststehenden Cäsuren soll- ten allerdings nicht andre derselben Gattung gemisclit werden, welche eine veränderte Cäsur haben, so würde unter trochäischtn Tetrame- tei'n mit dem gewönlicheu Abschnitt:

Keine Macht vermag 'des Schicksals ernstem Schlu«s

zu widersteha,

folgender, mit veränderter Cäsur:

Darum strebe nie der Mensch, bethört -^on üfaer-

müth gern Wahn ,

nicht wohl lauten, wiewol er an sich selbst nicht tadeis werth seyn möchte. Weniger stö- rend ist es, wenn die lyrische Cäsur in die Zusammensetzung eines Wortes fällt:

Aus dem Abgrnnd tönt geheimnissvoUes Schicksals-

wort empor,

und es ist bekannt, dass selbst Brechungen der Verse in der Zusammensetzung des Wortes Statt finden; nur breche man die Worte, wo es nicht auf komischen Eliekt abgesehn ist, nicht so, dass die schliessende Hälfte für sich einen scheinbai'en, dem beabsichtigten fremden Sinn gibt, was schon in der Wortstellung, auch ohne Brechung, feierhaft ist.

Von der Cäsur. 54i

54o. Im deklamatorischen Vers findet keine be- stimmte Cäsur Statt; sie wechselt durch alle Stellen des Verses. Beispiele geben der epi- sche Hexameter:

Glücklichen mehre das Glück, j und dem TJnglückselgeu

die Hoffnung. Ringsher schallte das Feiergeläut , j und es schimmerte ' Sternglanz.

der iambische Trimeter, von welchem früher Beispiele angeführt sind, und mehre Versarten, die bald lyrisch , bald dramatisch gebildet werden.

54i.

Indem wir behaupten, dass der Rhythmus sieh bald in lyrischen Versen, mit der metri- schen Reihe parallel und in gleichen Formen cvolvire, bald in dramatischen, oder deklama- torischen Versen sich von ihr unabhängig, in ganz verschiedenen Formen, entwickele, so schrei- ben wir dadurch dem Rhythmus gleichsam eine freie Thliligkeit zu. Es fragt sich nun, wie diese freie Thätigkeit des Rhythmus entstehe? Wir nennen sie aber frei, in Beziehung auf die metrische Reilie, in der sie zwar erscheint, abei? unabhängig von ihrer Evolution; denn sonst Viitr sie an die Formen dieser Reihe gebunden.

In dem absoluten Rhythmus unterscheiden wir zwar das rhythmische und metrische Prin-

342 A 11 geni einer T h e i 1.

cip (269.) und sehen aucli in der Theorie schon die iMöj^iichkeit , dass eine metrische Evolution durch ein ihr fremdes rhythmisches Princip be- stimmt werden könne; allein wir sehen noch keinen Grund, dass diese Richtung eines rhyth- mischen Princips auf eine ihm fremde meiin- sche fleihe wirklich werde.

Soll ein solcher Grund der Wirklichkeit eintreten, so kann er natürlich nicht in dem absoluten Rliythmus liegen; deun dieser evol- virt sich metrisch und rhythmisch gleichmassig , sondern er rauss in dem Material liegen, durch w^elches der absolute Rhythmus zur Erscheinung konmt. In dieser Hiiisicht ist das erwähnte fremde rhythmische Princip n o t h w e n d i g , so wie es in Hinsicht auf die von ihm zu bestim- mende Reihe , f r e i genannt worden ist.

Liegt in dem Material, welches dem Rhyth- mus zur Erscheinung dient, kein Gesetz, nach welchem es , seiner Natur nach , selbst eine Suc- cession hervorbringt , so kann der absolute Rhythmus von ihm nicht beschränkt werden. Daher denn auch blosse Schailmomente (z. B. im l'rommelschlag) sich dem absoluten Rhyth- mus ohne Widei'stand fügen, und deswegen bloss Rliythmen darstellen, die sich gleichmas- sig und parallel mit dem Metrum entwickeln.

Ijiegt aber in jenem Material selbst schon ein Gesetz rhythmischer Evolution , so tritt die-

Vou dar Cä«ur. 345

ses mit dem absoluten Rhythmus, dem es zur Erscheinung dienen soll, in Wechselwirkung.

In den Tönen zeigt sich die Harmonie als ein solches Gesetz rhythmischer Evolution. Mau denke nur an die Auflösung der Dissonanz, die in einer Succession geschieht, wo also die Har- monie Grund einer melodischen Fortschreitung wird. Hier kann es gescJiehn , dass sich im Fortschritt der Harmonie eine andre rhythmi- sche Figur evolvirt , als der darzustellende ab- solute Rhythmus verlangt. So kann z. B. , wie man es oft in Sinfoniemenuetsiilzen findet, in die Grundbewegung des Dreivierteltaktes durch die der harmonischen Fortschreiiung eigne Be- wegung ein Rhythmus im Zweivierteltakt ent- stehn.

342.

In der Sprache ist der "Wortrhythmus und der Rhythmus logischer Satze der Grund einer fremden rhythmischen Bewegung, oder das fremde Princip, welches in die metrische Evo- lutio/i des absoluten darzustellenden Rhythmus seine Figuren zeichnet. Er ist mit einem Wort der Grund der Verscäsur. Der Rliytlimus des logischen Satzes bildet die rhythmischen Haupt- figuren im Vers, der Wortrhytlmnis die be- weglichen Glieder in jeder Hauptfigur. In dem llcxamrter z. B. ;

544 All gern einer Tlitil.

Weit umtönt von dem Feiergeläut , sank dämmernder

Abend

ist mit dem Wort Feiergcläut der erste Bhyth-

mus Ijescliiossen , oder : die rhythmische llaiipt-

cäsur fiUl nach Fciergeläut. Ausserdem bilden

die Wortrhythmen:

Welt umtÖiit j von dem Feiergeläut

die kleinern Glieder des grössern rhythmischen Salzes, den Avir also aus einem Moloss und ei- nem DoppelanapUst zusammengesetzt finden.

Man .sieht hieraus vorläufig, wie die Unge- wissheit und der Streit mancher neuen Metri- ker, z. B. Hermann's, Seidler's, Böckh's und anderer, ob eine Sylbe Schlusslhesis des ersten, oder Anfanganakrusis (Auftakt) des zweiten Rhythmus in einem Verse sei, bloss aus der Vermengung metrischer und rhythmischer Eei- hen, und aus dem vmsichern Begriff von PJiyth- mus und von Ctisur entstehen konnte. Z.B. im Versschema :

könnte die mit o bezeichnete Stelle diese dop- pelte Beziehung zulassen, und man könnte den Vers theilen, entweder:

oder so:

Die metrischen Zeichen vcrmelircn noch die

Von der Cäsur. -3^5

Verwirrung: denn .sie können bedeuten, ent- weder :

»• m^ e «. 0^ e e \ &. »^ e d. sr » 0.

o

oder auch :

•. «^ « «. «^ « 1 g. ä. \ ». ä^ a 0, gr t I «. ^ / Zu ■welcliem Verstheile nun, in jeder dieser verschiedenen Messungen, die angezeigte Svlbe gehöi'e, zeigt die Ciisur des Verses, oder der Melodie, ganz unzweideutig. Heisst der Vers z. B.:

Uippiger grünte die Waldung, frölicher b'ühte die Flur,

SO ist kein Zweifel, dass jene Sylbe Schluss- ihesis sei. In folgendem Vers hingegen: Glockengeläulraelodie durclihallte den Feiergesang,

ist sie offenbar Auftakt. Diese Verschieden' heit ist bloss rhythmisch. In der metrischen Reihe ist jene Sylbe in allen Fällen Thesis, welche vom Rhythmus erst die Bestimmung als schliessend oder anfangend bekommt. Denn der Auftakt, Avie oft gesagt, ist eine Thesis, deren Arsis nicht reell, sondern ideell vorhan- den ist.

343. Aus diesem Begriff der Cäsur folgt, dass mit jeder Cäsur ein logischer Satz und ein Wort- rhythmus endet. Alan kann diesen Satz nur dann als Regel ausdrücken, wenn von einer

540 A 1 1 g e m 0 1 n e r T h r i 1.

bestimmten uiivcränderliclien Cäsur im absolu- ten Khydimus die Rede ist, wo man vei'iangt, dass der Rhythmus der Worte luid (]cs Satzes mit dem absohiten Rhythmus gleichen Schritt haken solle. Dieses ist der Fall bei der lyri- schen Cäsar.

Die Eigenschaft des lyrischen Rhythmus, dass seine rhytlimische Form sich mit der me- trischen gleichmässig entwickele, erscheint also für die lyrische Cäsur als Regel , deren Uiber- schreitung den lyrischen Charakter des Verses schwächt, oder ganz zerstört.

544. In Hinsicht des dramatischen Verses kann man obigen Satz nicht als Regel ausdrücken: das Ende eines Satzes, oder eines Woi'tcs, müsse dahin fallen, wo im Vers eine Cäsur ist; denn überall, wo das Ende eines solchen Sprachrhyt^mus hinfällt, enlsteht eben dadurch eine Cäsur. Hier gilt jener Salz nur verneinend ausgedrückt: V^o im dramatischen Vers die Cä'sur nicht hinfallen darf, (nämlich an eine Stelle, die ihm lyrischen Charakter geben wiu'- de}, da darf auch der logische Satz sich nicht endigen, ja nicht einmal ein vinbezwcifeller Worlrljylhnius. Nicht zu empfehlen ist daher :

Als nun Alle berathcteii, {loh /.n dem Walde der Jüngling, wegen der Hauptcäsur, und;

Von der Cäsur. 54y

Aber die schneeweissscliimidisrnden lenkte der Fürst

Ei-ymanüieus ,

wegen des Wortrhythmus.

Wenn nun gleich der dramatische Vers nicht die symmetriiC^ie Eiulheilung des lyrischen ver- trägt, so erfordern doch seine Glieder eine schickliche Gruppirung-, wie vom Gemälde nicht architektonische Symmetrie gefordert wird, v>ol aher geschickte Anordnung der Figuren. Fehler- haft ist in dieser Rücksicht die iSebencinauder- stellung von Rhyllmienkolossen und Zwergen , was dem sonst so glücklichen und sorgsamen Versbildner, Baggesen, zuweilen begegnet, eben so fehlerhaft das Verschwimmen der Rhythmen in einander ohne bestimmte Contoare , und von der andern Seite die harten Umrisse, welche die Rhythmen durch Darstellung in bloss logi- schen kurzen Sätzen erhalten; doch kann seihst das, was im Allgemeinen fehlerhaft war, durch den Gebrauch fiir Darstellung vorzüglich wer- den. Solche darstellende \erse sind z. B. der Vossischc i

Bald, wie gedrängt Ber^llut in Geklüft weint, weinte

der Tonfall,

und der von Baggesen :

Und noch lang, als schwieg der Gesang, sang ferne

dT Nachklang.

Der V<:rs]nldner geht am sichersten, W!':in er bei dem lyrischen \cys imnuv den Charakter

343 Allgemeiner T h o i 1.

des Musikalischen , bei dem deklamatorischen Vers den des Pittoresken iu Anordnung und Darstellung feslzahaiten sucht.

545. Wie viel Leben die Wortrhythmen dem de- klamatorisclieu Vers, und eben so den dekla- matorischen Gliedern lyrischer Verse ( 279. ) geben, lässt sich schon aus diesem Wenigen vermuthen. Worlrhythmen kann man, um sich die Sache noch deutlicher zu machen, mit den musikalischen Noteufiguren vergleichen, die in denselben Hauch, oder in denselben Bogen- strich verbunden werden , nur dass jene für den \'ers, der die grosse Mannichfaltigkeit musika- lischer Abwechselung nicht hat, noch btdeu- teuder werden.

Der Ver5]>ildner hat sich hierbei besonders vor Einförmigkeit zu hüten. Die am ei'Sten sich darbietende Vorsichtregel ist ohne Zweifel diese, dass er die Wortrhythmen nicht mit den metrischen Füssen gleichen Scluütt halten las- se. Sehr matt würde klingen: Morgen j Öth-- j goldne j Frühe I unsr*- 1 Lieder j schallen j dir«

Diese malte Bewegung wird sogleich gehoben durch veränderte Wortfusse:

Morgenroth , ■wilik.omraucr Lichtstral , Lobgesang er- schalle dir !

Auch in Füssen, die nicht mit dem Metrum

Von der Cäsur. 349

gleichen Schritt halten, ist Einförmigkeit zu vermeiden. Unleidlich klingt:

. . . wo rings um Schroffe Gestade des Meeres , die Wogen gewaltig

erbrausten ,

weil fünf Amfibrachen unmittelbar auf einander folgen. Verbessert wird der Vers durch wech- selnde und kraftvollere Worlfiisse. Z. B.:

Schroffe Gestadfelshöhn unermüdlicher Wogentumult

braust.

Schon im elegischen Pentameter ist die Stel- lung der Wortfüsse:

. I ^ I w_ II ->^ I »w-w 1 ^_

Tönen im grünen Gebüsch Lieder zur Feier der Braut,

nicht zu loben, weil der Amfibrach jedem Theile seinen Chai-akter und dem Ganzen dadurch Ein- förmigkeit gewährt. Vorzuziehn ist:

Frühlingslaubeu enthallt bräutlicher Feiergesang.

346. Nicht bloss Einförmigkeit ist zu vermeiden; auch vor schwachen und tändelnden Wortfüs- sen mu.ss der Versbildner sich hüten, besonders dann, wo es kraftvolle Darstellung gilt. Zu solchen schwächlichen Wortfiissen gehört vor andern der Amlibrachys, der zwar iarabische und li'ochäische Bewegung vereinigt, aber, weil seine Länge beiden Bewegungen zur Stütze die- nen soll, beide Charaktere nur verwischt. Er

35o A 1 1 g e tn ü i n e r Th c- i 1.

gibt der rliythmi sehen Figur etwas Nehulislisches, ■was sie entstellt , wo *e5 um charaklerisiisehe Gestall zu thun ist. Selbst grössern Worlfüsseu iheilt er diese Eigenschaft mit. Man vergleiche folgende Wortrhythmen , die sämmtlieh elegisch« Schlussvershäiften* Lüden:

Meerestorallciigezweig

Allerbeseli'gerin ,

Slatuenjugendlichkelt ,

Fejerlichkeitmelüdie ,

Fcisengestadlabirint ,

Volkstiraniieiiiioriument. Der erste ist, wegen des in ihm enthaltenen Ani^braehys , der schwächste ; der letzte , wegen des Doppelanapästen, der heftigste. So hängt von der Zusammenfügung der Elemente der Charakter der ganzen Figur ab.

347. Auch die Stellung der Wortrhythmen im Vers ist nicht zu vernachlässigen, und es ist darüber schon früher im Vorbeigehen gespro- chen worden. Im dt klamatorischen Vers steht ein, der metrischen Versform gleicher, Wort- fuss nicht wol auf dieser metrischen Form , eben so wenig in deklamatorischen Vershälften lyi'i- scher \'ei'se. Nicht gut ist deswegen:

Schattenreiche, grauenvolle, grabesdimkle Mitternacht. in cpxantilircnden \ersen wird die Bewegung, sehr gehoben, wenn der Wortaccent mit der

Von der Cäsur, 55i

Arsis des Verses konlrastirt. Denn indem die Arsis des Verses .der Tliesis des Wortes, und vimgekclirt , die Arsis des Wortes der Thesis des Verses Kraft mitlheill, gewinnen beide an Ener- gie, und der Vers bekommt dadurch einen fe- stoi-n, kraftvollem Gang. Der Vers von Voss:

Düsterer zog Sturmnacht , graunvoll rinps wogte das

Meer auf,

im Gegensatz der natürlichen Stellang:

Düstere Sturmnacht zog, und graunvoll wogte das

Meer auf,

ist hinlänglich bekannt.

348. Energie gewinnt auch der Vers und Würde durch grosse mehrsylbige Wortfüsse. Es müs- sen dieses nicht eben aufgeschwollene zeilenge- streckte Wortkolosse seyn, indessen wird auch niemand behaupten, dass ein in viel Sylben zersplitterter Vers , z. B. :

Golden erglänzet das Schloss umringt mit Säulen tou

Marmor ,

so voll töne, als wenn er in grössern Wort- rhythmen sich bewegt , z. B. :

Goldenen Fürstenpallasts scliöuprangendc Marmorum-

säulung.

Unter einander gewoi'fene grosse und kleine Wortfüsse ohne schickliche Grtippirung machen indessen auch einen UibeLstand, und daber ist

3j2 A 1 1 g e m e i n e r T li e 1 1.

der Pentamelerausgang in einen einzigen Wort- luss nicht leielit passend, wenn nicht die erste Hälfte aiieh volltönend auftrat, z. B. :

Neige den Oelbaumzweig, Friedeverkündigerin.

Ganz zu vermeiden, Avo es nicLt Parodie gilt, sind Wortkolosse, die den Begriff der einzelnen Worte darin nicht verstärken, z. B. :

Hochzeitvermälungsfestlichkeitaufzug der Braut,

füllt beinall den ganzen, übrigens regelrechten, Trimeter, sagt aber nicht mehr, als das kurze: Brautzug. Dieses sind schwülstige Wortblasen, die, ausser der Parodie, den Vers entstellen. Etwas anderes sind Zusammensetzungen, die durch Zusammeudrängung zweier Begriffe den Sinn beider Worte im zusammengesetzten ver- stärken. So sagt fr oh aufrauschende Meer- flut mehr, als das getrennte: froh aufrau- schende Meerflut, schon dadurch, dass es das Bauschen und die Flut mehr und zu stärkerer L<jitlenschaft personißcirt.

549. Uibrlgens sieht man, dass Wortrhythmen nur in deklamatorischer Verbindung mit einan- der stehn, und nicht einer den andern als seine Thesis erzeugt. Ganz willkürlich und un- haltbar ist daher Hermann's Behauptung: man dürfe mit vielsylbigen Worten den Hexameter

Von der C ä s u r. 353

und Pentameter niclit schliessen: weil sonst Jle letzte Reihe im Vers grösser, als die vorherge- hende würde. Sie beweiset nichts, als dass Hermann zwischen metrischen und rhythmischen Reihen nicht zu unterscheiden vei-stand. Die Griechen hatten und liebten sogar Verse, in welchen die Wortfüsse in arithmetischer Pro- gression wachsen , wie z. B. im homerischen :

Spes Deus aeternae stalionis conciliator, '

Steigt aufwärts ausbreitend ergrünende Blätterum-

kränzung.

Man nannte diese Verse Keulenverse (rho- palicos) weil sie, gleich einer Keule, (^onaXov) nach oben zu anschwellen. Möge dieses Spiele- rei seyn, so zeigt doch das homerische Beispiel, dass, wo der \ers nicht aus müssiger Künstelei iu diese Kolbenfox'm gezwungen wird, gegen die Fortschreitung in wachsenden Wortfüssen nichts einzuwenden sey.

35o. Das Ende einer metrischen Reihe, als sol- cher, macht keine Cäsur. Nur dann findet an einer solchen Stelle Cäsur Statt, wenn das Ende der metrischen Reihe zugleich Ende einer rhyth- mischen Reihe ist, z. B. :

«rf %^ I ^>.i<_i.rf

Mädchenrosc , Liebesblume. Tiek.

Die metrische Reihe braucht daher nicht mit

25

5j-i Allgemeiner llieii.

dem Ende eines Wortes zu schliessen, ausser wenn sie zugleich Ende einer rliylhmischen Pieihe ist. Dieser Salz liegt zwar ganz in dem vorigen; es ist aber vielleicht nöthig, ihn noch besonders hier aufzustellen, weil die Theorien, vorzüglich die Hermannische, metrische und rhythmische Reihen nicht unterscheiden. Des- wegen findet man auf metrische Reihen man- ches angewendet, was nur von rhythmischen Reihen gilt, und umgekehrt. Hauptsächlich ist dieses dar Fall hei der Lehre von der unbe- stimmten. Sylbe, oder vom Älaas der letzten Sylbe in metrischen und rhythmischen Reihen, welche durch Hermann durchaus verfehlt und verwirrt worden ist.

Von der unbestimmten Sylbe, 55i. Unter „unbestimmter Sylbe" versteht man in diesem Sinne nicht die prosodische Mittelzeit einer Sylbe, nach welcher sie im Vers bald lang, bald kurz gebraucht werden kann, z. B. die Sylbe vor einem stummen und fliessenden Consonanten. Denn es ist hier nicht von pro- sodischer, sondern von metrischer Unbestimmt- heit die Rede. In Versen nämlich kommen me- trische Stellen vor, welche eben sowol eine ent- schieden kurze, als entschieden lange Sylbe zu- lassen. Der alcäischc Vers z. B. kann eben so-»

Von der unbestimmten Sylbe, 555

wol mit einer kurzen, als einer langen Sylbe anfangen :

Es drängt zum Aufruhr , Bald drängt zum Aulruhr,

und eins ist so richtig, als das andere; eLen so kann der Tetraraeter in der Mitte mit eiutr kurzen oder langen Sylbe scliliessen: Wenn im Frühlingtanz die Mädchen, Wenn im Frühlingtanz die Jungfraun ; er kann seine erste Periode sogar in fortgehen- dem Rhythmus mit einer kurzen, oder langen Sylbe beschliessen:

Wenn des Glockenthurms Geläute, Wenn vom Dorfkirchthurm Geläut hallt,

und beides ist richtig, wiewol das Metrum eine kurze Sylbe ursprünglich verlangt. Die Iheo- relikcr, z. B. Iloratiiis in seiner Poetik, ver- langen sogar die Länge in solchen Stelleu als eine Schönheit des Verses.

352.

Dergleichen Stellen im Verse, welche sowol lange, als kurze Sylben zulassen, nennt man unbestimmte Stellen. Mit Unrecht! Denn solche Stellen sind, wie wir sehn werden, we- nige Fälle ausgenommen , metrisch eben so voll- kommen bestimmt, als andre.

Die Metriker behaupten, tliese Unbestimmt- heit komme der letzten Sylbe jeder Reihe zu.

•"3 ijli A Hg ein ei Ji er Tliml. Vo<i> dem Maas

well mau in ihr, als letzter Sylbe, das Maas niclit Letiierke. Um die Sache genau in das Auge zu fassen, müssen wir also vor Allem von dem Maas der letzten Sylbe in rhythmischen und metrischen Reihen sprechen.

Von dem Maas der letzten Sylbe in rhythmischen Reihen.

355. Ehe wir die Meinungen Andrer über diesen Gegenstand anführen und widerlegen, wird es gut seyn, die Sache nach ihrer wahren Beschaf- fenheit 3;u betrachten. Fremde Meinungen wer- den sich dann historischerweise anzeigen lassen, um ihre Irrthümer zu widerlegen.

354. Wenn eine rhythmische Reihe (von der metrischen ist hier nicht die Rede) in der

Arsis schliesst , z. ß. :

s.. «./ _ .^ ^ _

mächtiges Orgelgetön, SO kommt die Quantität einer solchen Schluss- sylbe gar nicht in Betrachtung. Denn da sie als blosse Arsis erscheint, so liegt bloss die Mö^^lichkeit eines mclrischen Quantitätverhält- uisses in ihr; weil aber diese Arsis schliesst, und keine Thesis aus sich entwickelt, so kommt jenes metrische Quantitätverhältniss nicht zur

der letzten Sylbe in rhythmischen Reihen. ob-j

Wirkllclikeit. Es bleibt mitbin diesem Scbhiss- moment der bloss arsiscbe Cbaraktcr, der zwar dem Metrum angehört, aber ohne Quan- titrät. Befremden wird dieses Niemand, der sieb erinnert, dass in accenlirten Kbytbmen Arsis und metriscbes Verbäitniss obne Quantität über- haupt Statt findet. Es gilt dabei gleichviel, ob die scbliessendc Arsis die Hauptarsis einer me- trischen Periode > oder die Arsis eines zerfäll- ten Hauptmomentes sei, sobald sie sich nur als Arsis charakterisirt , indem sie durch eine The- sis von der vorhergehenden Arsis getrennt ist* Z. B. in dem Pthythmus:

«M ^ «^ S.^ ~>

schwebte sie flüchtiger «uf, kann die letzte Arsis eben so richtig eine Kürze

seyn :

schwebte die Flüchtigere.

Denn die vorhergehenden metrischen Momente iestimmcu zwar ihre Qualität als Arsis, aber um Quantität zu haben, müssten Momente folgen, Avas hier nicht möglich ist, da sie als Schlussarsis betrachtet wird. Diese Eigen- schaft der Schlussarsis gibt ihr daher nur Mög- lichkeit der Quantität, und eben deswegen Un- bestimmtheit; denn durch Folge der Momente kann sie eben sowol zur Länge werden:

s(hwcbte die Flüchtige fern im Gewölk , als zur Ki'irzc:

ibä Allgemeiner Theil, 'Von "dein Maas

tB«V^ t^ •^ ■i^ Mmt *^ w^

•chwebte die Flüchtige zu dem Gewölk,

In Musikzeicheu kann diese Unbestimmihell liicht ausi^cdrückt werden, weil man die ganze Periode (den Takt) mit ideellen Zeilmomenten , (Pausen) aasiliUt. Hierdurch bekommt jene Sciilussarsis eine Folge von Momenten, die, wenn sie auch ideell sind, doch die Zeit bestimmen. Der reelle Rhythmus schliesst da- her mit der Arsis, die ideellen Momente be- stimmen ihi' aber eine Quantität, die jedoch vor dieser Bestimmung willkürlich ist. Wir bezeichnen deswegen, wo wir uns der Musik- zeichen bedienen, diese unbestimmte Stelleo durch das Zeichen •' , welches dem metrischen 'Ol analog ist. Z. B. :

Fiulenbesänftigei-jij.

355.

Wenn wir behaupten, die schliessende Arsis eines B.hythnius sei ohne bestimmte Quantität , so beziehet sich dieses nur auf den Pihythmus, welchen sie beschliesst. In Beziehung auf einen Vers, in dessen Mitte vielleicht der rhythmische Schluss vorkommt, hat jene Schlussstelle aller- dings ihre bestimmte Quantität auf eben die

der letzten S3lbe in rhythmiachen Heilicn. Säg

Art, wJe üLerliaupt, wenn die Periode mit ideel- len Momenten ausgefüllt wird, und so tritt also der Fall ein, dass eine metrische Länge von einer prosodisclien Kürze repräsentirt werden kann, z. B.:

Orania vincit anior, et nos cedamus amori. Virg.

Ostentans artem pari t er, arcumqne sonantcm. Ders.

Will man die prosodische Quantität mit dem metrischen Yei-hältniss vereinigt ausdrücken , so erfüllt man das, in der Quantität der Sylbe Fehlende , durch eine Pause :

JJIJ.VI/r.\NJ.\MJ.VIJJr

/ Nee, quae praelerii t , iterum revocabilur unda. Ovid,

Mau würde mithin sehr irren, wenn man, sol- cher prosodisclien Kürzen wegen, welche dir Stelle metrischer Längen (im Vers) vertreten, ein aiidres Maas des Verses zu finden glaubte, und z. ß. den Hexameter so :

Omnia vlnclt amor , et nos redauius Amori,

messen wollte. Dieses fällt auf; gleicliwol mes- sen die Metriker andre Verse eben so iring, weil sie die prosodische Quantität von der me* Irischen nicht unterscheiden, und die Pause, welche nacli der Kürze, wenn man sie metriscl» betrachtet, fallen muss, nicht anerkennen.

5ÖO Allgemeiner Th e i 1. Von dem Alüa»

356.

So wie wir jetzt die Unbestimmtheit der schliessenden Arsis erklärt haben, muss der Salz verstanden werden, den manche Theoreti- ker aufstellen: dass die Gäsur eine kurze Sylbe lang macheu könne.

Die gewönliche Erklärung der Cäsur ist näm- lich, dass sie der Einschnitt sey, den das Ende eines Wortes in einen Zeitfuss mache, z. B.

Itali - am cur - su peti - tis , ven - tisque vo - catis.

Virgil,

Wolkenem - por auf- stürmt das Ge- schrei, furcht- bare Verwüstung.

War nun der Satz richtig, dass Cäsur in die- sem Sinne die kurze Sylbe lang mache, so müsste folgender Hexameter auch richtig seyn.

Feierli - eher tön-ten Lie-der, prei-send die

Be- glücktern.

Niemand aber wird sich bei diesen Längen be- ruliigen , weil nicht wirkliche Rhythmen, son- dern bloss untergeordnete Theile von Rhyth- men schliessen. Die Schlusssylbe des Wortes Lieder beschliesst zwar einen Hauptrhythmus; da sie aber in der Thesis des Wortrhythmus steht , so kann sie im Deutschen Vers we- gen des Einflusses des Accentes nicht in der Arsis des Verses als Länge (selbst als Kürze nur mit Mühe) sich halten. Anders ist es mit

der letzten Sylbe in j hytlimischen Reihen. 5Ci

der Schlusssylbe des "Wortes: Feierlicher, das sich in choriambischer Bewegung ausspre- chen lässt, wo dann die Endsylbe als Arsis die Kürze statt der Länge gestattet. So hält sich dieses Wort im Vers, wo es den Rhythmus be-

schliesst , z. B. :

Glockengeläut scholl feierlicher: Schon nahte dei-

Festzug , wie das griechische :

uiäoiog TS (A,Qi iGoi , (fiXs iavQSf deivog x£,

Home r. nicht aber :

Feierlicher scholl Glockengeläut,

und so bewährt sich die Kichtigkeit der von uns gegebenen Ansicht.

Was die Dichter, dem Gefül gemäs, ausüb- ten, ward von den Grammatikern zwar bemerkt, aber ohne dieses Gefül in einseitiger Reflexion aufgefassl. Sie bemerkten die unbestimmte Sylbe zwar richtig am Schluss der rhylhmischeu Reihe; es entging iJinen aber, dass der Schluss auf der Arsis der Grund sei, warum diese Syll)c keine Quantität haben könne. So Stellleu sie den Satz auf: die letzte Sylbe einer Reihe (im All- gemeinen) sei von unbestimmlcr Quantität, und Hermann, um die Sache nicht unerklärt zu las- sen, setzt binzu: In der letzten Sylbe werde das Maas ohnehin nicht bemerkt, weil nichts darauf folge, flie Poeten thuen dalier Re(;ht daran.

5C)3, Allgemeiner Theil. Von dem Maa»

wenn sie mit der Quantität der Endsylbe es nicht so genau nelimen , als hei den andern Syl- ben. Allerdings eine etwas zu bequeme Erklä- rungsart für eine Theorie, die sich mit so viel Ernst lind Strenge ankündigt, als die Ilcrmann- sche I Doch wiir diese Bequemlichkeit nicht so sehr zu tadeln, enlslünden nur nicht aus ihr die grösslen Willkürlichkeiten und Irrthümer, durch' die sich überhaupt Hermaun's Theorie vor allen andern auszeichnet.

. 358. Nach den Grammatikern und Hermann ist die letzte Sylbe einer Reihe (metrische uml rhythmische Pveihen werden von dem neuen Theoretiker, wie von den altern, nicht unter- schieden) von unbestimmter Quantität, d. h. , sie kann lang seyn, wo das Metrum sie kurz verlangt { Z ) und kurz , wo das Metrum Länge fordert { - )• Von dem zweiten Fall haben wir eben gesprochen. Der erste Satz hingegen: dass die kurze Endsylbe einer Reihe unbestimmt sei , und deswegen au ihrer Stelle die Länge zulasse, ist durchaus falsch, sobald von rhyth- mischen Reihen , (nicht von metrischen , ) die Rede ist.

559. Hier zeigt sich nun die Verworrenheit der Hcrmannischen Theorie, die aus der Unklarheit

der letzten Sjibe in rhytliraischen llelKen. 5G3

der Begriffe von Reihe über die ganze Metrik sich verbreitet. Es ist nÖthig, darauf aufmerk- sam zu machen, da die Filologen auf den Her- mannischen Sätzen auszuruhen scheinen, und. die Wissenschaft durch ihn für geschlossen hal- ten. Wir wei'den nachweisen, wie die Herman- nische Theorie die Unbestimmtheit und Viel- deutigkeit des Begriffes von Reihe gebraucht, um bald dieses, bald jenes, nachdem es der Gegenstand erfordert, daraus abzuleiten. Wil* heben hier nur etliche seiner Sätze aus, und stellen sie gegen einander.

„Cäsur heisst jeder Ort in einem Verse, wo eine Reihe sich endiget." Hdb. d. Metrik. §. 87.

Wo sich eine Reihe Im Rhythmus des Ver- ses endigt, da muss auch eine Reihe im Rhyth- mus der Worte , mithin ein Wort geendigt wer- «ien." Das. §. 89.

„Die letzte Sylbe einer jeden Reihe ist un«- bestimmt." Das. §. 46.

„Daher ist es auch die letzte Sylbe der tro- chäischen Dipodie. " Das. §. 48. 108.

Nolhwendige Folgerung hieraus ist, dass, weil die trocliäische Dipodie sich durch die unbestimmte Eudsylbe als vollendet^ Reihe an- kündigt, auch jedesmal ein Wort mit der letz- ten Sylbe der Dipodie schliesscu müsse. Gleich- wol ist allgemeiu bekannt, dass gerade die be-

364 Allgemeiner Theil. Von dem Maas

sten trochäischen Verse solche sind, in welchen nicht jede Dipodie mit dem Ende eines Wortes schliesst, z. B.

Ei Tt firj duificov TTttXuiog vvv fii&«nf]y.e gt^utm,

Aes eh.

Wenn des Glücks uralter Dämon nicht vom Heer

treulos entwich.

