Full text of "Metrik"
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M e t r i k
V o 11
August A p e l.
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Erster Tlieil.
Leipzig, 181 4 ,
in der Weygand'schen Buchhandlung-
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in 2010 witin funding from
University of Toronto
http://www.arcliive.org/details/metrikap01apel
Vorrede.
ilis ist eine oft wiederholte Behauptung,
' dass die Verse tles klassischen Alterthums
unsre neuern Verse an Schönheit des rhyth-
mischen Gesanges weit ühertrofTen haben j
befremdend ist es aber dabei , dass die Be-
wunderer des Rhythmus in den ahen Ver-
sen über nichts uneiniger sind, als eben
über diesen Rhythmus selbst, welchen der
Eine so, ein Andrer anders angibt. Man
vergleiche nur verschiedene Ausgaben des
Pindarus, der Tragiker, der Skollen, oder
andrer Gedichte. Jeder Herausgeber hört
einen andern Rhythmus und lässt die Le-
ser einen andern hören. Betrachtet nun
ein Unbefangener das, was die Gelehrten
als göttlichen Rhythmus des Alterthums
preisen, so wird er über das Ansinnen,
in man eben Versen einen schönen Rbyth-
mus zu vernehmen, um so mehr crstau-
IV Vorrede.
iicn , well er oft in dJesen gepriesenen
Versen gar keinen PJiylhnius vernehmen
kann. Sagen doch selbst die Gelehrten
einander sehr unsclimeichelliafte Dinge über
ihr Gehör und ihre Kunst bei Anordnung
der alten Rhythmen.
Indessen haben wir zu viel Beweise von
dem Kunstsinn des Rassischen Alterthums,
als dass wir uns überreden könnten, die
Griechen hätten ein so wunderliches Ge-
wirr von Lang und Kurz , w ie uns die Ge-
lehrten vorzeigen, für schönen Rhythmus
angesehn. Der Grund, warum wir jene
Rhythmen, die wir bewundern sollen , nicht
mit dem Gehör vernehmen können, dürfte
vielleicht weder in uns , noch in den Rhyth-
men liegen, sondern in den Erklärungen
der Gelehrten , die jene Rhythmen missver-
standen, und ihren Fantasierhvthmen die
Bewunderung zollten, welche die wirklichen
Rhythmen in dem Alterthum verdient hat-
ten. Es war' wenigstens nicht das erstemal,
dass den Gelehrten so etwas begegnete.
Bevor man über die Schönheit der alten
Versrhythmen entscheidet, sollte man billig
diese Rhythmen selbst kennen , d. h. sie so
bestimmt und unzweideutig vernehmen , als
andre Rhythmen, z. B. in unsrer Musik.
Vorrede, V
Dieses Ist bei den Rlij-^llimen, die uns die
Gelehrten als alte Rhythmen aufzeigen, kei-
nesweges der Fall. Glclchwol zeigen die
alten Verse , wenn man sie ohne die Erklä-
rungen und Abmessungen derGelehrlen be-
trachtet, einen ganz fassllchcn, und zuwei-
len sehr gefälligen, uns gar nicht fremden
Gesang, z. B. der galliambische, priapische,
epionische Vers und mehre andre. Hat
man diesen cigenthünillchen Gesang Im
Verse selbst gehört, und vergleicht ihn
nun mit dem metrischen Schema- der FI-
lologen, so begreift man sogleich, dass nur
die Unbeholfenheit jenes Schema an dem
Verkennen des wahren Rhythmus im Verse
Schuld ist, und man wird unwillkürlich
an ähnliche MlssgrlfPe erinnert, die von
der Ungeschicktheit des Organes, wodurch
man sich mitthcilte, oder von der Einsei-
tigkeit der Ansicht herrührte, mit der man
das MItgethellte auffasste. So schrieb ein
Ausländer, dass man in Deutschland Ku-
chen aus Asche backe, well man ihm Asch-
kuchen genannt hatte, und ästhetische
MIssvcrsländnisse veranlassen oft eben so
drollige Aeusserungcn , als jenes morali-
sche, das Ernst Wagner's vierzigjähriger
Fibclschütz erzält.
VI Vorrede.
Den wahren Rhythmus der Verse an«
ihnen selbst, abgesehn von den Deu-
tungen der Grammatiker und Fllologen
herzustellen, und zugleich zu beweisen,
dass eine allgemflne Theorie des Rhyth-
mus dieselben Rhythmen a priori entwik-
kelt, welche wir a posteriori in den un-
verderbten alten und neuen Versen und
in unserer Musik finden, unternahm der
Verfasser schon früher, zuerst in dem An-
han«: zu einem Versuch In der antiken
Gattung des Drama (die Aetoller, Leipzig
1806) und dann in einer Abhandlung:
über Rhythmus und Metrum (in der
AUgem. Musik. Zeitung, 1807 und 1808).
Dieselben Sätze, welche in den genannten
Abhandlungen zuerst aufgestellt wurden,
sind in diesem Buche zum System verar-
beitet, wenn man diesen Namen einer Art
von Bearbeitung gönnen will, die das Gan-
ze sowol in allgemeiner llibersicht , als in
den einzelnen Thellcn umfasst, die aber
aus Gründen, welche nicht in der W'is-
senschaft selbst liegen , sondern in der Art,
wie man sie bisher behandelte, die syste-
matische Form oft verlassen muss, um,
entweder fremde Meinungen zu bestrcilcn,
oder früher Gesagtes, bei besondern Ge-
Vorrede. VII
legenheiten, von neuem, und in verander-
tei* Beziehung in Erinnerung zu bringen.
Wer diese Bellandiungs^veise tadeln
will, der bemerke, dass sie nicht aus Nach-
lässigkeit und Bequemlichkeit entstand,
sondern absichtlich, nach sorgfältiger und
Vviederholter Prüfung, erwählt wurde. So-
bald man eine Wissenschaft nicht bloss
erlernt, sondern sich selbst von Grund aus
entwickelt hat, und sie nun im Ganzen
sow ol , als Einzelnen, klar übersieht, so ist
es nicht eben schwer, dem Vortrag dieser
Wissenschaft eine systematische Gestalt zu
geben. Damit ist aber noch nicht erreicht,
was der Zweck des Vortrags, besonders bei
neuen Ansichten , seyn muss, nämlich all-
gemein verstanden zu werden. Der Leser,
der mit andern Ansichten desselben Ge-
genstandes bekannt ist, oder vielleicht für
eine dieser fremden Ansichten schon Par-
tei ergriffen hat, hört, indem er die Lehr-
sätze des neuen Systems lieset, gewönlich
die ihm schon bekannten dagegen dlspu-
tlren, und es kann nicht feien, dass ihn
die entgegentönenden Zweifel und Einwürfe
oft Irre machen , und im richtigen und
deutlichen Auffassen fies Gelesenen stö-
ren. Was dem mündlichen Vortrage , be-
VIIT V o r r e rl ft.
sonders dem in Gesprächsform, Vorzüge vor
dem schriftlichen gibt, nämlich die Mög-
lichkeit, entstehenden Einwürfen schnell
zu begegnen , wollte der Vf. , dem die Ein-
würfe von mehr als einer Seite nicht un-
bekannt sind, seiner Behandlungart zu-
kommen lassen. Deswegen widerlegt er
fremde Ansichten, und wiederholt, oder
bestätigt und erläutert eigene, wie es eben
erforderlich scheint, um eine Sache auch
dem Befangenen einleuchicnd zu machen.
Dabei kann es nun nicht feien, dass
ein und dieselbe Sache dem Musiker höchst
trivial und des Erwähnens unwerth vor-
komme, die dem Metriker unerhört und
in der Ausführung so unmöglich, als in
der Theorie unbegreiflich scheint. Dage-
gen wird manche IMeinung der Theoreti-
ker erwähnt werden, die der Metriker mit
Pomp verkündiget, während der Musiker,
vom Kapellmeister bis zum letzten Ripieni-
sten, dazu den Kopf schüttelt. Jede Partei
erlaube hier, dass der Vf auch der entge-
gengesetzten Partei dieselbe Aufmerksam-
keit widme , auf welche sie seligst gerech-
ten Anspruch macht.
Dass die Behauptungen Hermann's vor-
züglich widerlegt und seine Irrthümer frei
Vorrede. IX
aufgedeckt werden, kann wol niemand
befremden. Hermann's Verdienste, als Fi-
iolog, bleiben unangefochten, selbst als
Metriker \vird sein Andenken beständig in
Ehren bleiben; denn er war der Erste, der
N es versuchte, das Ganze der Metrik wis-
senschaftlich zu bearbeiten. Nur indem
er die Mängel eines ersten Versuches durch
Gelehrsamkeit zu sanktioniren unternimmt,
and gegen die Bestreitung seiner metri-
schen Lehre das vSchild der Filolo^-ie
l>rauc]ien will (Allg. Mus. Zeit. 1809 No.
19), fordert er den Gegner, dem es mehr
um Wahrheit, als um Autorität und «-län-
zenden Schein zu thun ist, zu strcno-er
Prüfung seiner Sätze auf, wo es freilich
gilt, jeden Irrthum mit dem rechten Namen
zu nennen und im hellsten Licht die ver-
schobene Gestalt der Sache dem prüfenden
Leser vor Augen zu legen. Die Takltheo-
rie wird dadurch aufhören ein „efemeres
Fantasma" zu scheinen, und statt sicli
selbst „unangefochten i» Dunst aufzulösen"
möchte sie vielmehr die taktlose Theorie
als ein Dunslgebild erscheinen lassen, das
sich im Nebel musikloser Verworrcnlieit
durch das, übrigens chrenwerthe, Licht der
Trelehrsamkeit erzeugte. GIcichwol fürchte
X V ü r r c d f.
liier Niemand eine blosse Polemik gegen
Hermann 7ai finden! Ein richtiges, aus
der Natur des Rhythmus abgeleitetes Zeit-
maas anzugeben, und so ein wahres Sy-
stem der Metrik, wenn nicht aufzustellen,
doch zu begründen, ist der Zweck dieses
Buchs.
Fi'ir einige Beurtheiler, welche gern' in
jedem Bache nur eine Verarbeitung frem-
der Gedanken linden, bemerkt der Verf ,
dass die Hauptsätze dieses Buches von ihm
zuerst in dem erwähnten Anhang zu den
Aetoliern (I8O6) aufgestellt worden sind.
So viel ihm bekannt ist, hat zuvor nie-
mand auf die dunkle Andeutung Quinti-
lians von der Uiberlänge der Endsylbe in.
der ersten Pentameterhälfte und auf die
Unterscheidung des Anapästs und Dakty-
lus, von Dionysius, eine andre, als die
gewönliche zweizeitige Messung gegründet,
und Voss braucht in seinem vortrefflichen
Werke : Zeitmessung der deutschen Spra-
che, zwar Musikzeichen, allein er misst
Sylben, Füsse und Verse anders und nach
andern Grundsätzen.
Böckh's gelehrte Abhandlung: de me-
tris Pindari in dessen Ausgabe des Pm-
darus bekam der Vcrf erst während des
Vorrede. XI
DnicliS dieser Metrik 'zu sehen, und also
zu spät, um in dem Buche seihst darauf
einige Riicicsicht nehmen zu können,
ßöckh gibt in jener Abhandlung seine
früher bezeigte Bilh'gung der Anwendung
des Taktes auf alte Ilh) Üimen auf. Seine
Gründe sind diese (S. 92): „Quam doctri-
nam sads cjuidcm acutam duo tarnen la-
^hefaetant, immo prosternunt argumenta,
aiterum, quod \eteres trium hrevium syl-
lahas non agnoscun«, aiterum, quod hac
ratione expediri nequit choriambicus ab
iambica incipiens dipodia,
— — w— l — oo —
quo saepe utuniur veteres. Inde profectus
universam Apelii doctrinam , ut despera-
lan^i prorsus, coepi relinquerc.''
Dass die Alten die dreizeitige Läno-e
nicht gekannt haben, beweiset Böckh S.
19 bloss damit: „Longam autem syllaham
a musicis poetisque \cterum in trisemhm
longitudinem produciam esse quamquam
viri harum rerum periiisslmi oplnantur,
qui me quoque auctoiitate sua in eiTorem
ollm induxerunt: tarnen nunc perreptatis
iterum musicorum libris nego hoc fortiler
propterea quod nihil usquam eiusmodi
XII Vorrede.
traditur, tibi si factum esset reticerl non
poterat." Ein schwaclier Beweis in de^
That! Einmal werden die Grammatiker
als die unwissendsten, oberflächlichsten
Köpfe geschildert, und dann wieder ihnen
solche Autorität zugeschrieben, dass eine
aus der Natur des Rhythmus erwiesene
Sache für unrichtig erklärt wird, bloss
weil jene Grammatiker nichts davon mel-
den. Die Musiker melden aber allerdings
davon, wie jene Stelle des Marius Yicto-
rinus (Putsch. 2481) beweiset. Sie feiten
nur darin, dass sie ihren Streit nicht im
Gebiet der reinen Rhythmik führten, son-
dern auf dem Gebiet der Grammatiker,
in der Sprache, wo wsle sich bemüheten,
die verschiedene metrische Länge der Zeit-r
momente aus den prosodischen Elementen
der Sylben zu erklären. Die prosodisi-
renden Grammatiker verwerfen diese Kün-
steleien mit Recht; denn prosodisch fin-
det kein Maas der Länge und Kürze Statt,
sondern eine Sylbe ist bloss im Allgemei-
nen lang, oder kurz, oder mittelzeitig (S.
Metrik 3 18); sie kommen aber in das Un-
recht, sobald sie, wie eben Marius Victo-
rinus beim Metrum selbst das verschiedene
Maas nicht wollen gelten lassen. Feiten
Vorrede. XIII
aber auch selbst in den Werken der Mu-
siker diese Andeutungen, so vergesse man
doch nicht, dass es sehr verschieden sei,
etwas ausüben, und einen richtigen Begriff
davon andern mittheilen; man denke nur
an die IVühere Art, unsre Musikrhythmen
zu bezeichnen. Wenn ein unmusikalischer
Gelehrter behaupten wollte, 'unsre neue
Musik kenne keine dreizeitige Länge, weil
unsre Notirung kein selbständiges Zeichen
dafür hat, indem sie die Noten nicht in
Drittheile, sondern nur in Hälften theilt,
war' wol diese herkömmliche Schreibart
ein Beweis gegen die Sache, die uns Al-
len bekannt ist? Lässt sich auch wol an-
nehmen, dass die Alten jene verwickelten
rhythmischen Zeitverhältnisse sollten wahr-
genommen haben, die Böckh S. 107 an-
gibt, während ihnen das einfache Verhält-
nlss der dreizeitigen Länge fremd gewesen
wäre ? Mit dem dreizeitigen Fuss ( vi ^ u )
ist ja die dreizeitige Länge ( JVij « w ü ) eben
so bestimmt gegeben, als mit dem zwei-
zeitigen Fusse (^ ^) die zweizeitige Länge
("uciw)? welches letzte Böckh selbst (29)
behauptet. Wenn ferner (ebenfalls nach
Böckh S. 29) der dreizeitige Fuss durch
grössere Energie der Arsis ( J ^ y ) entsteht,
XI V Y o r r t tl e.
SO sind ja die sömmtlichen zsvei Theses
eben sosvol Produkte der arslsclien stär-
kern Kraft, als die eine Thesis im zwei-
zeiligen Fuss Erzcugniss der arsischen ge-
ringem Krait ist. Was aber Produkt ei-
nes andern ist, ist ideell in ihm enthal-
ten, eil' es producirt ^vurde, und so ist
also die Dreizeitigkeit eben sowol in der
Arsis enthalten, als die Zweizeitigkeit.
Mithin postuliren selbst Böckh^s theoreti-
sche Säize die Annahme der dreizeitigen
Länge.
Der zweite Grund, warum Bö ckh seine
frühere Meinung aufgab, weil aus meiner
Theorie der choriambische Vers, der mit
der iambischen Dipodie anfängt :
sich nicht erklären lasse , ist noch befrem-
dender. Das Maas ist dieses:
^ I ; ^ ! j > ^ ^ I
Kretische und choriambische Form wech-
selt unbezvYeifelt (Metrik 254, 4H und
an mehren Orten). Das einzige auffallende
könnte nur seyn, das5 ein Vers, der im
Niedertakt anfängt, mit einem im Auftakt
wechselte :
V o r r e d vä. XV
— uu— |— VJW —
<j 1— U~I-"UU —
Allein, theils ist dieses üherlianpt weder
ungewönllch, nocli rhythmuswidrig, iheils
darf es in choriambiscben Systemen, wo
der Fall nur vorkommen kann, gar nicht
befremden, weil Verse im System genau
zusammenhängen, und gleichsam einen
einzigen grossen Vers bilden. Wo ist also
hier etwas , was unsre Theorie anfechten ,
oder gar stürzen könne? W^ahrscheinlich
war es bloss die Unvollkommenheit der
ersten, durch den Ort, wo sie erschien,
beschränkten Darstellung, was den Her-
ausgeber des Pindarus veranlasst, an die-
ser Theorie wegen so leichter Zweifel so
schnell zu verzweifeln.
Uibrigens glaube Niemand, dass das
leichte , angenehme Spiel des Verses durch
eine wissenschaftliche Begründung dem
freien Gebrauch des Lebens und des Um-
gangs entzogen w^erden solle. Durch je-
nes Spiel geschieht dem Ernst der Sache
so wenig Eintrag, als jenem Spiel durch
den wissenschaftlichen Ernst. Denn —
diess sey erlaubt zu wiederholen ~ um
den Tempel jeder Kunst erstreckt sich ein
weiter Vorhof, in welchem jeder beten
XVI ' V o i- r c d e.
und opfern mag, auch ohne prlesterlichen
Schmuck. Freilich macht das Priesterkleid
noch nicht den Priester; aher noch ver-
werflicher wäre doch wol der Satz: dass
unter dem Taiar kein lehendiger Leih,
sondern bloss ein Gliedermann, oder höch-
stens ein Automat verborgen seyn könne.
Geschrieben zu Leipzig, am 5. März 18i4.
Der V^erfasser.
1 11 11 a 1 c.
V o r e r i n u e r u n g e n.
Genie und Regel. §. i.
Versbau. §. 8.
Urtheü des Gehörs. §, li,
Takt und Taktlosigkeit, ^s. i5.
Die Grammatiker. §, 21«
Füsse. §. 20.
Hermann. §. 44.
Voss. §. 55.
CcÄSug und Deklamation. §. 54.
Metrische Bezeichnung. §, 64.
TJibersicht. §, 66.
Allgemeiner Theil,
Vom Rhythmus. §. 68.
Von dem Metrum. §. io4.
Metrische Entwickelung des Rhythmus, §. Il5.
Gerades Metrum. §. 120.
Gemischtes Metrum. §. 123.
Gemengtes Metrum. §. i43.
Ungerades Metrum. §. 154.
Vom schweren ungeraden Metrum. §. lÖy»
Vom tripodischen Metrum. §, i6l.
Vom leichten ungeraden Metrum. §. 172,
Accentirende und quantitireude Rhythmen. §. 176.
Von der Verschiedenheit der Rhythmen. §. IQl.
Von der Rhythmischen Bewegung. §, ig2.
Von Punkten und Pausen. §. 20 3.
Vom Schluss der Rhythmen. §, ai5.
XVni Inhalt.
Vom Anfang der R.hythmen. §, 23-±.
Verbindung der Rhythmen. §. 256.
Verbindung der Verse. $. 281.
Verbindung der Strofen. §. 29O.
Vom Vers. §. 2^5.
Allgemeine Prosodie. §. 5o4.
Nähere Bestimmung des Verses. §. 5l5.
Wortf üsse. §. 321.
Verbindung des absoluten Rhythmus mit der SpracHo.
§. 025.
Von der , Cäsur. §. 336.
Von der unbestimmten Sylbe. §. 35l.
Vom Maas der let;5tcn Sylbe in Rhythmischen Reihen.
§. 555.
Vom Maas der letzten Sylbe in metrischen Reihen. §. 362.
Vom Maas der Endsylbe des flüchtigen Daktylus in rhyth-
mischen und metrischen Reihen. ^. 38 1.
Vom Maas der Auftaktsylbe. §. 586.
Von einer besondern Art der repräsentirenden Länge,
§■ 094.
Von der Kraft der Arsis, eine kurze Sylbe zu verlangen.
§. 397.
Von der Bestimmung der Sylbenquantität durch den
Rhythmus. §. 4o3.
Von den Veränderungen des Rhythmus. §. 4ll.
Von den Versraessungen der Grammatiker. §. 'i20.
Von polyschematischen Versen. (). 454.
Von widerstrebend zusammengeiügten Versen. $. 442.
Von Asynarteten. §. 447-
Vom Hiatus. §. 46 1-
Von der Brechung der Worte am Ende der Verse. $.476.
Einiheilung der Verse. §. 486.
Schlussbenitrkuiig. §. 490.»
Vorerinnerungen.
Genie unfl Regel.
1.
jjer Musik und den bildenden Künsten gesteht
jeder Sacliversländij^e unbedenklich einen wis-
senschaftlichen und technischen Thcil zu, der
sich lehren, lernen und üben lässt , und dessen
gründliche Kenntniss man um so mehr von dem
Künstler verlangt, je weiter die Kunst selbst
fortschreitet, und durch gemeinschaftliches Be-
mühen der Künstler und Beschauer der Kunst,
der Vollendung entgegenrückt. Dieser wissen-
schaftliche und technische Thcil besieht in der
gründlicheil Kennlniss des Stoffes, den eine Kunst
zu Darstellung der Ideen verarbeitet, und in ei-
ner sichern und leichten Handhabung dieser Ma-
terialien. Der bildende Künstler macht daher
seine Schule durch Sludium der Figur, d. h.
der räumlichen Verhältnisse sichtbarer Gegen-
stände; der Musiker durch Studium der Ton-
Verhältnisse in harmonischer und melodischer
Beziehung.
1
Voreriniiei-uuseu.
Nicht so allgemein erkennt man bei der Dicht-
kunst einen wissenschaftlichen und technischen
Theil an. Der Sprache, als des Materials der
Poesie , scheint jeder durch die lange Gewohn-
heit des Sprechens schon mächtig. Er wird also,
das vermuthet man, ohne besondre Schule nö-
thig zu haben, ein Dichter seyn, und vollendete
Gedichte liefern, sobald ihn nur poetischer Geist
wirklich belebt. Daher kommt es auch wahr-
scheinlich, dass niemand Bedenken trägt, sich
selbst als Maler oder Musiker aufzuführen; soll er
sich hingegen einen Dichter nennen , so hindert
ihn seine Bescheidenheit , denn die Beschäftigung
mit bildender Kunst oder Musik sagt eben noch
nicht etwas Schmeichelhaftes von Jemand ausj
nennt er sich aber einen Dichter, so kann er
sich nicht hinter die Technik der Poesie, die
Niemand anerkennt, verstecken, sondern er hat
sich selbst Genie beigelegt, was nicht allzube-
scheiden klingt.
5.
Gleichwol spricht der Dichter nicht die ge-
wöhnliche Sprache, welche Erziehung und Gram-
matik lehrt, sondern er gebraucht, wenigstens
in dem, was man in Ansehung der Form ge-
wöhnlich ein Gedicht nennt, den Vers. In so
fern nun der Vers Sprache des Dichters ist.
Vorerinnerungeii. 3
scheint die Versbaukunst der technisch wis-
senschaftliche Theil der Poesie zu seyn. Die
meisten Kritiker verlangen auch wohl eine Vers-^
technik, (d. i. eine gewisse, von feinem Ge-
fühl geleitete Fähigkeit, die Sprache mit Leich-
tigkeit für den Vers zu handhaben), von dem
Dichter, als eine nicht zu verachtende Zugabe,
allein eine Wissenschaft des Versbaues — was
man gewöhnlich unter Metrik versteht, —
scheint ihnen ein Unding, oder vielmehr ein
Missgriff des in Pedanterei ausschweifenden Ver-
standes. '
4.
Der Versbau scheint nämlich vielen eine so
unbedeutende und unwesentliche Zierde des Ge-
dichtes, dass es sie lächerlich bedünkt, eine
Sache mit dem Ernst der Wissenschaft behan-
delt zu sehen, die sie bisher als ein leichtes
Spiel zu treiben gewohnt waren. Es geht in-
dessen mit mehrern Dingen so. Wer die Musik
bloss vom Tafelzimmer oder vom Ballsaale kennt,
wird auch \iclleicht über die Wichtigkeil lachen,
mit der alte und neue Musiker die Verhältnisse
der Intervalle berechnet haben. Lacht aber je-
ner Unmusikalische damit die Akustik und Har-
monik aus der Reihe der Wissenschaflen weg? —
Ob übrigens der Versbau eine unwesentliche
Zierde des Gedichtes sey , wird die Folge lehren.
4 Yorerinuerungvn.
5.
Andre, der Freiheit des Genius eingedenk,
verwerfen die Wissenschaft des Versbaues, als
eine Fessel , die dem Genie angelegt werden
solle. Das Genie — wiederholen sie — duldet
keine Regel, es ist über alle Regel erhaben;
und doch, wie jede wahre Kraft, des Erfolges
gewiss. Wenige bemerken , dass dieser Gemein-
platz von der Freiheit des Genies , auf dem Dop-
pelsinn in dem Worte Regel beruhe.
6.
Es ist allerdings gegründet, dass überall die
Ausübung der Regel vorausgegangen ist, und
dass die Regel seDjst erst von den Werken der
Kunst abslrahirt und zur Theorie ausgebildet
wurde. Das Genie hat also oflenbar vor der
Regel und ohne d i e Regel gewirkt und gebil-
det, welche von seinem Werk später abstrahirt
wurde, aber nicht ohne die Regel, welche in
der Idee des Kunstwerkes liegt, und von dem
genialen Künstler in der Rildung seines Werks
dargestellt wurde, üeber diese Regel ist nie-
mals das Genie erhaben, denn Genialität besieht
eben darin, nicht die zufällige Erscheinung nach-
zubilden, sondern die Idee in ihrer wesentlichen
Gestalt aufzufassen und darzustellen. Dieser
Geist aber ist oft über dem Buchstaben verlo-
ren gegangen, indem die Theoretiker zufällig
Vor«rinnerungeii. 5
Eigenheiten genialer Werke als Vorbilder be-
trachteten, und ihre Befolgung zur Regel erho-
ben. Denn die Aesthetik hat ihre Menschen-
satzung wie die Moral. Ueber solche todte
Regeln ist allerdings das Genie erhaben, und
wird sie niemals befolgen, ausser wo dieselbe
Eigenheit auch seiner freien Darstellung nöthig
wird. Dann aber ist es nicht Befolgung frem-
dei Regel, was das Genie leitet, sondern gleiche
Freiheit des Darstellens.
Doch nicht allein das Genie zerstört prak-
tisch dergleichen todte Regeln, sondern auch
jede wahre Theorie muss sich bemühen sie wis-
senschaftlich zu vernichten. Deswegen äussert
sich die Theorie immer polemisirend, so lange
noch Trugbilder andrer Theorien vorhanden
sind, welche irreleiten und die reine Idee ver-
dunkeln können.
7-
Der Dichter ist mithin eben so, wie jeder
andre Künstler, an das gebunden, was wir, im
Gegensatz der todten Regel, lebendige Regel
nennen; und wenn der Versbau (nach 5) den wis-
senschaftlichen und technischen Theil der Poetik
ausmacht, so kommt es nur darauf an: zu zei-
gen, dass der Vers nicht eine bloss willkühr-
liche Verzierung sey, mit der die Dichter ihre
Werke auszuschmücken pflegen, sondern, dass
a Vorerinnevu ngen.
der Bau des Verses auf eigenlhümliclien , in sei-
ner Natur gegründeten G'isetzen beruhe, um
einzusehen, dass dem Dichter, der über den
Dilettantismus hinausstrebt, diese Schule eben
so zu empfehlen sey, als dem Maler und dem
Musiker die seinige.
Versbau.
8.
Um dieses eigenthümliche Gesetz des Vers-
baues zu finden, ist es nöthig von den Worten
des Verses ganz abzusehen, und bloss auf des-
sen Klang und Bewegung zu merken. Wer die
Worte nicht beachtet, •während er auf den
Vers horcht, fasst blos das mit dem Gehör auf,
was unsre Vorfahren die Weise, die Römer
Numerus und die Griechen Rhythmus nann-
ten. Von diesem Rhythmus, (denn das grie-
chische Wort ist uns technisch geworden) be-
haupten wir nun, dass er auf eignen, in der
Natur gegründeten Principien beruhe, und dass
mithin jeder Vers, als Rhythmus, oder Verbin-
dung von R.hythmen betrachtet, nach diesen
Grundsätzen gebildet und beurtheilt werden
müsse.
9-
Die Wissenschaft dieser Principien nennen
wir Metrik. Sie lehrt keinesweges Rhythmen
Vorerfnnerungen. 7
oder deren Zusammensetzung erfinden, oder, wie
manche sich vielleicht einbilden, der Empfin-
dung des Gedichtes die passende Versart aneig-
nen. Dieses ist Sache der Kunst, nicht der
Wissenschaft. Die Metrik lehrt bloss, wenn wir
von der Musik einen Ausdruck entlehnen diir-
ten , den reinen rhythmischen Satz , oder die
Gesetze , nach welchen ein Rhythmus , ohne alle
Beziehung auf die Worte , welche ia ihm tönen,
«ich erzeuget und bewegt.
10.
Da der Rhythmus nicht von dem Vers ent-
lehnt ist, sondern nach völligem Vergessen des
Verses noch übrig bleibt, so können wir die
Metrik nicht Wissenschaft oder Theorie des
Versbaues nennen. Sie ist vielmehr Wissen-
schaft des Rhythmus im Allgemeinen, er mag
aji Worten (im Vers) oder an Tönen (in der
Melodie) oder am blossen Schall (z. B. im Trom-
melsclilag) vernehmbar werden. Der Vers nimmt,
so wie die Musik, an den allgemeinen Gesetzen
des Rhythmus nur Theil, ohne auf diese Gesetze
selbst einigen Einiluss zu äusserni^
Urthell des Gehörs.
Wenn Rhythmus im Verse (8) das ist, was
abgesehen von Inhalt und Worten dem Gehör
j^ Vorferinnerungen.
allein iibrig bleibt , so hat man allerdings zu er-
warten , flass dem Gehör ein Urtheil über den
Vers zustehe. Dieser Meinung sind indessen
nicht alle Theoretiker, und nur noch vor kur-
zem hat Sejjdler in seinem Werk über die doch-
mischen Verse behauptet: man dürfe sich bei
Beurlheilung der alten Verse nicht auf das Ge-
hör verlassen, oder sich auf dessen Entschei-
dungberufen; die Theorie sey dagegen ein siche-
rer und untrüglicher Grund des Urtheils.
12.
So auffallend und vielleicht wunderlich diese
Behauptung dem klingen mag, der, an sang-
bare, bekannte Versarten gewöhnt, keine Miss-
helligkeit zwischen den Behauptungen der Theo-
rie und dem Urtheil des Gehörs ahndet, so ist
doch, wie gewöhnlich in jedem Wort wahr-
heitsuchender Männer, so auch in jener Be-
hauptung etwas, das Aufmerksamkeit und nä-
here Betrachtung verdient.
i5.
Mit den Versarten nämlich, die aus dem
Alterthum, besonders aus dem griechischen, auf
uns gekommen sind, hat es eine ganz eigne Be-
wandtniss. Wer sie , gewöhnt an die Bewegung
unsrer modernen Verse , lieset , wird in manchen
ihrer Gattungen kaum einen Vers erkennen wol-
len z. B. in dem sotadischen:
Vorerinnerungen. y
'ÜQr^v TtOTS q)ccaiv diu rov xfqniV.fQu.vvov
Gott hört das Emporflehu der geheim klagenden
Unschuld (Voss).
Wer hingegen von den gewölmlichen Theoriceo
des alten Versraaasses belehrt , dergleichen Verse
betrachtet, z. B. den dochmischen:
q)uvriTOi (.lOQoiv 6 naD.iaT iftoiv
Wer hnischwand in Gram und Mühseligkeit
und sie dem üblichen metrischen Schema:
anpassen will, kommt allerdings in einen Wi-
derstreit zwischen Theorie und Gehör. Denn
er bemüht sich vergebens mit dem Gehör die-
ses Schema singbar zu finden , und gleichwohl
kann er sich nicht abläugnen, dass jene Stelle
des Sophokles ein Vers sey, und das metrische
Schema den Rhythmus jenes Verses bezeichne.
i4.
Selbst bei den Metrikern hat die Theorie das
Gehör noch nicht so weit befangen, dass sie die-
sen Widerstreit nicht fühlen sollten. Indessen
suchen sie den Ausspruch des Gehörs abzuwei-
sen, weil das Ohr der Neuern unfähig sey,
Rhythmen zu vernehmen, die allein aus der Ei-
genthümlichkeit der allen Musik begriifen wer-
den könnten.
lo Vor er innorimgen.
Takt und Taktlosigkeit.
i5.
Diese Eigeuthümlichkeit soll nämlich dariu
bestanden haben, dass die griechische, oder
übei'haupt die alte Musik durchaus von allern
Takt entblösst gewesen sey (S. Hermann's Handb.
der Metrik S. XX ff.). Verwöhnt durch unsre
neuere Musik, deren Rliythmeu der Takt zum
Grunde liegt — behauptet der angeführte Me-
triker — können wir jetzt eine solche taktlose
Musik gar nicht fassen, unser Gehör muss sich
daher des Urtheiles über dergleichen Rhythmen
enthalten, und sich mit den Aussprüchen der
Theorie begnügen.
16.
Eine Ausflucht dieser Art, die das Gehör
mit seinen Einwendungen zur Ruhe verweisen
soll , muss allerdings etwas gewaltsam und ge-
zwungen scheinen, da sie sich des verdächtigen
Mittels bedient, die Entscheidung der Sache in
eine dunkle Region zu spielen, deren Verhält-
nissen wir ganz entwöhnt seyn sollen. Allein,
wenn wir auch hiervon absehen, so fordern wir
doch mit Recht von jenen Theoretikern den Re-
weis, dass die Musik der Griechen, ganz gegen
die Natur alltj uns bekannten Musik, die Ei-
genschaft der Taktlosigkeit gehabt habe.
Vorerinnerungtn.
V
Sonderbar genug zeigt es sich hier, dass ein
Theoretiker dem andern diese Behauptung nach-
geschrieben, Wahrend es keinem einzigen ein-
fiel, den Beweis davon zu versuchen. Alle spre-
chen von der Sache mit einer Zuversicht, als
wären sie in den Odeen und Theatern der Al-
ten einheimisch gewesen, gleichwol ist bekannt-
lich über wenig Gegenstände des Alterthuras
noch so viel Dunkel verbreitet, als über die Mu-
sik desselben. Das einzige was einer Art von
Beweis für jene Behauptung ähnlich sieht, ist
von den Versrhythmen hergenommen, die nach
der Meinung dieser Theoretiker ebenfalls taktlos
seyn sollen. So führt z. ß. Hermann die Stella
aus Pindaros:
y^QVGia Cf.OQ(.uy'i AnolX<a-
vog KUL ionXoxctfA,o)V
Gvvdi'AOV MotGCiv y.r!avov
Froh begrüsst Wohllaut des Frühlings
blüthengefeierten Tanz,
Fluss und Wald rauscht jubelnd im Chor
als Beispiel taktloser Rhythmen an , weil sie,
seiner Ansicht nach, auf folgende Art im Takt
wechseln sollen.
I X^v-af~ I f a (fOQ- I
l'roli he- I grüsst Wohl- J
laut des ] Frühlings |
la Voreriiinfrungen.
^ vog YMt i~ I f onloTia- \ ^ (itav |
blü-thenge- J feierten j Tanz j
I ^vv -8t J f V.OV Mol- j
Fluss und I Wald rauscht j
\ (J(XV XT(- «- I j vov I
jubelnd im | Chor j
oder in den bekannten musikalischen Zeichen:
J.M JJ 1 j;i JJ I
j;*jN j;>jN j i
JJ^I JJ I J/.M J I
deren sonderbare Zusammenstellung den Musi-
ker allerdings etwas befremden wird. Aus die-
ser angeblichen Taktlosigkeit der Versrhythmen
wird nun, durch einen etwas schnellen Schluss,
die Taktlosigkeit der griechischen Musik gefol-
gert, und aus dieser Folgerung wiederum rück-
wärts die Taktlosigkeit der Ycrsrhythmen gegen
die Forderung des Gehörs in Schutz genommen.
Man sieht, die Metriker Ujehmen es mit der Lo-
gik nicht immer allzugcnau.
18.
Allein die Taktlosigkeit jener alten Rhyth-
men, z. B. der angeführten pindarischen Stelle,
ist noch nicht so ganz erwiesen. Es könnte der
Fall möglich seyn, dass die Meti-iker in ihrer
Ansieht der Messung in einem Irrthum gewesen
wären, der sie verhinderte, den vorhandeneu
Vorerinnerungen. J3
Takt zu bemerken. Man denke sicli einen Kla-
vierspieler, dem die Behandlung der andern In-
strumente fremd ist, vor der Stimme einer Be
Klarinette in einem Tonstück aus Ce. Er wird
mit seiner beschränkten musikalischen Kennt-
nis«, die wunderlichen Harmonien, die er sieht,
nicht begreifen können ; deswegen ist aber doch
die Harmonie in dem Tonstiick vorhanden. So
könnte ebenfalls in den alten Pvhylhmen Takt seyn,
gesetzt auch die Metriker hätten ihn auf ähn-
liche Art verkannt, wie jeuer Klavierspieler die
Harmonie.
19-
Wir können diesen Satz vorjetzt nur proble-
matisch aufstellen, da sein Beweis und die Nach-
weisung des Taktes in den alten Rhytlimen,
noch einige Untersuchungen über Rhythmus und
Takt voraussetzt. Dieser Bev/eis wird aber mit
der vollkommensten Deutlichkeit gefiihrt wer-
den , denn eben darin besteht das Eigenthüm-
liche unserer Theorie, dass sie beweiset, in al-
len Rhythmen scy Takt, Rhytlimus ohne Takt
lasse sich dem Wesen des Rhythmus nach nicht
denken, und die alte Musik sey — so viel sich
aus den vorhandenen Yersrhythmen schlit,ssea
lässt — der neuen Musik vollkommen gleich,
wenn auch in mancher Rücksicht beschränkter
und unvollkommener guwcseu.
i4 Vo r erinnerungen.
Es •wird dabei zwar nicht nöthig, aber doch
in geschichtlicher und andrer Hinsicht interes-
sant seyn, zu bemerken, Avie die neue Musik
dieselben Melodien hervorgebracht hat, deren
Rhythmen in den Versen der alten Zeit (wie-
wol lange durch falsche Theorien verkannt)
auf uns gekommen sind. Die Gesetze des Rhyth-
mus sind in der Natur gegründet, und so darf
es jNiemand befremden , dass sie im alten Vers
und in der neuen Musik immer dieselben sind,
ohne dass, nach Hrn. Hermanns etwas verfehl-
tem Scherz (Allg. Mus. Zeit. 1809. N. 19. S. 291)
„die Urgrossmutter von der Urenkelin tanzen
lernte." Durch ene solche Vergleichung ge-
winnt ' auch die , manchem vielleicht trocken
scheinende Untersuchung über Versgattungen
einen besondern Reiz, und, während die grund-
losen Erhebungen der alten Musik über die
neue, in welchen manche Philologen (Vossius,
Meibom, Hermann u. a. m.) sich gefallen, ver-
schwinden müssen, Avird sich über die Natur
der alten Musik und über ihren Unterschied
von der neuen, vielleicht von selbst manche be-
stimmtere Ansicht eröffnen.
20.
Nimmt man an, die' erste Musik sey taktlos,
und mitliin der Takt eine Erfindung der neuern
Zeit gewesen, so hätte diese neue Erscheinung
Vorerinnerungen. ' j5
ohne allen Zweifel Epoche in der Geschichte
der Musik gemacht. Eine ähnliche Erscheinung,
die nur die Veränderung der hen'schenden Takt-
art in der kirchlichen Musik betraf, machte
wirklich Epoche und blieb unvergesslich. Es
war die Einfuhrung des Gregorischen Gesanges
an die Stelle des Ambrosischen, von welchen
beiden an gehörigem Orte die Rede seyn wird.
Allein nirgends findet man in der Geschichte
der Musik einen Zeilpunkt bemerkt , wo aus
taktlosen Rhythmen ein Uebergang zu dem gleich-
massigen Takt statt gefunden habe. Der Takt
erschien also niemals als etwas neues, zuvor noch
unerhörtes , und so darf man wohl auch für hi-
storisch ausgemacht annehmen , dass er von An-
fang an den Rhythmen eigenthümlich gewesen
sey. ]Nur verwechsele man nicht den Takt in
der Musik, mit der bestimmten, zweckmässigen
Bezeichnung des Taktes in der Notirung.
Die Grammatiker.
21.
Aus den Schriften der alten Theoretiker
(Grammatiker) lässt sich über diesen Gegen-
stand : ob nämlich der Rhythmus der alten Mu-
sik und Poesie taktlos gewesen sey, und ob das
Gehör eine Stimme bei Beurlheilung eines Rhyth-
mus habe, wenig Aufschluss erwarten. Diese
Metriker schrieben zum Theii zu einer Zeit . wo
i() • Vor erinnc r ungcn.
sie nocli Gelegenheit hatten, die Verse der al-
ten Dichter in lebendigem Vortrag recitii-en oder
singen zu hören, es konnte ihnen also nicht
leicht einfallen, dass sich jemals ein Widerstreit
zwischen Gehör und Theorie werde vernehmea
lassen. Theils aber hatten jene Grammatiker
gar nicht die Absicht, eigentliche Theorien des
Versbaues und des Rhythnius zu schreiben. Sie
wollten — so zeigen es wenigstens ihre auf uns
gekommeneu Schriften — nichts anders liefern,
als Beobachtungen über die bei den Dichtern
vorkommenden Versarten und ihre eignen gele-
gentlichen Bemerkungen dabei. An eine voll-
ständige Theorie des B.hythmus dachten sie da-
bei nicht, und wenn sie, wie gewöhnlich, einige
Abschnitte der Lehre vom Rhythmus oder vom
Metrum w^idmen, so geschieht es, wie man bald
sieht, mehr aus einer Art von gelehrter Conve-
nienz, als aus Interesse an der wissenschaftlichen
Begründung eines Systems.
22.
Aus den Schriften der Grammatiker, die sich
leicht beurtheilen lassen, weil gewöhnlich einer
dem andern nachschrieb, sieht man, dass ihre
Ansicht der Metrik ungefähr diese gewesen
seyn mag:
Sie fanden die verschiedenen Versgattungen,
als etwas Gegebenes , schon vor sich. Nun hatte
man seit den frühesten Zeiten, in der ältesten
Vor erinneru n gen. jt
Versgattung, dem Hexameter, die sechs metri-
schen Abschnitte, oder Takte bemerkt, und als
Maas des \ erses gebraucht. Man nannte sie
Füsse. Bekanntlich sind die Füsse des Hexa-
meters abwechselnd Spondeen oder Daktylen,
und so trug man die Benennung Fuss auf diese
bestimmten Formen des Verstaktes über, und.
nannte den Spondeus und den Daktylus eben-
falls Füsse. Ein solcher Fuss an sich , ausser
seiner Stelle im Verse betrachtet, zeigte sich als
eine Zusammensetzung von Sylben , und weil
man diese hier bloss ihrer Quantität nach be-
trachtete , als eine Zusammensetzung von Längen
oder Kürzen, dergleichen im Hexaiueter der
Spondeus und Trochäus zwei, der Daktylus drei
enthält. Diese Beobachtung führte auf den Ver-
such, mehr Zusammensetzungen von Längen und
Kürzen zu machen, und diese gleichfalls Füsse
zu nennen. So kam in das Wort Fuss eine Viel-
deutigkeit, indem man bald den Verstakt (z. B.
der Hexameter hat sechs Füsse,) bald die Form
dieses Verstaktes, bald überhaupt eine der ver-
schiedenen Zusammensetzungen langer oder kur-
zer Zeitabtbeilungen oder Sylben darunter ver-
stand. Worte , Welche mit ihrer Sylbenquanti-
tät einen solchen Fuss erfüllen, hat man neuer-
lich Wort füsse genannt. So ist z. B. das
Wort Unschuld ein trochäischer, das Wort Dop-
pelgeslirn ein choriambischer Worlfuss.
2
iS V ore rinne r ujig c 11.
F ü s s e.
25.
Durch diese Zusammensetzung langer und kur-
zer Syibcn bekamen die Grammatiker eine be-
träcbtiiche Anzahl von Füssen, die sie gewöhn-
lich nach der Zahl der darin enthaltenen Syl-
ben, in zwei, drei und viersylbige theilen, de-
nen sie auch zuweilen ein Verzeichniss von fünf
und sechssylbigen beifügen. Jeder Fuss bekommt
«einen Namen , eini'^en hat man auch mehrere
iSamen zugeiheill. So heisst der Trochäus auch
Choreus, der Kretikus auch Amfimacer u. s. f.
JNach der üblichen metrischen Bezeichnung
wird bekanntlich die lange Sylbe mit dem Quer-
stx'ich ( ), die kurze mit dem Häkchen (^) be-
zeichnet, und so wird das nachfolgende Ver-
zeichniss der Füsse verständlich seyn.
24.
Zweisylbige Füsse gibt es vier :
Spondeus, z. B. Wohllaut.
— — Trochäus oder Choreus, z. B. Vater.
^ - Jambus: Prophet.
'*' -' Pyrrhichius: Deus.
In der deutschen Spruche gibt es allerdings pyr-
rhichisclie Worlfüsse, z. B. Jeder, oder, weder
und ähnlicbe, doch sind sie noch so wenig an-
erkannt, als vor einiger Zeit die Spondeen Un-
schuld, Freiheit und andi-e.
Voreri nii erungen. - jq
25.
Dreisylbige Füsse sind acht:
Molossus : andaclitvoll.
^ s^ ^ Tribracliys: canite.
— ^ «- Daktylus: heilige.
w — — Anapäst: Diamant.
■ - Kretikus: Vaterland. '
w - w Amfibrachis : Gefilde.
— — w Bacchius: anbeten.
-' — — Palimbacchius : Gewaltthat.
Nach einigen heisst der mit der Kürze anfan-
gende Fuss (^ ) Bacchius und dei- entge-
gengesetzte ( ^) Palimbacchius.
26.
Viersylbige Füsse sind sechszehn :
w w w w Proceleusmatikus : celeriter.
_ _ _ _ Dispondeus : Seekriejschauplatz.
- w - w Ditrochaeus : Ungewitter.
w — «^ — Dijambus : Bekümmerniss.
- ^ w _ Choriambus: Doppelrubin.
^ w Antispast: Gebirgklüfte.
- - "^ w- sinkender Joniker ( lonicus a ma-
iore) Anküudiger.
- »^ - - steigender Joniker (Ion. a minore)
Meteorstein.
- ^ ^ ^ erster Päon: Flüchtigere.
-' — ^ -' zweiter Paon : Beseliger.
^ w _ w dritter Päon: Alabaster.
2(, Vorer Iniieruug en.
^ ^ ^ _ vierter Pänn : lleligioii.
^ erster Epitritus : Triumphausruf.
_ ^ _ _ zweiter Epitritus: Tociesanblick.
__,.,- dritter Epitritus: Abschiedgesaug.
*, vierter Epitritus: Epheuranke.
27.
Fünfsylbige Füsse gibt es zwei und dreissig.
Ihre Namen werden verschieden und nicht mit
hinlänglicher Bestimmtheit angegeben. So nennt
2. B. Diomedes (Putsch. S. 478.) nur ein und
dreissig, und zuweilen verschiedene mit demsel-
ben Namen. Die gewöhnlichsten Benennungen
sind folgende.
,^ w ^ ^ -< Orthius.
- ^ Molossospondeus.
^ w w v^ — Pyrrhichianapäst.
_ _ w Kalalypus.
^ ^ ^ Hegemoskolius.
— — — -' — Spondeokretikus.
^ ^ _ w ^ Mesomacer.
Mesobrachys.
-/ _ « sK ^ Pariambus.
„ ^ Hyperbrachys.
•/w w — — Dasius.
__ — ■«'-' Spondeodaktylus.
w . Musicus.
w w- _ Amoebaeus.
*. w w Jambodaklylu«.
Vo'rerinn erunges. 21
_ w w — — Choreobacchius.
^ w — — — Dipliyes.
_ _ w >-- ^ Syinplektus.
w _ w ,./ — Cyprius*
_ ^ ^ Aulicyprius.
^ w - « - Hegemokretikus.
_ _ v^ _ s^ Spondeoskolius.
w — w — w Perio.dikus.
. _ V- - Anliperiodikus.
w - - — - Pfobracliys.
— w *^ *.- w Parapäon.
1.^ _ _ w — D o c h ui i u s.
^ ^ ^ — ^ Doriskus.
_ v^ w w — Strofus.
^^ _ w» Anüstrofus.
.^ — w — — Paviaiubocles.
_ ^ _ »^ w Choreodaktylus*.
28.
Secbssjlbige Füsse gibt es vier und sechzig,
wtlchc uebst ihren Bcnenuuugeu der Yollslän-
(ligkeit wegen hier Platz, finden mögen.
.^ w s« w w w Dichoi*eus.
— — ^ — Dikanius.
^ w V* w »-< - ChoreoantidaktyluSa
_ _ — — — w Kaniolalius.
.^ w w w - w Choreoskolius.
— _ — — «-' — Kaniokrclikus.
»^ w -* _ ,^ w Choreodaktylus.
V o r e r 1 n n 0 r u n c, e n.
___« — — Kaniobacchius.
w w _ ^ v^ w^ Anapästochoreus
— — ^ — — — Laliocaniiis.
w - w -. w w Skoliocl)oreus.
_ w — — — — Kretikokanius.
w ^ w ^ Choreobacchius.
— — — — ^ ^ Kanioclaktylus.
w ^ V — — «^ ChoreoantibaccbiuS.
_ _ _ ^ v„ _ Kaiiiantidaktylus.
w w _ _ ^ w Anapästodaktylus.
w .- _ _ Latiobacchius.
w _ _ w w w Bacdiiochoreus.
_ w »^ Daktylocanius.
w. w v^ — w _ Choreokretikus.
_ _ — ^ — ^ Kanioskolius.
»> w _ w — w< Anapäsloskolius.
_ _ w _ w — Laliokretikus.
»^ _ w — w w Skoliodaktybis.
_ ^ „ w _ _ Krelikobacchius.
^ _ _ w _ _ Dibacchius.
_ ^ ^ _ w «- Diclaklybis.
^ _ w^ ^ w - Ökolianapästus.
— w> _ — — — Kredkolatius.
-. w w _ — — Cboreomolossus.
w w ^ Molossocboreus.
w ^ — - - w/ Anapästolatius.
w - w - Latiautidaktylus.
w ^ w Bacchiodaklylus.
- ^ ^ ^ Daktylobacchiu^.
Vorerinnerungen. a3
^ — Skoliokretikus.
_ ^ Krciikoskolius,
Skoliobacchius.
^ w Kretikodaktylus.
— w Bacchioskollus.
w — Daklylocreticus.
— ^ Skoliolatius.
^ — Ki'etikanapästus.
— — Anapästokretikus.
— >- Lalioskolius.
•^ — Baccliianapästus.
— «^ Daktylolatius.
— — Skoliokanius.
>-' -' Kretikochoreus.
-^ — DJanlidaktylus.
— -- DilaUus.
— ^ Diskoliiis.
•V — Diki'elikus.
«" - Baccliiokjfctikus.
— >-' Daktyloskolius.
— — Baccliiülalius,
w — Daktylanapästus.
Anapästomolossus.
'-' -' Laliüdioreus.
Baccliiokanius.
"x ^ Daklylocliorcus.
«- s^ Laliodaktylus.
Aiiapästobaccliius.
24 Vorerinnerungen.
29.
Es hegreift sich leicht, ciass die Zahl der Füsse
in das Unbestinitiite auf diese Art veiTnehrt Avex'-
den kann, denn ausser dem Nachlassen der Ge-
duld, die endlich doch ausgeht, findet sich kein
Grund, das Zusetzen neuer Sylben einzustellen.
Wollte man aber, um siebensylbige Worte, z. B.
Flulenbesänftigerin, als Füsse zu benennen, alle
128 siebensylbige Füsse aufzählen, so unternahm'
man ohne Zweifel eine sehr unnütze Mühe,
denn mit der Kenntniss der zwei , drei und \ ier-
sylbigen und einiger wenigen unter den fünf-
sylbigen Füssen, reicht man bequem aus, und
die gajize Klasse der sechssylbigen ist hier nur
aufgeführt, theils der Vollständigkeit wegen, theils
um die verschiedenen Namen , mit denen die
Theoretiker oft denselben Fuss bezeichnen, bei
dieser Gelegenheit zu bemerken.
In neuei-n Zeiten hat es nicht an Versuchen
gefehlt, den Füssen andre Namen zu geben.
Von dem deutschen Purismus, der statt Spon-
deuSi> Tritt; statt Trochäus, Wälzer; für Dak-
tylus, Fingerfuss empfahl, ist wenig zu sagen.