Hier endigt mit der ersten und dritten Dipodie das Wort nicht; gleichwol steht zu Ende bei- der Dj'podien die lange Sylbe statt der kurzen. Ist nun also die trochäische Dipodie eine Reihe, oder ist sie keine? Lnd steht die lange Sylbe statt der kurz,c;u zu Ende der ersten und drit- ten Dipodie am Ende der Reihe , oder in der Mitte? So ist die Hermannische Theorie mit sich selbst uneins I

An sinh ist die Sache sehr leicht zu erklä- ren. Die trochäisehe Dipodie ist eine metri- sche Reihe. Ihr Ende macht, wo es nicht zu- gleich eine rhythmische Reihe beschliesst, keine Cäsur. Die Schlusssylbe einer metrischen Reihe nimmt aber, aus Gründen, welche in dem fol- genden Abschnitt erläutert werden, die proso- dische Länge statt der Kürze an. Da nun der Schluss der metrischen Reihe , weil er keine Cäsur macht, nicht mit dem Ende eines Wor- tes zusammenzufallen braucht, so kann die Länge statt der Kürze auf der Schlusssylbe der Periode, mitten im Wort und mitten in der

der letzten Sylbe in rhythmischen Keihen. 565

rhythmischen Reihe Statt finden, wie unzälige Beispiele künftig beweisen werden.

Trift die rhythmische Reihe mit der metri- schen im Schluss durch lyrische Cäsur zusam-. mcn , z. B. :

(o TittTQccg 0r]ßt]g ivotxot,

Als der Abendthau herabsank,

SO ist allerdings auch die kurze Endsylbe der rhythmischen Reihe durch eine lange Sylbe re- präsentirt worden ; allein diese Länge gehört der metrischen Reihe an, nicht der rhythmischen.

•^ 36o.

Dass dieses so sei, erhellt noch mehr aus Folgendem :

Unter den Cäsuren des heroischen Verses wii'd von allen Theoretikern (auch von Hermann) die: xura tqitov xQoyutov genannt. Sie fällt nach der zweiten Sylhe des dritten Fasses, wenn er ein Daktylus ist:

TtttVTUs yuQ qttXifGMv, odta Im oixiu vatojv.

Homer.

Flog sie hinein zu der Stube, wo schon mit dem Greise der Jüngling. Voss.

Ist hier nun eine Cäsur, so ist hier auch nach Hermann das Ende einer Reihe, und ist hier das Ende einer Reihe, ^o findet auch hier, nach demselben Metriker, die unbestimmte Sylbe

3G6 Allgemeiner The iL Von dem Maas

Slalt, folglich müsste der Hexameter diese Form

dulden :

Furchtbar heulte die Wind braut, und hoch auf schäumte die Brandung ,

die keinen Vcrllieidiger finden diirfte.

Eljen so kommt im iambisclien Trimeter die Casur vor:

ßbi[.ioiGi naiiqjkexTOKXtV ix de -O^vfiaTtov. Soph, Zweileibger, unwirthbarer , rosshufwandelnder.

Hier stellt ebenfalls die unbestimmte Sylbe in der Mitte des Wortes (tt«^« q/Xix roiaiv ) und des Rhythmus ; die Endsylbe der rhythmischen Reihe hingegen behält das bestimmte Maas der . Kürze j denn folgenden Trimeter :

w . ^ I w_3,_ I Z - ^ ~

Leicht wird die Last des Unglücks, trägt ein

Mann es leicht ,

möchten wol wenige vertheidigen , und Hermann selbst nicht; wiewol ihn die Theorie von der unbestimmten Endsylbe vollkommen rechtfer- liget.

56i.

ISiemals ist also die Schlusssylbe einer rhyth- mischen Reihe im Allgemeinen von unbestinmi- ler Quantität. Sie duldet nur die Kürze statt

der letzten bylbe in rhjithnilschen Reihen. 067

der Länge, wenn sie auf eine Arsis im Verse fällt, und die Länge statt der Kürze, weni^sie zugleich Sclilusssylbe einer metrischen Reihe ist. Es war fast unLegreiflich, wie sich dieser Irrthum Lei den offenbarsten Beweisen vom Ge- gentheil in den Cäsiiren des Hexameters, Tri- meters und andrer Verse hat erhalten können, wenn nicht eben die Unklarheit des Begriffes von Reihe in der Hermannischen Metrik sol- che Irrthümer begünstigte. Denn Reihe hedeu- td bei ihm bald so viel als Rhythmus, bald einen Bestandtheil des Rhythmus (§. 68.) so, dass nirgends ein bestimmter Begriff davon zu treffen ist.

Hermann sucht zwar einige Widersprüche seiner Theorie dadurch zu heben, dass er zwi- schen periodischen Reihen und nicht pe- riodischen unterscheidet. Periodische Reihen nennt er solche, die von gleicher Länge sind,

z. B. (§. 57.):

f

Romuli nepotes , oder von abnehmender, z. B.:

Pinifer Olympus et Ossa ; denn hier habe die erste Arsis den stärksten Ictus, und die folgenden Reihen flicssen ganz leicht au« der ersten so, dass das Gehör selbst

3G8 Allgemeiner Tlieil. Von dem Maas

den Zusammenliang nud die Causalvcrbindung dei'felben wahrzunehmen scheint. Nichtpei-io- dische Reihen hingegen nennt Hermann solche, die nicht aus der ersten Arsis hervorgehen, sondern deren jede, weil sie grösser als die vor- hergehende ist, mit einer neuen Arsis anhebt, z. B.

<k» W«^_t«<>^V^

Rex Olyniple caellcola.

Solche Reihen köinie man nicht sprechen, ohne bei jeder Arsis mit einem neuen ictus eine neue Reihe anzufangen. Allein dieser Unterschied ist nur scheinbar, die Reihe:

besteht eben so wenig aus abnehmend, als diese:

aus zunehmend langen Reihen, ajle, in beiden, grossem enthaltenen kleinei-n Reihen sind sich vollkommen gleich , und nur die unzweckmäs- sige metrische Bezeichnung täuscht mit dem der Ungleichheit. Dir Maas ist:

>^ ■»^ ■>•* I s^<^ 1 «^

«. «^ «^ ä^ \ m. ü^ m \ m » Pinifer Olympus et Ossa,

Nieder zu dem Haine der Barden,

und von der andern:

J j I j. tf*^ j 1 J. «^ j \ y

Rex Olympie caelicola,

der letzten Sylbe in rhytiimischen Reihen. Bog

und so war die Hermannisclie Uuterscheidung der ßeihen schon in sich selbst grundlos. War aber auch der Unterschied nicht bloss scheinbar, so würde er doch durch Hermanns Anwendung zu einem bloss willkürlichen. Denn, wenn Reihen von gleicher Länge, so viel man nur will ( §. 58.) in eine periodische Reihe verbun- den werden können, warum ist denn der tro- chäische Vers :

nicht eine einzige periodische Reihe, sondern in vier dergleichen abgetheilt, deren jede die unbestimmte Endsylbe hat ? Und wenn det Vers nicht Eine Reihe seyn soll, warum ist nicht jede einzelne Reihe ( _ ^ ) selbststän- dig , sondern nur zwei und zwei ( _ .«< _ ^^ ) ? Dieses wird auf einmal aus der blossen Empi- rie beantwortet ( §. 48.): „weil nämlich trochäi- sche Verse nach Dipodien gemessen werden^ die mithin nur am Ende der zweiten Reihe ( _ ^ _ 3 ) die unbestimmte Sylbe zulassen." Allein die Anapästen werden auch nach Dipo- dien gemessen; gleichwol soll nicht mitten im System, sondern nur am Ende desselben (§.280.) die unbestimmte Endsylbe Statt finden. Wollle man sagen, dies sei die iNatur des Systems, so stehn wieder die trochäischen Systeme entgegen, wo jede Dipodie die unbestimmte Endsylbe hat«

24

Öjo Allgemeiner Tlit'il. Von dem iViaas

So zeigen sicli überall tlie WiJersprliclic der Hcrmannjstliea Metrik, wenn man sie tiefer, als auf der Oberfläche betrachtet.

Jetzt wird es nöthig seyn, zu untersuchen, woher die lange Sylbe statt der kurzen am Schltiss der metrischen Pieihen entstehe.

Von dem Maas der letzten Sylbe in

metrischen Reihen.

56^.

Eine rhythmische Reihe ist mit der Cäsur geschlossen. Sie ist ein Ganzes, das, selb- ständig, für sich besteht. In ihr selbst liegt kein Grund eines Wcitci'strebens über die Cä- sur hinaus; man kann also nicht sagen, eine rhythmische Reihe erzeuge aus sich eine andre, so wie die Arsis eine Thesis erzeugt. Der Rhythmus z. B.:

Alles gewährt Kühnheit, kann für sich allein stehn; es kann ihm aber auch ein andrer folgen, als:

und den Wagenden schützen die Götterj

oder ein andrer:

*• ^^ %./ •— ^w ^i.^ Wagende schützet das Glück,;

im Rhythmus ist also kein Grund vorhanden, da.^s noch ein Rhythmus folge und welcher.

der letzten Sylbe in meln'ychen Reihen. 5-i

Sollen Rhythmen als mit einander verLunden wahrgenommen wei'den, so liegt der Grund ausser ihnen , irämlich im Metrum , welches die Rhyth- men bald lyrisch, bald deklamatorisch verei-^ nigt.

565. "Was uns die Wahrnehmung an vorliandenen Pihythmen zeigt, fanden wir schon früher, als wir die Natur beider ursprünglich verbundenen Principien, des R.hythmischen und des Metri- schen , betrachteten. Das rhythmische Princip zeigte sich nämlich als das formende, begran- zende. Was aber begränzt, kann nicht zugleich den Grund des Hinausstrebens über die Gränze enthalten. Entgegengesetzt zeigte sich schon früher das metrische Princip ('^69.), als das aus- dehnende. Die metrische Periode ist zwar ein Ganzes, allein sie lässt sich wieder als Arsis zu einer Thesis betrachten, indem die ganze Pe- riode a]$ Entwickelung der Arsis gedacht wird^ in welche ursprüngliche die rhythmische Einheit sich nebst einer Thesis, welche die folgende Periode bildet, zerlegte:

d

Arsis.

0 EJaiieit.

d Thesis.

J J

J .N .^

Erste Periode.

J J

Zweite Periode.

572 Allgemeiner Theil. Vou dem Maas

Dieses Verhältniss des Zusammenhangs zweier Perioden, oder die Erzeugung der zweiten aus der ersten, erkennen wir zwar theoretisch, al- lein im Vers soll es sinnlich anschaulich dar- srestellt werden, so wie das Verhältniss der Ar- sis zur Thesis überhaupt. Die hervorbringende Periode muss also den Charakter der Kraft ge- gen die zweite ausdrücken, und da dem Anfang der Periode unmittelbar die Thesis zuvorgeht, so wird gefordert, dass diese Thesis die Kraft ausdrücke, welche die folgende metrische Pe- riode erzeugt. In der Dipodie also:

»Im' <..< I -^ w>

soll die mit dem Häckchen bezeichnete Note ( J^ ) jene hervorbringende Kraft ausdrücken. Sie soll metrischer Weise Thesis bleiben (schlech- ter Taktt-hcil), soll aber dabei, ohne metrische Arsis zu werden, bloss das Intensive der Arsig, die Kraft, wahrnehmen lassen.

364. Sehn Wir von den Worten des Verses ab, lind halten uns bloss an die einfachere Erschei- nung des Metrum in Tönen, so löset sich diese Aufgabe sehr leicht. Die bezeichnete thetisch© Stelle erhäh kräftigeren Anschlag, und schliesst sich, um das Hervorbringende noch mehr aus- zudrücken , durch Bindung an die folgende Ar-.

der letzten Sylbo in metrischen Reihen. 575

«Is der neuen Periode. Man überzeugt sich da- von leicht, ohne noch auf Musik Rücksicht zu nehmen, indem man den Trommelschlag beob- achtet :

j .^ j .;T.^ i" j" J.

Die Musik braucht zu diesem Ausdruck das sforzaudo, ebenfalls die Bindung, und auch •wol die Kraft der Dissonanz. Z. B.

=^T^..t ' >

^j"

Der beabsichtigte Ausdruck wird hierdurch er- reicht, aber es fällt in die Augen, dass die me- trische Quantität der gehobenen Stelle nicht verändert wird. Sie bleibt Kürze, wie sie der Natur des Metrum nach seyn soll.

564.

Die Prosodie der Sprache bedient sich, um dieses sforzando in dem Vers : uszudrücken , des Mittels, das sie in ihrem Gebif. dazu fin- det. Wie der stärkere Ton gleichsam ein Ag- gregat von Tonen ist, deren Gehalt sich in ei- nen einzigen conceulrirt, so conccntrirt die Sprache in der langen Sylbe den Gehalt mch- rer kurzen, wie wir denn auch den langen Vo- kal als Summe zweier, oder dreier kurzen be- iraelitct haben. Indem nun die prosodische

'ö-^i Allgemeiner The iL Von dem Maas

Läzige im Vers an die Slclle der metrischen Kürze gesetzt wird, so erliält sie, ganz nacli ullgcmcinem mechanisclien Gesetz, das an Kraft zugesetzt, was sie an der Zeit, die sie proso- disch erfüllen sollte, in dieser Stelle der me- li-isclien Kürze aufgeben muss. Die prosodisclie Länge in der Zeit der metrischen Kürze ausge- sprochen, ist also gleich dem sforzaudo in der Musik.

565. Hieraus folgt unwidersprechlich , dass die prosodische Länge, welche die metrische Kürze rcpräsentirt, im Verse durchaus nicht das Maas der Länge, sondern der Kürze habe. Eben darin besteht auch ihre ganze Wirksamkeit und ihr ästhetischer Charakter, dass sie den Gehalt einer Länge in die Zeit einer Kürze zusammen- drängt. Es ist daher ein Ii'rthum, wenn Voss ( Zeitmess. S. io5.) den trochäischen Dimeter, wegen des Spondeus im Viervierteltakt;

e. a 9 0 \ e. e e ä Bürgerwohlfalirt saun er rastlos,"

und eben so den iambischen Trimeter;

Jl J-d^J Jl J..N Jl J..N^

Arbeite mutvoll , Träge üielit Cllickseligkeit,

messen will. Das Maas bleibt allezeit der Sechs- achteltakt :

(lüi- ktztcri öylbö in metrischen Reihen. 5;ö

Schwer drllckt geheimnissvoller Welssaguiiäen Last.

Die bezelclmetcn Stellen haben bloss repräsen- lirende Länge, cl. b., sie sind zwar prosorliscU lang, baben aber im Vers das Maas der Kürze. Wenn der Deklamator, der iiberbaupt nicht seharf skandiren soll, diese Länj^e nicht im strengsten Maas der Kürze ausspricht, sondern zuweilen (wenn keine Cäsar unmi Heilbar vorber- gelit) der Lunge des Trochäen etwas abbricht, um CS der kraftvollen Kürze zuzusetzen, so än- dert dieses das eigentliche Maas des Verses nicht; auch lässt sich dieses Davon- vmd Dazu- thun nicht berechnen, eben, weil es Sache der deklamatorischen Kunst ist. Mcuisch bleibt das Maas dieser repräscntircndon Länge allezeit das der Kürze.

566.

Es ist anffcdlend, dass Ilcrmaun das wahre Maas dieser repräsentirendcn Länge , wenn auch nicht den Grund der Repräsentation, an einem Ürie einzusehen scheint , während er doch , wo von der wirklichen Messung solcher Sylben die Rede ist, seine eigne ISIeinung vergisst, imd ihnen das Maas zweizeitiger Längen zuthcilt.

Er sagt nämlich (De Metris S. 29.): nullo numeri dispendio in fine ordinum promiscue lüuga vel brevis syllnba poni polcit, (piae qui-

SjG Allgemeiner Tlieil, Von dem Maas

tlcm liac sempcr mensura esse crecliiur, quam numerus exigit; und eben so (Metrik §.48. S. 22.): Man sieht leicht, dass die ganze Lehi'e von der unbestimmten Sylbe sich eigentlich bloss auf die Prosüdie bezieht. Denn durch den Rhythmus ist natürlich das Maas dieser Stelle eben so ge- nau, wie das der übrigen, bestimmt, und sie mag in dem Worte, das an einer solchen Sylbe (Stelle?) steht, lang oder kurz seyn, so hat sie doch in dem Verse nur 4as vom Rhythmus be- ßliinmte Maas.

Gleichwol misst Hermann (Vorrede S. XXIII.), um seine Meinung von der Taktlosigkeit der Pdiythmen durchzusetzen, in einer Stelle des Pin- darus alle repräsentirenden Längen eines trochäi- schen Verses als zweizeitig; wodurch denn frei- lich jenes taktlose Gewirr entstehn muss, das uns die Metx'iker als unbegreifliche Schönheit anrühmen. VVie Hermann jene Stelle des Pin- darus, seiner Meinung nach, für die Musik be- cfuem mischt, ist früher gezeigt worden. Jetzt wird das wahre Maas und der Rhythmus dieser Stelle begreiflich seyn, nämlich:

1 ^ 1 ^ I j ^ 1 f^ 1 ^ f^ > ^ ^ > I J

V V

yQVGftt (poQfAty'i ^ A-nollcüvog KUt ion\oKaf.i(av y

Froli begriisst Wohllaut des Frühlings blütcn^efejerten

Tanz.

Öer letzten Sylbe in metrischen Reihen. 377

km> »-^ I ^ s^ >m* m^

m m ft \ 9. e^ m ä.

ÜVvdlKOV MoiQttV HTfUVOV,

Fluss und Wald rauscht jubelnd im Chor ,

oder, wenn man den Satz als zusammenliän-^ genden Vers betrachtet:

i n ^ I j .^J ^ \ .\VAV I J.J j" 1 j ,\\^'^ I 'j.

Moiaav -/.naiov , (vergl. wegen des -vorletzten Taktes 388 ff.)

wodurch in der, angeblich taktlosen, Pteihe, dei' wirkliche Takt zum Vorschein kommt. So dai'f man sich auf die Theorie und das Gehör der sprachgelehrten, aber musiklosen Metriker ver- lassen !

067. Verse , in welchen dieser Zusammenhang der Perioden nicht anschaulich gemacht werden kann, weil die rhythmische Form auf der Ar- sis schliesst , und die Thesis nur idecU im Punkt vernehmen lässt, erscheinen daher immer von etwas lockerm Zusammenhang und fast abgestos- sen. Dahin gehören die kretischen und chori- ambischen. Vielleicht fühlte Horatius , dass in choriambischen llhythmen deswegen aucli der Wortrhythmus choriambischen Schritt halten müsse, und beobachtete darum die choriam- bische Ciisur im asklepiadischeu Vers, dem er

578 Allgcniöiner Theil. Von dem Maas

clioriamLisclx (lachte, sorgriiltigtT, als die Grie- chen.

568. Dieser Zusammenliang der metrisclien Reihen, durch die Kraft der verhiudenden Thcsis ( J*^ ), ilndet, der Natur der Sache nach, nur dann Statt, wenn mit der erüleu metrischen Reihe nicht zu- gleich eine rliythmischc Reihe sich endigt, son- dern der Rhythmus vielmehr aas einer Periode in die folgende übergreift. Denn endigte sich der Rhythmus mit der metrischen Reihe gleich- förmig, so wären beide Perioden nicht sowol mit einander verbunden, als vielmehr in lyri- scher Antithese. Z. B. in dem Dimeter:

^-^1 . - ^

Morgenröthe , goldne Frühe ,

sind beide Perioden in lyrischer Antithese 5 in folgender hingegen :

«^..«^ 1 »kf ^j Stille Nachtwallfahrt der Jungfraun ,

WO der Rhythmus nicht mit der Periode schliesst, sind sie durch die Kraft der Thesis anschaulich verbunden.

069. Wenn mit der metrischen Reihe zugleich eine rhythmische schliesst, so ist diese Reihe vollkommen geschlossen. Gewönlich findet die- ser Haiiptschluss Statt am Ende des Verses, oder

tier letzten Sylbe in metrischen Reihen. 3-a

eines solchen Yerstlieiles , der mit dem andern iu lyrischer Anlitliese steht. Wie nun die Schlusslhesis verbuiidener Perioden den Cha- rakter des Weiterstrebens , des Hervorhringens einer neuen Periode, annimmt, so hat die Schlusslhesis der Periode in der lyrischen An- tithese den Charakter des Vollendeten, Be- schlossenen, Ruhenden; denn der Pihythmus hegränzt das Metrum an der Stelle, wo es selbst sein Ziel gefunden hat, und beide Prin- cipe sind zu ilirer ursprünglichen Vereinigung zurückgekehrt.

Wie aber jenes W^eiterstreben und Hervor- bringen einer neuen Pei'iode anschaulich wer- den musste, so auch dieses Ruhen des vollen- deten rhythmischen Satzes.

Dieses Anschaulichwerden besteht darin, dass der Schluss des Rhythmus die ursprüngliche, bestimmunglose Urform, in welcher nOch Me- trum und Pihythmus uagctrennt liegt , hören Iksst. In dieser |LIrform erscheint der Rhythmus bloss als -Bild und Gegenbild, mithin frei von Quantitätbestimmungen. Die Schlusslhesis muss also hier ebenfalls quantitätlos erscheinen, bloss als iNachhail der Arsis. Wo nun die Arsis eine Länge ist, da \\ird ihr auch die Thesis als the- tische Länge nachhallen. Allein, weil die nach- gcjjildele Urform des Rhythmus qiianlilällos ist, •so kann diese nachliallende ihelisehe Läns/e nur

33o Allgemeiner Theil. Von dem Maas

eine prosodische Länge seyn, während sie im Verse selbst nur das Maas hat, welches das Metrum des Verses fordert. Wir werden diese Art der repräsentirenden Länge mit dem Zeicheu J^ bemerken, um sie von der (363.) früher be- merkten zu unterscheiden. Z. B. :

_^_3 I - ^ - Z I _w-C I _^^-

Morgenroth , wilikomraner Liclitstral , sei mir &n«

dachtvoll gegrüsst.

370. Es kann nur bei einem flüchtigen Uiberblick auffallend scheinen , dass vorwärtsstrebende Thä- tigkeit und schliessende Ruhe gleichmässig durch prosodische Länge anschaulich gemacht werden sollen. Denn bei genauem Aufmerken unter- scheidet man bald den verschiedenen Charakter dieser Längen. Die kräftige übertönt die Arsis , welcher sie nachfolgt, weil sie gewaltig an die folgende andringt, und den Grund ihres Ent- stehens ausspricht. Deswegen liebt diese Stelle besonders eine Länge, welche in der Arsis des Wortrhythmus steht. Besser ist z. B. : Rings umher graunvolle Wildniss,

als:

Rings die furchtbarödo "Wildniss j denn die Commissur des Worts: furchtbar- öde fällt auf den Schluss der Periode, und die

der letzten Sylbö in metrischen Reihen. 58 1

Thesis Im Wort: furchtbar auf die llielische Stelle im Metrum. Daher klingt etwas von ly- rischer Cäsar durch, welches dem Fortschrei- tenden gerade entgegengesetzt ist. Die ruhende. Länge hingegen liebt thetische Längen im Wort- rhythmus, weil sie der Arsis als schwacher Wi- derklang nachhallen soll, z. B. :

Uiberall umtÖnt von Wohllaut. Dieser Charakter des Nachhallens ist so wirk- sam, dass er selbst die fehlende lyrische Cäsur ersetzt, z. B. :

Als um Mitternacht die s chicks al volle Kriegsai-heit

begann.

Ein geschickter Eliapsode wird den Unterschied dieser beiden Arten repräsentirender Längen nie- mals verfehlen.

571. In diesem Charakter der nachhallenden Länge liegt wahrscheinlich der Grund , warum im iam- bischen Trimeter statt des vierten Trochäen nicht gern ein spondeischer Wortfuss, oder Wort- ausgang, gesetzt wird. Der Vers würde nämlich bei der gewönlichen Cäsur nach dem zweiten Ti'ochäen, zum zweitenmale lyrisch geschlossen, und verlor den Jambischen und sogar deu dra- matischen Charakter. Nicht gut ist daher: tpaixiv namarovg ol nov^jQot rovg y.aXovg , Feindselges Buiidiiiss schliesst zum A 11 f ruh r jedf)

Stadt , tind besser die Stellung:

5^2 Allgemeiner Theil. Von dem Maas

Bald schliesst ^um Aufrulir jede Stadt feindselgCÄ

Ennd.

Deswegen will man aucli, wenn man diese

Cäsur nicht ganz vermeiden kann, doch den

vollen lyrischen Schluss nicht durch die Länge

noch hörbarer machen, und zieht an dieser

Stelle den Trochäus dem Spondeus vor, z.B.:

iliv'/Qog not avTO)v ■&fQ!iov utfiu TcUTut, Sofokl.

Mit jeder Gallin "wird die Reue dir yerraält,

trennt man diese nachhallende Thesis von ihrer Arsis durch eine Cäsur, so v/ird der lyrisclie Charakter des Schlusses gestört, was in der oft angeführten Cäsur des heroischen Verses:

Schönheit selbst und Geschlecht gibt Alles der gross©

Monarch: Gold,

der Fall ist, und in allen andern Versen mit thetischem Schluss, z. B. :

big 7i£vt]g d^fXo)t> i'/^eiv , act nlovaiog nXeov o'/^etv.

372. Da diese rcpräsentirende Länge nur auf der Schlusssylbe einer (metrischen) Reihe vorkom- men kann, wie die rcpräsentirende Kürze nur auf der Schlusssylbe einer (rhythmischen) Reihe in der Arsis vorkommt , so wurden die Meti-iker, die beide Arten von Reihen nicht^ unterschie- den, zu der Meinung verleitet, die Schlusssylbe sei überhaupt von unbestimmter Quantität, und. Hermann hat für die Länge, wie für die Kürze,

der letzten Sylbe in mttrisclien Reihen. 3S3

den Erklärunggrund, dass man am Ende der Reihe den Verstoss gegen die Regel nicht be- merke, und der Dichter doch nichts davon ha- ben würde, wenn er sie noch so pünktlich be- folgte. Das erinnert freilich an die Verstösse gegen den reinen Satz in der Musik, die man- che Komponisten sich erlauben, weil sie, an manchen Stellen, ihrem Ausdruck nach, „sich mit durchfressen." E smerkensw^erther aber ist folgendes: Bekanntlich lassen die Poetiker (z.B. Iloratius) den Dichtern die Spondeen (welche durch rcpräsentirende Längen entstehn) in iam- bischen und trochäischen Versen nicht bloss als nicht aufrallende und deswegen verzeihliche Ver- stösse gegen die Regel hingehn, sondern sie fordern sie von ihnen als Bedingung der Schön- heit und Würde des Verses, besonders des tra- gischen, den sie bitter tadeln, wenn er dieser Zierde ermangelt. Lässt sich nun wol ein durchschlüpfender Fehler als Zierde denken, oder ist wol die Theorie gründlich zu nennen , welche Schönheiten des Verses (und zAvar nicht scherzhafte jNaivetäten, oder Parodieen) aus Ver- stössen gegen die Richtigkeit erklärt, die man ntir an dem Ort, wo sie verschuldet werden, nicht bemerkt?

575. Die rcpräsentirende Länge auf der Schlass- thesis der metrischen R«ihe gehöi-l, wie wir g<?-

584 Allgemeiner The II. Von dem Maas

sehn haben, nicht sowol der Richtigkeit, als vielmehr der Schönheit des Verses an. Sie wird also dann unstatthaft seyn, wenn der Charak- ter, den sie darstellen soll, nicht im Verse vor- handen ist. Dieser Fall tritt ein, wenn der Periode, die als hervorbringend gedacht wird, nicht" eine ganze Periode folgt, sondern nur ein Moment derselben. Hier würde die Sclilussthe- sis, wenn sie die Länge annehmen wollte, eine Kraft darstellen , die zar Entwickelung eines ein- zigen Momentes unverhältnissmässig gross scheint, z. B.

%l^ wy [

banger Angstausruf,

und zugleich würde die Häufung der Längen, besonders in thetischen Schlüssen, dem Verse ein aufgeschwollnes , ungeschicktes Ansehn ge- b6n, z. B. :

^ *^ - w I

heiige Festnachtwallfahrt.

In solchen Fällen kann daher die Länge auf der Schlusssylbe der Periode nicht Statt finden. Deswegen verliert aber die Periode nicht den, anschaulichen Ausdruck des Hervorbringens, sondern sein charakteristisches Zeichen tritt nur um eine thetische Stelle zurück, wie auch der VV^ortaccent bei Verlängerung des Wortes oft seine eigentliche Stelle verlässt, z. B. :

letzten Sylbe in metrischen R»ilteu. 38s

Angstausruf ertönt, oder :

unwirthbare Felskluft.

Die Anwendung dieser Sätze auf den Yers zeigt sich bald. Im Tetranieter:

Wenn des Glücks uralter Dämon nicht Tora Ileet

treulos entwich ,

Stellt jede rcpräsentirende Länge am Schluss der Periode,^ und die Stellung:

---■-' I - <- - nicht treulos vom Pleer entwich,

■v\"är felilerliaft. Man verkürze aber den Vers;

Wenn des Glücks uralter Dämon nicht treulos

entwich ,

SO ist diese Stellung in der zweiten Hälfte;

- Z . I _

nicht treulos entwich ,

richtig , und die Länge auf der Schhisssylbe der Periode war fehlerhaft.

Durch diese Rückung der repräsentirenden Länge entsteht die Form der Dipodie _ _ _ ^ , die man nur nicht als allgemeine Form, sondern bloss als bedingte betrachten darf, um nicljt über ihre Natnr und Bedeutung za irren.

506 Allgemeiner Theil. Von dem ülfla«

574. Was hier vom Ende des Verses gesagt ist, darf man nicht auf das Ende einer rltythmi- schen Pieihe in dem Vers bezielm; denn indem der Vers nach dem Ende jener rhythmischen Reihe noch fortgeht, erzeugt die Periode nicht Hoss das zum SchUiss des Rhythmus nöthige Stück, sondern die ganze Periode des fort- schreitenden Verses. Der Pihythmus z. B.:

_ s^ _ w I _ Sank geläutdurchtönt,

ist im. Tetrameteranfang vollkommen richtig, denn die Periode geht fort:

Sank geläutclurchtönt der Abend,

Oft wird man daher die Unregelmässigkeit ei- nes Verses nur scheinbar finden, indem ein solcher Schluss nicht dem Ende eines Verses, sondern nur einem Rhythmus in demselben an- gehörte, z. B. :

Dort hallt Wehklagruf, aus üder Felskluft,

i.sl ein einziger Vers:

.'^ IJ.J ,N J ^N.M J. J

der letzten Sylbe in melrisclien Reiher. 537

8er in dem ehcu Gesagten seine völlige Erklä- rung findet.

375.

In Laccliisclien und palimbaccliisclien Versen:

Die Anmuth, o Jungfraun, gewinnt mehr, denn Schön- heit, Voss,

■würde die Länge auf jeder Schlusssylbe der Pe- rioden der Scliöiilieit des Verses Eintrag thun, indem alle Manniclifaltigkeit gestört, und sogar die Verwechselung mit molossischer Bewegung möglich würde:

z \ 3| z \ ri

"Wo sich der Vers lyrisch in zwei Hälften theilt : Z \ w| ii-^r ^1

Dort lebt ohne Mühsal ein frohsinnges Bergvolk ,

da gilt von der lyrischen Vershälfte dasselbe , "Was vom ganzen Vers gilt, nämlich: das Ende darf mit Längen nicht überhäuft werden , und die Sylbe vor dem Schluss, dem arsischen, wie dem thetischen , muss die natürliche Quantität behalten. Lst diese lyrische Theiluug nicht vor- Jianden, so wird sich der Dichter, wie jeder ^ndre Künstler, vor Uiberladuug mit dem Cha- raklcrislischcn zu hüten haben. Der %ers:

den man Tür einen doclimischcn mit zwei Kre-

383 Allgemeiner iTheil. Von dem Maas

likern sdilicssendcu Vers anseliri köiiule, zcln sich hald als ciu baccliisclier:

Z i Z \ -'I- -1-

'■^ 1 i 1 M J I > 1 I ! ^ 1 I Dort flamait ohne Rast rotho Glut himmelan ^

und so ist die etwas sonderbare Form de«

Doclimlers Z Z - gewiss nur sehr selten

vorhanden, wo sie dann bloss als ein rhythmi- sches Zurücktreten in die Alterthiimlichkeit de« Accentes zu betrachten ist. (33o.)

076. Wir haben die letzte Sylh3 der metrischea Periode jetzt als ursprüngliche Kürze betrach- tet. Die Uibersicht der metrischen Formen zeigt aber, dass diese Thesis auch als ursprüng- liche Länge vorkommen kann, nümlich in der Form : g', j. wo beide Hauptmomente der Pe- riode uuzerfallt bleiben. Denn war das erste Moment zerfällt, z. B. in der kretischen Form ( * e* J. ) ? stJ nähme die Hauptthesis gegen die Vüi'hergehende Thesis zweiter Ordnung arsi- schen Charakter an; man könnte also nicht sa- gen: sie sei lange Thesis. Was nun von der Dipodie gilt, versteht sich auch von der Tripo- die, wo die lange Thesis in den Formen: l ;^ J. J. und J. J. J j^ vorkommt.

der letzten Sylbe in inctiischen Ileiheii. ö8()

377. Da diese Tliesis iirsprünglicli lang ist, so hat sie schon den Charakter des Fortslrebeiis , welcher der ursprünglich kurzen Thesis ei'st durch die repräsentii;ende Länge beigelegt wird. AYo also jene in der Mitte einer rhythmischen Reihe vorkommt, da bleibt sie zwar unverän- dert, sie muss aber ihre Länge prosodisch streng behaupten, z. B,

I J 1 J ^ ' 1 I J J^ ! J J

fOVTO) öicnoTug (ivoiocg xe - v.h]ixu-^ , ■\V e li m u t volles Lied trostloser Sehnsucht j

«. gl. I •««#•« e I e * e 1 «, L}]Qiv dfdof.iiv7]v uyu&r/V ifivkuaus acivrat.

Aufschwingt zu dem Olymp sich in niäch^em

Flug die Kühnheit,

sonst würde sie den Vei'S verwirren , z. IP. :

»< I «»< Deines Volkes Ruf,

noch mehr, wenn der Wortrhythmiis über di?

Periode wegreicht;

w I ^ «^ _

Eichenkranz belohnt.

Zur liebung dieser Thesis dient ludessen noeli die Wortstellung, indem eine stark accentirte, und der folgenden sieh anschliessende lange iSylbc den Platz der TIh sis rrfüllt.