Erwähnung aber verdient der Einfall des Hrn.
Kirchenrath Perschke. Dieser schlägt, in sei-
ner, sonst nicht sehr zu empfehlenden Or t hö-
rne tri c (1809) vor: den Füssen solche Namen
zu geben, die zugleich die prosodische Natur
des bezeichneten Fusses selbst hören lassen. Er
Vorerinner ungen. 26
nennt deswegen den Spondeus: Klopstock; den
Trochäus: Hölty; den Jambus: von Kleist; und
die Einzellänge , die er als Fuss geltend machen
will: Voss. So wunderlich die Sache beim er-
sten Anblick aussieht; so ist doch nicht zu läug-
neu, dass durch dergleichen charakterisirende
Benennungen der Füsse dem Gehör ein Sche-
ma gegeben Avird, dem ähnlich, welches die
metrischen Zeichen für das Auge bilden. Hätte
der Verfasser nur übrigens nicht zu voreilig und
ohne hinlängliche Kenntniss der Metrik, über
Metrik geschrieben, so würde dieses hörbare
Schema beim Ijnterricht allerdings manchen \ or-
theil gewähren.
5o.
Ausser dieser Klassifikation nach der Sylben-
zahl, theilten die Grammatiker die Füsse auch
nach den darin enthaltenen Zeiten ein. In-
dem sie nemlich in den langen und in den kur-
zen Sylben einen verschiedenen Zeitgehalt be-
merkten, und diesen durch ein bestimmles. ^'er-
hältniss bezeichnen wolilen, theilten sie der kur-
zen Sylbe ein Zeitmomeut (Zeit, lem})us, mora,
Xoovog -, at]f.i{cov) zu, der langen hingegen zwei
dergleichen Momente. JNach dieser, nicht zäh-
lenden, sondei^n messenden Ansicht, theilten sie
die Püsse ein , in:
1. Zweizeilige. Zu dirser Klasse gehört nur
20 Vorerinnerunp;en.
der Pyrrliicliins ( ■), denn die Einzel-
lange (-), wo sie auch zwei Zeilen hat, ist
doch nur Sylbe und nicht Fuss zu nennen.
2. Dreizeitige. Diese sind nach den Graju-
niatikern :
der Tribrachys w w ^
der Trochäus
der Jambus -' —
5. Vierzeitige. Dahin zählten sie:
den Proceleusmatikus «-^ w ^ «,«
den Daklylus - w w
den Anifibrachys ^ — w
den Anapäst ^ ^ -
den Spondeus — —
rr
Ol.
Es war Zeitverlust, dieses Verzeichniss fort-
zusetzen , denn theils sieht man an der Bezeich-
nung jedes Fusses gleich, wie viel Zeiten er
nach der Ansicht der Grammatiker haben müs-
se ; theils ist diese Ansicht selbst durchaus falsch,
und hat die Metrik den gross ten Verwu'rungen
und Missverständnissen ausgesetzt.
32.
Die Behauptung nemlich , dass jede Länge
zwei Kürzen gleich sey, beruht auf einer Täu-
schung, die sich von den ältesten Zeiten an bis
auf die neuesten erhalten hat, und der zuerst
von dem Verfasser dieser Metrik in dem Anhang
Vorerinnerungen. 17
zvi der Tragödie: die Aetolier, und später in
einer ÄJjliandiung über Rliythmus und Metrum
(Allg. Mus. Zeitung 1807 u. 1808) widersproclien
worden ist. Es ist nölhig, diesen Gegenstand
hier vorläufig zu erwähnen.
53.
Wem die Geschichte der Musik nicht unhc-
kannt ist, der erinnere sich, dass die musikali-
sche Bezeichnung des Zeitgehaltes anfangs sehr
unzureichend war, und dass Jahrhunderte vei--
gingen, ehe mau die Intervalle der Töne und
ihre Dauer mit der Genauigkeit, wie jetzt, be-
zeichnen lernte. Das Länger und Kürzer war
bald angedeutet , aber in dem Wie lang und Wie
kurz, lag die Sclnvierigkeit. Die Noten reich-
ten deswegen in den ersten Zeiten nicht zu, den
Gesang eines Liedes zu lernen , und man inusste
die Sänger oft weit in ferne Länder schicken,
um den Gesang zu hören, an dessen Melodie
alsdann die unvollkommne Bezeichnung erinner-
te. Ueberlegt man, Avie ganz verschieden es sey:
mit dem Sinn etwas lebendig aufzufassen ; und da-
gegen es in Worten oder andern Zeichen so
klar und vernehmlich auszudrücken, dass Jeder,
der das conventionelle Zeichen sieht, dadurch
sogleich das Bezeichnete in lebendiger Anschau-
ung vor sich habe, und selbst innerlich sinnlich
wahrnehme, so wird man zugeben, dass die
28 Vorerinnerungen,
Sänger cler alten Zeit eine Melodie richtig sin-
gen konnten, ohne im Stande zu seyn, über die
Verhältnisse der Längen und Kürzen darin, durch.
Worte oder Messung genaue Rechenschaft zu ge-
ben. Uns, die wir die Melodie gewöhnlich mit
Hülfe der bestimmten Taklzeichen erlernen, wii*d
dieses freilich leicht, aber, so wie ein Ungeüb-
ter im Schreiben selbst das, Avas er richtig spricht,
nicht immer richtig bezeidinet, eben so, und
noch weit unzulänglicher, wird ein Sänger vor
Erfindung der musikalischen Bezeichnung, die
Verschiedenheit der Längen und Kürzen ange-
deutet haben , und eben so unbestimmt wird er
sich auch in Worten über das Wie lang und
W^ie kurz, ausgedruckt haben.
54.
Indessen drang sich doch zuweilen die Noth-
wendigkeit einer solchen Bestimmung auf, und
dann war nun wohl das einfachste Verhältniss,
welches der Länge noch einmal so viel Dauer
gab als der Kürze , das nächste und erste , was
man beim Theoretisiren ergriff. Auch der Um-»
stand, dass vielleicht die ältesten Rhythmen,
welche man bezeichnen wollte, eben aus diesem
einfachen Verhältnisse liestanden, konnte dazu
beitragen, dass niemand dieser bequemen An-
nahme zu widersprechen Ui-sachc fand. So muss
durfh eine alte Tradition dieses Verhältniss der
Vorerinnerungeo. ' 29
Kürze zur Länge wie Eins zu Zwey auf die
Grammatiker gekommen seyn, denn sie sprechen
davon als von einer bekannten, längst unbe-
zweifelten Sache , ohne einen Grund für die An-
nahme dieses Yerhähuisses anzuführen. 'Auch
gilt ilinen überall die Länge zwei Kürzen gleich.
55.
Doch scheinen die Musiker der alten Zeit
schon gefühlt zu haben, dass dieses \'erhällniss
der Länge zur Kürze nicht das einzige sey, und
die iNIusik rausste auch in der That sie bald zu
dieser Bemerkung veranlassen.
Der Grammatiker IMarius Viktorinus (Putsch
S. 248o) sagt: Unter den Musikern und Metri-
kern ist grosser Streit über den Zeitgelialt der
Sylben. Denn die Musiker behaupten, nicht
alle Längen und alle Kürzen haben gleichen
Zeitgehalt, indem es Sylben gebe von grösse-
rer Länge, als die vollkommene, und von ge-
ringerer Dauer, als die einzeitige Kürze hat.
Deshalb hielten sie auch in ihren Melodien
manche Länge länger, und fertigten manche
Kürze kürzer ab, als das gewöhnliche Maas es
bestimmte. Die Metriker hingegen blieben bei
dem gewöhnlichen Zeitmaas stehen, und ge-
stehen nicht zu, dass es Längen von verschied-
nem Zeilmaas und Kürzen von verschiedner
Dauer gebe.
5d Vorerinnerungen.
Mari US selbst zieht sich bequem aus diesem
Streit, iudtm er sagt: Lang sey lang , und kurz
sey kurz. Wenn man sage , die Deutschen seyen
von langer Statur, so behaupte man damit nicht,
dass sie alle nach der Schnur gemessen seyen.
Dergleichen Subtilitäten möchten die Musiker
aushorchen, der Mtlriker nehme darauf keine
Riicksiclit.
Man sieht, dass die Metriker schon in der
allen Zeit einen Tick gegen die Musiker hatten,
und ihren bessern Einsichten widersLrebien. Auf
jeden Fall zeigt diese Stelle des Marius Vikto-
rinus, dass die allen Khythmen in der x\usübiing
ein andres Maas hören liessen , als die Metriker
mit ihren bloss zweizeitigen Längen und ein-
zeiligen Kürzen zu bezeichnen im Stand waren,
und dass mithin die metrischen Zeichen, deren
Beibehaltung nicht ihre Zweckmässigkeit, son-
dern der Eigensinn der Theoretiker veranlasste,
uns keine richtige Anschauung des Gesanges der
alten iihythmeu geben können.
36.
Dass es noch andre Verhältnisse der Länge
zur Kürze geben müsse, als das von Zwei zu
Eins, wird bei der Entwickeluug des Metruiu
vollkommen bewiesen werden. Jetzt genüge uns
voriiamg die Sprache selbst, um das wirkliche
\ orhujidenseyn eines andern Verhältnisses nach-
Vorerinnerungen. 3i
zuweisen. Diese Hinsicht auf das Maas in der
Sprache ist uns um so nöthiger, da einige Me-
triker ( z. B. Hermann Metrik §. 5o ) in der
Sprache nur ein einfaches und ein doppehes
Maas hören Avollen, und so durch eingestande-
nen Mangel eines richtigen Gehörs den besten •
Aufschluss über die Irrthümer ihrer Theorien
geben.
Man spreche Worte , als: Anbeten, Aus-
rufen, D urchg an ge, deutlich und mit Auf-
merksamkeit aus, aber ganz auf die ungezwun-
gene Art , wie man sie im alltäglichen Gespriich
auszusprechen pflegt. jNiemals wird man sprechen
Durchgänge Furchtbares
I >
sondern jeder, der sich natürlich gehen lässt,
spricht deutlich und bestimmt:
Durchgänge Furchtbares
I I > \ \ >
«• « tf • • • «
und gibt also der ersten Sylbe, nicht bloss den
Accent, sondern drei Zeitmomente, der zweiten
Zwei und der dritten Ein Moment. Nur wenn
er, des veränderten Sinnes AVegen Furchtbares
und Furchtloses unterscheiden wollte, würde
er zwar die zweite Sylbe betonen, aber deswe-
gen immer noch nicht :
Furchtbares
3a Vor eriniie rungen.
sondern vielmehr im Auftakt:
Furchtbares
• I • •
sprechen. Man sielit also , dass die Sprache
selbst schon die dreizeitige Länge hat, und dass
diese unverkennbar dem genau hörenden Beob-
achter erscheint. Dieser Umstand allein wäre
schon hinlänglich, die Messung der Füssc nach
Zeiten, in dem Verhältniss, welches die Gram-
matiker lehren, zu verwerfen, allein die Folge
wird dieses noch einleuchtender machen.
57.
Neben der Ansicht der Füsse als Zusammen-
setzungen von Längen und Kürzen, hatte sich
den (Grammatikern auch der ursprüngliche Cha-
rakter der Füsse als Versmaas (Takt) erhalten.
Hierdurch wurden sie wahrscheinlich zu dem
Ii'rthum veranlasst, als sey jeder Fuss und jede
Zusammensetzung von Sylben, zugleich auch als
Versmaas zu gebrauchen, und hierauf gründet
sich die zuweilen ganz unmetrische und verwor-
rene Messung, Benennung und Abtheilung man-
cher \ersarten.
Fanden z. B. die Grammatiker einen Rhyth-
mus, dem wir in unsern musikalischen Zeichen
ganz singbar
--*- *«— H— J|r— ^•-J< 1-.3 J- — «
:SE^E3E?£Ezz^fä^:E:^
V o r e r i n n e r u u g e n. 55
bezeichnen ^vü^clcn in dem Vers:
Im rotliglühenden Morgenlicht
SO suchten sie die Bezeichnung seines Sylbenge-
hahes auf Füsse zurückzuführen und fanden nun
einen Antispast und einen Diiambus.
Nun war ihnen der Vers ein antispastischer, und
um den zAveiten iambischen Theil nicht ausser
der Theorie zu lassen , ward die Bemerkung
hinzugefügt, die antispastischen Verse wechsel-
ten neben dem Grundfuss der Antispasten auch
mit der ianxbisclicn Dipodie (oder dem Diiam-
bus). Als Grund dieses Wechsels gab man auch
wol an, der Antispast würde dui'ch seine öf-
tere Wiederholung den \ ers rauh und hart
machen. So erklärt sich z. B. auch Hermann
(Metrik §. 65) über diesen Wechsel.
Kam derselbe Rhythmus mit der geringen
Veränderung
•-'3— • • ^^ • — F
vor, z. B. in dein Vers:
Wo fröhlicheres Lied ertönt
so passte er nicht mehr auf das vorige Schema,
und es musste ein andres entworfen Werden:
Die vorige Länge ( j'^ statt J^ ) schien in zwei
Kürzen aufgelöset. Der Vers galt den Metrikern
S4 Vorer iimerun ^e 11.
nun für einen Anlispast lait einem Krelikus,
und 3ie bemerkten nicht; dass sie vorhin nur
durch die Zerreissung des Daktylus ( j" J^ > in
■ \ >^) ihren Diiambus statt des Krelikus er-
hielten.
Kam folgender Rhythmus vor:
3
^m
2. B. in dem Vers:
In dem Gesang zum Olymp empor
so musste es ebenfalls ein Antispast seyn, dessen
erste Länge in zwey Kürzen aufgelöset war
mit nachfolgender iambischer Dipodie; und so
wurden die verschiedensten Rhythmen oft als
gleich und gleiche als verschieden betrachtet,
wie es die metrische Bezeichnung der Füsse ver-
anlasste.
Dieses ist wol Beweis genug , dass die Me-
triker den Vers nicht als lebendigen Gesang
vernahmen, sondern bloss als todles unorgani-
sches Aggregat von Sylben und Füssen analy-
sirten und auch wol zusammensetzten. Sic wa-
ren, wenn der Vergleich erlaubt ist, Anatomen
des \erses und befassten sich nicht mit der Fy-
siologie seines Organismus. Bei den meisten
Versgattungen wird sich in der Folge Gelegen-
Vorerinnerungen. 36
heit finden, diese Ansicht der Grammatiker
nachzuweisen.
38.
Nicht allemal indessen konnten die Gram-
matiker in einem vorkommenden Vers den be-
stimmenden Grundfuss auffinden, und die an-
dern als Varietäten desselben betrachten. So
fanden sie z. B. den saffischen A'^ers :
oixffg GTQOv&oi, -JiTiQvyag [xilaivag
lam satis tevris nivis atque dirae
Klaggetön umher, und des wilden Schlachtrufs
dessen leichter und fliessender Gesang sich doch
auf keine regelmässig wiederkehrenden Füsse
wollte zurückführen lassen. Denn, wenn man
ihn in solche zu zerlegen sucht,
so entsteht allerdings ein sehr verworrenes und
widersprechendes Gemisch, und selbst die Ab-
iheilung des Hefästion
gab keine Gleichförmigkeit in den Abschnitten.
Die Grammatiker erdachten daher fiir diese Gat-
tung von Versen eine besondere Klasse, die sie
widrig gemischte Verse [f^uxQu xaz upti-
■naOftuv ^iixcu) nannten. Aon diesen wird iu ei-
nem besonderu Abschnitte die l\cde seyn.
36 Vorerinnerungen.
3c,.
Indem wir das eben Gesagte übersehen , fin-
den wli" die Grammatiker in einem doppelten
Irrthiim befanijen, wodurch ihre Lehre vom \ers
und Versbau, der äussersten Verworrenheit aus-
gesetzt werden musste.
Der erste Irrthujn besteht darin, dass sie
den verschiedenen Geliah der Längen und Kür-
zen verkannten und jeder Kürze ohne Unter-
schied Ein Zeitmoment, jeder Länge ohne Aus-
nahme zwei dergleichen Momejite zuschrieben.
Daher bedienten sie sicli auch nur zwei metri-
scher Zeichen , des liegenden c (-) für die Länge,
und der untern Kreishälfte (-') für die Kürze.
Isidor. Orig. i. 16.
4o.
Wir haben bemerkt, dass die Sprache in
den Worten selbst schon dreizeitige Längen hat,
z. B. Ruhmvolle , schamhafte , Jungfrauen u. a. m.
Rhythmen, mit dreizeitiger Länge, sind aus der
Musik allgemein bekannt:
jtir.-Dt.
=}:
:^
j
Wenn nun Verse vorkommen, wie
Liedvolle , laubdunkle Waldesnacht
ist es nicht , ohne noch auf Theorie jZu sehen,
wahrscheinlicher, dass der Dichter sie, der JNa-
Vorerinnerungen. 3y
tur der Sprache gemäss, nach jenem musikali-
schen Pthythmus
J- J jN J. J / 1 J .^ J.
gedacht hahe, als , mit Widerstreben der Sprache,
nach der zweizeitigen Länge des metrischen
Schema
in folgendem Maasi
^ 1 I "N I
» I • « •
Liedvolle, laubdunkle Waldesnacht
wobei der Leser sich zwingen muss, nicht hö-
ren zu lassen, was Sprache und Versrhyth-
mus fordern?
Gleichwohl bestehen die Metriker auf dieser
unrhythmischen Messung , wiewohl einige dar-
imter z. B. Quintilianus (IX. 4, 98) richtig hör-
ten, aber, wie es Tlieoretikern oft geht, avo sie
theoix;lisirien (das. 47.) sich nicht auf das be-
sannen, was ilinen, wo sie naliu'lich fühlten
und sprachen, wohl bewusst war.
4i.
Da nun , wie später noch einleuchtender wei*-
den wird, die Längen und Kürzen nicht alle
von gleichem Zeitgehalt sind, so ist es klar,
dass die Analyse vder Verse bei den Grammati-
kern durcliaus unrichlig scyn muss in allen
Vcrsgattungeii, deren Längen andern als zwei-
.■SS V o r e r i n n e r u n j^ e n.
zelligen Gehalt haben. Hätten Dichter, was
ijidessen wol selten geschehen seyu mag, den
Grundsatz der Grammatiker von der bloss zwei-
zeitigen Länge bei der Bildung ihrer Verse be-
folgt, so würden die Rhythmen, welche drei-
zeitige Länge fordern , w enigstens dann fehler-
haft gebildet worden seyn, wenn solche drei-
zeitige Längen aufgelÖset, und nicht durch drei,
sondern nur durch zwei Kürzen im Vers er-
stattet worden wären. Bei spätem Dichtern, die
mehr der Theorie als der Natur folgten, war die-
ser Fall nicht unmöglich und der Pvhythmus
». ä m \ 0. s 0 \ 0 0 0.
Hin sank das blutgierge Ungeheur
könnte vielleicht in diesen:
und es sank, des La-bi - riutbes Un-geheur
verkehrt worden seyn , dem der Leser von selbst
durch leichte Dehnung des ersten Takttheiles
nachzuhelfen sucht, wenn er die angezeigte Mes-
sung erhalten will. Welche Verse nun Längen
von andrem als zweizeitigen Gehalt haben, wird
aus der Natur des Rhythmus und des Metruni
vollkommen klar werden.
42.
Der zweite Irrlhum der Grammatiker besteht
darin, dass sie die Füsse, welche durch die vex*-
Vorerinnerungen. Sg
scliiedencn Zusammenstellungen von Längen und
Kürzen entstanden sind, durch eine Verwech-
selung mit den Verstaktfüssen, als Yersmaasse
brauchen, und bald Verse aus dergleichen Füs-
sen zusammensetzen, hald sie in solche Füsse
zerlegen, Avie oben (3?) an einem Beispiele ge-
zeigt worden ist.
Durch dieses Verfahren ward die Wahrneh-
mung des Rhythmus im Verse durchaus gehin-
dert, denn die Verse wurden in Theile zerris-
sen, von welchen oft keiner ein rhythmisches
oder metrisches Ganzes war, indem er doch mit
dem Schein eines solchen Ganzen täuschte und
spätere Metriker zu den sonderbarsten, allen
Rhythmus zerstörenden Behauptungen verleitete.
VVär übrigens diese Synthesis der Verse aus
Füssen richtig, so müssien entweder alle Zu-
sammensetzungen der verschiedenen Füsse Verse
geben, oder es müsste eine Regel gefunden wer-
den, die festsetzte, welche Füsse mit einander
verbunden werden können. Eine solche R.egel
ist aber nirgends aufgestellt worden, ja, die
Grammatiker heben ihi'en Begriff auf, indem
i\c widrig gemisclile Verse annehmen.
45.
Bei allen Bemühungen der Grammatiker und
Philologen blieb also di<; Theorie des \ Crsbaucs
und die Frkciintniss <1( .s llliylbmiis in <icn ;illtn
4o V o r e r i n n e r u n g c n.
Versarten noch ganz unbestimmt. Die Gelehr-
ten stritten darüber mit gewohnter Heftigkeit
oluie dass jemand ausser der Schule die \ or-
trelFlichkeit ihrer aufgezeigten Rhythmen ver-
nommen hätte , und innerhalb der Schule selbst
kam es aus Mangel an festen Grundsätzen zu
keinem sichern Resultate.
Hermann.
44.
So stand es noch zu der Zeit, als durch
Kaufs Kritik ein Streben nach Gründlichkeit
in allen Wissenschaften aufgeregt wurde. Man
begrill", dass es jeder Wissenschaft gezieme, auf
festen Principien zu ruhen, und Kenntnisse , die
man früher höchstens als angenehme Erheite-
rungen des Lebens zu betrachten gewohnt ge-
wesen war, wurden jetzt als wissensehaftliche
Lehrgebäude begründet, und mit systematischer
Strenge beurtheilt.
45.
Vorbereitet zu wissenschaftlichen Untersu-
chungen durch Bekanntschaft mit den Schriften
Kaufs, fas.-te der Philolog Hermann in Leip-
zig den Vorsalz, die Metrik wissenschaftlich zu
begründen und aus dem Begrilf des Rhythmus
selbst, die Theorie (\cs Rhythmus abzuleiten.
Sein erstes Werk erschien zu Leipzig im Jahr
Vor er um erun g c 11. 4i
1796 unter dem Titel: Godofredi Hernianni, de
melris poelarum Graecorum et Romanoi-um , li-
Lri III. Diesem folgte 1799 iu deutscher Spra-
che: Handbuch der Metrik, von Gottfried Her- •
manu , worin die allgemeine Theorie des Pvhyth-
mus noch weiter ausgeführt Avard. Gelegenlliclie
Erörterungen über Rhythmus in akademischen
Schriften und Ausgaben alter Dichter, so wie
die specielle Abhandlung über die Rhythmen
Pindars , können hier nicht besonders aufgeführt
werden. Hermanns Schriften fanden zwar liei
den Filologen, die ihr System abgeschlossen
hatten, wie dieses bei neuen wissenschaftlichen
Ansichten immer der Fall zu seyn pflegt, Wi-
dei'spruch, dagegen erregte des Verfassers Bele-
scnheit, und die, pn solchem Stoff nocli nie ge-
sehene Filosofische Form bei Unbefangenen
Bewunderung und das Ansehen der (jrammati-
ker ward nach und nach durch den neuen Me-
triker verdrängt.
46.
Hermann halte den Plan (Metrik §..^ — 9),
ein a priori bestimmtes, objektives, und forma-
les Grundgesetz des Rhythmus aufzustellen, und
aus diesem die; voUstäJidige Theorie des Rhyth-
mus und des Metrum abzuleiten, gegen welche
alsdann allerdings kein Z\v( ifel würde erho])en
werden könne»). 1)ics( s (hiscIz auf/,uliuden be-
42 Vor e rinne ruii gen.
»liente er sich der Kantlscheii Formen. Denn
wiewol sclion damals, als Hermann schrieb, die
Kaiitischen Lehrsätze manche tiefere Begründung
gefunden hatten, so scheint Hermann doch
sein filosofi ches Forschen mit Kant, wie die
meisten damaligen Filologen ihr metrisches mit
den Grammatikern, beschlo' sen, und von neuern
Ansichten nur eine unwillige und widerstrebende
Notiz genommen zu haben. Was aber die glück-
liche Ausführung seines Planes hauptsachlich
hinderte, war, dass er nicht, bevor er Hand an
das Werk legte, sich bemühte, die sinnliche
Anschauung des Rhythmus bestimmt aufzufassen
und mit Sicherheit festzuhalten.
Ein mächtiges Hinderniss dabei war ihm der
Mangel an Kenntniss der Musik, der aus mehrern
Stellen seiner Werke sich errathen lässt. JNicht als
wäre Kenntniss des technischen in der Musik nö-
thig, um einen Rhythmus oder eine Melodie zu
fassen, aber die Beschäftigung mit Musik, in wel-
cher der Rhythmus freieres Spiel hat, und noch
reiner wahrgenommen wird, als im Vers, dessen
Rhythmus selbst zuweilen noch zweifelhaft ist,
übt das Gehör und erleichtert das Aidfasseri der
Rhythmen, und ihre Anerkennung in manchen
veränderten Gestalten.
Diese Unbekanntschaft mit der Musik er-
schwerte nicht nur bei Hermann die, vor der
Theorie so nothwendige Anschauung des Rhylh-
Vorerin ner iingen. 45
mus , sie nährte auch in ihm den Wahn , als
sey die ahe Musik etwas ganz andres gewesen,
als die neue, von welcher sie sich hesonders
(wie schon oben erwähnt) durch gänzlichen Man-
gel an Takt unterschieden habe.
Weil Hermann den Rhythmus nicht durch
unmittelbare sinnliche Anschauung, sondern
durch das Mittel der alten Verse und überdies
der Kanlischen Formen betrachtete, so niusste
es ihm begegnen, dass er die Sache über der
Beschreibung verlor, und gleichsam das Wort
vor lauter Buchstaben nicht sah. Er streift zu-
weilen (wie Kant selbst), an dem Wahren nahe
vorüber, ohne es zu berühren, oder zu ergrei-
fen. So ist er oft nahe daran, den Bliythmus
als ein Ganzes in der Zeit zu erkennen, abtr,
weil ihm die sinnliche Anschauung dieses Gan-
zen, entweder gar nicht, oder nur vorüberge-
hend kommt, so verliert er sie in einer Menge
von Erläuterungen über Causalilät und Wech-
selwirkung , die den Leser wie ein Räthsel äuir-
stigen, wenn er nicht die Deutuixg in der An-
schauung des Rhythmus als eines Zeilganzen
schon hat und zum Lesen mitbringt. E]>eji so
ist er nahe daran, wo er von Arsis uitd 'Ihesis
spi-ielti, den Grund des Rl)yihmus (das Princip
der Eiidieit im Zeitganzen) in dem Accent zu
44 Vorerinnerungen.
finclen, allein die Kürzen und Längen, die er,
ohne sie abzuleiten (was nothwendig war), als
ein schon Gegebenes aufnimmt , leiten ihn wie-
der irre, dass er mit grösster Inkonsequenz das
Zeitmaas anticipirt, und in die Erklärung des
Rhythmus aufnimmt , der ohne Längen und Kür-
zen bei gleichen Zellablheiluugeu durch den
Accent statt findet.
48.
Ein auffallender Widerspruch, der zugleich
beweiset, dass diesem Metriker die Anschauung
des Rhythmus nie deutlich geworden ist, zeigt
sich zwischen der Behauptung ( Metrik §. 48 )
,,das Maas der unbestimmten Sylbe sey durch
den Rhythmus eben so genau , wie das der vibri-
gen Sylben bestimmt, und die Sylbe möge in
einem Wort, das an dieser Stelle steht, lang
oder kurz seyn, so habe sie doch in dem
Verse nur das vom Rhythmus Ixstimmte Maas ; "
und zwischen der Messung der Verse (Metvin.
. Vorr. S. XXVIIl) wo die unbestimmte Sylbe,
die an der Stelle der Kürze steht, wegen ihrer
prosodischen Quantität als wirklich lang im Ver-
se, gemessen wird. Misst man jene pindarische
Stelle nach der Bemerkung des §. 48.
XQvof - « cpoQ-fJiiy^ ^AnolXb) - vog zai lonkoyMfxwv
Froh bcgrüsst Wühllnut des Frühlings blüthengefeierten Tanz
Vorerinnerungen. 45
SO ist von der sonderbaren Veränderung der
Taktart bei jedem Takt (Vorrede XXV 111) keine
Spur. In jener Bebauptung (§. 48) blitzte dem
Metriker die wahre Gestalt der Sache entgegen,
allein weil er ohne deutliche Anschauung des
Rhythmus die Bedeutung der prosodischen
Liinge an der Stelle der metrischen Kürze nicht
fassen konnte, so verlor er die Wahrheit (S.
XX VIII) unter dem Gerüst von Begrifl'en.
Dieser Mangel an deutlicher und festgehal-
tener Anschauung des Rhythmus äussert seinen
Einfluss auf das ganze Werk dieses Metrikers.
Obgleich das Grundgesetz des R.hylhmus als
objektiv, formal und a priori bestimmt ange-
kündigt isi; so werden doch so subjektive, ma-
terielle und a posteriori bestimmte Momente in
Anspruch genommen z. B. der Gebrauch der
Dichter, die Deutlichkeit für den Leser, ja so-
gar die Kraft der Lungen, dass am Ende von
der Strenge der ersten Forderung wenig in der
Ausführung zu bemerken ist, wie bei dem Durch-
gehen der einzelnen Versgattungen sich oft zei-
gen wird. Daher kommt es denn auch, dass
oft die direktesten Widersprüche in deui Zwi-
schenraum weniger Seiten auf einander folgen.
So scliickt sich §. i>27 der Daktylus besser als
der Spondeus, §. 24a der Spondeus besser als
45 Vo rprinnerungen.
der Daktylus zu dem Ende des Verses, und bei-
des der Ermüdung wegen.
5o.
Urtheilt man nun nach dem, was Hermann
wirklich geleistet hat, und nicht nach dem, was
er seiner Ankündigung nach leisten Avollte , so
steht er, so heftig er immer auf die Gramma-
tiker schilt, doch in Ansehung des Systems der
Metrik nicht über ihnen.
Die Ableitung der Theoi-ie des Rhythmus
aus einem Princip hat er nicht bewerkstelliget,
ja es fehlt seinem Werk bei allem Schein syste-
matischer Strenge doch ganz an einer wissen-
schaftlichen Begründung. Denn das angeführte
Grundgesetz, dass die Zeitabtheiluugen einander
durchgängig gleich seyen , dass die freie Ursache
(die Arsis) den Anfang der Reihen bilde , und
dass das Bewirkte (die Thesis) zwar eben so
gross oder kjeiner, nicht aber grösser seyn kön-
ne, als die Arsis, bleibt unzulänglich und un-
fruchtbar, weil die Erörterung aus der Acht
gelassen worden ist , wie man dazu komme Län-
gen und Kürzen in Zeilabtiieilungen anzuneh-
men. Daher reicht dieses Gesetz auch gar nicht
zu, den Moloss (- unfruchtbar) zu erklären^
oder den Päon (_ w. ^ w göttlichere) dessea
Lünsfe Hermann als zweizeitisr euinimmt und
Vorerinnerungen. 47
mehres andre, was in den einzelnen Versarten
nachgewiesen werden wird.
5i.
Die Gleichheit aller Längen (als zweizeitig)
and aller Kürzen (als einzeitig) nimmt Hermann
mit den Grammatiker.! unbedingt an. Dabei
bezieht er sich auf die Sprache, welche nur
zweizeitige Längen habe, (wir haben das Ge-
genlheil gesehen) und, sonderbar genug, auf
die Musiker, die dem Beispiel der Spi'ache ge-
folgt seyen. Mit einiger Kenntniss der Musik
' hätte sich Hermann auf die Figuren J_ / J^ J^
und «^ ^^ ^'^ besonnen , und war auf seinen Irr-
thum aufmerksam geworden.
52.
Hermanns Hauptidee scheint gewesen zu seyn,
die Verse nicht, nach Art der Grammatiker in
Füsse , sondern in Rhythmen zu zerlegen. Hätte
er dieses ausgeführt, was aber ohne jene, oft
bei ihm vermisste Anschauung des Rhythmus
unmöglich Avar, so hätte er etwas sehr nütz-
liches geleistet in einem Felde, das die Gram-
matiker noch unberührt gelassen hallen. Allein
was er für den rhythmischen Theil der Vers-
kunde tliun wollte, missrieth durch seine An-
sicht von den Reihen, in eben dem Grade, als
das, was die Grammatiker für den metrischen
Theil ihatcu, durch ihre Ansiclit der Füss«
48 V o r er inner ung e 11.
missrailien musste. Hermann verfeliilc über sei-
nen Keilien, die er mathematisch berechnen
wollte, die wahre Gestalt des Rhythmus; den
Grammatikern entging über der Sylbenausglei-
chung in den Fc-Ssen, das Metrum oder der
Takt. So stehen beide genau auf einer Stufe,
nur die Grammatiker auf der metrischen, Her-
mann auf der rhythmischen Seite. Beide fehl-
ten darin, dass sie sich eben nur auf einer Seite
hielten , und durch Zahlen und Berechnen das
finden wollten, was vor aller Berechnung und
Demonstration dem Sinne klar seyn muüs. Wenn
Hermann's Metrik als Theorie , von einigen über
die Ansichten der Grammatiker ei'hoben wird,
so liegt der Grund wol bloss in seinem Ver-
dienst als Filolog, durch welches er seine Irr-
Me
sanktiouirt.
ihümer als Metriker vor befangenen Augen
Voss.
53.
Ohne eine Theorie des Rhythmus schreiben
zu wollen, brauchte \oss in seinem vortreff-
lichen Wei'ke : Zeitmessung der deutschen Spra-
che (1802), die musikalischen Zeichen statt der
gewöhnlichen metrischen, und zeigte dadurch
in den meisten der alten Versgatlungen den Takt.
Indessen hat er oft den Takt durch willkühr-
liche Punktirung der Viertel in vier Viertellakt
Vorerinnerungen. ^q
hervorgebracht, und sich dieses Hülfsmittels be-
dienen müssen, ^veil er die wesentliche drei-
zeitiije Länge nicht kannte, und die prosodische
Länge an der Stelle der metrischen Kürze, so
wie Hermann, als metrische Länge mass. Der
Charakter dieser prosodischen Länge, ist aber
starke Betonung der Kürze und dem sforzando
in der Musik gleich, wie die Folge ausführlich
beweisen wii'd.
Ueber die Ansichten Bernhardi's, Böckh's und
Andrer von Rhythmus und Takt wird sich
m(;hrcmal Gelegenheit finden, im Einzelnen zu
sprechen.
Gesang und Deklamation.
Indem wir behaupten, und fernerhin be-
haupten werden, in jedem Rhythmus sey Takt,
und ohne Takt kein Pdiythraus denkbar, müs-
sen wir einer Einwendung im Voraus bcirei'-
ncn, die, so viel uns bewusst, zwar noch von
Niemand gegen den Takt im Rhythmus gemacht
worden ist, die aber doch zu erwarten steht, und
am meisten von denen, die in unsre Meinung,
von der iSothwendigkeit des Taktes in jedem
Rhythmus, am tiefsten einzugehen geneigt sind.
55.
Solche Leser und Urlheiler werden sich zwar
überzeugen, dass in jedem rhythmischen Ge-
4
5ü Vorcrinneru 11 y on.
sang unfehlbar Takt seyn müsse; allein, könn-
ten sie entgegnen, nicht jeder Rhythmus ist für
eigentlichen Gesang bestimmt. Wenn wir auch
den Rhythmus nicht erwähnen, der von der
Prosa verlangt wird , so giebt es doch selbst
Verse , die bestimmt sind, bloss gesprochen und
nicht gesungen zu werden. Von den Rhapso-
den und von den Interlokutoren auf dem alten
Theater ist es wenigstens wahrscheinlich , dass
sie sprachen, und dass wir noch jetzt von fer-
sen Rhythmus fordern, die zu dem Gesang gar
nicht bestimmt und geeignet sind, liegt am Tage.
Nun wird aber jNiemand vom Deklamator for-
dern dass er nach dem Takt deklamiren solle.
Von der unschicklichen hörbaren Skansion ist
hier nicht einmal die Rede, aber selbst das
eleichmässig Fortlaufende des Taktes würde die
Deklamation entstellen. Oft fordert diese eine
zögernde, oft eine beschleunigte Bewegung, oft
Anhalten einer Sylbe, über die vom Takte vor-
geschriebene Zeit, oft unbestimmte Pausen, die
sich nach der Taktmessung nicht richten. Al-
les dieses aber sind Dinge, welche dem Takt
gerade zuwiderlaufen, und ihn ganz aufheben.
56.
Dieser Einwand hat allerdings viel schein-
bares. Um ihn zu beantworten, müssen wir
uns vor Allem darüber vex'ständigen , was man
Vorerinnerungen.- 5i
Takt halten nenne, und zugleich das Verhält-
niss der Rede zum Gesang genauer betrachten.
In dem Ausdruck: Takt halten, liegt ein
Doppelsinn, denn man bezeichnet im Gespräch
damit zwei ganz verschiedenartige Dinge.
Wenn ein Sänger oder Instrumentist einzelne
Töne eines Tonstückes in einer andern Zeit-
dauer vorträgt, als es ihr melodisches Yerhält-
niss zu den übrigen Tönen erfordert, so sagen
wir mit Recht, er hält keinen Takt, denn er
hebt durch solches Spiel den Takt wirklich
auf, es ist unmöglich, zu seinem Sj)iel den Takt
zu bezeichnen, den die vorgeschriebene Melo-
die fordert, und Avenn der Taktschläger taklirt,
so geschieht es nicht zu dem taktlosen Spiel,
sondern um den gestörten Takt wieder herzu-
stellen. Wer auf diese Art gegen den Takt
fehlt, (vorausgesetzt, dass sein Instrument;, ihn
nicht hindert) verräth, dass ihm die Anscliau-
ung des vorzutragenden Rhythmus mangelt, denn
hat er diese, so kann er den Takt nicht ver-
letzen.
Wenn hingegen ein Virtuos das melodische
Verhältniss der Töne zu einander beobachtet,
aber dieselbe Melodie bald in schnellerm, bald
in langsamem l'empo vorträgt, ofler wenn er
zwischen ihrem Anfang und End« die Bewegung
.')2 Vorerinnc rungcn.
beschleunigt oder vei*zÖgert, so sagt niau woJ
aucli, wenn dieses Eilen und Zögern lunvill-
kürlich oder mit frivoler Willkürlichkeit ge-
schieht , er halte keinen Takt , da man doch
vielmehr, sohakl das innere Tonverhällniss nur
nicht gestört wird, bloss sagen sollte, er halte
nicht Tempo.
Durch diese Bemerkung wollen wir den
Sprachgebrauch nicht ändern, sondern nur ver-
hüten, dass uns nicht durch Verwechselung bei-
der Bedeutungen , Einwürfe von Seiten des
Tempo gemacht werden , indem wir vom Takt-
halten spi'echen, und umgekehrt.
58.
Diese Beschleunigung und Verzögerung des
rhythmischen \ortrages dürfte also in der De-
klamation des Verses um so weniger befremden,
da sie sogar in der Musik den eigentlichen Takt
nicht stört. Allein wichtiger ist die Störung
des eigentlichen Verstaktes, durch Verlan-
gung einiger und Verkürzung andrer Sylben
gegen die Natur des Taktes, und was dasselbe
ist, durch Einmischung ungemessener Pausen,
die bald der Sinn der Rede, bald das Gefühl
Verursacht. Man versuche irgend ein Gedicht
zu dtklamiren, und man wird sich überall, nicht
allc;in auf Beschleunigvmgen und Verzögerungen
ganzef Rhythmen, sondern bei Verweilen auf
Vorerlnuerungen. 55
einzelnea Sylben, bei schneller Abfertigung an-
derer, und bei ungemessenen Pausen autreffen. —
Wie bestellt aber — fragt man mit Pieclit —
hierbei der Takt? Ein Blick auf die Musik wird
unsre Meinung erläutern.
%•
In der Musik entdecken wir bald, bei einiger
Bekanntschaft mit ihren Werken, etwas, jenem
Verweilen des Deklamators ähnliches, nämlich
die Fermate. Der Virtuos wird bei gewissen
Stellen vom Komponisten selbst aufgefordert,
auf einem Tone zu verweilen, und dadurch das
gleichmässig Fortgehende des Taktes zu unterbre-
chen. Man betrachte aber die Fermate zuerst
uj ihrer einfachen Gestalt ohne Koloratur. Sie
unterbricht zAvar den Forlscliritt des Taktes,
man kann aber nicht sagen, dass sie den Takt
selbst aufhebt, so wenig als eine Interjektion,
oder selbst eine Parenthese den Zusammenhang
der Bede stört, wiewol sie ihren Schritt unter-
bricht. Wie der Zuhörer mit dem Festhalten des
Siunes gleichsan^ über der Parenthese schwebt,
so seh webt sein Taktgefühl ülaer der Fermate,
die eben tlaflurch Fermate ist, dass sie bei forl-
währenti<.iu TaktgcAihl, das reelle FoiHgehcn des
Taktes selbst anhält. Man könAte diesen, durch
die Fermate angehaltenen Takt, mit dem sinn-
vollen Ausdruck bezeichnen, den Göthe von
54 Vor erinn er ungen.
den Farben so schön erklärt , und ihn inten-
tiouellen Takt nennen. Die Wahrheit die-
ser Benennung fühlt der Taktschläger am sinn-
lichsten nächst dem Virtuose^i selbst.
60.
Die Fermate , wo sie nicht conventionell ge-
worden ist , z, B. ehmals vor dem Schlusstril-
ler koncerlirender Stimmen , bezeichnet ein
Uebertragen des Ausdrucks der allgemeinen Em-
pfindung an die individuelle des Virtuosen. Die-
ser Charakter der Fermate findet sich aber nicht
bloss auf der einzelnen, mit dem Zeichen der
Fermate kenntlich gemachten Note , sondern
überhaupt in jedem con expressioue oder con
afl'ctto, das daher oft durch ad libitum, a pia-
cere , senza tempo bezeichnet wird. In solchen
Stellen ist das , was wir intentionellen Takt ge-
nannt haben, von der einzelnen Note auf ganze
Tonrhythmen übergetragen, allein aufgehoben
oder zerstört ist der Takt durch das ad libitum
so wenig als durch die Fermate.
61.
Es fällt in die Augen : Je weniger individuell
und subjektiv der Charakter einer Musik ist,
um so strenger sind ihre Rhythmen und Melo-
dieen an den Takt gebunden, z. B. in kirchli-
chen Fugen, Motetten, und im Choralgesang.
Je mehr hingegen die musikalische Darstellung
VorerinneruugeK. 55
sich dem Ausdruck des Individuellen und Sub-
jektiven liiugiebt, um so mehr und öfter tritt
der Ch^irakter des intentioneilen Taktes hervor,
^der im Recitativ der herrschende wird, in- .
dem ihn der Virtuos selbst nach Gefallen (ad
libitum) anwendet, wo ihm sein Gefühl sagt,
dass er statt finde. Dass aber Taktlosigkeit nicht
Charakter des Recitatives sey, zeigt der Um-
stand, dass es dem Urtheil des Sängers über-
lassen bleibt, ob er strengen Takt hahen wolle,
wozu er in manchen Gattungen von Recitati-
ven, wo die Begleitung während des Gesanges
rhythmisch fortgeht, ohnedies veranlasst wird.
Das Recitativ ist also als objektives Kunstwerk
in strengem Takt gedacht, und dieser bleibt,
wenn auch der Vortrag des Virtuosen den stren-
gen Takt als intentionelleiv hören lässt. Etwas
ähnliches wie vom Rechativ gilt auch vom kirch-
lichen Kollektengesang. Bei diesem findet
die Eigenheit Statt, dass er (in der gewöhnli-
chen Gattung) den Satz unmetrisch und unmu-
sikalisch (monoton) anfängt, oder doch nach
einer sehr geringen Modulation zum Anfange
fortführt, und nur am Schluss gesaugmässig me-
trisirt und modulirt. Er verbindet Rede und
Gesang, nicht wie das Recitativ, gleichzeitig,
sondern in der Aufeinanderfolge, und der Takt
bleibt intenlionell bis zum Eintritt des Schlus-
ses, daher denn auch in den prosaischen Kol-
56 Vorerinncrungen.
lektengesängen die Sätze von sehr ungleicher
Länge seyn können und sind. Wir sclni in
dieser Art des Gesanges das musikalische Ge-
gcnbild einer Gattung gereimter Verse, die je-
dem Keimwort eine willkührliche Zahl unge-
ordneter Sylben vorsetzen, welche bis zu dem
Reim regellos abrollen, und die man wol noch
vom Volk cxtemporiren hört, oder in kunstlo-
sen Inschriften hie und da findet. So las man
auf einem Grabstein:
Ich sohlummre sanft in meiner Gruft,
Bis mich die Posaune zum ewigen Leben ruft.
In musikalischen Koloraturen findet man auch
zuweilen, wie bekannt, ein ähnliches unbestimm-
tes Aufhalten des Schlusses, welches die Natur
dessen, was wir intentionellen Takt nennen,
deutlich macht, Diese Art des Kollektengesan-
ges ist folglich als Rede zu betrachten, die aus
Convenienz in singendem Ton gesprochen wird,
und zufolge dieser Annäherung an den Gesang,
den Sehluss der Sätze metrisirt und modulirt.
Dasselbe findet Statt bei dem vormals üblichen
Absingen der Episteln und Evangelien. Dass
über der Kollektengesang, wo er wirklich Ge-
sang ist, eben so wenig Taktlosigkeit zum Cha-
rakter habe, als das Recilativ, zeigen thcils sol-
che Gesänge dieser Art, welche die Modulation
nicht bloss auf den Sehluss beschränken j z. B.
Vorerinnerungen. jy
manche Präfationen, die Konsekrationsformel
und ähnliche, theils Kollektenmelodien, weiche
in Kirchengesängen taktmässig, und zuweilen
mit Instrumenteubegleitung ausgefühi'tj gefunden
werden.
62.
Die Freiheit des Virtuosen — um das Gesagte
kurz zusammen zu fassen — im Vortrage, hebt
also den Takt im Musikstücke seihst nicht auf,
und was vom Sänger gilt , das gilt offenhar in
noch höhcrm Grade und mit grösserer Freiheit
vom Deklamator. Der Takt des \erses wird
bei dem lebendigen deklamatorischen Vortrage
intenlionell , die Pausen, welche der Deklama-
tor macht, sind nicht musikalisfjie Pausen, wel-
che schweigende Besiandlheile des Rhythmus
sind. Jene Pausen in der Deklamation sind
vielmehr eigentliche leere Zeiten (inauia tem-
pora), binnen welchen der Pihythmus selbst
suspendirt Avird, wie denn auch in der Musik
die Fermate auf einer Pause Statt finden kann.
Die Pflicht des Deklamators bleibt indessen, bei
metrischen Stücken so zu sprechen, dass jener
intenlionelle Takt niclit überspannt, und da-
durch seine fortdauernde Anschauung im Zu-^
hörer gestört werde. Die Erhaltung dieser ide-
ellen Taklauschauung, ohne reelle Darstellung
des Zeitmessens, würde eine der höchsten Auf-
5S Vororinnerungen.
gaben der metrischen leidenschaftlichen Dekla-
niution scyn.
65.
Man hat auch Wol geglaubt, die behauptete
Taktlosigkeit alter Rhythmen durch Beispiele
aus neuer Masik zu erläutern, indem man sich
auf Fantasien grosser Musiker berufen hat,
worin die Musik sogar einige Zeit ohne die ge-
wöhnliche Abzeichnung durch Taktstriche fort-
geht. Der Beweisgrund für die Sache ist zwar
schwach, indem er die Ausnahme unsrer Musik
als Regel für alle Musik aufstellen will, indes-
sen wird es nölhig seyn, auch diese letzte Zu-
flucht abzuschneiden.
Allerdings können in einem Tonstück Stel-
len vorkommen, wo der Komponist die Takt-
eintheilung wegliess. - Man unterscheide aber
nur vor allem, ob diese Stellen rhythmische
Stellen waren, oder ob die IMusik an diesem
Ort zu andrer Darstellung gebraucht wurde.
Wenn z. B. ein Orgelvirtuos in einem Tonstück
den Donner auf der Orgel nachahmt , so kann
diese Nachahmung ganz vom Takt entbunden
seyn, sie ist aber auch nicht rhythmisch, und
braucht daher keinen Takt, sondern nur eine
allgemeine Zeitbegränzuug , um die nebenbei
fortgehenden , oder darauf folgenden Rhythmen
nicht zu stören. Eben dieser Rhythmen wegen
Vorerinnerungen. 5ij
tritt hier der Fall ein , dass das unrhythmische
Getön nach einem rhythmischen Maasse ( dem
Takt) gemessen werden miiss, und dass also
der Takt auf das unrhythmische uneigentlicher
Weise übergetragen wird , damit dieses in sei-
ner Dauer beschränkt werde. Wenn aber ei-
nige (z. B. Herr Direktor Gotthold, Berl. M.
Sehr. 1809. lul. S. 5i.) die Meinung hegen : der
Takt sey vielleicht erfunden, damit mehrere
(rhythmische) Stimmen zugleich ohne Ver-
wirrung vorgetragen werden können, so zeigen
sie, dass sie die zeitmessende Eigenschaft des
Taktes (der bloss ein \ erhältuissmaass ist) gar
nicht kennen.
Ein einzeln fortklingender Ton ist ebenfalls
kein Rhythmus, und kann daher taktlos fortge-
halten werden, denn es ist nichts vorhanden,
was Takt erfordere , und die blosse Begränzung
der Dauer in Anfang und Ende ist kein Takt.
Dasselbe gilt, wenn dieser gehaltene Ton von
dem Virtuosen koloi'irt wird, durch Arpcggio
oder andres Passagenwerk. Nur sobald das Ar-
peggio oder die Koloratur, aus dem Gebiet des
bloss Tönenden tritt, und sich gleichsam aus
dem Tonchaos zu einem Rhythmus gestaltet,
dann ist auch in diesem Rhythmus der Takt
(vielleiclit der Darstellung des Werdenden we-
gen, Anfangs intentionell) vorhanden, gesetzt
auch, der Komj^ouist bezeichne ihn nicht durch
6o Vorer inner uHf'jfcij.
Taktstriche, well er ihn vielleicht noch nicht
festhalten, sondern nacli und nach aus dem
Chaos unrliythmischer Töne entstehen lassen
will. So sind dergleichen wirklich taktlose
SteUen zu verstehen; scheinbare Taktlosigkeit
erkennt der Musiker leicht.
Metrische Bezeichnung.
64.
Gewöhnlich bedient mau sich noch jetzt in
der Metrik der alten Zeichen der Grammatiker,
nämlich zu Bezeichnung der Lange <\cs Quer-
striches ( — ) und zum Zeichen der Kürze des
Halbzirkels oder Häkchens. (^) Beide Zeichen
vereinigt man, um die unhesllmmte Stelle an-
zudeuten, die (aus später anzuführenden Grün-
den) eben so wol lange als kurze Sylben zu-
lässt. [z) Man pflegt dann die Bestimmung,
welche das Metrum fordert, unten, und die, mit
welcher sie vertauscht werden kann, darüber zu
setzen. Z. B. in dem iambischen Verse:
Aus jedem Wohnplatz staubgeboiner Sterblicher
ist die erste Stelle metrisch kurz, sie gestattet
aber eine Sylbe von prosodischer Länge. (Aus)
Umgekehrt ist die letzte Stelle metrisch lang,
sie gestattet aber die prosodisch kurze Sylbe.
Daher steht im ersten Fall das Zeichen der
Vorerinnerungen. 6i
Kürze unten, und das der Länge über diesem
[3] und umgekehrt im zweiten Fall.
Um anzudeuten, dass eine lange Sylbe mit
zwei kurzen vertausclit, oder in diese aufgelö-
set werden könne, setzt man über den Strich,
der die lange Sylbe bezeichnet, zwei Halbzirkel,
als Zeichen der Kürze , [ ÜH! ] z. B.
Wohnt in Paradiesen
Umgekehrt bedeutet das Zeichen ~, dass zwei
kurze Momente durch eine lange Sylbe ersetzt,
oder zwei Kürzen in eine Länge zusammen ge-
zogen werden können, z. B. im anapästischen Vers:
unheiliger Kampf, vro Gewalt obsiegt
Zuweilen finden auch an der Stelle der metri-
schen Kürze zwei kurze Sylben Statt, diese be-
zeichnet man alsdann durch das doppelte Zei-
chen der Kürze über dem einfachen. ['C'] Lässt
eine solche Stelle auch die prosodische Länge
zu, so setzt man das Zeichen der Länge dazwi-
schen [^] z. B.
nOTUfitav T6 m]^tti, novriMv rt ttvfjiuroiv Aeschyl,
pavidumque leporem et advenam laquco griiem Horat.
Und den Hasen in Angst, und dich, du reisender
Kranich , fangt Voss.