5 ijo A 1 1 g e ni c 1 n er Tii e i 1. \'on d em Maas

578. Wenn diese lange Thesis zuj^leich auf das Ende einer rliytlimisclien Pieihe fällt, z. B.

Kränzt die Locken mit Efeu, fiillt die Becher mit Wein,

SO ist durch die lyrische Caisur die Reihe voll- kommen geschlossen, und der Rhythmus ist erfüllt, sohald die Thesis angeschlagen ist. Ob sie am Scliluss des Rhythmus ihren ganzen Zeit- r,ehalt erfülle, ist für den Rhythmus gleichgül- lig und das Metrurp. ersetzt das au dem realen Moment fehlende durch Pausen. Die lange Thesis kann also in lyrischer Cäsur durch eine Kürze repräsentirt werden, ohne dass Rhythmus oder Metrum dadurch gestört wird. Dasselbe aber, was von der lyi'ischen Ciisur gilt, ist eben auch von dem Ende des ganzen \erses güllig. In obigem Vers z. B. konnte die erste Hiilfte, statt:

Kränzt die Locken mit Efeu

cLca so richtig heissen:

%^ >*( V.^ I

Kränzt die Locken mit Rosen ,'

wiewol weniger schön und volltönend, Eben so kann aiu Ende des \crses:

Frohrauschend empfingt das Gewog wejsssfhäumender

Meeriliit ,

der lelzlen Sylbe in metrischen Reihen. 39 1

Statt des Spondeus: Meerflut, der Trocliaus: Fluten stehen, aber der \ers verliert, wenn auch nicht die Richtigkeit, doch die Yollto- uigktit.

Im tripodischen Metrum findet dasselbe Statt: der llhylhnius:

jNJ J'J.J.

"Wenn kalter Nordhauch, verträgt am Schluss die Kürze:

AVenu frostge Stürme. Daher findet mau beide Formen im Alcäischen \' ers :

Wenn süsser Wohllaut über die Fluren zieht, und Silberquellen , froh der Entfesselung ,

die Kürze aber nur in lyrischer Gäsur. Die Stel- lung :

Gern wohnt in Blütenhainen die Nachllsall ,

Stört, oder verdunkelt doch, selbst im Munde des geschicktesten Khapsodeu, die waluc Mes-» sung. Hingegen:

Gern ■wolint in rrülilingshsiinea die Kachtigall ,

hält sich in dem tripodischen Maas, wiewol die Ca iir übergangen ist.

3^2 Allgemeinei- Theil, Voji dem Maas

58o. Die Piichtigtcit der Sache wird noch deulli- clier an Beispielen im Auftakt. Im epionischen Vers:

^1 Ij^^^^l I I 11 ^IJi^'^'^J^IJ

f> \ t> d e. s^ 0 I •. 0 ' ' 9 I ^ «• «^ « 1 «. AV'ie schön aus dunklem Gewölk blickt des Mondlichts

lieblicher Stral,

nimmt schon der einfache Auftakt eine der

drei Zeiten weg, welche die lange Thesis er-

iidlen sollte. Bei zweisylbigem Auftakt, z. B.

im galliambischen Vers:

'»^i| r^i ^ll ^||J'^^ll ^^^^|J

lu dem Aug entbrannten Gluten, die Verkünderinuen

der Lust ,

ist die Kürze selbst durch das Metrum gerecht- fertigt, wiewol immer die Länge vorzüglicher hleüjt:

^^! I ^J ^I i ^Ä•*l i ^^^^| i

(«« lae»« \ o. e. a^ 9 \ 0 e o 0 » \ 0. Wie erbebt iin Glanz die Wcinlaub' o Beseliger du er- schienst. Voss,

So erklären sich manche Verse sehr leicht, wel-

t:lie «lie Melriker zu den sonderbarsten Hypo-»

thesen verleiteten , z. B. :

0^ \aa0. 07b\^. 0^0000 "NVillkoramnes Abends erlabende Dämmerung,

der Eu«Uylbe des flüchtigen Daktylus. SvjS

Avo Hermann die Leiden nebeneinanderstellen- den unbesünimten Sylben durch die von iluii ausgedacbte Basis (De Metris. S. 217.) ^^_w— i«»»ti— ""«^ ■»/<«,» zu erklären sucht. Ob der Metriker hierbei wül hören mochte, ^vas er bezeichnete?

Dass die Verkürzung dieser von Natur lan- c;en Thesis dem Vers eine Schönheit entxieht, statt ihm eine neue zu ertheilen, ist schon er- innert worden.

Vom Maas der Endsylbe des flüchtigen

Daktylus am Scldiiss metrischer und

rhythmischer Reihen.

58i. Die Schlussthesis der metrischen Reihe kommt nicht blo»s in der spondeischen (•• *• ) und tro- chäischen (••*»), sondern auch in der Iribrachischen und flüchtig daktylischen Form vor.

582. Die tribrachische Form ist nicht als Grund- form von Versen, sondern nur im Wechsel mit Trochäen und andern Formen bekannt. So wechselt z. R. der trochäische Vers: _^_3 I _w_^

Durch des Lieds anmuthgen Wolillaut,

594 All 2 ein ei li er Theil. Von dem Maas

an jeder Stelle mit Tribraclien , iiulem di« Länge des Trochäen sich in zwei Kiii'zen auf- löset

In des Gesang« anmtfthgem Wohllaut.

Es fragt sich nun, ob die Schlussthesis der metrischen Periode auch dann die repräsenli- rende Länge annehme, wenn der letzte Tro- chäus trihrachische Form angenommen hat? z. B.:

Schwebte zu der lichtvollen Sternbahu, » r t I w

nov (.wt xa la, rcov {lOi tu qqÖu tiov fioc ra '/.aXa aeXiva

"Wenn dieser letzte Vers iambisches Maas über- haupt hat, wie Böckh behauptet. Im fortgeh- enden Hhythmus findet diese Länge allerdings Statt, und so ist der Ausdruck der Theoretiker zu verstehn, dass in den gleichen Stelleu tro- chäischer Verse (dem zweiten, vierten, sechsten Trochäen u. s. f.) der Anapäst statt des Tro- chäus Statt habe. Der Ausdruck ist freilich nicht der glücklichste; denn, da man gewönlich die Kürzen des Anapäst im Auftakt ( w, w i - ) hört, so klingt es sonderbar, dass der Anapäst den Trochäus rcpräscutircn solle.

der Eiulsylhe des flUclitigeü Daktylu». SgS

383. In der lyrisclien Cäsur liiiigegen würde über- haupt die Auflösung derArsis den ganzen Sclduss entslellen; denn der Charakter der Thcsis ist hier jNachhail, welcher durch das Zerstückeln der Arsis aufgehoben wird, z. B.:

Uiberall umtönt von Melodie.

Gelehrten Künsteleien dieser Art werden wir immer das einfache: umtcint von Wohllaut, vorziehn. Auch ohne die lange Endsylbe schwächt die aufgelösele Arsis schon den Cha- rakter des thetischen lyrischen Schlusses , z. B. :

Grössre stet» und kriegerischere Haufen drängt

der Feind heran.

Daher dürfte diese Stellung nicht leicht bei vol- lem lyrischen Schluss^ r.m wenigsten in dem Ende des Verses zu brauchen scyn, z. B. im Schluss anapästischer Systeme:

in den Staub hiasLiirzte den Obelisk.

384. Dass der flüchtige Daktylus des Tribrachys Stelle vcrirele, isc früher schon oft bemerkt worden; er findet daher auf jeder Stelle der rcriode anstatt des Trochäen sich ein z. B.:

SgS Allgemeiner ThoiL Von dem LTaws

XQriOiv ohr^GTri(ju Barjov y.ct(iuoq.OQOv lißvug u(juv ,

P i n d a r.

Mit dem ZwHIlngton. des Waldhorns wechselte fröhlicher

Doppelgesang ,

nioht bloss ain Schluss der Periode, "wie man- che gemeint haben, indem sie ihn aas der Auf- lösung des Spondeus statt des Trochäus:

*j \j

irrigerweise erklärten. Denn ^a diese Länge das Maas der Kürze, also Eine Zeit hat, so kann sie nicht in zwei einzeitige Küxzen aufge- löset werden. Es fragt sich aber hier wieder, ob der Daktylus am Ende der Periode auf der letzten Kürze, gleich dem Tribrachys, den er repräsentii't , die Länge annehme ? Z.B.:

Bunter Elüten r e i c h t h u in des Friihlhigs, Man hört den Mislaut bald. Buntes Blüten- geßld hält sich im Yers, goldner Frucht- reichthum gleichfalls. Die Endlänge im Dak- tylus zeigt sich also dem Gehör als unstatthaft. Dass :

o o(j1 u "J Müde Rosse bergauf sich ahraüün,

im Verse sich halte, werden nur die behaup- ten, welchen ein steigender Spondeus (bergauf) mit demlambus (hinauf) gleich tönt. Richti- ger ist:

der ÜJidsyltie des llüchtigen Daktylus. 697

Müht bergauf sich das matte Samnross. Der Gruiicl liegt in der Natur des flüclitigea Daktylus , der schon *ile Kraft in seiner ersten Ai*is versammelt hat, und daher ohne Uiber- ladung und Widerstreit nicht auch die letzte Sylbe verstärken darf. Wie die Periode sicli dennoch al$ hervorbiungend charakterisirt, wird bald näher bestimmt werden. Uiberhaupt schlies- sen sich die flüchtigen Daktylen schon von selbst lebhafter, als die Trochäen an die folgende Ar- sis an, so, dass in der daktylischen Form be- reits der Charakter des Fortschreitenden an- schaulich dargestellt ist.

385. Eine andre Frage ist: ob die Schlasssylbe in flüchtig daktylischen Rhythmen unbestimmt sei, und also die Länge statt der Kürze ge- statte? Z. B.

E.uft ZU Jt-m hciUgca Kampfe das Vaterland.

Die Theoretiker behaupten es , nach ihrer lUgcl: die Endsylbe der Reihe' (ob metrisch, ob rhythmisch, unterscheiden sie nicht) sei un- bestimmt. Die Dichter haben auch '»viiklich dieser Freiheit sich bedient, z. B. :

noct ßt^aaug Cqiwv Sv<r rtumaXo vg, n'tog i(p vß'iS.-

3g3 Allgemeiner Tlieil. Von dem Maa»

und für solche Freiheiten lässt sich allerflings nichts als die Herniaunisclie Bet[uemlichkeitsx*e- gel anfuhren: dass sie hingehen mögen, wo man sie nicht sehr hemcrkt.

Wir wüi'Jen inJessen den Virtuosen mit Grund tadeln, der die letzte Note der Figur:

•• *^ * 7 7

I

oder:

^ l^ >

l

nicht kurz abfertigte, sondern mit einem langen Bogenstrich gleichsam darauf ausruhete. Soll- ten wir also am Dichter rühmlich finden, oder uns dabei beruhigen, wenn er anstatt:

Lippen, wie glühender Morien crröthende, nach jener Freiheit :

Lippen, geröthet, wie glühender Morgenstrahl,'

boren lies? Der Unterschied ist wohl ziem- lich vernehmbar, und Aver hören kann, wird sich von Hermann nicht üJjerreden lassen, man höre den Unterschied zwischen Lange und Kürze an dieser Stelle nicht. Weniger auffallend ist CS freilich, wenn eine Positionlänge, oder doch eine nicht gedehnte, sondern scharfe Länge schlicsst, z. B. :

Blickte das Auge , so mild und so liebevoll.

Docli wird ein geschickter Yersbiidner selbst solche Stellungen nur als Ausnahme und nur

der Endsylbe des üächü^rsn Da'^tylus. Sgg

dann gebrauchen, wenn er der grossem Kor- rektheit grössere Schönheiten des Ausdruckes opfern mllsste; denn vom Dicliter verlangt man mit Recht eine solche Gewandtheit im Den- ken, und eine solche Vertrautheit mit der Spra- che, dass ihm die Gedanken ohne langes Sin- nen gleich im anständigen Wortgewande er- scheinen. Oder würden wir die Ungeschickt- heit dessen rühmen , der , anders als im Scherz, ein Sonnet mit dem Reimwort Mensch an- fangen wollte, und dann sich quälte, weil er, seihst mit der Diogeneslaterne aller Wörterbü- cher, kein Gegenstück in der Sprache finden könnte? Horatius scheint dieses gefühlt zu ha- ben j wenigstens vermeidet er sorgfältig in der

Ode (I. 4.):

Solvitur acds hiems grata vke Verls et favoni, die lange Endsylbe des letzten Daktylus. Hier- aus widerlegt sich auch die Hermannische Theo- rie des sinkenden lonikers. Nach diesem Me- triker nämlich soll jeder ionische Fuss seinen eignen ßhytlimus haben, und durch keine pe- riodische Reihe mit dem andern zusammenhän- gen; deswegen soll das Maas der Endsylbe des ionischen Fusses unbestimmt seyn, und der lo- niker mithin diese Form: S S ^ - annehmen, wodurch denn der loniker zugleich der trochäi- schen Dlpodie ( _ J _ y ) und der iarabischen ( ^ - - ) gleichgGselxl wird. Ai4f diese Art

H.OO Allgemeiner TheiL

wird also nicht allein tier Endsylbc des loni- kcrs in einem Illiythmus die unbestimmte Sylbe gestattet, z. B. :

o u uo I o O u

y.at ro f.u] na^ov f^i 7] -Oekeip' ovöe ya() aov tariv, (auf dieselbe Art, Avic in obigem Beispiele: dvancnnuXovg^ sondern der End.sylbe jedes io- nisclien Fusscs als einer ( inelrisclien) Beihe, gleich der trochäischen Dipodie, wodurch denn freilich Verse entstehn würden, z. B. :

u— !— vj— lu u— I

Laut ruft das Schladithorn uns zum Kampf, erhebt das

Schwert muthvoll ,

WO man weniger Gehör, als Theorie besitzen muss, um den gemeinten ionischen B.hythmus:

W. S. e^ t> I #. «. «^ 0 I ». «. «^ 0 \ e. a 7 herauszufinden. Es zeigt sich also, diese Her- mannische Form des lonikers JL ± ^ dem Rhythmus ganz zuvrider, und avo sie, ausser dem Ende wahrer rhythmischer Reihen , bei Hermann vorkommt, ist sie nicht im Vers, son- dern nur in der falschen Hermannischen Mes- sung" enthalten, z. B.:

1^ v^ I— wl— Ol

Denn dieser Vers hat, wie früher erinnert wor- den, folgendes Maas:

Von dem Maas der AuftaJttsylbe. 4oi

o u I

I-O-l Ol

1 1 1 I ^ j I ! I > 1 j j

TOVTi'i öianorag ftpoiag aeyJaj/Accc.

Selbst am Ende rhythmischer Reihen Ist die Missform S J. ^J - und ,j ^ ^ nicht so oft vorhanden, als Hermann sie nachweisen will, z. B. der Vers :

/ , ' ' , r t

\j KJ \J yj I O U— I \J Kr \j \j \ ^

hat nicht dieses von Hermann angegebene un- rhythmische Maas, sondern folgendes ganz mu- sikalische:

KJ ^ u \^ ^ \ u 1 OUÜ o I

^^^^^^! i ^J i ^t^ni ^ \ \ i

B m 0 m. e^ m \4ite. \mmädm \ d. ä.

in dem geflücelten Wechseltanz mit der geliebten Jungfrau^

ohne irgend eine jener Missformen. In den meisten Fällen Ist auch diese Länge zweideutig, wegen folgendes Vocales, oder blosse Position- lange , die am Schluss der llhythmen nicht mehr störend ist, als der Hiatus. i^^Q'J.)

Von dem Maas der Auftaktsylbe. 386. Wir sprechen hier nur vom einfachen Auf* takte, niclit vom zusammengesetzten. (235.)

26

402 A 11 ä«»u einer Tlieil. Vou einer besonderii

Die Auftaktsylbe haben wir schon oben (234.) als eine Thesis aus einer vorhergehenden, aber jiur in dieser Thesis reell vorhandenen metri- schen Reihe kennen gelernt. Dass sie ideell ganz vorhanden sei, zeigt noch die vormalige Art der Bezeichnung, welche die ideellen Mo- mente durch Pausen angab :

- d"l d d I d -

Betrachtet man nun den Auftakt als Thesis der vorhergehenden metrischen Reihe, welche die folgende unmittelbar an sich anknüpfet, so gilt von dem Auftakt dasselbe , was von der verbin- denden Thesis im Allgemeinen (563 ff.) gesagt ist. Soll diese Verbindung anschaulich darge- stellt werden, so erfordert die Auftaktsylbe die repräsentirende Länge , welche ihr auch von den testen Dichtern gewönlich zugetheilt wird, z.B.;

W| W «,»1— W S-|_W_

fi7j TOiv uQiCTtüv UUT6XCI ßovXevfiaxoiv. Sofokle«. Arbeite mutvoll, Träge flieht Glückseligkeit. Voss.

"Wir bezeichnen sie an dem Musikzeichen eben- falls mit dem Häkchen ( J ). Ihr Maas aber ist dasselbe, wie das Metrum es fordert, also kura in iambischen und ähnlichen Versen.

38;. Die Auftaktsylbe ist Thesis einer frühem metrischen (nicht rhytlimischen) Reihe. Wo sie aho im Vers vor einer bloss rhythmischeu

Art der reprasenllrenden Länge. 4o5

Keihe (die nicht zugleich eine metrische an- fängt) vorkommt, kann sie die repräseiuii-ende Länge nicht annehmen, sondern sie bleibt auch prosodisch kurz , z. B. :

Fürwahr, der Argwohn ist der Uibel übelstes. Falsch würde seyn:

Blick' auf! h e 1 1 schimmernd glänzt im Morgenstral

das Schloss.

Denn die dritte Sylbe ist zwar Auftakt einer rhythmischen Reihe, nicht aber zugleich einer metrischen, und duldet daher nicht die proso- dische Länge. Da Hermann i'hythmische vmd metrische Kcihen nicht unterscheidet, so würde nach seiner Theorie auch eine solche Sylbe die Länge annehmen.

Yon einer besondern Art der reprasen- llrenden Länge.

588.

Ausser den angezeigten Fällen der repräsen- tirenden Länge gibt es noch einen, sehr häufig Vorkommenden, aber von den Grammatikern, und besonders von Hermann, durchaus verkann- ten Fall dieser Länge.

Die repräscntirende Länge auf der Thesis ( J^ ) zeigt die Intention an, etwas hervorzu- briogen; was, dem gewönlichen Lauf nach, nicht

^o'-i Allgcuic'i uer 'i'heil. \ ou einer bcsonderu

ZU erwarten war. Mit der Thcsis war eigent- lich die metrliciie Reihe zu Ende, allein sie äussert ihre Kraft über das Ziel hinaus. Diese Intention muss aber nicht nolhwendig auf Her- vorbringung einer neuen Reihe gerichtet seyn ; sie kann in der angefangenen Reihe selbst et- was ungewönliches vorbringen , und die darauf zu verwendende Kraft durch repräsentirende Länge ausdrücken. Dieses ist der Fall, wenn in einer angefangenen Irochäischen Reihe sich ein Trochäus, oder mehrere, in Daktylen, di'ci- zeitige nämlich , verwandeln. Z. B. :

I N > ^ > ! Durch die bläuliche Flut. Hier nimmt der Trochäus vor dem eintretenden Daktylus auf seiner Thesis gern die prosodi- sche Länge an und verwandelt sich also in ci- licn Spondeus:

! > ^ ^ ^ J

Durch biauv/ogtnde FIuU

Dieser Spondeus ist aber ebenfalls nur proso- discherwcise Spondeus ; melrisch betrachtet bleibt er dem Trochäus im Maasse ganz gleich,

009. Der theoretische Grund hiervon liegt in den oben ausgeführten Sätzen. Ls i^t hier bloss

^ 'N ^ > i I i

Art der repiäsentlrenden Längs. io5

nachzuweisen, flass die Dichter, von ihrem Ge- fühle geleitet, diesen Grundsatz befolgt haben. Die Fälle, dass Daktylen nach Trochäen ein- treten, sind besonders in folgenden \erseii ent- halten:

Im Ferekrati sehen Verse:

■Wild a n stürmende Heerschaar , olog y.ai Ilagig tk{}(ov,

im Glykoiiischen Vers:

Non praeter solltum Ices, Horat. Solch' a b scheulichen I\Ioderätaul) ,

im Faliikischen Ilendekasyllahus:

^ •. «^ \ 0 0 m 0 \ et. s. Schön a u f steigendes Morgenroth des Festtags, Et tristes animi levare curas , Catull.

im Asklepiadisch en Vers:

- Z s^ \ ww^I-^-

Nos convivia ros praclia virginum^ Hoiat. Auf blondlockigem Haupt grünte der M}Ttenkvaii:,

in der Foi'm des a n a k r c o n t i s c h c n \ erse^ ;

4o5 Allgemeiner Theil. \on einer bcsondcrn

j^ji\} «^^'!J^l J.J

ixvafit^ufiev /jtovvai'} , Anacreon,' in der monddurchleuchteten "Lenznacht ^

in dem epionischen Vers:

1^ I V «^«^ I »^ I *,» fci*»* I mm

^ I - / »^ « i •. ^ ^ i <) ^ •. tf*^ i «I.

f^f« TiQWTOv (HSV vjraQ/etv navTOiV iarj'/o^iuv»

Empfangt frohlockend im Festschmuck der Jungfraun

tanzenden Chor.

üiberall in diesen und mehren andern ähnli- clien Versen findet man vor dem Daktylus die rcpi^äsentii'ende Länge in der zweiten Sylbe des Trochäus. Diese unbestimmten Sylben haben sowol die Grammatiker, als Hermann, in den Vei'sen bemerkt; allein, weit entfernt, den wah- ren Grund davon einzusehen, erschöpften siclj jene in Aufzälung einer Menge Verschiedenhei - ten des ersten Halbfusses in antispastischen Ver - sen, und dieser verlor sich in die willkürlich- ste und unhaltbarste aller Träumereien, näm- lich in seine Lehre von der Basis, welche schon früher (238 ff.) erwähnt worden ist. Wir "werdeiv später bei den Versgattuugen , die Her- mann nach seiner Basis messen Tvlll, das Wei- lcrc davon anrühj'en und widerlegen,

Art der repräsentlrenden Länge. 4ü7

590. Nach diesem Grund der repräsentirenden Länge dürfte sie auch in trochäisclien Versen Äuf ungleicLen Stellen vor dem Daktylus nicht befremden, z. B. :

Wo dumpflieulend in öder Felskluft jNaclitunholde der

Wolf begrüsst.

Allein, wenn auch die alten Dichter so ge- schrieben haben , so darf man sich doch nicht wundern, dass ilu'e Verse, nach so vieljähriger Bemühung der filologischen Metiüker, nur in der Gestalt auf uns gekommen sind , wie sie mit der Meinung dieser Kritiker übereinstimmen. Bei-- spiele solcher Emendatiouen haben wir an dem Skolion des Hybrias {'^-jQ.) bemerkt. Mehr finden sich in Hermanns Schriften, wo wirk- lich (de Metr. S. 118.) ein Spondeus vor eincDX Daktylus :

TTOvTog, ^.ixcpi 6" dxga yvQiov u()(fvop iGTUTai

V!(fOg, Archilochus. Wenn Gesang, vom "weitaushallenden EarLiton be- gleitet, tönt,

wegemendirt wird. Eben so wird im iambi- schen Vers auf der zweiten Stelle der iambi- schcn Dipodie ( u - 3 - ) die repräsentii'cnde Länge statt finden, z. B. :

Fern hallt Krjegsdonner , die Schlacht beginnt , laut

brülk der Tod,

io8 Allgemeiner Thoil. Von einer Ijeaondeni

aber auch diese dürfte grösstentliells durch kri- tische Emendatioaen vcrscliwunden seyn. In- dessen werden diese Fälle schon darum nicht sehr häufig seyn, weil die bessern Dichter den letzten Trochäen der Dipodie lieber in spoudei- scher als daktylischer Form gebrauchen.

391. Vor dem Tribrachys statt des Trochäen wird die reprasentirende Länge nur dann Platz finden, wenn die erste Sylbe des Tribrachys iichei' und stark accentirt ist, z. B.

Hochzeitliche , sehnsüchtige Wehmut ; nicht aber umgekehrt:

sehnsüchtige hochzeitliche Wehmut.

Denn diese Sylbe ist accentlos. Wo der Tri- brachys charakteristisch steht, um Flüchtigkeit darzustellen, thut man überhaupt nicht wohl, diese Flüchtigkeit durch einen vorschreiteuden Spondeus zu hemmen,

592. In lyrisch zusammengefügten Rhythmen, de- ren zweiter Theil bestimmt die flüchtigdaktyli- sche Form hält, wird die hervorbringende ar- ßisclic Natur der ganzen ersten Hälfte zuweilen

Art der repr'Jsentirenclen Lajige. 4oa

dadurch anschaulicli gemacht, dass diese Jie Trochäen ganz verwirft und bloss Daktylen, oder Spondeen annimmt, z. B.:

Schau hülfreich auf uns, Flutcnbesäaftigorin Heiljges Prachtdenkmal sinkt in den grausen P>.uiu. wodurch der Schein entsteht, als sei der Spon- dcus durch Zusammenziehung der Kürzen im vierzeitigen Daktylus entstanden. Die flüchtigen dreizeitigen Wortdaktylen solcher Verse zeigen aher, dass sie der angegebnen dreizeitigen Mes- simg angehören.

395.

Diese Stellung, so wie manche andre, gab den

.komischen Dichtern wahrscheinlich Gelegcnlieit zu

karikirender Parodie, luid so entstanden vielleicht

manche Verse, die den Gesetzen des Metrum

widerstreiten. Zu diesen gehört z.B. die Form:

O I^

oIk Old' cog i\uag rcvO-^ txcji' , Aristo f. ScJnvermutvoIl aufseufzet der Hain,

die Lei Horati us:

Te Dpos oro , Sybarin, Immerhin sei taub der Musik, Voss.

und andern in reinem metrischen Verhältniss vorkommt, und noch mehr die zweite Hälfte das Metrum Eupolideum j^olyschemalistum :

4io Allgemeiner Theil. Bemerkungen über

ci)X ovo" wg vfiag nod-" ivMv n^cjÖMau rovg d(-*

Itovg.

Schwermutvoll aufseufzet der Hain , laut voll Wehmut

ächzt der Bach.

VielleicLt war auch das Grundschema dieses Verses ein Uiberrest aus der Zeit accentirter llhythmen , von denen die Dichter noch im Ko- mischen Gehrauch machten, so wie etwa in un- serer Zeit der vormals angesehene Alexandriner und der alte deutsche sogenannte Knittelvers noch humoristisch gebraucht wird. Wenigstens wird man, ausser den Komikern, selten odt^' nie dergleichen Versformen antrelFen.

Bemerkungen über die reprasenllrenden Längen und Kürzen.

394. Aus Allem, was über die repräsentirendon Längen und Kürzen gesagt worden ist, erhellt, dass ihr Gebrauch nicht zur Richtigkeit des Metrtim erfordert wird, sondern einzig und al- lein der Schönheit des Verses wegen. Ein Vers bleibt eben so richtig ohne repräsentirende Längen, als mit denselben, aber es mangelt ihm ein wesentliches Stück der rhythmischen Schön- heit, vorausgesetzt, dass nicht vielleicht sein Inhalt den Ausdruck der Leichtigkeit und Schnei-

die repräsentirenden Längen und Iliirzea. 4n

ligkelt fordert, dem viel repräsentirende Län- gen zuwider seyn würden.

595. Bei dem häufigen Gebrauch solcher Längen in alten und neuen Dichtern und nach den vielen Erörterungen darüber in den Schriften der besten Metriker, muss es allerdings be- fremden, wenn man in der neuesten Zeit sogar Lehrbücher findet, in welchen die lange Auf- taktsylbe als eine Nachlässigkeit des Dichters getadelt, und verbessernd in eine kurze ver- wandejit wird, gleichsam als ob der so oft em- pfohlne Gebrauch der Spondeen in iambischcii Versen eine zwar zu bemei'kendc, aber nicht zu befolgende licentia poetica war. So tadelt z. B. D. Gräffe in seiner Anweisung zum Rhythmus (Göttingen 1809.) S. 62. den Vers:

Gott ruft der Sonn' und schafft den Mond ,

und verbessert ihn , seiner Meinung nach , so :

Der Sonn' ruft Gott u. s. w. ,

weil, wie er sagt, die Worte: Gott ruft, feh- lei'haft als ein Jambus gebraucht scyen , da docli das Subslaniivum: Gott, nie kurz werden könne. Dergleichen Tadel des Bessern und Veränderung in das Schlechte findet sicli häufig in diesem Buche, der drolligen Orthomctrio (Frkf. a. d. Oder 1808.) nicht zu gedenken, die

4i2 All gera feiner Thoil. Von der Kraft der

im preziosesten Palhos licxametcjr maclicu ichrt, 'vie sie niclit sevii sollen.

096. Von repväsenlJrcnden Kürzen wird nur die- jenige dem Vcrijjildner zu empfehlen seyn, •«velche dev Schlusssylbe der in der Arsis en- denden rhythmischen Reihe zukommt; denn, inidem sie die Kraft der Arsis seihst in der pro- sodischen Kürze anschaulich macht, bildet sie eine Art von metiüschem Inganno. ]\iir hüte sich der Leser, diese Sylhe zur Länge zu deh--" nen; sie muss vielmehr nach strenger Quantität kurz gesprochen -vvcrden (die Pause erfüllt die metrische Zeit ) wie die kurze iSote in ähnli- chen Fällen vom \irtuoscn vorgetragen -\vird; denn sonst wird eben dieses Inganno zerstört. Hieraus folgt zugleich, dass eine solche Kürze in gereimten Versen nicht als männlicher Pieim jrebrauclit werden kann, so selir sieh auch ei-

o

nige Dichter (z. B. Kosegarten) in Reimen der Art (z. B. Liebliche, frischer Schnee) gefallen mögen.

Die Kürze statt der schliessenden langen Thesis ist immer nur ein Nothhehelf, und ent- zieht dem Veis, besonders in der lyrischen Cä- sur, seine natürliche Schönheit. Sie ist deswe- gen möglichst zu vermeiden.

Aiiiö, ciuc kuiiSe Sylbe zu ■verlangen. 4i7i

Von der Kraft der Arsis, eine kurze Sylbe zu verlangen.

597.^ Mit cTcr Bemerkung p dass die rliytlimisclie

ScLlussIiinge auf der Arsis dui-ch eine K,ür/.e rcpräsenlirt werden könne, verLiuJet sich, die Frage, ob wol üLerLaupt die Arsis die Krafi Labe, eine kurze Sylbe im Kbytbmus an dti Stelle der metrischen Länge zu balten? Es ist dabei nur von solclien Stellen die Rede, wo nicht, wie am Schluss, die metrischen Momente durch Pausen ei'setzt werden können.

In accentirteu \erscn kann zwar die Arsis des Vcrslaktes die Sylbe nicht eigentlich ver- langen, weil hier überhaupt von Lang und Kurz nicht die Rede ist, sondern nur von He- bung und Senkung. Allein die Arsis dts Vers- taktes kann derselben Sylbe Hebung geben, die sonst in der Senkung stehen kann. So steht die Endsylbe des Wortes: Schattendes im ungeraden Takt in der Senkung:

Wölbet ein s ch a 1 1 e n des, j^rünes Gemach, die im geraden Takt in der ilebung steht:

Ihr Zweige, baut ein sciiattendos Gemacli.

Schiller.

.Denn der Irochäische Vers gehört im acccnti- ren den Rhythmus dem geraden Takt an (^liaäa). In der oft erwülinttn Mittelklasse zwischen ac-

!

-iii Allgemeiner Tlieil. Von der Kraft der

cenl'irten und quanlitii'enden Rhythmen verlangt

man zu dieser Hebung , dass entweder die

Sylbe im Worlrbytlimus nicht absolut ihetisch

sey; (darum kann man die zweite Sylbe des

Wortes: Schatten nicht in die Hebung stellen,

wol aber die dritte in schattendes, welche,

wie jedes dritte Moment [ -- yj ), zugleich arsi-

sehe und thetische Natur hat ( 92. Sy'k. ) , und

daher eine untergeordnete Hebung verträgt)

oder, dass die Sylbe wenigstens lang sei,

wenn auch in der Senkung des Wortes, z. B.:

Roichthum vergeht , der Welt Hoheit rer-

schwindet. Vos».

Der bloss accentirte Vers hingegen lässt den Yerstakt über den Wortaccent herrschen. Je mehr nun eine Sprache sich den Qua,ntitätbe- stimmungen eignet, um so mehr fügt sich selbst dtir accentirte Vers den beiden angezeigten For- derungen jener MiUeiklasse.

598. In der flüchtig daktylischen Bewegung wird die Arsis am leichtesten diese Kraft ausüben; denn da der flüchtige Daktylus überhaupt tri- l)rachisches Maas hat, so wird er durch den Tribrachys auch leicht rcpräsentirt. Darum liält sich unter leichten sinkenden lonikcrn

{ J. m^ ^ J^ u u ) auch der erste PäoQ

\«. » dl J i/»j(j)z. 13. ;

Arsis, eine kurze Sylbe zu verlangen. j4i5

Hell stralet des Mondes Glanz dem fröhlicheren

Kachtfest.

und selbst im Hexameter, den man riclitiger als dreizeitigen, denn als vierzeitigen daktyli- schen, Vers betrachtet, z. B.:

und der Gesang auf der Bleich' und die einsam© Flöte des Schäfers. Voss.

mdoiog xe (.wt eaat, <pile txv^s, dtivog t(.

Homer.