62 Vorerinnarungen.
Nur vermulhe man nicht, dass die zwei Kür-
zen Auflösung der Statt habenden Länge seyen,
diese Länge (3) ist unauflösbar, weil sie, wie
wir beweisen werden, nicht metrisch, sondern
nur prosodisch ist.. Zum vorläufigen Beweis
dient, dass die doppelte Kürze statt der einfa-
chen auch auf Stellen vorkommt, welche die
Länge statt der Kürze nicht dulden, wie das
obige Beispiel zeigt.
65.
Es ist indessen schon im Vorbeigehn erin-
nert worden , Avie unzureichend und irreleitend
diese Bezeichnung sey. Denn da der Zeitgehalt
nicht bei allen Längen und Kürzen derselbe ist,
so ist eine Bezeichnung dieser Verschiedenheit
unumgänglich nothig, diese aber gewähren jene
nietri.3chen Zeichen nicht, und der ganz ver-
schiedne Rhythmus in
und
j j .\N j j j":-
wird durch dieselbe Bezeichnung
also höchst zweideutig und un.sicher ausgedrückt.
Wir werden uns daher hauptsächlich der schick-
lichem und ebenfalls allgemein bekannten mu-
sikalischen Zeichen, oder Noten, bedienen, durch
welche alle Zweideutigkeit der metrischen Be-
Vorerinnerungen. G3
Zeichnung gehoben wird. Man darf die Be-
kanntschaft mit diesen Zeichen wol hei jedem
Leser voraussetzen, auch würde sie ein Musik-
unkundiger sich mit leichter Mühe erwerhen,
und vielletclit dann es dem Zufall Dank wissen,
der ihn der Musik zuführte, während er sich
nur der Metrik zu nähern gedachte. Wo indes-
sen keine Zweideutigkeit veranlasst werden kann,
und hesonders bei bloss prosodischen Quanti-
tätbestimmungen, welche die metrische Bestimmt-
heit (aus später anzugebenden Gründen) nicht
haben sollen, werden die gewöhnlichen metri-
Ächen Zeichen iu diesem Buche ihren Gebrauch
behalten.
Uebersicht.
66.
Nach diesen Vorerinnerungen wird nun un-
ste Theorie die Ordnung beobachten, dass zu-
erst im allgemeinen Theile, vom Rhythmus,
vom Metrum, vom Vers und von den damit
verwandten Gegenständen gehandelt werde. Der
besondre Theil wird dann die einzelnen ver-
schiedenen Versgattungen, welche insgesammt
ans dem Wesen des Rhythmus abgeleiltt wer-
den , . erklären. Beide Theile machen ein fest
Verbundenes Ganzes aus, und der allgemeine
wird im besondern s».ine Erläuterung, so wie
dieser in jenem seine Begründung linden.
£4 V or »r i 11 n er Ulli- ou.
67.
Sollte der Verfasser manclien Lesern viel-
leiclit hier und da zu ansfiilirlicli, ja weilscliwei-
fig und in das Kleinliche gehend scheinen, so
Littet er diese, solche Stellen zu überschlagen,
und ihn selbst mit der nothweudigen Püicksjcht
auf andre Leser zu entschuldigen, die vielleicht
die Ausführlichkeit, oder selbst Wiederholung
des früher Gesagten ihren W ünschen angemess-
ner finden. Um dieselbe Entschuldigung bittet
er auch wegen der gehäuften Beispiele, beson-
ders aus den griechi eben und lateinisc'hen Dich-
tern. Da sich die Metrik bis jetzt hauptsäch-
lich in den Händen der Filologen befindet, so
war es nöthig, den Kinweisungen dieser Ge-
lehrten auf die Praxis der alten Dichter zuvor-
zukommen, und diese ihre Autoritäten selbst
gegen ihre möglichen Einwendungen zu benu-
tzen. Deutsche Beispiele sind überall hinzuge-
fügt, denn nur zu leicht versteckt sich die Un-
klarheit hinter das Fremde, besonders wenn es
durch Gelehrsamkeit sanktionirt ist. Uns ist es
aber darum zu ihun, mit Gelehrten und Un-
gelehrlen gleich deutlich und vernehmlich über
die Sache zu sprechen.
Allgemeiner Theil. Vom Rliytlimus. GS
Allgemeiner Theil.
Vom Pi h y t h m u s.
68.
Um nicht iu den Fehler zu fallen, eleu wir an
Andern gerügt haben, wird es nöthig seyn, vor
Allem eizie bestimmte Anschauung dessen zu
erwecken, was man Pihythmus nennt. Hat man
erst diese mit Deutlichkeit und voller Sicherheit
aufgefasst ( so , dass man sie unter allen Gestal-
ten wieder zu crl^ennen im Stand ist) , dann ist
es Zeit, die wissenschaftliche Erörterung des
Rhythmus zu versuchen, die allerdings nöthig
ist, um beurtheilen zu können, ob unsere Theo-
rie eine willkühriiche sey, oder bestimmt durch
die Natur des llhythmus.
69.
Numeros memini , si verba tenerem — sagt
Virgii's Lycidas, als er vom nächllielien Ge-
sänge nur die Melodie (die S a n g w e i s e , nach
dem allen Ausdruck) vernommen, und die Worte
überhört hatte. Das lateinische: Numerus,
f,(, All ge meiner Thcil.
korrespoiidirt bekanntlich dem gneclilschen
Worte Rh yt lim US. Man dachte sich also un-
ter Numerus und P\.hythmus ungefehr dasselbe,
•\vas wir gewöhnlich mit einem, ebenfalls aus
dem Griechischen entlehnten Worte Melodie
nennen, die musikalische Weise oder Form des
Gesa?ages, abgesehen von den Worten oder dem
Text. In diesem Sinn sagt man auch wol von
einem Liede , es gehe nach der Melodie eines
andern, und so unterscheidet man genau die
musikalische Form des Gesanges von seinem
Inhalt als Gedicht.
70.
Betrachten wir eine solche Melodie weiter,
sie sey nun vom Gesänge entlehnt, oder ohne
Verbindung mit Poesie, gleich für die Musik
selbst erfunden, so lässt sich zweierlei in ihr
unterscheiden. Es ist hinlänglich bekannt, dass
ein musikalischer Gedanke fast in jedem, nicht
ganz leicht behandelten Tonstück, in verschied-
nen Tonarten wiederholt, und auf mancherlei
Art gewendet wird. Der Hörer erkennt den
Gedanken bei allen Veränderungen und tim-
kehrungen wieder, und zwar, wie es nicht an-
ders seyn kann, an dem, was bei allen Ver-
änderungen doch in ihm unverändert geblieben
ist. Z. B. in dem Gedanken :
V o m R ]i }' t h m u s. C7
er mag, in welcher Tonart es sey, in gerader
oder umgekelirter Bewegung (alla riversa)
vorkommen, sind die Töne zwar nicht diesel-
ben geblieben, wir erkennen aber den Gedan-
ken in jeder Stellung wieder an der Bewegung:
welche überall dieselbe geblieben ist. Was wir
verändert finden, ist das melodische Verhältniss
der Töne zu einander; was unverändert blieb,
nennen wir das rhythmische Verhältniss, oder
auch den Rhythmus überhaupt.
71-
Wie wir zuerst die Worte vom Gesang ab-
zogen, und die Melodie übrig behielten, so ha-
ben wir nun von der Melodie, das Tonverhält-
niss abgezogen , und den Rhythmus übrig be-
halten, der auch ausser dieser künstlichen Ab-
straktion wirklich ohne Tonverhältniss vorkommt,
z. B. im Trommelschlag. Wir unterscheiden die
verschiedenen Arten des Trommelschlages im
Generalmarsch, Zapfenstreich und andern Gat-
tungen dieses militärischen Rufes, an den ver-
schiedenen Rhythmen, z. B.
unterscheidet sich durch blossen Rhythmus von :
(iö Allgemei ner Th eil.
ohne dass irgend ein Tonverliältniss die Untci'-
scheidung l)ewirkte, oder auch nur erleichterte.
72.
Betrachten wir dagegen manche andre Klän-
ge, die an sich vielleicht angenehmer seyn ken-
nen, als der Trommellärm, z. B. das Tönen
der Acolsliarfe, das Rauschen des Windes in
den Blättern, so werden wir selten, und dann
bloss durch Zufall, das darin gewahr werden,
was wir rhythmische Bewegung genannt haben.
Das Brausen eines Wasserfalls, oder das Bie-
sein eines Quells hat wol auch einige Verschie-
denheit, aber wir bemerken sie nicht. Wir un-
terscheiden dieses Geräusch nur, wo wir es un-
terscheiden, nach Stärke und Schwäche, nicht
aber nach Verschiedenheit des l\hythmus, und
nicht mit Bestimmtheit. JNiemand wird es ein-
fiillen , durch die \ erschiedenheit eines solchen
unrliythmisehen Geräusches Signale von ver-
schiedener Bedeutung geben zu wollen, weil er
nicht voraussetzt, dass jemand im Stande sey,
jene Versciiiedenheiten so sicher aufzuAissen,
dass er sie mit Gewissheit wieder erkennen,
und sich danach richten könne.
75.
Ein subjektives Merkmal des Bhythmischen
ist also die Eigenschaft, mit Bestimmtheit auf-
gefasst, unterschieden und wieder erkannt zu
V o m R h y t h ra u s. 6g
werden. Wir fassen zuerst das subjektive Merk-
mal auf, weil uns daran gelegen ist , vor aller
andern Untersucliung , die bestimmte Auscliau-
ung des Rhythmus zu fassen und festzuhalten.
Die objektiven Eigenschäften des Rhythmus wer-
den deswegen hier noch als Bedingungen be-
trachtet, unter welchen ein Rhythmus aufgefixsst
werden kann. Es wird nützlich seyn, zur Er-
läuterung der Sache ein Gleichniss von einer
Anschauung im Räume zu gebrauchen,
74.
Man denke sich unter den räumlichen Ge-
genständen für das Gesicht, eine weitausgebrei-
tete, unbegränzte, gleichfarbige Flüche, z. B. ei-
nen gleichbcwölkten , düstcrgrauea Regenhim-
mel, dessen Ausdehnung jaur durch die zuiiil-
ligen Gegenstände des Erdhorizontes , als Berge,
Häuser, Wälder u. d. g. abgeschnitten wird.
Der Sinn nimmt hier die Empfindung der grauen
Farbe z^war unter der Form des Raumes als Aus-
dehnung walir, allein In der Einbildung bleibt
nur ein bestimmtes Bild von der Empfindung
(der Farbe), nicht von der Form zurück. Denn
weil die Begränzungen des Horiz;onlcs zufällige
sind, die von fremden Gegenständen herrüh-
ren, so erkennen wir sie sO' wenig für IJmrisse
jöncr grauen Fläche, als wir den Rahmen, dex'
die Figur eines (jomäldcs «ntorbruht, als Um-
7© A 1 1 ^ e m e i n t- r T Ji e i 1.
riss dieser Figur belracliten. Mit, einem Worte,
die graue Iliinmelsfläche zeigt uns keine Figur,
weil sie selbst als gränzenlos erscheint.
75.
Nun nehme man ferner an, das Gewölk habe
sich abgeregnet, die gleichfarbige Wolkenmasse
fange an , sich zu sondern, einzelne Stellen und
Streifen werden lichter, doch ohne noch die
blaue Heitere des Himmels durchscheinen zu las-
sen, andre verdichten sich noch mehr^ um bald
in abgesonderten Wolkcnmasscn aus einander
zu gehn, aber alles ringt erst wie ein Chaos
nach fester Gestalt. Hier bekommt die Einbil-
dungskraft zwar die Anforderung, ein Bild auf-
zufassen, aber sie vermag nicht es festzuhalten.
INur das Bild des Allgemeinen, das Streben der
Masse , sich zu gestalten, bleibt in der Fantasie.
Ein Maler würde , wenn es seyn sollte , einen
Wolkenhimmcl dieser Art malen, aber niemals
ein bej>iimmtes Wolkenchaos treu nach der Na-
tur auffassen und wiedergeben können, eben
weil die Grunzen fehlen, imter welchen allein
ein bestimmtes Bild aufgefasst und wiedergege-
ben werden kann.
Erst dann, um das Beispiel noch einmal auf-
zunehmen, wenn die Wolkenmassen sich ganz
gesondert haben, und von allen Seiten sich die
Vom Rhythmus. 7'
Bc"-i'äiizung wesentlich, nicht durch zufällige
Bedeckung fixirt hat, entsteht das feste Bild,
die Figur, welche die Einhildungskraft festhal-
ten, und treu in der Darstellung wiedergeben
kann.
Oder, was dasselbe ist, erst dann wird ein
räundicher Gegenstand für uns zur Figur, wenn
die Fantasie im Stande ist, seine Ausdehnung
als ein Ganzes, in seinen wesentlichen Begrän-
zungen, oder Umrissen, aufzufassen. Je zufal-
liger diese Begränzungen scheinen, um so schwie-
riger wird das Auffassen, daher Falten , Luft,
Laub, Haar, dem angehenden Zeichner manche
Mühe machen, eh' er das rechte Verhältniss
von Wahrheit und Dichtung (Treue und Fan-
tasie) in der Nachbildung treffen lernt.
71-
Was hier beispielsweise von räumlichen Ge-
genständen gesagt worden ist, gilt auch von den
Erscheinungen, die in der Zeit wahrgenommen
werden.
Es ist eine Behauptung Kanfs, die oft nach-
gesprochen w^orden ist: Raum sey die Form al-
ler äussern sinnlichen Anschauung, d. h. jeder
Gegenstand der äussern Anschauung, oder jede
Empfindung des äussern Sinnes werde unter
der Foriu des Baumes (räumlicher Ausdehnung)
von d«;r Sinnlichkeit wahrgenommen.
•J2 Allgemeiner T heil.
Dieser Salz aber ist falsch. Es gibt Empfin-
dungen des äussern Sinnes, welche durchaus
nicht in der Form des JR.auincs, sondern blos
in der Form der Zeit wahx'genommen werden.
Zu diesen Empfindungen gehört vornehmlich
der Schall. Der Schajl, als Empfindung, ist
durchaus ohne irgend eine räumliche Beziehung.
Nennt man ihn dick, voll, rund, so sind die-
ses, wie jeder weiss, uneigentlichc, von räum-
lichen Verhältnissen übergetragene Benenniuigen.
So nennt man wol einen Gedanken gi'oss, ein
Gefühl lief, ohne beiden deshalb räumliche Be-
ziehung anders als melaforisch zuzuschreiben.
Der tönende Körper ist im Raum, die bewegte
Luft desgleichen , aber das Fänomen dieser Be-
wegung, der Schall, wird vom Sinn nicht im
Baume vernommen. Das ]Nah und Fern, was
Avir beim Schall unterscheiden, deutet zwar al-
lerdings auf ein räumliches Verhähniss, allein
dieses wird nicht vom Sinn, sondern von der
Reflexion aufgefassl, und deutet nicht auf die
Schallempfindung, sondern auf den klingenden
Körper, was schon durch den dabei möglichen
Irrllium erwiesen ist, und so ist wol jeder Schein
gehoben, als mische sich irgend eine räumliehe
Beziehung in die sinnliche Wahrnehmung des
Schalles, der, wie man sich bei jedem \ersucli
überzeugen kann, in keiner der drei räumlichen
Dimensionen, sondern bloos unter der Form
Vom Rhy tlimus, yS
der Zelt vernommen wird, und mit der einzi-
gen, der Zeit eignen Dimension. Es war kaum
nöthig, hierüber ein Wort zu spreclien, wenn
nicht Filosofen aus der Kautischen Schule, den
Antheil der IleÜexion an der Sinnempfiudung
zuweilen auf die Sinnlichkeit übergetragen, und
50 zu Irrthümern Veranlassung gegeben hätten.
Die reine äussere Anschauung der Zeitdi-
meusion (des Zeitverlaufes) geschieht also mit-
telst des Schalles. Vielleicht liegt hierin der
Grund, warum die Mittheilung cor Objekte des
innern Sinnes (der Gedanken) an den äussern,
durch hörbare Zeichen ( \Vorlc ) allgemein in
der Sprache bcAvirkt wird. Die Anschauung
räumlicher Dimension wird dagegen durch Farbe
vermittelt. Der Schall wird daher in und für
seine Sfäre gerade das seyn, was die Farbe für
die ihrige ist.
79-
VVic vorhin die unbcgränzte Fläche des grauen
RegenhJmmels, so denken wir uns jetzt das mo-
notone Brausen eines fernen Wasserfalles. Was
die Fantasie davon behält, wenn w^ir uns aus
der SchalJweile entfernt habeu, ist (in Ansehung
der Schal]em]>rindung) bloss das Allgemeine des
Geräusches, ein Gegenstück in der Zeil, zu der
Formlosigkeit jeuer grauen Fläche iiu llaura.
-4 Allgemeiner 'l'heil.
Die Begi'äuzuugeu , nämlicli das Anfangen und
Aufliören, liegen auch hier nicht iji der Natur
jenes Schalles, sondern in der Zufälligkeit des
Ein- und Austretens in die Scliallwcite. Wir
nehmen an, dass wir heim Nähertreten bemer-
ken, wie der Strom verschiedene Gegenstände,
Holz, Moos, und ähnliche Dinge über den Was-
serfall führe, und dadurch eine Abwechselung
in seinem Geräusch verursache. Wie bei der
angehenden Sonderung des Geivölks, wird zwar
die Einbildungskraft hier ein allgemeines Bild
erhalten, nämlich das Bild eines Schallwechsels,
das aber noch einem Chaos von Schällen gleicht.
Im Allgemeinen wird auch die Fantasie ein sol-
ches Bild dai-stellen können, allein ein treues
Bild eines eben vernommenen Schallchaos, wird
sie' niemals, weder festhalten, noch in der Dar-
stellung wiedergeben können.
Wir nehmen ferner an, dass, bei grösserer
Nähe, wir bemerken, w^ie der Strom sein Spiel
mit einem halb losgerissenen Balken treibt, den
die Welle hebt, bis er durch eigne Schwere
zurücksinkt, und w^ieder von neuen Wellen ge-
hoben wird. Diesen ordnungmässig wiederkeh-
renden Schall des An- und Abprallens, z. B.
d J I d o^c^ d J J I d verliert die Einbildungs-
kraft nicht in der Wahrnehmung des Allgemei-
nen, sie kann ihn aulfassen, und treu, wie sie
ihn vernahm, wiedergeben, eben so, wie sie nach
Vom Rhythmus. n^
dem obigen Beispiel die Figur eines vollkom-
men begränzlen Gegenstandes im Räume, auf-
zufassen und wiederzugeben im Stande ist.
80.
Wir finden also in der Zeiterfüllung etwas,
der Figur im Piaume analoges, was wir mit ei-
nem niebt unpassenden Worte Zeit figur nen-
nen könnten, d. h. ein Ganzes, das rein in der
Zeit, obne Hinzukommen eines räumlicben Ver-
hältnisses, als Ganzes sinnlich aufgefasst, be-
halten und wiedergegeben werden kann.
81.
Wie die Figur im Räume, als begränzte far-
bige Fläche wahrgenommen wird , ( denn die
dritte Raumdimension wird nicht vom Sinn,
sondern von der Reflexion erkannt) so wird
die Zcitfigur als begranzter Schall wahrgenom-
men werden, denn Schall ist die reine Zeiter-
füllung, und eigenthümliche Gränze ist die Be-
dingung der Figur.
Es fragt sich aber dabei: wie kann der Schall
mit einer eigenthümlichen Gränze erscheinen,
um die Bedingungen zu erfüllen, unter welchea
er eine Zeitfigur bildet?
82.
Wie die Zeit selbst, so verläuft der Schall
als reine ZciterfüUung nur in Einer Dimension.
76 Allg emeiner Th eil.
Anfang und Ende sind daher seine Gränzen,
allein diese Gi'änzen erscheinen nicht als eigen- '
thümliche Avesenliiche Gränzen, der Sehall könnte
durch sie bloss abgeschnitten seyn in seiner
Dauer, so wie die farbige Himmelsfläehe durch
den Horizont, die Figur im Bilde durch den
Piahmcn abgeschnitten ist.
Die eigenthiimlichc Begrenzung der Figur
im Baume ist Ausdruck ihrer innern Cohäsion,
oder Selbstständigkeit. Was aber für das Bäum-
liclie Cohäsion ist, das ist für die Erscheinun-
gen in der Zeit Evolution. Die Gränze,
welche wir von der Zeitfigur erwai-ten, wird,
also sinnlicher Ausdruck der Evolution, oder
des successiven nothwendigeu Zusammenhanges
seyn.
85.
Um Cohäsion zu bemerken, muss die Be-
flexlon erst Theile (eine Vielheit) unterscheiden,
die nun von der Anschauung als zusammenge-
hörig (Totalität) aufgefasst werden. Eben so
kann auch Evolution nicht angeschaut werden,
ohne Mannigfaltigkeit der Momente, die als
Ganzes unter dieser Form aufgefasst werden
Süllen. Zeilmomente müssen also erscheinen,
ihre Vielheit muss wahrgenommen, aber als
Einheit angeschaut werden, indem ein Moment
als Erzeugniss des Andern sich offenbart. Die
Zeitligur ist mithin eine Beihc von Evolutionen.
Vom Rhythmus. y-»
84.
Wir haben diese vorstehende Reflexion zwar
unternommen bei Gelegenheit einer rhythmi-
schen Schallreihe des Trommelschlages; allein
wie wir Anfangs von den Worten des \erses,
dann von den Tonverhältuissen der Melodie
abstrahirten , so haben wir bei jener Reflexion
auch selbst vom Schall abstrahirt, der uns zur
reinen Zeitcrfüllung wurde. So blieb uns nichts
übrig, als die Zeit selbst, in der wir Figuren
(Ganze) erkannten, wie im R.aume. Wir erken-
nen in der Zeitfigur leicht den Rhythmus wie-
der, dessen Charakter eben dieser ist (74) wie
bei der Zeitfigur , nämlich als Ganzes in der
Zeit aufgefasst werden zu können. Insofern also
Rhythmus eine Figur in der Zeit ist, verslehn
wir darunter, die anschaulich dargestellte Ein-
heit einer Reihe von Zeilmoraeuten.
85.
Diese Abstraktion, nach welclicr bloss die
Zeit übrig bleibt, scheint Vielen die höchste zu
scyn, und sie erklären dann den Gebrauch des
Wortes Rhythmus von räumlichen Verhältnis-
sen für einen metaforischen Ausdruck, mit dem
man jedes regelmässige Verhäiluiss überhaupt
bezeichne. Allein es zeigt sich bald, dass die
Abstraktion ilir Geschäft noch nicht vollendet
habe, so lang noch von Zei tmomenlen die
7>i A 1 } ^ ff m e i u « r '1' h t i J.
Piede Ist, imd iiiclit von Momenten der Evolu-
tion überhaupt, durch welche erst die Anschau-
ung der Zeit selbst (als Form der Evolution)
entsteht. Führen Avir also den Begriff Pihyth-
mus zu seiner höchsten Allgeraeinheit zurück,
so verstehn wir unter Rhythmus eine Reihe von
Momenten der Evolution , welche dem Sinn als
ein Ganzes (Totalität, empirisches Bild der Ein-
heit in der \ielheit) erscheint. Die Nothwen-
digkeit, bei dem Begriff des R.hythmus auch von
der Zeit zu abstrahiren, wird sich späterhin
zeigen.
86.
Ist der Rhythmus, wie wir abgeleitet haben,
die sinnlich angeschaute Evolution, so ist schon
dadurch die objektive Bedingung angezeigt, un-
ter der eine Reihe von Momenten als ein Gan-
zes oder als eine Zeitfigur wahrgenommen wird,
nämlich, wenn ein Moment als Erzeugtes des
Andern erscheint. Der anschauliche Charakter
des Hervorbringenden oder Verursachenden ist
nun, der Natur der Sache nach, Kraft; der
des Hervorgebrachten oder Bewirkten hingegen
Schwäche.
87.
Man bemerke aber sogleich Folgendes: Ein
Hervorgebrachtes kann allerdings seiner Ursache
an Kraft ausserordentlich überlegen seyn, und
Vom Rhythmus. 79
es ist niclits seltenes , dass z. B. der Sohn dem
Vater, oder auch der Widerhall den Schall an
Energie weit iibertrift; allein indem wir dieses
Verhältniss bemerken, geht uns auch eben da-
durch die Anschauung der Abhängigkeit des
Erzeugten vom Erzeugenden verloren. Wenn
wir z. B. in einem künstlich akustischen Bau,
den Widerhall unsrer Worte stärker als unsre
eigne Stimme vernehmen, so verwundern wir
uns darüber, weil unserm Wissen, dass dieses
Widerhall sey, von der sinnlichen Wahrneh-
mung widersprochen wird. Nicht die Anschau-
ung ei'kennt also hier die Abhängigkeit des Wi-
derhalles , sondern die Reflexion.
88.
Hierdurch erklären sich, um dieses der Deut-
lichkeit wegen voraus zu bemerken, die rhyth-
mischen Inganni, wenn der schlechte Taktlheil
mit Uebergewicht an Kraft gegen den guten an-
geschlagen wird. Das Analogen davon im Vers
ist, wenn das Erzeugende vom Erzeugten durch
einen Einschnitt getrennt wird , und dieses als-
dann mit überwiegender Kraft nachtönt, wie
z. B. in der berühmten Cäsur des heroischen
Verses vor der Endsylbe:
Schönheit selbst und Geschlecht {^ibt alles der grosse
Monarch: Gold!
8o A 1 1 g e m e j n 0 r T li e i 1.
Dcv Effekt (lieser Cäsur bcrulit einzig und allein
auf dem rliylhmisclicu Ingaiino, wie am gehö-
rigen Ort weiter ausgeführt werden wird.
89-
Ferner vergesse man nicht, dass niclit alle-
mal, wo Kraft sich zeigt, auch ein wirkliches
Hervorbringen folgen müsse. Im einzelnen Mo-
ment ist zwar die Anlage zur Evolution gege-
ben, aber die Evolution kommt darin noch
nicht zur wirklichen sinnlichen Anschauung.
]Xur wo eine Pieihe, also Avenigstens zwei Mo-
mente angeschaut werden, ist jenes Verhältniss
der Abhängigkeit gegeben , nach welchem das
Starke zum Schwachen sich verhält, wie Her-
vorbringendes zum Erzeugten, oder wie Ursache
zum Bewirkten.
90-
Wir werden künftig zuweilen, mit einem,
von sichtbaren Gegenstanden hergenommenen
Gleichniss, das bewirkende Moment das Bild
nennen, das bewii'kte hingegen das Gegen-
bild, so wie man von höi-baren Erscheinungeu
die ähnlichen Ausdrücke: Schall und Wider-
hall, und von aussersinnlichen lledc und Ge-
genrede braucht, um die Erweckbarkeit des Ei-
nen (hirch das Andre, und ihren Gegensalz,
wo beide vorhanden sind, zu bezeichnen.
Vom E.hythmu5. 81
ri::!-:> iC 91.
Vorläufig haben wir das Bild vom GegenLilde
im Rliytlimus uur der Intensität nacli unter-
schieden, indem wir das Bild als stark, das Ge- •
genbild uh schwach hezeichneten. Allein auch
der Extensität nach kann der Charakter der
Abhängigkeit und des Bewirkten im Gegenbilde
erscheinen. \^ as nämlich der Intensität nach
als stark oder schwach sich zeigt, das erscheint
der Extensität nach , als laug oder kurz.
Beides ist eins und dassellic, nur einmal unter
qualitativen, das andremal unter quantitativen
Verhältnissen betx*achtet. Das Bild wird also in
Beziehung auf das Gegenbild, als Länge, und
dieses als Kürze sich kcnnilich ujachea.
Indem das Bild zum Gegenbild in das Ver-
hältniss der Länge zur Kürze tritt, entisteht die
rhylhmische Figur; cJ*'? denn alle andere Ver-
hältnisse der Länge zur Kürze z. B. 0. J sind
erst, wie die Forge lehren wird, aus jenem als
dem ursprünglichen abgeleitet. Wir erkennen in
dieser Figur den Trochäus ( Sonne.) Wie
nun aber in der ursprünglichen i*hylhmischeu fi/^^-
Einheit die Fähigkeit oder das Streben liegt,
ßich in Bild und Gegenbild zu scheiden, und
durch diese Scheidunar als Rhythmus zur Ei'-
ecUeiuuug zu kommen, so liegt diese Tendenz,
G
82 ALIgemeJner TheiL
sich von neuem zu rhy thmisiren , auch in dem
Bilde, das hier als Länge sich chai'akterisirt hat,
und durch den Gegensatz der Kürze schon eine
Duplicität des Gehaltes in sich ankündigt. Zer-
legt sich die Länge nun in zwei Momente, die
nur der Intensität nach entgegengesetzt sind, so
entsteht die rhythmische Figur:
k^ <■« «.<
a b c
in welcher, wie diese Ableitung zeigt, h das
Gegenbild zu a, und c das Gegenbild zu a+h
ist. Mithin ist c ein Gegenbild höherer Ord-
nung als &, wie es denn auch durch frühere
Evolution
Ä+5 * Ö+6
: J
e
V .1/ /
a b c
entstand. Der Charakter dieser Entstehung zeigt
sich ganz deutlich im Praktischen. Denn c ist
von viel stärkerm Gewicht, als h. Daher ist auch
die Stellung j J^ natürlich , diese hingegen ^ J
gewaltsamer, weil sie Produkte verschiedner
Zeugungen verbindet (synkopirte Noten in der
Musik). Daher ist der Daktylus J* J J aus dem
Tribrachys f ^J (- ** w aus :. ^ ^) ebenfalls
natürlich, denn er gibt dem Moment a, wel-
ches den Charakter des Bildes gegen h hat, die
Extensität der Quantität statt der blossen In*
,Voni Rhythmus. 85
tensilät des Accentes , die Verlängung der mitt-
lem Kürze hingegen J^ J^ ^ ist gewaltsam, denn
sie täuscht durch Quantität mit dem Schein des
Bildes, bei dem Gegeubild, und gehört also'
unter die rhythmischen Inganni.
Ausser diesen Verhältnissen der Extensität
und Intensität zeigt sich noch ein \erhäliniss
der Pielation zwischen Bild und GegenLild, wel-
ches in der metrischen Proportion besieht. Die
genaue Auseinandersetzung des Metrum wird
dieses erst vollkommen deutlich machen. Man
setze indessen den Fall , mehx'ere Klänge wech-
selten mit lang und kurz, oder stark und schwach
ab, aber in ganz willkührlichen Verhäliuissen,
wie dieses z. B. bei den Tonen der Aeolsharfe
der Fall ist, so würde man nicht im Stande
seyn, ihre Folge als ein Ganzes aufzufassen;
mithin war auch in einer solchen Tonreihe kein
rhythmisches Yerhältniss. Die metrische Pro-
portion der rhythmischen Momente ist daher
eine Haupibedingung zum Auflassen einer Beihe
als Bhylhmus.
Um Alles zu erschöpfen, muss noch der sub-
jektiven Bedingung der Auffassbarkeit gedacht
Werden. "Man setze den Fall , dass in einer Beihe
die Momente sich mit so ausserordentlicher
84 Allgemeiner Theil.
Sclmelligkeit folgten, dass sie die Walirnch-
mung übereilten, oder in so Aveiten Intervallen,
dass sie das Auffassungsvermögen ermüdeten, so
können alle objektiven Bedingungen des Rhyth-
mus vorhanden seyn, ohne dass er vernommen
würde. Die Bestimmuiig solcher subjektiven
Verhältnisse liegt aber ausser den Gräuzen der
Theorie.
95.
Wir haben (85.) , um den Begriff des Pihyth-
mus ganz rein aufzufassen, uns bemüht, auch
die Voi'stellung von Zeilabtheilungen aus ihm
zu enlfernen. Um nicht missverstanden zu wer-
den, sind hierüber einige Worte nöthig.
Versteht man unter Zeit die Succession der
Erscheinungen, sie sei nun objektiv an diese
gebunden^ oder nur subjektive Form ihrer W ahr-
nehmung; so müssen wir bei dem allgemeinen
Begriff des Rhythmus von der Zeit abstrahiren;
denn, wie wir bald finden werden, es sind
rliythmische Reihen möglich, ohne dass die Mo-
mente in der Zeit einander nachfolgen. Denkt
man hingegen die Zeit in ihrem ursprünglichen
Wesen, als reines Werden (Evolution, oder mit
einem Schulausdruck: das unendliche, formell
ideelle Bild der Einheit), so ist .Rhythmus al-
lerdings das endliche formelle Bild der Zeit,
deren Anfang und Ende für uns im LiiendJI-
Vom Pchy t hmus. 85
chen Hegt. Bei dieser Ansicht darf es aber auch
nicht befremden, rhytliniische Reihen im Piaunae
zu finden. Denn die Zeit spiegelt sich im Rau-
ane, und erscheint räumlich in ihm, was frei-.
lieh paradox und seltsam klingt, sobald man
Zeit in einer andern, als der eben erwähnten
ursprünglichen, Bedeutung nimmt. Hier aber
zeigt es sich, dass z. B. die Pflanze in den Ab-
iheilungen ihrer Knoten, oder Augen eine Zeit-
reihe im Räume darstellt, und dass überhaupt
die ganze Vegetation sich als ein Abbild der
Zeit im Räume betrachten lasse. Wir lassen
aber diese Ansichten, die zu leicht auf entfernte
Gegenstände fühlten, und nicht selten zu einem,
zwar intei'essanten, aber unfruchtbaren und ein-
seitigen Spiel mit Begriffen verleiten, hier un-
ausgeführt, und begnügen uns, das Verhältniss
zwischen Zeit und Rhythmus hier im Allgemein
nen angedeutet zu haben. ♦
96.
Wenn Rhythmus die sinnlich angeschaute
Form der Evolution ist, so wird er so viel Ar-
ten der Erscheinung zulassen, als es Arten sinn-
licher Anschauung gibt. Der Rhylhmus erscheint
mithin tlieiis dem iuuern Siini, theils dem äus-
sern , und diesem wiederum entweder im Räu-
me, oder in der Zeit, oder in Raum und Zeit
zugleich.
86 Allgemeiner Theil.
97-
Dem Innern Sinn — bei unsern Lesern dür-
fen "wir wol die Bekanntschaft mit diesem Aus-
druck voraussetzen — erscheint Rhythmus in
einer Reihe von Bildern, oder Empfindungen.
Der Verstand kann vielleicht den Inhalt dieser
Reihe tadeln, während sich der innere Sinn doch
an ila-er Form ergötzt, und umgekehrt. Dieser
innere Rhythmus macht oft einen bedeutenden
Theil der Schönheit eines Gedichtes, oder einer
Rede aus, indem das Wohlgefallen nicht sowol
durch die Gedanken, oder Bilder des Gedichtes
selbst, sondern durch ihre Verbindung, ihre ^
Beziehung und Erzeugung aus einander erregt
wird, er ist daher ein Haupttheil der innern
Musik eines Gedichtes. Die Regeln seiner Be-
urtheilung gehören aber nicht hieher, sondern
in die Poetik, wiewohl sie im Allgemeinen sich
auf das Wesen des Rhythmus überhaupt gründen.
98.
Dem äussern Sinn im R^aume erscheint der
Rhythmus nicht als „regelmässiges Verhältnis»
überhaupt", denn dieses erscheint auch in der
Symmetrie. Symmetrie aber und Rhythmus sind
sehr verschieden. Rhythmus ist seinem Begriff
nach im räumlichen Verhältniss nur dann vor-
handen, wenn eine Evolution räundich als ein
Ganzes angeschaut wird. Die Pflanze zeigt, wie
Vom Rhythmus. V^j
ficlion oben erinnert, in den Augen, Knoten
u. s. w. die Momente einer successiven Evolu-
tion im Räume festgehalten, und so bildet z. B.
der Halm mit seinen Knoten eine rhythmische
Keihe im Raum. Indessen erkennt bei Natur-
produkten oft mehr die Reflexion, als die sinn-
liche Anschauung, dass hier eine Evolution vor-
handen sei 5 soll die Anschauung die Form der
Evolution wahrnehmen, so sind bei räumlichen
Rhythmen ebenfalls die allgemeinen objektiven
Bedingungen erforderlich, unter welchen eine
Reihe als Ganzes angeschaut werden kann, näm-
lich metrische Proportion der Intensität und Ex-
tensität , und diese findet sich auch bei den
schönsten Pflanzengestalten, welche den Cha-
rakter der Vegetation am reinsten und freisten
darstellen. Die Kunst, welche ausschliesslich
für die Anschauung bildet, ist deswegen an jene
objektiven Bedingungen des Pihythmus gebun-
den, und beobachtet sie überall, wo es darauf
ankommt, die Momente der Länge, sei es in
die Höhe oder in die Weite, als ein Ganzes zu
fassen. Rhythmus im räumlichen Verhältniss ist
also nicht Ebenmaass im Allgemeinen, sondern
Proportion, im Gegensatz der Symmetrie,
Welche die Momente der Breite regelmässig
ordnet, und das Analogon der Harmonie ist.
88 Allgemeiner The il.
99-
Dem äussern Sinn in der Zeit erscheint clei?
Rhylhmus am reinsten mittelst des Schalles,
■welcher {_']']•■ 78.) die reinste Zeiterfüllung ist.
Am freisten also zeigt sich der Piliythmus iu der
Musik, wo der Schall reiner Ton ist, unge-
gehemmt durch Artikulation und logischen Sinn,
^vie es im Vers der Fall ist. Befremdend muss
es daher allerdings einer unbefangenen Ansicht
seyn, wenn einige Metriker ( z. B. Hermann
§. 55.) durch Erinnerung an die Musik „falsche
rSehenhegrifTe" zu veranlassen fürchten, da doch
nichts natürlicher scheint, als das Zusammen-:
gesetzte aus dem Einfachen zu erläutern.
100.
Im Ptaum und iu der Zeit zugleich erscheint
der Pihythmus im Tanz und in der Älimik, mit
Welchen auch gewöhnlich, wegen der nahen
Verwandtschaft zwischen Rhytlimus und Schall,
Musik verbunden zu seyn pflegt. Diese Er-
scheinung dics, Pihythmus liegt aber ausser den
Gränzen unserer Unlersiuhung, wicAVol ihi'e
Gesetze ebenfalls in den allgemeinen Gesetzen
des Bhylhmus gegründet sind.
,. 101.
Ln Laufe dieser Unlersachung haben sich
von selbst verschiedene Ei'klänmgen des Rhyth-
mus dargeboten, welche insgesammt dasselbe
Vom Rhythmus. 8t)
aussagen, und vollkommeu verständlicli sind,
sobald man nur die bestimmte und klare An-
schauung des llliylbmus sieb eigen gemacht hat.
Ohne diese Anschauung bleiben alle Erkläi'un- .
gen leere unverstandene Worte. Hat man sich
aber geübt, den Rhythmus z. B. eines Gesan-
ges aufzufassen, und ihn in jeder Abstraktion,
Vom Vers , vom melodischen Verhältniss , selbst
vom Schall *) -wieder zu erkennen, und von
*} Es ist bekannt, dass mehrere Aerzte, aller und neuer
Zeit, ia den Pulsschlägen Rhythmus suchten, und
jedem Gcsnndheltzustand seinen bestimmten Puls-
rhythmus beilegten. Samuel riafenrcüer nahm diese
Ansicht vom Puls in seinem Buch : Mouochordon
Svmholico- biomanticum, abstrusissimam pulsuum do-
ctrjnam ex harmoniis niusicjs dilucidc, figurisque ocu—
lariter demonstrans. Ulm iG'lO. Später hat ein
französischer Arzt, Marqnet, die Pulsbewegung in
Musikzeichen auszudrücken gesucht, iu seinem Buch :
NouvelltJ melhode facilo et curleuse pour connaitre
le pouls par les notes de la musique. Nancy 1747.
4. Zweite vermehrte Ausgabe von Buchoz. -Amst.
et Paris, l'/ÖQ. Die Verwechselung von Tempo
lind Rhythmus ist in den meisten Sätzen nicht zu
verkennen. Uebcvhaupt trägt man gewöhnlich in
die meisten Naturphänomene, z, B. den Fall der
Tropfen, erst den Riiythmus über. Das Tremuli-
ren zweier, -wenig in der Ilül^e verschiedener zu-
j^Ieich llin^H-nder Töne, \vä'r vielleicht zu untersu-
» nhcn, nm die Veränderung des Rliyllnnus bei Vcr^
äudcrung d<s TuavcrhälLnisscs zu bemerken.
go A 1 1 g e m e i n e r T Ji e i I.
andern zu unterscheiden, dann wird man seine
Erklärungen als Zeitfigur, als Ganzes in der
Zeit, als Form der Evolution, als sinnliche
Anschauung der Einheit in einer P«.eihe von
Momenten, und wie sie alle heissen mögen,
leicht verstehen; denn mehre Ausdrücke für
dieselbe Sache, können insgesammt richtig, und
dennoch sehr verschieden seyn, je nachdem man
den Standpunkt nimmt, von welchem aus man
die Sache betrachtet. Wer z. B. den Rhyth-
mus eine Zeitfigur nennt, bestimmt ihn eben
so richtig, als der, welcher die sinnliche Form
der Evolution in ihm sieht, nur spricht die-
ser gründlicher, jener anschaulicher.
102.
Selbst Hermanns Definition: (Metrik §. 18.)
„Rhythmus sei die, durch blosse Zeit darge-
stellte Form der, durch Wechselwirkung be-
stimmten Caussalität" , so sonderbar sie auch
klingt, würde bei einer deutlichen Anschauung
des Rhythmus cinigermassen verständlich wer-
den, wenn dieser Metriker nicht durch gänzli-
ches MIssverstehn der Kantischen Lehre von
der Wechselwirkung die Sache verwirrt hätte,
indem er die Caussalität Im Rhythmus durch
Wechselwirkung bestimmen will. In den Mo-
menten der Caussalität ist allerdings Wechsel
des Positiven und Negativen; allein eigentliche
Vo m Rhythmus. «,
Wecliselwirkuug findet nur dann Statt, wo von
beiden Seiten zugleich Positives und Negatives
auf und gegen einander wirken. Jene Einmi-
schung der Wechselwirkung verwirrt also aller-
dings den Begriff; denn das Gegenbild (nach
Hei'mann Thesis) wirkt nicht positiv auf das
Bild (Arsis) zurück, und steht also mit diesem
nicht in Wechselwirkung, sondern hloss in rei-
ner Caussalverbindung.
io5.
Wechselwirkung ist in dem reinen Begriff
des Rhythmus gar nicht enthalten, sie ist viel-
mehr der Grund der Harmonie , ^ welche aller-
dings mit dem Rhythmus sehr nahe verwandt,
und nur eine andre Erscheinung der Einheit
ist, als dieser. Wenn Rhythmus die Einheit
in verschiedenen Momenten der Succession er-
scheinen lässt, so zeigt Harmonie die Einheit
in verschiedenen Momenten des Zugleichseyns,
und ebenfalls am reinsten in Tönen, die ohne
räumliches Verhältniss, als geistige unsichtbare
Naturen zugleich und neben einander sind,
ohne Daseyn und Substantialität zu haben.
Metaforisch könnte man daher den Rhyllimus
fliessende Harmonie, und die Harmonie siehen-
den Rhyllimus nennen, wenn man dabei nur
nicht vergissl, dass hierdin-ch nichts erklärt,
sondern bloss das nahe Verhältniss beider bild-
(ji Allgera 0 i ucr Tlieil.
licli ausgedrückt wcrtlcu soll. In räumliclieo;
Verliäknissen zeigt sich die Harmonie als Sym-
metrie, Proportion deutet auf rhythmisches Yer-
hältuiss im Raum, wie schon oben (98.) im
Vorbeigehn erinnert wurde. Unterscheiden wir
beide Worte genau, so finden wir die frühere
Bemerkung bestätigt, dass wir bei Gegenslän-
den, die wir der Breite nach vor uns sehn, har-
monische Verhältnisse (Symmetrie) fordern, bei
Gegenständen aber, die wir nach ihrer Länge
betrachten, sei es der Ferne oder der Höhe
nach, rhythmische Verhältnisse (Proportion.) Das
Anschauen der Breite geht nämlich auf das Si-
multane, das Anschauen der Läifge hingegen
auf das Successive. In der perspektivischen
Darstellung geht daher das Symmetrische in das
Proporlionale (das harmonische Verhältniss in
das rhythmische) nach und nach über. In so
fern sich nun die Architektur hauptsächlich mit
Darstellung von Symmetrie und Proportion be-
schäftigt, so scheint sie allerdings das im Bau-
me zu vollbringen, was die Musik in der Zeit
wirkt. Nennt sie jemand die Musik des Rau-
mes, so sagt er in der That damit nichts auf-
fallenderes, als wenn er die Jugend den Früh-
ling des Lebens nennt.
Vom Metrum, ^5
Vom M e t r 11 m.
io4.
Wir erwälinten oben (§. 90.), dass sich das
Bild vom Gegcublld im Piliythmus , niclit allein. "
der Extensität und Intensität, sondern auch der
inctrisclien Proj^ortion nach, nnterscheide. Diese
metrische Proportion ist jetzt zu bestimmen.
100.
Fast Jede Theorie bemüht sich, das Metrum
Vom Rhythmus zu unterscheiden, und gesteht
eben durch diese Bemühung, dass beide Begriffe
leicht zu verwechseln scyn. Betrachtet man in-
dessen die Erklärungen des Metrum , wie sie in
den Theorien sich finden, so ist wenig damit
deutlich gemacht. Wenn z. B. Quintilianus sagt:
rdiythmi, i. e. numcri, spatio temporum con-
slant: nielra etiam ordine; ideoque alterum esse
quantitatis videtur, alterum qualitatis. Rhyth-
•mis libera spatia, metris finita sunt. Inania quo-
que tempora rhythmi facilius accipient — so ist
durch diese Antithesen für die Erklärung nicht
viel gewonnen. Man muss erst wissen, was
Rhythmus und Metrum sei, um diesen Gegen-
slelbiugen Beifall zu geben, oder zu versagen,
r^ach Hermann (§. ^9. ) bezeichnet Metrum kei-
ncswcges den Rliythmus selbst, sondern bloss:
„das VerhäJtni.ss der L[a\^c der Zeitabtheilun-
gen gegen einander, ohne al]<'n Rhythmus." In
(ji Allgemeiner Theil.
dieser Erklärung liegt allerdings etwas Wahres,
nur wird sie falsch durch den Zusatz: ohne
allen Rhythmus. Es sollte vielmehr heissen:
im Rhythmus; denn nur in diesem ist eia
Verhältniss der Zeitabtheiluugen denkbar. Ohne
Rhythmus bestimmt nicht das Metrum, sondern
die Prosodie die Länge der Zeitabiheilungen,
(im Material, nämlich den Sylben) aber eben
deswegen auch ohne Verhältniss. Die Folge
wird diese Behauptung rechtfertigen»
106.
Metrum im Allgemeinen bedeutet Maas. Zeit-
maas, Yersmaas nennt man es auch wol, so
wie man in der Musik den Takt das Zeitmaas
nennt. Allein die Benennung Zeitmaas ist zwei-
deutig. Der eigentliche \ ei'lauf der Zeit wird
durch das Metrum und den Takt nicht gemes-
sen; dazu dienen andre Zeitabschnitte, Jahr,
Tag, Stunde, Minute und ähnliche. Dieses
sind allgemeine absolute Maasse, die wir an-
wenden, um die Dauer eines Zeitverlaufes zu
bestimmen, so wie wir für räumliche Ausdeh-
nung, Zolle, Schuh, Linien, Meilen und andre
Maasse gebrauchen. Etwas ganz verschiede-
nes sind relative Maasse, Avodurch nicht zeit-
liche und räumliehe Ausdehnungfliii Allgemei-
nen gemessen, sondern zeitliche und räumliche
Proportionen bestimmt werden. So misst man
Vom Metrum. g5
z. B. eine Säulenhölie nacli Ellen oder Schu-
hen, um sich eine allgemeine Vorstellung von
ihrer Grösse, oder auch von ihrem Verhältuiss
zu andern Säulen oder Höhen zu machen; mau
mi^st sie aber nach Modeln, um ihre eigenthüm-
liche innere Proportion zu bestimmen, oder mit
den Proportionen andrer Säulen zu vergleichen*
Ein solches relatives Maass ist nun auch das
Metrum, oder der Takt. Isicht also für die
Zeit überhaupt dient es zum Maass, sondern
für Anschauungen, oder Figuren in der Zeit,
also für Rhythmen. Metrum ist seinem Begriff
nach Proportionsmaas des Rhythmus in der Zeit,
Es entsteht mithin durch und mit dem Rhyth-
mus, und ist zugleich Gesetz desselben, oder,
wie ein alter Schriftsteller sich darüber etwas
mystisch ausdi-ückt: „der Vater des Metrum ist
der Rhythmus und Gott, denn vom Rhythmus
hat das Metrum den Anfang, Gott aber sprach
das Metrum aus. "
107;
Das Metrum als Proportionsmaas des Rhyth-
mus kann nichts anders messen, als das Ver-
hällniss des Bildes zum Gegenbilde. Diese»
Verhältniss kcmn kein willkührliches scyn, son-
dern es muss in der Natur des Rhythmus selbst
liegen, und sich nachweisen lassen.
gö A 1 1 2 e m e i 11 e r T h e i 1.
io8.
Indem das Bild zum Gegenbilde sicli bloss
der Intensität nach, wie Stark zu Sclnvach ver-
liält, so ist ia Ansehung der Zeit, welche jedes
erfüllt, zwischen beiden keine Ungleichheit ge-
setzt. Das Verhältniss vom Bild zu Gegenbild
ist also in Ansehung der Dauer gleich Eins za
Eins. Von Länge und Kürze kann hier noch
nicht die Frage seyu, eben weil die Dauer beir
der von gleichem Maasse sejn soll. Wir be-
zeichnen daher einen solchen Rhythmus noch
nicht mit den metrischen Zeiclien der Länge
und Rüi'ze, sondern mit einem Buchstaben,
Z. B. a. Das Metrum dieses, durch Intensität
charakterisirten ß.hytlmms , Avird also diese»
scyn ;
ct. a.
Bild Gegenbild
Der Charakter des Bildes (die Kraft) zeigt sich
hier als Accent, und kündiget sich dadurch
als Ursache des bewirkten Gegenbildes an. Die
beiden Sylben des Wortes Anmuth z. B. sind
von gleichem metrischen Gehalt, (dass sie beide
Längen sind, geht erst durch "V ergleich ung mit
Kürzen hervor) allein der Accent auf der er-
sten Sylbc, welcher der zweiten fehlt, macht
])eide zu einem Ganzen, indem sich die erste
Sjlbc durch, jenen Accent die zweite unterord-
net. ?\lan befreie die zweite Sylbe von dieser
Vom Metrum. q-,
Herrschaft der ersten, indem raan ihr gleiche
Kraft des Accentes gibt, so hört man nicht
mehr das einfache Wort Anmuth, sondern mau
hört zwei Worte, z. B. die Ausrufe: Anl Muth!
Oder man nehme der ersten vSylbe den Accentj
und gebe ihn ausschliesslich der letzten, so ist
der Rhythmus verändert, und man hört statt
Anmuth, jetzt : an Muth (z. B. gebricht es,) Die-
sen Accent, als Charakter des Bildes im Bhytli-
mus, nennen die Musiker in Tonrhythmen den
guten Takttheil, im Gegensatz des schlech-
ten Takttheiles (des accentiosen Gcgenbiides),
Weil sich die Stimme bei dem Aus prechen
der accentirten Sylbe hebt , bei der accentiosen
hingegen senkt, so nennen die Metriker die ac-
centirte Stelle im Rhythmus (das Bild) die H e-
bung (elatio, ekvatio, u^Gig)^ oder mit dem
adoptirten griechischen Worte Arsis, die ac-
centlose Stelle hingegen (das Gegenbüd) die
Senkung (positio, S^emg), oder mit dem eben-
falls adoptirlen Worte: Thesis. In: Sanftmuth
z. B. ist die Sylbe Sanft Arsis, die Sylbe Muth
hingegen Thesis. Die Arsis bezeichnen wir im
Rhythmus, wo es nöthig ist, mit dem Zeichen
des Accentes
d a
Arsis Theais
Bild Gegenbilcl
ijJi Allgemeiner '1' heil.
Nur vergesse man nicht, dass der Acccnt nie-
mals eine Länge, sondern bloss die Kraft der
Arsis anzeigt,
109.
Zu bemerken ist hierbei, dass die Musiker
die Worte Arsis und Thesis in ganz umgekehr-
tem Sinne brauchen. Bei ihnen heisst Thesis
der Niederschlag des Taktes, mithin der gute
Takltheil, Arsis liingegen d<3r Aufschlag oder
der schlceiite Takttheil, oft auch wohl der Auf-
takt ( Hermanns (xvanQovGig ) , wenn sie unter-
scheiden, ob ein Stück in Arsi oder in Thesi
anfange , weil der Auftakt nichts andei^s ist, als
ein schlechter Takttheil, dessen guter nur ideell
vorhanden ist , daher er zuweilen durch eine
anfangende Pause angezeigt wird.
Hermann hat zuerst , unbekannt mit dem
Sprachgebrauch der Musiker, diese Benennun-
gen umgcAvend^t, es war leicht diese Aenderung
zu bewirken, da die wenigsten Metriker mit der
Musik so bekannt waren, um daran Anstoss zu
nehmen, die Musiker aber würden auch ohne
diese Verschiedenheit der Benennuug nicht leicht
in Hermanns Lehrgebäude den Eingang gefun-
den haben, weil sie in Gegenden längst hell zu
sehn giwohnt sind, über Avelche in jenem Ge-
bäude kimmerisches Dunkel verbreitet wird.
Wir wcrjeu indessen die Wörter Ar.sis und
Vom Metrum, 99
Thesis in dem, von Hermann elngefiilirten Sinn
gebrauclien, tlieils, weil diese Bedeutung nun
einmal bei den Metrikern Eingang gefunden hat,
theils, weil es billig ist, dass der Melriker eine •
Benennung von Hebung und Senkung der Stim-
me hernimmt, während der Musiker sie von
Hebung und Senkung des Taktirstabes ableitet.
Dass dieser durch die Verschiedenheit tler Be-
nennung nicht irre geleitet werde, wird sich
durch vorsichtigen Gebrauch doppelsinniger
Worte leicht bewirken lassen.
Die Grammatiker scheinen mit Arsis und
Thesis keinen bestimmten Begriü" verbunden zu
haben. Gewöhnlich nennen sie Arsis die erste
Sylbe eines Fusses, und Thesis die zweite. So
war im Trochäus (- - Sonne) die lange Sylbe
die Arsis, die kurze Thesis; im Jambus hinge-
gen (-' - Gewalt) würde die kurze Sylbe Ar-
sis die lange Thesis seyn. Auf diesen Gebrauch
der Grammatiker ist also gar nicht Rüchsicht
au nehmen.
110.
Wo sich das Bild nicht bloss durch Intensi-
tät, sondern durch Extensität (91) vom Gegen-
bild unterscheidet, und sich zu ihm verbält,
wie Länge zur Kürze, da ist sclion in Anse-
hung des Maasses eine Ungleichheit gesetzt. Da
die Ungleichheit hier ohne alle Bedingung ge-
lüo Allg eine i II e r 'J'lieil.
fordert ist, so iindcl \Aoss die ursjnimglrcliyle
und unbcdi älteste aller Ungleicbheiteu Statt,
nämlich die Hälfte oder das Verliältniss von
Zwey zu Eins. Das Bild wird also zwei Mo-
mente (Zeilen, Mora) enthalten, das Gegeuhild
hingegen nur Ein Moment. Wir bezeichnen
nun das Bild mit dem metrischen Zeichen der
Länge, das Gegenlüld hingegen mit dem Zei-
chen der Kürze, wodurch dieser Rhythmus:
Bild Gegenbild
entsteht. Indem wir so den metrischen Gehalt
dieser Länge gefunden haben, wird das noch
klarer , was schon früher ( 92 ) in andrer Be-
ziehung erwähnt Avurde, dasrs diese Länge sich
in Arsis und Thesis von neuem zerfallen lasse:
— — «••
So entstehn drei gleiche Zeitabtheilungen:
wovon die erste sich nun durch den Accent als
Ai'sis charaktei'isirt. Sie ist ber Arsis gegen
das zweite Moment, und zugleich Arsis gegen
das dritte, weil, in Beziehung auf dieses, das
zweite^ später aus ihr entwickelte, dem Wesen
nach immer noch zu ihr zu rechnen ist. Diese
Eigenschaft einer Arsis in doppelter Beziehung,
werden wir, wo es nöthig ist, mit einem dop-
pelten Accent:
— <•# «^
bezeichnen.
Vom Metrum. loi
111.
Indem die Lange gegen die Kürze gestellt
ist, (- ~) entsteht allerdings schon im Rhyth-
mus ein Verhältniss der Länge zur Kürze. In-
dem aber die drei gleichen Zeilabtheilungen
(>^ w _) entstehn, ist es wiederum bloss die
Kraft der Ax'sls, oder des Accenles, welche den
Rhythmus bestimmt', und für diese Beslimm,ung
ist der Unterschied* der Länge und Kürze ver-
schwunden. Man kann also die drei gleichen
Zeitabtheilungen eben so richtig durch I^ürzen
als durch Längen
bezeichnen, oder wo man diesen X^nterschied
übergehen will, sich der indilferenten Zeichen:
d a a
bedienen.
112.
So haben wir zwei Gattungen des Rhyth-
mus gefunden, wovon die eine nach gleichen,
die andre nach ungleichen Theilen gemessen
wird, oder nach einer andern Ansicht, deren
eine den Rliythmus in zwey, die andre in drei
gleiche Theilt; (Momente) metrisch zerlegt. ISach
einer gewöhnlichen Mt:tafer trägt man diese
verschiedne Eigenscliaft des Rhythmus auf sein
Maass (das Metrum) über, und nenut es gera-
103 Allgemeiner Theil.
des Metrum, wo es den Piliyllimus nach der
geraden Zahl (zwey), ungerades liingegen, wo
es ihn nach der ersten ungeraden Zahl ( drei )
ablheilt.
ii5.
Indem wir jetzt das Metrum, und Vorher
den Rhvihmus in den ersten Elementen betrach-
teten , ward es einleuchtend , dass beide zugleich,
mit und durch einander, entstehen. Der Rhyth-
mus ist nämlich in seinem ersten Erscheinen
als Bild und Gegenbild metrisch bestimmt, und
da das Metrum nichts anders ist, als Propor-
tionsmaass des Rhythmus, so entsteht es zu-
gleich mit dem Rhythmus, und ist ohne ihn
nicht denkbai*.
Mau würde jedoch sehr irren, wenn man
glaubte, hiermit sei der Streit entschieden, ob
jeder Rhythmus Takt habe, oder ob es auch
taktlose R^hythmen und Verse gebe. Wollte je-
mand auch mit einiger Voreiligkeit behaupten,
was von den Elementen gelte , müsse d urch die
ganze Sfäre, die aus diesen Elementen entsteht,
Gültigkeit haben, so könnte man ihn vorläufig
durch die Bemerkung aufmerksam machen, dass
schon aus der Zusammensetzung rhythmischer
Elemente, z. B.
taktlose Reihen entstehen würden, und dass
wenigstens die Prosa, deren Sätzen man doch
Mclrische Entwi'jkeluüg des Piliythmus, io5
auch Rhytlunus zuschreibt, nicht nach einem
bestimmten, gleichiörmigen Takt sich bewege.
Die Untersuclxung , sehen wir bald, ist noch
nicht an dem Punkte, wo jene Frage entschie-.
den werden kann.
ii4.
Uebcrhaupt ist jetzt der Rhythmus nur in
seiner Grundform nachgewiesen w orden , es ist
aber nötliig, ihn durch alle EntAvickelungen die-
ser Grundform zu betrachten, wodurch zugleich
das Metrum, das jetzt ebenfalls nur als Element
des Taktes erschien, seine nähern Bestimmun-
gen erhalten wird.
Metrische Entwictelung des Rhythmus.
11.5.
Die einfachste Form, oder die Grundform
des Rhythmus im geraden ÄIcLriun ist (108) diese:
d a
und zAvischen beiden IMomenten ist kein Quan-
titätunlerschied, jedes hat dieselbe Dauer in der
Z('it wie das Andre, und das erste Moment (das
Bild) , unterscheidet sich nur durch den Accent
(die Arsis) von dem zweiten (dem Gegenbilde).
116.
Wie die vhytlimische ui'^piningirche Einheit y j^
überhaupt als Fälligkeit gedacht wird, ihr Ge-
genl»ild aus .sich hervoivnbriugen . so hnl nnch
io4 AlIgemeinerTheil.
jedes i'hythmisclie Moment, die Arsis sowohl
als die Tliesis, jene Fälligkeit, sich von Neuem
in Momente zu zerlegen, zwischen Avelchen nun
ebenfalls das Verhällniss dei* Arsis und Thesis,
mit allen rhythmischen und metrischen Beziehun-
gen statt findet. Wir bezeichnen diese, aus je-
nen entstandenen Momente mit denselben, aber
kleinci'n Buchstaben:
A A
d a a a
und nennen sie Momente der zweiten Ordnung,
im Gegensatz jener, die wir Momente der er-
sten Ordnung, oder auch Hauj)tmomente nennen.
117.
Diese Momente der zweiten Ordnung neh-
mc7i dieselbe metrische Bestimmung an, wie die
Hauplmomente selbst. Nach dem geraden Me-
trum, welches sie der Intensität nach bestimmt^
sind sie unter sich selbst von gleicher Quanti-
tät, und bloss als Arsis und Thesis durch den
Accent verschieden :
A A
d a d a
Arsis Thesis Arsis Thesi«
Gegen die Hauptmomente gehalten aber, hat je-
des der Momente zweiter Ordnung nur die Hälfte
des Zeitgchaltes von dem Hauptmomenl, aus
3Ietrische Entwickelung des Rh)rthmus. io5
welchem es hervorging, und in dieser Beziehung
entsteht unter beiden Galtungen erst ein Quanli-
lätverhältniss, das wir nun so ausdrücken können :
d d
\ \ \ \
• • « •
und welchem in der Musik der Vier-Viertehakt
entspricht.
118.
Denkt man sich eine Reihe von Rhythmen,
die sich bloss in Haiijitmomenten bewegten, so
zeigte sich in ihnen kein Quantitiitverhaltuiss
sondern das einzige rhythmische Princip einer
solchen Reihe würde der Aecent seyn.
Dasselbe würde Statt finden, wenn die Rhyth-
men bloss Momente der zweiten Ordnung ent-
liielten. Denn da die Kürze dieser Momente
nur relativ ist gegen die Hauptmomente, so
kommt sie unter blossen Momenten zweiter Ord-
nung nicht vor. Sie wird nur ein schnelleres
Tempo verursachen, innerhalb demselben aber
wird keine Quantilätverschiedenheit , sondern
nur ein Wechsel Von Arsis und Thesis Statt
finden.
119.
Die Bedingung aller Quantitätverschiedenheit
ist daher Wechsel der Momente verschiedener
Ordnungen, also:
Ada a J J
d a A J J r-i
laG Allgemeiner T h e i I.
Damit wird indessen nicht behauptet, dass un-
ter wirklich quantitirendeu Versen niemals eine
Picihe von Momenten derselheu Ordnung vor-
kommen könne. Ist nur einmal das Quanlilät-
verhältniss durch wahrgenommenen Wechsel der
Ordnungen bestimmt, so treten auch die Mo-
mente einzelner Ordnungen nicht aus dem ein-
mal festgesetzten Quanlilätverhältniss, und die
Verse :
TV) div Meaarivri ^vf^ßli^ri^v u^r^koiiv Homer
Clves Romani tunc facti sunt Campani
Ahndungvoll Avehklagt beim Festmal Abschiedwehmuth.
werden unter Hexametern ebenfalls als Hexame-
ter anerkannt werden, \Niewol sie sich nach
vierzeitiger Messung des heroischen Verses blos
in Hauptmomenten , nämlich Spondeen bewegen.
Gerades Metrum.
120.
Im geraden Metrum finden also vier Foi'-
men des Rhythmus statt, nämlich:
J J die sjioudcische _ „
j m' 0^ ^^^ daktylische _ »1^
J^ J^ J die anti daktylische J. «* _ un-
terschieden von der anapästischen
•^ »^ 0^ J^ ^i^ proccleusmatische Z •*> L ^
Gerades Metrum. 107
von welchen in dem besondern Tbeile unter
den Yersgattungen des geraden Metrum beson-
ders gehandelt werden wird. Wir nennen das
gerade Metrum von seiner Grundform auch das
«p ende i sehe.
121.
Dieses Zerfallen der Momente würde sich
allerdings in das Unbestimmte fortsetzen lassen;
allein alle neuen Zerfallungen der jNIomente spa-
terer Ordnungen würden dieselben Verhältnisse
bloss wiederholen, welche zwischen den Momen-
ten erster und zweiter Ordnung Statt finden,
und Momente entfernter Ordnungen, z. B. der
ersten und vierten, können in demselben Rhyth-
mus nicht mit einander wechseln.
122.
Hier ist es nothwendig, einer sonderbaren
VeriiTung zu gedenken, zu welcher der Mangel
an Einsicht in die Musik einige Metriker ver-
leitet hat.
„In unsrer Musik — sagt Hermann, Metrik
S. XX. — hat zwar der Rhythmus der Melodie
ein siebenfaches Maass vom ganzen Takt bis zu
Vierundsechzigthcilcn, da der Rhythmus der
griecliisehen Musik, Avenigstens bei dem Ge-
sänge und der Begleitung desselben nur eia
zweifaches Maass, der ganzen und halben No-
ten hatte."
loS Allgemeiner Theil.
Man sieht gleicli aus „ dem siel)enfaclien Maass
der Melodie vom ganzen Takt bis zum \ier-
undsechzigtlieil "■ , dass dieser Metriker eine et-
was mangelhafte, und bloss gelegentliche Keunt-
"niss von der Musik hat, sonst wären ihm die
übrigen Extreme de? Notenreihe vor der ganzen
Taktnote, und nach dem \ ierundsechzigtheil in
längern und kürzern Tonzeichen nicht unbe-
kannt geblieben, und er hätte sich überzeugt,
dass hier überhaupt gar keine Gränzü ist, denn
was hindert den Componisten, die Theiiung der
Noten fortzusetzen, so weit er es nöthig findet,
und Fünfhunderlzwölftheile zm schreiben, wie
man schon lange Zweihundert sechs und funfzig-
theile schrieb? Auch hätte er bemerkt, dass im
Sechsachteltakt das punktirte Viertel (J. ) ein
eben so selb.stständiges Maass ist, als im Vier- •
vierteltakt die halbe Taktnote (cJ)? denn beide
erfüllen einen halben Takt, also ein ganzes
Hauptmoment (vergl. i23.) Doch dieser Irr-
thum, wiewohl er einem Kritiker der neuen
Musik in Beziehung auf alte, nicht wohl ansteht,
betrilTt nur eine Nebensache.
Die Hauptsache, auf welche es hier ankommt,
ist diese: Wo ist denn in unsrer neuen Musik
eine Melodie zu finden, in deren Rhythmus
auch nur das Hex-mannsche siebenfache Maass
vom ganzen Takt bis zum Yierundsechziglheil
wechselte? Unstreitig verwechselt Herrmann die
Gorades Metrum. loq
Koloraturen des Rhythmus mit dem Rhytlimus
selbst, allein die Noten der Koloratur sind doch
nicht die, den Rhythmus constiluirenden Mo-
mente. Was Hermann einseitii», zwiefaches Maass
der griechischen Musik nennt, pas^t im allge-
meinen Ausdruck vollkommen auf jede, und
folglich auch auf unsre Musik. Die Rhythtnen
selbst, entkleidet von ihren zufälligen Coloratu-
ren, wecbseln bloss mit Momenten benachbar-
ter Oi'dnungen, und selbst der Rhythmus, wel-
cher in den Coloraturen Statt findet , hält sich
allezeit in den Grenzen benachbarter Ordnun-
gen. Es darf nicht befremden, dass der Rhyth-
mus eben so wohl seine durchgehenden Noten
hat, wie die Harmonie, und eben so wenig, dass
in demselben Tonstiick Meiodieen aus verschie-
denen Klassen der Momente, jedoch immer nur
im Wechsel benachbarter Ordnungen vorkom-
men, da sogar dieselbe Melodie erweitert (per
augmenlationem), oder vermindert (per dimiuu-
tionem), in demselben Toustück kunstmässig
behandelt wird. Nur in dem eigentlichen Rhyth-
mus wird man niemals Sprünge in entfernte
Ordnungen der Momente bemerken.
So wenig niui die Koloraturen den Haupt-
ihythmus constituiren, eben so wenig bilden
ihn die aushalteuden Noten entfernter Ordnun-
gen. Die Nnie des OrgeI])unkles z. B. wird
niemand einen RJiylhmus nennen. Ks kann
HO Allgeinei ner Theil.
aber seyn, dass lange aushakende Noten für
sich ehie besondre Melodie (z. B. per augmen-
talionem) führen, alsdann ist anch selbst in die-
ser Melodie nur ein Wcclisel benachbarter Ord-
nun.qfeu vorhanden, wiewol in der Summe der
verschiedenen gegeneinander geslellten Rhyth-
men, die entferntesten Ordnungen der Momente
eri^cheiuen können. Denn es ist das Wesen des
doppelten Contpapunktes, Rhythmen gegenein-
ander zu bearbeiten, so wie der einfache Con-
trapunkt Töne harmonisch geg^n einander stellt.
An Koloraturen fehlte es der allen Musik
auch nicht, wenn den Klagen über \erkünste-
lung der Rhythmen durch die Virtuosen zu
trauen ist, und die Neumen über deren Miss-
brauch schon in den frühesten Zeiten des Kir-
chenge^angs geklagt Avird, deuten wenigstens auf
eine Art davon , und erregen gegründete Zwei-
fel, ob Hermanns Behauptung, (Metrik XXIII.)
im griechischen Gesänge habe jede Sylbe nur
Eine JNote gehabt , mehr aus Unkenntniss , als
aus gründlicher Kenntniss der Sache herrühre.
Gemischtes Metrum.
125.
Die Hauptmomente des geraden Metrum kön-
nen sich, so wie die rhythmische Einheit selbst,
auch der Extensität nach zerlegen, oder was
dasselbe ist (112), jedes Hauptmomeut kann
Gemischtes Metrum. IH
sicli in drei Momente zweiter Ordnung zer-
fallen :
A A
d a a d a a
Unter sich haben diese Momente zweiter Ord-
nung zwar ebenfalls kein Quantitätverhältniss
(ii.)), indessen ist das starke Uebergewicht des
ersten jeder drei Momente nicht zu verkennen,
da CS in doppelter Beziehung (iio) Arsis ist.
124.
Gegen die Hauptmomeute gehalten, hat je-
des iMoment zweiter Ordnung den dritten Theil
vom Gehalt des Hauplmomentes, und so ent-
stehn folgende Quanlitätverhältnisse:
d d
J J J J j J
Wir müssen aber hier zuvörderst einer Eigen-
heit unserer gewöhnlichen Notenhezeichnung ge-
denken.
125.
Nach unsrer jetzt üblichen Art zu notiren,
theilt man jede ^iote in zwey, und niemals in
drei gleiclic Theile. Daher haben wir bloss
Zeichen für Ganze-, Halbe-, Viertel-, Achtelno-
ten u. s. 1., nicht aber fiir Drittel, Sechstel,
Neuntel u. s. w. Um diese zu bezeichnen, hilft
juau sich bekauullich mit dem Punkt, oder durch
112 Allgemein er The il.
das Zeichen dei' Triole. Allein lileriius entstellt
eine Inconsequenz im musikaliscliea SpracLge-
braiicli. Wir sprechen nämlich vom Dreiviertel,
Sechsachtel und anderm Takte, ohne durch diese
Benennung anzeigen zu wollen, Jass ein Takt
dieser Taktart kein v^^ller, geschlossener Takt
sey, sondern nur drei Viertel, oder Sechs Ach-
tel von einem vollen Takt enthalte. *) Wir er-
kennen vielmehr an, dass jeder Takt in jeder
Taktart ein volles Ganzes sey. (Ich vermeide
den A usdruck : ein ganzer Takt, weil dieser
technisch geworden ist, anstatt Viervierteltakt,
und folglich Missverständniss erzeugen konnte.)
Die Benennung Viertel, Achtel u. s. f. hat dem-
nach ihre relative Bedeutung verloren, und ist
gleichsam Eigennahme der verschiedenen Zei-
chen gcAVorden, der bloss zufällig in Viervier-
teltakt mit seiner eigenthümlichen Bedeutung
zusammentrifi\. Denn, da jeder Takt ein Gan-
zes ist, so ist z. B. im drei Achtel Takt das
Achtel nicht ^ des Taktes, sondern f, wir be-
halten aber die gewöhnliche Benennung: Ach-
tel, eben, weil sie bedeutunglos geworden, ist.
Man setze nun den Fall, der Urheber dieser
*) Der Musiker versteht es zwar richtig ; dass aber die-
ser zweideutige Sprachgebrauch selbst hei sehr scharf-
siuiiigeu Nichtmnsikern ganz irrige Vorstellungen und
Resultate verursache , zeigt 2. B. Bernliardi's Spracli-
wissenschaft S, 386. ^
Gemisch t es Me truui. ii3
Bezeichnung habe auf die Bedeutsamkeit der
Benennung aufmerksam reflektirt, so Avürde er
jede Taktavt als ganzen Takt mit der ganzen
Taktnote bezeichnet haben; aber so wie der
Schlüssel zeigt, wie eine Note im System heisse,
so würde er durch die Benennung dts Taktes,
gleichsam durch den Taktschlüssel, bezeichnet
haben, wie viel eine Note in diesem Satz gelle.
In der That finden wir auch, dass Franchino
Gafurio, ein musikalischer Schriftsteller aus
dem fünfzehnten Jahrhundert, und Professor
der Musik zu Mailand, diese Ansicht der No-
tirung gehabt habe. Er bestimmte durch die
besondere Gestalt eines Taktschlüsstls den re-
lativen Gehalt der Noten. Das Verhältuiss der
Hauptmomente zu der Einheit nannte er Tem-
pus, und zwar perfectum, wenn drei Haupt-
momente entwickelt waren, (nach damaliger
Mystik vielleicht zu Ehren der Dreiheit), im-
perfectum hingegen, wenn nur zwei Hauptmo-
mente vorhanden waren. Das \erliähniss der
Momente zweiler Ordnung zu den Hauplmo-
jnenten hiess bei ihm Prolalio, und zwar wie-
derum perfecta, wenn drei, imperfecta, weim
zwei Momente aus jedem Hauplmonienle sich
entwickelten. So bekam er folgende vier Ycr-
hällnisse, bei welchen wir die rhylliniische ur-
sprüngliche Einheit mit dem Zeichen der gan-
zen Taktnote (o) bezeichnen,
8
1 14 All ge m ein er The iL
1. Prolatio perfecta in tempore perfeclo :
a
1 ( 1
a a a
J^JJ JJJ JJJ
wo ein jedes von drei Hauptmomenten, sicli in
drei Momente zweiter Ordnung zerlegt. Dieses
Verliahniss })ezeiclinete er mit dem Zeichen 0
als Tal^tsclildssel, weil es als Zeichen der Sonne,
des Goldes u. S. w. auf das Voiikomnienste
deutet.
2. Prolatio pei'fecta in tempore imperfecto :
O
ö a
JJJ JJJ
Für dieses Verhidtniss wählte er als Taktschlüs-
sel die Hälfte des vorigen Zeichens (• , um das
Halbvollkommene auszudrücken.
3. Prolatio imperfecta in tempore perfecto:
O
d d d
j j j j j J
Der Taktschlüssel für dieses Verhältniss sollte
O «eyn.
4. Prolatio imperfecta in tempore imperfecto:
a a
J j j J
G emi seht es Metrum. ii5
Der Taktschlüsscl war wieder die Hälfte des vori-
gen Zeichens, also : C • worin Avir dea(jrniid iinsers
gegenwärtigen \iervierteltakizeicliens erkeuneu.
Wahrsclieinlicli haben diese Verhähnisse spä-
tem Schriftsteilern zu komplicirt geschienen^
vielleicht trug auch die, von den Meti'ikcrn an-
genommene Meinung von der bloss zweizeiligen
Theilung etwas dazu bei, die, alleixlings griiud-
lichere Bezeichnung Franehino's aufzugeben.
Kurz, wir bedienen uns jetzt, wie bekannt,
der zweigetbcilten Notirung, . und helfen uns,
wo eine JNote wesentlich drei Zeiten enthalten
soll, eben so mit dem Punkte (J J^^,^). wie in
Fällen, Avo sie durch willkiihrliche Dehnung in
das folgende Moment dreizeitig wird {l^J.J')^
wiewohl die Verschiedenheit beider Fälle nicht
zu verkennen ist.
126.
Nach dieser jetzt üblichen Art zu notiren,
bedienen wir uns fiir das oben (124) angege-
bene Yerhällniss folgender allgemeiner verständ-
licher Bezeichnung :
J- J.
; ; j^ ." ." j"
worin wir sogleich unsern Sechsachteltakt (Fran-
chino's prolaliü perfecta in tempore imperfecto)
erkennen.
, j (, A 1 1 ii c in e 1 II t r .1' h e i 1.
IQ--.
Die Kraft der zweiten Arsis, welche das
erste der drei Aelitel gegen das zweite hat (in),
kann sich nun ebenfalls als Länge zeigen, wo-
durch das zweite Achtel zur Kürze werden muss.
Es tritt alsdann hier schon ein Quantitätver-
hült-niss ein, näiniich ^\?5/ statt /J^^^— Auf-
merksame Hörer temcrken, dass in der musl-
kaiischen Figur ^^^ die mittlere Note sehr der
Willkühr des Virtuosen überlassen bleibt. Er
fertigt sie, nach dem allgemeinen Charakter der
Melodie, bald etwas geschwinder ab , bald lang-
samer. Wir sehn aber auch hier, dass ihr Ge-
halt /wischen f und ^ einer Viertelnote schwankt.
Jenes tirfoi'dert die Analogie des Maases, diesem
die Gleichförmijkeit. Ey tritt hier gkiclisam
eine rhytlimisch gleichscliwebende Temperatur
ein die nicht befremden darf, wenn man sich
der Verwandtschaft zwischen lliijthmus und Har-
monie erinnert.
128.
Wir nennen dieses Metrum das gemischte,
weil seine Grundtheilung in zwei, und die spä-
tere , auf jener ruhende , in drei Theile ist.
129.
In diesem gemiscliten Metrum zeigen sieh
nun sehr mannigfaltige Formen, und wir wer-
den die Fasse der Meüuker, welche diese durch
Grcmi^cJites Metrum. 117
Sylbenzusammensetzuugen erliielten, liier in ih-
t6v waliren Psatur als iiuyllimen entstcLen oclin.
Die Formen des gemischten jMetrum sind
foIg(jnde :
1. Wenn Leide Hauplmomente uuzerfallt
bleibeii»
J^ j in metrischer Bezeichnung ^ ^
Wir erkennen hic^' den Spondeus des gera-
den Metrum Avieder, der aber, wo tr unter an-
dern Formen, des gemischten Metrum vorkommt,
nothwendig die angezeigte Me-ssuag hat. Die
Metriker haben ihn verkannt, und dadurch in
der Messung vieler Verse geirrt, z. B. iu fol-
gcn,dem Sütadisclien;
0. •. \ 0 * g m. €^ 0 \ 4 » e 9 \ 0. ä.
Q7]aiv öido^evrjv uyu&rtv qvkaaae aavroj.
Weinlaub in dem Gelock, den Pokal bekränzt mit Efeu,
dessea metrisches Schema zu gauü falscher Vor-
$tellung des eigentlichen, Gesanges iu diesem
Vers verleitet, wenn man es nicHt durch, mu-
sikalische Zeichen berichtiget.
i5o*
2. Wenn das erste Moment unserfallt bleibt,
uud das zweite sich in drei gleiche Theile- zerlegt.
j ^ j^ J^ metrisch beze^ichpel -^ J, ^ ^
Wir erkennen hier den ersten Püon der MQ"
triker, und flas walyre INIaijs dieses Fusses.
ii8 Allgemeiner Th eil.
l5l.
5. Wenn in der eben genaiyiten Form das
erste Achtel zur Lange wird (nach 127.)
j J^^ ^ ^ metrisch bezeichnet _ „ „ ^
Wir sehen hier von selbst aus den Principien
des Rhythmus und dc-s Metrum den Fuss her-
A'orgehen, den die (Grammatiker lonicus a ma-
iore (sinkender loniker) nennen, und be-
merken zugleich seinen wahren Rhythmus, den
die metrische Bezeichnung verbirgt. Der Vers z. B.
'/I^i]v nOT€ aaatv Jicc rov refJTciaiQuvi'Ov
wird in der gewöhnlichen metrischen Bezeichnung
nur gesehen , aber nicht gehört. Begreift man
die Entstehung des ionischen Fusses aus der
Natur des Rhythmus, so hört man in ihm be-
stimmt folgende, unsrer Musik gar nicht fremde
Melodie :
«. 9. ^ 9 I W. »• »^ ■m \ s. 9. 4^ 4 \ m. 41
Laut tönet der Jagdruf', und das frohschallende Waldhorn.
die in der Unbestimmtheit der metrischen üb-
lichen Bezeichnung, und noch mehr in den
Theorien der Metriker untergegangen war.
102.
4. Wenn bei unzcrfHlllcm ersten Moment,
das zweite sich in die Grundform der Läugr
und Kürze zerlegt:
•'• j •'** wietrisrh bezeichnet: « _ ^
Gemischtes Metrum. uy
SO entsteht der Fuss, den die Grammatiker
Bacchius (nacli andern Palimbaccliius) nen-
nen, und wir sehn seine Messung in den mu-
sikalichen Zeichen, welche ehenlklls durch die
gewöhnhchen metrischen Zeichen, die vollkom-
mene, iinvollkommene und dreizeitige Länge
nicht unterscheiden, verdunkelt wird,
i53.
5. Wenn bei nnzerlegtem zweiten Moment
'das erste sich in drei gleiche Theile zerfallt
N j^ j*^J metrisch bezeichnet ^ ^ ^ -
Diesen Fuss nennen die Grammatiker den vier-
ten Päou. Wir sehn, dass er nicht im Auf-
takt > ^ ^ I I zu messen i'st, wie Herrmann
durch die Bezeichnung ^ ^ w 1 und ^ ^ w i -
andeutet. Der vierte Päon hat die Hauptarsis
vielmehr auf der ersten Sylbe, und kann daher
mit dem ersten Päon zusammengesetzt werden:
^www 1 S ^ das ist: ^'. ^ J # \ » a 0 ^
und mit dem sinkenden Joniker
^ ^ , ^^^_ musikalisch J. 4'. ,^* !•«#«■
oder anfangend:
, das ist: ,\\'^J. UJ'i
Ucberall fangt der vierte Puon in Psiedertakt
an, und niuss also vom ersten Päon mit drei-
zeitigem Auftakle ^^w I -*'-'w 1 - tl. 1.
> ^ N I 1 ^ ^ N I I ^vol unterschieden wer-
• • « \ d' • • « '4'
lao Allgemeiner Theil.
den , wenn man niclit den Rhythmus der Verse
ofTenbar verwixTen will.
i54.
6. Wenn bei der vorigen Form das erste
Achtel (127) zur Länge wird:
«^ ^ «^ j. metrisch bezeichnet ^ ^ ^ ^
Hier finden wir den Choriamben und seine
Messung im gemischten Metrum, z. B,
^ I I > I 1 ^ ^ ^ J
igi" olg-pcff), M %()VGokoq>ot.
Vom Siegerschwert niedergestürzt
Eine andre Messung, nämlich J«,^,^J, ha? er
im schweren dreizeitigen Metrum , z. B.
• • \ g i * » \»«ä4\0g9« \ a ä
v/o das Schlachtfeld von Triurnfmelodien aiifjauchzl' in
Entzückung
Doch ist diese Messung unstreitig die seltnere.
7. Wenn , bei unzerlegtem zweiten Haupt-
moment, das erste sich in die Grundform der
Länge und Kürze zerfällt,
9 J^ m. metrisch bezeichnet: _ w -
Wir erkennen hier den Kretikus, oder Am-
f imacer der Grammatiker, und zugleich seine
wahre Messunar.
•3
Gemischtes Metrum. jai
l56.
8. Wenn beide Hauptmomente sich in die
Grundform der Länge und Kürze zerlegen.
J j^ J J^ im metrischen Zeichen _ ,^ _ -«
Hier entsteht die trochäische Dip odie. oder
der Dit roch aus, dessen Messung auch die
inetrischen Zeichen richtig angeben.
9. Wenn jedes Hauptmomeiit sich in drei
gleiche Theile zerlegt:
•^•^•^•^J^rf^ ^^ metrischen Zeichen Jv<w J^w^-»
Die Form., welche hieraus entsteht, ist die tri-
b r a c h i s c h e , der sechssylbige Fuss wird auch
von einigen Pichoreus genannt, weil sie ihn
als entstanden aus dem Dilrochäus durch Aul-
lösuugen beider Längen
betic-4itei\,
W — «»'
i58.
10. Wenn bei der vorigen Form das erste
Achtel jedes Momentes die Länge annimmt:
f^ ^ J^ j! ^ «^ ^^ metrischen Zeichen ^ ^ _ ^ ^
Wir linden hier wiederum eine daktylische
Form, wie in dem geraden Metrum {l'2o). Die
metrischen Zeichen unterscheiden beide , so ganz
verschiedenen Formen nicht, dereu Unterschied
aus der E^twickelung des JKhylhmus hervor-
122 All gemeiner Theil.
gellt, und durch musikalisrlie Zeichen deutlich
dargestellt wird. Wir nennen zum ünler.schiid
den Daktylus des gemischten Metrum: den
flüchtigen oder drei zeitigen Daktylus;
den des geraden Metrum hingegen: den schwe-
ren oder vier zeiti gen. Denn wie die Ne-
Leneinanderstelluug in musikalischen Zeichen
beweiset :
^ ^ ^ und I '^ >
so haben die flüchtigen Daktylen drei Zeiten,
die schweren aber vier,
iSg.
Dieser, aus der Natur des Rhythmus und
des Metrum abgeleite Unterschied beider Gat-
tungen von Daktylen, war den Grammatikern,
und noch mehr beinah (i4o) den neuen Metri-
kern unbekannt. Sie maassen alle Daktyk^n
vierzeitig, und verkannti.'n also den Rhythmus
aller Verse , welche im gemischten Metrum ge-
dacht sind. Bei solchen Messungen konnte es
freilich nicht fehlen, dass ihnen die alten Rhyth-
men und Yerse taktlos erschienen. Was ist
z. B. leichter, als der Vers:
m. ä 0 \ 0 e 0. \ 0. 0- 0^ 0 \ 0. 0-
Schon tünt der Morgengruss sani'tlockendes Waldhorns
allein man maass nach der metrischen Bezeich-
nung
Gemischtes Metrum. »af
ohne die wahre Messung zu kennen, so;
ä 0 0 \ ä 0 d \ 0 0 0 • <• •
und wenn man so den Gesang verdorben hatte,
bemühte man sich, das wunderliche Gewirr,
durch das noch wunderlichere Fantom taktloser
Schönheit vortretlich ?u finden.
i4o.
Indessen scheinen selbst einige von den al-
ten Grammatikern ein dunkles Gefühl dieses
Unterschiedes gehabt zu haben. Dionysius (tt^^*
cvv&t(5. opoft^ erwähnt die Behauptung alter
Rhythmiker, dass die Länge des Daktylus un-
vollkommen sey , und setzt dazu, jene Rhyth-
miker hätten sie deslialb unbestimmt genannt."
Gleich wol machte jemand von dieser Beob-
achtung bei Messung daktylischer Verse Ge-
brauch, wiewol die Daktylen unter Trochäen,
und die Verwechselung der Trochäen mit Dak-
tylen auf die dreizeitige Messung des letzten
hätten führen sollen, war auch der Grund a
priori dieser Messung, aus den Gesetzen des
Rhythmus, verborgen geblieben. Zuerst hat auf
diesen Unterschied beider Daktylen, und auf
die wahre dreizeitige Messung des flüchtigen
Daktylus , der Verfasser dieser Metrik aufmerk-
sam gemacht in den beiflen in der Vorrede ge-
nannten Abhaml hingen. Böckh hat diese Mes-
sung in seiner bekannten Untersuchung über die
124 Allgemeiner T heil.
Versraaasse des Pindaros (Mus. d. Altei-tli. Wiss.
2. B. 2. Stck.) zum TheÜ ^uf pindavische Verse,
Vplger in seiner Ausgabe der SafFo, beson-
ders auf die Fragmente, und Besseldt in sei-
nen Beiträgen zur Metrik, auf melire Yers?irten
angewendet, die man durch unrichtige Messung
lange 'verkannt hatte. Wie \ oss in seiner Zeit-
messung auf den flüchtigen Daktylus deutete,
wenn er ihn auch nicht als bestimmtes Maas
inancher Versgattungen annahm , ist bekannt.,
i4i. . ^g
Die übrigen möglichen Formen des gemisch-
ten Metrum, als : der flüchtige Daktylus mit dem
Trihrachys
ä^^J^ 0*0^0^ in metrischen Zeichen _ww 4«y
die umgekehrte Stellung:
»'J'J^J^^J' metrisch J, ^ ^ _ ^ ^
der Trochäus mit dem Trihrachys
J.^#^// metrisch _ .^ 1 ^ ^
die umgekehrte Stellung:
•^J^/J#'^ metrisch Z ^ ^ -. ^
der flüchtige Daktylus mit dem Trochäus
•\^«rjj^ metrisch _ ^ v - «-'
die umgekehrte Stellung:
Jm'J^J^^ metrisch _ w. _ w ^^
führen keine besondern Namen, man müsste
denn bei der Form _ ^ ^ ^ ,. all den Parapaon
Gemischtes Metrum. 125
denken ^vollen, mit dem sie in Jessen, wie sich
später zeigen ^vi^d|, nur Aelmlichkeit hat. Hier
sind diese Formen hauptsächlich deswegen an-
gezeigt, damit man sie in den Zerstückelungen-
der Metriker als bekannte Figuren wieder zu
erkennen wisse, z. B. wenn der Metriker den
Vers:
y.ac g:c(i'i^Mg snriiJiif-i/ov
in einen Choriamben und einen Diiambus theilet
Fejergeläut durchhallt die Flur
SO erkennen wir die beiden Formen des ge-
mischten Metrum:
ä. 4^ 0 «) « I j 0 d.
--'--- 1 — *-
und theilen den \ ers richtig ab , ohne an das
Fantom einer Veränderung des Choriamben in
die iambische Dipodie , wegen seines zu gewalt-
samen Rhythmus, zu denken.
l42.
So ist also ein dreifaclics Maas der Länne
abgeleitet: die dreizeitige Länge (J, ), die ein
Hauptmoment des gemischten Metrum erfüllt,
die zweizeitige (J), die im geraden Metrum
ein Hanptmoment ausfüllt, und im gemischten
zwei Drilihcil eines Hauplmomenlcs, und die
unvollkommene (J^), die noch niclit volle
zwei Zeilen erfüllt. Sehr bedeutend nannten
la6 A 1 1 g e m e i n e r T h e i 1.
sie flie alten Metriker unbestimmt (aXoyoi), denn
sie schwankt, wie wir gesehen haben, zwischen
^ und ^ der vollkommnen, zweizeitigen Länge.
Die Grammatiker indessen, und die meisten
Metriker bezeichneten alle diese verschiedenen
Längen mit demselben Zeichen der Länge (-).
Dai'f man also von ihnen bei solcher Messung,
Einsicht in den wahren rhythmischen öinn ei-
nes Verses erwarten?
Gemengtes Metrum.
i43.
Ausser der Mischung des geraden und un-
geraden Metrum, lässt sich i.och eine ^ ermen-
gung beider in derselben Ordnung der Mo-
mente, denken.
Man setze den Fall, dass von zwei Haupt-
momenten, das Eine sich in zwei, das Andre
in drei Momente zweiter Ordnung zerfalle, so
wüi'den folgende Verhältnisse entstehn:
A A
da ci ci ci
oder entgegengesetzt
A A
d a a da
Das Quanlitätverhältniss dieser Form zeigt sich
in der musikalischen Bezeichnung :
i J
Gemischtes Metrum. 137
oder umgekehrt:
J J
'S N ^ > ^
^ ä • « •
ünsre iibliche musikalische Notirung macht es
nölhi"^, die drei Achtel des einen Momentes als
TrJolen zu hezeichuen. (#«*)*) Daher schreiLt
man dergleichen Stellen in Zwei -Viertel, oder
überhaupt geraden Takt, wiewohl der Sechsach-
teltakt mit demselben Rechte als Grundbestim-
mung angenommen werden konnte , was aher
die ungewöhnliche Schreibart:
ä 0 g 0 ^ ocier 0 0 0 0^0
verursachen würde. Franchino würde dieses
Verhältniss als prolalio imperfecta et perfecta.
*) Hiermit war denn also Herman's Frage (Allg.
; Mus. Zeit. iSog-) beantwortet: „Wenn unter den,
in dem Umfange eines sogenannten Taktes enthal-
tenen Noten ein Rhythmus von drei Triolen vor-
kommt, welchen Takt hat dieser Rhythmus?" Herr
nermaan ist so •wenig mit unsrer Musik bekannt,
und, "wie es aus seiner Unbekanntscliatt mit dem
hemiolischen Yerhältniss des Aristidts scheint, mit
der alten, dnss er niclit nur diese Frage aufwerffin
kann, sondern sog;ir duich ihr blosses Aufwerlon,
unsre Theorie ,, beseitigt" zu liaben mcii\l. Ein eben
nicht günstiger Beweis fiir die Competenz sein«* Ur-
theils.
jgg Allgemeiner Theil.
und in umgekelirler Ordnung perfecta et im-
perfecta ex tempore imperfecto bezeiclinet ha-
ben. Allein nach seiner Schreibart Avürde der
öftere Wechsel des - Taklschlüssels : Q und Q
das Lesen der Noten sehr erschweren.
"Wo solche Verhältnisse vorkommen, erfül-
len die zwei Achtel, als Repräsentanten eines
Hauptmomentes, dieselbe Zeit, welche die drei
Aclitel erfüllen, welche ebenfalls ein Hauptmo-
ment repräsentiren. Der augeuscheinlif'.hste Be-
weis hiervon ist die Begleitung von Triolea
durch die Grundabtlieiluug des Taktes:
Wollte man diese Messung bezeichnen, so miisste
man jedem der beiden Achtel einen Punkt bei-
setzen ( j^ j^ JT^)' Doch war dieses nur in der
Theorie brauchbar, in der Ausübung würde es
den Musiker, dem das Triolenzeichen beque-
mer ist, nur verwirren.
i45.
Dass dieses Vcrhältniss in unserer neuern
Musik vorkommt, ist bekannt genug. Allein
auch in den Versrhythmen der Griechen findet
es sich. Folgender Vers z. B.
Gemeng tes Metrum. lag
0 Ttevijg ileicrat, 6 ds Ttlovaiog (f&oveitKt.,
Wo Gesang melodievoll zu dem Saitenspiel ertönte.
hat zum Anfang den Pyrrhichlus {^ ^) statt
eines dreizitlgen Fusses , den das Metrum er-
fordert :
Dieser Pyi-rhicliius enthält also drei Zeiten, sey
es , dass man beide Achtel dehne, oder das erste
durch die Kraft der Arsis sich zur Länge ge-
hoben denke, was bei dem als frivol bekannten
Sotadi sehen *) Gedicht nicht befremden darf,
da selbst der eiuiste Hexameter sich diese Deh-
nun«^ gestattet. Die alten Metriker und Musi-
ker bestimmen dieses Verhältniss deutlich, gleich-
•wol haben spätere Metriker diese ganz klare
*) Der Sotadische Vers scheint in den quantitlrenden
Rhythmen das zu seyn , was der Saturnische Vers
unter den accentirten , und unter den gereimten
der Knittelvers ist. Der vielfache Wechsel der me-
trischen Formen , den er gestattet, machte ihn vor-
züglich zum Improvisiren geschickt, und eben daher
darf es uns nicht wundern , wenn er zur Aufnahm©
mancher leichten Einfalle gebraucht Avurde, und
wie unser Knittelvers schon durch seine Form eher
auf Muthwillen, als Ernst deutete. Wie sein Grund-
schema mit dem, des, ebenfalls zum ImproYisiren
sehr geeigneten. Saturnischen Verses übereinstimmt,
wird sich in der Folge zeige«.
9
i3o All jj eine in er iheil.
klare Saclie^mlt der tielsteu Dunkelheit bedeckt
und verwixTt.
i46.
Die griecliischen Metriker nämlich, z. B. Ari-
stides, unterschieden vier Gattungen des rhytli-
mischen ( genauer : metrischen ) Verhältnisses
{yei'7j QvU^uixu ).
1. Das Yerhältniss von Eins zu Eins {ysvog
iGOv), wenn Arsis und Thesis in Ansehung der
Quantität gleich sind, oder genauer bestimmt,
wenn der Rhythmus aus zwei Hauplmoraenleu
besteht, deren jedes sich wieder in zwei Mo-
mente zweiter Ordnung zerlegt. Hier bleibt
unter diesen Momenten immer das Yerhältniss
Eins zu Eins, oder was dasselbe ist: Zwei zu
2iwei, kurz ein gleiches Yerhältniss der Ar-
sis zur Thesis. Dieses findet im geraden Me-
trum Statt , zwischen Spondeen, vierzeitigen
Puktylen und Antidaktylen.
147.
2. Das Yerhältniss von Zwei zu Eins {yivog
dmluaiov) , wenn die Arsis zwei Zeiten enthält,
die Thesis aber Eine Zeit. Allgemeiner ausge-
di'ückt : wenn der Rhytlimus sich in drei Ilaupt-
momente theilt, oder jedes Hauptmoment, es
mögen zwei oder drei seyn, sich in drei Mo-
Hienle zweiter Ordnung zerlegt. Hierzu gehört
also das uneerade und das i^emischtc Metrum.
Gemengtes Metrum. i3i
i48.
5. Das Verliältniss von Drei zu Zwei {yspog
7]f.uohov) , wenn ein Moment drei Zeiten entliäk,
das Andre zwei, der ganze Rhythmus also fünf-
Zeiten.
Man sieht leicht, dass sich hier ein Dop-
pelsinn in das Wort Zeit eingeschlichen, der
Verwirrung hervorbringt.
Aus der Natur des Rhythmus ergibt sich,
dass die Entgegensetzung von drei und zwei,
nicht in den Hauptmomenten vorkommen kann,
denn, wiewol sich das \ erhäilniss des Bildes
zum Gegenbilde durch grössere Extensität aus-
drücken kann, so kann doch auf diesem Punkte,
wo für unsre Sfäre die Zaltnreihe erst entste-
hen soll, nicht aus der empirisch vorhandenen
Zalenmenge ein beliebiges Verliältniss aufgenom-
men, und willkühi'lich festgesetzt werden, son-
dern das \erhältniss muss das ursprüngliche
seyn, welches den andern Zalen zum Grunde
liegt, nämlich das, von Zwei zu Eins. Unter
den Hauptmomenten kann mithin kein andres
Yerhältniss vorkommen, als Zwei zu Eins, oder
Eins zu Eins. Jedes zusammengesetzte Verliält-
niss deutet allemal auf Momente späterer Ord-
nung.
149.
Aus dem ungeraden Metrum würde das Ver-
hältnlss von Drei zu Zwei nur so eulstehn kön-
4 Ji A 1 1 g e m L' i n e r T Ji u i 1.
neu, dass das lange Moment sicli in drei, dai
kurze in zwei Momente zerlegte:
J J^
Wir werden dieses Verhältniss in der Folge
(207) näher zu betrachten Gelegenheit finden.
100.
Aus dem geraden Metrum haben wir dieses
Verliäitniss oben (i43) als eine der, in seiner
Totalität enthaltenen Formen entwickelt:
j J
,> > ^ > >
am e m e
Diese Entwickelung zeigt, dass im hemiolischen
Metrum zwar fünf Theile, aber nicht fünf glei-
che Thtile, oder fünf Zeiten enthalten sind.
Denn, reflektirt man auf die gerade Theilung,
so enthält der Rhythmus Vier Zeiten, wovon
aber Zwei in drei Momenten (Klangen, Noten)
erscheinen, als Triolen, wie man es gleich all-
gemein verständlich ausdrücken kann; reflektirt
lüan hingegen auf die ungerade Thcilung, so
sind, es Sechs Zeiten, wovon drei in xwci Mo-
menten (Tönen, Noten) erscheinen, und also
dieselbe Zeit in ihrer Zweiheit erfüllen, welche
ihnen als Dreiheit zukommt. Worauf man also
auch reflektire, so bleibt in beiden Fällen das Lild
dem Gegenbildc dei- Quantität nacli gleieli, und
Gemengte s Metrum. i33
an einen Fünf-Achtel oder Fünf-Yierlehakt ist
nicht zu denken, so wenig als in folgender mu-
sikalischer Figur :
\—^-v—Jv- h- — -y
Es begegnete hier dem Aristides, dass er die
Töne (Sylheu) mit den Zeiten verwechselte,
und die fünf Klange im gemengten Metrum (y.
-lij-Hohov) für eben so viel Zeiten ansah. Dieser
Irrthum verfolgt ihn auch noch weiter. Denn
wie er das yivoq laov und dinXuaiov richtig durch
das Maas bestimmt, so betrachtet er im '/fvos
■j'jfuohov und tniTQaov die Zal, und verwechselt
sie stets mit dem Maas.
i.'n.
Dass in dieser Ableitung der Sinn des Ari-
stides nicht verfehlt sey, beweiset die Messung
des Päon, dem Aristides das hemiolische Ver-
hältniss zuschreibt. Wir haben seine Messung
(ijo) so bestimmt:
J. i^.^i"
— «•» uy «^
Da nun die Länge dieses Päon bei den Dich-
tern auch in zwei kurze Sylben aufgelös^t, vor-
kommt ;
> ^ A N ^
• • m m m
<Tf rroTf Jteg
O wie sich im ('re-saii/'
i54 Allgemeiner Theil.
SO zeigt sich hier das hemiolische Verhähniss
des Päon, und der wahre Sinn seines lihyth-
mus, der aus zwei einzeiligen Kürzen statt der
Länüre nicht vernommen werden kann. Dasselbe
hemiolische Verhältniss wird bleiben, wenn man
die Theilung in Zwei dem letzten Moment gibt
N ^ |S N I\
• 0 • 9 «
,^ «^ s../ t-' W
wodurch der aufgelösete vierte Päon entsteht.
'ö
i5-2.
4. Das vierte Verhiiltniss, welches Aristides
angibt , ist wie Vier zu Drei ( yevog entT^nov ).
Die Ableitung dieses Verhältnisses aus dem un-
geraden Metrum wird sich bei diesem bewäh-
ren. Wir lassen daher die Erklärung des epi-
triiischen Verhältnisses bis zu Erläuterung des
ungeraden Metrum ausgesetzt, denn jede Er-
klärung steht an dem Ort am schicklichsten,
wo sie am besten vorbereitet ist.
i53.
Bei genauer Betrachtung des hemiolischen,
oder gemengten Metrum zeigt sich, dass es al-
lerdings von der Theorie erwähnt werden muss,
dass aber sein Gebrauch sehr beschränkt ist,
und so wenig eine besondre Galtung des Me-
trum nöthig macht, als die Einmischung von
Triolen eine besondre Taktart. Selbst die zwei-
getheilte Auflösung der Länge des Päon ("^Jr" ^^S}
Ungerades Metrum. i35
bekommt durch die Kraft der Arsis leicht ei-
nen Schein trochäischer Bewegnng, und so wird
sich der Päon immer zu den Gattungen des ge-
mischten Metrum zälen lassen , dem er seiner
Natur nach angehört.
Ungerades Metrum.
i54.
Die ursprüngliche Form des Rhythmus im
ungeraden Metrum ist diese: J j^, oder in me-
trischer Bezeichnung _ ^. Sie verwandelt sich
durch eine neue' Zerlegung der Arsis in diese
Form J^ j^J* ^^ w «, welche, da sie wieder aus
gleichzeitigen Momenten hesteht, ohne Quanti-
tätbestimniung ist, und blos durch den Accent
d a a rhythmisirt.
i55.
Aus dieser doppelten Form des ungeraden
Metrum entspringen zwei Gattungen desselben.
Betrachtet mau die Form a a a als quantität-
los, und jedes Moment derselben als fähig, sich
in Momente zweiter Ordnung zu zerlegen, so
entsteht die eine Gattung, in welcher sich die
Hauptniomenle gegen die Momente zweiter Ord-
nuni; als Längen charakterisiren.
'o
A A J J
a a a a a a j ' r -i ' j ' j " j
^ ^ > > > ^
\ g » »
a36 Allgemeiner Theil.
Betrachtet man hingegen die Form JJ^ _ «, so
ist schon in den Haup tmomenten selbst ein
Quaiiiitätverhältniss der zweizeitigen Arsis ge-
gen die einzeitige Thesis vorhanden. Löset sich
also die Arsis auf, so sind die sämmtlichen
drei Älomente Ct—T S) als Kürzen charakterisirt.
i56.
Wir nennen deswegen die erste Gattung das
schwere ungerade Metrum , welchem in der
Musik der Dreivierteltakt zur Seite steht. Die
zweite Gattung nennen wir das leichte unge-
rade (oder dreizeitige) Metrum, dem in der Mu-
sik der Dreiachteltakt entspricht.
Der charakteristische Unterschied beider Gat-
tungen ist, dass die schwere Gattung, weil die
Kauptmomente selbst Längen sind, die Zusam-
menzieh ung nicht gestattet, dahingegen die leichte
Gattung schon ursprünglich die ersten beiden
Momente zusammengezogen enthält, nämlich in
der Grundform J J^, woraus erst J^ ^ J^ entsteht.
Von dem schweren ungeraden
Metrum.
157.