599. Nicht so leicht hebt die Arsis die Kürze zur

vollen Länge des Trochäen. Beispiele solcher

Hebungen gibt es zwar unzählige bei alten und

neuen Dichtern:

o Tcsvr,g i?.eiiTal, ö ds 7T?.ov(nog cp'&oveiTue.

zu dem goldenen Praclitschloss , zu der Hütt« schleicht die Armuth ,

allein etwas Sylbenzwang bleibt es immer, eine

absolute Kürze allein durch den Takt zur Länge

zu heben. Ist ein Dichter zu einer solchen

Stellung gezwungen, so ist Vorsicht nöthig,

damit das Metrum nicht gestoi-t werde, z. B.:

yXvxvntxQov uuayavov oQuirov ,

von der blutigen Geissei der Rächerin,

lässt zweifelhaft, ob es nicht vielmehr im Auf- takt:

zu XcsQTX sei. Am sichersten ist es, die Kürze

4 1 G Allgemeiner T ]i e 1 1, Von der Kreft «ler

nur dann an eile Stelle der Länge zu setzen, wcmi der Gang des Verses so entscliiedcn ist, d;-.ss der Leser und Hörer nicht mclir getäusclit werden kann, und auch dann muss die Kürze von der Art SL-jn, dass sie schon im Wort- rhythmus eine untergeordnete Arsis hat, oder doch haben kann, ais eiasylbigcs Wort näm- lich. So hält sich das Wort: schauerlicher nolhdürilig als Doppcllrochäus im Teti'ameter:

llincs bedrohten uns die Schrecken schauerlicher

iMltternacht ,

und wenn die trochäische Bewegung ciamal ent- schieden ist, auch im iVnfang:

1 n des Hains verschwiegne Schatten. Auch ihut man bei solchen leichten Stellungen wohl, die andern Theile des Vei'ses nicht durch viel kräftige Worliüsse und repräsentirende Längen in zu starken Kontrast zu setzen, z. B.:

Df.s so furchtbar wie der Ausspruch ,

Aviirdc steigenden ionischen Piliythmus hören lassen, und:

Zorncifüilt durchzog Poseidon das erzitternde Gewog,

wird durch den dün])en Ausgang des vollenAn- fange« fast komisch x\nd parodirend.

Vielleicht wollte auch Aristofanes derglei- chen Verse (Lysistr. loii.) parodiren:

Arsls, eine kurze Sylbe zu verlangen. 417

ovÖiv iari -Oti^iov yvvuixog u/.taxojTfQOv\,

Nimmer ward durch Weiberlist verderblicheres aus- gedacht,

wenn sie nicht vielmehr so zu messen sind:

J jN^"" I J jN ^N J. .'' .^N J .N

Berg und Thal bewohnte niemals fröhlichere Hirtenschaar.

Auf jeden Fall sind diese Verse Veränderungen des trochäischen Tetrameter; denn wenn auch Hermann v. 1016 und 17 wesemendiren will so geht doch die ganze Stellung nach und nach in die gewönliche Form des Tetrameters über, welche von v. io5o. unzweifelhaft eintritt.

4oo.

Im Hexameter vor der langen Thesis kann sich ebenfalls mit gehöriger Vorsicht die Kürze in der Ai-sis halten:

Vom anhauchenden Winde gekühlt. Voss. Ist aber diese Kürze die erste Sylbe eines Wor- tes und dessen Auftakt, so hält sie sich nicht, weil ihr absolut thelischer Charakter nie der Arsis entfremdet, z. B. :

E r tönt lauter im Feld das Kanonengekrach' und der

Schlachtruf,

oder auch:

Die Schönheit der Natur jn bewunderndem Sinnen

betrachtend,

WO der Artikel zu eng an das folgende Wort

2-7

4i8 Allgömeiner Theil. Von der Kraft der

sicli anscliliGsst, um als lange Arsis Lestelien zu küinien.

Ob der Ilomerisclie Vers (II. 20, 2.):

imcöt] vr,ag re aui EWrtOnovrov lnovro , m dieser Gestalt ursprünglich acht sei, mögen andre entscheiden. Hefästion führt ihn als Beispiel einer Synekfonesis ( Zusammenziehung zweier Sylben iu Eine) an, -wo er: indd-t] eis v^jag u. s. w.

gelesen wird. Auf ähnliche Art steht bei Ae- s c h y 1 u s :

060 V flfP iVVUTflQU U^QOOiV , -O^iOV ds Xttt

|M?;r»;^o i(fvg, und bei E u r i p i d e s :

tJ OT(q,ij Tov qi^.ruTOv ^oc deotVf uyulfiuv ev'i'u,

unter trochäischen Tetrametern, anderer Bei- spiele von Synekfonesen , die Hefästion anführt, nicht zu gedenken.

4ol. Statt der dreizeiligen Länge wird sich eine Kürze höchst selten halten können, ausser am Ende der rhythmischen Reihe, welcher Fall aber nicht hieher gehört. Wo sie in andern Fällen sich hält, da ist es entweder Täuschung durch den logischen Acccnt, der ihr den Schein der Länge gibt, z. B. (5i4.) I ^ li > I I

Das liab' ich ertümpft.

Arsis , eine kurzi^ 5>ylbe zu verlangen. 4ig

oder der einmal eingeleitete Verstakt besticlit

das Gehör:

N {\ ^

0. «^ «

Sanft lönet das Waldhorn in Liebesgesänge;

aber im zweiten Fall bleibt die Kürze immer ein übler ]>iüthbelielf, der den \ers entstellt.

Hermann behauptet zwar, da.«s der ionische Fuss, dessen erste Länge nach unsrer Ansicht dreizeitig ist, in dieser Form: ^ J. ^ ^ vorkom." me . und so schiene denn die dreizeitige Länge durch eine Kürze repräsentirt. Allein diese Form des lonikers exislirt bloss in der Herman- nischen Schule, aber in keinem Vers, in wel- clic sie Hermann nur durch seine ganz vergrif- fene Messung gelegt hat.

So findet er sie z. B. in folgenden Versen (de Metr. S. 558.):

■nuvTfg ig yo\v}' TT^nrijOTfg | t^ioi^ xvv e\6vxc dtanoTuv xui \ (.liyuv ^«at-| A?-;« (pwfe - | oi'Tt.

Das IMaas ist abei', selbst nach Hermanns Lesart :

w »^w I I «^s*«>^— .w«w I

m » »■ 0^ » \ m. 6. \ 0 » tt ». m^ s I #. «. nuprrg f^ yovv ix^nct} - fjrfg t/xot y.tntovTtf

m0 0. \00 0. 0^ä \ S ä ä d \ ä. 0.

420 Allgemeiner l'heil. Von dtr

Tincl so ist denn an jene Unform nicht zu den- ken. Die Saffischen Verse :

dt'dvy.i f.iiv ü. 2ie\(/.vKl Welche Hermann noch als Beleg anführt, sind oüenhar im Auflakt zu messen :

^1— *''^ *-'I— dt - dvxe f-iBv « 2:iluvuj

von ßrautmelodieu des FrüLlings,

und beweisen daher ebenfalls nicht.

4o2.

Leichter hält sich die Kürze statt der Länge des aus der dreizeitigen Länge entstandenen Trochäen, wiewol der schon erwähnte Sylhen- zwang auch hier unvtirkennbar ist. Z. B. :

ort TcavTig ocfoi thqiggov 7}&6?,t]auv (v^iiv. Alabasterne Nymfenchöre hüten dort die Quellüut.

Dass die Stelle, welche hier der Pyrrhichius einnimmt, dreizeitig sey, zeigt sein Wechsel mit dem Trochäus und Tribrachys. Ohne diese llücksicht lässl der \ ers auch die Messung im Auftakt zu:

•^ 1^ [ s^ <^ t,t I I >^ I -

wo der Spondcus aus zwei dreizeitigen Längen besteht.

Bestimmung der Sylbenquantität durch den Ilhythmus. 42i

Von der Bestimmung der Sylbenquanlltäl durch den Rhythmus.

4o5. Das Metrum, wie schon melirmals erinnert worden , ist ein relatives M a a s. Es zeigt nicht an, -welchen Gehalt eine Sylbe an und llir sich habe, sondern bloss, welches Verhältniss das rhythmische Moment, das sie ausfallt, zu den andern rhythmischen Momenten habe, mit welchen es in Beziehung steht. Die Prosodie hingegen betrachtet die Sylben isolirt, ohuc alle iBeziehung aut Wortrhyllnnus, oder Yei'S, und sagt bloss aus, diese sei lang, jene kurz, höchstens: diese schwebe zwischen Länge und Kürze und neige sich entweder auf diese, oder auf jene Seite. Wie lang aber eine Sylbe sei, oier gar, wie viel mal länger, als eine andre, darnach fragt die Prosodie nicht. Man denke sich ohne doch das Gleichniss zur Ungebühr auszudehnen, die Sylben als ein Aggregat von Musivstiften, welche die Prosodie nach ihrer verschiedenen Grösse aussucht. Der Melriker, der seinen J\hythmus mit ihnen ausfüllen will, ■wählt sie nach ihrer Grösse, den Forderungcu eines jeden rhythmischen Momentes gemäss, aus, und zeigt in dieser (prosodischen) Wahl richligeu oder unrichtigen Sinn, wie der Künstler rich- tiges Augenmaass zeigt, indem er den Musiv-

422 Allgemeiner Thcil, Von der

slift wühlt, der die passende Grösse für den Ort liat, dg;i er auszufüllen bestimmt wird.

4ü4. Erst, wenn die Sylbe im Rliythmus steht, bekommt sie dureh diesen ihr bestimmtes Maas. War sie vorher bloss lang, so wird sie nun dreizeilige, zweizeilige, unvollkommene, oder auch repräsentirende Länge , alle für die Proso- die gleich, oder doch nicht nach, bestimmtem Maas unterschieden. So ist z. B. die Sylbe : Meer prosodisch lang, in M e e r herrscher wird sie dreizeilig, in Meergcstad zweizeitig, in Meertirannei ( ^'. J\ ^ J. ) unvollkommene, und im Vers:

Meer fluten theilend zog das ScliilF nach ferriC-ra Ldud,

ist sie repräsentirende Länge.

4o5. Erst durch den Rhythmus wird also die Sylbenquantitä t zum Sylbenmaas. So wie nach Franchino die Notenfigur d zwar lang und diese J kurz bedeutet, aber erst durch den Taktschlüssel (der gleichsam die Uiberschrift ist, und das kurz ausspricht, was der ganze Rhythmus sagt) das Maas der Länge ei'hält, so widerfährt es der prosodischeu Länge durch den Rhythmus, dessen Metrum der Sylbe ihren bc- .slinunlen Gehalt gibt.

üesliinmun^' der Sj'lbeiic[uantitä't durch den n.'.ythmus. 423

Dieses Maas zeigt sich zuei'st im PJiyllimus jedes mehr als einsylbigen Worles, und so Avie der Accent überhaupt noch vor der Quauiilät die Grundform des Rhythmus bestimmt , so auch hängt der Rhythmus des Vv^ortes und das Maas seiner Sylben vom Accent. ab. Um also die Wortrhytlnntu zu beurtheiicn, muss man die wirkliche lebende Aussprache des Wortes genau kennen, die aber freilich in den alten soge- nannten lodten Sprachen Air uns immer in vielen Worten ungewiss bleiben wird, daher wir von ihr nur hypothetiscli sprechen können. Ist es z. B. gegründet, dass die Griechen das Wort üv&QOiTxog auf der ersten Sylbc acccutir- ten, und also im vollen Takt anüngen, so war ihnen der Rhythmus dieses Wortes ein bacchi- scher ( j. j I" ). Die accenlirte Sylbe halte dreizeitige Länge , und sie sprachen es eben so , wie wir das Wort androhen sprechen. Aen- dei'le sich der Accent im Sprechen bei dpßQta- nov, wie der geschriebene sich ändert, so spra- chen sie es dann als einen Spondeus mit dem Auftakt ( J I J J ), wie wir das Wort P roh- st ei wald aussprechen. Es ist ein molossischcr Worlfuss, dsr in der Äliltc die liebung hat, gleichsam ein Acccntamfdjrucliys. Weiss man also Aon einem Wort die prosodische Quanti- tät und den Accent, so findet man den Rhyth- mus desselben, indem man es gegen die me-

4zi Allgemeiner Theil. Von der

Irischen Formen hält, deren jede ihren Rhyth- mus hat,

4o6. Ein Vers besteht nicht bloss aus einzelnen Sylben, deren i'hythmisches Maas noch unbe- stimmt ist, sondern zum grossen Tlicil (die ein- sylbigen Wörter bloss ausgenommen) aus schon rhythmisch bestimmten Wortfüssen. Hierbei entsteht nun die Frage : löset der Pihythmus des Verses den Rhythmus der Worte auf, und .«teilt er in ihren Sylben die bloss prosodische Ouantität her, die er nun selbst durch s^in cigenthümliches Metrum bestimmt? oder, ist der Vers an den Rhythmus der Worte so gebun- den, dass jede Sylbe im Vers dasselbe metri- sche Verhältniss in Ansehung der Arsis und der Quantität behalten muss, "welches sie im ein- zelnen Worte hat?

407. Man erkennt in diesem hier erwähnten Ge- gensatz des Versrhythmus mit dem Wortrhyth- mus bald eine Analogie des Gegensatzes zwischen rhythmischer und metrischer Reihe. Wie in dem gleichmässigen Schritt beider R.eihen der lyrische Charakter (das Singbare), in dem ungleichen Schritt der deklamatorische Charakter des Verses sich zeigt, so geschieht dasselbe im Zusammeotreflen des Wortrhyfhmus

ßestimmung der Sylbenqiianthat durch den R.hythmus. 4^5

mit dem '\^crsrliythmus, und iii dem Abweichen beider Arten von Pihytbmen. Nocb deutlicher %vird dieses Verhültniss, wenn man bedenkt, dass eigentlich der Wortrhythmus nicht sowol mit dem Pihythmus des Verses , als vielmehr mit den meti'ischen Formen desselben kollidirt. Z. B. der llhythmus des Wortes: hochzeit- liche ist ionisch { J. m. J^ J ), im Vers kann aber das Wort gestellt werden:

I e. « 0 \ ti, a Ilochzcltlicho BekräiiEung. düss die Periode päonisclicn Rhythmus hat, und der ionische Worlfuss aus einer Periode in die andre reiclit, indem er einen unvolizäligcn Päon mit dem Auftakt bildet.

4o8. Jene Frage (4o6.) beantwortet sich also nicht im Allgemeinen, sondern immer nui* in Bezie- hung auf den Charakter des Verses. Wo der lyrische Cliaraktcr vorherrschen soll, wird die metrische Form des Verses Wortfüsse von glei- cjicr metrischer Form verlangen , z. B. im Liede. Wo hingegen der deklamatorische Cliai'akler der herrschende ist, z. B. im e])ischen und im dra- matischen Verse, da wird die Verschiedenheit der metrischen Bedeutung, in welclier <lie Syl- ])cn im Wortrhythiuus und iui Versrhythmus

4x6 Allgemeiner T h e 1 1. Von der

erscheinen, dem Yers Lebendigkeit und Bewe- gung erllicilen. Hierdurch v.ird der Vers zum Darslellungsmlllel der Empfindung und die Me- trik trilt aus dem Gebiet der Wissenschaft iu den Kieis der Kunst, wo die Hegel schweigt, und aliein das Gefühl des Dichters entscheidet. In dem Vossischen \ers:

Düsterer zog Sturmnaelit, graunvoll rings wogte da»

JMeer auf,

■wird jeder mehr Bewegliches und Darstellendes erkennen, als in der SteLung:

Düstere Stui-ninaciit zog, und grauiiYoIl ■wogte da«

Meer auf,

WO jeder Wortrhythmus rcr metrischen Stelle, auf welcher er steht, gleich ist.

4c9. Im Schluss des Ves&ss, wo metrische und rhythmische lltiheu sich vereinigen , gleicht auch in der Regel, .selbst im deklamatorischen Vers, der schlicssende V/ortrhythmus der schliessen- den meti-ischen Form. Es ist daher der Gipfel des deklamatorischen Ausdrucks , wenn selbst im Schluss der Worlrhythmus eine, der metri- schen Schlussform ungleiche, Beihe bildet, z.B. wenn im Hexameter der Schlussrhythmus (- - } gethcilt und die erste Sylbe an den vox'hcrge- henden Bliylhmus gezogen wird:

Besümmimg der Sj-lbeiniuauüiät durdi den Rhj'tlimux. 427

Ne quis huraare Teilt Alaccni, Atrida , vetas ; cur?

Horat.

Schonlieit selb^t und Geschlecht giht alles der grosse Monarch : Geld. Voss.

Deswegen empfehlen diesen Scliluss aucli die Aesllietikcr nur zu erhabenen Gegenständen:

vsqeh]y(QSia Zevg , Homer.

Der Herrscher im Doiiuergewölk, Zeus, Voss,

oder zu Parodieen des ErhaLenen :

nascetur ridiculus mus, Horat.

komm doch heraus , Jlaus ! Y o s s.

und ralheu , ^^o er ohne solchen Ausdruck seyn soll, ihn durch ein unmittelbar vorausge- hendes , ebenfalls eiusylbiges Wort zu mildern :

Principibus placuisse viris , no.i ultima laus est,

Dennoch fragt er dazwisclien: wo bleibt mein Töch- terchen? rchläft sie? Wo SS.

wodurch aus beiden elusylügen Worten gleich- sam ein zweisilbiger Wortfuss entsteht. Dass aber die INIetriker, die jedem einsvlbigen Hexa- meterschluss den pathetischen, oder parodirenden Charakter beilegen, die Wahi'heit verfelilen, zeigen mehre einsylbigc Schlüsse, in denen mau jenen Charakter nicht bemerkt , z. B. :

Home r. Quod tiLi deläto Ortygiam dicturus Apollo est. Virg.

428 Allgemeiner Theil. Von der

Ist nicht Frau Bischöfin gesellt ilim : dennoch erzählt

man. Voss.

Denn UHsträflich zu scyn in Kircli und Hause begelir'

ich. Ders.

Soll jene Wirkung hervorgebracht werden, so muss ein rhylhmischer Einschnitt vor die Sclilusssylbe lallen, der sie von der vorherge- henden trennt. Ein kräftiger Wortfuss bewirkt oft einen solchen Einschnitt, hauptsächlich aber ein Hauptwort als Schlusssylbe, das sich durch den Gehalt seines Begriffes von dem vorhergeh- enden trennt. Die Stellung z. B. :

Denn nicht Hekatomben begehr' ich, ist unwirksam, weil das Pex'sonwort sich nicht genug von seinem Zeitwert trennt. Anders ist:

Denn nicht Hekatomben begehrt Zeus, WO das Schlusswort einen abgesonderten Begriff enthält, und also von dem vorigen mehr ge- trennt erscheint. In der jNIusik ist der Ge- brauch dieser Stellung sehr häufig, aber der harmonischen Verhältnisse wegen nicht immer von so auffallender Wirluing, als die volle Cä- sur vor der Schlasslhesis im Vers. Die meisten Male gleicht sie nur dem einsylbigen Schluss- wort ohne Cäsur,

Im gereimten Vers dagegen scheint diese Stellung auffallender, besonders im Deutschen, wo wir zu sehr an die klanglosen weiblichen

Bestimmung der SylbeuqiiantJtät durch den Rhythmus, 429

Ausgänge: Sonne, Wonne, Leben, Stre- ben, gewölmt sind, so dass manche Kritiker diese stumpfen Reime als Regel, die volltönen- den hingegen, z.B. Wahrheit, Klarheit, . oder gar: machtvoll, prachtvoll, als Re- gellosigkeiten und Härten betrachten. Manche nennen dann auch wol ihre Ungewandtheit im ^ Handhaben der Sprache den Genius derselben, der das nicht gestatten soll, was ihnen nicht leicht genug wird. Den Reim aus zwei Worten , z.B.: . der nichts minder ar*; wohnt, als dass die Braut bleich und erstarrt im Sarg wohnt,

duldet diese Kritik noch weniger. Erkennt man aber weibliche, in beiden Sylben volltönende Reime überhaupt für vorzüglicher an , als die, durch halbstumme Endsyl])en E und En abge- stumpften , so verliert sich auch das Auffallende in dem doppelten Reimwort, sobald nur nach der ersten Sylbe kein Einschnitt folgt. Die Stellung z. B. :

Der Bursch' im Mastkorh war noch euer Heiland, Euch rettete vom Tod sein lauter Schrei: Land!

setzt durch die Cäsiir die Relmwortc in auffal- lenden Widerstreit, und möchte daher bloss zum komischen Gebrauch dienen. Uiberhaupt muss im Gebrauch soh'her Reimstelluugen ein feiner Takt den Dichter leiten, dass er nicht eine ernst gemeinte Stelle durch Anklang des Koniisclicii verderbe. i'j'nc zu schwerfällige

43o A 1 1 s c m c i n c r T Ii e i I. Von iltr

Stellung kann dieses bewirken, und ehen so eine zu leichte prosaische. Die heroische Stanze des romantischen Epos gibt besonders in ihren Schlusszeilen einen schicklichen Ort für der- gleichen Pveimstellungen; denn der Humor luid die leichte Ironie des romantisch - epischen Ge- dichtes vertragen gern seihst den Anklang des Komischen, der so leicht durch jene volltönen- den Reime in zwei Worten entsteht. Voss wollte in seinen bekannten schwergereimlen Oden wahr- scheinlich nur den Missbrauch, vielleicht auch die Misgeburten mancher Dichter, die aus Un- behülflichkeit schwer reimen, parodiren. Denn gegen die Reime : Aga, Bragaj Tuba, Juba; Sion, Kronion; Vv^ermut, Schwermut, lässt sich nichts einwenden, und Voss selbst empfahl späterhin i b e r B ü r g e r's Sonette, in der Jenaischen A. L. Z. 1808) sehr nach- drücklich die volltönenden Reime: Indus, Pindus; Seemann, Lern an u. a. m.

Einigen Eiufiuss auf die Brauchbarkeit sol- cher Reime hat allerdings die Versgaltung, in welcher sie vorkommen. Göthe's :

Mfin Busen , der vom Wissensdrang g e Ii e i 1 1 ist, soll keinen Schmerzen Iviinftig sich verschliessen , und was der ganzen Menschheit zuge theilt ist, will ich u. s. w. wird im dramatischen V^ers wenig auffallen , und verliert im Gegentheil von dem Charakter die-

Bestimmung der S^'Ibenquantltk'i durch den Rhyllimus. 451

scs Reimes durch den verscliiedenen Acceut (geheilt ist, zugctheilt ist) beider Pieimworte bei der durch einen Zwischenvers getrennten Stelhing. Stärker würde der Effekt dieses E.cir mes seyn, wenu nicht der erste und dritte , son- dern der zweite un(i vierte Vers, als die eigent- lich schliessendeu Verse, mit zwei Worten reim- ten.

In lyrischen Versen ist diese Art Reime nicht wohl zti gehrauchen, wiewol in Balladen be- sonders in alten englischen, sie nicht selten ge- funden werden , z. B. :

and hooly, hooly, 1 e f t h i m , and sighan say d , slie coiild not stay/ since death of life had reft Iilnu

od

er;

beg'd to be buried b y h i m aud sore repented of die daye

that slie did ere dcnye Iiim."

Dass Assonanzen sich in zAvei Worte theilen können, leidet keinen Zweifel. Im Deutschen ist zwar die Assonanz schon von mehren Dich- tern gehrauclit worden, aber in weiblichen En- dungen gewönlich nur mit dem stumpfen Aus- gang, z. B. Adel, Vater, bahnen, wiewol die deutsche Sprache an zweisylbig volltönen- den Assonanzen niclit ganz arm ist, z. B.:

43 i AIl'jemeJnerThcil.

Mutter, schweig mit solchen Worten!

Wahre Liebe liebt nur einmal,

liebt die Qual noch des Verlustes ,

drum ist Liebesclinierz unheilbar.

Glaub» nicht, weil er mir treulos,

dass ich Groll ihoi heg' und Feindschaft.

U. S, W. Unter solclicn Assonanzen -wird auch die Thei- lung nicht auffallender scheinen, als am Hexa- nieterschluss, oder im Beim. Die Cäsur zwi- schen den assoaireuden Sylben wird dagegen fast dieselbe \ orsiclit im Gebrauch fordern, als die Cäsur zwischen den Worten eines iheli- sehen Reimes.

4io. Voss war der erste , der diese Stellung der Wortrhylhmeu gegen die metrische Form in deutschen Versen gebrauchte. Es darf nicht befremden, dass die, mit den Versen der Grie- chen und Pvömer unbekannten, Deulschen an- fangs einigen Ansloss an dieser Behandlung nahmen, welche den, durch bloss lyrische Vcrs- gattungen Verwöhnten, fremdartig vorkommen mussten. Dass aber die Filologen, die sich vertrauter Bekanntschaft mit der klassischen alten j^oetischen Literatur rühmten, die Vossi- schc jNachbildung nicht begrilfen, und deswegen verunglimpften, dürfte wol clAvas befremdend scheinen, wenn man nicht wüsste, wie leicht

Von dea Veränderungen des Rhythmus. 433

filologisclie Metriker in Einseitigkeiten hefangen werden, die sie hindern, ihre Götter in andern Tempeln, als den selbsterbauten, wieder zu er- kennen. Klopstock, dessen Hexametei' nur in einzelnen Ausnahmen die Vergleicliung mit dem homerischen ausliält, soll dagegen nach man- chen dieser Filologen sogar die Griechen oft übertroffen haben. So mächtig ist Vorurtheill

Von den Veränderungen des Rhythmus. 4ii. Unter dieser Aufschrift soll nicht Herman's Kapitel mit derselben Rubrik (Metrik, Buch I. Kap. 6.) kommentirt werden; denn wir sind nicht der Meinung dieses Metrikers : es gebe einige beschwerliche Rhythmen, die durch an- dre gemildert werden müssen. " Eben so wenig möchten wir die Veränderungen des Rhythmus für eine „willkürliche Einrichtung der Dichter" mit jenem Meiriker halten, bei dem die Will- kür der Dichter sehr oft die Stelle der Theo- rie und fester Grundsätze vertreten muss. Hier soll gezeigt werden, wie ein Rhythmus, sowol' in seiner Bewegung, als in seinem Metrum, verändert werden könne, ohne seinen wesentli- chen Gesang zu verlieren.

4l2.

Ein Rhythmus wird in Ansehung der Be- wegung veräudert, indem die Form seiner

a8

43* Allgemeiner I'heil.

melrlsclicn Periode mit tler einer aii<lern ver- tauscht wird. So ist die ionische Form eine Veränderung der trocliülschen Periode, und es darf cialier nicht befremden, •\venu in einem ionischen Verse statt des lonikers die trochäi- sche Dijjodic steht. Z. B. :

£1 Hat ßuGilivg nKfV'/Mg , ojg ^i/7]Tog uxovaou. Schön waren die goldnen Träume, unhold das Erwachejä,

Ehen so sind folgende beide Verse:

'^Hq^v nore cpaatv Jia tov xiQitr/AQuvvov ,

Laut rufen die frohschailendeu Waldhörner zum

Festrcilin, und:

^ w I -.»»/ («y I _W ^ (

(xig nevr^g ■9£lo)v i'/^ttv, y.at TtXovGiog nkcov Gj^fii^,

Haben will der Arme stets, und mehr begehrt, wer

viel hat,

sotadlsche Verse. Wie der loniker, so sind aber auch die Formen: J. J ^ und J «j ,. ,N «' Formen der Periode des gemischten Metrum, und deswegen schickliche Variationen dieser Pe- riode j daher stehn sie ebenfalls im ionischen Vers , und folgender :

i.j^^j" I J.J j' I J/.\'^jN J.J

nut TOig fieyaloiotp ttaitoig yfyijd^fv 6 xonfiog,

Hell schimmert im Mondstral die leichtgekräuselta

Meerflut,

Von den Veränderungen des Rhythmus. 455

ist gleiclifalls ein sotadisclier Vers, dessen Mes- sung Hermann (M. §. 333.) ganz verfehlt so:

t t I t r r f

___W,^ I __«,_ 1 w W.W I M*

3ta* TOtg (^isyaXotGiv y^anoig ysyrj&ev 6 noaiiog,

aufstellt, wiewohl seine angenommene Lesart: fieyaXoiGiv statt {.isyaloig^ den Vers verbessert, denn :

iitti TOtg ^iyuXoig xaxoig yfy?]&av 6 KOGinogf hell schimmern im Mondesstral die Wellen der

Meerflut , klingt zwar nicht fremdartiger im sotadischen Vers, als die Verlängung der Kürze zu Anfang:

r

o Tcevtjg ikeetTcce, in dem grünenden BuchhaJn,' allein zu empfehlen ist eines so wenig, als das andre, und war auch die Hermannischc Lesart nicht Wiederherstellung, so ist sie doch gewiss rhythmische Verbesserung. Eben so steht der erste Päon statt dts lonikers im sotadischen Vers :

J J\' .^ I J..\^J^ I J.J^^^.^ I J.J.

Clocfcenton erschallt in den Gesang fröliches Danlliöd», wo Ilcrmanu's überladendes intfiniiTTome ganz

<436 Allgemein fcr Theil.

unnöthig ist, und überdies einen andern B.hyth-* mus gibt, als der Yerbesserer will, nämlich diesen :

u o 1 uO— 1 oo I

J .N .M.':.'*j\'. I J.j\^^ I J.i

Glockenton erschallt in das Lied froh dankender Andacht

oder auch mit der repräsentirenden Länge, diesen :

u Ü I v^-UO I uw I

er will aber, nach dem gesanglosen Schema;

uu

(_) <_' I t)vj I U(J i

'^layv^oi YQuq.övTl Inenninxfäiis j^eküvt],

welches Dreiviertel- und Sechsachteltakt unter- einander wirft. Manches zu Hülfe gerufene Di- gamma wii^d als unnöthig erscheinen , wenn man durch das Vernehmen des wahren Rhyth- mus sich überzeugt, dass ihm die Kürze an sol* clien Stellen eben so natürlich ist , als die Länge, Die spondeische Form ist schon mehr- mals im sotadisclien Verse nachgewiesen wor- den , z. B. :

I OOU 0(J I —u u I

d. m. \ s »• o^ 1 \ d m ä ä \ ». m. QtiGcv didoi-uvrfV uyaOi^v cpvluaoe cuvtou

V.einlaub in dem Gelock, den Pokal bekränzt mit

Efeu.

Von d«n Veränderungen des Rbytlmnis. k'Si

Was würde man wol von dem INIusiker denken , der diesen musikalischen Pvliytlimus so llieilte:

So misst Hermann diesen Vers :

oi]Qiv didoi.uvnv oiya<^nv q.vXÜGae aavuo. Da die kretische Form ebenfalls dem ge- mischten Metrum gehört, so steht sie auch, wiewol von den Metrikern verkannt, in dem ionischen Vers, z. B. :

J.J. I j;j. I J.J.N J.J.

rouTO) de(T7T0Tug ^ivoiug a(y.h',i.iai. ,

Schon webt blutge Seh aar furchtbar das

Schlachtnetz ,

und man sieht aus diesen Beispielen, dass der Regel nach in jedem Rhythmus die Formen sei- ner metrischen Periode unter einander verwech- selt werden können, ohne dass der Rhythmus dadurch etwas anderes erleidet, als die Varia- tion seiucr Bewegung. Ausuahmcn werden hald angezeigt werden.

4i5. Diese Verlauschharkelt der mclrlschen Formen haben die Metriker bisher nicht anerkannt , und daher dieselben Rhythmen oft fiir ganz verschie- den angesehen, oder auf die wunderlichste Art zerrissen, weil sie die Gleichheit der rhythmi-

4 53 Allgemeiner Theil.

Süllen Form unter der Manniclifaltigkeit ihrer Hewegung verloren. So will Seidlcr cinea doclimisclien Yei-s, z. B.:

wegen des zweisylbigen Auftakts nicht für einen doclimischen, sondern nur dem doclimischea iilmliclien Vers gehalten haben, als oh:

wegen des zweisylbigen Auftaktes kein iamhi- scher Yers war. Andre Metriker wollen den Griechen ein so üherfeines Gehör zuschreiben, dass sie die Vertauschung des K.retikus z. B. mit dem Ghoriamb:

O KJ \J %j

Uiberall tönt Jubelgesang','

anstatt t

o u<^— o Rlngsher tönte der Jubelscliall j

nicht hätten ertragen können; gleichwol sollen sich diese feinhörenden Griechen, nach densel- ben Metrikern, den Diiambus :

<J c

Belvüramerniss ,

Statt des lonikers:

U Ü

Weliklagencle ,

und die Form:

" Voii ilc'U Veräaderuaijen dts Kiijihaius. 439

u u vj Justizverwalturg ,

alalt der doclimischeu,:

w U '

Vernachlässigung , haben gefallen lassen, weil eine Thcorif die iiiclil verstandenen Verse in solclie Formen aus- einanderwirft. Wir haben theoretisch die me- trische Gleichheit der Formen ( in jeder Ai't des Metrum) abgeleitet und erwiesen, und zugleich die wirkliche Vertauschung dieser Formen un- ter einander in den Versen aller Dichter auf- gezeigt. So kann wol weder von der metri- schen, noch von der filologischen Seite ein Zweifel gegen die Sache übrig bleiben.

4i4. Bei aller Veränderung der rhythmischen Be- wegung muss doch die charakteristische Gestalt des Rhythmus unverändert bleiben 5 sonst ent- stände nicht ein veränderter, sondern ein andrer Rhythmus. Deswegen duldet die Schlussform eines Rhythmus keine Veränderung. Was Schluss- form sei , begreift sich leicht aus dem, was oben (210 fr.) von den rhythmischen Schlussformen gesagt worden ist. So wie man diese Schliiss- form variirt, so entsteht ein andrer Rhylhmtis. Die erste Hälfte des galliambischeu Verses z. I>. schliessl in der spondeischeu Form :

44o Allgemeiner Theil.