Wenn die Hauptmomente des schweren un-
geraden Metrum sich in zwei gleiche Theile
zeilegon (Franchino's prolatio imperfecta e tem-
pore; perfeclo), so entstehn durch den Wechsel
Von dem schweren ungeraden Metrum. y'Sn
der Momente beider Ordnungen, vorzüglich fol-
gende Formen:
1. Die molossisclie: jJJ> in metrischen
Zeichen _ _ _, welcher Fuss bekanntlich Mo-
lo ssus heisst, daher man auch das schwere
dreizeitige Metrum selbst von dieser Grund-
form das molossischc nennen könnte. Ob übri-
gens Verse aus lauter wirklich molossischen Füs-
sen vorkommen, und ob der von Diouysius an-
geführte :
£0 Zrivog xac Aridag 'AaXXiaroi GbirtiQfg
Weh , -weh uns ! ruft ringsher unmuthvoU Angstausruf
^.^u Voss
ein molossischcr 5&iimeter, oder spondeischer
Hexameter sey, gehört noch nicht hieher.
i58.
2. Die schwere ionische Form JJJ^J^
metrisch , v^. Es ist hierbei eine Bemer-
kung nöthig. Die Grammatiker unterscheiden
zwei iouiscbe Füsse. Den sinkenden loniker
(lonicus a maiore) , der mit den langen Sylben
anfangt _ _ ^ ^, und den steigenden lonikcr
(lonicus a minore) , der mit den kurzen Sylben
anfangt ^ w- , und zwar im Auftakt w ^ | ,
wie alle Beispiele zeigen. Metrisch ist also der
steigende loniker vom sinkenden nicht ver-
schieden , denn eine Pieibe steigender loniker
i38 Allgemeiner Theil.
ist gleich einer Reihe sinkender mit dem Auf-
takt:
Allein die prosodische Gestalt des lonikers,
welche das gewöhnliche metrische Zeichen ^ ^
darstellt, kann auf zweierlei Art metrisch vei'-
standen werden: entweder J J^ ^ J^, wo wir die
ionische Form des gemischten Metrum wieder-
finden; oder so JJJ^g", welche wir ehen als
schwere ionische Form im molossischen (oder
schweren ungeraden Metrum) nachgewiesen ha-
ben. Beide Formen lassen den Auftakt von
zwei Sylben zu: die 1 eichte, ionische (so nen-
nen wir der Kürze wegen die ionische Form
des gemischten Metrum) , z. B. im Anakreonti-
sehen Vers:
^W I V.W I
Ä Ä I I > ^ ^ 1 i 1
xuTtt y.iaaoiGt ßQffiovTug
in dem Lenz fröhlicher Jugend
die schwere ionische in den Versen, die als
steigende Joniker aufgeführt werden, z. B. :
miserai' est nequ' amori
(las so furclitbar wie der Ausspruch
Nicht also der Auftakt, sondern die innre ver-
schiedene Bewegung bildet die Verscliiedenheit
Von dem schweren ungeraden Metrum. iSg
beider Formen. Indessen bemerkt man bald bei
Vergleichung mehrer Beispiele, dass die schwere
ionische Form mehrenlheils mit dem Auftakt
vorkomme. Der Grmid ist leicht einzusehn.
In der schweren ionischen Form ist die erste
Kürze eine Arsis (nämlich zweiter Ordnung im
aufgelösten dritten Hauptmoment) , in der leich-
ten Form hingegen eine ganz accentlose The_
«is (4^). Soll der Charakter jener Arsis nicht
verloren gehn oder verdunkelt werden, so muss
sie von der vorhergelienden Lange gesondert
eintreten, sie bildet daher den Auftakt zu dem
folgenden Takt, und um die Reihe vollzäiig
zu machen, nimmt dann auch der erste Takt
die beiden Auftaktsylben an. Vernachlässigt
man die Hebung der erwähnten Arsis durch
Absonderung von der vorhergehenden Länge,
so geht die Bewegung sogleich in die leichte
ionische über. Dies ist vier Fall bei Iloratius':
patruae verbcra liiiguae
welches wegen der ganz accentlosen Mittelsylbe
in verbera in die Bewegung
"^ ^ I J '^ ^ > I J J
tr m^ \ ä. ä. 0^ 4 \ ä. ä
patruae verbera linguae
Übergeht.
Durcli diese Bemerkung dürfte unsre Be-
nennun,;^ : schwere iouis( he Form, gerechtfertigt
110 .'Mlgem einer The i I.
seyn. Daas Verse, in dieser Form gesclirieli«;!!.
dem Dreivierteltakt angehören, ist wold nicht
zu bezweifeln, und dass die steigenden lonlker
der Grammatiker zu dieser Form gehören, zeigt
der Gruudfuss dieser Verse,
k«<«ti> I — — ^r '^ I — —
der selbst nach der zweizeitigen Langenmessung
der Grammatiker und Hermanns,
J« \ * 9 e » IJJ
einen ganz unverkennbaren Dreivierteltakt gibt.
Was soll man nun aber zu Hermanns Behaup-
tung (Allg. Mus. Zeit. 1809. S. 295) sagen: „Es
gibt Taktarten, die, so wenig sie auch auffal-
lendes haben, doch in keinem griechischen
Rhythmus vorkommen, z. B. die vom Verfasser
der erwähnten Abhandlung ( über E.hyth. und
Metr.) angenommenen molossisclien Rhythmen,
welche | Takt haben." (Es steht zwar | Takt,
allein offenbar ist dies ein Druckfehler, denn
in jener Abhandlung ist wie hier, das molossi-
jjche Metrum dem | Takt gleich gesetzt.) Also
gab es im griechischen Rhythmus keinen Drei-
vierteltakt, und doch folgenden Vers:
^^|M >>|ji ^^1JJ >'^!Jj
iixt deilav, ffie iiuGav Y.c.noraTMV Ttidey^oiauv.
iniscrar' est nequ' amori dare luduni , nequ<; dulci
Was ermalint ihr zu dem Siegvsmahl um dem KrouhirscJi
mich, den Waidmanu Voss
Von dem schweren uiigeiaden Metrum, i4i
oflcr wären diese, doch gewiss nicht unbekannte
Rhythmen , selbst nach dem Hermann'schen
Handbuch, anders als im Dreivierteltakt zu mes-
sen, und also, nach der angegebenen Benen-
nung, nicht molossische Rhythmen? Solche
Behauptungen muthen doch wirklich dem Le-
ser zu viel Vergessenheit und Geduld an.
169.
3. Die schwere choriambische Form:
J J* J^ J ^^ metrischen Zeichen _ ^ ^ _. Sie
unterscheidet sich von der leichten choriambi-
schen, im gemischten Metrum «"^ j^J^J , wie die
schwere ionische von der leichten, nämlich durch
die Arsis auf der ersten Kürze, statt welcher
die leichte Form eine ganz accentlose Thesis ( ^)
hat. In einzelnen Yerstakten kann sie allerdings
vorkommen, z. B.:
.VIJJ.\NJ.N^J JJ.V J
Wo der Goldthron und der Prachtobelisk hinstürzU
in den Staub.
und eben sowol in ganzen Versen, wiewol diese
seltener gefunden werden möchten.
160. '
Die andern Formen des molossischen Mc-
Ivnm
J^J^mJ metrisch: S ^
N N N N ' I
• • * • • metnscli? ^ ^ ^ ._ ..
i4a Allgemeiner T li is i l.
J^J^JJ^J^ metrisch: ^ w _ ^ «
Jj^i'^J^J^ metrisch: _ ^ ^ ^ ^
j^«r«r/j^j'^ metrisch: ^ ^ J. ^ s^ «
erklären sich und ihre Messung von selbst.
Auch findet man mehre von ilineu in Versen
des molossischen Metrum, z. B. in schweren
ionischen :
wo das Kriegsheer um die Freiheit von Germania sich den
Tod focht
oder :
^^ I . ^ |_^^_,_^^:,^ ,_
In dem Labirint der gewaltigen anstürmenden Melodie
Man sieht aus diesen wenigen Beispielen, dass
auch das molossische Metrum nicht arm an
wechselnder Bewegung ist, dass aber der Dich-
ter sor^^fältig wachen müsse, damit nicht der
Charakter dieses Metrum verdunkelt werde.
Vom tripodischen Metrum.
161.
Mit diesem noch ungewöhnhchen Namen,
benennen wir ein Metrum, welches bisher in
den Theorien eben so unbekannt war, als diese
Benennung.
V o m tripodischen Metrum. i43
162.
Die Hauptmomente können sich im schwe-
ren ungeraden Metrum von neuem nach der
Regel des ungeraden Taktes zerfallen:
A A A J. ,1 .1
d a a d a a d a a ^^^ /^>J^ ^J^J^
und so entüleht das Verhältniss, welches dem
Neunachteltakt entspricht: Franchino's prolalio
perfecta ex tempore perfecto.
i63.
Wiewol dieses Verhältniss ganz natürlich
aus dem Wesen des lUiythmus hervorgeht, und,
in der Musik längst hekannt ist, so hat es doch
noch kein Melriker erwähnt, und \ erse danach
gemessen. Dass aher eine hedeutende Anzahl
Ycrse nach diesem Metrum gemessen werden
müssen, z. B. die dochmischen:
(pavi^Tü) fX0()(fiv 0 nuUuarffiOiV S o p h o k I.
Wer lnns!hvv;md in Cram und Mühseligkeit Voss.
wird die besondre Ausführung der einzelnen
Vei'Sgaltungen zeigen.
i64.
Wir nennen dieses Metrum das tripodi-
sche, weil jede metrische Periode desselben
drei Zeilfüsse durch die Zcrtälkmg der Haupt-
14«* Allgeraeiner ThaiL
momcnte erliält. Da wir das gemlsclite Metrum,
wclclies Perioden von zwei Füssen enthalt, nicht
das dipodische genannt haben, so kann jene
Benennung mit Recht unschickJich genannt
werden. Sie ist aber hier provisorisch vorgezo-
gen Avorden, um die Aufmerksamkeit auf das
Fremdartige in dem Maas dieser Periode zu
richten. Richtiger würde dieses Metrum das
molossisch-tribrachische genannt werden,
oder das neunzeitige.
i65.
Angedeutet wird dieses Metrum von Aristi-
des, wo er die epit ritische Gattung des
Rhythmus (yevog iixiTQixov) erwähnt, dessen Ver-
hältniss Vier zu Drei seyn soll. Nehmen wir an,
dass bei dem tripodischen Metrum, wie bei dem
gemischten, auch eine Untermengung (i4:3) Statt
finden könnte , so entstehen , Avenn zwei Mo-
mente sich nach der Regel des geraden Rhyth-
mus theilen, das dritte aber nach der Regel
des ungeraden, folgende Formen:
A A A J. J. J. ■
a a a a aaa ^^ J^/ ^^^
aaa a a a a J^J^J^ J^J^ j^ j^
a a aaa a a «'^ ^««i J«
in deren erster man das Yerhältniss Vier zu
Drei erkennt, wenn man die ersten beid(;n Mo-
Vom tilpodi scheu IMetrum. i45
mente zusammcnzlelit, und gegen das dritte
hält: _=_
J '.'' « • « « J
Dieses ist also das yevog (tiitqitov des Aristides^
welches indessen nach seiner Versicherung sel-
ten gebraucht Avorden ist, auch gibt er keine
Beispiele davon.
166.
Man sieht, dass Aristides dieses Verhältniss,
so wenig, als das heniiolische in seinem wahren ,
Grunde fasslc. Beide waren ihm bloss Zahlen-
Verhältnisse, und daher entgingen ihm, beson-
ders bei dem genus epitritum nicht allein die
beiden andern (löf)) angegebenen Formen, son-
dern auch die ganze zweite Seite des Verhält-
nisses.
167. ^
Es können nämlich zwei Momente sich zu
drei Theilen zerfallen, und nur Eins in Zwei,
wodurch folgende drei Formen entstehen:
A A A J_ J_ J_
aaaaaaaa ^^'^ j^j^'^ ^^
«•« •«• dm
aaa a a aaa ^ ^ ^ J^ J^ ^ ^ d^
a a aaa aaa > ^ J" J^ J^ ^ J^ J^
die bei Zusammenziehung der ersten beiden
Momente, das ^ erliältiiiss der Hanpiarsis zur
Hauptthesis Avic Fünf zu Drei, oder Sechs zU'
Zwei angeben v>iirdcn.
10
nÄ Allgemeiner Theil.
168.
So wenig als bei dein hemiolisclien \erhäit-
niss ist CS nöthig, wegen des cpitrilisclicn eine
besondre Gattung anzunehmen. Die Verse, wel-
clie das walu'e epiti'itische Verhältniss zeigen,
Werden nach dem schweren ungeraden Metrum
gemessen, und die drei Theile des einen Mo-
mentes als Ti'iolen betrachtet. So lässt sich der
Strophus nach gleichem Maas mit dem schwe-
ren Choriamben messen:
j\N J J«^M Jj^v^ J 1 JJ.^N JJ
In des Festmahls dithyrambischen Gesang tönt laut der
Pokalklang
und eben so der Dasius (w w w ) nach dem
Maase des schweren lonikei's, unter diesen so-
wol ;
m e \ » e e o 4 \ e s a m \ tt
und es stürmt laut zu dem Olymp auf das Geschrei
als auch allein :
.N\NJJ/j\NJJj\^.NJJ
KBVBu nvcvauig ertöne itto/i>o> ß^ci'/v ti Tiffnvop
rind. Ol. X. A. 5.
O wie der Festwein In dem Pokal hier zu Melodi«
weck t ! Voss
Vom trjpodischeii Metrum. i47
ohne dass man ein besondres Metrum dafiii*
anzunehmen braucht.
169.
Ist hingegen neben zwei Dreigetheilten , nur
Ein Moment zweigetheilt (167), so werden dcr-
gleiclien Yerse nach dem tripodischen Metrum
gemessen , und die zwei Aclitel erfüllen , wie
bei dem hemiolischen Verhältniss, dieselbe Zeit,
wie die drei Achtel der andern Momente:
J J JJ J J J J
Vw/
Ein Beispiel solcher Messung fludet sich in man-
chen Formen dochmischer Yerse , z. B. :
•
j>>JS> ,>
«0 « « « «.
I I H
in der Vergötterung
und in mehrern andern.
170.
Wie bei dem gemischten Metrum, so kann
auch bei diesem der Tribrachys sich in den
flüchtigen Daktylus verwandeln, so, dass nacli
der geAvöhulichen metrischen Bezeichnung ein
Pyrrhicliiu.s von gleicher Dauer mit dem Dak-^
lylus seyn kanu , z. B. :
— t
»-' 1 »i* s«- — . w» ».^ —
Gv de -jiu^' oipiyovov
in dein vertraulichen Taiiz
i84 Allgemeiner Theil.
was unter den dochmisclien Formen vorkommt.
Kennt man die wahre Messung niclit, so macht
der Doppelanapäst mit dem Auftakt fi-eilich eine
etAvas sonderbare Figur, oder der Daktylus gibt
den Metrikern Anstoss, die, den Rhythmus mehr
sehend, als hörend, die Identität des flüchtigen
Daktylus mit dem Tribrachys nicht fassen.
171.
Die einzelnen Formen des tripodischen Me-
trum sind zu mannigfaltig, um hier, wo wir
nur im Allgemeinen davon handeln, ausgeführt
werden zu können. Sie entstehn durch den
Wechsel dieser vier Formen:
J, J, J. metrisch ^ ' _ _
J .> i j" i j" ------
'S 'S>^N>>>>
• ••••• «••
i'^ Ä > > Ä > ^ 1^ j^
und werden im besondren Theile, bei Erörte-
rung des tripodischen Metrum, im Einzelnen
Letraclitet werden. Man erkennt, um dieses
vorläufig zu bemerken in der trochäischen Foi*m :
'O
den ilhyfallischen Vers:
veris et FavonI
Weil der Mond lierabLlictt"
wenn dieser nicht vielleicht dipodische Mes-
cung hat:
Vom trJpodischen Metrum. l4g
^ w — >»' I •- —
J .N jM J. J.
Lenzgesang im Buchhain
«lies ist der Fall in dem Vers: ^
;>.Vj\V 1 .Wi\'*.N J .N .M J. J.
Solvitur aeris hieras grata vice veris et Favoni
Lieblicher grünte die Flur und es zwitscherte Lenzge-,
sang im Buchhayn
In folgendem Vers liingegen hat er unbc-«
z>veifelt tripodisches Maas:
0 e J ^ » • • • • I s m d m «•
Inniger iu dem geflügelten Wirbeltanz umschlungen
Von dem lelchlen ungeraden Metrum;
172.
In dorn leichten ungeraden INIetrum kom-
men unter den llauptmomenten seihst folgende
verschiedene Formen vor:
die Irochäische: J ^ metrisch _ ^
die irihrachische : 2" m m metrisch J, ^ w
die flüchtig daklyhsche: ^}.^ metrisch _ ^ ^
Die Form J. kann nicht vorkommen, ^veil durch
diese Zusammenziehung beider llauplmomeute
i5o Alli^'emeiner Tlieil.
in Eine, die Verschiedenheit aufgehoben wer-
den würde, ohne welche der Rhythmus nicht
Statt finden kann.
175.
Es fällt in die Augen, dass die Form J^'^ ]^
zwischen der Natur der Hauptmomenle , und
der ' Momente zweiter Ordnung schwanke. Die
beiden ersten Achtel gehören einer sj)ätern rhyth-
ini sehen Zerlegung an (92), das dritte hingegen
ist offenbar Hauptmoment. Wegen dieser Na-
tur der Hauptmomente, kann bei dieser Form,
wiewol die Quantität sich schon in der Zusam-
nienziehung zeigt, noch eine besondere Zerfäl-
lung Statt finden, nämlich:
J .>
-T J" .^
und durch diese Zerfällung entsteht unter meh-
jen Formen vorzüglich der P a r a p ä o n (_ ^ ^ ^ ^
• »^,^,nJs), der sich durch Zusammenziehung
des ersten Achtels mit dem ersten Sechzehntheil
^ ». »^ o^ J^ - >^ ^ ^) in eine Art P ä o n ver-
wandeil, den wir den trochäischen, oder pa-
rapäonischen nennen müssen, weil er sich
durch den Accent auf der vorletzten Note, z. B.
kriegerische, A^on dem ersten Päon, der den
accent auf der dritten INole vom Ende hat.
Von dem leichten ungeraden Lletrum. i5i
z. B. göttlichere , unterscheidet. Diesei' para-
päoi'ische Rhythmus, würde sich aus der Zer-
fälhmg des Molossus _ ^U" "LT J i" ^ ^ ^
schon wegen seiner grösseren Fhichtigkeit nicht
ahleiten lassen. Die genauere Bestimmung die-
ses Päon kann erst später (207) deutlich werden.
174.
Mit diesen, hier aus der Grundform des
Pdiythmus abgeleiteten Gattungen, ist der ganze
Cyklus der metrischen Formen beschlossen, und
wenn unsre gegebene Ansicht die richtige ist,
so müssen alle vorkommende Rhythmen auf eine
der angegebenen Formen sich zurückführen,
oder, was dasselbe ist, alle möglichen Rhyth-
men müssen sich aus diesen Formen entwickeln
lassen.
175.
Unsre Theorie hat daher nicht nöthig, ne-
ben den regelmassigen Galtungen des Rhythmus
■noch unregelmässige {yfvt] akoya) anzunehmen.
Was mithin bei den IMcirikern unter den jNa-
men versus jiolyschematisti, {.ur^ex '/.ax uvrma'&fiav
'fimTa n. d. g. vorkommt, wird zwar in histori-
scher Rücksicht dem Siim dieser Metriker ge-
mäss erklärt werden, doch muss es in dem Sy-
stem selbst seinen Platz, wie jeder andre Rhyth-
mus ünden.
j32 Alli^emcinerTheil.
Accentirejiflc und quanlltlrencle
Pihythmen.
176.
VlcUeiclit ist es nicht ganz unnützlicli, liier
zu erinnern, dass jetzt noch nicht von Versen,
sondern nur von Rhythmen im Allgemeinen,
ohne Beziehung auf Sprache, die Rede ist. Be-
vor wir vom Vers hanJehi können, muss die
Betrachtung des Rhythmus an sich geendet seyn,
und wenn hier und da Beispiele in Versen
schon im Voraus gegeben werden, so geschieht
dieses nur, um den Satz zu erläutern, Avas
durch Beispiele aus der Musik zuweilen zu um-
släudlich seyn wüi'de.
177.
Es ist schon mehrmals Gelegenheit gewesen^
zu bemerken , dass unter einzehien Momenten
derselben Ordnung kein Quantitätverhältniss
Statt findet, indem alle Quantitätverschieden-
heit nur unter folgenden Bedingungen entsteht:
1) bei dem geraden Metrum durch Wechsel
der Momente verschiedener Ordnungen,
2) bei dem ungeraden Metrum
a. in der Grundform selbst, nämlich j J^
in metrischen Zeiclien _ ^,
h. durch Wechsel der Momente verschiede-
ner Ordnxmg: z. B. J. ^ ^ ^^ otler me-
trisch _ J, ^ ^,
Accentirende und quantiiireude llLytlimCn. i55
c. durch beides in demselben Rhythmus
vei'einigt: z.B. j^ J J^ metrisch bezeichnet
178.
Wo keine dieser Bedingungen eintritt, ist
bloss der Accent das rhythmisirende Prineip.
Dahin gehören alle Rhythmen , die sich in Mo-
menten derselben Ordnung bewegen , z. B. :
da da da d
' d a a d a a d a a d a
Es ist dem Missversthndniss ausgesetzt, Beispiele
des accentirten Rliythmus in Versen zu geben,
weil die verschiedene prosodische Quantität der
Sylbeu leicht durch einen Irrthum auf die me-
trische Quantität des Rhythmus übergetragen
werden möchte. Wir müssen also die nöthigen
Beispiele aus der Musik wählen, oder doch aus
solchen \erseu, welche Avir gcAVohnt sind mit
der Musik za denken. Der Toiu-hythmus
bewegt sich bloss in Momenten derselben Ord-
nung (in Sechzehulheilen), gleiehwol wird er
durch alle Tonveränderungen selbst in der Um-
kehriiiig:
i5i Allgemein er The iL
und eben so in der Trausposition in eine an-
dre Ordnung der Momente (per augmenlatio-
nem oder diminutionem)
^^^
einzig an seiner rhythmischen Bev/egung wieder
erkannt. Da aber alle Momente desselben von
gleicher Quantität sind, so ist einzig der Ac-
cent, nicht die Quantität das rhythmisirendc
Princip dieses Rhythmus.
Hier zeigt sich nun, dass die Musik dem
Rhythmus einen ungleich grössern Spielrciam
gewährt, als der Yers. Der Musik nämlich
steht das weite Gebiet accenlirter Rhythmen of-
fen, weil sie ihren rhythmischen Stolt', den
Ton, unbestimmt findet, und ihn also i^^t^i so
wol aus derselben Ordnung der Momente wä-
len kann, als aus verschiedenen. Der \er.s-
künstler hingegen findet in den Sylben der
Wörter schon grösstentheils Momente verschie-
dener Quantität (denn Verse, wie der vöu Voss
angeführte (y- ^'orv- Jl. (^^./ y'>r^. ^/^- f^J
Xtyi Ss av tcara rtoöa veolvra fiilia
gehören selbst in der griechischen Sprache zu
den Seltenheiten uii/d Ausnahmen.) Kr ist da-
Accentirende und quantiü'rende Rhythmen. 3 55
her in den prosodiscli gebildeten Sprachen, \on
dem Gebiet der bloss accentirten Rhythmen
ausgeschlossen, in A^elches nur die Musik von
neuem den Ycrs einführen kann, indem sie die
Quantilätbestimmungen aufhebt, und in Quali-
tätbestimmungen umwandelt, so dass die lange
Sylbe dem accentirten (guten) die kurze, dem
accentlosen (schlechten) Taktthcile gleich wird.
Dieses geschieht am unzweideutigsten im Choral,
dessen Melodie sich in Tönen von gleicher
Quantität bewegt:
während die Sylbcu des Yerses prosodisch ver-
schieden sind:
Nun sich der Tag geendet hat
denn auch hier sind Verse von prosodisch glei-
tlrn Sylben , z. B.:
. I J J I J J I jp J
Dein Werk kann Niemand hindern
dein' Arbeit darf nicht ruhn
Ausnahmen und Seltenheiten, die übrigens nur
durch /iifall, aus ISichtachtung der Quantität
entstanden sind.
Verse, bei welchen der Dichter nicht die
Quantität der Sylben. sondern nur den Wort-
l5ö Allg emeiiier Theil.
accent beobachtet, nennt man daher, auch wenn
gie nicht unmittelbar der Musik angehören, ac-
centirte Verse. Es versteht sich dabei , das«
diese Behandlung der Sprache nur bei, an sich
sclion bloss accentirten Rhythmen Statt finden
kann, und dass daher quantilirende Rhythmen,
z. B. dochmische, gailiambische, und das weile
Oebiet dier leichten ionischen , durch accentirte
Behandlung , ohne Beobachtung der Sylbencjuan-
tilät, gar nicht gebildet werden können.
*Das Gebiet der accentirten Rhythmen hat
daher die Musik vor der Verskunst voraus.
Allein in quantitirenden Rhythmen kann die
Sprache im Vers es der Musik, bis auf wenige
Ausnahmen, gleich thun, denn, sobald sie nur
prosodisch hinlänglich ausgebildet ist, so bietet
sie dem Rhythmus fast dieselbe Fülle und Ver-
«cliiedcnheit metrischer Momente und Formen
(in den Wortfüssen) wie die Musik. Daher fin-
den wir auch wix'klich d«» R^hythmen unsrer
bekanntesten Älelodien schon in den Versrhyth-
nien der Griechen. Z. B. die Melodie:
finden wir unverkennbar im Rhythmus des Gal-
liamljcn:
ü uie schön pranget die Jungfrau , mit dem Brautkranz
iu dem Haar
Accentirende und quantitirend« Rhythmen. i^-j
Folgende ;
?bi:^:
' ' f- — t— / — '
-t-t— -fc+-t-
IJnr^Iir^
->~t-
-^-^
-&*-
:^:
^V^:
ttrj^±i±rtiLi^-r:*
V if-
♦nöt
:^^J^— f^ij^rN-l-^
-a — -N-\t-^^^-i — R-N- -^^M — .-- 1 : — y — » — tti— »-i.-i-
4 1 1 C LJ ^-^
in dem priapiJschen Vers und dessen Variatio-
nen;
Fackeln leuchten dem Feiertanz Bacchos' heiliger Festnacht
t)QiGTT]aa [isv Itqiov XtitTov fuxQov anoxlag
Schon vom Gebirg her schallet der Chor frölicher Jub«i-
lieder
VTt KvadevÖQadtov ocrcaXag ccanaXci-&ovg narcovTfg
Frohrauschend ertönet dtr Hayn: Preis, Preis dir.
laccho»
Folgende :
— t 1 '^ö — >
im epionischen Verse (Metrum epionicura po-
lyschcmalistiim)
Umkränzt dio Becher mit Efeu , mit Rosenblülcn das ll«ar
jj3 Allgemeiner T heil.
nnci so lassen sich zu jedem Rhythmus alter
Verse, gleiche Melodien in unsrcr Musik nach-
weisen, die milhin, in rhythmischer Hinsicht,
der alten Musik nicht so unähnlich seyn kann,
als die Melriker uns versicliern.
Accentirte Koloraturen qiiautilirender Illiyth-
meu überlässt der Vers wiederum der Musik,
und dieses um so mehr, da die Koloratur, wenn
sie sich auch in gleich kurzen Sylben bilden
liess, den logischen Sinn des Verses mit dem
llliythmüs in Disharmonie bringen würde. Der
Komiker findet indessen in einer solchen Be-
handlung der Sprache im Khythmus einigen
komischen Stoff.
180.
Ist es nun wahr, wie es denn wahrscheinlich
ist, was die meisten Alterthumforscher behaup-
ten, dass die alte Musik an die Poesie gebun-
den war, und sich nicht als selbständige Kunst
bewegte, wie in unsern Zeiten, so ist der Un-
terschied zwischen alter und neuer Musik nicht
zu verkennen, und mit ziemlicher Deutlichkeit
zu bestimmen. Die alte INlusik nämlich be-
schränkte sich auf das Gebiet quantitirender
Rhythmen, und wir können sie, wenigstens in
Ansehung des Rhythmus mit Sicherheit aus den
alten V ei-srhythmen herstellen, wo wir sie bei
den Griechen mit unserer Musik, wenn sie <juan-
Accentirende und quautItJrende Rhythmen. aSg
titirende Rhythmen bildet, sehr ühereinstim-
mend finden werden. Allein das weite Gebiet
acccntirter Pvhythmen, worin unsre selbständige
Musik vorzüglich glänzt, folglich, wenn auch"
nicht die Harmonie der Töne, doch die har-
monische Behandlung der Rhythmen (der dop-
pelte Contrapunkt) war der alten Musik fremd,
mithin auch der weitere Umfang der Harmonie,
den die neue Musik durch den doppelten CoH-
trapunkt auszubilden Gelegenheit fand.
181.
Da nun im ungeraden Metrum eine ungleich
grössere Zal quantitirender rliythmischcr For-
men sich findet, als im geraden, so darf es
nicht befremden, dass die alte Musik, wie die
alten Ycrsrhythmen zeigen, sich mehr im un-
geraden, als im geraden Takt bewegte, beson-
ders da in der griechischen Spraclic (wie es
auch iu der deutschen der Fall ist), die Zal
der lldclitig daktylischen choriambischen und
ionischen Wortfüsse, die der schweren beträcht-
lich übersteigt. *)
*) Herr Direktor Gotthold in Küstrin (Taktlose LIu-
sik, BcrI. Monatscli. 1809. Julius N. 3.) übersieht,
ich -vveis niclit v.-aruni , überall die Eeweise , und
nennt Sätze, die ans der Natur des Metrum abse-
loitet sijnd , Froihftilen. Dns-; die Verse der Grie-
i6o AI 1 gern e jne r Theil.
182.
Diese Eigenlieit der Musik (178), die Quan-
titätverschiedenheit der Sylben accentirler Verse
in eine Acccntverschiedenlieit umzuwandeln, ist
von den , mehr gelehrt als musikalisch gebilde-
ten Metrikern, als eine Willkiihrlichkeit ange-
sehn worden, und, weil sie über den Unter-
schied des accenlirtcn Rhythmus vom q^iantiti-
renden, und über das Yerhältniss beider Gat-
tungen des Rhythmus zu Musik und Sprache
(oder Vers) durchaus nicht im Klaren sich be-
fanden, so kamen jene Metriker auf die sonder-
baren Behauptungen von der Beschaffenheit al-
ter Musik, und von der Verderbtheit der neuen
durch Abweichung von der prosodischen Syl-
benquantität, wie man dergleichen in den Schrif-
ten Isaac Vossius, Hermanns und andrer fin-
det. Wenn man hingegen durch eine richtige
Ansicht des R.hythmus den Accent als sein,
chen grösstentlieils Tripeltalct hören lassen, liegt in
der Natur des quantitirenden Rhythmus, und ist
■ss'cder als Vorzug (wie Hr. Dir. G. mir Schuld
gibt), noch aLs Tadel von mir angeführt, sondern
als historisches Faktum. Warum wir Neuem, he-
sonders im voUstimmigen Gesang, den geraden TakC
dem ungeraden vorziehen, wird ausführlich erörtert
■werden, wo vom accentirten Vers besonders dia
Rede ist, und von seiner Aufnahme in den Kirchen--'
gPiang.
Accentirende und quantitirende Rhythmen. i6i
Grundprincip kennen gelernt hat, so darf es
nicht befremden , dass selbst prosodisch gebil-
dete Sprachen es lieben, ihre Prosodie zu ver-,
gessen, und die Worte zu Bildung accentirtep
Pvliythmen quaulitällos zu gebrauchen. So sind
z. B. unsre modernen trochäischen und iambi-
schen Verse , grö^istentheils bloss accentirt ge-
dacht, und selbst der feiuhörende Dichter braüclit
die Kürze weniger des Maasses wegen, als um
die Schwäche des Takttheiles darzustellen. Der
Vers z. B. : Bösen auf den Weg gestreut, hat
zwar unbezweifelt das prosodische Maas:
und würde, als quantitirender Rhythmus von
der Musik im Sechsachteltakt
behandelt werden müssen; allein Dichter und
Leser hören ihn, ohne an der Quantität Anstoss
zu nelimen, als accentirten Vers, und singen
ihn unbedenklich nach der bekannten Melodie
im Viervierteltakt. Durch diese Umwandlung
der Quantitälverschiedenheit in Accenlweehsel,
nimmt die Verskunst an dem Gebiet accenlir-
ter Rliythmen Theil, welches ihr sonst fremd,
und der Musik allein überlassen bleiben müsste.
Wie eng und einseitig muss also die Ansicht
der alten und neuen Musik und Verskunst bei
jenen gelehrten Metrikern erscheinen, die, stall
den Gewinn eines neuen Gebietes für die Vers-
11
l6a Allgemeiner Theil.
kunst, den kein Verlust früheres Eigenthumes
begieilet, anzuerkennen, die Musik lieber auf
den kleinem Theil ihres Gebietes, den sie mit
der Yerskunst zugleich beherrscht, beschränken
möchten, näraiich auf das, der quantitii'enden
Gattungen des Rhythmus.
i83.
Es wird hier der Ort seyn, noch einige Irr-
thünier zu berichtigen, die in Ansehung accen-
tirter Rhythmen manche Verwirrungen in den
Theorien hervorgebraciit haben. .
Die einseitige und empirische Ansicht des
Rhythmus, nach welcher er in dem Verhältniss
der Längen und Kürzen in einer Zeitreihe be-
stehn soll, hat bei m;;nchen Theoretikern die
Meinung hervorgebracht, als sei in Gesängen,
deren Töne ohne Unterschied von Längen und
Kürzen in gleichgemessenen Zeiten fortschreiten,
kein Rhythmus zu finden. So trifft man, um
gleich ein Haupibeispiel anzuführen, bei vielen
Schriftstellern die Behau] tung: in den Kirchen-
choralgesängen sei kein Rhythmus, weil ihre
Melodien sich in gleichzeitigen Theilen , ohne
Unterschied von Längen und Kürzen bewegen.
Andre gehen in ihren Behauptungen so weit,
dass sie in den Choralmtlodieen weder Rli^lh-
mus noch Metrum annehmen wollen. Auf diese
Weise, sagen sie, unterscheide sich der Cho-
Accentirende oder quantitireiide Rhythmen. i63
räl'^esang vom Mensural - oder Figui'algesang, in
dem Ouautitätverscliiedenlieit Statt findet, und
dem sie deswegen Rhythmus und Metrum zu-
schreiben. Von diesem falschen Gesichtspunkte
sind eine grosse Menge Urtheile über den Am-
brosischen und Gregorischen Kirchengesang, und
über die alte Musik, besonders der Griechen,
ausgegangen.
i84.
An- sich betrachtet, ist es keinem Zweifel
unterworfen, dass der Pihythmus in seiner Grund-
form {da) durch den Accent bestimmt werde.
Allein, auch bloss empirisch angesehn, ist Rhyth-
mus und Metrum in den Choi-almelodien nicht
zu verkennen, und es gehörte die Hartnäckig-
keit einer erlernten Theorie dazu, um beides in
ihnen nicht zu finden. Man betrachte zwei ver-
schiedene Choralmelodien, z. B. :
d 1 d d I d d I d d I ö
Ach Gott vom Himmel sieh dareiu
und:
dlddld
O Tramigkeit
wodurch unterscheiden sie sich denn, abgesehn
vom melodischen Tonverhältniss, als durch den
verscliiedenen Rhythmus , durch ihre verschie-
dene Form in der Zeit? Koch auffallender ist
jG4 Allgcm e i ner T h eil.
es , wenn man Clioralmclodien von verscliletle-
ner Bewegung mit einander vergleicht, z. B.:
C2cia\6a6\dat^\dad\aa
Lobet den Herren , deu inächtigeu König der Ehren
und:
dlddlddlddld
Ich hab' mein Sach' Gott heimgestellt
Würden diese Melodien nicht als E.hythmen und
im Metrum vernommen, so könnte diese ver-
schiedene Bewegung in ihnen gar nicht wahrge-
nommen werden. So fest aber setzt sich eine,
nicht selbst erkannte, sondern auf Autorität an-
genommene Meinung in der Theorie fest, dass
man lieber an seiner eignen Wahrnehmung zwei-
felt, ehe man dem Zweifel gegen sanktionirte,
und oft nachgesprochene Meinungen Raum giebt.
i85.
Betrachtet man die accentirenden Rhythmen
gegen die quantitirenden , so ündel man bei ei-
nigen Gattungen der letztern eine analoge Be-
wegung mit den accentirenden, bei andern aber
hört selbst diese analoge Bewegung auf.
186.
Es täuscht nämlich der Wechsel von stark
und schwach in einer rhythmischen Reihe leicht
mit dem Schein eines Wechsels von lang und
kurz, und so entsteht in der Bewegung acceu-
Accentirende und quantitirende Rhythmen. i65
tirter Rhythmen die erwähnte Analogie mit quan-
titirenden. Z. B. in der Reihe:
d a d a d a d a
hört man etwas der folgenden
älinliches. Eben so ist die Reihe:
daa daa daa daa
der daktylischen:
• • «^ « t' 4^ B g. ä^ 0 c. «^ «
ähnlich, die zwischen accentirten und quantitl-
renden Reihen das ISIittel hält. Glaubt man sie
der schweren daktylischen Reihe
I > > I 'S > i ^ ^ I > >
gm» gm» gg» 00»
ähnlich , so beruht diese Meinung auf einer
neuen Illusion, indem man die schweren iDakty-
len von den leichten nicht unterscheidet, und
was mau von den leichten als richtig fühlt, auf
die schweren überträgt, welche die Theorie al-
lein nennt.
187.
Es zeigt sich schon hieraus, dass diese Ana-
logie nur dann Statt findet, wenn der quantiti-
rende Rhythmus in derselben Ordnung der Mo-
mente sich bildet , also, um gleicli den gewöhn-
lichen und verständlichen Ausdruck zu brau-
chen, in trochäischen und flüchtig daktylischen
Rhythmen. Sobald Momente verschiedener Ord-
1
0
löG Allgemeiner Theil.
nung wechseln, z. B. in ionischen Rhythmen
(J. ml ^ »)"> liört alle Analogie mit den acccn-
tirenden P\^hythmen auf. Der quantitirende
Khythmus hat zwar noch das Princip des Ac-
centes in der Arsis und Thesis , auf welchem
aller Rhythmus beruhet, allein der Wechsel mit
Momenten in verschiedenen Ordnungen, giebt
ihm einen Charakter, der von den Rhythmen,
welche in derselben Ordnung der Momente
wechseln, ganz verschieden ist.
188.
Wo nämlich Momente derselben Ordnung
den Rhythmus bilden, da wechselt allezit die
Arsis mit einem oder zwei thetischen Theilen,
und der Arsis folgt niemals unmittelbar eine
zweite Arsis. In dieser Art quantitirender Rhyth-
men findet also derselbe Accentwechsel stp.tt,
wie in den accentirenden Rhythmen selbst, und
dieses begründet jene Analogie. Wechselt hin-
gegen ein Hauptmoment mit Momenten der fol-
genden Ordnung, so treffen zwei Avses unmit-
telbar auf einander, wovon die zweite zwar eine
Thesis gegen die erste Arsis , aber eine Arsis
gegen die aus ihr entwickelte Thesis ist:
j. j :
Ars. Thpfl,
Arsia
Thesi«
Accentirende und (luantitirende Rhythmen. 1C7
Hicvdurcli -wird der Wechsel von Arsis und
Thesis, der den accentirenden Rhytlimen eigen
ist, unterbrochen, und mithin jene Aehniich-
keit gestört. So erhahen diese Art Rhythmen
einen von den accentirten ganz verschiedenen
Charakter , -sviewol sie ar.f denselben Principien
beruhen, welche vom Rhythmus im Allgemei-
nen, vom quautilirendeu , wie vom accentirten
gelten.
189.
Aus diesem Verhältniss beider Gattungen
von Rhythmen lässt sich ein Grund einsehen,
warum ein grosser Theil der antiken Rhythmen
von den Neuern weder Aernommen noch nach-
gebildet worden ist, und wai'um die Nachbil-
dung, wo sie ja unt^jrnommen ward, mehr auf
den Schulgebrauch beschränkt, als in die Poesie
selbst aufgenommen wurde. Man erinnere sich
nur z. ' B. an die wunderlichen Messungen des
galliambischen Verses, die bei Gelegenheit des
CaluUschen Atys an den Tag gekommen sind.
Wer kann wol in dem wunderlichen Fussgewrr:
>^ 1 ««<'— I W>— I -m^ ^mt
«.y W 1 *.««.' —
das einige Erkliirer, (z. B. Werthcs) aufstellten,
etwas versöhnliches finden, und wem, der den
galliambischen Gesang :
ij>!:.\«s/ij.j.*/ij..\vij.
iGS Allgemeiner Theil.
oder in der üblichsten Art Catuirs:
Äl^M^'^ll i]^n!I !>>>>! •:
m^ &^ \ ^ j 00 I J. j «^ ^ I ^ 0 j • j I ;.
Super alta vectiis Atys celerfrate maria
Wie erbebt im Glauz die Weinlaub'; a Beseliger, du er-
scheinst Voss
nur einmal vernommen hat, kann es einfallen,
dieses Metrum so, wie z. B. Werthes, zu be-
zeichnen , oder gar zu behaupten , wie andre
Filologfcn , der Dichter habe sich an kein be-
stimmtes Metrum gebunden , sondern sich der
Begeistrung überlassen, numeris lege solutis?
190.
Die Neuern, an den accentirten Rhythmus,
aus spater anzugebenden Ursachen, gewöhnt,
vernahmen zuerst unter den antiken, quantiti-
renden Versgattungen diejenigen, bei welchen
die oben erwähnte Analogie mit den accentirten
Rliythmen Statt findet, nämlich die trochäi-
schen nebst den iambischen, und die daktyli-
schen, nebst den anapästischen , und auch diese
vernahmen sie nicht ihrer Quantität nach, son-
dern gleichsam transponirt aus dem quantitircn-
den in den accentirten Rhytlimus. iNur wo sie
theoretisii'ten, unterschieden sie als lang und
kurz, was sie in Wahrheit nur als stai'k und
schwach (Hebung und 'Senkung) vernahmen.
A s diesem Grunde blieben ihnen auch die deut-
schen «Spoudeen unbekannt, denn sie hnvtcu
Accentirende und quantitirende Rhj-thmen» 1G9
ihre tlietische Länge nur als Senkung, und be-
haudt'lleu sie als Trochäen, was sie in Anse-
hung des Accentes wirklich sind, und so kann
man begi'eifen, dass sie auch in den alten Spra--
fchen die Quaniilät der Sylben nicht hörten,
sondern nur darum wussten. Für die zweite
Klasse quantitirender Rhythmen fehlte ihnen
jene aneignende Illusion, sie konnten daher diese
Rhythmen niemals sinnlich vernehmen, so^^^rn
sie mussten sich begnügen, theoretischer Weise
ihre Regel zu finden und zu lernen. So fielen
diese \ersgattangen lediglich der Schule an-
iieim, die durch Untersuchungen dessen, was
ohne sinnliches Ergreifen nicht vernommen wer-
den kann, das nicht Erkannte auch unkenntlich
machte. JNur auf diese Art vvar e möglich,
dass Vorstellungen über alte Musik Eingang
finden und bewundert werden konnten , wie
Isaak Yossius, Meibom, Hermann und Andre
der Welt vorgetragen haben.
Während die Gelehrten über alte Musik
stritten , hatte die neue Musik sich längst in
Besitz aller Rhythmen der alten Musik (i~3)
gesetzt. Die Gelehrten aber, nicht ungleich je-
nen Patrioten, die den lebenden Euripides vor
der, von Mitbürgern gefertigten Büste prüften,
und lür unächt erklärten, verwarfen, was die
neue Musik hören liess , und erhoben ihr Fan-
tom taktloser Musik, das dem, sonst verdientea
170 All gern einer Theil.
Meibom selbst ziu* Verzweiflung brachte, als er
es aus der Schule, vor die Königin Christine
in die Welt treten Hess. So gross ist aber die
Macht der Gewohnheit, und der Bef|uemlich-
keit , dass man lieber vergisst, was man besitzt,
eh' man sich enlschliesst, es auf eine ungewohnte
Art zu gebrauchen.
Von der VerschiedenKeit der Pihythmen.
191.
Wir haben schon früher den Rhythmus eine
Zeitfigur genannt, und dieses mehr im ei-
gentlichen, als bloss metaforischen Sinn. Wie
Figuren im Räume durch wesentliche Begrän-
zung der räumlichen Dimensionen gebildet, und
durch die Verschiedenheit dieser Begränzung
unterschieden werden, so bildet die wcsentliclie
Begränzung der Zeitdimension den Rhythmus,
als Zeitfigur, und die Vei-schiedenheit dieser
Begränzung wird die Verschiedenheit der Rhyth-
men hervorbringen. Diese Begränzung erscheint
aber als wesentlich, wenn nicht ein blosser Zeit-
verlauf begTänzt wird, sondern eine Reihe von
Momenten, in deren Evolution schon ein inne-
rer Grund der Begränzung liegt. Wir bekom-
men also drei verschiedene Bestimmungspunkte
des Rhythmus als einer Figur in der Zeit, näm-
lich: den Anfang, das Ende, und die Art
Von der rhythmischen Bewegung, 171
der Evolution, oder die . rhythmi sehe Be-
wegung.
Von der rhythmischen Bewegung.
192.
In den verschiedenen Formen des 'Rhyth-
mus, welche wir (120 his 172) enlwickek La-
ben, ist die Verschiedenheit der Bewegung,
durch die Art, wie sich der Rhythmus metrisch
evolvirt, aufgefunden. Die ionische Bewegung
z. B. unterscheidet sich von der choriambischen,
diese von der trocliäischcn u. s. f. Wir nen-
nen diese Formen deswegen rhythmische
Formen , oder'' Formen der rhythmischen Be-
weguug, weil nämHch in ihnen die Verschie-
denheit der E.hythmen in Ansehung ihrer Be-
wegung sich zeigt.
195.
Diese Verschiedenheit der Bewegung nennen
wir rhytli misch, wenn sie unter verschiede-
nen Formen desselben Metrum sich zeigt. So
ist z. B. die Bewegung des flüchtigen louikers
(^^•^•^•^) ^'"^1 ^^^^ ^^^' trochäischen DIpodie
(Jj'^J*^) ihylhmisch verschieden, metriscli hin-
gegen sind beide sich gleich. Wir nennen da-
gegen die Bewegungen metrisch verschieden,
wenn sie in verschiedenem Metrum Statt linden.
So ist die Bewegung d<\s schweren Daktylus
172 ' All;^ e in ei n er Theil.
(J ^J') von der des Baccliius (j. JJ^) metrisch
verschieden, rhythmisch hingegen sind Leide
sich gleich. Die Bewegung des flüchtigen Cho-
riamhcn (J^e^#^j. ) J'^t "von der, des schweren
Daktylus zugleich rhythmisch und metrisch ver-
schieden. Aus dieser Gleichheit und Verschie-
denheit erklärt sich, welche Formen mit einan-
der in rhythmischen oder metrischen Variatio-
nen der Verse wechseln können. So ist z. B.
jeder der drei folgenden Verse:
— ■^ — s^ >^ I >^ —
Sjlvarumque virentiura
Ahndungsvolle Bekümmerniss
] N 1 > I > ^ JS !
• • • 0 I «. «r 0 •
v
Stille ruht auf HLicel und Thal
Feiergeläut durchhaut die Flur
eine der vielen rhythmischen Variationen des
glykonischen Verses, dessen Grundthema da«
einfache
— <— ' — s^ I — >i< —
Klageton der Nachtigall
Von der r hyth'mischen Bewegung. 1^5
ist. Metrische Variation findet dagegen in fol-
genden Versen Statt:
„ I _ ^ ^ 1 _ w ^ I
j j^ ; I j .'' .N j j
Schon tönt der Gesang in dem Haus der Vermälung
.^ I J. J ; 1 J. .1 .N J. J j" I J. J 7
In rastloser Arbeit entfliehn uns die Stunden
deren einer denselben Rhythmus in derselben
Bewegung nur in ein andi'es Metrum trans-
ponirt.
194.
Bei aller rhythmischen und metrischen Ver-
schiedenheit dieser Formen, bemerken wir doch
etwas, worin sie sich insgesammt gleich sind.
Sie erfüllen nämlich alle dasselbe relative Zeit-
maass. Dieser Satz scheint beim ersten Anblick
allerdings etwas paradox, wenn man absolutes
Zeitmaass vom relativen nicht sorgfältig genug
unterscheidet. Deswegen bedarf es einer nä-
hern Bestimmung.
195.
Alle Momente späterer Ordnung bringen
keine Vermeidung der Zeit iii das Moment,
aus dem sie sich entwickeln, sondern sie be-
stimmen durch ilire Zal nur, ob jedes von ih-
nen die Hälfte oder den dritten Theil von dem
1^4 A llgemeiuer Th c il.
Zeitgelialte ihres Stammmomentes haben soll.
Die Hauptmomente behalten daher dasselbe Zeit-
maass, sie mögen sich in drei oder in zwei Mo-
mente zerlegen, mithin ist nicht nur die Form
• 7] r^ §^"*^^i ^^^' ^^^'^ m JT3t und umge-
kehrt dieser j"^ J"J^» sondern, was noth^vendig
folgt, die Formen TJ] /J« ^^^ /« Ü si"d ,
sich rh^^misch gleich, Tvicwol sie im Metrum*
verschieden sind.
In demselben Verhäitniss , wie die spatern
Momente zu ihrem Stammmomenle, stehn nun
die Hauptmomente zu der ursprünglichen Ein-
heit, welche sich i'hythmisirt, d. h. in Arsis
und Thesis zerlegt. Drei Momente oder zwei
Momente mögen sich aus diesen evolviren, im-
mer repräsentiren sie dieselbe Einheit, und ha-
ben also, wo diese Einheit als Maas gilt, das-
selbe Maas. Wir nennen dieses Maas, oder die-
ses Zeitganze , welches entsteht, indem die Ein-
heit sich rhythmisirt, abgesehn von der Zal der
entwickelten Hauptmomente, die metrische
Periode.
196.
Wir wiederholen nun unsern obigen Salz
(194) bestimmter: Alle rhythmischen Formen,
welche wir metrisch entwickelt haben, sind sich
darin gleich , dass jede die ganze metrische Pe-
riode austuUt. Der schwere Daktylus also i^t
Von der rhythmischen Bewegung. 175
in seiner metrisclien Ausdehnung der trochäi-
scheu Dipodie, oder dem Bacclnus gleich, und
eben so auch der Tripodie, denn eins wie das
andre erfüllt eine metrische Periode, oder mu-
sikalisch ausgedrückt, einen Takt.
Aus diesen Sätzen läisst sich schon im Vor-
aus begreifen , warum daktylische Pihytlimen
nach Monopodien (Füssen) , trochäische nach
Dipodien, und andre nach Tripodien gemessen
werden, und dass diese verschiedene Messung
der Verse zwar, wie Rufinus (Putsch 2712.)
sagt, ein „altes Institut" sey, aber keinesweges
eine willkürliche , sondern in der Natur des
Rhythmus und des Meti*uni gegründete Einrich-
tung.
In sofern jede rhythmische Form eine me-
trische Periode ausfüllt, ist sie Form dieser Pe-
riode , und wir werden daher , wo wir in die-
ser Beziehung von ihr sprechen, sie auch die
metrische Form, d. h. die Form der metri-
schen Periode nennen. Denn Avir werden sehn,
dass rhythmische Foi'men auch so voikomuien
können , dass sie nicht zugleich Formen der
metrischen Periode sind. So kann z. B. die
choriambische Form rhythmisch vorkommen
(z. B. im Worlfuss), wenn die metrische Form
der flüchtige loniker ist:
ijb Allgemeiner Theil.
J. .^ J^.N J. j\'^/l J.N.M J.J.
Hallt Flötengetön lockender, als der Ruf des
Schlachtliorns
und umgekehrt ?<ann die ionische Form rhyth-
misch vorkommen, avo der Choriamb metrische
Form ist :
J^ .^ .'^ J. I .^ .!* j^ J / I J. J-
Lieblich in jungfräulicher Schaam arröthend
Dieser Unterschied , ob eine Form an einer
Stelle bloss rhythmische, oder zugleich metri-
sche Form sey, wird sich in der Folge als sehr
bedeutend zeigen.
198.
Die metrische Periode ist also ein Maas. So
betrachteten sie auch die Griechen, indem sie
den Fuss, oder die DIpodie, nach welcher sie
den Vers maassen, fifr^ov, und den Vers selbst»
nachdem er das Maas zweimal oder dreimal
enthielt, Dimeter, Trimcter u. s. w. nannten.
Sie ist aber ein Maas, nicht des einfachen Rhyth-
mus in seiner Grundform, sondern des zusam-
mengesetzten Rhythmus, der das Maas der Pe-
riode überschreitet, also des Verses, mithin ganz
das, was in der Musik der Takt ist (iy6).
Von der rhythmischen B e w f g u n g. \■J^
199-
Wir haben hier eine erweiterte Bedeutung^
des Wortes Metrum gefunden, welche indessen
ebenfalls in der Allgemeinheit des BegritFcs-,
Maas, enthalten ist. Zuerst bedeutet Meti'um
das Yerhältnissmaas der Arsis und Thesis, also
die Mora {'/^opog, atjftfiov , tempus, Zeit), v als,
das einfachste Maas der rhythmischen Grund-
form. So wie sich die rhythmische Form er-/
weitert, indem jedes Hauptmoment sich wieder
rhvthmisirt (d. i. in neue Momente zerlegt) , so
wird das Hauptmoraent selbst zum INlaas der
Periode, als F u s s. Daher die Periode Mo-
iiot)odie , Dipodie, Tripodie ist, gleichwie das
einzelne Moment eine Zeit, zwei Zeiten, oder:
drei Zeiten enthält. Jetzt finden wir in noch-
mals erweiterter Ansicht die metrische Periode
selbst als Maas, des Verses nlimlich, der, wie-,
derum als Maas eines Gedichtes betrachtet, eben-,
falls Metrum heisst, z. B. das epische, saffivsche
Metrum, wo überall der Begrifl' Maas in foj't-
währender Erweiterung zum Grunde liegt.
Durch diese Darstellung werden die Begriffe:
Fuss und Metrum hinlängliche Bestimmtheit er-
halten haben. Dass auch aus diesem BegrifT
von Metrum der Takt in jedem Verse nothwen-
dig folge, wird sich schon als Vcrmulhung hier
aufdringen, indem ja der Takt nichts anders ist,
als das ursprüngliche, dem Bhythmus wcscnt-
12
1^8 A 1 1 g e m a i n u r T h o i 1.
liclie Proportionmaas dei* Grundform in seiner
Erweiterung auf abgeleitete Formen bezogen.
200.
Indem unsre Untersuchung hier auf dem
Punkt angelangt ist , wo der Begriff des Taktes
als wesentliclier Eigenheit des Verses und mu-
sikalischer Melodie uns von selbst sich darstellt,
wird es, schon in historischer Beziehung, nÖ-
thig seyn, zu erwähnen, welche Vorstellung die
Gegner unsrer Meinung vom Takt sich machen.
„Eine unbefangene Ansicht der allen Metrik
— sagt Hermann, in der Allg. Mus. Zeit. 1809.
N. 19. — leitet uns geradezu auf die Behaup-
tung, dass die alten Versmaasse mit unserni
Takte nichts zu thun haben. Der Takt ist an
sich kein nothwendiger Theil des musikalischen
Rhythmus. Er ist nur ein Mittel, ohne wel-
ches die jetzige Musik in ihrer Vollkommenheit
nicht bestehen könnte. Denn da in ihr nicht
nur eine Note mittelst der Theil ung durch Zwei
in vier und sechzig Theile getheilt werden
kann,'' (man sieht, Hr. IL ist 1809. noch so
wenig über musikalische Notenzeichen und de-
ren Zerfällung in drei Theile im Klaren, als
1799., wie schon (122) bemerkt worden ist),
„sondern auch nacli einer Theilung durch drei
Triolen, und nach andern Theilungen, andre
Auflösungen zulässt; da ferner oft, oder fast im-
V o u der r 11 y l h m i s c ii e 11 li e \\ c g u n g. i -'y
mer mehrere verschiedene Khylhmen neben ein-
ander herlaufen, und die Menge dersclLen oft
noch gar durch die Anzal der begleitenden In-
strumente vervielfältigt wird , " (hier wird die
Unbekanntschaft mit der Sache zu einiger Dun-
kelheit) ,,sü ist ein einziger, einfacher, sich
durcliaus gleichbleibender Khythmus, welcher
der des Taktes ist. unentbehrlich, um alle jene
mannichfalligen Rhythmen und Veränderungen
der Rhythmen zusammen zu halten. Wo aber
nichts zusammen zu halten ist, wozu soll da
der Takt? dies ist aber bei den Griechen der
Fall."
IN'och unbefangner und planer spricht Hr.
Dr. Gotthold diese Meinung aus (N. Berl. Mon.
Sehr. 1809. Jul. S. 5i. Anm.): „Wie, wenn der
Takt sein Entstehen überhaupt dem Bedürfnisse
verdankte, mehrere Stimmen einer Musik "e-
nau unter einander zu setzen, und mit Leber-
einslimmung vorzutragen ? Der | Takt z. B. in
alten kanonischen Arbeiten scheint olt nur eine
Abtheilung für das Auge zu seyn ; und ein
während der Aullührung Hinzutretender sollte
wol nicht die sogenannten guten und schiechten
Takttheile von einander unterscheiden."
201.
Es ist eine sonderbare Erscheinung, dass
manche, sonst nicht ungeübte, öciiriilstelkr zu-
1 bu A 1 1 j; e m c i 11 c r '1' h e i 1.
weilen nicht im Stand siiul, ihre Gedanken
fortdauernd und unver\N endet auf den Gegen-
stand ihrer Untersuchung zu ricliten, ohne mit-
unter damit auf verwandte Gegenstände, oder
auch wol Fanlome , zu schwanken. Dieses he-
gegnet auch den beiden angeführten Männern.
Hr. Gotthold yerwechselt offenbar Takt, d. i.
innres cigenlhümliches Maas der Melodie, und
Taktbezeichnung, mit einem Worte, den Takt-
strich. Sein Beispiel beweist dieses. Eben
darum hört man in vielstimmigen Sätzen oft
den .Uten und schiechten lakllheii verschiede-
ner Stimmen /.usammea treffen, weil jede Stim-
me ihren besondern innern eignen Takt liat,
unabhängig von den neben ihr forllaufenden
Stimmen, deren Mehrheit also nicht erst den
Takt (den innern jeder Stimme) als ein Postu-
lat hervorruft, sondern nur dem Komponisten
aullegt, dass er die Stimmen nicht taktwidrig,
sondern im Yerhällniss des, ihnen eigenthümli-
chen , schon vorhandenen Taktes verbinde. In
einer solchen Verbindung berührt allerdings
sehr oft das gute Taktlheil des einen Rhythmus
das schlechte Taktlheil eines zugleich tönenden,
so dass ein und dieselbe Zeit für einen Rhyth-
mus Arsis, für den andern Thesis ist, wie die
JN'atur z. B. in Zwillingkrystallbildungen die-
selbe Linie, Seite des einen und Zuspitzung
des andern Krystalls seyn lässt, und wie der-
't
Von der rli3'th m is c hcn Bewegung. i'.h
selbe Ton in verschiedenen Stimmen versclne-
dene liarmonisclie Beziehung haben kann. Nacli
Hrn. Goühokrs und Ilermann's Ansichten aber
würde man eben so wol von der Harmonie be-
haupten können: sie sei nicht in der ÄNalur der
Töne vorhanden (oder nach liermann's Wor-
ten: „kein wesentlicher Theil der musikalischen
Melodie") , sondern danke ihr Entstehen nur
dem Bedürfniss der Musiker , mehrstimmig zu
komponiren; denn der Komponist wirft ja die
Töne eben so wenig gegen die Harmonie unter
einander, als die B.hythmcn ohne Biicksicht auf
ihren Takt.
Der Taktstrich aber, der allerdings in viel-
stimmigen nachahmenden Sätzen, nianche Me-
lodie mitten in ihrer metrischen Periode schnei-
det, z. B. :
m
oder in zusammengesetztem Rhythmus :
^;d^=:^
— «■— *-
dieser ist allerdings erfuntlcn, um mehre Stim-
men unter einander setzen und übersehn , atK'h
durch den Taktschlag jede Stimme erinnern zu
können, wo die andern Stimmen seyen, ohuo
dass cImh der Taktscblag und der Taktstrich in
i8a _ A.llgc inei ner Tlieil.
jerler Stimme den Anfang und das Ende ihrer
wirklichen metrischen Periode bezeici)in>n miis.s.
Den Taktstricli kannten nun die (i riechen
wol sehAverlieh, so wenig als in friiluni Zeilen
der Schreibkunst die Inlerpunktionzeichen. La-
sen und sprachen sie also deswegen wol g<';>en
den Sinn, den wir durch diese Zeichen andeu-
ten? Könnte also auch sogar historisch erwie-
sen werden, dass sie den Takt nicht kann-
ten (d. h. doch nichts anders, als, dass sie von
diesem Maass des Rhythmus keinen hesoudern
Begriff sich gebildet huien, so wie viele ihre
Muttersprache richtig sprechen, ohne ihi*e Re-
geln zu wissen), wüi'de dai-aus wol folgen, dass
ihre Melodien keinen Takt hatten? Gesetzt,
die Griechen hätten die Harmonie nicht ge-
kannt, ist sie deswegen nicht in der INatur je-
der Miisil^? Dass aber der Takt so wesentlich
in der Natur^ des Rhythmus gegründet ist, wie
Harmonie im Vei'häliniss der Töne , ist in den
Abschnitten vom Rhythmus und vom Metrum
erwiesen.
Liess' aber auch sogar sich darthun , dass
die Griechen ihi'e Rhythmen wirklich anders,
als nach dem Takt gemessen, und sogar sich
gegen ein gleichförmiges Maas darin erklärt hät-
ten — was an sich nicht dargethan wei'den
kann — so würde dennoch daraus, das< sie die
"Natur des rhythmischen Maasscs verkannten,
Von der r h y th m is c h e n B e w e g u n g. 185
nocli nicht folgen, dass in den Rhythmen selbst,
welche sie bildeten und hörten, kein Takt ge-
wesen sey , sondei'n uui' , dass ihre Theoi-eliker
durch ihre Bezeichnung die Gleichförmigkeit des
Maasses störten. Oder sollte wol dai-aus, dass
Hermann (M. Zeit. a. a. O.) für den Klopstock-
ischen \ers:
Nieder zu dem Haine der Barden senkt
folgendes Maas angibt:
J .^ .'^ .M J .^^ J^ I J / 1 J
und dieses, um einen Takt darin zu haben, auf
diese Ai't, seiner Meinung nach, laktmässig ab-
theilt :
0 9 m \ m 0m l# •• l*7
Nieder zu dem Haine der Barden senkt
folgen können, dass Klopstock jenen Vers wirk-
lich als so ein rhythmisches Ungeheuer gedacht,
oder dass der Vers an sich eine solche Unform
sey, da doch vielmehr jeder Leser ihn in rich-
tigem Takt so:
• • «^ »^ »^ I #. /^ • \ ä 0 ••
Nieder zu dem Haine der Barden senkt
— »»<>»<«,/ l_^^l_^l_
lieset und hört? Eben in diesem natürlichen
Maas hört ihn ohne Zweifel auch selbst Her-
mann, nur dass er der musikalisch -rhythmi-
schen Orthografie nicht machtig genug ist, um
das vieldeutige unbestimmte melrische Schema/
i84 All gern einer T hei 1.
das er gewohnt ist, riclitig und vevstanfilich, so
wie er es wiikücli hört, in musikalische Zei-
chen übei-zutragen.
202.
Jede metrische Periode fängt mit der Arsis
an, und endet mit der Thesis des Grundrhylh-
mus ; denn sie umfasst die ganze Zeit, die aus
der Einheit entsteht, indem sie sich zum Rhyth-
mus bildet. Da nun jede metrische (197)
Form die ganze metrische Periode erfüllt, so
fängt auch jede metrische Form, als solche, auf
der Arsis an, und schlicsst auf der Thesis. Ei-
nige Formen, z. B. die kretische, choriambi-
sche, und vierte päonischc , scheinen davon
Ausnahme zu machen, indem keine Thesis an
ihrem Schlüsse hörbar wird; allein diese Aus-
nahme ist nur scheinbar, denn metrisch be-
tracl.tet ist die Thesis vorhanden, nur dass sie
nicht rhythmisch vernommen wird. Die Musik
bezeichnet die Vollständigkeit des Taktes jedes-
mal durch Punkte oder Pausen,
die zuweilen auch durch den Anfang eines fol-
genden Rhythmus (Auftakt) ausgefüllt werden,
z. Jö. : _ ^ »^ —, 4^ I — */ —
daher wird die metrische Bezeichnung, welche
rhythmische Foi-men, nicht metrische, zu sou-
Von Punkten und Pausen. i85
dem pflegt, in solchen Füllen vor den Auftakt
gesetzt :
V^«^_ I w* — >d> —
Schattengebiet der Unterwelt
was zu seltsamen und verwirrenden Missver-
ständnissen der Metriker Veranlassung gegeben
hat. Da Hermann an mehren Orten seiner
Schriften sicli — wie es scheint, aus Mangel an
Sachkenntniss — gegen die Punkte und Pausen
erklärt , und noch in der eben angeführten Stelle,
wo er den Klopstockischen Vers beuvtheilt, äus-
sert: „es finde sich kein Rechtsgrund auf, Punkte
und Pausen anzunehmen," so wird es nöthlg
seyn, über diesen Gegenstand einige Worte zu
sagen.
Von Punkten unrl Pausen.
205.
Der Punkt an einer Note bedeutet bekannt-
lich in der Musik (Jj, dass der so bezeichnete
Ton nocli um die Hälfte länger gehalten wer-
den soll, als die Dauer der Note selbst es ver-
langt. Bei dem Viertel gilt er daher ein Ach-
tel, bei dem Achtel ein Sechzehntheil u. s. w.
Aus dem, was oben (i25) und bei Gelegeu-
hyit der von Franchino vorgeschlagenen Noten-
bezeichnuug gesagt worden ist, erhellt, dass m
unserer Notimmg der Punkt an der Note nicht
allezeit eine Verlängerung des Tones in das
i8G Allgemeiner Theil.
fol^^ende Moment, (J / statt J^/ j^) anJeutel,
sondern dass er zuweilen des einmal ein^^efühiten
Systems unsrer Notirung wegen, der Note bei-
geschi'ieben werden muss ( j. ) , um die volle
Zeitdauer eines Momentes auszufüllen. Unsre
Notenzeichen nämlich deuten einzig die Halbi-
rung an, und haben deswegen auch alle ihre
Benennung von dergleichen Theilung durch
Zwei erhalten, z. B. Viertel, Achtel, Sechzehn-
theil u. s. f. Wollen wir nun die Länge des
Tripeltaktes, welche drei Zeiten enthält, so
müssen wir, weil wir für eine solche Dauer
kein besonderes Zeichen , und eben so wenig
den Franchino'schen Taktschlüssel haben, uns
mit dem Punkt an der Note helfen, z. B. J_
9 e" m'' Dieser Punkt ist keine willkührliche
Verlängerung, welche die Dauer eines Tones
aus einem Momente in das andre hinübei'zieht,
sondern der Punkt bildet mit der Note ein
selbstständiges Moment, das wir nur iu Er-
mangelung eines einfachen Zeichens mit dem
zusammengesetzten der punktirten Note bezeich-
nen müssen. Punklirte Noten dieser Art, wel-
che im ungeraden Metrum ein dreigetheiltes
Hauptmoment bezeichnen :
A A l J.
a a a a a a ••• i d ä
Von Punkten und Pausen. 187
ekelten also in metvisclier Hinsicht ganz für ein-
fache. Es ist bemerkenswerth , wie der Metri-
ker, indem er den „falschen Nebenbegrifien aus
der Musik" entgehen will, sich selbst durch"
falsche Begrifi'e von Musik irre leitet. Hätte ihn
die zufallige Bezeichnung des dreigetheilleu Mo-
mentes durch die punktirte Note nicht zurück-
geschreckt, so war ihm vielleicht bei der Be-
zeichnung Franchino's das wahre Verhältniss
des ungeraden und gemischten Metrum nicht
entgangen. So veranlasste aber das Zufällige
der punktirten Note iu der musikalischen Be-
zeichnung das ganze Gewebe von li-rthtimern,
das unter dem JNamen der Hermann sehen Me-
trik bekannt ist.
2o4.
Willkührlich ist der Punkt an der Note nur
dann, wenn die Note ohne Punkt schon das
ganze Moment ausfüllt , z. B. :
J. .'^ J J
Die Willkührlichkeit dieser Punktirung erhellt
daraus, dass der Gehalt der Note mit Eiuschluss
des Punktes , nicht in der metrischen Form
selbst enthalten ist. So entsteht z. B. das punk-
tirte Vierlei in dem obigen Beispiel des Vier-
vierteltaktes nicht in einer der Formen des
geraden Metrum, sondern durch eine willkür-
liche, d. h. metrisch nicht angedeutete Verlan-
i88 Allgem einer Tj»eij.
gcvung des Tones in das folgende Moment. Das
Moment seihst erhält auch tiadurch kchie Ver-
längerung, sondern der Ton klingt nur unah-
gesetzt in das folgende Moment hinüber j daher
ist der Punkt bloss als eine Abbreviatur der Fi-
gur J^J^ /■ zu betrachten, er ist mithin mehr
ein musikalisches (auf den Ton sich beziehen-
des) Zeichen, als ein eigentlich metrisches. Hin-
gegen das punklirte Vierlel in folgender Figur
I ^ > ^
0. e a »
ist in der metrischen Form des ersten Päon an-
gedeutet. Der Punkt ist also nicht willkühr-
lich, sondern vertritt mit der Note zusammen
das Zeichen des dreigethejiten Momentes in Er-
mangelung einer einfachem Bezeichnung.
2o5.
• Die willkürliche Punktirung einer Note enl-
izieht daher der folgenden von ihrem wesentli-
chen Gehalt allezeit so viel, als auf den Punkt
verwendet wui'de. Auf ein punktirtes Viertel
z. R. kann zu Erfüllung des, mit dem Punkte
angefangenen Momentes, nur der Gehalt eines
Achtels folgen:
J. J^ oder J. ^
Folgte eine Note von längerm Gehalt, so würde
das Uebergreifen des Tones in tlas folgende
-Moment nur fortgesetzt , und es entständen Syn-
kopieen, die am Ende erst die Gleichheit her-
Von Punkten und Pausen. 185
stellen. Die wesentliche Puiiktirung einer Note
kann dagegen der folgenden an ihrem Gehalt
nichts entziehen, denn der Punkt führt den
Ton nicht in das folgende Moment, sondern,
bloss zum Ende des von der Note angefangenen
Momentes; daher können mehr punktirle No-
ten dieser Art .auf einander folgen , ohne dass
Synkopieen entstehen. So gewiss bewährt sich
also die metrische Verschiedenheit dessen, was
selbst unsre musikalische Bezeichnung mit dem-
selben Zeichen, der punklirten Note, andeutet.
206.
Es fragt sich nun, in wie fern die Note mit
dem Punkte in dem Maas eines Verses gebi-aucht
werden könne?
Dass die wesentlich punktirte Note (im Tri-
peltakt) als Versmaas gelte, ist aus dem eben
Gesagten klar. Die aus der Natur des Metrum
abgeleiteten Formen enthalten das Maas, wel-
ches sie bezeichnet (die dreizeitige Länge) , und
in den Wörtern der Sprache (z. B. ausrufen,
anbeten, H e e r f ü h r e r) , zeigt sie sich unver-
kennbar. Die Zulassung der willkürlich punklir-
ten Noten als Versmaas, möchte dagegen noch
einigem Zweifel unterworfen scyn.
207.
Ist der willkürliche Punkt, wie (2o5) er-
wiesen worden, nicht ein metrisches, sondern
juo A 1 1 g e 111 e j u e r '1 h e i 1.
ein mtisikalischeü Zcicheu, wie er denn auch
hauptsäclillch in accentirlcn Pvliythmen vorkomml,
die dtr Musik vorzüglich angehören, so findet er
bei dem absoluten Maasse des Rhythmus und des
Verses allerdings nicht Statt; nur lasse man
sich auch hier von der Aelinlicidteit punklirler
Noten nicht verleiten, einen Punkt für will-
kürlich zu halten , der wesentlich, d. h. in den
metrischen Formen gegründet ist. Dieses ist
der Fall hei dem flüchtigen Daktylus {J^ ^ J^),
und bei dem trochäischen Päon ( J^ J^ ^^ ^»5
Es ist mehrmals in der Ableitung des flüch-
tigen Daktylus gezeigt worden, dass seine Länge
eine unvollkommne und unbestimmte sey, die
selbst die musikalische Bezeichnung nicht mit
voller metrischer Genauigkeit bestimmt. Denn
sie enthält eigentlich nicht ^, sondern nur f
der vollkommenen zweizeitigen Länge (des Vier-
tels), wie die Entstellung:
zeigt. Die Musik bedient sich aber in ihren
Zeichen einer metrischen Ausgleichung (Tem-
peratur), um Verwirrungen zu vermeiden, und
deswegen müssen wir die reine metrische Form
des flüchtigen Daktylus, in welcher, kein Punkt
ist, durch Einmischung der puuklirlen JN ote be-
zeichnen.
Von Punkten und Pausen. l'gi
Dasselbe findet Statt bei dem Päon, den wil-
den trochäischen nennen. Er entsteht durch
Zerlegung des kurzen Momentes im Trocliäus,
während das lange sich quantitirend , also zur.
trochäischen Form von neuem rhylhmisirt :
— W« «-^ kW
Die oben erwähnte metrische Temperatur, wel-
che die Bezeichnung des flüchtigen Daktylus
ordnet, macht bei diesem Päon ebenfalls die
Bezeichnung
nöthig, welche aber nicht eine willkürliche
Verlängung der ersten ]N ote , sondern nur ihr
Quantilätübcrgewicht gegen die zweite ausdrückt,
das in der metrischen Form gegründet ist. Wir
wenden also in diesen beiden Fällen ein musi-
kalisclies Zeichen zu Bezeichnung eines ähnli-
chen metrischen Verhältnisses an, weil uns ein
eigenlhümliches Zeichen mangelt, itnd so be-
dienen wir uns der punktirten Noten in den
Formen j^ ,^ *" und j^ J^ J^ ^^ mit demselben
Recht, als bei der Bezeichnung der dreizeitigen
Längen (J. ) in andern metrischen Formen.
208.
Als Bestätigung dieser Sätze dient die Spra-
che selbst, Avelche in llüchti!? daktvlischen und
iga Allgemeiner T h e i 1.
päouischen Wortfüssen, das angegebene Maas die-
ser I^oi'men hören lässt. Die Daktylen: Flüch-
tiger, Lilie, spricht niemand anders, als in
diesem Maas : j^ ^ ,]^. Eben so spricht jeder den
trochäischen Päoil : Feierlicher, in dem ange-
gebenen Maasse : J^ ^ ^^ ,^5^ , es war denn, dass er
in bloss accentirten Rhythmen vorkam, wo er
ebenfalls bloss accenlirt, z. L. :
in der schauerlichen Stille
feierlicher Mitternacht
ausgesprochen würde. Anders im cjuantitiren-
den Vers:
^^l ^Ä^5»l '^^^J^l^l >iJ^{^!i
f r ' '
^ ^ I _»*.W-' I — ^ K^ ^ I — ^ s^ ^ 1 —
Da ertönten Melodieen , und die Liebliche versank
mit den tanzenden Gespielen in das silberne Gewog
Dass dieser trochäische Päon sich auch im Spre-
chen von dem ersten Päon (J J^ J^ J Iws^^w
göttlichere) unterscheide, zeigt sich leicht iu
der Vergleichung.
209.
In andern, als den angegebenen Rhythmen,
die punktirte Note zu Messung der Verse anzu-
wenden, gränzt nah' an WiHkühr. Deswegen
ist auch Voss' Messung trochäischer
V o 11 P u 11 k t e n u ii d P a u s e n.
Uj3
I > I J ! I > I j
#. # 0 s i m- 0 0 0
Eürgtrwohlfahrt sann er rastlos
und iambisclier \erse:
J I J. jN J IJ. J'^ J J I J. .^^ J
Arbeite mutvoll , Trage flieht Glückseligkeit
welche er durch Punklirung hewcrksteliigt, nicht
zu billigen. Der Musiker kann allerdings, durch
die schon erwähnte Kraft der Musik, die proso-
dische Quantität aufzuheben, dergleichen Verse
nach diesem Maas komponiren, indem er sie
aus dem quantitirendcn Pvhythmus auf den ac-
centirten zurückführt , allein für den quantiti-
renden Rhythmus des Verses selbst ist jene Mes-
sung untauglich. Auch hier irrt also Hr. Dir.
Gotthold (S. 09), wenn er glaubt, diese Theo-
rie löse die Aufgabe, wie wir Neuem Gedichte
in antiken Versen in Musik setzen können. Ge-
rade umgekehrt! Sie zeigt den wahren Rhyth-
mus alter Verse ganz abgesehn von musikali-
scher Behandlung. Der Musiker kann den tro-
chäischen Rhythmus auf die von Voss angege-
bene Art behandeln; aber der wahre trochäi-
sclie Rhythmus und das trochäische Metrum ist
es dann nicht, sondern eine Transposition in
das accentirle Metrum
J J J J I J J J J
mit Verstärkung des trochäischen Charakters in
der Bewegung, durch den Punkt:
J. .N J IJ. .N J
]o4 All^e nie i II er 1' h e j 1.
So verwandelt aucli die Musik den Irochäischeji
Piiou in den accentirten Ditrochäus , der quan-
litireud ein Proceleusmatikus ist , z. B. :
j .^ ;^ i j .^ jM j .^ ; N
Seht wiV d'?m Mai tlle Natur sich verjungt.
Fröhlicher Gesang u. s. -w.
Voss u. Reichardt.
WO dieser Päon ohne allen Zwang die Zeit ei-
nes schweren Daktylus vertritt, dessen Stelle er
einnimmt. Wer wollte wol eine solche musi-
kalische B/^handiung tadeJn? Gleichwol ist die
musikalische Messung vonVlem eigentlichen Maas
des Yersrhythmus verschieden. Der (208) an-
geführte trochäisch -päonische \ers wüi'de von
der Musik als ein leichter trochäischer Tetra-
mcter
_<M — w I _.*/ — w I — s.*— te* 1 — <^ —
und die Weberin der Fluten in dem muschlichen Gezelt
der seine Längen nur accentirt, ungefähr wie
kf'/f de av nara nod'cc vfolviu f^nlea
behandelt werden können, aber mit einer ein-
zigen Zusammenziehung, z. B. :
.M ." j5 ;! .ij I .^'* .f* .M .^^'! ."* i w
u
wirkt Teppiche dem Lager, das die Liebenden rereint
ist die Täuschung aufgehoben, und der quan-
tilirende Rhythmus tritt vor. Dann verlangt
der accenlirende Leser wirket statt wirkt.
Von Punkten und Pausen. iq5
das den quantitirenden befriedigt. Wir glauben
hierdurch zugleich gezeigt zu haben, wie ent-
fernt unsre Theorie von der Einmischung mu-
sikalischer Eigenheiten in das Maas des Rhyth-
mus an sich sey.
210.
Pausen hat man zu betrachten als ideelle
metrische Momente, d. h. als Ausfüllungen der
metrisclien Reihe , die dem äussern Sinn nicht
zur Erscheinung kommen.
Schon der Begrilf von Pausen als etwas Ideel-
lem im Gegensatz eines Reellen zeigt, dass sie
dem reinen Begriff des Metrum und des Rhyth-
mus fremd sind. Erst wenn der Rhythmus zur
Erscheinung kommt, z. B. in Tönen, lässt sich
unterscheiden, ob alle metrische Momente wirk-
lich (in Klängen, Sylben u. s. f.) erscheinen,
oder nicht. Vorhanden sind alle Momente in
der metrischen Reihe, z. B. :
.^ .f! .N\'> J^ I J ." 1 ." \ i ." i i" I J.Nr
Als er dem lieblichen Rosenmund sieghaft den Ersllini^ku.s«
geraubt
Nun setze man aber den Fall, dass der Rhyth-
mus nicht alle diese Momente zu seinem Er-
scheinen brauchte, z. B.:
j'^ .1* .^^^'^ I JrijNJjNj'^IJ.Nr
Als von dem blühenden Mund er kiiJin den ErsLlingknss
geraubt
ig6 Allgemehiei- Tlicil.
SO "Werden die scliweig-ciidrn Momente durch
Pausen ausgefüllt, -welclie, so gut als die Noten,
rhythmische Momente sind, nur ideelle, ehen
weil sie nicht reell erscheinen, sondern bloss in
der meti"ischen Reihe (die in Beziehung auf den
wirklich erscheinenden Khythmus ideell ist),
vorhanden sind. Die Pausen gehören mithin
nicht unsrer neuei'n Musik an, sie sind viel-
mehr ganz in der Natur des Metrum und in
der Totalität metiüscher Reihen gegründet. Nur
unterscheide mau wohl rhythmische und metri-
sche Reihe. Innerhalb der rhythmischen Reihe
kann keine Pause vorkommen, *) allerdings
aber zwischen zwei Rhythmen in der metrischen ,
Reihe, welche sie verbindet, wie das obige Bei-
spiel zeigt.
211.
Sind die Pausen aus der Natur des erschei-
nenden Rhythmus erwiesen, so sind sie auch in
*) Dass die Pausen , z. B.
nur abgestossene Klänge bezeichnen , ujid also die
rhythmische Reihe nicht unterbrcclien , hört Jeder.
Sie sind ebenfalls keine Erfindung der neuen Mu-
sik , und wurden in alten Zeiten anders als durch
Pausen bezeichnet. Die aUen Blusiker nannten diese
Art des Vortrags Ochelus, oder Hochctus, Ifoijuetus.
Von Punkten und Pansen. 197
der Messung der Verse anzuwenden, z. B. am
Ende von Versen, deren Rhythmus nicht die
ganze letzte metrische Periode ausfüllt, wie eben-
falls das vorige Beispiel zeigt, oder auch in dtn-
Mitte des Verses, wenn eine rhythmische Reihe
mit einer kurzen , statt der langen Sylbe sehlicsst,
z. B.:
e. »^ o e. »^ 6 c 7 « 1 • « 0. m^ ä »4
Omnia vinciL amor , et nos cedamus amorl
Folge dein Glücklicheren, Glück spenden die seligen
Götter
wie noch deutlicher in dem Abschnitt von dem
Maas der letzten Sylbe in rhythmischen Rei-
hen, gezeigt werden wird.
21 2w,
Diese ISalnr der Pause setzt es schon ausser
Zweifel , dass auch die Griechen sie gekannt ha-
ben, war uns auch historisch noch weniger da-
von bekannt, als wirklich der Fall ist. Die
\ olikonnucnheit solcher Bezeichnungen entsteht,
wie die Geschichte der Musik lelu-t, sehr ^pät,
und erst nach manchen vergeblichen Versuchen.
Wir haben oft bemerkt, dass es selbst nnsrcr
Notirung, die doch zu Aufzeichnung grosser
musikalischer Werke hinreichend ist, noch an
vollkommener Bestimmtheit fehlt, und ein Isaak
Vossius, Meibom, oder Hermann künftiger Zeit,
würde nach einem Zeitalter von Barbarei aus
igS AHg emejner Theil.
uiisrer Notlrung so wimderliclie Sätze über un-
sre Musik heran sklügeln (z. B. von Takten, die
Lloss drei Achtel eines Taktes enthalten haben),
als mau uns jetzt von der Musik der Griechen
vorträgt und bewundern lässt. Dass die Grie-
chen zweierlei Pausen kannten , die einfache
(Af^jMjM« und die doppelle n^oa-&eGig) bestätigt
Arislides (Ed. Meib. S. 4o.). Die genaue Mes-
sung dieser Pausen möchte aber nicht leicht
aufzufinden seyn; vielleicht hing sie, so wie die
Messung der Länge im Yers, von der Stelle ab,
welche sie im Rhythmus einnahm. Warum Her-
mann diese deutliche Stelle des Arislides igno-
rirt, wo er allen Pausen den Rechtsgrund ab-
spricht, ist nicht einzusehn.
Vom Schlüsse der Rhythmen.
2l3.
Wir haben bis jetzt die erste Seite der rhyth-
mischen Figur betrachtet, nämlich die Bewe-
gung. Es bleibt uns noch übrig, die Verschie-
denheiten des Schlusses und des Aufauges
zu betrachten.
2l4.
Die metrischen Formen zeigen uns hier eben-
falls die Verschiedenheiten an; denn, wiewol
sie, metrisch betrachtet, alle die ganze Periode
erfüllen, so schliessen sie doch, als Rliythraen,
V o tu Ö c h 1 u s s © der R h y t lim e n. 1 99
Lald auf diesem, bald auf jenem Moment der
Periode. So scliliesst der Choriamb , wo er me-
trische Form ist, auf der Arsis des zweiten
Hauptmomentes,
Nebelgewölk
und für den Rhyllimus des Choriamben ist es
gleichglihig, ob dieses zweite Moment seine
Thesis reell erscheinen lässt, z. B. :
Nebelgewölk verhüllt
oder nur ideell, im Punkt oder Pause, wie das
vorige Beispiel zeigt. Dagegen schliesst der Iro-
chaischc lihythmus
j ; j ;
Morgenröthe
als metrische Form, auf der Thesis des zweiten
Hauptmomentes, und so sind beide Rhythmen,
bei gleichem Metrum, doch in Ansehung des
Schlusses verschieden,
2l5.
Die Verschiedenheit des rhythmischen Schlus-
ses beruht, wie schon diese Beispiele zeigen,
auf der Verschiedenheit der metrischen Momente,
200 Allgemeiner Tlieil.
in welche tlcr Sciiluss des Rhythmus fallt. So
viel Momente ei'Ster und zweiter Ordnung die
Periode eines Metrum hat, so vielerlei rhyth-
mische Schlüsse werden in diesem Metrum vor-
kommen können.
Je nachdem nun das Moment, welches ei-
nen Rhythmus schliefest, eine Arsis ist, oder
eine Thesis , oder das letzte von dreien ( im
Tribrachys oder Daktylus), werden wir den
Schluss den arsischcn, den ihetischen,
(>der im dritten Fall den schwebenden nen-
nen. Arsisch ist z. B. der choriambische Schluss:
> ^ > !
Morgengestirn
thelisch ist der trochäische:
•1 > J J^
c « tf •
Morgenröthe
Schwebend der flüchtig daktylische:
N ^ > ^ N %
s. m^ m f . «^ «
Flaramengewallige
Man hat den flüchtig daktylischen Schluss nicht
ohne Sinn schwebend genannt; denn die letzte
Sylbe dieses Daktylus schwebt wirklich, wie
oft erwähnt worrleu ist. zwischen arsischem und
rl I et i sei I cm Chava ktcr.
Vom Schlüsse der Rhythmen. 2*1
216.
In acceutirten Rhythmen begnügen Avii* uns
hekamillich mit dieser Eintheilung. Den ar-
sischen Schluss hat man auch den steigenden,
oder den männhchen genannt:
O schmücke dich, du grünbelaubtes Dach! Schiller
Die Italiäucr nennen Verse, welche steigend
schliessen, versi trouchi, gleichsam als mau-
gelte ihnen etwas, nämlich die Thesis.
Den thetischen Schluss nennt man in accen-
tirlen Versen auch den fallenden, oder, viel-
leicht seiner Weichheit wegen, den- weibli-
chen:
Und scherzt und spielt um ihre Rosenwangen Ders.
Diese \erse nennen die Italiäuer versi piani.
Den schwebenden Schluss bezeichnet man
auch in accentirten \ersen mit diesem JNamcn:
Lieblicher tönende,
Wälderverschöuende.
Die Italiäner nennen sie versi sdruccioli.
Dieser Scliluss vertritt bei ihnen auch die Stelle
des fallenden , und steht unter diesen vermischt
in demselben Gedicht, %. B.:
Quando procuro a' miei ma^gior tristizia. Dante
was wol auch im Deutschen , z. B. :
Euch lohn' ein Kranz hells^rüner Petersilie. Voss
So triiiniHit, erliegend noch, Ilispauia. Schlegel
doch nicht leicht mit Endungen, die keine Zu-
samnien/.icliiinir gcj-JalU-u , wie:
J02 A 1 1 ^ « in e I II e r T h e i 1.
Als rings umher Thalgrund und Fels orzilterte
vorkommen wird. In alten deutschen (iedicli-
ten ist dieser Ausgang statt des zweisilbigen
nicht selten, z. B. :
Sie war ihm das unwehrende
iu Wolframs Titurel.
In quantitirenden Pihythmen dagegen kön-
nen wir uns mit di<;ser Abtheilung nicht be-
gnügen; denn die Schlüsse sind verschieden,
nachdem sie auf einem Moment erster, oder
zweiter Ordnung stehen, und über dieses macht
die Verschiedenheit des Metrum noch manchen
Unterschied. Wir müssen daher die rhythmi-
schen Schlüsse im Einzelnen nach diesen ver-
schiedenen Bestimmungen betrachten.
2l8.
1. Arsische Schlüsse. Diese fallen
a. im geraden oder sponJeischen Metrum
(/. auf die Hau2)tarsis. Z. B.:
- ^ ^ I _ S^ w. 1 _
4im\4*G\d
Hoch in die Luft sich erhob
ß auf die Arsis des zweiten Momentes:
<^ -^ S^ ^ I ^ ^ w»
^ N N N I N > N
• • • « \ 9 » m
vioXvrn nehu
O wie si(h am Horizont s
Vom Schluss der Rhytiimen. so5
219.
b. Im gemischten Metrum:
« Auf die Hauptarsis
Lobgesang erschallt
{i Auf die Arsis des zweiten Momentes
— >p» —
Jagdgesang
220.
c. Im molossischen Meti-um:
a auf die Hauptarsis
Wehklag' in der Luft.
ß auf der Arsis des zweiten Momentes:
f ' f
! I ^ ^ 1 > > >
ä ä 0 m \ 0 0 0
Tod fand in dem Labirinth
y auf der Arsis des dritten Momentes :
— — «-/w I — »^M^»rf
0 0 0 0 \ 4 0 m 0
Andrang die gewaltigere
id4 A 1 1 ij e ra c i n e r T h e i I.
22 ] .
d. Im tripodischcn Metrum:
a auf der Hauptarsis
m. Jr • 0 • «^ « a. 4^ 0 I 0.
hallt dithyrambischer Jubelgesang
Es versteht sich von selbst, dass die Gattung
des Gedichtes beslimmen muss, ob ein solchex*
Vers diese, oder die dipodische Messung
habe.
ß auf der Arsis des zweiten Momentes:
I j^ I ^ I ^ I i > I
Ueberall von Feindesuiacht bedrängt
y auf der Arsis des dritten Momentes:
d m » » e ^
schraerzenvoU geliebt.
' 222.
c. Im ungeraden Metrum , wozu besonders
das parapäonische, oder trochäisch-
päonische gehört, kommen folgende ar-
sische Schlüsse vor:
a auf der ersten Arsis
^ Ä 5> i^ i >
J. ^ e" J^ I «J
schaucrlichp Gruft
Vom Schlüsse der Rhythmen.
ß auf der zweiten Arsis
— w .w^ »< I — W W
«. «^ e^ e^ I ». a ® 7
zagte die Erröthende,
223.
2. Thetisclie Schlüsse. Sie fallen:
a. im geraden (spondeisclien) Metrum:
« auf die Hauptthesis
J '^ j^ I I 1
« 0 «1 I c •
blüht Paradieslust
|ff auf die Thesis des ersten Momentes:
_ w w I ^ ^
j ^ ^ I > >
Peinigerinnen
y auf die Tliesis des zweiten Momentes;
Af/f d"; ai» xttTu Tcoda
224.
6. Im gemischten Metrum:
« auf die Hauj)lthesis
_ ^ _ w I _ -
Silberhell im Moadslaii;-
2ü(> Allgemeiner Thcil.
Dieser rliytlimische Schliiss war bisher von dei^
Theorien verkannt Avorden, so wie die spon-
deische Form des gemischten Metrum (129) über-
haupt. Man verwechselte ihn, durch die fal-
sche Ansicht der Unbestimmtheit in der End-
sylbe verleitet, mit dem folgenden Scliluss, von
dem er, wie das ^Maas zeigt, ganz verschie-
den ist.
ß auf die Thesis des ersten Momentes:
J jN ; I J / ? '
Göttermacht der Liebe
Dieser Schluss wird selten am Ende eines Ver-
ses vorkommen, öfter in der Mitte. Z. B. :
^ 1 _. ■^ I - ^ ■) - -^ I _ w,-
• q>Q0Vi]f.iC(TO}v ineOTiv, fv&vvog ßocQVS Aeschylus.
Auch seiger Himmelsgötter glanzumwogtes Reich
/ auf die Thesis des zweiten Momentes:
J .N J
Morgenröthe
WO d^er Rhythmus die ganze metrische Form
ausfüllt.
225.
c. Im molossischcn Metrum:
« auf der Hauptthesis
,| ^i
> "^ I I I /"^ > I ' '
Vom Schlüsse der Rhythmen. 20-
Liparei nitor Hebri
wo das Land Raub der Gewalt ward.
ß auf clev Thesis des ersten Momentes:
und die Schicksalsgöttinnen
y auf der Thesis des zweiten Momentes:
^ w I _ w ^
1 i > > I i > ,>
4mm m \ • m m
Anstürmt der Gewaltige.
Auch dieser rhythmische Schluss wird leicht» r
in der Mitte:,
^Vl JJ.\''!JjV /w'^IJJJI J J
Dein Ratlischluss , Uuerforschlicher! wer im Weltall
durchschaut ihn ?
uls am Ende eines Verses vorkommen.
d auf der Thesis des di-itten Momentes :
w^ 1 w
m 3 m m I««« •
Rettung von den Rachgöttinnen
«in seltner und wenig branchbarer Rhythmus!
226.
d. Im iripodischen Metrum
« auf tler Hauplthesis:
m. m' m m. m^ m 4 4 < m. ä. ^
2tj8 Allgemeiner Th e i 1.
Impavidum fericnt ruinae
Hemme den Flug, du ereiltst dir Unlust.
ß auf der zweiten Haupttliesis, weun näm-
lich das zweite Moment, wegen vor-
hergehender Thesis aus Zerfiiliuug
des ersten Momentes, arsische Kraft
bekommt, und das dritte Moment
nun dem zweiten als thetisches Ge-
genbild nachklingt:
J/J. J.
Götterweisheit
eine nicht seltne Form des Rhythmus, z. B. mit
dem Auftakt :
^ \ I^J I I >^'^l Ri^l
d i 0 c d. «'. 1 •.«*'« J. «^ «j •'.
v,sivo)v Xv&evTbjv Goiig vno '/^eQOiv ava'§ Pin dar
Aus dunkler Felsicluft steigen Gestalten empor
und in mehren andern Versen.
y auf der Thesis des ersten Momentes:
J jN. J.l J.^
blutge Kriegsarbeiten
i auf der Thesis des zweiten Momentes:
J.N/ Jj^ I J. J-l*
Hingebannt zu dunklen Grabnächten
e a
VomSchluäs der Rhythmen. 209
iif der Thesis des dritten Momentes :
bei des Bachs Geh'spel
WO wieder der Rhythmus die metrische Periode
ausfüllt.
227.
e. Im ungeraden Metrum
« auf der Hauptthesis:
- «^ w ^ I _ ^
Feierliche Glocken
/? auf der letzten Thesis :
dl. !.> »^ m^ I #J. #N J^ *N
Düsterer und schauerlicher.
228.
3. Schwebende Schlüsse:
a. Im spondeischen Metrum sind sie unmö^^-
lich, Aveil dieses keine Theilung in drei
Momente gestattet.
229.
h. Im gemischten Metrum finden sie sich:
a auf der ersten Stelle
I "^ '^ & i^ i > ^ >
Weins wie giäuzende i,ilieu.
i4
aiO Allg euiei ner Theil.
ß auf der zweiten Stelle :
porrige labra , labra corallina
Reiche die Lippen, die süssen, koralleneii
und in der Mitle des Verses:
Jam Cytherea thoros ducit Venus , imminente Lunsi
H o r a t.
Chöre voa Tanacnden führt nun Cypria , bei des Moa-
des Lichtglanz.
25o.
c. Im molossisclien Metrum kann der schwe-
bende Schluss so wenig vorkommen, al»
im spondeischen.
d. Im tripodischen Metrum kommt er vor
a auf der ersten Stelle:
Hoflahrt leitet zum Fall die Gewaltigen.
ß Auf der zweiten Stelle:
Wo sich in dumpfen Geheul der Orkan ankündiget.
Vom Schluss der Rhythmen. 211
y Auf der dritten Stelle:
I ^ ^ l^ > > i^ >
' j ^ «I ^ • j. i^ «
Zürnend floh die Erröthende.
Wahrscheinlich hat mancher für glykonisch ge-
haltene Vers dieses Maas. Mi st man z. B. die
asklepiadische Strofe mehr mit Hinsicht auf cho-
riambisclien, als ionischen Rhythmus, so ist ihre
Messung tripodisch:
Et malus celeri sauciiis Africo
Wie der Mast von des Süd fliegendem Sturme wund
Antennaeque gemant, ac sine funibus
t
»amt den Rahen erseufzt, und wie der Tau' ent-
blösst
— «-« — «-s^ — »rf I — ».' — w«^ — .^«^
Vis: durare carinae possint imperiosius (aequor) Horat.
kaum ausdaureu der Rumpf mehr kann den übergewalti-
gen (Meerschwall) Voss
und wir erkennen in dem letzten Takt den
eben erwähnten scliwebenden Schluss. Hora-
tius, der die choriambische Bewegung sehr vor-
schalkn lässt, halle wahrscheinlicli dieses Maas
im Sinn, währeud die Gi'iechen, die den ioni-
212 AllgeiucJuer Tlieil.
seilen Rhythmus im asklepiadischeu Ver.s vor
«challen Hessen , vielleicht so:
! N ^ t ^ I I > Ej > I I > I -ii
d da. e^ » I J. J. 0^ d I • •' d 'W
Auswärts schauendem, sanftbogigem Doppelhüru
fügt, anspannend, er leichtzitternde Sehnen ein.
J/.^/.'^ I J. J.
V
Froh antwortete Lyra
»««. «N« \ 0 d d
bald ambrosischer Finger Ruf.
diese Strofe gemessen halaen.
202.
e. Im leichten, ungeraden Metrum, kann der
schwebende Schluss nur als Ausfuilung der gan-
zen Periode durch den flüchtigen Daktylus vov-
kommen. Dieser Schluss ist aber selten, v/ie
denn überhaupt, ausser den parapäonischen,
nicht leicht quanlilirende Rhythmen in dem
leichten ungeraden Metrum vorkommen wenlen.
255.
Wie die Grammatiker sich in Bestimmung
der Schlussverschiedenheiten der Verse durch
die Katalexis helfen, kann erst in der Folge,
Vom Anfang der Rhj'thmen. 2i5
WO vom Vers selbst die Rede ist, erläutert wer-
den (426).
Vom Anfang der Rhythmen.
254.
Aller Rhytlimus fängt seiner Natur nach
notliwendig mit der Ai'sis an; denn die Thesis
ist etwas bedingtes, dessen Begrili" nur unter
Voraussetzung einer Arsis Sinn hat. So we-
nig indessen der Rhythmus in der Erscheinung
das Ende der metrischen Periode notliAvendig
erreichen muss, eben so wenig ist sein reelles
Hervortreten au den Anfang dieser Periode ge-
bunden. Wie er seine thetischen Momente
ideell ausfiilien kann, so kann er auch die ar-
sischen ideell erfüllen, und mit den thetischen
erst sein reelles Erscheinen anfangen. Vom
Rhythmus, dessen Arsis im Ideellen liegt, und
dessen reeller Eintritt mit der Thesis geschieht,
sagen wir: er fange im Auftakt an. Die Mu-
siker, die den metrischen Sprachgebrauch um-
gekehrt anwenden, sagen: er fängt in Arsi an.
205.
Wenn der reelle Rhythmus, mit der letzten
Thesis der Periode, unmittelbar vor der Ilaupt-
«rsis (vor dem vollen Takt) eintritt, z. B.:
; '1 j } j. j.
Dort wohnt er glanzvoll
ai4 Allgem e iner Thcil.
SO nennen wir diesen Anfang den einfachen
Auftakt; tritt er aber früher ein, so dass er
schon untergeordnete Arsen hören lüsst, z. B. :
k^ y^ -^^ I — .«■'«»'NM'*'«' I • ^
und es versanken die Monumente
so nennen wir ihn den zusammengesetzten
Auftakt.
206.
Die Grammatiker hörten zwar olme Zweifel
so gut, als wir, den Unterschied zwischen Auf-
takt und Nieder.takt, und vernahmen den Rhyth-
mus ^ I J J^ J gewiss nicht als den, den wir
J^ JJ^ I J hezeichnen würden ; gleichwol bedien-
ten sie sich für den Auftakt wahrscheinlich so
wenig einer bestimmten Bezeichnung, wie unsre
neuen Musiker vor nicht viel mehr, als einem
Jahrhundert. Man verstand sich indessen auch
bei geringerer Bestimmtheit der Bezeichnung,
und selbst bei Ermangelung eines Namens für
die Sache. In unsern Zeiten war Begriff und
Wort den Musikern längst bekannt, als die Me-
Irikcr, die an den Worten der Grammatiker
hingen , noch die wunderlichsten Ansichten von
Versen im Auftakt hatten.
207.
Benllci (de Metris Terentianis) scheint, we-
Tiiqslens hei den iambischen Versen, das Bediic
Vom Anfang der Rhythmen. ai5
geahndet zu haben , indem er bekennt , dass er
sie von jeher nach trochäischen Dipodien mit
Vorschlag eines Halbfusses:
Po ( eta dederit | quäe sunt adolescentium
sliandirt habe. Allein Hermann musste zuerst
(1796) die Melriker unsrer Zeit aufmerksam ma-
chen, dass es Rhythmen gebe, die nicht im Nie-
dertakt, sondern im xiuftakt anfangen. Wenig-
stens zeigt der Name Anakrusis, den Her-
mann dem Auftakt gab, und den die Metriker
angenommen haben, dass sie durch den Erfin-
der des iSamens zuerst von der Sache Kenntniss
bekamen. Wir lassen ihnen den ISaraen, der
ohnehin nicht ganz für die Sache zu passen
«cheint, und bedienen uns des passenden und
allgetnein verständlichen Wortes: Auftakt.
208.
Ausser dem Auftakt will Hermann (de me-
tris p. 21. und Metrik §. Sg.) noch eine beson-
dre , Avillkürliche , und von den Grammalikern
vcrnacldässigle Einrichtung der Dichter bemerkt
haben, die er Basis nennt. Da wir diese Sache
hier nur erwähnen, weil mehre Theoretiker auf
Hermanns Autorität von einer Basis sprechen,
so wird es am besten seyn, diese Basis mit den
Worten des Entdeckers zu beschreiben ; denn
an das, was die Grammatiker Basis nannten
(Verbindung zweier Füsse. S. Marius Victorin.
ai6 Allgemeiner Theil.
p. 2489.) , ist dabei nicht zu denken. Indessen
wird es gut seyn, hier einige Beispiele der Her-
manuischen Basis zu geben, damit die Leser
wissen , wovon die Pvede sei. In folgenden
Versen :
Nunc de-
Wieder
Teucer
Tydeus'
Quamvis
Erdum-
siderium, curaque non levis. Horatius
trägt dich, o Schiff, neues Gewog ins Meer
Voss
te Sthenelus sciens
Sohn, dem der Vater weicht
Pontica pinus
wandelnde Sterne
sollen die vorn abgeschnittenen Sylben jedes
Verses die Basis seyn. Hermann bezeichnet
diese Basis so :
.. ..I— s./«* — *^ —
KvjtQt-dog &cilog wleaev
hoc non pollicitus tuae.
259.
„Noch verdient — sagt Hermann §. 09. — -
eine willkürliche, und von den Grammalikern
Vernachlässigte Einrichtung der Dichter erwähnt
zu werden. Sie setzen nämlich vor manche
Reihen, und gemeiniglich vor solche, die mit
der Arsis, und nicht mit der Anakrusis anfan-
gen, zwei, aucli drei Sylben ohne allen Ivhyth-
mus, gleichsam um dadurch eine Versammlung
der Kräfte auszudrücken, die zu der folgouden
Vom Anfang der Rhythmen. 217
Ileihe gebrauclit werden sollen. Dass diese Syl-
hen gar keinen Rliytlimus ' haben , ergibt sich
aus dem Maasse derselben, welches ganz unbe-
stimmt ist, und mitbin allen Rhythmus aufbebt.
Wir nennen diese Sylben Basis. Sie lassen alle
vier-und zweisylbigen Füsse, und von den drei-
sylbigen den Tribracbys , den Anapäst, und den
Daktylus zu. — Die zAveisylbigen Füsse sind
in der Basis die gewöhnlichsten. Der dreisylbi-
gen bedienen sich vorzüglich die komischen
Dichter, seltener die Tragiker und Lyriker."
24o.
Die Willkürlichkeit der Dichter, welcher die
Basis ihr Daseyn verdanken soll, muss in ei-
nem System, das bloss objektive, formelle und
apriorische Sätze gelten lassen will, allerdings
etwas auffallen. Soll die Willkür der Dichter
einmal auf die Bildung der Verse Einfluss ha-
ben, und will die Theorie einmal diese Will-
kür in Schulz nehmen, so hebt sie selbst sich
und ihr angekündigtes Gesetz auf. Es wn<l
sich aber zeigen, wie das, was Hcrman}i Basis
nennt, keineswcges eine willkürliche Einrich-
tung der Dichter ist, sondern eine vollkommen
^ gesetzliche Bildung des Rhythmus.