UO I KJ f-> I

.^^IIJ^J^J- I J.J

in der giündämmenidcn Waldnacht ^ wollte man die kretische Form beschliessen las- sen, so entstand ein ganz verschiedener Rhyth- mus;

Owl uu I w

in der gi-ündämnaernden Waldesnaclit,

Verse, in welchen der Pvhythmus nicht noth- wendig am Schluss des Verses endet, sondern ohne bestimmte Cä&ur aus einem Vers in den andern übergeht , z. B. in Systemen , die gleich- sam ein langer Polymeter sind , haben eben we- gen dieser Natur keinen bestimmten Schluss, lind wechseln daher an jeder Stelle, auch am Ende des Verses, mit andern Formen. So kann in einem iambischen Systeme der einzelne Vers mit der tribrachischen Form statt der iambi- schen schliessen:

uo

was im selbständigen iambischen Vers fehlerhaft ßcyn v/ürde. Eben so duldet der dochmische ^er«, bei fortgehendem Rhythmus, die A.uflö- sung seiner Schlusslänge (Auflösung ist Verän- derung der Form) in zwei Kürzeu;

VJU

O s-f U— O

Schon zog feierlicher Triumfeug hersn,

Von den Voränderuagen des Rhythmus. . 44i

nicht aber am eigentliclien Schluss des Rlivth- mus. So findet auch hier Bestätigung, was frü- her (383.) erinnert wurde, dass am Versende, oder in lyrischer thetischer Cäsur, die Auflö- sung der Arsis den Schluss entstellt, wenn man, z. B.:

0(J

O w l Kj %j

Uiberall umtönt von Melodie ,

Statt : u m t ö n t von Wohllaut, künsteln wollte. Nur wo es nicht um Festhaltung der lyrischen Cäsur zu thuu ist, sind solche Stel- lungen anwendbar. Beispiele aus alten Dich- tern, welche die erste Tetrameterhälfte mit auf- gelüscter Arsis schlicssen, sind, besonders bei Euripides, nicht ganz selten:

JcK^dccvov TCQog do)jiic(&', 'Elivriv ^Tfvileoig onojs

UiS uq" '/(piyiveiup 'Elsvi^g voGTog tjp TcsiiQoinsvoi. •i &vYC(TiQ, ^xsig in oh&goi y.ui av , -auc fir^rr,^

indessen werden alle Beispiele nicht beweisen, was die Natur der Sache widerlegt. Auch wird man selbst in dergleichen Beispielen nicht leicht den vollen lyrischen Schluss auf der zweiten Dipodie finden, sondern die Cäsur des Verses fällt gewöhnlich auf die deklamatorische Art, früher oder später.

44i Allg(#meiner Theil.

4i5. Die Stelle vor der rhythmischen ScMuss- form verlangt zwar prosodischc Reinheit, d.h., sie nimmt, in der Regel, nicht die repräsenli- rende Länge an; allein dieses hindert nicht, dass sie mit andern metrischen Formen wech- sele. So wird zwar der glykouische Vers,

o-^ot» u

schönaufglühendes Morgeuroth ,

nicht die vorletzte SylLe prosodisch verlangen :

heissaufgliihender Ivlittagsstral } allein es ist kein metrischer (wenn auch viel- leicht mancher ästlietische ) Grund vorhanden, warum der Trochäus vor der Schlussarsis nicht tribrachische, oder flüchtig daktylische Form an- nehmen sollte , z. B. :

O U O Kf ~~

Dunkles Hains hochwipflige Pracht.

So viel Widerspruch auch dieser Salz bei den Metrikern finden mag, so wird doch vor seiner Verwerfung wenigstens seine Widerlegung nö- thig seyn,

4i6. Die Regel, dass im Vers die verschiedenen Formen der metrischen Periode mit einander vertauscht werden können, leidet indessen ei- nige Ausnahme.

Von deil Veränderungen des Rhytlimus. 445

1. Verse, die einen bestimmten ruliigen Gharakter haben und aussprechen sollen, ge- statten jene Vci-tauschung der Formen nicht. Dahin gehören die eigentlich dramatischen Ver.s- gattungen (nicht die lyrischen Verse in Dramen). Im iambischen Trimeter z. B. würde es un- schicklich seyn, die antispastische Form mit der iambischen wechseln zu lassen.

Z - ^ - \ "^ s..|w_w_

Gelegenheit macht oft Helden und Köm'ge, anstatt :

w_Vrf_ 1 Z> ^ " I w/ 1^

Gelegenheit macht Helden, macht selbst Könige.

Eben so würde im trochäischen Tetranieler des Drama die ionische Form unschicklich statt der trochäischen stehn :

Unsicheren schlimmen Rathschluss fasst im Zorn des Menschen Sinn,

und nur im komischen Gebrauch möchte eine solche Stellung, z. B. des Päon statt der Dipo- die (399.) zu rühmen seyn.

Indessen sind auch diese Versarten nicht so fest an eine einzige Form gebunden, dass keine andern Zeitfüsse, als die herrschenden, z. B. Trochäen, in ihnen Yorkommen dürften. Auch in ihnen können verschiedene Formen wechseln, jedoch ßichl Formen aus Momenten

444 Allgemeiner Theil.

verschiedener Ordnungen zus.immengesetzt. Der trocliäische und iambi^clie dramatische Vers duldet daher, statt des Trochäus, den Tribra- chys und den Daktylus, welche auch seihst bei den tragischen Dichtern nicht ungewöhnlich sind z. B. :

xat yaicc nohloiv ovofiuTOJv (lOQcpr} fna. Aesch.

Viel treibt die Armuth in die Gefahr unwürd'ger

That.

Denn Tribrachen sind eben soAVol rhythmische Grundformen, als Trochäen, und eben so die flüchtigen Daktylen, welche die Tribrachen re- präsentiren (iii). Uiber diesen Gegenstand, nämlich über die Zulässlichkeit der Daktylen und Anapästen im tragischen Trimeter hat be- kanntlich Hermann in seiner Vorrede (gegen. Porson) zur Hekuba des Euripides, sehr weit- läuftig und gelehrt gehandelt, ohne doch auf ein sicheres , nicht bloss subjektives , Resultat zu gelangen. Denn die Behauptung: die Ana- pästen stören den iambischen Pdiythmus, und dürfen dalier nur in unentbehrlichen Eigennah- men, z. B. Agamemnon, oder in ungern ent- behrten poetischen Prachtworten, z. B. Ixaroy- KUQ^vov gebraucht werden, ist doch kein siche- res festes R^esultat zu nennen, da Hermann die Anapästen vierzeitig misst und sie deswegen durchaus verwerflich finden müsste, möge das

Von den Veränderungen des Rh^-thmus. 445^

Prachtwort nocli so brillaut seyn. Die Anapä- sten und Daktylen in trocliäiselien Reihen sind aber dreizeitig und stören den iambischen Rhyth- mus nicht. Metrisch also finden sie in dem Verse Statt, ob sie aber mit dem ästhetischen Charakter des Verses im Widerstreit sind, ist eine andre Frage. Ausführlich wird hierüber in dem Abschnitt von iambischen Versen ge- handelt werden.

417.

2. Die zweite Ausnahme machen Verse, de- ren Form überhaupt als unveränderlich festge- setzt ist. Dahin gehört: der heroische He- xameter, der bloss mit Daktylen und Spon- deen wechselt ; denn einzelne Trochäen, Anapa- sten, oder Proceleusmatiker gehören unter die Unregelmässigkeiten. Ferner die Verse in den Strofen lyrischer Oden, als der alcäische, saf fische Vers und ähnliche. Dergleichen Verse dulden in den Oden selbst durchaus keine Vertauschung der metrischen Formen, wiewol sie, einzeln genommen, dieselbe lyrische Frei- heit haben würden, wie andre. Der Vers z.B.:

Noch tönt der Nachhall feierndes Jubelgesangs, i^t eine Veränderung das Alcäischen Verses , der mit dem Kretikus statt diesen Choriamben schliesst; gleicliwohl würde man in der Alcäi-

446 Allgemeiner Theil.

sehen Strofe ihn nicht brauchen können. Bei diesen so ganz bestimmten Formen finden nicht einmal Auflösungen und ZusammSnziehungen Statt. In der alcäischen Strofe würde z. B. der

Vers:

Durch das kannibalisch wüthende Rä'ubervolt,

nicht Statt haben, es war denn, dass ein Dicb- ter diese Form absichllich durchführen und da- durch eine modificirte alcäische Sti-ofe bilden wollte, wie man ia neuen Zeilen eine durch vei'schiedene Stellung des Daktylus modificirte safüsche Strofe gebildet hat.

4i8. "Wie die rhythmische Bewegung bei gleicher metrischer verändert werden kann, so kann auch umgekehrt die metrische Bewegung bei bestehendem Rhythmus verändert werden. In der Musik ist die Sache bekannt : eine Melodie z.B. im Viervierteltakt kann leicht in den Sechs- achteltakt transponirt werden, und man wird keine Folge von Variationen finden, wo nicht eine, oder mehre den Takt änderten. Was aber vom musikalischen Rhythmus gilt, beruht auf allgemeingültigen Sätzen, und. gilt mithin auch Vom Versrhylhmus. Bei solchen Variationen niuss immer die Periode der Periode gleich bleiben, und die accentutt' Kürze wird durch

Von dea Verduddruiigt-a de« iUiyt}imus. 4'i7

Läno'e, oder umgekehrt, diese durcli jene reprä- sentirt. Der vierzeitige Rhythmus z. B.:

V

In eilendem Fluge Teriausclien die Stunden,

verwandelt im gemischten Metrum seine zv,ei- zeitif^e Länge, die ein Hauptmoment füllt, in die dreizeitige, die ebenfalls in dem gemischten. Metrum ein Hauptmoment füllt, und die accen- tirle Kürze wird zur zweizeitigen Länge. So entsteht der Lacchische Vers:

j^ 1 j. j .M j. j ;^ I j. j J' 1 i j- -, I wi i

In rastloser Arbeit entfliehn uns die Stunden.

Wollte man in das molossische IMetrum varii- ren, so entsteht der bekannte ionische Vers:

^ ^ 1 _«^w I -^ - ^ ^ I _-ww I --

Wenn im Frühroth das Gewölk glüht, bis der Nacht-

tliau sich herabsankt ,

der im tripodischen Metrum noch weitere und mannichf»ltigere Veränderungen zulasst.

419. Dergleichen Veränderungen werden zwau nicht oft in Gedichten selbst vorkommen, wie- Wül sie die Wedisclge.^ärigo besser, als ganz

-iiS Allgemeiiier Thell.

vcrscliiedenartlge Pvliytlimcn , zuweilen cliarak- lerisiren würden ; allein hier ist der Punkt, von wo man einsieht, wie die Musik nicht an das Jauchstäbliche Yerhältniss des Gedichtes gebun- den ist , sondern das Recht hat , den Rhythmus desselben auch in verändertem Metrum zu be- gleiten. So wird es möglich, dass vierzeitige Melodieen zu Gedichten in dreizeitigem Rhyth- mus komponirt werden können. Dem Musik- rhythmus z. B. :

i^^^^^^l^

würde , streng genommen , nur ein vierzeitiger Versrhythmus entsprechen :

Rings umher durchhallet die Nacht Liebesgesang voll

Sehnsucht.

Allein folgender :

Rings ertönt auf blühender FIuv Liebesgesang und

Festreihn,

Tviewol er dieses Maas hat:

j jN j' I j^^.^i 1 .^^jN .m j.j;

Te Deos oro Sjbariu cur properas amando ,

lassl sich bequem mit jenem musikalischen be- gleiten; denn was hier Kürzen sind, triftt dort auf den schlechten Takttheil, und so führt die Musik durch ihre vierzeiligeii Mclodieeu dio

Von (ien Veränderungen des Rhythmus. 449

CTuantitirenden Rhythmen auf die Natur der ac- centirten zurück, was, wie die Folge zeigen wird , durch den gregorischen Kirchengesang im Gi'ossen bewirkt wurde. Ob die alte griechi- sche Musik im vierzeitigen Metrum dreizeitige Rhythmen begleitet habe, lasst sich, wenn auch nicht bestimmt verneinen , doch aus vielen Grün- den bezweifeln. Sie ging höchst wahrscheinlich mit den Versen Schrill vor Schritt, und jedes Moment hatte seine eigene Sylbe, wo es nicht auf eine Pause traf. Man sollte daher um so mehr envarten, dass nur aus der Musik Aufklärung über die alten Rhythmen zu erwarten sei, und da die Gleichheit unsrer neuen Musikrhythraen mit alten Versrhythmen uns so oft entgegenli*itt , wie hier ebenfalls in dem angeführten horazi- schen Vers, so sollte das alte Vorurtheil der gänzlichen Verschiedenheit alter und neuer Mu- sikrhythmen wol endlich als blosses Vorurtheil erscheinen.

Dagegen ist allerdings, wie mehrmals schoil bemerkt, die Art, wie die Musik unsrer Zeit den Rhythmus eines Gedichtes modificirt, sehr von der Art verschieden, wie die Musik der al- ten Zeit sich dem Rhythmus des Gedichtes an- «chloss. Uiisre neue Musik transponirt nicht allein öfters den Rhythmus aus seinem eigen- thümlichen Metrum in ein anderes; sie behan- delt ihn zugleich mit einer Freiheit, welche

29

45o Allgemuiuer Theil.

das grieclilsche Alterthum , bei der Un Vollkom- menheit der Musik als selbständiger Kuust, Wahrscheinlicii nicht kannte.

Unsre Zeitgenossen haben die Revolution im Gebiet der Tonkunst, aus welcher die, nicht jnit Unrecht so genannte, deklamatorische Musik, hervorging, zum Theil selbst durchlebt. Ohne uns in eine Geschichte des Streites für und gegen diese Gattung einzulassen, sei hier bloss an das erinnert , was wir oben ( 54 IF. ) über die Freiheit des Deklamators bei metri- schen Stellen erwähnt haben. Das Subjektive der Deklamation in der Behandlung der einfa- chen und erweiterten Fermate kann selbst wie- der Objekt der Musik werden , welche dann die Bestimmung, die der Versrhythmus durch die Deklamation erhalten hat, als eigentlichen P\.hyth- mus desselben annimmt, und auf dieselbe Art behandelt, wie anderwärts die, durch Deklama- tion nicht modificirten, Versrhythmen. Kenner der Musik werden einsehen, dass diese Behand- lungsart eine selbständig gewordene Instrumen- talmusik voraussetzt, die man im klassischen Alterthum zu ei warten keine Veranlassung findet.

Eine andre Freiheil, welche die Musik über denVersrhytlnnus ausübt, nämlich einzelne Syl- ben so lange zu halten, dass sie einer ganzen Folge von Tönen als Träger dienen, wodurch

Von .den Veränderungen des E.hythinu5. 45i

die Stimme des Sängers fast zum Instrument wird , war vielleicht dem klassischen Aiterlliume nicht so ganz fremd, als die Gelehrten behaup- ten wollen; wenigstens finden wir Spuren da- %'on im Kii'chengesang der ältesten Zeit , wo er dem griechischen Gesang auf das genaueste nachgebildet wurde. Die rohen Gesänge meh- rer wenig kullivirter \ ölker zeigen ein ähnli- ches Absingen mehrer Töne auf derselben Sylbe, so dass man in den ersten Zeilen der Musik bei den Griechen ein solches Dehnen der Syl- ben nicht unwahrscheinlich finden kann. Viel- leicht dauerte aucli diese Art des Gesanges noch neben dem spälern, rhythmisch geregelten, fort, wie auf ähnliche Weise in Rom der Gesaug des saliarischen Gedichtes und der Gebrauch an- drer accentirten \erse neben den (Juantitiren- den fortdauerte.

Dieses Foitsingen mehrer Töne auf Einer Sylbe ist allerdings oft gemlssbraucht worden; allein an sich ist diese Behandlung dem voU- kommncu Gesänge nicht durchaus fremd, und bei volistimmigem konlrapunktischen Satz, schon, der Struktur des Ganzen wegen, oft erforder- lich. Allein, auch abgcsehn von diesem Mecha- nismus, ist das Forthalteu einer Sylbe auf einer Folge von Tönen oft, als Darsielliingsniittel, You kräftigem Eü'ekt und unentbehrlich, wo es der Mii^ik zvdiommt, die Empfindung fortzu-

4J3 Allgtmciner Thejl,

halten, welche in gleichem Scliritt mit den Worten des Gedichts zu schnell vorübereilen würde. Der Dichter, welcher die Opersituation YOn der Situation des Schauspiels zu unter- scheiden weiss , steht auf dem rechten Gesichts- punkt für die Beurtheilung des Komponisten, der, wo die Idee des Gedichtes musikalischen Ausdruck fordert , diesen gewährt , ohne sich von dem Buchstaben des Gedichtes irre leiten zu lassen. Man muss in der That mit den fi- lülogischen Nichtmusikern an der engen Vor- stellung haften , dass die Musik der Poesie nur diene, ohne sich jemals der Idee einer Verei- nigung zweier Künste zu nähern, um in dieser Art, wie neue Musik den Vers behandelt, ein Verderbniss unsrer Musik zu finden. Unserer INI u s i k nämlich ; denn dass im weitern Raum mehr Irrwege möglich sind, als im engen, dass also unsre Musiker auf mehren Seiten aus- schweifen können, als die der Vorzeit, leidet keinen Widerspruch.

In andern Künsten bemerkt man gern bei dem Urtheiler einige Kenntniss der Sache; son- derbar genug aber ist man gewohnt, über das Verhältniss alter und neuer Musik Gelehrte uvtheilen zu lassen, die bei jedem Worte be- weisen, dass ihnen auch die ersten Anfänge der Kunst unbekannt sind, über welche sie ent- scheidend abzus])rechen im Begrill" sind.

Von den Versmessungen der Grammatiker. 453

Von den Versmessungen der Grammatiker.

420. Die griechischen Grammatiker theihen einige Verse nach Füssen ab, andere nach Doppel- fiissen (Dipodien). Nach Füssen maassen sie daktylische, kretische, choriambische, steigend und sinkend ionische, päonische und antispasti- sche Verse. Jeder Fuss macht ein (ait^ov aus ; der choriambische Dimeter z. B. enthält also zwei Choriamben, der daktylische Trimeter drei Dak - tylen u. s. f. Nach Dipodien hingegcu maas- sen sie anapästische, trochäische und iambische Verse. Bei diesen macht der Doppelfuss ein Metrum aus. Ein trochäischer Dimeter enthält also zwei irochäisclie Doppelfüsse , oder trochäi- sche Dipodien, ein iambischer Trimeter drei iambische Dipodien.

421. Alan findet nirgends einen Grund angegeben, warum die Grammatiker diesen Unterschied be- obachteten. Rufinus, ein lateinischer Gram- matiker, sagt bloss: es sei ein altes Herkommen, den heroischen Vers nach Füssen, den ianibi- schen nach Dipodien zu messen. Gleichwol wichen auch die lateinischen Metriker von die- sem Herkommen ab, und maassen auch iambi- che und trochäische Verse nach Füssen. Daher

434 Allgemeiner Theil.

lieisst bei ihnen der iambisclic Trimeter Senarius, tler trochüisclie Tetrametcr Octonarius u, s. f.

422.

Nach unsrcr Ansicht zeigt sich diese schein- Lai* willkürliche Messung als eine Ahndung des Wahren. Sieht man den Daktylus, mit den Grammatikern, als einen vierzeitigeu , dem ge- raden Metrum angehörigen, Fuss an, so erfüllt er so, wie der ^w* ihm gleiche Spondeus, eine volle metrische Periode. Daktylische Verse würden also vollkommen richtig nach Füssen, oder Mo- nopodien gemessen. Betrachtet man aber den Pyrrhichius als Grundfuss (wie im gemischten Me- trum den Trochäus), so war die Messung des ge- raden Metrum ebenfalls dipodisch , nämlich nach Pyrrhichien, tleren zwei, also eine pyrrhichische Dipodie, eine metrische Periode des geraden Metrum erfüllen. Im gemischten Metrum er- füllt die trochäische Dipodie eine volle Periode; folglich findet bei trochäischen Versen dipodi- sche Messung Statt. Choriambische , päonische, kretische, bacchische und ähnliche Füsse erfül- icu , gleich der trochäischen Dipodie, eine Pe- riode des gemischten Metrum; jeder Fuss ist also ein Maass, und in solchen Versen findet inonopodische Messung Statt, so lange diebenen- ncndfe Form des Vci-ses nicht mit der Dipodie wechselt; es enlslcht aber durch diesen Wech-

Von den Versmessungcu der Gifinunaüker. 455

sei kein verändertes Maas, sondern nur eine veränderte Benennung desselben Maasses; denn im Choriamben und andern Foi'men des ge- mischten Metrum ist, wie wir wissen, die iro- chäische Dipodie, nur in verschiedener Bewe- gung völlig enthalten. Der (schwere) steigende loniker erfüllt eine Periode des molossischen Metrum, dessen Verse daher nacl^ Moi^opodien gemessen werden.

420.

Tripodische Messung kannten die Gramma- tiker nicht, wiewol sie ohne Zweifel dieses Maas im Verse z. B. :

^ \ ä m ». ä m \ m. m^ e m 4 »

. "^

der frohen Jugend anmuthge Begleiterin j.

SO gut als Avir Vernahmen. Sie bemühten sich aber, das, was sie mit dem Gehör auffassten, auf die einmal festgesetzte theoretische Bezeich- nung zurückzuführen, so unvollkommen sie auch das Vernommene ausdrücken mochte. Wenn z. B. manche Wörterbücher den Laut des G im Englischen durch dsj bezeichnen, so bedienen sie sich der vorhandenen, wiewol un- zulänglichen Zeichen : deswegen behält aber doch jener Laut sein Eigenlhündiches , unddcrFrem-

»56 Allgemeiner Theil.

de y der nach dem Wörterbuch gelernt hat, wird vergebens mit dem Eingebornen darüber streiten. So gehört aucli manchem Vers tripo- dische Messun'g, wenn sie auch im Schema der Grammatiker sich nicht findet.

22I. Die Grammatiker sonderten in der Theorie nidit den Auftakt von der Periode, Sendern fingen ihr (xstqov mit dem Auftakt an. Daher maassen sie die iambische Dipodie nicht, wie wir sie messen würden: J^| J J*^J sondern: ü-u- und ein Trimeter hat bei ihnen diese Abthei- lung :

die wir richtiger so:

schreiben würden. Dasselbe gilt von allen Ver- sen im Auftakt. Ein steigend ionischer Dime- ter wird von ihnen so :

abgetheilt , richtiger von uns :

Der antispastische Dimeter wird von den .Gram- matikern so:

von uns ;

W I •m mm \mf *>> | «p^..

.M J. j^ .M J .f* J

Von den Versmessungen der Grammatiker. 487

bezelclinet; denn jede Periode fängt nothwendig mit dem vollen Takt (der Arsis) an.

42 5. Nachdem nun die metrische Periode in ei- nem Yers einmal, oder mehrmal enthalten ist, nannten die Grammatiker den Vers Monome- ter, Dimeter, Trimeter, Tetrameter, Pentameter, Hexameter u. s. f. Man sieht, dass man einen Vers erst genau seiner metrischen Bewegung nach kennen muss, ob er diesem oder jenem Metrum zugehöre, ehe man im Stande ist, ihn richtig zu messen, und, da wir über den eigentlichen Gesang der Verse nicht vollkommeu unterrichtet sind, so darf es nicht befremden, wenn das Dilaas mancher, selbst bekannter, Verse auf verschiedene Weise an- gegeben werdeijL kann. Der saffische Vers z. B. iLisst das dipodische Maass zu:

J .N ."1 ."^.^N j^l J.j.

'jioiy.t?,\üQov' güccvcct' 'AcfQodiTU, Saffo, Oed' und einsam trauert der Sitz der Liebe,

vmd eben sowol das tripodische:

J .N ,^" J5 .'' I J ."^ J. j.

Integer vitae, scelerijque purus, Horat,

trüb' und -wehmutliToU , in des Hains Umscliattun»,"

und bei sehr vielen Versen finden ähnliche Ver- hältnisse Statt. Oft gibt die Strofe, in welclier

458 Allgemeiner Thejl.

ein Vers steht, oft die Cäsur den Aufiscliluss, welche Art der Periode vom Dichter als Maas seines Verses gebraucht wurde. Horatius scheint mit seiner bekannten, sehr unrecht von Hermana getadelten, Cäsur auf das tripodische Maas zu deuten.

426. Nicht alle Verse füllen indessen dieses Maa« des Dimelers, Triraeters u. s. f. nach der Mes- sung der Grammatiker vollkommen durch reell« rhythmische Momente aus. Der Vers z. B. ; «♦* »^ 1 _-%i*_ Rosen auf den Weg gestreut ^

füllt die zweite metrische Periode, nach der Messung der Grammatiker, nicht vollkommen aus. Diesen unzureichenden Schluss nennen die Grammatiker Katalexis, und Verse, welche auf diese Art vor dem Ende des fiszQov ( der Periode) schliessen, katalektische Verse, Obiger Vers ist also zwar ein trochäischer Di- meter; aber, weil er das Maas des Dimeter nicht ganz erfüllt , ein katalektischer Dimeter. Im Deutschen könnte man diese Verse unvoll- zälige Vei'sc nennen.

427. Da die Grammatiker den Auftakt in die Pe- riode einrechnen (424.), so entsteht bei dem

Von den Versmessungen der Grammatiker. 459

Maas von Versen im Auftakt eine ganz entge- gengesetzte Bezeichnung. Ein iambischer kata- lektischer Dimeter würde, nach richtiger An- sicht des Auftaktes, der eben erwähnte trochäi- sche Vers mit dem Auftakt seyn: ^ I _.^_^ I —te/ Mit Rosen uns den Weg bestreut.

Allein nach der Messung der Grammatiker be- steht der iambische katalektische Dimeter aus zwei iambischen Dipodien, deren letzter die Schlusssylbe fehlt:

mit Rosen kränzt die Lockend

Es war also ein Irrthum, wenn man bei kala- lektisclien Versen an unsre weiblichen Endun- gen denken wollte j denn ob die Katalexis stei- gend oder fallend sei , hängt von der Versart ab, in welcher sie voi'kommt«

428.

Schliesst ein Vers ohne Katalexis, also mit der vollen Periode , so nannten ihn die Gram- matiker akatalcktisch ( vollzäldig). Folgen- der Vers:

Mit Rosen uns den Weg bestreut," ist also ein akatalektischcr iambischer Dimeter',

46o Allgemeiner Theil.

nach Jer Messung der Grammatiker, so wie folgender :

WO die Glut hoch zu Gewölk stieg, ein steigend ionischer akataleklischer Dimeter.

429. Verse, die in der Mitte der Periode schlies- sen, nennen die Grammatiker brachykata- lektische ( halb vollzählige) Verse. Folgender Vers z. B.:

■^ t^ ^ ] «•< Sucht die grüne Waldung,

ist ihnen ein brachykatalektischer trochäischer Dimeter.

43o. Wenn endlich ein Vers nur um eine Sylhe länger ist, als sein Maas, so heisst er hyper- katalektisch ( übei-zählig). Folgender Vers:

.., ttf —' •mt l t^ ^^ I

Morgenroth des lang ersehnten Tags,

würde ein überzähliger .trochäischer Dimeter seyn.

4oi. Bei diesen Messungen gilt es gleich, ob die Form schliesst, welche dem Verse den Namen gibt, oder eine, die nach der Tiieorie der Grammatiker mit ihr wechselt. So ist:

Von den Ver$messungen der Grammatiker. 4Gi

Hochwipfliche Fichtenwaldung J ein akatalektischer ionischer Dimeter^ '

-m k^ w I MI

Weissstämmiger Birkenwald,'

ein katalektischer Dimeter; ••« >i« I «^

Hochragende Fichte, ein brachykalalektischer Dimeter, und

Schöngriinender Hain ,

ein liyperkatalektischer ionischer Älonometer; denn die Grammatiker erkennen den Wechsel der trochäischen Dipodie mit dem sinkenden louiker eijenfalls an.

452. Wo diese Bestimmungen nicht zureichen, benennen die Grammatiker die Kataiexis nach der Zahl der Sylben. So heisst der päonische Vers:

Folgte den Gewaltigen, rin Dimeter catalecticus in trisyllahum (drei- sylbig unvollzäliger Dimeter), und folgender:

Heiligere Liebe, '•in dimetrr catalecticus in bisvllabui».

462 Allgemeiner Theil,

In dieses Maas der Verse werden jedocli von den Grammatikern die ScLaltperioden, oder im Allgemeinen Sclialtmetra (262 fF.) nicht mit eingerechnet , sie mögen am Anfange des Verses stehn, oder in dessen Mitte. Zu An- fange des Verses finden sich dergleichen Schalt- pei'ioden, Schaltfüsse, oder SchaJtsylben ziem- lich häufig, z. B. :

<p£v, q)€V' ov VW f.i£ TtfJoTOv, cc?.Xk nokXaxcg i

f K^eov , Eurip.

Bcc' IIo2,vf.i}]GTO^ cJ dvarccvi i reg d aiKalias ;

D e r s.

ungerechnet die Stellen , welche gewönlich durch Synekfonese erklärt werden, z. B.:

D ers. 27«* tiSg ov ßkcmig {* svxt^Xov, uofitvog fi idojv.

D ers.

In der Mitte des Verses finden sie sich selt- ner, lind sind, wo sie sich finden, grössten- iheils von den Kritikern wegemendirt, z. B. :

{TloX.) ddcy.in ye at] , (o -d^foi. {-Er-) Blvzrivaig, (.{1] 'v'&ttd' UfanaXfi' 'Otovg, Ders.

WO mehre Kritiker bald das: (o -esot weglassen,

hald:

Kdi-Aca /, cJ {)£oc. 3Ivy.r,vaig fo; 'pdad' avaxakst

{)£ovg,

lesen wollen. Der Scholiast sagt ausdrücklich: to tu -^lOi öici usaov. Also waren Schaltmetra

Von den Versmessungen der Grammatiker. 4G5

tei den Dichtern nicht ungewönlich; sonst konnte sie der Scholiast, man mag ihm viel oder wenig Umsicht zutrauen, nicht als etwas tekanntes nennen. Sind aher einmal Schaltme- tra vorhanden, so ist kein Grund in dieser an- geführten Stelle Worte zu streichen , deren kei- nes der Sinn des Verses ohne Entstellung enl- Lehreu kann.

435. Man sieht hald , wie unvollkommen , schwan- kend und falsch diese Eintheilungen seien. Be- trachtet man die wahre Messung der Verse, so zeigt sich, dass viele, die von den Grammati- kern für katalektisch gezälilt werden, ganz voll- zählig sind, aher nur mit einer andern, bei oberflächlicher Ansicht, der katalektischen ähn- lichen Form schliessen. Der sotadische Vers z. B. heisst ein Tetrameter ionicus a maiore bra- chycatalecticus , und die Grammatiker messen ihn:

Jl^r^p Tiort (fiaoiv diu top TfQnixeQavvov.

Es ist aber ein vollzähliger Trimeter und schliesat mit der spondeischcn Form des gemischten Me- trum:

i..\^j''\J..^ 5.f I J.j-^j^.M J.J.

Laut rufen die frotichallend«n Waldhörner aar /agdIlUt

464 Allgemeiner TheiL

Mehr Beispiele wevden jedem Leser aus dem Vorliergelienden einfallen. Da übrigens die Grammatiker die tripodisclie Messung nicht kannten, und eben so wenig die durch drei- zeitige Lange entstehenden Formen des gemisch- ten Metrum, so muss man zwar ihrem Fleiss ' Gex'echtigkeit widerfahren lassen,* allein ihre Abtheilungen dürfen und können uns nicht als Muster dienen. Indessen wird bei jedem Vers immer auf die Messung der Grammatiker zu- rück zuweisen seyn, da ihre, den \ersen er- theilten Namen einmal technisch geworden sind.

Von polyscliematischen Versen.

-ioi. So viel Mühe die Grammatiker sich auch gaben , jeden Vers nach ihrer Ansicht auf gew isse Grundfüsse zurückzuführen, so musste ihnen doch dieses Bestreben oft misslingen, weil sie aus Unbekanntschaft sowol mit der tripodischeii Versmessung, als mit dem dreizeitigen Maas der Länge, keine vollständige und richtige Ansicht des Versmaasses haben konnten. Dieses Miss- lingen trat besonders dann ein, wenn entweder eine prosodische Quantität die ihr entgegen- gesetzte metrische , oder eine metrische Form eine andre , ihr gleiche , repräsentirt. Denn , wiewol die Grammatiker einige Fälle der peprä- sentirenden Quantität anerkannten, so war si«

Von polyschematischen Versen. 465

ihnen doch in vielen andern Fällen unbekannt, und bildete dann für sie eine unerklärliche Aus- nahme von der Regele und weil sie die Gesammt- heit der Formen im gemischten Metrum nicht kannten, so schien ihnen ein Wechsel dieser Formen ebenfalls eine Ausnahme.

455. Verse dieser Art, wo entweder eine reprä- «entirende Quantität in einer, den GramiUHiikern nicht bekannten, Art sich einstellt, oder wo eine metrische Form gegen eine , von den Gramma- tikern nicht für gleich geachtete, vertauscht wird, nannten sie polyschcmatische \erse (V. polyschematisti ) , d. i. Verse, die verschie- denartige Formen zulassen. Aus dem eben Ge- sagten erhellt, dass diese Verse zweiei'lei Art sind.

436.

Zu der ersten Art polyschematischer Verse

gehören die, in welchen die repräsentirende

Länge an einer Stelle gefunden wird, wo sie

nach der Ansicht der Grammatiker nicht Statt

findet. Dahin gehört der epionische Vers

(Metrum epionicum polyschematistum) :

b) y.c<llc<TTi] TXoXt TiuaiZv üGag A^sojv tcpoQcCf

Wie schön durch leichtes Gewölk blickt des Mond- strnls lieblicher Schein,

den die Grammatiker so messen:

5o

4t)t»

A 1 1 8 u iii e i a i; r T h c i 1.

lu tlicsem Vers findcl sicli oft in den ianibl- äclicn Dipodien stall des zweiten laniben ein Spondeiis, der aucli hier im iScVieraa bezeiclinet ist. Nach der Theorie der Grammatiker findet aber die repräsentirende Länge nur auf der Kürze des ersten lamben Statt. Deswegen nen- nen sie diesen Vers polysebemaliseh.

Hermann (§. 369.) iheik diesen Vers, um diese repräsentirende Länge durch die Endsylbe einer B.eihe zu erklären, so ab:

und vergisst, dass er §. i5i für eine so schwa- che Keilie, wie ein einziger Trochäe ist, eine ianqe Anakrasis uaschickhch fand. iSacb un- srer xlnsicht ist die Messung:

3i - Z ^ I i ^ i-

und die repräsentirende Länge steht wegen des folgenden Daktylus (383). Es ist also kein Po- lyschematismus in diesem Verse.

437. Die meisten, für polyschematisch ausgege- benen Verse lassen sich auf ailgemeiae Princi- pien zurückführen, sobild man nur über Rhyth- mus und Metrum überhaupt im Klaren ist. In- dessen finden sich unter den alten Versen ei-

Von |Jüly.-üh«niatisci;eii Verden. .iß-r

iiige, die man vergebens suchen wird mit den Sätzen der Metrik in üebereinstimmung zu brin- gen. Dieses ist der Fall tbeils bey unrichtigen Vei-sen, welche der Zufall erhalten hat, iheils und vielleicht am öfteisten in der Parodie sol- cher Verse. Zu diesen scheint der Vers des Eupolis zu gehören, von welchem schon früher im \orbeigehn (395.) die Rede war:

- Z I .w- I - Z - Z I - ^ -

tjTTtj&etg, ovK u^iog tov. tuvt ovv vfuv fif/j,<pofitti,

A 1" i s t o p h.

der die Spondäen an schicklichen und unschick- iichen Stelleu häuft. So wie Aristoplianes man- che Manier der Dichter durch Karikatur paro- dirt, so scheint er auch diesem durch Karikatur schwerfälligen Verse, in der bekannten Stelle der Wolken v. ^17, sein Recht getlian zu ha- ben. Ist dieses, wie es denn wenigstens höchst •wahrscheinlich ist, so würde man sich verge- bens um eine theoretische Rechtfertigung diesem Verses bemühen , man müsste ihn denn als bloss accentirten Vers:

_3|_w| ,w|_ii-3i_w|_^_

in Dreiachteltakt messen wollen, durch welches Maass man Alles rechtfertigen kann, Die Gram- matiker verfuhren daher, indem sie ihn j>oly- schematisch nannten, wenigstens konsequenter als Hermann, der ihn durch seine Basis erklä- ren will :

40 J A 1 1 ^ e 111 e i u e r T h e i 1,

wodurch aber nichts erklärt wird. Denn durch eine „wlllkührliche Einrichtung der Diclilcr" das als richtig zur Hinter ihür in die Theorie einführen, was mau a priori als rhythmuswidrig verworfen liat, heisst docli niemals: Erklaren. Eben so gut konnte man ein körperliches Ge- hrechen als eine Willkühj-lichkeit der plasti- schen Natur, unter den Yei'häitnissen der schö- nen Form aufführen.

438. In der zweiten Gattung ]5olyscheraatisch ge- nannter Yerse sind die metrischen Formen mit einander vertauscht. Denn was wir metrische Formen nennen, da.^ kommt bei den Gramma- tikern unter dem iVamcn Schema \or. So nennen sie z. B. einen daktylischen Vers, der mit keiner andern Form wechselt : monoschema- listüm dactyliciun.

In diesem Sinne können alle Verse polysche- matisch genannt werden , die mit den Formen wechseln ; doch sind nur diejenigen so benannt^ deren Wechsel nicht aus den gewönlichen Auf- lösungen der Längen in zwei Kürzen zu erklä- ren ist. Wo z. B. der Trochäus mit dem Tri- brachys wechselt, ist von keinem Polyschema- lismus die B.ede; wol aber dann, wenn der

Von polyschematisclien Verden. 46^

Daktylus mit dem Trochäus wecliselt. So nimmt z. B. der Glykonisclie Yers :

w I s^ >** I _•»^

Schönaurglühendes Morgenroth,

zuweilen die , bloss in der Bewegung variirende Form an :

Morgcnrolli, licUslüheruIer Stral .

und wird nun, weil der Daktylus nacli der Theorie der Grammatiker nicht aus dem Tro- chäus abgeleilet werden kann, für einen poly- schemalischen Ters ausgegeben, was im allge- meinen Sinn des Polyschematismus wahr, im specicUen der Grammatiker aber falsch ist.

459, Verse, welche mit Formen wechseln, deren Gleichheit die Grammatiker einsahen, nennen sie auch nicht polyschtmatisch, sondern sie merken gk-lcli in der Eeschreibung des Yer es an, mit welchen Formen die Ilauptform ver- bunden werden könne. So bemerkt Hefästion gleich zw Anfang vom sinkenden loniker, dass er mit der trochäischen DIpodie verbunden wer- den könne; aber ohne den metrischen Grund davon anzugeben.

4-0 AUjju meiner iiieil.

4-io. Als polyschcmalische Verse werden besonder« der giykon isclie und der priapisclie Vers angegeben, welcher letztere aus einem glykoni- schcn und ferekratischen Verse bestellt:

Hunc ego , jiivenes locum villulamque palustrera.

Fackeln leuchten dem Feiertanz Bacchos heiliger

Festnacht.

Der ganze Polyschematismus beruhet auf der

verschiedenen Stelle, die der Daktylus in der

trochäischen lleihe einnimmt :

-' •-' >-'— I s^ ~-

xac f.ich).ojTivop IuImv zat ^oda TiQOdearjgcug , _~ w .- I -3-w^

riQiGrf]Gaiiev iiQiov linrov (.iiXQOV dnozlag, _w_3_«^w_ I .-ww

ov ßtßrtXog cJ zeUrut, tov veov AiowGov y und mit doppeltem Daktylus:

vri «vadhÖQadoyv unukag ccGTia^cc&org ncitojvxfg,

0) Hula/ag [a.£v i'^f^wv , avanvioiv ^^ vcv/.tv&ov. Die Form:

tl> ^itflO)Pt Ä(i)TO(fOgoi XVnflQOV d^OGUtdli,

EfcMiIaub umlcränzet «Tis Haar thyrsosschwingende»

Mänas ,

^

V'v« polyschemalischi u \ oiütji. ^y i

gtliört zu den Verstärkungen der rliytlini? sehen Charakteristik, von denen früher gesprochen worden ist. Hier, ^vo die bfeideu Perioden da- durch in Antithese gesetzt werden :

d:

dient sie zwar zum Darstellungsmiitel , ist aber doch für den einzehien Daktyhis ein zu schwe- res Gegengewicht. Horalius hat auch hierin im oft angeführten \ers:

Te Deos oro , Sybarin cur properas amando, sein feines Gehör bewiesen.

44i. Eigenthch polyschcmatische Verse , in wel- chen ganz verschiedene, nicht zu demselben Metrum gehörige , Formen mit einander \ er- tauseht werden können, finden der. Natur des Rhythmus nach gar nicht Statt. Wo der Schein eines solchen Tausches eintritt, da ist entweder der Vers unrichtig, oder verderbt, z. B. wenn man im heroisclien Hexameter slatt des Spon- deiis einen Molossus fand: oder die Form hat neben der unzulässigen noch eine andre Mes- sung. So scheint mit dem sinkenden loniker der Moloss zu w echseln :

In de» crschnicn Abends f oldeinluiücnder Dämmrung.

472 Allgemeiner Th c i 1.

Allein dieser Moloss ist ein Bacchios mit pro- sodisch langer Eud.sylbe am Schluss der Periode, und also keine fremdartige Form. Hermann he- hauplet ebenfalls, dass es keine polyschemati- schen Verse gebe; gibt es wol aber bei den Grammalikern einen sclilinimern Heteroscliema- tismus, als er selbst annimmt, indem er die Formen: ^ - c u und ^^ _ ^ _ als verlausch- bar mit dem sinkenden loniker: _ _ ^ auf- nimmt ?

Von widerstrebend zusammengefügten

Versen.

{MsTQtt y.av KVTinadstav fJiiKTtii.)

442.

Eine andre Gattung unregelmässiger Verse bildeten die Grammatiker aus solchen, in wel- clien Formen , die sie für heterogen hielten , nicht so wol gegen einander vertauscht werden, als vielmehr mit einander zu einem Verse ver- bunden sind. Solche \erse nannten sie Avider- slrebeud zusammengefügt ( ^iTQu x«^' dvxinaßnav (iixrci). Dieser Begriff widerstrebender Zusam- men fügung widerstrebt aber selbst dem Begriff des Verses. Schon hieraus lässt sich vermuthen, dass nicht im Vers, sondern in der Unbekannt- schafl der Grammatiker mit der wahren Mes-

Von -widerstrebend zusammengefügten Versen. 475

sung der Grund lag, warum diese Verse ihnen widerstrebend zusammengefügt scliieuen,

445.

Zu solcLen Versen rechneten die Gramma- tiker folgende :

1. Den Epionicus uvaalMixevog, nach Hefästion :

i)[(i HIV '^vdQOfiiöci nclttv ujiioißcxV'

Durch sanfLe Liebesgevv'alt der holden Jungfrau.'

Hefästion misst ihn so:

als bestehe er aus einer iambischcn Dipodic und zwei steigenden lonikern (^^o --!« u —)r welche nach den Grammalikeru durch eine um- xlaoiq (Umbeugung, Synkopie der ISoten: /i^j I A^J j ) diese Form uu-u I -o-u annehmen sollen, wie bei dem molossischen Me- trum weiter erörtert werden wird. Vielleicht fand sich auch der Vers zuweilen in reiner io- nischer Form:

Z ,- I ^ ^ I W.W

ntoiooov' ctt y(/.(i '^nolloiv 6 ?,vKe7oet Mit sanfter Liebesgewnlt Vi^ehrte die Jungfrau,

mit jenem vermischt. So sieht nun freilich der Vers sehr widerstrebend zusammengefügt aus; denn wer mochte diesen Rhythmus:

i;4 A I J f^ e m oiiip r T ii •, . 1.

fluiden? Er zeigt sich aber in walirer Gestalt, sobald man nur die Musikzeiclicn ordnet:

,1^1 j / .^ ;> .M j. .^'5 j^ i J.J

von dem nun jener ccvaxkojfifvog :

'^ I ' J^ j'^ ^ j'^ i J ^ J ^ I ' J

« I « i ^. «^ji^ \ d 0 ä 9 \ 0. ä

Z \ .-^wi . ,|

eine sehr leichte Variation ist. So lös't sich das Widerstrebende in beiden Versen,

444.

2. Den Saf fischen Vers, den die Gram- matiker so messen:

«* <^ I la/,.«.. I i^ .^ s^

Als der Jugend liebliches Licnt dahinscliwand.

Das Widerstrebende entsteht bloss durch Ne- beneinanderstcllung der Füsse , wo drei Tro- chäen anfangen , und zwei lamben nebst einer unbestimmten Sylbe schliessen:

Der wahre Gesang dieses Verses in zweierlei Mötrum ist früher schon (425) angegeben.

Hermann tadelt des Iloratius Cäsur:

Von ^vicIerstrebend zusammengefügten ^ ersen. 475

Integei- vitae, scelerisque purus ,

Wenn ron , dir unhold mich die Parze scheidet

Voss.

weil dann der zweite Trochäus, al^ mitten der Reihe Leflndlich, nothwendig rein bleiben musste. Sollte denn aber Horatius sein besse- res Gehör verläugnen, weil sein Kritiker metri- sche und rhythmische Reihen nicht zu unter- scheiden weiss , und übrigens vcrgisst, dass im. Irochäischen Tetrameter von ihm selbst an der Stellung:

>_/ V* I «-' «.< I r— w< \./ I »^_

^(ÜOt UvdQCÜTiMV. XaKlGTU Tu) ^CVOPTl yiV^TUl ,

kein Anstoss genommen wird, obgleich die re- präsentirende Lange am Schluss der Periode nicht am Ende einer rhythmischen Reihe, son- dern in der Mitte eines Wortfusses, steht ?

445. 3. Folgenden Vers, nach Hefäslion:

o u— I vju I o tj

ionkox\ ayvci, fjnkt'/o finde ^an(fOc.

Des Herbstes Froslhauch ))leichte die grünen Blatter.

Hermann misst ihn richtiger:

ü <j"-ij I \_»0 w

Man kann ihn betrachten als einen Sa f fi- schen Vers mit dsm Auftakt, oder als einen.

4^6 AI] g eme iriü r Thtil.

mit der schliesscndea Tliesis verlängerten, Ai« c ä i s c h e n.

Der pindarische Vers:

U (J I \J <~> U Kf

0 IlIovGuyezag f.ie y.aXii '^Ofievaai,

Empoi- dringt der Muth zu der GÖltei-wohniing,"

ist eine Variation des vorigen, indem die bac- cliisclie Foi'm statt der trochäisclien zu Ajiifaiig steht :

cl ul— VJÜ ül—

. 446.

* 4. Den Alcäi scheu Vers, nach Hefa- Stion:

<j O— I— yOl— o

tu Va§ 'jlnQl.l.MV^ 7i(x7 fi^yuXoi Jiog-

Ein -weiser König schützet die Wissenschaft. Voss.

Hermann misst ihn:

Vj u t/ I OO oo

und so fällt schon das Widerstrebende weg. Wahrscheinlich aber ist die Messung tripodisch^ und die fünfte Sylbe von Hefästion nicht ohne Ginind als Länge angezeigt:

^ I J .N.J. l.'^is.N.'^J

u 1 u 1 Uly o Mors et fijgacem persequitur virum. Horat.

Von Asyn arteten.

/t'-'

Mehr über äivse wichtige Versart wird bei den * Verseu des tripodischen Metrum gesagt werden.

Von As yn arteten.

447. Versus asynarteti entstehn, nach der Meinung der Grammatiker, wenn zwei Riiythmen zwar in Einem Verse cnthahen sind, aber mit sich selbst nicht zusammenhängen. Dieser Mangel an Zusammenhang oiFenbart sich nach Hermann (§. 075.) dadurch, dass jeder dieser Rhythmen die unbestimmte Endsylbe hat, und den Hiatus zulässt.

Hiermit ist nun freilich nichts andres gesagt, als: es habe den Dichtern gefallen, zuweilen zwei für sich bestehende Verse zu einem einzi- gen zusammenzusetzen, so, dass sie auch in der Zusammensetzung noch geschieden bleiben, und jeder schliesst, als ob er für sich allein stände. Dringt man nun darauf, zu wissen, ob solche Verse zwei Verse seyen, oder nur Einer, so lässt die Hermannische Theorie, so wie die Lehre der Grammatiker über diesen Hauptpunkt die Auskunft fehlen. Um aber genau zu wissen, wovon die P^ede sey, ist es nölhig, das Daseyn der Asynartetcn zuerst als empirisches Datum aufzunehmen. Dann wird es sich aus ihrer Ver- gleichung mit den allgemeinen Principien des

478 Allgemeiner T h e i I.

Rhyttinus von seihst zeigen, welcher Natur diese Verse seyn.

448. Als Asynarteten werden aufgeführt: 1. Ein Vers des Archiiochus:

<j v.>o «ja u I o u u £g<xGfiovidri XuoiXuf , yjjtjpu rot yfKoiov.

Es blüht an dem schäumenden Ijeuher Myrtenzweig und

Rose.

Für einen Asynarteten wird dieser Vers gehal- ten, wegen der uuheslimmten Endsylhe seines ersten Theils, die nicht auf den Schluss einer Dipodie fällt. Allein sie fällt allerdings auf den Schluss einer metrischen Periode; denn der Vers ist tripodisch zu messen :

O |— (JU uw u |— u w u

Die Cäsur ist nicht an eine bestimmte Stelle gebunden, wie die von Hefästion und Hermann angeführten Beispiele nebst mehrern andern zeigen :

V I ^o u(J— ?u I u ü <-»

Ti]g -^fiere^ug aoifiag y.QiT7}g uQiGxe navzMV.

<-» I V.iU OU <_l I 5U (-»""^

6Q)(^ovnfvov ogrig un^f^Xaliv ^^^^v rQvyotdotv.

Ar isto ph. Mit weitaushallendem Becherklang das Lied begleitend.

Von Asj-nar Le teil. 4y^

Diese veränderliche Caesur maclit auch die an- gegebene tripodische Messung wahrscheinlicher, als die mögliche dipodische:

> 1 ?N 5 .N > ^ >

«s

j^j::^^ ! j.j. I J .N J" N.J.

V

Denn die dreizeitige Thesis der dritten Periode könnte in der Mitte des Worlrhythmus nicht als Kürze stehn, wie es oft in diesen Versen der Fall ist.

Der Vers des K r a t i n u s :

;:: i . ^ ~ z \ _^-«._w.

'Uftaafiovidi] ßcc&innf , tmv aoiQoKsuov ^ ist nichts als eine Variation des vorigen, die ganz deutlich die trochiiische Natur jener Dak- tylen zeigt.

In beiden Versen bemerkt man bald die Achnlichkeit mit dem Saturnischen Verse der Pvömev :

w I _^_^_3 I -w Z

Mortales immortales flere si foret fas,

Mehr Leiden , als die Krankheit führt herbei die

Rettung,

der, genau genommen, ein accentirter ist:

a \ ä a ä a d a \ ü a ä a ci a und an jeder Stelle die Tripelbewegung an- nimmt :

Slmul alius aliunde ruininant inter se weswegen er, wenn mau ihn als fjuantitircnden Vers betrachtet, an itder Stelle Trocliiicji .

48u Allgeraeiner Theil.

Spondeen, Tribracheu, Anapästen und Dakty- len zuzulassen scheint. Jener Arcliilochische "Vers ist also das Scliema des Salurnisclicn \er- sesj in die quantitirende Gattung transponirt.

Für die Geschichte der Rhythmen sind der- gleichen Nebeneinandei'Stellungen ähnlicher Verse Sehr interessant. Sie zeigen dasselbe Grund- schema in sehr verschiedenen Versen durch Kul- tur der Sprache und Nalionalcharakter modiii- cirt und ausgebildet. Das einfache Schema:

war der Grund des epischen Verses bei den Griechen und Römern, (\es Hexameters (der Anfangs wahrscheinlich ebenfalls accentirte), und des Saturnischen Verses. In seiner Einfachheit schwankt es theils auf die dramatische Seite im dipodischen Trimeter :

wo es in Daktylen von trochäischem Maas, die mehr deklamatorische, als lyrische Form des Hexameters in Episteln und ähnlichen Dichtar- ten bildet, wie künftig weiter ausgeführt wer- den wird, theils auf die lyrische Seite im di- podischen Tetrameter :

J .N .N J.J. IJ /J .N J.J

wohin vielleicht der Yers der SafTo:

dev^o diVTe, Moifsai, ^^vaeov Xinotacii^

Von Asynarteton. 48 1

gehört, und wo sich die grosse Zal der ioni- schen Verse in ihrem mannichfahigeu Formen- wechsei bildet.

449. 3. Ein andrer Vers des Archilochus:

_ S~Z, _ J~^ - -T^ _-w I '

OVK i&' üfiiog '&ul\{ig dnaXov XQoa' xu()(ffTai. yccQ

Vitae summa bravis spem nos vetat inchoare longam.

H o r a t.

Wenn der G<^sang Festmale verherrlichet, scheuche

weit die Schwermuth.

Das Maas dieses Verses ist folgendes:

j^ i! J^^'« .N .^^\\'« / 1 J jN ." IJ.J.

Dem Metrum nach ist er also ein trochäischcr Tetrameter. Der Charakter des A.syiiartetus soll jedoch darin liegen, dass die Endsylbe der dak- tylischen Reihe die reprasentirende Länge g^" statte:

xtti ßrjGGag üQfiov dvgnumuXovg olog riv ((p ^]ß^g.

Beute der freudlos traurigen Unterwelt ward der

GlauB der Schönheit.

Was aber bei der Endsylbe daktylischer Rhyth- men iin Allgemeinen bemerkt wurde, gilt auch hier. Der Krelikus, statt des schliessenden Daktylus, bleibt allemal ein Zwang des Rhytli- mus; denn der Charakter des Daktylus ist Flüch-

Ji

HÜ» AllgemeiiKsr Theil.

tigkcit, -welche sich nicht bloss in der Schnel- ligkeit zeigt, mit der die Sclilusssylbe zur fol- genden forteilt, sondern zugleich in der Leich- li"^keit, init der sie an sich selbst kurz verhallt. Diese Leichtigkeit gibt der repräsentirenden pro- sodischen Kürze auf der schliessenden Arsis ästhetischen Charakter, und darf daher, wo sie von INatur steht, nicht durch repräsentirende Länge verdrängt werden. Man versuche nur Vv^orte, wie Völkerwohl, Gottesfurcht, Uebermuth und ähnliche flüchtig abzufertigen und man wird sich überzeugen. Leichte und scharfe Längen halten sich allerdings an solchen Stellen, z. B. :

Helle, liebliclae Flutenbewegerin, ebne sanft die Wogen,

und stören die Flüchtigkeit nicht, da sie ohne- dies von zweideutiger Länge sind.

Eoi'atius wusste sich in Gedichten der Frei- heit unbestimmter Sylben zu bedienen , dennoch hat er in der Ode (I. 4.) Solvitur acris hiems die daktylische Hälfte dieses Verses nieoials mit dem Kretikus, sondern, von richtigem Gefühle geleitet, allezeit mit reinen Daktylen beschlos- sen. Voss beobachtete in «einer Uibersetzung dieser Ode dasselbe.

Der Archilochischc Vers ist also kein Asynartetus, so wenig als der Soladische Vers, von welchem dieser AroUiioch loche eine Varia-

Von Asyn arteten. 4S3

tion mit stehenclen daktylischen und trochäi- schen Formen scheint:

_ JZ - ^ ^ I - - - - ^ -. I - w - w I _ «

I ^ÖMJ ^^^II^1^!^IJI

S. «^.s\ I ä. «. cJ I JJ. oV I ä.'i.

^^^^ft^l ^J^^^^.^| j M ^I j j

J. «'J «. «^0 I <». c. jT^ t ^ ^ 'J :^ I <^. ^. ^HotiV TTOTS quaiv ^lu xav TfQnr/.egoivvov. Nunc decet aut viridi nitidum caput impodire mjTto.

H or at.

'Folgender Vers des Kratinus ist eine Va- riation davon:

•. ^ J ». t^ « \ g. 0^ d d J I 0 d d r I «. d. ^uiQfre TtavTiq ^eot noXvß(OTOv Tcovriav 2^fQi<f0Vf

Alles gewährt IVIuth vollen das Schicksal. Miith besiegt

die Götter,

und ehen so wenig ein Asynartetus. Das ganz

trochäische Grundschema beider Verse ist:

j j-^j jN i^i i^\ j jN :• I jj.

Ol'«?' ^yJfi(ix\iav oQuTi nxoixov ovt fq)* t]fxiv. Wenn der Mitternacht Beschattung Flur und Wald

umdunkelt.

45o. 5. Noch ein Vers des Archilochus:

ulXa f.1 (j IvnififXr/g (o \aiQ( SafAvarac nodog. JloUibus in pucris aut in put-Ilis Orere, H o r a t. AU er von blühendem Mund «Icghaft den Erstlingkuss

geraubt.

484 Allgemeiner 'I'h eil.

Seine Messung ist:

Wenn die Arsis der zweiten Pe^'iode als iliyth- musbeschliessend die Kürze annimmt, z. B. :

Inachia furere, sylvis honorem decutit,

Wale den Mächtigeren ! Kein Schwacher schützt yor

solchem Feind,

30 maclit dieses den Vers noch zu keinen Asy-

narteten, so wenig als die kurze schliessende

Arsis in :

Omnia vincit amor, et nos cedamus amori,

den heroischen Hexameter. Wollte man diese Kürze bei vernachlässigter Cäsur anwenden, so war der Vers entstellt, z. B. :

o

OU «JU— I fj ij KJ \J

Flocht sich ein blutiges Diadem und herrscht* im öden

Land.

Uiherhaupt ist dieser Vers streng an die Cäsur

gebunden, wegen der Pause in seiner Mitte.

Man versuche:

Breitet erglühende Farbenpracht am Abendhimmel aus,

und der Vers ist , ohne grossen Sylbenzwang, nicht mehr derselbe.

45i. Eben wegen dieser so unverändei^Iichen , und durch eine Pause begi*anzten^ Cäsur, sollte man diesen Vers nicht sowol für einen asynartetus .

Von Aaynartclen. <i83

als \ielmthr für zwei getrennte Verse anselm, wie denn auch mehre Ausgaben des Horatius diesen \ers trennen:

fervidiore mero

arcana promorat loco. Welch ein Geplauder von mir !

Wie reut mich jedes Lustgelag. Voss,

Es ist bekannt, wie sich Bentlei gegen diese, von Lambinus ausgehende, Trennung des Ver- ses ereifert; allein genau betrachtet, beweiset er nichts, als dass es mit den Lanibinischen Ma- nuskripten eine zweideutige Sache seyn mochte, dass die Grammatiker die Asynarteten weder für Eins, noch für Zwei mit Bestimmtheit aus- gaben, und dass der Hiatus (mero arcana) und die unbestimmte Sylbe schon nach Hefii- stion am Ende eines Pvhythmus ( Colon) eben sowol , als am Ende eines ganzen Verses Statt habe. Ist dies aber hinlänglich, um gegen die trennende Schreibart zweier Rhythmen zu ei- fern , die an sich durch eine Pause getrennt sind? Eine andre Bewandniss hat es mit dem folgenden Verae.

452.

4. Die Umkehrung des Vorigen: - - u o

«J W W U— I --njtu U«J

Deformis aegrimoniae dulcibus alloquiis. Horat. Wenn spät des Abends Dämmerschein dich dem Gelieh-

ten vereint.

486 Allgemeiner Theil.

Sein Maas ist:

•N j /j ^M j .^J. \.u,\f:i>:\ii '

Wenn die Schlusssylbe der ersten Hälfte kur« ist, so ist der Grund die schiiessendc' Arsis, oline dass man nöihig hat, einen Asynartetus in diesem Verse, zu sehen, z. B.:

Levare diris pectora eoUicitudinibua. Horat.

Als dunkle Nacht die Liebenden schützend in Schleier

gehüllt.

Wollte man die Cäsur übergehen , so müsste dJe Schhisssylbe von ganz bestimmter Länge seyn:

Verbann' aus unsrer Brust den misslannigen Sorgen- tumult, Voss,

sonst entsteht ein verschiedener Vers:

Aus freier Brust die öoigen verbannet in frolicher

Lust,

der das Maas haben würde :

Dasselbe geschieht, wenn das Wort zwar mit der Kürze endet; aber im Begriff sich zu eng an das folgende anschliesst:

Als dunkle Nacht die Liebenden barg. Der geheiligt*

Hain.

Der Vers ist also kein Asynartetus. Indessen haben auch ihn einige Herausgeber des Hora-

Von Asynartetsn. 48?

tius , ^viewolil mit weniger Grund , als den vori- gen, in zwei verschiedene Verse getlieiit.

455.

Warum aber, könnte ein Zweifler hier ein- wenden, duldet der Schluss der ersicn Peiita- meterhälfle nicht die Kürze statt der Länge, wenn bloss die schliesseude Arsis hinlänglich ist, sie zu rechtfertigen?

Allerdings lautet die Regel der Grammati- ker, dass diese Stelle unAcränderlich lang seyn müsse; auch habeo die Dichter von jeher diese Regel befolgt. Allein, wenn nur die CUsur auf dieser Stelle ganz bestimmt eintritt, so ist kein Grund, warum nicht hier, wie bei jeder andern schliessenden Arsis, die Kürze Statt finden könnte^ z. B.;

aLer die duntle Nacht schwieg schauerlicher, düsterer blickte der Mond,

Denn dass auf ähnliche Art die Kürze im Hexa- meter stelle, ist schon öfter bemerkt woi-den. Allerdings ist diese Pcntameterlünge' dreizeitig; aber auch die dreizeitige Lange in der schlies- senden Arsis duldet die prosodische iCürzc, z. B. :

Schüchtern sang die Erröihende ; schweigend horchte

der Buchbain.

Nutrlvi magis et inagis ut beata q^notannis. Catull, Wahrscheinlich bedienten sich die Dichter des-

488 Allgemeiner Theil.

wegen bei dem elegischen Verse dieser Freiheit nicht, weil der Vers durch eine so ganz be- siimmie Cäsar zu eintönig werden würde, wie bei der weitern Erörterung des elegischen Pen- tameters noch deutlicher werden wird.

454. 5. Der enkomiologische Asynartctus:

^ (>' Irt Jeivoi-UVit tm TvQixyiiii'i.

Aber hinaus, wo der Fluss durch Wald und Berghöhn.

Er hat vielleicht tripodisches Maas:

.f: .^ J' .\^ i" i ^"11 .N.J.

vielleicht aber auch diese dipodische:

.N'! .\N«! / I J / J / 1 J.J.

Wegen der Länge statt der Kürze des ersten Trochäen in der zweiten Dipodie vergl. das 5y5 Gesagte. Die Kürze der Schlusssylbe in der ersten Reihe hat ihren Grund ebenfalls iu der schliessenden Arsis , z. B. :

Alles beseligende , huldreiche Göttin. Falsch würde seyn:

KUes beseligende Gewalt der Liebe.

Denn die Schlusskürze wurde über die metri- sche Zeit hinweggezogen werden, und man würde die Bewegung :

~<-»«» »t» I S0> f *^ '^^ I —-•

Ton Asynarteten. 489

ZU vernehmen glauben. Auch hier ist es also nicht nöthig, einen Asynartetus anzunehmen.

455. 6. Der lambeiegus, der die Ordnung des

vorigen umkehrt:

>>>

.«> *.< «.«1— «««w «■««■«^

Aus dunkler Felskluft weeken Gesänge mich auf. Das Maas dieses Verses ist tripodisch:

,M J .N.J. I .':.'* y\N'* .N

Er ist so wenig ein Asynartetus, als der Alkäi- sche Vers, dessen letzten Kretikus der lambeie- gus in den Choriamben variirt.

456. 7 Der Platonische Vers: jfaf()e naXaioyovMV dvö^cov ■&£ut<x}v ^vXXoys nap-

Scheuche den düsteren Sinn, noch blüht die Jugend, lächlet die Freude dicli an ,

von Plato, dem Komiker, so genannt. Hefä- stion misst diesen Vers mit richtigem rhythmi- schen Gefühl so:

wobei er vielleicht an die Art dachte , wie Gram- matiker, manchmal auch wol Dichter, Vex'«zu-

49° Allgemeiner Theil.

sammensetziingen erfanden. Sie setzten nämlich in die Mitte eines bekannten Verses ein Sclialt- uictrum {fifT()op /.ifaov. S. 262.), wozu gewönlich der Choriarah , das iambische Penlliemimere» ( ~ _ _ ^ ) und das daktylische Penlhemi- nieres {-.^J^J-.^J^-) gebraucht Aviu-de. In diesem Platonischen. Vers iöl zwischen die Hälf- ten des elegischen Verses jene iambische Figur, Penthemimeres genannt, eingeschaltet, wie die Messung Hefästions zeigt.

Der Messung und iil>tlieilung:

wo 'JW W— lO t> WU OÜ-"

V

'/f^-iQ'^ TcalaLoyovtav KvÖQiov d^iarcop ^vlXoye TrapToaoq:cov widerspricht die Stelle der repräsentirenden Länge.

Hermann will den Grammatiker verbessern und misst den Platonischen Vers so:

_t^y oü— "oi— »^~v/l u*j 00

Freuden umflattern die Jugend , graue Weisheit bannet sie

neidisch hinweg.

Rhythmi ch betrachtet wird der Vers durch diese Theilung sclileppend, indem ihn die bei- den auf einander folgenden, thetisch- lyrischen Cäsuren, gegen das von liefästiou angeführt« ?ieis])iel entstellen.

Von Asy narteten. 691

Die Messung ist tripodisch:

vielleicht aber auch c!ipo''isch, "wie Lei dem Elegiambus (454.) beide MessuDgen Statt findun:

.^* jV .5 j-^ I j / j /i j. j. 1 .^^ j\'; ,^ .N j.

wo ev aber besser als zwei ^erse betrieb tet würde :

ou I O ü i

Denn er ist seinem Rhythmus nach ein Elegi- ambus mit noch einer Penlameterhälfte. In so fern hat er auch auf der ersten Arsis der zwei- ten Periode, inderCäsur die prosodische Kürze :

u ou w«j ! u w I •— I 00 I

Alles beseligende, hiildmcho Göttin, höre den Feier- gesang.

Hermann 'scheint diese Kürze zu bezweifeln, wiewol er sie bei dem enkomiologischen Vers anerkennt; daher kommt ohne Zweifel seine, den Hhylhmus entstellende Theilung.

458. 8. Der Pindarische Vers, nacli Hefä- stion's Messung :

\J \f \^ I «w— uO— l c»~o u

OS xat Ttmfig ayvo) nAiitd rixtro ^uv&av ^'&uvui/.

Dort blUlit, Tora jNordtturm nimmer bedroht, in dem Thai

•in ewger Frühling ,

49s Allgomciner Theil.

scheint, dem Schema nach, die Umkehrung des platonischen zu seyn; denn die Daktylen sind hier in der Mitte und werden auf beiden Sei- ten von lamben eingeschlossen. Seine Messung würde nach dieser Ansicht folgende seyn:

Hermann tadelt auch hier den Grammatiker und theilt den Vers so :

Ü V-» U I <J^ VKJ %J I —0 0

wo der Rhythmus freylich bis zur höchsten Mo- notonie in den drei lyrisch- thetischtn Cäsuren schleppend wird. Denn dass Hermann metrisch nach Tripodien den Vers habe iheilen wollen, lässt sich nicht erwarten , tlieils, weil er die Tii- podie nicht kennt, theils, weil er in andern Versen niemals die Au/taktsylben in die vor- hergehende Periode, metrischer Weise, zuschrei- ben pflegt.

Vielleicht ist aber keine dieser Messungen die wahre, wenigstens bieten uns die Versbei- spiele bei Hefästion, wenn wir von seiner zu- sammengesetzten Messung absehn, einen weit schönern, lebendigem PUiythmus dar, nämlich diesen : _ o ~

V0~(fi0t di 'AUL ro ftrjSfT ccyuv fuog aivrjaav niQiOGtag

Von Asyn arteten. 49S

die mit O bezeiclmete Stelle gestattet als sclilles- semle Arsis die prosodische Kürze, ohne den Vers zum Asynartetus zu machen.