24l.
Noch sonderbarer ist es, dass Hermann in
.seinem grössern Werke (rle raclris S. 21.) die
31 8 Allgemeiner T heil,
Basis mit der Gewohnlicit der Musiker ver-
gleicht, vor Anfang des Touslücks ein paar
Töne zu greifen. ( Ac niusiei quoque consiie-
runt, autequam symphonias incipianl, praeludii
loco, binos sonos e pluribus coucordanlibus so-
nis compositos praemiltere , qnibus simul vocis
genus, quo usuri sunt, indicant. "Wenn wir
solche Nachrichten über alte Musik bekommen
haben, wie uns hier ein gleichzeitiger Autor
über neue Musik berichtet, so ist es wol nicht
befremdlich, dass wir nicht recht wissen, was
wir daraus machen sollen.) Es ist nicht nö-
thig , das • Unpassende und Vergriffene in die-
sem Gleichniss auszuhebei ? denn dass jenes
Präludiengeräusper, das manche Musiker sich
angewöhnt haben, mit dem Tonstücke so wenig
in Verbindung stehe, als der Passagenunfug
mancher Orchester bei dem Einstimmen, ist
allgemein bekannt; die Hermaiinsche Basis ist
aber ein Theil des Verses, vom Dichter selbst
gebildet, nicht vom Rhapsoden, oder Sänger
hinzugefügt. VVären die Sylben der Basis un-
rhythmischer Ansatz, so Avär es der Natur des
Rhythmus durchaus widersprechend , mit ihm
eine uurhythmlsche Masse in den engsten Zu-
sammenhang zu bringen, und ein Dichter, der
so etwas anders, als im Seherz unternahm, ver-
diente von der Tlieorie vielmehr Tadel, als Bel-
slimmung.
Vom Anfang (Ter E.hythnifen. ai'j
Und was soll denn überhaupt diese unorga-
nische Masse an dem Kopfe des Verses? „Sie
soll eine Versammlung der Kräfte ausdrücken,
die zu der folgenden Reihe gebraucht werden. "^-
Allcin im Vers (als Vers, nicht als Dichtwerk),
ist Rhythmus das einzige Darstellungsmittcl.
Soll Versammlung der Kräfte anschaulich ge-
maclit werden, so muss und kann es im Rhyth-
mus und durch Rhythmus geschehn. Unrhylh-
misches findet keine Anwendung, und avo es
angetroffen würde, war es ein verwerflicher
Auswuchs. Klar ist es also, dass die Herman-
nische Basis der Verskunst ganz fremd, und
seine Ideen von eineui unrhythmischen Ansatz,
durch den man eine Kraftversammlung ausdrü-
cken könne, ganz unhaltbar und in sich selbst
widersprechend sei. Die getadelten Grammati-
ker irrten nur auf eine andre, und weniger in-
consequente Art, als ihr Tadler.
242.
Eben so wird es sich am gehörigen Orte zei-
gen, dass kein Dichter (wenn er nicht, als ISach-
bildner, vom Irrlicht der Hermannischen Basis
verlockt wurde), jemals an eine solche unrhyth-
mischc Missform gedacht habe. Alle \ erse, de-
ren Anfang Hermann nur durcli die Basis zu
erklären im Stande ist, werden (089) ohne diese
Hülfe, als richtige Rhythmen, ihre Messung
uTul l'>rMäriinir finchni.
220 A Ugcm einer T hell.
243.
"Wollte mau den, der Hermannschon Theo-
rie ganz unhekannlen, zn.«animengeselzten Auf-
takt (255) Basis nennen, so hätte man zwar eine
■wirklich vorkommende Sache lienannt, aber die
Ikrmannische Basis damit nicht gerechtfertiget ;
denn nur in einzelnen Fällen ist das , was Her-
mann Basis nennt, als zusammengesetzter Auf-
takt anzusehn, z. B. in dem langen Asklepia-
disehen Vers, nach der Messung, die Horatius
bei seiner choriambisch gehaltenen Cäsur wahr-
scheinlich im Sinn hatte:
-Z I ~^^- 1 -ww._ I _^^_^ I _
« « I 0. 0^« ä. I e. m^ä m. i •. 0^» es I »•
Tu ne quaesierls, scire nefas, quem mihi, quem tibi
Lass trübsinnigen Gram, sieh wie der Wald grünende
Wipfel hebt !
Die Griechen maassen diesen Vers wahrschein-
lich, wegen des vortönendeu ionischen Rhyth-
mus im Niedertakt:
i > ^ ^ ^ ! i ^ s > i i > j> > i i >
m 'j o- ^ a I •. e. m^ e 1 9. ». 9^ 0 \ d ä
yv-via'^iv voo^ oiacoqe/.e -fiyoivdogin- o^ßolog
T h e o c r i t.
Immer steht den wirthstliH fluchen Hausfrauen nach
dir das Jlerz Voss.
Ausführlicher wird dieses bei den einzelnen
A erscn erläutert werden. Man sieht indessen
V o m A n f a n g d e r R. li y t h m e n, 221
schon so Tiel. Wollte man den liorazischen
Vers mit ionisclier Bewegung messen, so be-
kämen die Schlusssylben in quaesieris und ne-
fas, ausser der dreizeitigen Länge, noch arsische
Kraft, wodurch sie gegen Sprache und Sinn
über die Gebühr gehoben würden. Ein ähnli-
ches Missverhältniss entsieht, "Vi'enn man den
theokritischen \ ei-s nach choriambischer Bewe-
gung lesen wollte. Denn wiewol die rhythmi-
sche Form eines Verses zuweilen, nicht ohne
Gewinn derBewegung, eine andere ist, als die me-
trische (197), so dürfen doch die Momente der
Kraft, Arsis und Üeberlänge, nicht auf unter-
geordnete Ptedetheile in Wortfuss und Sinn,
gehäuft werden, vielmehr ist hier eine geschickte
Vertheilung nöthig , um schwache, aber bedeu-
tende Sylben durch Stellung zu heben, starke
unbedeutende dagegen durch Stellung zu mas-
sigen. So erhält die, durch dreizeitige/ geho- / '^*
bene Schlusssylbe in quaesieris durch die Stel-
lung in die Thesis des Choriamben die nöthige
Mässigung. Sollte in Lilien fuss die letzte Sylbe
besonders gehoben werden , so kam sie bei io-
nischer Versbewegung in die erste Länge des
flüchtigen lonikers zu stehen, und der "Wort-
choriamb blieb rhythmische Form ohne metri-
sche zu seyn.
222 Allgemeiner Tlieil.
244.
Auch mit sicli selbst ist Hermann wegen der
Basis im Streit. De nittris S. '25. heisst es:
Basin ubique statim sequitur arsis. Allein
S. 370. wird in einer angeblichen Form des
priapischen Verses die Basis unbedenklich vor
den Auftakt (Ankkrusis) gesetzt :
.. .. I w_w- II .. .. I ^
Kttt fxe'hXotrivov Xaloiv | y.ai Qo\da ir^ogafatj^MS
Fröli- I eher grünt der Myrtenhain, 1 1 liebli- | eher
blüht die Rose
wobei die Umständlichkeit der basischen Kraft-
\ ersammlung zu einer so leichten , planen Me-
lodie , einen ziemlich sonderbaren Efiekt macht.
Noch sonderbarer wird aber S. 217. sogar ei-
nem Yers die Basis in der Mitte eingeschoben;
xoAttw aide iuvd-' uyvt/.i ^a^ufg K^ofco
Der ohne alle Basis in der Mitte sich sehr
leicht tripodisch misst:
noXnoj a'ide'-^avd^ ayvut y^agtreg Kpoj/o»
Der frohen Jugend anmiUhge Begleiterin.
Man sieht wol, dass Hermann, unbekacnt mit
der tripof'ischen Messung, die beiden unbe-
stimuiten Sylben in der Mitte des Verses aus
Vom Anfang der Rhythmen, aaä
seiner Theorie nicht erklären konnte, und sie
deswegen zur Basis machte. Allein die erste
dieser iSylben, die im Metrum lang ist, kann
als thetische Endsylbe eines Rhythmus durch
eine kurze, und die zweite, v.^elche als Auftakt
des folgenden Rhythmus metrisch kurz ist, durch
eine lange Sylbe (beides schon nach der Her-
manuisclien Theorie) ersetzt werden ; daher
nimmt mau keinen Anstoss, wenn beide kurz
sind , z. B.:
der jungen Rosen erglühende Farbenpracht
wiewol die Längen allerdings kräftiger tönen.
245.
In Rücksicht auf den Anfang unterscheiden
wir also gleich den Musikern Rhythmen in Nie-
dertakt , und Rhythmen im Auftakt.
Der einfache Auftakt lässt sich fast allen me-
trischen Formen anschliessen. Da er dann oft,
wenn auch nicht ihre Natur, doch ihren Na-
men verändert, so ist es uöthig, diese Formen
besonders zu erwähnen.
246.
1. Im spondeischen Metrum entsteht aus der
daktylischen Form , durch den Auftakt die
schwere, oder vierzeitige anapäslische,
mithin:
• • \ m d *
alt A 1 1 g e ni o i n e r T ii ü 1 1.
Es Ist ans der Messung musikalisclier Piliyllimen
bekannt, dass der (ieliult des Auftaktes dem
Seidusstakte abgerechnet wird, und setzt mau
mehr Rhythmen der Art neben einander, so
zeigt sich sogleicli die INolhwendigkeit dieser
Messung; denn die letzten Sylben des einen
bilden sich sogleich zum Auftakt des folgenden
Rhythmus:
so dass die ersten Kürzen sich als Thesis eine3
daktylischen Rliythmus zeigen, dessen Arsis reell
nicht ei'scheint. Die anapästische Form ist
daher :
denn ^vie\vol die beiden Kürzen in der metri-
schen Periode vorhanden sind, so gehören sie
doch zum folgenden Rhythmus. Der Auftakt
des Anapäst ist aber eigentlich die lange Thesis
des Spondeus; daher hat der Anapäst diese
Form :
> ^ I 1
I I
und in sofern der Proceleusmatikus unter die
Foi-men des spondeeischen IMetrum gehört, ist
die vollständige Form des iVuapäst:
w W ' — ttl 0 \ 0 0
I I
wobei aber der Accent des Proceleusmatikus
(<!/ w w w) wohl in Acht zu nehmen ist.
V o m Anfang der R ii j» t h ni e n. ■2-ib
047.
2. Im gemischten Metrum eutstehn durch den
Auftakt folgende Formen :
a. Aus der irochaischen Form der Dipodicj.
wird die iambische Dipodie:
— l — ^ — e \ 0 0 4
deren Rhythmus auf der zweiten Arsis schliessl
wiewol die metrische Periode die Thesis ent-
hält. Bedient man sich der metrischen Zeichen.
mehr um die i'hythmische Bewegung zu bezeich-
nen , als die metrischen Reihen , so fallen die
Taktstriche bei den iambischen Versen in der
metrischen Bezeichnung anders, als bei den mu-
sikalischen , z. B. im iambiscTTcn Trimeter:
0 \ 4 ^ * 0 \ a Z' * #'*«'«
Schilt nicht den Fernen ! Fei:;e iliehn des Feindes Blick.
Aus der \ erwcchselung dieser beiden Arten zu
bezeichnen, entstehen oft Irrlhiüner.
248.
b. Aus der flüchtigen ionischen Form:
I N 1^ >
«. 0. iT 4
entsteht durch den Auftakt die anlispasti-
sehe:
• \ 0- 0 li^
1.'»
2a6 A 11g emeiner Th e IL
Die Messung zeigt eleu Sinn dieser Form, de-
ren melrisclies Scliema ^ _ _ ^ mit zweizeili-
gen Längen gedacht (J^ | JJ J^), nur die Ver-
mutliung erregen kann, als habe irgend ein
Grübler, um alle nur mögliche viersylbige Füsse
aufzuzälen , auch diese rhythmische Missform
an das Licht gebracht; denn ganz gesanglos, als
ein leerer Schatten für das Auge, steht sie in
den Theorien, die sich vergebens bemühen, der
Uebeitönenden Wohllaut, oder doch Methode im
Uebellaut anzudemonstrii-en. Beobachtet man
die wahre Messung, so sind antispastische
Rhythmen, z. B. :
7 — avii^l w — w —
Dein goldlockiges Götterhaupt
eben so leicht zu vernehmen, und dem Gehör
der Neuern nicht fremder, als irgend ein an-
drer Vers.
249.
c. Aus der bacchischen Form (nach andern
palimbacchischen) :
j. j ; _
wird durch den Auftakt die palimbacchi-
sclie (nach andern bacchische):
.^ I J. .'
Vom Ani'an^ der R h}» ih iii en. 237
z. B. in dem Vers:
l I-- I -^
ti \ 0. d » \ ä. 0 0 \ £-. 0 0 \ 0. 0
tiv GXTUi', Tiv iikav dfjufiw ; noc TtoQfv&co;
Die Anmut, o Jungfraun , gewinnt mehr , denn Schönheit.
Voss
Voss (Zeilm. S. 254.) will diesen Vers nach
dreiviertel Takt gemessen haben:
> 1 J I > I I I > 1 J I ^'^ I J J
0 \ 0 0. ä \ m 0, 0 \ 0 g. 0 \ 0 0
vielleicht, weil statt des Palimbacchius zuweilen
ein Moloss stehn kann. z. B. :
---- 1 --- 1 ^-- I «^--
Nicht Schönheit, o Jungfraun, nur Anmut beseligt
oder auch wol ein loniker:
Voll Anmut der Jugend, im Reiz bräutlicher Sehnsucht
allein, dass der flüchtige loniker mit dem Bac-
cli/eos wechseln könne , zeigen die Formen des
gemischten Metrum, und die Länge statt der
Kürze im Baccheus ist, wie die Folge zeigen
wird (S. Messung der letzten Stelle iu metri-
schen Reihen), nur prosodisch, nicht metrisch,
und so wenig befremdend, als die lange Sylbe
statt der Kürze am Sehluss der trochaischeu
Dipodie.
200.
d. Aus der leichten choriambischen Form:
J: ji } J.
2'-iÖ All gC 111 • i :. • ; '.''!i '1.
entstellt clurcli den AuiUikl von zwei Küi'zen
die Form :
-^ ^ I - - -' -
die wir die flüchtig a n a p ä s t i s c !i e uen-
neu. Man versuche die meisten anapüslischen
Ver.se, und weit öfter wird man sich auf der
flüchtigen und heftigeren Bewegung:
•^ #^ I «'. «^ ^ » J^ 6^ \ e. 0" a 0
betreffen, als auf der ernsten vierzeitigeu
0 0\00a\00 0i6''!0\0
die Messung nach Dipodien, und die, so selten
verletzte Cäsur in der Mitte des Dimetei'S:
qiXudilqu xßTto day.Qv nßofAivi] Soph.
Dionysos erscheint mit dem 1 igergvspaiin
scheinen ehenfalis darauf hinzudeuten.
201.
3. Im molossischen Metrum entsteht durch
den Auftakt die steigend ionische Form:
0 0 \ 0 0
weiche, nach dem schon früher crJnnerlen, niehl
mit der metjischen Form der molossitchen Pe-
riode {J^ J^ J J) , die im Jsiedertakt anfängt, ver-
wechselt werden kann. Jeuer Auftakt kann auch
das unaufgelösete (h'ilte Moment des Molosses
Vom Anfang der Rh3'thmen. a^o
N - I
1 I I I
und so entstehen in dieser \ ersart manrlic.rliytb-
misclie Rütkungen , indem clioi'iainbischc «iin\1
schwere ionische Bewegung gegen einander stell»,
z. B,:
Hoch schwang er das Schwert , und voran emstürmt er in
die Geschw ader
v.clcher Vers mit dem schweren ionischen Te-
trameter glei(']ien metrischen Schritt hält, und
nur in der rhythmischen Bewegung seinen ei-
gculhümiiehen Charakter zeigt.
Vielleicht gehört hieher der Rhythmus, oder,
wenn mau will, Fuss, den die Grammatiker
Pae(^)n cjjihaius nennen. Nach Aristides ( S. 3b.
Edit. Meibom.) Lesteiit er aus einer langen The-
sis, einer langen Arsis, aus zwei laugen Ihe-
sen, uud nocU einer langen Arsis, mithin aus
fünf laugen Sylben. Nimmt man Arsis und
Thesis als Hebung und Senkung (nach Hcr-
mann's Erklärung), so ist der Rhythmus dieser:
Wpnn Vollmondlirht stralt
2ÖO AllgeraoinerTheil.
und fla eine anfangende Senkung niclils anders
ist, als Auftakt, so bezeichnen wir diesen Rhytli-
mus :
» r
oder in Musikzeichen:
• I • • • I m ^
wodurch eben ein molossischer Rhythmus mit
dem Auftakt entsteht. Gehört, wie Ügen ver-
muthet (Scolia CXLIL), der von Clemens Ale-
xandrinus erwähnte Anfang eines Hymnus zu
dieser Gattung päonischer Rhythmen, so war
sein Maas:
J IJ J J 1 J ; J U J J U
dem sich leicht eine passende Melodie aneignen
lä.'ist.
252.
4. Im tripodischen Metrum entsteht beson-
ders aus der Form :
I I ^ !
•. « « «
durch den Auftakt die doch mische Form:
^ I _ _ ^ _
die zwar manche gelehrte Untersuchung veran-
lasst hat, aber in ihrem Rhythmus wol kaum norh
vernommen worden ist. In richtiger Messung hat
fh'r rjoclnrii.sclic Vers, wie der auli.s])a.stisclie,
VomAnfangderRhythmen. 23 1
einen unserm Gehör gar nicht widerstrebenden
Gesang, selbst in Ziisamiaensetzuugcn nicht, de-
ren Möghchkeit manche Metriker bezweifehen,
z. B.: .
Der Freiheit aufdämmerndes Götlerlicht
Viel Sonderbares über dochmische Verse rührt
ohne Zweifel daher, dass man dochraische For-
men aufsuchte, ohne Unterschied, ob der Doch-
mius dai-in metrische, oder bloss rhythmische
Form sei. Diese nannte man dann insgesammt
dochmische Verse. Der eben angeführte Vers
ist ein dochmischer j denn die Messung zeigt in
ihm den Dochmius als metrische Form. Fol-
gender Vers hingegen :
In Mainächten von Lieb' entglüht
Ertönt Lenzgesang im Hain,
ist, der dochmischen Form des zweiten unge-
achtet, kein doclimischer Vers ; denn seine Mes-
sung ist dipodisch:
0 \ 0. 0. 0 0 \ 0 0 0
In Mainächten , von Lieb' entglüht
Nil I > 1 j ^ '
0 \ 0. 0 0 \ 0 0 0
' ertönt Lenzgesang im Hain
•s";! '■ i . Q '- III ei n e r TheiJ.
iiiid die (locaniische Form ist Lloss rhyilmiiscli,
liJclit metrisch in ihm vorljaiiden. A-uI" ähnliche
Art kann in der Musik die Bewegung des Sechs-
achteltaktes ' im Dreivierteltakt rhythmisch vor-
kommen ,
ohne die Natur des Metrum zu ändern, und
den Spieler zu irren.
255.
x^lle andern Formen lassen ebenfalls den Auf-
takt zu; allein da sie dadurch keinen eigbn-
ihümlichen Namen bekommen, so werden sie
iii. ht besonders hier aufgeführt.
254.
Man würde irren, wollte man glauben, dass,
bei einmal eingeleitetem Auftakt, alle Rhythmen,
V. eiche in demselben Metrum mit einander ver-
bunden sind, auch mit dem Auftakt anfangen
sTiüssen. Die Musik zeigt das Gegentheil, und
eben so der Vers in alten und neuen Gattun-
gen. Dei'i ambische Trimeter z. B. langt in sei-
ner üblichsten Form im Auftakt an, und fälirt
nach dem ersten Einschiritt im Niedertakle fort,
AVor;iuf wiederum ein Rliythmus im Auftakt be-
<^oh]i(^sst :
Vom Anfang der Rhythmen. 235
Furonie caecus , an rapit vis acrior? Hoiat.
Reisit blinder Wahnsinn , reisst Gewalt von oben euch ?
Voss
Das Metrum behält liier freillcli die Auftakt-
sylbe als Tliesis; allein in andern Fällen wird
dieses Moment selbst im Metrum ideell zuiu
Punkt, oder zur Pause, z. ^.. in der oft vor-
kommenden Mischung des choriambischen und
iambischen Rhythmus :
■ 1 -ww_
> M > I I '^ i^ > J
fq^ olgniQ , w '/^Qvaolocfa
Es stürzt den Feind Göttergewalt
Manche Rhythmen würden besser verstanden
worden s^^yn, hätte man hierauf mehr geachtet.
Der dochmische Rhythmus fängt zwar allerdings
im Auftakt an; das hindert aber nicht, dass in
der Police mehrer Doelimier der Auftakt bei ei-
nem, oder dem andeim wegfallen kann, z. B. :
^MJ^l |>>N|>i
Of TKVTUV, 10) /ifkfog , ovd'f/^M
er folgt' ihr hinab, in das ersehnte Grab
Penn die Form ^ ^ ^ _ ^ _ im hemiolischen
Verhall ni.ss zu denken, erschwert ofleubar dvu
Rhyllimus, uud es ist kein ririin«! iui Vers vor-
i34 Allgemeiner Theil.
lianfleii, der dieses ungewöhnlichere Verhähniss
rechlfci'ligle.
255.
Aus der angezeigten Natur des Auftaktes er-
hellt, dass Hermann irrt, wenn er die Auitakt-
sylben „Theile einer vorhergegangnen unend-
lichen Reihe" nennt (Metrik §. 55. de metr.
p. 20.), weil ihnen keine Arsis 'mrhergehe. Sie
sind nur thetische Theile einer vorhergehenden
Periode, deren Arsis filoss ideell ist, ohne reell
zu erscheinen. Dieser Irrthum war an sich un-
bedeutend; er wird aber durch die Folgerun-
gen wichtig, die Hermann in Beziehung auf
Versabtheilung, z. B. de Metr. Pind. S. igS.
daraus zieht. Wenn ein Rhythmus in der Ar-
sis schliesst, und der folgende fängt in der The-
sis derselben metrischen Periode an.
^ ^ N I
Auf zu dem Wald ! Es ruft die Jagd
SO ist diese Thesis für den zweiten Rhythmus
allerdings Auftakt, und ihre Arsis ist in Bezie-
hung auf den anfangenden Rhythmus in der-
selben Periode ideell, in welcher der vorherge-
hende reell auf der Arsis schloss. Man denke
sich beide Rhythmen an zwei Stimmen vertheilt,
so ist die Sache klar, und jedes Tonstück ent-
hält Beispiele davon.
Verbindung der Rhythmen. ajS
Verbindung der Rhythmen.
256.
Uebei' Verbindung der Rliytlimen, so wich-
tig der Gegenstand auch ist, sowol für Beur-
tlieilung, als Bildung der Verse, haben die me-
tvisclieu Theorien bis jetzt gar nicht, oder doch
sehr in den allgemeinsten Ausdrücken sich ver-
nehmen lassen. Die einzige Bestimmung, die
man vielleicht findet, mochte die seyn, dass nur
verwandte Rhythmen verbunden werden kön-
nen. Was sind aber verwandte Rhythmen?
Sind es solche, welche die Theorie in demsel-
ben Abschnitt behandelt? Die Hermannische
zäh die sinkenden louiker zu den daktylischen
Rhythmen, gleichwol wechselt dieser Rhytlunus
mit dem trochäischen; Daktylen und Trochäen
wechseln in logaödischen Versen, und der Päon,
der nach Hermann zu einer besondern Klasse
der B.liytlimen gehört, wechselt mit lonikern
und iiiil Trochäen. Die Verwandtschaft war
also erst auszumitteln , ehe selbst jene leichte,
oberfläeidichc Ansicht der Verbinduni? anwend-
bar seyn könnte.
257.
Wie unter den mehrsten Gegenständen, so
findet auch unter den Rhythmen eine dop})ehe
An von Verbindung Statt, die man als äusse-
re und innere iinlcr.s<'h<'idcn kann. ,
^36 Allge iii ein er TJif 1 1.
258.
Die ä II s s e r c Art der VerLindung , die wir
äussere nennen, weil kein inneres, bindendes
(orjjanisii'endes) Princip in ihr wahrgenommen
wird, besteht in einer Jdüssen Nebeneinander-
stellung (Juxtaposition) der Rhythmen. "Wir
finden , um die Sache gleich zu nennen , eine
Zusammenstellung der Rhythmen dieser Art in
der prosaischen Rede, deren Benennung wir
nur der Deutlichkeit wegen hier anliclpiren ;
denn die Kunst des prosaischen Rhythmus, lä.s.st
sich nur bei völliger Einsicht in die Kunst des
metrischen Rhythmus theoretisch erläutern.
2,%.
Soll der rhythmische Styl der Prosa wirklich
Styl seyn, und nicht bloss die Bequemlichkeit
ausdrücken, welche die Entbundenheit Aom me-
trischen Gesetz gcAvälirt, so darf er nicht durch
metrische Bewegung die Forderung eines sol-
chen Ganges aufregen, und dadurch das ünme-
trische seines gewöhnliclien Schrittes als Ab-
weichung vom Gesetz charaklerisiren. Die Theo-
rien tadeln daher die \erse, oder Verstheile,
wel(-he zuweilen in prosaischer Rede vorkommen,
z. B. das esse videtur, das placuisse Ca-
toni und ähnliche Rhythmen. Allein die Be-
trachtung der, aus dem Grundrhythmus abge-
leiteten Formen, zeigt bald die Unmö.-,i!<hkeil.,
<h'm Umfang dieser Forderung zu genüg(;n.
Verbindung der Rhythmen. aSy
Denn wir mögen die Wovte steilen , wie wir
nur immer wollen, so stellen wir sie zu einer
rhythmischen Form zusammen, und mitliin in
eine Form, die ein \ers, oder ein \ erstheil
seyn kann. Clodius (Poetik S. 55o.) schreibt,
indem er den N ers in der Prosa tadelt, selbst
ein Stück Hexameter:
_ ^ ^ _ _ schreiben in lauter lambon. Das
mjösfallt
Klopstock (Gramm. Gespräche S. 126) lässt sich
einen aristofauischen iambischen Tttrameter ent-
fallen :
Wir haben, ich sehe es nun -vvol ein, selbst gutgeschriebene
Bücher
und S. 229. einen dochmischen Vers mit ange-
hängtem Kretikus:
w — — w>— I _»^_
Du legst ihr dadurch Knoten an
ganz nach dem Euripidischen:
(f6Li (f.£V 'j(^(QVlßb}V I TbiV iy.il,
Ja , die unschuldigste Zeitungsnachricht :
Halb zwei Uhr verliess der Feind urisre Stadt
läuft Gefahr, als dochmischer Dimeler, gleich
dem Sofokleischen
Z .- I l, w_
<ü na< , naiy viog vtM '^vv f.iOi)(o
angehallen zu werden. So schwer ist es, keine
Verse zu raaclien, und man wundert sich mit
2.'5.' Allgemeiner T h e i 1.
Unreclit, dass jener sich wunderte, als er hörte,
er spreche Prosa. Gkichwol wird der Leser
an allen diesen Stellen in den Büchern selbst
weniger Anstoss finden, als wo man sie vor ei-
nem prosodischenLängenhüreau über ihre Theil-
nahme am Vers abhört.
260.
Die Prosa kann so wenig vom Rhythmus
frei seyn , als der Klang der Rede vom Ton.
Gleichwol soll die Rede nicht singend seyn.
Der Sprachton ist, wie Schelling sich einmal
sehr passend ausdi-ückt, ein Tonchaos. So soll
auch die Prosa gleichsam ein Chaos seyn, in
welchem die Rhythmen als Verselemente liegen,
ohne sich jemals zum wirklichen \ers zu gestal-
ten. Dieses Verhaitniss des Rhythmus zur Prosa
erhält der Prosaist dadurch : theils , dass er
Verbindungen solcher Pvhythmen vei-meidet, wel-
che in demselben Metrum sich an einander
schlicssen. (Nicht gut war z. B. die Wortstel-
lung :
In verzweiÜLingvoller Verwirrung focht unten die Legion ,
denn die Melodie des galliambisehen Verses mit
aller Lyrik der Antithese seiner beiden Hälften
klingt durch); theils, und vorzüglich, dass er
in Stellen , wo das Metrum sich zudrängt , sich
hütet, eine rhythmische Form (z. B. einen Wort-
fiiss) an solche Orte zu bringen, wo diesülbe
Verbindung der Rhythmen. a3f)
zugleich metiisclie Form ist. Zu versülmlich
würde deswegen klingen:
Der anmutige Wechselgesang der kunstliebenden Jungfraiui;
denn die Melodie des priapisclien Verses klingt.
durch, und jedes Wort hat die rhythmische
Form der Periode, in welcher es steht. Durch
entgegengesetzte Stellnng kann sogar im wirk-
lichen Vers die Auffassung seiner Melodie ge-
stört werden. Der früher angefiihrte, z. B. :
«^w j w^—ww I — w«*' ^JM «^t/ t/ «^ I •"
In dem Labyrintli der gewaltigen anstürmenden Melodie
kann bei aller metrischen Richtigkeit in der
Prosa Statt finden, weil die rhythmischen For-
men darin niemals zugleich metrische sind.
]Nicht selten ist eine solche Stellung auch der
Grund, warum manche der alten \erse nicht
eher richtig vernommen werden, bis man aus
andern Zeichen erschlossen hat, zu welcher Vers-
gattuug sie gehören.
Es ist aber nicht, genug, nur einige Rhyth-
men der metrischen Form entgegen zu stellen,
wenn andre in demselben Satze wieder damit
parallel laufen. Der völlig metrische Satz:
Hallt Flötengetön anlockender, als der Ruf des Schlacht-
hürns?
kann mit seiner ersten Hälfte unbedenklicli in
der Prosa stehn ; denn die rliythmischen For-
men Ivcfi'en niemals mit gleichen metrischen zu-
A U ü e m ö i ti f r T li c i 1.
sammcii, soajar der ionisolie Worlfass: anlo-
ckender, steht der ionisclien metrischen Form
durcli seine Stellung in der Periode :
t ^ > )^ >
^ w — w M»
anlockender
entgegen. Die zweite Hälfte hingegen:
als der Ruf des Schlaclithorns
gibt "die Meibdie des ithyfaliischen Verses
0 0^0 \ 0. a.
- - - - I
iinverdeckt, und gehört also nicht in die Prosa.
Setzt man dafür:
als Sclilaclithornruf
SO ist zwar ebenfalls ein Vers vorhanden, näm-
lich der anapästische Monomcter
allein dieser vereinigt sich mit der ersten
Hälfte nicht zur metrischen Reihe, und so ist
jener prosaische Satz kein \ers, Aviewol seii.e
erste Hälfte, bei einmal eingeleitetem \ erstakt,
untadeihaft im Vers srilm kann. Sehr beför-
dert wird auch diese autimelrisehe Stellung ia
der Prosa, wenn die Ar.sis im Worlrhylhmns,
lind der logische Acceiit iiiclil auf SltlhMi trei-
fen, die, wenn der Pihylhmus Theil eines ^ivr-
sts war, in der Hebung dieses Verses stehe n
Verbindung d e v K h y t h m e u. 2 i x
würden. Mehr liicrüber zu sagen, ^vürde ausser
den Gränzen der Metrik lie^^en, die ehen als
Metrik nur den metriselien ilhythmus zu be-
handeln hat.
261.
Die innere Verbindung der Rhythmen muss
ein innres organisirendes Princip des Zusam-
menhanges in der ßeihe der verbundenen
Rhythmen wahrnehmen lassen, so wie die Ele-
mente des Rhythmus selbst (die Momente) durch
ein innres organisirendes Princip verbunden
sind. Dieses organisirende Princip des Rhyth-
mus ist das Metrum, durch welches Accent und
Quantität für den Rhythmus zu sichern Bestim-
mungen werden. Eben dieses Metrum wird also
auch Princip der Verbindung mehrer Rhythmen
zu einem Ganzen seyn; allerdings aber in grö-
ssern Dimensionen, als wo es nur für rhyth-
mische Elemente das organisirende Princip war.
Dieses Metrum in grössern Dimensionen ist die
m e t r i s c h e P e r i o d e (in der Musik der Takt),
und das Ganze der verbundenen Pihythmen, das
sie organisirt, ist der Vers (in der Musik die
Melodie).
261.
Wie sicli nämlich die Hauptmomenle (oder
die aus ihrer Zerfällung entstandenen Füsse),
zu der metrischeu Periode (198. il.) verhalten,
x6
a42 Allgemeiner 'J'heil.
SO verhält sicli Avicder die mclriscfie Periode
zum Vers. Sie stellt das Haujitraoraent in der
grösseren Sfare des Verses vor, und wie die Pe-
lüode, nach der Zal der in ihr enthaltenen
Hauptmomente, oder Füsse, zur Monopodie, Di-
podie oder Tripodie wird, so wird der Vers
nach der Zal der in ihm enthaltenen metri-
schen Perioden, bald Monometer, bald Dimeter,
bald Trimeter seyn. Telrameter sind doppelte
Dimeter, Hexameter doppelte Trimeter oder
dreifache Dimeter. Wahre Pentameter gibt es
so wenig, als Pentapodien, die sogenannten
Pentameter haben ein andres Maas. Z. B. der,
nach Monopodien gemessene daktylische Penta-
meter des Simmias :
_^^ I -wv' I — •-< r -^^ I —
XOii^e, uvu^, iTu(J€ C^.&eug ficcy.u^ »J/^ßi'
Blühend und zart , wie die Knospe des rosigen Frühling«
ist entweder ein fiiichtig daktylischer Trhneter
nach Dipodien:
«. e^ i* «. «^ e \ e. o^ e e. er » 1 #. #•
oder ein tripodischer Dimeter:
d. /> • J. •" d J. «' • \ d. J^ » «. d.
was aus den wenigen auf uns gekommnen Ver-
sen dieser Art sich nicht bestimmen lässt; oder
sie sind seltene Versuche, denen das Gehör so
wenig beistimmte, als die Theorie, und die da-
her nioht viel ISachahmung fanden. Zu diesen
Verbindung der Rhythmen. 245
scheinen die trocliäischen und kretischen Pen-
tameter zu gehören.
262.
Vielleicht aher entstanden dergleichen üher-
lange Verse zuweilen durcli das, was die Grie-
chen S c h al t in e t r u m ( f-iexQOv fxecov ) nennen.
Um gleich eine anschauliche Vorstellung d-ivon
zu bekommen, möge hier das Beispiel eines
Schaltverses stehn. In dem bekannten Gedicht
von Voss:
Auf meines Vaters Hügel
Da steht ein schöner Baum,
Gern singt das Waklgeflügel
Auf meines Vaters Hügel,
und singt mir manchen Traum
ist die ausgezeichnete Stelle ein solcher Schalt-
vers; das Metrum derSlrofe verlangt die Schluss-
zeile nach der dritten, allein der Rhythmus
verweilt hier mit einer Wiederholung, und hält
so den Schluss um einen Strofentakt (einen Vers)
auf. Es ist, wenn man den Ausdruck nicht
misdeuten will, gleichsam eine ausgeführte Fer-
mate höherer Ordnung. Marder s bekannte (Kom-
position dieses Gediciiles bezeichnet den Cha-
rakter dieses Schaltverses sehr trelleud.
26.0.
Was der Schaltvers in der Strofe, das ist
das (xitf^op fiiGov, oder die Schal tper iode,
24* A 1 1 j^ e in o J II er lljoil.
in dem Vers, oder der Schal Ltakl in der Me-
lodie. In einer sehr einfachen Gestalt erwähnt
ilin schon der Verfasser des Artikels Rhythmus
in der Sulzerschen Theorie, und zeigt in dem
Beispiel :
■\vlc der Satz , der eigentlich nur vier Takte,
seinem Rhythmus nach, enthalten kann, durch
den eingeschobenen dritten Takt zwar fünf Takte
bekommt, aber an sich doch ein Satz von viei'
Takten bleibe. Das Metrum des Hauptrhyth-
mus hat hier eine eigentliche leere Zeit (62),
nicht eine Pause; denn diese ist wahres, erfal-
lendes metrisches Moment, nur nicht im Reel-
len, sondern im Id-eellen (210). Eben so, wie
ein musikalischer Satz durch einen Schalttakt,
kann auch ein Vers durch eine Schfiltj^eriode
aulgehaiten werden. Hierzu gehören die Aus-
'rufe [fniqMi/r^fiazu und [.ifGVf.ivca) , welche man in
di'amatischen und lyrischen Gedichten zwischen
den Versen eingeschaltet findet, auch die Mono-
meter zwischen Dimelern. Vielleicht liegen
manche dergleichen Schaitperioden in der Mitte
mancher Verse , die deswegen Aerkannt worden
sind. Der Vers z. B.:
Selbst von mir , durch eignen Wahnsinn (Wehe, Weli ! )
ward das Scliicksalsvvort erfüllt.
Verbindung' der Pi h y tli m e m. »45
ivird, des eingeschalteten Epifonems vmgcaclitet,
kein Pentameter, sondern bleibt Telrameter, was
er oliuc das Schaltmetrum ist,
264.
Bei den Grammatikern bekommen auch an-
dre Thtile des Verses den Namen ^uz^ov f(iCfOt\
indem sie, nach ihrer Art die Yerse auseinander
zu nehmen und zusammen zu setzen, manche
längere Verse als auseinander geschobene und
mit Einschaltungen ausgefüllte kürzere Verse
betrachten. Der Choriamb ist ihnen besonders
ein sehr gebräuclilicbes Schaltmetnim. Nach
dieser Ansicht ist ihnen z. B. der asklcpiadischc
Vers ein glykouischer mit eingeschalteten Cho-
riamben
Vielen Redlichen, ach! [samc er beweint] hinab \ oss
der bekannte horazische:
Te Dens o[ro, Sybarin] cur properas amaudo H o r.
Immerhin scy [taub der Musik] Schulenbarbar und Welt-
mann ! Voss
ein safGscher Vers mit eingeschaltetem Choriam-
ben. Wer den Vers als Vers vernimmt, wird
diese Ansiclit bloss historischer Weise bcmcr-
kenswerlh lindcji.
a46 Allgemeiner Theil.
265.
Betrachten wir nun in Rücksicht auf den
Vers die metrischen Perioden als dessen Mo-
mente , so zeigt sich die rhythmische Einheit
des Verses, der sich, gleich der ursprünglichen
rhythmischen Einheit, in zwei oder drei Momente
(Perioden) zerlegt, die sich zu einander verhal-
ten, wie Ar is und Thesis in der einfachen
rhythmischen Form. In Melodien, deren Rhyth-
mcn mit den metrischen Formen der Periode
parallel laufen, zeigt sich deswegen der Cha-
rakter der Arsis und Thesis im Dimeter, als
Antithese, und im Tetrameter nochmals als hö-
here Antithese unter zwei dimelrischen Versen,
z. B. :
ttjiox^tvuc fiOi , rivog ovvfua '^^rj 'O-av/.i^ueiP uvÖQU
TiOiriTiiv / A r i s t o f.
Antworte flu mir, weswegen gebürt die Bewund^ung wo!
dem Poeten ?
oder im io ischen Rliythmus:
_.'_-, _.^_ II _3 ,--
Piebenlaub umkränzet das Haar, th3'rsusschwingender
Mänas.
Im Trimeter wird diese Antithese verdunkelt;
er ist gh'ichsam eiiJer— vveiterter Tribrachys, oder
flüchtiger Daklylus, dessen Zeitverhältniss er
auch in seiner üblichsten Form:
Verbindung der Rhythmen. 2*7
Der Götter AnÜitz hab' ich oft furchtlos geschaut
andeutet.
266.
Aus diesem Begriff des Verses, als grösserer
Einheit melrischer Perioden, folgt unwider-
sprechiich, dass jeder Vers dadurch, dass er
Vers ist, auch an den Takt gebunden sei. Diese
Taktraässigkeil liegt aber nicht darin, dass der
Vers aus Rhythmen besteht, sondern darin, dass
der Zusammenhang der Rhythmen im Vers nach
einem metrischen Princip Statt findet. Jeder
Fuss (Messungsfuss, 22) liat Metrum (Takt), aber
nicht jede Zusammensetzung von Füssen hält
denselben Takt fort. EJ.en so hat jede metri-
sche Periode Takt, aber nicht jede Zusammen-
setzung von Perioden führt diesen Takt gleich-
formig weiter. Jeder Vers hat Takt in seinem
Umfange, aber nicht jede Zusammensetzung von
\ crsen Uisst denselben angefangenen Takt fort-
<rehn. Durch dieses Takthallen und ISicbttakt-
haken entsteht, Avie schon erwähnt ist, der
Unterschied zwischen prosaischer und metrischer
Rede.
267.
Wir haben schon bei mehren Veranlassun-
gen des Unterschiedes zwischen metrischen und
rhythmischen. Reihen, metrischen und rliythmi-
a43 Allgemeiner Theil.
sehen Formen erwähnt, nieht ganz ohne cli(i
Nebenabsicht, auf die Anwendung dieses Un-
terschiedes voi'zubereiten , die hier davon ge-
macht werden soll, wo wir von den vei-schiede-
nen Arten der Verbindung rhythmischer Reihen
zu sprechen haben. Die metrischen und rhyth-
mischen Reihen sind allerdings leicht zu ver-
wechseln ; denn jede metrische Form ist auch
eine rhythmische Reihe, und jede rhythmische
R^eihe ist wenigstens einer der metrischen For-
men ähnlich, gesetzt auch, sie stünden nicht in
der Stelle der metrischen Periode, auf welcher
die ähnliche metrische Form sich bildet. So
stellt z. B. der Clioriamb , als metrische Form,
mitten in der Periode:
Wenn des Lieds Wolillaut sich erhebt
( Es ist mit Vorsatz in diesem Reispiel der cho-
riambische Wortfuss A ermieden , um bloss auf
die Wirkung des reinen Rhythmus die Sache
zu beziehn) , er kann aber auch aus einer Pe-
riode in die andre übergreifen:
1 ^ ^ ^ N i I > !
Schroffes Felsengestad am Meer
nnd dasselbe findet bei jeder andern rhythmi-
schen Form Statt, wie mehre früher gegebene
r!ris])l(l(> deullicli gemacht haben. Fs bri;vi>ift
Verbindung der R li y thr.ien. a-iq
sich nun leiclit, dass der Charakter jeder Form
ungleich starker und le]>]iafter hervortritt, wenn
die rhythmische Form auf derselben Stelle steht,
wo sie zugleich auch als metrische Form ihren
Platz hat, und dass im Gegentheil der Cliarak-
ter einer Form um so mehr verdunkelt werde,
je verschiedener ihre Stelle in der Periode von
der ist, welche sie als metrische Form darin
l)ehauptet. Zugleich aber sieht man, ungeachtet
der Aehnlichkeit, auch die Verschiedenheit der
metrischen Reihe von der rhythmischen, die
selbst da, wo beide Keihcn zusammen treffen,
noch unterschieden werden können. Dieses Zu-
sanimentrcfren beider Arten von Keihcn in Ton-
slücken von stark markirtem Pihythmus, z. B. in
Tänzen, ist es vermutlich, was Hermann mit
seinem Rhythmus des Taktes meint, welcher
unsrer Musik Einförmigkeit geben, und den
Griechen unbekannt gewesen seyn soll ; denn
den Takt selbst würde man doch nur sehr un-
eigenllich vuid in einer leeren Tautologie
Rhythmus des Taktes nennen.
268.
Dieses Zusammentreffen und Auseinanderscyn
metrisdier und rhythmischer Reihen culstcht
nicht bloss von Ungefähr, sondern es deutet
auf einen (iriindiuUersrliied iu dem Priucip die-
ser Reilii'u si'Ihst. Wir versli^hn aber uiiler nie-*'
25o . A 1 1 g e m e i n e r T h e i 1.
Irischer Reihe allezeit tlie metrische Periode,
sei ^ie nun Monopodie, Dipodie, oder Tripo-
die; unter rhythmischer Reihe aber jede
rhythmische Form, ohne Rücksicht, ob sie als
metrische Form an ihrer Stelle sich befinde,
oder in mehr als eine Periode sich ausdehne,
oder vielleicht die metrische Periode nicht ganz
ausfülle. So erfüllt z. R. der Choriamb die tiü-
podische Periode nicht ganz, und ist deswegen
doch als rhythmische Form im tripodischen
Metrum anwendbar.
269.
Rhythmus und Metrum gehn zwar, wie wir
gesehn haben, aus eincili und demselben Prin-
cip hervor, nämlich aus dem Streben der Ein-
heit sich zu gestalten (man gestatte diesen Aus-
druck, der nach dem Obigen jedem klar seyn
muss.) Gleichwol lassen sich in diesem Streben
zwei Richtungen unterscheiden, die ausdelniende
und die begränzende. Die erste zeigt sieh als
das metrische, die zweite als das eigentlich
rhythmische Princip. Die erste entfaltet aus
der Einheit die Momente in gemessenem \ er-
hällniss , und setzt dieses Entfallen in jedem
Moment, als einer neuen Einheit, bis in das Un-
bestimmte fort, die zweite hält dieses Entfalten
an, indem sie die entfalteten Momente als ein
entstandenes Ganzes aufiasst, und so begränzt.
Verbindung der Rhythmen. aSi
Man kann dalier bei einer metrischen Reihe \on
ihrem Rhythmus abstrahiren, und die metri-
schen Momente bloss als Material betrachten,
welches von dem eigentlich rhythmischen Prin-
cip begränzt werden soll. Hierdurch entsteht
die Möglichkeit eines sehr mannigfaltigen Rhyth-
mus iu derselben , einfachen oder zusammenge-
setzten, metrischen Reihe. In folgenden \ er-
sen z. B. ist die metrische Reihe, im Einzelnen
und in der Zusammensetzung dieselbe j sie sind
insgesamt iambische Trimeter:
w-w_ I 3-w_ I Z .-
Gv f.iev rad'av ttqov/^oi \ ifo) de dtj ru<f.ov Soph.
Als starr am Brautaltar | die Unglücksel'ge stand'
^wGova udikofiO) [ (fikruTM | no^evaofiui Ders.
Bald schliesst zum Aufruhr j jede Stadt | feiadsel'-
gen Bund
&fQfiriv iTci ipv^QOiüt I nuo§iav s'/(ig Ders.
Nicht hohe Himmelsgötter, i nicht Tiefherrschende
(f^ikolfvo:; , MelijGcug , \ ^-^^ivfiag \ Aristo f.
Der Schlachten Gott | verhängnissvoll | entgegennihrt
Schiller
allein in jedem sind die rhythmischen Reihen
anders, als in dem andern, Avie die Striche in
den Versen anzeigen. Auf diese Möglichkeit ei-
ner Verschiedenheit der rhytiimischen Reihen,
bei (Gleichheit der metrischen, gründet sich die
Verschiedenheit der Ciistir in derselben Vers-
Ab'J. A 1 1 g e m e i n e r T li c i i.
gattung, wovon weiter unten ^\e Kode «eyn
wird. — Eben so kann man umgekehrt Lei
einem llliyilimus von dessen Metrum abstrahi-
ren, und ihm ein anderes aneignen, was die
Veränderung eines Thema in eine andre Takt-
?irt mögiieh macht. (4io)
270.
Indem wir den Unterschied des rhythmischen
Priucips vom metrischen genau beobachten, zeigt
sich auch unter ilinen eine doppelte Möglichkeit
der Verbindung. Entweder beide Principe ent-
wickeln sieh gleichmässig, so, dass die rhyth-
mischen Formen, weil sie aus einer und der-
selben Einheit hervorgehen, mit den metrischen
Formen zusammen treffen , oder das rhythmi-
sche Princip der Begränzung bestimmt eine von
ihm unabhängig entwickelte metrische Reihe.
Bei ganz strenger Beobachtung sieht man
bald, dass jene metrische Reihe, welche wir
hier als bestimmbares Material denken, schon
in ihrer Entstellung rhythmisch bestimmt ist;
denn überall ist Metrum ohne Rhythmus un-
denk])ar, eben so ist die rhythmische Reihe,
welche wir hier als bestimmende Form jenes
Materials annehmen, scliou an sich metrisch
beslimml; denn Rhythmus ohne Metrum ist
ebenfalls undenkbar; allein bei der Verbindung
der zweiten Art, von welcher wir sprechen,
Verbindung der Rhythmen. ahö
■wird diircli die A^erLinJende Kraft, die bestim-
mende Thätigkeit des Rhythmus auf ein Mate-
rial gerichtet, das sich unler einer andern
rhythmischen Einwirkung entwickelte, und jetzt
seine natürliche Form aufgibt, um sich von dem
ihm fremden Princip bestimmen zu lassen. So
hat z. B. die metrische Doppelperiode:
die natürliche und mit ihr zugleich aus dersel-
ben Einheit entstandene rhythmische Form
zweier trochäischer Dipodien, und im Yers:
Bürgerwohlfahrt sann er rastlos Voss
ist diese rhythmisch-metrische Form ausgedrückt.
Ferner hat die rhythmische Reihe:
Goldiies Mor^enroth
•fest die natürliche und mit ihr entstandne me-
trische Form der Tripodic:
J / J j" j.
In dem Vers:
— w — w I _w_.^
GoIdiies Morgenroth der Freiheit
verlässt aber die erwähnte rhytlimische Reihe
ihre ui'spvungliche metrische Form der Tripo-
dic, und nimmt dieses Maas:
J j"^ J .M J
Goldnes Mor"enroth
a5"t Allgemeiner Theil.
an , Iiuleni sie nun zu einem, in der ersten Ar-
sis endcndeu rhythmisclien Scliluss wird (219).
Dagegen verlässt die metrische Reihe ihre ur-
sprüngliche rhythmische Begränzung durch die
dipodische Form, und nimmt in der ersten Ab-
iheilung des \erses, die, ihrer ISalur nicht ei-
genthiimiichc, rhythmische Bestimmung vom tri-
podischen Rhythmus an. So trellen metrische
und rhythmische Formen gauz verschiedener
Art in demstlben \ers zusammen, des en Me-
trum sich von fremden Rhythmen bestimmen
lässt. und eben dadurch diese Rhythmen zu
dem Ganzen eines V crses verbindet. Die Be-
wegung eines solchen Verses wird allerdings
dadurch freier und lebhafter; sie entfernt sich
aber auch in demselben Grade weiter vom Ge-
sangähnlichen, in welchem die Verschiedenheit
der metrischen und i-hythmischen Formen her-
vortritt. Dies zeigt sich besonders in lungern
Versen, wenn die metrische Schlussform des ei-
genlhümlichen Rhythmus, durch die Bcilinimung
des fremden Rhythmus in die Mitle einer rhyth-
mischen Reihe zu stehn kommt. Z. B. im Te-
trameter :
Heiiges Morgenlicht der Freiheit glüht empor aus dunkler
Nacht
fallt der metrische und rhythmische Sehluss der
ei'sten Doppelperiode auf eine und «lieselbe
Verbindung der Rhythmen. aSS
Stelle, und diviSe gleiche rhytlimische und me-
trische Cadenz orhält den Vers sangbar. Die
Stellung hingegen:
_W — W_W I — W II — I W — «-» — *-.> —
Heilger Freiheitmorgen, Lobgesang nnd Jubel grüssen dich
bringt den metrischen Schluss der ersten Dop-
pelperiode iix die JNlitte eines Rhythmus , und
so verliert der Yers den, nach den metrisch-
rhythmischen Formen, ihm natürlichen Gesang.
271.
Die erste Art der \erbindung rhythmischer
und metrischer Reihen, wenn nämlich die me-
trische Form durch den, ihr natürlichen und
mit ihr selbst aus demselben Princip evolvirten,
Rhythmus bestimmt wird, nennen wir die voll-
kommene, natürliche, wesentliche \ er-
bindung. Die zweite Art hingegen, wenn die
metrische Reihe nicht von ihrem eigenthümli-
chen, sondern von einem fremden rhythmischen
Princip bestimmt wird, die un voll kommene,
fremdartige, zufällige Verbindung.
272.
Auf diese Verschiedenheit der Verbindung
der rhythmischen und der metrischen Rtilien
grünJct sich nun die dojipelte Art der Verbin-
dung mehrer rhythmischen Reihen im Verse
selbst. Sie sind näjnlich alle entweder aus der-
ubi) Allye lu einer Thöil.
selben rliyllunisclieu Eiiilieit entwickelt, und
stellen einander im \evs als grosse (nicht mehr
eleraentarische , sondern organisirte) Arses nnd
Theses entgegen, oder sie stammen aus ver-
schiedenen Einheiten, und vereinigen sich nur
mit einander durch das Band des gemeinschaft-
lichen ]Metruni. Wir werden die erste Art die
lyrische Verbindung der Rhythmen nennen,
die andre hingegen die deklamatorische.
rr
2 70.