459. Die einfachere Form dieses Verses ist der Eur^pideische sogenannte Asynartetus :

Dort wohnt in FrühlingsblUteupiacht ewger Reiz der

Jugend.

Die Messung erklärt sich von selbst, aber es ist dieser Vers so wenig ein Asynartetus, als ein andrer. Gibt man dem Schluss der ersten Hälfte, die in der /dreizeitigen Schlusslänge ideell ent- haltene Thesis: als reelles Moment, so zeigt sich der iambische Tetrameter :

oder metrisch getheilt: z I Z I -_-(Z)| |__

als Grundschema des Verses.

46o. Es würde unnöthig seyn, alle andre Verse, die von Hcfästion und Hermann als Asynarte- ten angeführt werden, besonders durchzugehn. tiberall, wie in den Angefülirlen, sieht man, dass die unbestimmte Sylbe ihren Grund ent- weder im Schluss einer metrischen Periode ,

49* Allgemeiner Thail.

welche die Grammatiker verkannten (<5er Tri* podie), oder im arsischen Schluss eines Rhyth- mus, oder in der verkannten dreizeitigen Lange, oder in etwas ähnlichen findet , ohne dass man nÖ- thig hätte, eine besondre Gattung von Versen, die Asynarteteu, anzunehmen, um jene Freiheit der Sylben zu rechtfertigen. So verschwindet denn, neben den poly&chematischen und anti- palhetischen Versen auch das Fantom der Asyn-» ' arteten, deren Begriff schon schwankend lässt, ob von Einem \ erse die Rede sei , oder vou Zweien.

Archilochus wird als Erfinder der Asyn- arteten genannt. Diese Erfindung konnte in nichts andern bestehen, als dass Archilochus feines Gehör genug hatte , um in Versen , wel- che man sonst für verschieden hielt, die metri- sche Gleichheit zu bemerken, und in Beziehung aui diese Gleichheit, ihre Zusammensetzung zu versuchen. So lang ein solcher Vers das Zei- chen seiner Zusammensetzung in einer bestimm- ten lyrischen Cäsur behält , ist es gleichviel , ob man ihn als Einen Vers schreibt, oder als zwei. Wenn aber rhythmische Künstelei, oder Muth- ^ville der Komiker, diese Cäsur verwischt, dann findet die Trennung freilich nicht mehr Statt, und so entsteht erst der widersprechende Be- griff eines Asyuarteten, indem die Worte des Verses Einheit andeuten , und der Rhythmus des

Vom Hiatus. iga

Verses an sich die zwei verbundenen Rliythmen eewönlicli in lyrisclier Antithese nachweiset. So findet man in manchen Äsynarteten die lyrische Cäsur von Archilochus selbst genau beobachtet, und von Kratinus und Aristofanes in derselben Versart. willkührlich verlegt.

Vom Hiatus.

# 461.

Der angebliche Charakter der Äsynarteten, dass sie in den Endsyiben das unbestimmte Maas und auch den Hiatus gestatten, macht es nölhig, hier einiges vom Hiatus zu erinnern.

Unter Hiatus versteht mau den Misslaut, der durch das unmittelbare Zusammentreffen zweier Vokale oder Difthongen entsteht, z.B.:

Nicht Europa allein ^ und er redete also Leda aber begann das blaue Auge.

Man kann es sieh nicht verbergen, dass Verse durch solchen Uibcllaut entstellt werden, und Dichter, die mit einem feinen Gehör be- gabt sind , suchen ihn möglichst in ihren Ver- sen zu vermeiden. Indessen trifft man doch zu- weilen zusammenstehende Vokale, ohne durch einen Misslaut beleidigt zu werden. Der Hiatus scheint also nur unter gewissen Bcdingungeu

496 Allgemeiner Theil.

durch das ZusammentrefFen der Vokale zu ent- stehn, oder, wenn man mit Einigen jedes Zu- sammdutreffen der Vokale Hiatus nennt, so scheint er nur unter gewissen Bedingungen fe- ierhaft, unter andern aber zulässig zu seyn, und selbst der feierhafte Hiatus kann unter manchen Verhältnissen aufhören feierhaft zu seyn.

462.

Man bemerkt bei einiger Achtsamkeit, dass Vokale, die in der Mitte eines Wortes zusam- mentreffen, keinen Misslaut erregen. In Fraar- tes, Kanaan und ähnlichen Worten duldet man die beiden a unbedenklich. Wollte man hingegen einen Vers anfangen: da ahndete, so war der misslautende Hiatus vorhanden. Zeus blauäugige Tochter, lesen wir ohne Tadel; genau aufmerkend hingegen, oder: Sank der Nacht th au auf die Flur, würde missfallen.

465. Der Grund dieser Verschiedenheit Hegt ohne Zweifel darin : Jedes Wort ist durch eine, zwar oft geringe , aber doch immer vorhandene Schlusspause, von den benachbarten Wörtern abgescldossen , wie die Zweideutigkeiten durch Vernachlässigung dieser Pause ( z. B. der Zei- tung gleich, statt: der Zeit ungleich) beweisen.

Vom Hiatus. 4^-,

Die Vokale innerhalb eines Wortes empfangen nun beim Aassprechen keinen besondern Än- stoss (Spiritus) und werden, wie gebiindne No- ten, gleichsam mit demselben Bogenstrich ab- gefertigt. Sprechen wir Fraartes, so werden beide a in demselben Hauch gesprochen und, ohne besondern Einsatz, nur gelind markirt. ( * ^ * I* ) Anders hingegen ist es, wenn zwei VokaJe an der Gränze zweier Worte zusammen- treffen. Der wortanfangende Vokal bekommt einen besondern Kehlansioss (Spiritus lenis) , der zu seiner Aussprache nöthig ist. Geht ihm nun in dem Ende des vorigen Wortes ein Kon- sonant vor, so präparirt das Schwa, das dem Konsonant nachtönt, diesen Spiritus lenis, und der Anstoss, mit welchem der \okal einsetzt, wird durch diese Vorbereitung gemildert. Tont aber am Ende des Wortes ein Vokal, so muss der Anfangvokal des neuen Wortes entweder, die Wortpause verletzend, mit dem vorherge- henden zusammenfliessen, oder mit jenem An- stoss eintreten, der hier um so härter tönt, weil er in das weiche Aushallen des Endvokals sich eindrängt, und dieses scharf absclmeidet. Diese Härte, mit welcher der Spiritus, den Nachhall abbrechend, seiuen \okal einfülirt, ist der Hiat us.

464. Ans dieser Natur des Hiatus folgt:

A2

.,ijy All .c L- m e i u c r Tlieil.

1. Der Spiritus asper, mit dem tin Wort anfangt (das II) r- lit^bt den. Hiatus auf, indem er das Eintreten des \ oiials vermittelt. Das H ist das Schwa vom Konsonantenkörper entbun- den, indem es also dem Anfangvokal vor- tritt, führt es ihn so leielit in den Klang ein, als tönt' es als Schwa einem vorhergehenden Konsonant nach.

(Man denke sich den frei eintretenden Vo- kal wie den \iolinton, der in Berührung der Saite mit ruhendem Bogen anfängt, den aspi- rirten aber als den, welcher durch* Berührung der Saiten mit schon bewegtem Bogen entsteht. Die Friktion des Ansatzes bei jenem ist der Spiritus lenis des freieintretenden Vokales mit dem Hiatus.)

465.

2. Worte, die so genau, wie Sylben, zusam- menhängen und gleichsam einen einzigen Wort- fuss ausmachen, bilden mit ihren zusaramen- Irell'enden Vokalen keinen Hiatus. Blauäugig spricht sich leicht, Amerika aber dagegen bildet einen Hiatus; noch missjaulender ist: aus grüner Au aufsteigend. Eben so ist es bei verschiedeneu Vokalen: forderte auch, Europa endlich; nur dass der Misslaut ver- mehrt wird, wenn gleiche Vokale zusammen- trefl'en: wie ihm, da alle er zu untei'st.

V" ü lii H i a t II s. 4qr»

466.

3. Eu, ei, au, u. i, bilden am Wortende vor andern, als ihnen gleichen, Vokalen, keinen so harten Hiatus, als die andern Vokale, oder Difthonge. Z. B. Blau a n g e t h a n , bei uns, treu oder untreu, du aber, wie oft. Der Grund ist , weil i und u leicht in die Conso- nanten j und w übergehen, und dieser schwe- bende Halbkonsonant vertritt einigermassen die Stelle des Spiritus asper. Dieser Halbvokal drängt sich oft zwischen die Vokale, und zwar nach o, wegen dessen Verwandtschaft zum u, daher rovina aus ruina: und dass er im Di- gainma sich bis zum F steigert, ist bekannt. jNach e drängt sich wegen dessen Verwandt- schaft zum I das j; daher die Verwechselung der Endungen in ea und eia, z.B. Hhiöfiu, Medea. Wie das w zu f, so steigert sich das j durch g' und ch bis zum r und schwächt sich vom r herab zum j. Daher notajo;^ calzolajo statt notaro, calzolaro.

467.

4. Wenn die Paiise nach dem endenden Vokal so bedeutend ist, dass dieser verhallen kann, ehe der neue eintritt, so findet kein Hia - tus Statt. Deswegen, weil nach dem Ende ei- nes Verses in der Regel eine solche Pause cin- Irjil. kann 7A\ischen Versende und V«rsanfang

6oo A 1 1 g e 111 « i 11 e r T h e i 1.

die Stellunc; clcr Vokale Statt finflen, flie zwi- schen Wortende und \\ ortanfang einen fiiatus bilden würde. Allein dasselbe liudel aiuli in demselben Verse zwi.^clicn lihyllinmsende und Rbylhmiisanfang Statt, z. B. :

Als in dem Ost Friihroth aufdämmerte. Ahndende

iJofFnuiig,

VVie diese Pause den Hiatus hindert, so hindert

sie auch die Position, z. B. :

. . . und er naiite sich huldigend. Frohe Bewunderung.

Nur absolute Längen sollten durch das Ende der rhythmischen Reihe nicht verkürzt werden.

468. Hört man die Metriker über den Hiatus, und bemerkt man, wie viel sie bei der Kritik alter Dichter auf den Hiatus Rücksicht nehmen, so sollte man meinen, diese Metriker hätten ihre Lehre aus dem tiefsten Wesen der Sprache geschöpft, und die alten Dichter hätten, entwe- der durch gleiche Wissenschaft belehrt, oder durch ein das Wissen ersetzendes Gefühl gelei- tet, unwandelbare Grundsätze über den Hiatus befolgt. Dass dieses aber nicht der Fall sei, leuchtet bei nälierer Betrachtung bald ein. Böckh*) hätte bei seinen Untersuchungen über

*) Uiber die Versm. des Pindaros , im Mus, der AI- lerth. Wiss. II. 2.

Vom Hiatus, 601

lue Verse des Pintlaros ohne Zweifel manches Vorlref liehe und Wahre gefunden , -wi.jin er sieli nicht zuviel bei Hermanns mangelhaften Sül- zen beruhigt hätte. INach Hermann (§. 4öi.) soll ein kurzer Vokal vor einem kurzen, oder langen Vokal oder Difthongen ohne die geringste Härte seyn. Folgende Stellaugen wären mithin nach diesem Metriker unladelhaft: die flüchtige Antwort, das duiilcle Auge. Da also ohne Ehre erst du unterlagst , Kämpfeade Edle erlagen, da eilte er wie im Gewitter.

Doch möchten sie wenig andern gefallen. Wenn

man an Stellungen, wie:

Stets kam die Antwort,

durch die e n t götterten Tempel ,

Aveniger Anstoss nimmt, so dürfte dieses nicht der Kürze des Vokales zuzuschreiben seyn, son- dern der Natur des Vokales und seiner Ver- wandschaft zum folgenden, in vielen Fallen auch wol der engen Verbindung der beiden Worte selbst, die zusamiuen einen einzigen Wortfuss bilden^

469. Fei'ner soll nach Hermann (§. 45o.) ein langer Vokal, der wegen eines folgenden Vo- kals oder Difthonges verkürzt wird, nnl diesem keinen beleidigenden Hiatus bilden, weil er, wie ein an sich kurzer Vokal hinrollc.

5o2 Allgemeiner 1' h o 11.

Hiergegen gilt das iii dem vorigen Paragra- feu in Beispielen Angeführte. Der kurze, oder der verkürzte Vokal kann den Hiatus nicht liin- dcvn; denn das Wesen des Hiatus, nämlich das unvorbereitete Eintreten des Vokales, wird durch die Verkürzung des vorigen Vokales , wenn keine Pause dazwischen fallt, nicht aufgehohen. Die Beispiele, die Hermann anführt (Metrik §. 43o) :

ovdf: rc fwi TxffjixecTut, inft nu&ov ukyea 'Qv^ibi

Ulil il.l}]V IpVpii' U. S. f.

beweisen nicht; denn ijn ersten hebt die Pause nach der Cäsur den Hiatus, und in beiden ent- steht durch den in I endenden Difthong jener Halbvokal , der den Hiatus im Werden hindert. In dem Pindarischen (Nem, ii. Ant. 2.):

wird Niemand den Mislaut des « cc wegtheore- tisiren. OiTenbar ]irüft Hermann nicht den Vers an dem Grundsatz, sondern modelt den Grundsatz nach den vorkommenden Beispielen.

470.

Auch soll nach Hermann kein missfälliger HiiUus cnlstehn, wenn der erste Vokal lang ist lind deji ictus im Verse liat. Untadelhaft war

dalicr :

Vom Hiatus. oos

und es sah Agamemnon und er stieg zu der grünenden Au auf blühenden Klee e hm als, jetzt Stroh oft trägL er zur Streu ein.

was Niemand billigen wird. Hermanns Bei- spiel :

'Jhov inTTjGdai, ivvaiO(iivov titoIu&QOv.

beweiset wieder nicht; denn tlieils bildet sick hier jener Halbvokal, tbeils hindert den Hiatus die Cäsur. ^

471. Der letzte Fall, den Hermann in seiner Metrik angibt, ist dieser: Avean der erste \o- kal laug ist, oder ein Diflhong, und an einer Stelle des Verses sieht, wo er keinen ictus hat, und überdies lang ist, oder lang scyn kann. Wo unter cheser Bedingung eui Hiatus vor- kommt, soll es ein Zeichen einer verderbten Lesart seyn, indem er nicht anders, als am F.nde eiaes Verses vorkommen könne.

Der Fall, den Hermann hier augiebt, wird allerdings auch ohne Hiatus häufig das EjicIc eines Verses andeuten; denn eine lange Sylbe ohne ictus, .ilso in der Thesis, steht gcwönlich am Ende einer metrischen Periode, wohni in der Mitle des Verses nicht gern ein rhyth- mischer Einschnitt fällt, der die Periode lieber in der Mitte schneidet. Es ist daher niohi /"

5o4 Allgemeiner U'lioil.

verwundern, dass man boi dem Hiatus an solch einer Stelle nicht eijcu des Hiatus, sondern, der Stelle selbst wegen, auf ein Versende, oder doch auf eine lyrische Casur schliessen kann, z. ß. in dem bekannten Vers der Saffo :

> \ ^ ^ > I ]N t j I ^ 1 ^ Ji > i > i i i

vvarfg, nuQcc ötQ^it' cjQa, tyo) df (lova na&ev&O). Ausserdem findet der lange Vokal in der The- sis ijorh Statt im Auftakt, und in Trochäen mit der reprasentirenden Länge, In solchen Fällen wird sich aber der Dichter vor dem Hia- tnr^ iiüten, damit nicht durch die Stellung vor dem \ -..kal die beaböichligte repräsentirende Länge vciioren gehe, oder geschwächt werde. Es wird also, wo eine solche Stellung vor- kommt, in den meisten Fällen auf das Ende eines Verses geschlossen werden können.

472.

Diesen Hiatus, behauptet nun Hermann, ba- ten die alten Dichter sorgfältig vermieden, und hierin hat er, in Beziehung auf das eben Ge- sagte, ganz Recht. Sehr auffallend aber sind die Ausnahmen, die er von diesem Satze (434) macht. Die alten Dichter haben nämlich, sei- ner Meinung nach, diese Sti-enge nicht beob- achtet:

1. Im heroischen Hexnmeter, „desscu feier- licher Gang eher einige Schwerfälligkeit in der

Vom Hiatus, ^oä

Prosodie vertrage." Ein eigener Einfall, in der That, die Würde eines Verses zum Deckman- tel der Nachlässigkeiten und ICakofonieen zu machen! Und ist denn der Hiatus eine pros- odische S:"hwerfälligkeit? Im Gegentheil ist er doch vielmehr ein Aufheben der Schv*'ere , das mit der Feierlichkeit des heroischen Verses eben sehr übel kontrastirt. Wenn in den von Her- mann angeführten homerischen Beispielen: (oSf ßiTjV T äya&ov , Tiat '/Xiov iq.i avaacftv.

der Hiatus gemildert wird, so liegt dieses theils in dem Auftakt und der Natur des Bindewortes Kai, das mit dem folgenden Wort sich zu einem Wortfuss vereinigt, theils an dem, nach dem y.ub zwischen beide \okaIe hineinklingenden., Halbvokal. Man versuche aber: -

Steigt Aurora auf, an der östlichen Pforte des

Himmels ,

und der Hiatus ist mit aller Härte mitten im heroischen Verse vorhanden.

473.

2. In den lonicis a maiore, „deren gebroch- ner und matter Rhythmus durch diesen schlep- penden Hiatus nichts verliere."

Also erst wird der Hiatus wegen der Würde, und nun wegen der Unwürde desVerses zugelassen ! Sollte man in'cht meinen, der Metriker scherze nur.

5oG Allgemeiner Theil.

oder spräche liier im eigenlliclisten Sinn, wie der Blinde von der Farbe ? Freilich nacli der Hermannschen Theorie ist der ionische Rhyth- mus gebrochen und matt; denn die erste Hälfte des lonikers besteht nach Hermann aus einer Reihe, die mehr anfängt, als sie ausführen kann, und eine zweite zur Hülfe braucht. Allein die- ses Hermanniöche FauiaEraa isL zum Glück kein ionischer Riiytlimus. Der ionische Vers hat^ wie wir oft ^eaehn habfn, diesen Gesaug:

Hell schimmert im MondessUal die loichtwailenda

Meerflut.

el xal ßuailevg nfqjiiyMg, ojg &vrjTog u^ovnoV'

Wer, der diesen Rhythmus hört, und nicht bloss im metrischen unvollkommnen Schema :

musiklos beschaut, wird ihn wol matt und ge- brochen nennen? So wallen aber unsre gepine- senen Metriker mit verschlossnen Sinnen im Reiche des Gesanges, über Dinge entscheidend, deren Wesen ihnen so fremd ist, als dem Blin- den die Farbe. Wäre der sinkend ionische Rhytlimus matt, so war es der antispastische nicht minder; denn er unterscheidet sich von dem ionischen allein durch Aitu Auftakt:

Wie hell schimmert im Mondcsstral die leichtwallende

IVloerflul-,

Vom Hiatus. §07

oder in Musikzeichen deutlicher;

J \ «. d. a^ 9 \ » s e e \ 0. d. e^ a i c. « Was die Alten an ionischen Gesä]igen tadelten, bezog sich hauptsächlich auf ihren Inhal!. Wenn spätere Grammatiker sie unsangbar fan- den, so lag dieses an ihrer unpassenden Mes- sung, die sie zum Vernehmen des ionischen Rhythmus so wenig kommen Hess, als zum Auf- fassen der antispastischen und dochmischen Rhythmen, die noch In ihrem Namen den Be- weis führen, dass ihr Gesang* den Theoretikern ein unerforschtes* Geheimniss war.

474. 5. Richtig ist allein der dritte Fall von Her- mann aui^egehen ( §. 45i.) , dass nämlich am Ende des Rhythmus ein schliessender langer Vokal mit dem folgenden anfangenden Vokal des neuen Rhythmus keinen Hiatus bilde, z.B.: Schon hallt die Tuba! überall tönt Schlachtgeschrej.

Der Grund ist der schon (467.) angegebene, weil nämlich der schliessende Vokal in der Pause z-wischen den Rhythmen Zeit findet, zu verhallen , imd in der Rede allezeit verhallt seyn muss, wenn die Stimme mit einem neuen Satz eintrilt.

Dieser Grund Hegt, wie man sieht, ni<hi im Rhythmus, sondern in der Rede; denn im

5q8 Allgemeiner Theii.

Rhythmus bildet sich der Hiatus nicht, sondern hl den arliitulirten Lautei? , Avelche den ilhyth- mus erscheinen lassen. Hieraus erkennt man den Irrthum der Metriker, die den Hiatus un- ter rhythmischen Bedingungen erlaubt, oder un- erlaubt finden wollen, da er doch beides bloss unter grammatischen und logischen Bedingun- gen seyn kann.

Es ist auch mithin falsch, wenn die Metri- ker im Allgemeinen behaupten, dass am Ende des Verses der lliatus erlaubt sei. Er ist es nur, wenn am Ende des Verses ein logischer Abschnitt, der jene Pause zulässt, Statt findet, z. B. :

Hell glüht im Purpurlicht Aurora, Aus jedem Hain ertönt ("■eaang ;

nicht aber, wenn dieser Abschnitt fehlt, z. B.:

als hell im Purpurlicht Aurora aufstieg.

In der Mitte des Elegiambus (45o) trennen die Pausen beide Tiieile so bestimmt, dass der Abschnitt in der Rede nicht übergangen werden kann; der Hiatus wird daher an dieser Stelle gar nicht bemerkt , z. B. :

Fervidiore mero arcana promorat loca. Horat. Eben so entsteht im lambelegus kein Hiatus, wenn die Cäsur in der Mitte auf das Ende eines logischen Satzes fallt, üntadelhaft würde sevn :

Vom H i a l u s. 5og

Uns ruft Walhalla ! Auf in die blutige Schlacht.

Falsch hingegen :

Ihn stösst Walhalla aus von der seligen Lust.

Noch übk^r:

Uns lockt Walhalla an mit der seligen Lust.

Ein anders ist, wenn die Vokale in der Mitte eines Wortes stchn:

Auf regte Zeus' blauäugige Tochter den Streit.

Denn hier hebt die Einheit des Wortes den Hiatus auf.

475. Aus dieser Natur des Hiatus kann man leicht beurtheik^n, wie unsicher es sei, ihn zum Merk- mal des Yerscndes zu machen, da Verse, be- sonders deklamatorischer Gattung und in de- klamatorischer Verbindung, oft schliessen, ohne dass der rhythmische Gedanke mit dem logi- sclien zugleich endet, und da umgekehrt der Hiatus am Ende des logischen Satzes ( in der Cäsur) Statt finden kann, ohne dass eben ein Versende vorhanden seyn muss, z. B.:

Zeus in Gewölkhöhn

donnerte ; unten im Thal rauscht u. s. f.

oder in der langen Thesis : So

•weissagte Mauto : Untergang droht allem Volk.

Wie unsicher mitliiu und willkürlich die Kriti-

:; 1 1 ) A 1 1 j^ e m e I n e r 'I' li e i l.

ker-J)ei Bestimmung des Vcrsen<]e.s diircli den Iliatu.s verfulircn, da sie Aveder die dreizeitige Länge, noeli den flüeLtigoii Daktylus, weder den Schluss in Hauptraojnentcn { g. J. ), noch das tripodisehe Versmaas kannten, fällt in die Augen.

Von der Brechung der Worte am Ende der Verse.

476. Der Fall, von, dem wir sprechen, ist dieser: Gewönlich endet ein Vers mit dem Ende eines Woi'tes, ja, man slösst sogar an, wenn das letzte Wort ein bindendes ist, das den Vers mit dem Folgenden in den genauesten Zusam- menhang bringt, z. B. :

. . , . doch zu lange bediiiiket es ihn.

Gleichwol finden wir Verse, deren Ende in die Mitte eines Wortes fallt, selbst bei Dichtern, welche den Wohllaut und das Schickliche im Vers hinlänglich ehren. So hat Voss, der den sogenannten Asynartetus :

in zwei Theile zerlegt, in seiner Uibersetzung des Horalius Epod. i5, V. i4. die Trennung:

Verbann' aus unsrcr Brust den miss- lauijjgon Sorgentumult ,

\ an der Brechung der \Vurte am Ende der Verse. 5ii

und V. 23 :

Kie trägt zum Hause dich die meer- farbjge Mutter zurück.

Auch im Hexameter:

.... nahte mit düsterem , unhold- seljgem Blick ,

wlü'de die Brechung mehr der Seltenheit, als der Härte -wegen auffallen. Lesen wir dagegen:

.... schwingend die Keul' und den Spiess, Zeus'

Sprössling, da kamen, die Braut ver- langend die Beiden zusammen , und Kypris , die Reizvolle , sass , oder :

Länger siehst du nicht diesen Mann , ein gross- sprechrisches Wort ! ■wie keinen un- ter dem Heer Troja je ,

SO wissen ^vir kaum, ob der Dichter nicht bloss mit uns scherzt, und erst, wenn uns die Filo- logen versichern, die Alten, als Pindaros. ha- ben-eben so abgetheilt, z. B. Isthm. I. 21. nach Hermann :

^ KttGTOQetoi , 1] lola- ov hu(j(.ioi.tti {.iir i'(.tvcij ,

nehmen wir unser Gefiil gefangen, und verrau- then eine liefe, uns nur unbekannte und un- vernclimliclie Schönheit thirin.

iiia Allgemeiner Theil. Von der

477. Ob die Dichter des Alterllnims hierin so ganz verschieden von uns gefühlt haben, ist in neuern Zeiten silbst von Filologen bezweifelt worden. Voss (Zcitm. S. 243.) war einer der ersten, die behaupteten, nicht die Dichter, son- dern die Grammatiker, hätten aus Unkenntniss der Avahreu Abtheilung die V^erse in der Mitte des Wortes gebrochen, und ßöckh hat in dem Versuch einer neuen Abtheilung der pindari- schen Verse diese Behauptung praktisch ausge- führt.

So viel ist gewiss: In allen Versen, deren Maas wir genau kennen, finden sich Brechun- gen der VV^orte am Versende höchst selten, und dann kommen sie nur auf eine solche Art vor, welche die Brechung bloss scheinbar macht, d. h. , nur zusammengesetzte Worte werden gebro- chen, und zwar nach der Commissur ihrer Zu- sammensetung , z. B. :

Quanto cum fastu , quanto molimine circum- specteraus. Horat.

Mit wie schwellendem Stolz, wie hochehrwürdig wir

ringsum- her anschaun. Voss.

Die sogenannten Hyrermeter, in welchen dir letzte öyibe des Verses eiidirt wix'd:

Von der Brechuug der Worte am Ende des Verses. 5i5

Orania Mercurio similis , vocernque coloremqu© Et ilavos crines, Virgil,

und der Lekannte Homerische:

TQMag anwGaa&ut , -/.ui iQvxffASv evQvoncc Zt]' V, aviou y.. t. X. ■.

geliöreu niclit lileher. Nur die Schreibart , wel- che den letzten Buchstaben zu dem folgenden Verse rechnen will, gibt den Schein einer Bre- chung.

In saffischen Oden scheint eine andre Art Brechung vorzukommen :

nvxva diviovni an (üquv ai&e- ^og dea (xeOGOi , Sappho.

Labitur ripa, love non probante , u- lorius amnis. Horat.

Siegs/jesang umher , und des freiqn Volks ver* götternder Zuruf,

die auf die Zusammensetzung der Worte keine Rücksicht nimmt, und daher selbst einfache Worte trennt. Allein Andre haben schon be- merkt, dass diese Brechung nur zwischen dem dritten Vers der Strofe und dem angeliängtcn Adoniker vorkomme. Hierauf gründet sich die Vei-mulhung, dass der Adonius mit dem vor- hergehenden Saffischen \ersc enger verbunden sei, als die di-ei Saffischen Verse unter sich. Und so ist es auch in der That, wie bei Mes- sung der Saffischen Strofe nachgewiesen werden wird.

35

i)l4 Ail^'^uiciue t 1 heil.

4-9. Nur in unbekannten Versarten , namentlich In denen der chorischen Strofen bei den Dra- matikern, und hti PIndaros, finden wir Bre- chungen der \ er.se. Unbekannt dürfen wir diese Versarten wol unbedenklich nennen, da fast je- der Kritiker sie anders abtheilt, was unmöglich seyn würde, war' ihr Rhythmus bekannt und unzweifelhaft. Hieraus und aus der Analogie der bekannten Versarten sollte man wol schlies- sen dürfen, dass die Dichter dasselbe Gesetz befolgt hätten, wie bei bekannten Versarten, dass aber die Verse von den Grammatikern nicht als Vei'se vernommen , sondern nach einem ganz fremdartigen Priacip abgetheilt worden wären, gleichsam als wollte ein Ünmusiker, der keine dreifache Theilung kennt , und von Pausen nichts weis, den bekannten Menuettrhythmus:

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so abtheilen :

^.3=:

und metrisch als zwei Verse:

_ ^ «« 1 I*. W N.« I <*« «^ «.« I

bezeichnen. In dieser Art ist z. B. Hermanns Theilung des ionischen Tctrametcr .

Von der Brechung der Worte am Lnde des Verses. 5i5

J .N. I J.J jN j'.'^jN .^ 1 J.

'^' i/ / in folgende Stücke:

iari fiot nlovros fxeya doQV - w I -

oder nach seiner Angabe des Rhythmus:

<«> -- I «^w**«.»

4 - CTi fitoi nXovTog fifya do^v

s.. '•*'

Xttt ii(fog,

WO möglich noch schlimmer zerrissen, als jeuer Menuetrhythmus. Erinnert man sich zugleich, dass diese Versabtheiler bloss zweizeilige Län- gen kannten, dass sie die prosodische Quanti- tät der unljestlmmten Sylbe mit dem metrischen Maas (Neuere oft auch dieses mit jener) ver- wechselten, so kann man im Voraus weit eher unrichtige, als richtige Abtheilungen von \ersen erwarten , die nicht durch regelmässige Wieder- kehr, gleich den bekannten Vei'sarten, ihi-c Mes- sung liefer und bestimmter einprägten. Was blieb also d>sen Theoretikern übrig, als die unbekannten Sylbenreilien mit bekannten Kliylh- nien zu vergleichen, und so, besonders in an- tisirofischen Gedichten, wo die Verse sich ent-

öi(i Allgonieiuer i'heii.

6prechen sollten, zuweilen Anfang und Ende eines Verses in die Mille des Woi'tes zu le<j,en'i Dass dieses geschehen sei, lehrt jeder Blick in irgend eine Ausgabe der Dramatiker oder, des Pindaros.

48o. Nach Voss 's Meinung (Zeitm. S. 245), der auch Bock h *) beistimmt , haben die Verse in den Strofen der Chöre eben so wenig Wort- brechungen, als die in lyrischen Strofen. Man soll nämlich die Verse in der Strofe betrachten als grosse, wied«;rum aus kleinem Versgelenken bestehende Glieder, welche sich antistrofisch bloss im Ganzen entsprechen, wie etwa zwei Hexameter, nicht aber in den einzelnen kleinem Gliedern, die sich auch in den Hexametern niclit entsprechen, z. B. :

Malo me Galatea potit, lasciva puella,

et fugit ad salices, et se cupit ante videri.' Virgil,

sind beides Hexameter, aber jeder ist im Ein- zelnen anders gegliedert , als der andre. So fasst auch Böckh in Einen Vers zusammen:

^^^aei' otxTj-GzTjoct Barrov xagnoqo^ou yJißvug UquVj Mit dem Zwillington des Waldhorns wcrhselte frölicher

Dopptlj^oaang,

* ) Uiber dif? Vernmaasse des Pinilaros. Im Museum dar Alterth. Witsenschaft. II. Band. 2. Stck.

Von der Brechung der Wonn am Kndc des Verses. aiy

was die Ausgaben (Pyth. 4, v. lo. ii) in zwei Vei"se iheilen, und vermeidet dadurch die Bre- climig in der Gegenstrofe:

cpafii yaQ ru^d ti, v.'f.tTTluy-

UTOv nore yuq 'ünuqolo aogav ,

Als vom Tlial laut scholl Triumfaus-

ruf in des Sclilachtcngesaiigs Melodie ,

indem beide \ erse nun einen einzigen Telra»- meter mit beweglicher Cäsur bilden. Allerdings kommen durch dieses \ erfahren zuweilen etwas kolossale Verse zum Vorschein, z. B.:

^ d m 0 \0 » t 3 \mB*ä0\0»dä^ \*.0.tr» \e.J^0 «

c^ltiag yfy()C(7TTori. ylvy.v yao avTM /iFlog 6qfi?.o)v inc- Xi).ud-\ (a 3Ioia, a.).).o gv y.cct dvyavTjo.

Herbei zum Siegsmahl, wo der Pokal schänrot, und mit dem Kriegshall in den Gesang laut einstürmt der Posaune

Gewalt.

Ferner :

£i).{t' Kuoi'tt (pdtfuvov no).vdfV'/.rig KcirroQog sv ito-

Eitler Schüiulierrtchaft Diadem und der Drangsal glänzen- des Schmachmonument ,

oder noch liingin*:

5i5 Aligemciiicr Theil.

Gtc'ixfv eviTVTiov (jaddi^t KvQuvag o(fQtt noi^iu^ovii ovv

Als im Schicksal vollen gewalligen Welticampf siegesfroh hcrstürnito die mutige Schaar,

die , wie Bock h selbst meiut , in ihrer Lange sogar lächerlich scheinen könnten, wenn man Vtrgisst, dass ihre Länge allein aus der Auffüh- rung zu einem grossen Tanz erklärlich sei.

48i. Es ist hier der Ort noch nicht, über diese Vci-skolosse etwas zu bestimmen. Allerdings müssen einige von ihnen befremden, nicht so- vvol durch ihre Lange, als durch den Wider- streit des logischen Abschnittes mit dem rhyth- mischen, selbst in solchen Stellen, wo man AVcgou der hervortönenden lyrischen Antithese eine Uibereinstimraujig der logischen und me- trisch-rhythmischen Cäsur erwarten sollte. Dies 'i?t. um einen bekannten Vers zum Beispiel zu nelimcn, im trochäischen Telrameter der Fall, der bei Pindaros, ohne die gewönliche Cäsur in der Mitte, vorkommt:

JubelvoU anhub geläutdurchhallt des firaiilz'.igs Fest- gesang.

iMan soll freilich durch den Mangel der tren-

Von der Bi-ecliung der Worte am Ende des Verses, iig

nendeiiCäsur gleichsam gezwungen werden, den Vers als ein ungelheilles kolossales Ganzes zu vernehmen; allein das Wesen eines Dinges lässt sich nicht wegkünstein, und so tönt immer die lyrische Cäsur als ein rliythmisches Postulat durch, dem der cäsurlose Tetrameter nicht ge- nügt." Oder wollte man behaupten , statt jener lyrischen Cäsur sollten hier die drei rhythmi- schen Glieder:

^.z -— «^ w^

dnrchkllngen , so scheint dtr Charakter des Te- irameters gestört, der sich, wie alle zweige- theilte Verse, mehr zu dem Lyrischen neigt. Die dreigetheilten, z. B. der Trimetcr, haben mehr deklamatorische Natur«

482.

Viele jener Verskolossen lösen sicli anch bei genauer ßeirachlung in bekannte Formen auf, die nur deswegen bei dem ersten Anblick be- fremden, weil ihr Maas (die metrische Periode) nicht das gewönlichc monopodische, oder di- podische, sondern das längere tripodische ist. Dies ist der Fall bei dem oben angeführten Vers:

520 Allgemeiner TJi e i 1.

orufifv ivmnou ßaaiXrji KvQuvug oqiQa y.ojftct^ovit ovv

^(jy.ifFlAU ,

der ein ti'ipüdischcr Tetrameter ist, aber mit der Cäsur wechselt, so dass der zweite Theil des Verses zuweilen einen Auftakt bekommt:

yv(x){^i vvv TV.V Oidmodci aoq^iav. fl yuQ rig o^ovg o|ü-

To/nco Tit^emi:

Goldner Lichtstral frohes , ersehnetcs Tags , wie bald um- zog dich feindlicher Stürme Gewölk!

Durch das rechte Maas der Verse verwandeln sicli also viele, die von Böckh zu den zusam- mengesetzten B-hythmen gezält werden , in ein- fache, durch gleiche metrische Perioden zu messende \erse, und vielleicht gelingt es einer künftigen Untersuchung, durch gehörige Mes- sung auch in den noch fremdartig scheinenden Vei'sen Variationen der, allgemeinen rhythmi- schen und metrischen Formen aufzufinden. Denn , was man auch von Pindaros höher re- gelloser Schönheit rühme, sollen es nicht leere tönende Worte seyn, mit welchen man Uner- fahrne blendet, aber Unterrichtete nicht täuscht^ so zeige man doch nur erst diese erhabenen Khythmen in ihrer regellosen Schönheit, jedoch ganz bestimmt und verstandlich auf. Aber son- derbar genug stimmen alle Kritiker im Lobe der Pindarischcn Rhythmen überein, während sie

Von der Brechung der Worte am Ende des Verses. 621

Über uichts uneiniger sind, als eben über diese Fibythmen selbst, die einer so, ein andrer an- ders zusammensetzt, emendirt und ordnet. Wo bleibt aber Pindaros unter allen Pindarisken? „Der geniale Dicbter sagt sein vorzüglicher Bearbeiter ckh scbmiegte sieb natürlicb Tiiclit in vorgeschriebene Formen, da ihm bei der grossen IMenge von rhythmischen Möglich- keiten überall die Bahn offen war; aber gewiss hielt er sich an die festgesetzten Regeln der rhythmischen Bildung, welche, nach dem Vor- gang vieler Musiker und Lyriker, ohne Zweifel eben so bestimmt wai-en, als heut zu Tage viele Gesetze der musikalischen Komposition."

483.

Aus dem Gesagten erhellt, dass Brechungen der Worte am Ende der Verse nicht anders, als in der Kommissur zusammengesetzter Worte Statt finden können.

Ob Brechungen der Worte in der Kommis- sur der Asynarteten Statt haben, ist eine un- nütze Fi'age , da es keine Asynarteten im ge- wönlichen Sinne gibt. Will man \evse, deren Hhyihmus bestimmte , besonders lyrische Cäsur hat, so nennen, so wird durch die Brechung der Worte in der Kommissur der Khythuius nicht gestört, z. B.:

Als um Mitteruacht die icliicksal-volle Kriegsarbeit begann.

52» Allgemoiner Theii.

Ausser der Kommissur gebrochene Worte hin- gegen stüi'en die Cäsur, besonders da gewön- lich alsdann ein andrer rhythmischer Charakter, sogar ohne Brechung, bloss dui-ch den verän- derten Einschnitt entsteht , z. B. :

«»> »irf I w/— ?«^ ( ^< .^ I .«»^_

Oedes Felseiland im Meer , vom wilden Raubthier nur

bewohnt.

Ein solcher Vers bleibt zwar metrisch ein tro- chäisclier Tetrameter, rhythmisch genommen aber ist er von dem lyrisch gelheilten Tetrame- ter ganz unterschieden.

Wenn ein Vers unvollzälig ist, und also mit Pausen schliesst, so findet am Schlüsse nicht einmal die Brechung in der Kommissur deis Wortes Statt, z. B. im cpionischen Vers:

Er trotzt unheiliger Herrschaft und beugt sich nimmer

dem Schick- sal, u. s, w.

Dasselbe gilt von der Casiir eines Verses, nach welcher eine Pause eintritt , z. B. in folgendem :

Fröllcher tönet der Jagd-gesang zu muntrer Hönier

Schall,

Denn ein solcher Vers ist seiner Natur nach

nicht Ein (janzes, sondern Zwei.

Vou der Brechajig der Worte am Ende des Verses. 525

Der ersleu Haifte des elegisclien Yerses folgt keine Pause. Duldet man am Hexameterscliluss die Wortbreclnmg in der Kommissur, so ist kein, Grund, sie hier zu tadeln, z.B. bei Kal- limaclius:

iiQa vvv de Jiog- KovQidita yevef]^ und Voss:

Sauk ein dunkeles Sühn-opfer in heiterer Nacht,

Vucli hier aber haben die Metriker (vergl. Her- mann'« Metrik §. 2.^9 bis 245) eine Menge Vor- schriften erdacht , die nichts sind , als Resultate einseitiger willkürlicher Theorien, und vom völ- ligen Mangel eines richtigen Gehörs bei ihren Erfindern zeugen. Lixsst sich z. B. wol etwas widersinnigeres denken, als der getheilte fünfte Fuss im sogenannten Pentameter, von dem je- der Abschnitt eine Hälfte haben soll,

nm fünf Füsse zu zälen? Gleichwol ist diese Messung noch immer die übliche.

484.

Einen indirekten Beweis gegen die Zulässig-

keit solcher Brechungen gibt ilir Gebrauch zu

Bewirkung des Komischen, Man kennt den

Vossischen Vers,

Gesättigt reicht dem Herrn PiJtori sein Glas der dicke Konsistmi- iilralli ,

t

^2* Allgemeiner Theil.

und, um den Einfluss des Picims zu entfernen, Klopstock's :

Lebe die KlubbergmunizipalgüIIotinoligokra- tierepublit!

in dena Gedicht: dns Neue, wo der wilde Hu- mor des Dichters den' Meropsfluf; nicht in die- ser einzigen Stelle nimmt, desgleichen das Ai'i- stofanische :

l.onadora(itt)^oaf}.ayoyvl(o~

i(^avio?.en{iut'odoif.tu7iüT(jiiffjiaTO-

■ü ikq io:'M<Juoi.i^li r'iy.uTuy.f yv nivO"

xi,y/,ke7tiv.0Gf)vq:0Tifi)iOTe(ja-

kfy,TQvovomfK&a>u/.)uoviyy.kon£-

K(io\ay(x)OGiQaioßa(f.i}r(juyuvomiQvy(av.

Nicht aber bloss das anschauliche Ausdehnen des Wortes macht den konischen Eilekt, son- dern zngleich das Aufheben des gefühlten Ge- setzes, dass der Vers ein Ganzes seyn soll. Die- ses deutet auf eine Unbehülflichkeit des Dich- ters, dem die Sprache durchzugehen scheint, während er den Vers zu halten bemüht ist. Der komische ElFckt ist daher allezeit um so stäi'- ker, je mehr die Leichtigkeit, Sprache und Vers vereint gehen zu lassen , in die Augen leuchtet. Denn so erscheint jene Unbehülflichkeit als ein freier Scherz des Dichters, Avie eine dümmliche Maske vor einem geistreichen Gesicht. Manche Verse der alten Komiker möchten wol ei.st von dieser Seite ihren wahren meti'ischen Sinn zei- Sfcn könnfu, besonders w^nn man berücksich-

Von der Brechung der Worte am Ende des Verses. 525

tJgt, wie gern die Komiker parodirlen und pa- i'odirend persifilirteu. Aehnlichen Effekt maclit schon das Aufheben der Wortti'eunuug, indem mehre für «ich hcstehende Worte zu Einem kolossalen Wort verbunden werden, ohne dass sie, wie jener aristofanische vielzeilige Wort- riese, die Gränze des Yersendes überschreiten, z. B. :

Gcc}>7TtyyoXoy'^vn7]i^adat , acx^xttGf.i07nTvo)(ccf.i7iT(i(i ,

A r i s t o f , oder:

Giftwütlirichfallkrautwolilverleidürrblätterstaub,

WO ein Wort den ganzen Trimetcr erfüllt. Et- was ahnliches ist das aristofanische :

ijvj <jO VU

tj yj ^ U —' I <-ii.)-Uv>>— I Uü-^<-'w I UU

Gi(VTr,g ßulavTjg dkqcruftoißoi TO^pevTCtG7TidoXv^on7]yot

Hochreichsf'relherrlicher Bibliothekar, auch Titulareduka—

lionsrath ,

WO die Wortfüsse im aristofanischen Yers fast wie im rh opalischen Hexameter wachsen.

In modernen Versen ist etwas ähnliches die Vermeidung des Reimes, wo er sich von selbst zudrängt. Beispiele sind aus Shakespeare und alten Volksbüchern bekannt.

485.

Hermann hat sehr umständlich in seinem

Handbuclie der Metrik von der Brechung der

Worle gehandelt. Allein da wir die Brechun-

jea ausser der Kommissur der Worte, über-

426 Allgemeiner Theil.

liaupt für unstatthaft ansehen, so war' es uu- iiöthig, das Einzchie in den Erläuterungen je- nes Metrikei's besonders zu widerlegen. Eben so wenig kann hier von dem bekannten Streite die Rede seyn, ob Ahlwardt, oder Böckh. der erste war, welcher die Unschicklichkeit der Wortbrechungen einsah, und eine Abtheilung alter lyrischer Gedichte ohne Brechungen ver- suchte. Mehr als , alles andre muss doch der Gesang einer Yersgattung über das Ende der Verse entscheiden. Wie kann man also über Eintheilung eines Gedichts in Verse sprechen, so lang der Gesang der Verse nicht vollkommen entschieden ist? Das oben (276) rhythmisch re- stituirte Skolion zeigt, dass weder Wort- noch Sinn -Brechungen darin Statt finden, wie in den gewönlichen Abtheilungen, und dass die- selbe Versgattung, jedoch in vielfachem Wech- sel rhythmischer Bewegung, vpn Anfang bis zum Ende durchgeht.

Metrische und rhythmische Eintheilung der Verse.

486. Das Metrum und der Rhythmus gibt einen doppelten Eintheilunggrund der Verse. In An- sehung des Metrum gehören sie niimlich entwe- der dem geraden, oder dem ungeraden Metrum an,

^Metrische iind rliythmlsciie üintheilur.g der Verse. Saj

tmd die ersten wiederum entwedei' dem spondei- scben, oder dem gemischten, die Ictztei-n aber dem schweren, oder leichten dreizeitigen Metrum.

487.

Der Rhythmus bewirkt in zweierlei Hinsicht Verschiedenheit unter den Versen, nämlich in Ansehung der Bewegung und in Ansehung der Form.

Der Bewegung nach sind die Verse durch die metrische Form, oder Periode bestimmt und bestimmen sich als daktylische, ionische, cho- riambische u. s. w.

Der Form nach sind sie verschieden , je nach- dem sie im Nicdertakl, oder Auftakt anfangen, und auf diesem, oder jenem Moment der Perio- de schliessen, und mehr, oder weniger Perioden erfüllen.

488. Eine vollständige Eintheilung der Versarten hat auf alle diese Verschiedenheiten Kiicksicht zu nehmen. Wir werden daher die verschie- denen Versgattungen in folgender Ordnung ab- handeln :

I. Verse des geraden Metrum, welches zwei Hauptmomenle enthUlt. Diese sind: 1. Verse des spondeischen Metrum, in >Yclchem sich jedes liauptmoment in zwei

iiU^ Allgemeindr Theil.

Momente zweiter Ordnung zerlegt; die Zerlegung geschehe iibrigens reell, oder ideell. Diese sind wiederum : a. daktylische Verse, wenn sieimKie-

dertakt anfangen. Diese begreifen die

spondeischeu und proceleusmatischen

unter sich. h. Anapästische Verse, wenn sie im

Auftakt anfangen. 2. Verse des gemischten Metrum, in wel- chem jedes der beiden Hauptmomenie sich, reel oder ideel , in drei Momente zweiter Ordnung zerlegt. Diese sind, der rhyth- mischen Bewegung, und form des Anfangs nach: a. flüchtig daktylische, nebst den

äolischen und logaödischen, h. trochäisch c, c. iambische, cZ. choriambische,

e. flüchtig anapästischc,

f. ionische,

g. antispastische,

7i. bacchische mit Inbegriff der ersten päonischen Gattung ( - w u u )

i. palimbacchische,

Ji. kretische, mit Inbegriff der zwei- ten päonischen Gattung (vierter Päon J""^ «j - )

Metrische und rhythmische Eintheilung der Verse. 629

In einem vollstündigen System der Metrik war' es allerdings zweckmässiger, diese verschie- denen Benennungen der Verse des gemischten Metrum ganz zu verwerfen, und die trochäi- schen und iambischen Verse als Grundformen, die andern aber als Variationen derselben zu betrachten. Denn es muss befremden, wenn z. B. unter ionischen Versen Verse aufgeführt werden, in welchen auch nicht Ein ionischer Fuss vorkommt:

J«W«. •"« \0»e-\*B«ee \ s. m 7

J«JW Ov) I -U- I UUU «-z I

im Diadem der Vergötterung sich zum Olymp erhebend,

der ihnen doch den Namen geben soll. (Denn im Doppeliambus , 0 ^n) ^ilft, wird kein Wohl- hörender mit Hermann die ionische Form er- kennen.) Allein die nothwendige Rücksicht auf bestehende Ansichten macht die Beibehaltung jener Benennungen unentbehrlich, und so müssen jetzt noch manche Versgattungen unter den her- gebrachten Namen abgehandelt Averden , wicwol die gleichnamige Form oft weder vorwaltender, noch cluiarakterisirendtT Bestandtheil solcher Verse ist. Indessen wird jede Versgaltung immer mit Rücksicht auf ihr Grundschema und ihre Va- riationen abgehandelt werden.

Die Form des Vex-sendes und die Zal der

:>+

53ü Allgemeiner Theil.

Perioden macht den JE iniheil ungsgrund der Ver- se in jeder einzelnen Klasse, nach der früher (218 IF.) gegebenen Eintheilung der rhythmischen Schlüsse.

II. \ erse des ungeraden Metrum, welches drei liauptmomente enlhält, sind:

1. Verse der schweren Gattung, diese sind: a. molossische, welche jedes der drei

Hauptmomente in zwei Theile zerfallen , h. tripodische, oder molossisch-trochä- ische Verse , in welchen jedes der drei Hauptmomente in drei Momente zweiter Ordnung zerfällt.

2. Verse der leichten Gattung. Diese sind: a. päonische Verse der dritten Art

( - o vj v-r ) oder parapäonische,

die durch Zerfäiiung der Momente ent-

steha , &. m o n o p o d i s c h - 1 r o c h ä i s c h e Verse,

in welchen die Momente nicht zerlegt

werden. Wie wir bei den spondeisclien Versen von der ersten rhythmischen Urform jL _ oder d a aus- gingen, so beschliessen wir in den monotro- chäischen Versen mit der zweiten rhythmischen Urform - o Denken wir uns den Cyclus al- ler Versgattungen, so sehn wir, dass zwischen diesen beiden Extremen auf der einen Seite des Kreises die ganze Pieilie der q uan litirendeu

Schlussbemerfcung. 55i

von uns aufgezälten Versgattungen liegt. Auf der entgegengesetzten Seite liegt zwischen den- selben Extremen die Reihe der a c c e n t i r t e u Verse , die sich im spondeischen und mono- trochaischen Metrum an beide Extreme quanti- tirender Verse anschliessen. Diese accentiren- den Gattungen werden den zweiten Theil der besondern Metrik ausmachen.

489. Wenn Hermann alle einfachen Verse in trochäische, daktylische und päonische theilt, so ruht vielleicht die Idee dieser Einlheilung auf dem ysvog laov , dcnlaaiov und ijf.uohov, nur dass Hermann mit dem ysvog dtnXaaiov in den Trochäen anfängt. Wie unvollkommen indes- sen diese Ansicht sey, fällt in die Augen; die anlispastischen Verse z. B. werden zu den Iro- chäischen gezält, während die sinkend ioni- schen, die doch jenen, den Auftakt ausgenom- men, ganz gleich sind, unter den daktylischen genannt werden. Es sei auch hinlänglich diese Abtheilung, die sehr empirisch für eine aprio" tische Theorie klingt, nur angeführt zu haben.

S c h 1 u 5 s b e m c r k 11 n o'.

490.

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf das Ganze der vorstehenden üntersuchuu-

i'j'i A 1 1 g c 111 e 1 1. c i ilieil.

gfu, SO iindeii Avir folgende Salze bewiesen uud als Haupisälze unsrer Theorie aufgestellt:

Die lUiylhmen der alten Musik und der al- len Verse sind von den llhythmen der neuen Musik im Wesentlichen durchaus nicht verschie - den. Sie haben ganz auf dieselbe Art, wie un- sre jMusikrhythmen, einen bestimmten Takt, nach welchem sie vernommen und getnesscn werden.

Der Grund, warum der Takt in der alten Musik und in den alten \ersen von den Me- trikern bezweifelt woixlen ist, liegt bloss in der verfeldten IMessung der Rhythmen. Verfehlt Wtirde sie dadurch, dass man alle Längen ohne ünlerschied mit demselben Zeichen (-) und ebenfalls alle Kürzen mit demselben Zeichen (u) bezeichnete, und nun den >\illkürlichen Satz aufstellte: jede Lange sey dem Maasse zweier Kürzen gleich. Man wende diese Be- handlungsart auf unsre, unbezweifelt taktmässige Melodien an, und man wird Sie zu derselben Taktlosigkeit umgestalten, wie es mit den anti- ken geschehen ist.

Das Mittel , den wahren Gesang der alten Pihythmen zu erkennen und wiedei*herzustellen , ist die Aufhebung jener einseitigen Art zu mes- sen. Man verlasse die unbestimmte, vieldeutige metrische Bezeichnung und bediene sich der be- stimmten Musikzeichen, wo man nicht mit dem

i G li 1 u s s b e ra e r k u u g. 553

allgemeinen BegrifF der Länge ausreiclit, son- dern das bestimmte, sehr verschiedeue Maass der Länge ( J. j ,. und ,1^ ) bezeichnen muss.

V

Nur in solchen bestimmten Zeichen kann man die ^vahre Bewegung der Rhythmen unzweideu- tig vernehmen und Anderen deutlich machen.

Uibrigens überzeuge man ^ich aus der Natur des Rhythmus, dass alle diese verschiedeneu Gattungen der Länge und der Kürze nicht eine willkürliche Annahme unsrer Theorie seyen, son- dern eine, in dem Wesen des R.hythmus selbst begründete Sache, dahingegen die Behauptung der Metriker: jede Länge sei zweizeitig und jede Kürze einzeitig, ein dem Wesen des E.hythmus widerstreitender Ausspruch derWilikührist, für dessen Gültigkeit auch nicht der Schatten eines Beweises von den Metrikern beigebracht wor- den ist.

Wie unsicher und inkonsequent die Metri- ker in ihren Messungen verfahren , und zu wel- chen Widersprüchen sie durch ihre bloss zwei- zeitige Länge gezwangen werden, mag noch fol- gendes Beispiel zeigen.

Hermann hatte in seiner Metrik behauptet; die Thcsis könne zwar im Maasse der Arsis gleich seyn, auch kleiner, aber durchaus nicht grösser , weil die Wirkung ( §. 42) niemals gros-

554 ' Allgemeiner Thcil.

ser seyu könne, als die Ursache. Aufmerksam gemacht , dass auf diese AjL't der Päon ( - u u u), dessen Arsis nur zwei, die Thesis aber drei Zeiten habe, jener Theorie widerspreche, er- klärt er seinen Satz auf eine Art, die man kaum glaublich finden würde, las' man sie nicht in seinem Briefe an Böckh (Mus. der Alterth. Wiss. Bd. II, St. 2. S. 556). „Nie hab' ich schreibt der Metriker behauptet , noch konnte ich behaupten, dass Alles, was die Thesis aus- macht, der Arsis gleich seyn müsste. Dann müsste ja z. B. in diesem Verse von Klopstock:

Nieder zu dem Haine der Barden senkt,

bloss der zAveite Fuss ein richtiges Maas haben; im ersten aber die Länge dreien Kürzen, im dritten eine Kürze der Länge gleich seyn. Ich habe, wie Sie aus §. 42 ff. der Metrik sehen können, bloss behauptet, die Arsis könne kein kleineres Maas haben, als jede einzelne Sylbe der Thesis hat, wol aber ein länge- res. Daher ist derTribrachys ein eben so rich- tiger Rhythmus , als ^ w u u u u , wo die Arsi« nur o w gilt."

Durch diese Erklärung fällt unbezweifelt das ganze Gebäude der Hermannischen Metrik zu Boden. Abgerechnet das Widersinnige, dass nicht die ganze Thesis, sondern nur jede Sylbe derselben, als Bewirktes von der Arsis, kein

Schlussbemerkung. i3S

grösseres Maas haben dürfe als diese (wodurch der empirische BegrilF Sylbe auf einmal in das formal aprioi-ische Gesetz des Rhythmus gezo- gen wird) , so Avird ja durch jene Erläuterung durchaus jede mögliche Reihe von La'ig uiid Kurz, zum untadelhaften Rhythmus 5 denn wie sollte man denn auch, wenn man die Sylben durch des Loos ordnete, gegen jenes Gesetz feh- len können, da es unmöglich ist, wenn man mit der Länge als Arsis anfängt, eine thetische Sylbe zu finden, die ein grösseres Maas hätte als die lange Arsis ? Zu was denn nun also die Ankündigung und Aufstellung eines Ge- setzes, das der frivolsten Wilikühr, ja selbst dem gesetzwidrigen Vorsatz freies Spiel lassen muss ? Zu was die Aufstellung eines kritischen Grund- satzes, der nie Anwendung finden kann, weil das, was er verbietet, absolut unmöglich ist? Zu solchen Hülfsmitteln muss sich die Ilerman- nische Theorie flüchten! Hat wol je einer der so oft gescholtenen Grammatiker, oder irgend ein andrer Melriker, auf diesen Gipfel der Un- "wissenschafilichkeit sich verirrt?

An sich ist die Sache sehr leicht zu erklä- ren. Der Satz: keine Thesis kann grösseres Maas haben, als ihre Arsis, ist a priori voll- kommen richtig und bewährt sich in jedem empirischen Rhythmus, wenn man nur die Zer- fällung der Momente beobachtet:

Jj36 Allgemeiner Theil.

Arsis. Thesis.

Spondeus.

J I J

- I o u u Päon.

J, I .f' / j-^

u

Bacchius.

J. I J /

- I - u w loniku«.

J. 1 j: Ji ."

Uiberall ist die Thesis der Arsis im Maasse gleich mid so zeigt sich wieder in jedem denkbaren Rhythmus die Richtigkeit der angegebenen Theo- rie, und die nolhweudige Gleichheit des arsischen und thetischenMaasses postulirt ^viede^ die drei- zeitige Länge, welche wir aus der Natur de« Rhythmus abgeleitet haben.

Das kürzere Maas der Thesis: o

ist aus dem Obigen ebenfalls klar.

492. Vergleicht man nun die Begeisterung, mit welcher unsre Metriker von der ganz über- schwenglichen Schönheit der alten Rhythmen sprechen, mit der Ungewissheit, in der sie selbst über den wahren Gesang jener alten Rhyth- men schweben, indem fast jeder Melriker sie anders vernimmt und ordnet , so trifft man woi

Schlussbemerkung. 537

das Wahre, wenn man Aermutliet, die Metriker haben niemals einen antiken Rhythmus (mit A-usnahme der bekanntesten ) wirklich vernom- men, sondern sprechen jene Begeisterung nur den Schriftstellern des Alterlhums auf Treu und Glauben nach. Betrachtet man nun über dieses noch die Missforraen, welche die Metriker für antike Rhythmen ausgeben und als solche be- wundern , und bemerkt man , wie diese Missfor- men aus dem Zerreissen verkannter Rhythmen entstehn, so muss jene Vermuthung zur Ge- wissheit werden. Man sollte nun glauben , der wahren Begeisterung für das Schöne müssten Aufschlüsse über die Natur des Verkannten will- kommen seyn, gleichwol lehrt die Erfahrung, dass die Metriker, der aufgezeigten wahren rhythmischen Formen ungeachtet, bei ihren rhythmuswidrigen Ansichten beharren.

Dieses Festhalten der Metriker bei ihrer Messung und die Beharrlichkeit, mit welcher sie der für den Gesang zweckmässigeren Mes- sung widerstreben , würde fast unbegreiflich seyn, wenn man nicht wüsste, wie imgern die Bewunderung von einem, Gegenstand ablässt, dem sie nicht aus Anerkennung der Wahrheit beipflichtet, sondern im glaubenden Erstaunen huldiget. Man ist gewohnt . die Rhythmen der

538 Allgemeiner Theil.

alten Musik und Poesie in einem Glanz uner- reicbbarer VortrefFliclikeit zu denken, und diese nicht unangenehme Illusion wird durch die man- gelhafte Kenntniss von ihrem wahren Gesang am sichersten unterhalten. Zeigt nun eine he- stimmte Messung das wahre Wesen jener Rhyth- men, und dass sie keine andern waren, als solche, die unsre Musik uns langst hat hören lassen, so verschwindet jenes bewunderte Schat- tenbild, und die Fantasie scheint zu verarmen, indem der Verstand ihre Alcinous Gärten zu gewönlichen Blumenstückeu und Lusthainen ver- arbeitet. Der Bewundrer der alten Rhythmen zieht deswegen jede Erklärung, die ihm das Verstehn jener Rhythmen schwer, ja wo mög- lich unmöglich macht, einer solchen vor, die ihm den Ausruf: weiter nichts ? ! abnöthigen könnte, weil er sieht, dass er mit der bewun- derten Schönheit längst Bekanntschaft halte, ohne sein Glück zu kennen. Aber, wenn man auch in der Dichtung gern den Marmorfelsen zusehn mag, die sich nach der Musik glätten, formen, und zum Wunderpaiiast zusammenfü- gen, so wird doch ein wirklicher Baumeister den Kopf schütteln und sich mit dem Bau nicht befassen wollen, verspricht man ihm nicht ne- ben dem Musikus noch die nöthigen Werkleute. So kann man auch wol mit dem Dichter sich gern an den Wundern der alten unbegreiflichen

Schlussbemcr kun g. 559

Musik crfi'cuen, und dennocli den Kopf schüt- teln, wenn der Metriker uns die Sache erklä- ren will, und Mittel augieht, wodurch ein Con- cert entsteht, das uns andere Empfindungen ge- währen würde, als die, um welche wir die griechischen Zuhörer der Vorzeit beneiden.

Hierzu kommt, dass vorzüglich Hermann seine Metrik mit dem Glanz seiner Gelehrsam- keit ausgeschmückt, und zugleich Kennern und Nichtkennern , durch den Schein der bis zur Trockenheit strengen wissenschaftlichen Form so imponirt hatte, dass man kaum wagte, hin- ter so ernsten Umgeh migen das unhaltbare Fan- tasma zu vermuthen, welches dieses tJieoreti- sche Labirinth bewohnt. Uiber dieses hat die Hermannische Metrik schon so viel Einfluss auf die Veränderung der Lesarten in den Dichtern des Alterthums gehabt, dass mit dem Fall die- ser Theorie nothwendig auch die mühvolicn und ernsten Bestrebungen vieler Kritiker als ver- fehlte Versuche erscheinen müssen. Hieraus er- klärt es sich, warum die Metriker die Untersu- chungen über den Rhythmus in das Gebiet der Filologic zu ziehen suchen, da es doch offenbar ist, und der leichtesten Betrachtung einleuch- tend, dass die Filologie zwar in Ansehung der Kritik durch metrische Untersuchungen gewin- nen kann; dass aber diese Untersuchungen selbst weder in das Gebiet der Filologie gehören , noch

5i6 Allgemeiner Theil. SchlussbemeiKuuj,.

unter Einwirkung filologisclier Rücksichten ge- führt werden dürfen.

Unter diesen Verhähnissen darf es uns nicht befremden , wenn unsre Theorie bei den Metri- kern der Schule keinen Beifall, sondern bloss heftigen, aber gehaltlosen Widerspruch findet. Unbefangene Prüfung hingegen wird das Wahre bald erkennen, und von dem täuschenden Prunk leerer Irrgebäude unterscheiden.

D r u c k f e 1 e r.

S. 4 Z. 1 V. u. st. zufällig, 1. zufällige.

«• 4:1 - 17 st. Fil o s o fis che, I. f ilo s o fis ch e,

- 5i - l5 st, con expi-essione 1. con espres-

s i o n e. 6i - 4 V. u. St. ni]Vttt, 1. 7it]yat.

- 82 - 6 st. Insensität, 1. Intensität.

- o4 - 5 T. u. st Ausdehnung, 1, Ausdehnun-

gen.

- QC) - 16 St. ein Trochäus, 1. im Trochäus.

- 106 - 10 St. a}^X-)^).ovv, 1. akkriXo t'iv, -125-2 letzt. Takt, st. ^'^ J^ 1. ^ >

- i52 - 5^st. J J 1. J ^'^

- IZiJ - 10 ßt. Tiimeter, !. Tetrameter,

- l4t) - 8 St. aerisj 1. acris,

- l36 - 20 St. den i. die.

- 168 - 3 st. celerirate, I. celeri ratt, ,

- 169 - 1 V. u. St. dem 1. den.

- l84 - 5 T. u. St.

ist zu lesen : ov— 5<j|— u

- 208 - 2 St. ereiltst, 1. ereilst.

- 220 - 4 V. u. St. steht, '1. stehet.

- 221 - g st.drei ze i tige, 1, dreiü eilige Länge.

- 226 - i4 St. ^ _ ^ _ 1. 3 _ _ ^

- 209 - .10 feit der zweyte Takt: - ^ _

- 246 - 16 St. '&avftCcce IV , 1- -d^uv/iiaCdv.

- - 10 St. Bewunderung, 1. Bewundrung.

- 262 - 9 u. 10 ist der letzte Taktstrich auszustreichen.

- 268 - 1 V. u. St. ^ 1. 7

- 269 - l4 St. sahen, 1. sehen künftig.

- 'J^5 - 1 St. igoj^ \. iaxtv.

S. 28o - 4 St. kehrt, I. kehret,

- 286 - 5 St. Dimeter, 1. Trimeter,

- 3'2g - 17 St. u ng (i Av ön li ch , 1. ung e\vö n lieh e,

- 359 - 3 V. u. St. rebenbekraiizete, 1. reben-

bekränzte.

- 55o - 8 St. Allerbes eligerin, 1. Allcsbese-

lig eri n.

- 55l - 5 V. u, St. Goldenen, 1. Goldenes.

- 56o - 18 st. Beglücktem, 1. Beglückten,

- 4oi -Sst. r_^_^l, ^j_^_

- 432 - 6 V, u. st. m uss ten , I. musste.

- 45/ - 8 V. u. St. 7l0l-Ml(>i& Qov', 1. noiKiko-,

"& QOV.

- 462 - ^ &t. TtOjTOV, 1- 7lQ0)T0V-

- 475 - 8 St. , _ ^ 1. u - o

- 5oO - 10 St. Bewunderung, 1. Bewundrung.

- 620 - 8 St. 6'^ovg, 1. o^ovg.

Geringere Feier , welche sich leicht im Lesen verbessern^ hielt man anzumerken für unnöthig.

Gesang. ^^^fL^F^TJ^^

iemals zum Streit die tapfre Heerschaar. }.ai<sr] - 'i-ov TTQoß/.Tjua XQüjtos,

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Begleftun

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Frelhehaarum dich. TOV ~ TK u-Tre -/.UJV.

Freiheit! Vaterland!

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Hochhcdu zurück siegreich, dann windet statt des ftvoiaTu y.aXov Xai-orj-'i - ov irgo^Ar^fia

Kräftis^-.

Gesang.

Begleitung.

^iC! ff' ^^^''="='«"''^^"'. «■' leuchtet der Tag des Kampf«! Fröhlicher zog niemals rum Streit die tapfre Heerschaar. ,01 n/.ov Toe ^jyas öo-qv y.ai ^i-ipog, xaiToxa-Xov !.ator, - i-op n^oßl^ixa x?<"ros,

Hochlicllger firoias «£

Heersruf! Tummle dich, Schlachtschwert, an dem Ta-ge des heiigen Kampfs! Kommst du zurück siegreich, dann windet statt de$ -y.}.7],uai, Toe Se fiT] toi, - /iojv - tis i-jrcivSo-^v xaj - 90s, x«e tu xaXov lai-aij-'C - ov liiioßhifm

Lorbeers aus bräutlichem Feslzweig dir die Gelieb -te den Siegkianz. Tummledich, tapfres Schwert, es beginnt der Kampf um^ ^y"" T \T'

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