Lyrisch verbunden helsseu solche Pihylhmen,
welche aus einer und derselben Einheit sich
entwickelt haben, xmd also wie Arses und The-
ses sich zu einander verhalten. Es fallt sogleich
in die Augen , dass diese Verbindung nur un-
ter solchen Rhythmen möglich Ist, deren rhyth-
iniscJie und metrische Form wesentlich verbun-
den ist. Der flüchtige lonlker und der flüch-
tige Chorlamb z. R. sind Im gemischten Metrum
aus derselben Einheit hervorgegangen:
C.
d. 6.
wo sie daher Im gemischten Äletrum mit einan-
der zu einem ganzen Vers verbunden sind, da
ist ihre Vei'bindung lyinsch , z. B. :
Goldlocklges Morgengestim
Verbindung der Rhythmen. 207
Man sieht hieraus schon, dass alle Forn^n des-
selben Metrum in lyrischer Verbindung neben
einander gestellt werden könneji, z. B.:
GoIdlücki£?es Götterhaiipt
Goldbesäamtes Morgengewölk
Die lyrische Verbindung wird dabei nicht ge-
stört , Avenn auch der zweiie Rhythmus mit ei-
nem Auftakt anfängt. Denn die erste Form ist
rhythmisch vollendet, wenn sie auch die The-
sis ideell im Punkt enthält, deren Zeit dann
der Auflakt zur folgenden Picihe einnimmt,
z. B.:
' Felergelkut durclihallt die Flur
Hier ist der Choriainb und der Kretikus mit
dem Auftakt, lyrisch verbunden, eine Stellung,
welche die Hermannische Metrik für eine Ver-
änderung des Choriamben in die iambische Di-
podie, „des harten und beschwerlichen cliori-
ambischen llhythmus wegen" ansieht. (Metrik
§. 68.). Uebcrail slthn sich , wie man sieht,
die lyrisch verbuudneu Khytlimen anlilhetisch,
wie Arsis und Thesis, entgegen, und wir wer-
den diesen (lliar; kter der rliylbmiselieii Kutgc-
genstellung die lyrische Antilhcse|neuuen. N^-'*^^^*
17
238 A 1 1 g e m t- i n e r 1' h o i 1.
274.
Wir bemerken, diese lyrische Antithese bei
Rhythmen, weiche sich aus der ursprünglich
zweigetheilten Einheit entwickeln, indem jedes
Moment hier durch einen vollen, aus ilmi, als
untergeordneter Einheit, entwickelten, llhyth-
mus repräsentirt wird. Allein auch die drei-
getheille Einheil lässt ihre Momente durch drei
lyrisch verbundene Rhythmen im Verse repra-
sentiren. Z. B. der Vers:
— w — «^ I — v^ — 9«.^ I — — -
Streng verhüllt sich iinserm Blick das Schicksal
entwickelt sich aus derselben Einheit.
O.
d d. d.
j. > J. J. J. J.
ä a J e e e » o 0. ä.
Wie aber die tribrachische Form sehen ganze
Verse bildet , sondern lieber in den ilüchligen
Daktylus , oder den Trochäus sich verwandelt,
so möchte auch die lyrische Zusammensetzung
dreier rhythmischer Formen sehen auhaltend
vorkommen. Dieser Tri^ueter, selbst wo er ly-
risch ist, gibt gern der ersten Abtheilung, gleich
dem flüchtigen Daktylus, etwas mehr Länge:
_ w . I _,s^ - ^ [ -1
Stolzer llcbermiith erzürnt cilu' Göllcr
Verbindung d er R. hythmc-n. iSy
oder zielit beide Perioden, gleich dem Tro-
chäen, zu einem Rhythmus zusammen, z. B. :
Wo willst du, klares Bäclilein, hin, so munter? Gdthe.
oder in noch grössei'n Rhythmen :
Irrt doch nicht so, es freut nicht allein in den Ster-
nen , es freuet auch in dem Himmel Musik.
Klo|)s t o c k.
Seihst die Form des lamhus scheint in der Stel-
lung :
Qui vidit mare turgidum , et
infames scopulos , Acroceraunia? Ho rat.
Den hat nimmer des rankigen
Weinstocks Traube gelabt, nimmer der Liebe Kuss.
ZU Rhythmen erweitert, und so sehn wir im-
mer das ursprüngliche Maass der rhythmischen
Grundform als Takt und als Versmetrum wie-
derkeliren. Auch ist in der Schlussperiode des
lyrischen Trimeters der Keim der Epode, und
der Sehliissreime in der modernen Strofe (chia-
ve) niclit zu verkennen.
Wenn indessen der lyrische Charakter am voll-
kommensten in solchen Versen sich zeigt, deren ur-
sprüngliche Einheit zweigetheilt ist. so liegt dieses
in der iSatur der Zal zwei, weiclie den Gegensatz
(die lyrische Antithese) am vollkommensten aus-
drückt, wie die zwelgetheilte Saite den Gegen-
sal/, des Griuidloues, die Oktave. Lei der Ein-
aßo Allgemeiner T li « i 1.
theilung in drei Tlieilc, seilen wir, wie das
di-itte Moment zwischen arsischer und theli.sclier
Natur schwankt ; es ist Arsis , ohne (ausgenom-
men durch neue Zerfällung) eine Thesis erwe-
cken zu können, und ist selbst Thesis in der
ursprünglichen F|Orm _ ^, aus weicher die Drei
erst durch Erweckung des Gegensalzes in der
Läncre (*'_'*' w) entsteht. Die Drei scheint da-
her der Grund der rhythmischen Dissonanz zu
seyn, so wie die Quinte, hei aller Konsonanz,
doch zugleich der Grund aller harmonischen
Dissonanz ist. Es leuchtet ein , dass , in Mo-
menten späterer Ordnungen, die Drei nicht so
stark gegen die lyrische Antithese dissonire, als
in den Hauptmomenten; daher in sehr entfern-
ten Oi-dnungen diese Dissonanz in der Triole
so wenig bemerkt wird, als die harmonische
'Dissonanz in schnell durchgehenden Psoten. Der
Rhythmus zeigt uns auf diese Art ganz anschau-
lich den wesentlichen Unterschied zwischen Zwei-
mal Drei, und Dreimal Zwei, wiewol, arithme-
tisch belrachlet, die Produkte in beiden Fällen
gleich sind; aber der Multiplikator bezeichnet
allezeit die Zal der ursprünglichen Momente,
und gibt daher dem Produkt seinen Charakter,
als liau})tcharakter, der Multiplikand us hinge-
gen bezeiclinet die der spätem und abgeleite-»-
leu. Dieses lindet bei jeder Multiplikation Statt,
und der Charakter jeder Zal spricht sich daher
Verb indu ng der Rhythmen. 361
am reinsten in ilirer Poteuziri\ug aus, der ly-
rlscli-anlitlietisclie Charakter z. R. im Tetrarne-
ter. Der dramatisclie Charakter würde sich im
tripodischcn Trimeter am bestimmtesten zeigen.
Allein wir finden beide durch einander gegen-
seitig modiGcirt. Der gewöhnliche Telraraeler
hat in seine letzte Zei-fällung die Drei aufge-
nommen, und wird dadurch trochäisch. Der
draniHlisehe Vers hingegen hat in seine zweite
Zerfällung die Zwei aufgenommen, und wird
dadurch Trimeter mit dipodischen Perioden.
275.
lu Gedicliten, welche sich durch ihre Form,
durch ihre Bestimmung für den Gesang, oder
durch andre Zeichen, als lyriscli ankündigen,
hat mau ohne Zweifcd Grund, eine lyrische
Verbindung der Rhythmen anzunelmien , und
daher das lyrische Maass wieder herzustellen,
wo es aus Unkunde der wahren Messung ver-
kannt ist. So ist das Maas des alcäischen Ver-
ücs wahrscheinlich nicht das gewölinlich ange-
nommene :
^ \ .w — «i« I — ^ >-* — '■-' —
N r I > j jN I > > ^ j ^ I i
« 1 • • d d I •. • m^ d m \ e.
V V
Aequnm memento rebus in arduis. Horat,
Hervor des Nordpols grimmiger WintersUiTm
welches den Vci^ ganz unlyrisch theilfc, son-
ütfrii vielmehr diese:-?:
262 Allgemeiner Thcil.
^ I —>,«_-_ I s_w»^_v^_
V
Aus dunkler Felkliift weckt der Gesang mich auf
das den lyrischen Vers in seiner lyrisclien An-
tithese zeigt, welche der Rhapsode aus eignem
Gefühl hören lässt. Man wird zu dieser Mes-
sung sogar gezwungen, Avenn man die zweite
Hälfte mit dem Auftakt anfängt:
\ ä et e. 0 » \ m. 0^ s * ä -A 0.
V V
Dein kaltes Brautbett in diinkeler Todtengruft
Die Kürze, die sich zuweilen auf der fünften
Sylhe findet:
w I _w> — »»^ I — w^ — »-* I _
Durch blüh'nde Fluren tobte der Uebermuth
kann uns nicht irren ; denn so wenig diese Kürze
zu empfelilen ist, so stört sie doch auf der
Schlusssylbe der metrisch rhythmischen Reihe
das Maas nicht (578. fi".). Die Stellung dieser
Kürze in der Mitte eines Wortfusses hingegen:
In schwarzer Waldesnacht , wo der Eber haust
und noch mehr:
Zu bangen Klaggesängen herabgestimmt
Stören d[en lyrischen Charakter des Verses. Ho-
ratius braucht diese Sylbe stets lang, Avas Her-
mann , der immer tadeln will , was ausser dtiii
Verbindung der Rhythuifn. aß5
Kreis seiner Theorie liegt, (de Metris 598.)
eine imnülze Genauigkeit nennt. Ob das be-
kannte :
la Bccxyt q}tt^f^iuy.ov dagiarov
in hulder Lieblichkeit heraufzog
eine niclit zu billigende Ausnahme bilde, oder
ob die Miltelsyibe in (fu^fiaxov nicht von abso-
luter Kürze sey, wie ebenfalls die Milteliyll)e
in: Lieblichkeit, ist hier nicht der Ort zu
untci'suchen.
276.
Viel Gedichte von offenbar lyrischer Zusam-
menfügung sind indessen noch "vveit mehr ver-
kannt worden , als der Alcäische Vers, der doch
in der fremdartigen Messung noch einigen Ge-
sang behielt. In vielen andern Versen finden
wir den Rhythmus durch die Theorie auf die
soiulerbavsle Art entsttjilt und verzerrt, so dass
kaum eine S: ur von Rhythmus, am wenigsten
von iln-em ursprüngiicheu Gesang, in den Ver-
sen an/.uireü'en ist. Die Wichtigkeit des Ge-
genstandes wird es entschuldigen, wenn wir
•hier versuchen, den ursprünglichen Rhythmus
eines alten Gedichtes aus der Verwirrung der
Theorie herzustellen. Wir wäleu dazu dns
sechs und zwanzigste Skolion der Ilgeuschcn
2^4 A 1 1 1; f m 0 i n e r T Ji o i F.
Auscfabe, über welches Bcsselclt *) raanclies Trei-
feudc bemerkt hat, wiewol ihm die vvahre Mes-
sung des Gedichtes entgangen ist. Das SkoJion
heisst bei llgen:
EGTt fiot nlovTog fifyocg do^v xai ^i(fog, 'auc
TO HUXOV kaiOtfl'ov, 7lQ0ßXi](.lU '^QOitOg.
TOVTO) yUQ tt^JOi, TOVTO) -d^S^l^tiij
TOVTO) nuTfi'i TOV udvv oh'ov
€(7tdjii7if?>o)Uß TOVTO) öiguoTag [ivocag itexlTjfiai.
Tot, de fitj Tolficovreg ty/tv doov , xat iiqiogf
Hat TO Y.uXov \uiat]iov^ TiQoßhjfta ^QojTog,
TtccvTig yovv7TenTf]OTfg c'/t' 6v zvvfovrt.
öeanOTav , '/mi fityav ßu(Jili]u cfOit^eovTt,
Der Herausgeber gibt ihm diese Bezeichnung:
w I -w-w
w»*. I ^ I •*)
^s- j _w — •^ I — ^
M< S^ I ».* I
I ---'- 1
— W <^ — I
*) Beiträge zurProsodle und Metrik. S, 8o. ff. Halle i8l 3.
**) Ilgcn nennt in der zweiten Stelle dieses Verses,
ohne Zweifel durch einen Schreibfehler, den driltea
Epilritu.s statt des im Vers vorhandenen und hier
bezeichneten vierten.
Verbindung der Rhythmen. 2O j
wodurch in der That eine seltsame Art von
Gesung entsteht.
Ilgen nennt diese Verse sinkende loniker von
der nngehundensten Gattung und verschiedener
Liinge. Sinkende loniker sind sie allerdings,
allein, wie sich zeigen wird, ganz nach deiA Ge-
setz des ionischen E.hythraus mit andern For-
men wechselnd, und übrigens nicht von ver-
schiedener Länge, sondern sämtlich Tetrametcr,
Lald in der Arsis schliessend, bald in der The-
sis. Wir gehen zuerst die wahre Messung des
Gedichtes, und zeigen dann, wie Ilgen den Ge-
sang darin durchaus verkannt hat:
_w_ 1 ^ I . ^ - ^ j _
l^M I l^l^;5^l^|!T'<r•
« o 0. \ ». m e \ a. a^ 6 g e \ e. ^ 7
lart fxoi TrXovrog ^leyug, doQv nac 'ii<f.og,
Tummle dich, Schlachtschwert, es leuchtet der Ta^ des
Kampfs !
^^>J 1 1 l>l l>l>l I I
\ut TO xulov kcuG)] - i - ov TX()o(3h]Utt yocorog.
Fröhlicher zog niemals zum Streit die tapfre Krie^sschaar.
,_r , ,__
.'■ .\'f j' IJ. ? r I J. J .M J. J.
J'üVTli) yUQ UQOi , ' TOVTO) 0(Ql,-^(a,
Freiheit von GcwaJl, Freiheit von Knechtschaff,
zGü AM gein ei n er Th eil.
ß. (S, e^ 10 I « « e; « I «. «^ « « ,> I «. ^ 7
rovTia Ttuieci) top ädvv oivov an afXTXclbiv.
Freiheit, mit dem Schwerte kämpft die mutige Schaar
um dieh.
(_^_| ^1
0. ». \ 0 e £. \ e. 0 0 \ 0. 0.
TOVTM deanorag fivoiag xexXi^-ficcc.
- Freiheit, Vaterland, hochheilgcr Heersruf!
0 0 m. l 0. «• tT 0 \ a. 0^ s 0 0 \ e. ^ 7
TOi de fit] ToXfioiVTSg tjf^^iv do^v xat iifpog.
Schütze sie, Schlachtschwert, an dem Tage des heilgeu
Kampfs.
^s^w— 1 __w 1 ^w — — I — —
^I^^J|llJ^|l^J^|ll
0. e^ 0 4. \ 0- 0 0 \ e 0 0 a \ e- 0.
HUI TO nakov Xaiai] - i' ~ ov nQoßhina yjJOJTOg,
Kommst du zurück siegreich , dann windet statt des Lor-
beers,
,^ !^ > i I M ^ r> ^ > ^ ^ i I j
a. &^ 0 \ 0. 0. \ t 0 & 0. 0^ 0 I 6). «.
TiavTig yovvTcen- ttj - ong i(.i ov xvpiov-Tt
Aus LräuLüchem Festzweig dir die Geliebte den Siegkranz,
JjN. I Jj'*.\'!.N J.NjN J. J.
fiianOTav ^ nue, fieyav ßaaihju (fcove - opct.
Tapfres Schwert, freue dich, es erscheint der Tag der Freiheit.
V '" r b i n d u n g d e r E h y t Ji m e n. 267
Die Form j J_ liabeu wir schon (129) unter
*]en Formen des gemischten Älttrum abgeleitet,
und mit mehr Beispielen bestätigt. Die Form
i t^ 7 ist dieselbe, nur mit ideeller Thesis. Wer-
sich, freilich ohne allen zureichenden Grund,
an diese stösst, der theile den Vers:
TOVTOJ yuQ C/.^0}j
TOVTOt {yf^t^CD
Ohne Zweifel wird JNiemand läugnen können,
dass der hier angezeigte Rhythmus dieses Sko-
lion sehr fasslich, singbar, und nicht ohne leb-
hafte passende Bewegung sey. Eben so liegt
vor Augen, dass keiner Sylbe Gewalt gescheh-
en, und bloss die Verschiedenheil der Län-
gen , welche aus der JNatur des Rhythmus ab-
geleitet wurde, zu unsrer Messung angewendet
worden sey. Sollte es nun wol glaublich seyn,
dass dieser, nach allgemeinen Principien aufge-
zeigte, Gesang nur zufälliger Weise in dem
Gedicht entiialten sey, nnd dass nur durch Zu-
fall selbst die logische Abtheilung, ja die de-
klamatorische Richtigkeit (z. B. in dem geho-
benen TO^rfjj) damit übereinstimme, dass ihn
aber der Dichter niclit gekannt, sondern die
Verhältnisse in seinen Versen gedacht und ge-
wollt habe, welche uns, wie wir eben sehn
werden, llgen und Hermann angeben?
i68 A 1 1 g ft m e i n c r T ii e i 1.
Nach Ilgen ist rler erste Vers ein vollzaliger
•seclisfassigei' sinkend ioniselier Vers (lonieus a
maiore hexameter acalalecticus) und seine Mes-
sunaf diese:
lart (lOi. irXovTog (if/cg d'0(ju aai ^iqjog , y.ut xo x«-
).(ju kuiar,'i'(jii TTfJoßhjfiu i^ioixoq.
Dieser unfönnliciie Strccloers sollte schon un-
ter den andern kurzen befremden, und Besseldt
hat ihn mit richtigerm Sinn, als Hermann, in
der Mitte nach ^iq)og getheilt, aber anders ge-
messen, als eben geschehen ist. INoch mehr in-
dessen muss man erstaunen über die Füsse,
welche darin dem sinkenden loniker gleichge-
setzt werden.
Der erste Fuss, ein zweiter Epitrit {_ ^ )
war an sich statt der trochäischen Dipodie pas-
send , desgleichen der zweite, nämlich die tro-
chäische Dipodie selbst. Einer lyrisclien Vei'-
bindung dieser beiden Rhythmen wird aber
durch den Wortrhythmus widersprochen, der
aus einer Periode in die folgende üfbergreift.
In ach uusrer angegebenen Messung ist die rhyth-
misclie Bewegung und Verbindung beider er-
sten Perioden völlig lyrisch, wie es einem Ge-
sang zukommt:
J > J I I 1 t
• 0 ä. I c. • (^
V e X- b i n (1 u n g d e r il li y t h ni e u. ^Ct»
aber fliese Leiden Perioden enthalten nicht so
viel Sylben, als die der Ilgenschen Abtheilung,
wiewol dieselbe Zeit. Schon dieser lyrische
Charakter uusrer Messung verbürgt und bestä-
tigt ihre Richtigkeit.
Höchst unrbythmiscli stellt der dritte Fuss
mit der kurzen Sylbe im Niederlakt, als eine
iambische Dipodie^ die nach Hermann statt des
louikers stehn kann, weil der loniker Avegen
der unbestimmten Eudsylbe das Maas _ _ ^ _,
und wegen der (von der Herraannschen Theo-
rie) vorausgesetzten Scbwäche der ersten Pieihe
die Kürze auf der ersten Stelle ^ _ ^ ^ zulasse,
woraus denn ^ _ ^^ _ wei'de. Wir sahen bei der
Lehre von den Ionischen \ ersen , dass Hermann auf
die ganz unpassende Form der lonikers ^ ^
bloss kam, weil er sich in der Messung der
\fcrse verwirrte, worin er sie zu finden glaubte.
Z. B.:
Qrjüiv dfdo I i.iivriv ayul'&ip (fvXuGGS guvtco.
Die Messung ist aber :
J. J. r/.\^^.^jN J.N.M.'.J.
eine ähnliche Bewegung ist im vorletzten Yer«
des obigen Skolion:
m. p. iT i \ 0. c. \ g ä ^ d. 0'' 0 \ 0. d.
7iavT!g yopVTTtmtj - ortg t/n' iv ttvi^eopri
und so loscL .sich jene rliyihmivsche Unform de*
louikers in leeren Schein auf.
a70 A 1 1 g e ni e i 11 (i r T ii e i I,
Der vierte Fus soll ein Moloss mit aufgo-
löseter Miltelsylbe .seyn (_*tr_), aus dem lo-
inkcr_'^ J"^ entstanden. Der Choriamb kann
allerdings unter den lonikcrn stehn, nämlieli
der flüchtige {J^^J^J.) eben so ein Moloss,
wo er statt des Bacclieus (__3 ^'_ J > ) steht.
Allein der Moloss, der seine Mittellünge in zwei
Kürzen löset, gehört dem Di-eivicrteltakt, und
kann nieht unter louikern stehn, die mit Tro-
chäen im Sechsachteltakt wechseln. Dieser Fuss
ist ein flüchtiger Choriamlj und fängt den zwei-
ten Vers des Skolion an.
Der fünfte Fiiss hat die ungelieure Form
^, welche Hermann durch die doppelte
Heihe in seinem loniker rechtfertigt, der, wie
sein Antispast, bald Ein Ganzes seyn muss, bald
zwei. Hier steht sie bloss aus irriger Messung,
Sonderbar ist, dass Ilgen la.iGT,iov (viersylbig)
schreibt, und doch das r^o zusammenzieht (ut
metrum in ultimis pedibus sibi constet). Frei-
lich kommt sonst die gleichmässige Sylbenzal
nicht heraus, das Metrum aber bleibt ungestört:
I I I I
1 ^
Xaiatj ~ c - ov
man lese dreisyibig, oder viersylbig, nur in der
metrischen Bezeichnung entsteht eine der Theorie
{rcmde Figur _ _ ^ _ ^, welcher durch die
Dreisylbigkeit ausgewieheu werden soll.
Verbilidung der Rhythmen. 271
Der sechste Fuss ist wieder die trocLäisclie
Dipodie, gegen welche im Allgemeineu nichts
einzuwenden war, nur bildet sie nicht den letz-
ten Fuss des Verses, sondern zugleich die Hälfte
des vorletzten:
SrJjN J.j.
OV 7tQ0ßh](Jl<X ^QbiTOQ
wie die obige Messung zeigt.
Ist nun wol in diesen sechs Füssen die Be-
wegung eines Verses zu finden, und nicht viel-
mehr bloss das peinliche Streben, eine Theorie
anzuwenden, die einen lebendigen Leib aus
mechanischen Atomen zusammenzusetzen un-
ternimmt? Hätte man den angegebenen Gesang
des Gedichtes früher gehört, und nun wollte
die Theorie in solche Füsse ihn aus einander
legen, was würde wol der Hörer dazu sagen?
VS'elchen Einfluss die Hermannsche Metrik
auf die Kritik der alten Dichter habe, mag nun
die Art zeigen , wie Hermann dieses Sko-
lion , das seinen Rhythmus vollkommen klar
ausspricht, seiner Theorie anpasst. Sic scriben-
dum est — sagt er de Melr. S. 558. Die Ac-
cente bedeulen die Arsis nach seiner Messung :
tan (Aol nKovTog /ntyu do^v
y.ui ii(f.ng xuc zo ymXÖv kaia^fi'o v n^oßhj/^a
X!J(^TOg
TOVTf'J yUQ (X()0>, TOVTfß} xlf^l^Cü
272 All gemel n er Thcil.
TOVTif) TtaTSCn TOP a dvv oifov
ün ufiTtifioj f roi'ro) drönoTug (ivoiug xfxlrjfLKxi. '
Tol de fA?j TO?.f.i(')i'T('g tyfiv
6Ö0V itai To y.ci/.oi/ ?Mia}iJop , 7CQoßh']fiu ^Qojzog,
rrävTfg i'g yopv 7rf7iTi]oTfg f'fxoi nvpiöpii.
dtonoräp y.(/.t fir/üp ßuGih'ju ffuji/föpTi.
So entstehn freilich bequeme Beispiele für un-
haltbare Sätze, z. B. in dem jxiyup ßaai-7.r,u zu
der angeblichen päonischen Form des lonikei-s,
in dem ToX-fKopztg iyfiv für die chorifimbische
aus dem Moloss u. s. w. Allein so verwischt
auch der Metriker durch eigenmächtige Abthei-
lung und Wortveränderung allen eigenthümli-
chen Pihythmus des Gedichts, und gibt statt
des melodiereichen kräftigen Gesanges ein Zerr-
bild , desien verschobene Gestalt man nur , we-
gen, des vorgehalteiten Mantels der Gelehrsam-
keit, nicht in seiner wahren hässlichen Gestalt
erblickt. Statt des schönpassenden (ifyag muss
das falsch bezogene [.uya hergestellt werden, um
die ausser der liermanuischen Theorie nicht
vorhandene ionische Form 1 i, ^ ^ ^ in irlov-
zog fiäya doQV zu bekommen, wo man wenigstens
^ w .1 w/ w ( J »^ »'"Jj ) l^sen müsste. Die dem
Rliylhmas ganz uneulbehrliclien Worte: nai It-
ipog werden, wo sie zum zweitenmal vorkom-
men, gegen bessere Lesarten, gestrichen, (wic-
wol sie der ganze Gang der Gedanken fordert),
Verbindung d»r Rhythmen. ayj
weU sie nicht zur Theorie passen. Dagegen
wird nach navifs im vorletzten Vers das, wegen
der Wiederholung des Lautes, nicht wohltönende
es eingeschoben, das weder Sinn noch Rhyth-
mus fordert, wenn man die Ilgensche Lesart an-
nimmt.
Nach solchen Bearbeitungen darf man sich
wol nicht wundem , wenn die alten Gedichte
zum Theil in einer Gestalt auf uns gekommen
sind, in welcher ihre Verfertiger so wenig sie
wieder erkennen wüi'den, als Unbefangene sie
ohne Affcktation wohlklingend finden werden.
Die Abtheilungen der andern Verse dieses
Skolion können wir um so füglicher übergehen,
daBesseldt*) ihre Mängel und ihre Unhaltbarkeit
ziemlich ausführlich gezeigt hat. Hätte er die
Form des gemischten Metrum J, J. nicht ver-
kannt, und die Form ^ nicht als unbe-
dingte Form des doppelten Trochäen statt des
lonikers angenommen, so hätte 'ihm die wahre
Messung dieses Skolion nicht entgehn können.
Eben so unpassend ist die Abtheilung, wel-
che Schweighäuser (Ausgabe des Alhenäus) von
Grolefcnd angenommen hat. Das Skolion soU
nämlich folgendes Maas haben und au« zwei
Strofeu bestehen :
*) A. a. O.
18
274 Allgemeiner Th«il.
Ion. pur. Li,^- \ LL^Z> \ w^-wj
Ti'ocli. 1^1^ I JLy^ LZ I 1^ IZ
Ti'ocli. LZZ^Z I l^L^Z
Ion. ZL^Z 1 l^lwJ
Troch. Iwlw I LZ'-^ I -w
St. ir.
Ion. pur. 1^'_3 i l^w« i Z^L^Z
Troch. l^lw- I L^LZ ^ L^LZ
Ion. 11^- , LL^Z
Ion. ^^^'Ww'jwl.ws.^
Trocli. JZ w -1 <- 1 -7w w - « I -3
Egiiv ifioi nXovTog ^tfyag, doQv kui iccpoif
Hat xuXov laiarji'ov, nQoßXr]/na yQwtOS'
TOVTO) yag aQco, Tovno narfco
TQV udvv QIVOV CiTl UflTlslcjV
tövTco dianoTcxg /.ivoiag x6xh]i.iai.
Toi de i-in ToX^iwvng tx^tv ßoQv kki ^i<fiog,
y.ui' yMkov Xuiaifi'ov, 7iQoßlriy.tt XQOiTog
TiavTtg '/ovi!ne7iir,QT6g
ifAS nvviovii dsonoxav,
v,ai fxeyuv ßaaüeu qjiovsovTi.
und um diesen, ziemlich verworrnen, Rhythmus
(wenn eine solche Zusammenstellung Rhythmus
)ieiisoix kann) herauszubringen, muss das igt
V e r b 1 n d u n g d e r R li y t h m e n. ayS
fioi in i^Sf ffiOL verwandelt, und das tovto) -üe-
()iCoj, was alle Lesarten haben, weggelassen Aver-
den. So w'irft jeder Metriker weg, was niclu
in sgine Messung passen w^ill, einer wirft deiiv
andern „die härtesten \erwirrungen der schön-
sten Rhythmen" (Grotefend bei Schweighihiser
S. 280) vor, und zeigt als diese „schönsten
Rhythmen" wo mögLch noch verrworrnere auf.
Das Spiel kann auch kein Ende nehmen, weil
keiner der Tadler und Besserer seinem Rhyth-
mus eine bestimmte, hörbare Gestalt gibt, in-
dem jeder sich mit dem nebulislischen Schat-
tenbild des metrischen Schema begnügt, das er
nur sieht, aber nicht höi't.
Um die Sache ganz vor das Gehör zii brin-
gen , möge hier der Gesang des Gedichtes auch
musikalischer Weise Platz finden. So viel wir
wissen, war die ionische Skala unsrer diatoni-
schen Durskala gleich. Die sinnvoll kräftige
Melodie zu dem Skolion von C. Schulze möchte
wol also auch dem griecliischen Ohr nicht fremd
zum ionischen R.hylhmus geklangen haben, und
so könnte wol gegenseitig das Vorurtheil schwin-
den, als sei die griechische Musik von einer
Schönheit gewesen, die unser verwöhntes Ge-
hör nur nicht begreifen könne. Man behandle
den Gesang mit aller Freiheit, welche musika-
lische Deklamation gestattet, dann dient er zu-
gleich als Beispiel zu dtm, was früher (Sg. 6o'.)
a^G Allgemeiner Theil.
vom. inteniionellenTakt gesagt worden ist; denn
bei aller Freiheit des Vortrags bestellt doch das
angegebene Taktverhältniss im innern Wesen
jener Rhythmen.
(Siehe Notenbeilage.)
277.
Die zweite Art der Verbindung der Pihyth-
men im Vers nennen wir die deklamatori-
sche, oder auch dramatische, weil sie eine
Mittelgattung bildet zwischen lyrischem Gesang
und prosaischer Rede, wie sie das eigentlich
poetische Drama verlangt. Wir sehn beiläufig,
dass diese Gattung des Verses und ihr Gebrauch
im Drama und in andern für Deklamation be-
stimmten Gedichten, in der Idee der metri-
schen Rede selbst liegt und nicht durch Con-
venienz entstanden ist.
Deklamatorisch verbunden sind Rhythmen,
welche nicht von derselben Einheit abstammen,
und nur durch die Einheit der metrischen Reihe,
in welcher sie erscheinen , zusammen gehalten
AN erden. Die Rhythmen, z. B.:
Traute Weinlaubhalle,
Becherklang
und Lieder preisen dich
Stammen nicht aus derselben Einheit ab. Gleich-
wol können sie in demselben Vers:
Verbi ndung der Rhythmen. 377
Traute Weinlaubhalle, Becherklang und Jubel preisen
dich
vereinigt seyn, diese Vereinigung ist deklama-
torisch, sie hebt den rhytiimischen Charakter
der metrischen Reihe (des Tetrameters) auf,
welcher die lyrische Antithese beider Hälften
verlangt. Es fällt hier ebenfalls nicht schwer
zu bemerken, dass die fremden Rhythmen, wel-
che die metrische Reihe bestimmen, allezeit,
eben weil sie fremd sind, den eigenthümlichen
rhythmischen Charakter dieser Reihe zerstören,
oder doch so verdunkeln, dass er nur in leiser
Bewegung durchhallt : deswegen werden allezeit
Rhythmen, welche den ursprünglichen Rhyth-
mus der metrischen Reihe, in der sie erschei-
nen, stören , dem Vers einen dramatischen Cha-
rakter geben , gesetzt auch , die verbundenen
Rhythmen liessen sich selbst auf eine rhythmi-
sche Einheit zurückflvliren, die aber nicht Ein-
heit der metrischen Evolution ist, in welcher
die Rhythmen erscheinen. Z. B. die Rhyth-
men in dem Trimcter:
Dort wütet niclit raubsüchtige Ruhmbegier
Stammen insgesammt von einer und derselben
Einheit:
V.JÜ A 1 1 g c m ü i n er T h e i I,
a
a 6 a
i. l J. j. J. J.
& \ s a 6. 0. ä. 0^ ti m 4 »
mid Jer Trimelcr ist lyrisch. Stellt man sie
aber in düs Metrum des alcäisclien Verses, der
ein lyrisclier tripodisclier Dimeter ist:
0 \ m a d. e. \ o. tr » € a m
Dort -wütet nicht raubsüchtige Ruhmbegier
SO ist der lyrisclic Cliai-akter des alcäisclien Ver-
ses gestört , er wird deklamatorisch , und hält
sich in der lyrischen Strofe nur durch vorsich-
tige Behandlung des Säugers.
278.
Da im Trimeter die lyrische Antithese schon
durch die dreifache Theilung verdunkelt wird,
lind selbst in lyrischen Versen nicht so stark her-
vorlönt, als in den Dimetern, so schickt sich der
Trimelcr allerdings am besten zum dramatischen
Vers. Wie aber der Prosaist sich vor Stellun-
gen zu hüten hat, welche den Verstakt vor-
scliallcn lassen, so muss sich der Dichter hü-
ten, dem dramatischen Vers lyrischen Charak-
ter zu geben. Man tadelt dtiber mit Recht die
Theilung des Triraetcrs:
cfi?.o'^(vog , Äfih;Giag, 'Afivpiag
Den sühnt ckr Tod, der selbst die Schuld des Bhites lösrlit
Verbindung der Rhythmea. 275
mehr noch aber die Theilung, •welche ihn, nach
Art des Alexandriners, in zwei Tripodien zer-
legt. Z. B.:
Gv fitv Tttd^ccv TVQovxot' f'/o} ds dt] Ta<pov
verhasster Weissagung Terhiingnlssvoller Spruch ;
denn ein Alexandriner bleibt ein solcher Vers
immer, wenn es auch wahr ist, dass man nicht
aus jedem Alexandriner, z. B :
Die Sternlaufbahn erforsclit bang alindend der Profet
einen Trimeter bilden kann. Das Muster des
dramatischen Trimeters bleibt deswegen immer
eine solche Theilung, welche lyrische Abschnitte
vermeidet, ohne das Grundmetrum in seinem
leisen Anklang gan^ zu verwischen. Es ver-
steht sich von^ selbst, dass durch ein solches
Muster nicht der Freiheit leidenschaftlicher Stel-
lung Zwang angelegt werden soll. Eben diese
Freiheit wii'd dann am meisten anschaulich,
wo sie die Anregung lyrischer Abschnitte vcr-
jueidt't.
Wenn die lyrische Antithese nicht bloss ein-
fache Perioden , sondern ganze Verse , in einem
grössei'n Verse, mit einander vei'bindet, so ist
es zum Bcstelin des lyrischen Charakters nicht
nolhwendig, dass In jeder Vershälfle ebenfalls
u<io Allgemeiner Theil.
die lyrische Verbindung beobachtet sey, z. B.
im Tetrameter:
Deiiie Blüten kehren "wieder, deine Tochter kehrt nicht
im Gegentheil gewinnt die Bewegung des Ver-
ses, und wird selbst in der lyrischen Antithese
grossartiger, wenn nur die Vershälften lyrisch
zum Verse verbunden werden, während die
Rhythmen in jeder Hälfte die deklamatorische
Verbindung annehmen, z. B. :
vuvTtxog oxQUToq xuxu&iig m^ov colics arpuTOv
A e s c h.
Jede Nacht durchdrang der Klagruf bang und wehmuth-
Toll den Wald
oder in noch grössern Verhältnissen :
Gzafiiv ivtnnov ßuotXijt KvQuvug , 6(fQa KOj^a^oyTt
CVV u^fJüiatltt Pind.
Als im schicksalvollen gewaltigen Weltkampf siegesfrojx
herstürmte die mutige Schaar.
Der Vers ist nämlich ein tripodlscher Tetrame-
ter, dessen Hälften lyrisch zum Ganzen ver-
bunden sind, während in beiden Dimetern de-
klamatorische Verbindung Statt findet, wodurch
die Bewegung gehoben wird. Betrachtet man
ihn als dipodischen Hexameter, so besteht er
aus zwei Trimelern.
Verbindung der Rhytlimen, abi
280.
Accentirte Melodien eignen sich mehr dem
Lyrischen, als dem Dramatischen; denn ilii-e
rhythmischen Formen können sich nur wenig,
und nur im Unwesentlichen, von den metrischen
Formen trennen. Der lyrische \ers war auch
deshalb unstreitig älter , als der dramatische, und
noch jetzt schwankt der dramatische Vers sol-
cher Sprachen, die bei prosodischer Bildung
nur accentirte Pihythmen bilden, sehr auf die
Seite des Lp'ischen , und verlangt daher , wenn
er nicht eintönig werden soll, sehr abwech-
selnde Wortfiisse. Die Dichter in solchen Spra-
chen haben das Lyrische der Verse , die weni-
ger für Gesang, als Deklamation gebildet w'aren,
zuweilen dadurch gemildert, dass sie nicht so-
wol Wortfiisse mit Zeitfüssen, als vielmehr
Wortaccent mit Versaccent kontrastiren lassen-
Z. B.:
Cöme Ic'gno dal boscu allora tratto
dalier behaupten einige Theoretiker, der accen-
tirte Vers zäle die Sylben bloss, ohne sie zu
messen. Der Vers für den Gesang bedient sich
indessen dieser Freiheit mit Unrecht, und kommt
dadurch, wo er von der Musik nicht frei be-
handelt werden darf, mit dieser in Widei'streit.
Z.B. im Choral, wovon wir im Deutschen aus-
ser dem:
Allgemeiner Theil,
Vater unser im HimmelreiGh
und:
Nun I.isst uns den Leib begraben
wenig Beispiele, mclir aber in französischen
Kirchensjesänsen haben.
'o^
Verbindung der Verse.
281.
Wir müssen der Eutwickelung des Begrif-
fes Vers vorgreifen, um nicht durch zu viel
Abstraktion zu ermüden. Vers nennen wir vor-
läufig eine Verbindung von Rhythmen zu ei-
nem Ganzen, das nach metrischen Perioden ge-
messen wird.
Dieselbe Verschiedenheit, wie bei Verbin-
dung der Rhythmen, wird auch bei Verbindung
ganzer Verse vorkommen können. Ohne das
Gesagte zu wiederholen, verw^eisen wir auf den
ganzen vorigen Abschnitt.
Verse können gleich den Rhythmen verbun-
den wei'den, entweder durch Zusammenstellung,
oder nach metrischem Princip.
Die freie Zusammenstellung steht in dieser
Sfäre der rhetorischen Zusammenstellung der
Rhythmen iu der Prosa gegenüber, In Anse-
Verbindung der Verse. 233
liimg der Stimme dem ßecitativgesangj in der
Musik der Fantasie.
Jeder \ers hat zwar seine eigne metrische Ein-
lieit, allein die Folge der Verse lässt sich nicht
in einer* hohem metrischen Einheit auffinden,
oder %vas dasselbe ist, jeder Vers hat seinen
eignen Takt, aber mehre Verse führen nicht
nothwendig denselben Takt fort. Z. B. :
Du stehst mit unerforschtem Busen,
geheimnissvoll , offenbar, n
über der erstaunten V.^elt
und schaust aus Wolken
auf ihre Reiche und Ht.riHchkeit,
die du aus den Adern deiner Brüder
nebcQ dir ■\^•ässerst. Göthe.
Das Gefühl des Taktes ist indessen so unaus-
tilgbar, dass selbst iu solchen freien Zusammenr-
slelluugen, ohne den Willeu des Dichters, der
Takt sich einmischt,
283.
In der metrischen Verbindung der Verse
lässt sich ebenfalls die lyrische Verbindung und
die dekiamalorlsche unterscheiden, v.ie bei der
Verbindung der Rhythmen.
Eine dramatische Verbindung dramatischer
(oder deklamatoi'ischer) Verse findet namentlich
Statt im eigentlichen dramatischen Dialog des
:i84 All^emoiner Theil.
Drama selbst. Der Hhytlimus eudet nicht noth-
ncudig auf der Scldusssylbe eines Verses, son-
dern greift oft mit dem logischen Satz aus dem
Scliluss eines Verses in den Anfang des folgen-
den hinüber. Z. B.:
oijttg ya(j ev 7ioX/,oiai.v, (Dg iyo), xanotg
^)j, noig X. T. A. ö o p h.
Wo durch die Waldeinöde, Tag und Nacht, der Wolf
Heult u. s. w.
i\iif gleiche Art werden heroische Hexameter
unter sich verbunden, wo sie mehr deklamato-
risch, als lyi'isch behandelt sind , z. B. im Idyll,
in der Epistel und im Epos selbst, dessen Vor-
trag höchst wahrscheinlich kein Gesang war.
284.
Auch unter lyrischen Versen kann eine de-
klamatorische Verbindung Statt finden, wovon
die Beispiele im Drama ebenfalls nicht selten
sind. Die trochäischen Tetrameter greifen sehr
oft in einander über, selbst wenn sie in ihrer
Mitte den lyrischen Abschnitt regelmässig hal-
ten. Ob die strofischen Chorgesänge eine lyri-
sche, oder dramatische Verbindung der Verse
enthalten, wird sich nicht eher bestimmen las-
sen, bis wir sie eben so bestimmt in ihrem ur-
sprünglichen Rhythmus vernehmen, wie die be-
kanntesten Verse. Bis jetzt ist dieses bei wei-
tem noch nicht der Fall.
Verbindung 3er Verse. 285
285.
Eine lyrische Verbindung dramatischer Verse
kann ebenfalls vorkommen , und wir haben
schon gefunden , dass die Halbverse der lyri-
schen Tetrameter gewönlich deklamatorischen
Rhythmus haben. So finden wir auch mehr
deklamatorische Verse zuweilen lyrisch verbun-
den, und diese Verbindung zu Systemen anti-
strofisch einander entgegengesetzt, wie Hermann
in mehren Stellen seiner Schriften ausführlich
in den Dramen der Alten nachgewiesen hat.
Die lyrische Verbindung lyrischer Verse eig-
net sich vorzüglich für den Gesang. Die ei-
gentlich lyrische Strofe entsteht dadurch, die
sich also von der dramatischen so unterschei-
det, wie der lyrische Vers vom deklamatori-
schen. Metrum undRhythmus gehn in der ly-
rischen Strofe gemeinschaftlichen Schritt, die
Strofenkomposition selbst ist mit den, in dem
Vers enthaltenen, metrischen und rhythmischeii
Formen aus derselben Einheit entwickelt. E$
zeigt sich daher in der Strofe selbst der lyrisch
antithesische Charakter. Z. B. in der ältesten
Strofe, dem Distichon, ist der Hexameter und
Pentameter in Antithese, und jeder trägt wieder
in sich den anlithcsischsa Charakter zweier
Uälftea:
2S6 Allgemeiner T hell.
Feuer des göttlichen Augs I und des Munds ambrosi-
sche Süsse
Mischt' Afrodite und schuf | süsse Konstanzia, dich.
Wie aber die metrische Periode auch Tripodie,
der Vers auch Ämeter ist, so zeigen sich auch
Strofon, in welchen ein drittes Moment die
Antithese schliesst. Eine solche Strofe in ih-
rer einfachsten Gestalt ist der daktylische He-
xameter mit der sogenannten daktylischen Pent-
hemimeres vereinigt. Dieser Hexameter ist aber
richtig betrachtet, ein iripodischer Dimeler:
Als in der Laube, die Nacht j durchblickt von dem
Strale des Vollmonds
dich dem Geliebten rereint.
In jeder lyrischen Sti'ofe, welche der Dichter
nicht, von fremden Principien verleitet, ver-
künstelt hat, wird man diesen Charakter der
Antithese sowol in einzelnen Versen, als in ver-
bundenen, finden , oft auch nach der Antithese
den Schluss, so dass man jede Strofe wieder
als einen erweiterten Vers ansehn, und das Ver-
hältniss einer Strofe in irgend einem Vers vor-
bildlich nachweisen kann. So ist z. B. die as-
klepiadische Strofe, welche bei Horatius mit
choriambischem llhythmus den Vers in der
Mitte theilt:
^Z - ^ ^ - I ~w^ ill dreimal
1 ?> ^ ^ A I ^
• « «
. *^ ^ » » \ 6. ^ 7 ^ 7
Verbindung der Verse, 2S7
Sjcriberis Vario fortis, et Iiostlum
Victor, Maeonii carmiuis aliti,
Quam rem cunque ferox nävibus, aut eqins
IVIiles te duce gesserit.
die strofische Erweiterung des in der letzten
Arsis scliiiessendeu Tetrameters. Jeder Fnss
ist nämlich zur Periode geworden:
Die sclionste Form dieser Strofe wird dalier
seyn, wenn die ersten zwei Yei'se mit den letz-
ten die lyi'ische Antithese bilden. Der ei'ste
Vers verträgt mit dem zweiten deklamatorische
Verbindung, der zweite mit dem dritten nicht;
denn mit dem dritten fangt die lyrische Anti-
these an, der dritte und vierte macht die Anti-
these gegen die erste Hälfte der Strofe* und
der vierte rhylhmisirt selbst die Antithese, in-
dem er gegen den dritten ein Nachbild der
riauptantithese (gleichsam eine Antithesen-The-
sis gegen die stärkere Arsis der Hauptantithesc)
bildet. Das Horazische Beispiel zeigt diese An-
ordnung.
287.
Von accentirten Strofen gilt dasselbe, AVas
oben von accentirten Versen behauptet wurde.
Sie nähern sich ihrer Natur nach mehr dein
388 Allgemeiner Theil.
lyrischen, und ihre Verbindung ist daher mehr
IjTJsch , als dramalisch. Hierin liegt auch der
Grund des Reimes , der in accenlirten Versen
(wo er wirklicher Reim, nicht bloss voller as-
sonirender Anklang seyn soll) , das Ende des
Verses, und die antithetische Natur der Zu-
sammenstellung bezeichnet und heraushebt.
Indessen lässt sich auch in der accentirten und
gereimten Strofe eine dramatische und eine lyri-
sche Verbindung der Verse unterscheiden, wie-
wol die erstere durch den Reim schon so von
der Lyrik modificirt wird, dass die accentirte
dcclamatorische Strofe der lyrischen quantitiren-
den gleich steht. Die Reimstellung niimlich, wel-
che zwei Reime unmittelbar auf einander folgen
lässt, sie seyen männlich oder weiblich (z. B.
Band, Land: Bellona, Teutona), ist für den
gereimten Schluss (wo also zwei Verse als Eins
betrachtet werden) dasselbe, was der arsische
Schluss für den reimlosen Vers ist. Die Reim-
stellung hingegen, wo die Reime getrennt auf
einander folgen (z. B. Bellona , Land : Teutona,
Band, oder, um nicht durch den Wechsel des
Steigenden und Fallenden zu täuschen: Hoheit,
Teutona: Rohheit, Bellona) gleicht dem theti-
schen Schluss im reimlosen Vers. Betrachtet
man in dieser Hinsicht die Struktur der heroi-
schen Stanze (ottava rlma), so findet man in
ihr ebenfalls das Schema des Tetrameters durch
Verbindung der Verse. üSg
Reim und Strofc erweitert, die Periode wird zur
Reimstellun^^ , die ersten drey tlietisch sclilies-
senden, zu WecLselveimen (ab ab ab), die vier-
te, arsisch scliliessende, zu unmittelbarer Reim—
folge (cc) und auch die Verhältnisse der Anti-
these zeigen sich in der Octave, auf dieselbe
Art, wie im Tetrameter , oder der nach ihm ge-
bildeten quanlitirenden Strofe.
Le lagrime e i sospiri degli amanti ,
l'inutil tempo, che si perde a gioco ,
e l'ozio liingo d'uoraiai ignoranti ,
rani disegni , che non han mai loco,
I ranl desideri sono tanti
che la pii parte ingombran di qnel loco :
Cio che, iiiÄomma, quaggiu perdesti raai>
La ju salendo , ritrovar potrai,
Ar I OST o.
Verliebter Seufzer »ind aJldort und Thränen,
die leere Zeit, die man beim Spiel verliert ,
die Mujse, die Unwissende vergähnen,
die eitlen Plane, die man nie vollführt:
In «olcher Meng' ist das vergebne Sehnen,
dass ihm des Raumes grösster Theil gebührt j
Was du verlorst ailhier, mit Einem Worte,
dat Alle» findest du an jenem Orte,
G r i e s.
Die älteste, oder sicilischc, Form der Stanje,
welche auch in den beiden Schlusszeilen diesel-
ben Wechselreirae wiederholt, ist der ihetisch
19
2t)0 A 1 1 g e m e i HC r 1 h e i i.
scliliessenJe strofisclie Tetrametcr, in wclclinTu
die blosse einfache Hauptantitliese voihaudeii
ist, nicht jener Nachklang der Antithese , in der
Mitte der zweiten Hälfte, welcher den Schluss-
zeilen einen leichten Anflug des epodisch(Mi
Charakters, und dadurch der neuern italischen
ottava riraa den eigenthümlichen Reiz gibt. Das
Ausfühi'lichere über das Yerhä^ltniss quantiti-
render Verse zu accenlirten Strofen gehört in
eine besondre Abhandl
^^•
Die lyrische accentirte Strofe hält den lyri-
schen Charakter nicht bloss, wie die quautiti-
rende, in den grössei-n Gliedern der Antithese;
jeder Rhythmus vielmehr, wenn er nur das Ende
eines Verses erreicht, ist an den lyrischen Cha-
rakter gebunden. Zu diesen lyrischen Strofen
gehöret vorzüglich die Strofe des eigentlichen
Liedes, z. B. die Choralstrofe. Diese ist ganz
streng an die Schlusspause jedes Verses gebun-
den, und an die Antithese in den Theilen der
Strofe. Ein Choraldichter, der diese lyrische
Natur der Choralstrofe nicht beobachtet, ver-
dii-bt den Gesang, und manche Veränderung,
die man mit alten Kirchenliedern vorgenommen,
hat sich auch in dieser Hinsicht keineswegs als
Verbesserung bewährt.
V e 1- b i lul u n 2 der ^' a r s e.
29 1
289.
Die Walirlieit dieser Satze, die -wir ganz a
priori aus der Idee des Rhythmus abgeleitet ha-
ben, zeigt sich Überali, auch in der Erfahrung,
z. B. in der Art, wie die Musik sich einem Ge-
dicht aneignet. Wir finden hier dieselbe Be-
ziehung zwischen Gedicht und Musik, die wir
oben (267) zwischen Metrum und Rhythmus be-
merkten. Mit dem lyrischen Verse und der lyri-
schen Slrofe ist die Musik in ihrem rhythmischen
Theile zugleich entstanden. Der Komponist ei-
nes Chorals z. B. darf von dem Metrum und
dem Rhythmus des Gedichtes sich nicht die
geringste Abweichung erlauben, der Dichter selbst
durfte es eben so wenig, seine Beschränkung durcli
den Rhythmus kommt nur nicht zum Vorschein ,
weil der Rhythmus selbst ei-st mit dem Gedicht
vor die Anschauung kommt. Deswegen tadeln
wir den Dichter mit Recht, der im Kirchenlied
den zusammenhängenden Redesatz aus einem Ver^
in den andern überbeugen wollte. So ist z. P».
Ramlers
Ihr Augen weint !
der Menschenfreund,
der Edle, der Gerechte,'
wird rerachtet, u. s. f.
für den Choral viel zu deklamatorisch und ver-
nachlässigt, über dem deklamatorisciien, den
laothwcndigen Ivriicheu Schlnss am l^idc cIöj-
aijj AI ly e 111 c i n er Iheil.
«Iritteii Zeile, der Monotonie des immer wieder-
kehrenden E nicht zu gedenken. In Abschnitl
und Antithese ist das ahe Vorbild:
O Traurigkeit!
O Herzeleid!
Ist das nicht zu beklagen ?
tier Nachbildung vorzuziehen, und das accen-
tirte zu ist nicht schlimmer, als Ramlers ac-
cenlirtes der auf derselben Stelle.
Die deklamatorische Strofe hingegen hat ihre
Musik nicht in sich selbst. Sie ist, gleich der
metrischen Keihe , die von einem fremden Pvhyth-
mus bestimmt wird (270), das Material, wel-
ches von der INlusik rhythmische Bestimmung
erhält. Hier ist also die Musik freier, als beim
Lied, und unsre neuern Komponisten möchten
das Rechte nicht ganz verfehlt haben, wenn sie
deklamatorische Gedichte durchkomponirten,
und ganz anders behandelten , als bei lyrischen
Gedichten zu billigen seyn würde.
Verbindung der Strofen.
290.
"Wir bezeichnen mit dem Wort Strofe hier
iiberhaujJt jede verbundene Anzal von Versen.
Ijnter diesen Strofen können ebenfalls verschie-
tlene ArJ^en von Verbindungen statt finden,
welche sich auf die Verschiedenheit der Vers-
verbindung beziehen. :
Verbindung der Strofea. aqS
Freie Zusammensetzung von Strofen Verschie-
dener Art findet sich nicht selten. Sie gibt dem
Gedicht den äussern Charakter des Deklamato-
rischen, und schickt sich daher am besten zu
solchen Gedichten, deren Inhalt mehr zur De-
klamation, als zum Gesang geeignet ist.
292.
Die deklamatorische Verbindung der Stro-
fen sieht nur auf Gleichheit derselben, wäh-
rend der logische Sinn aus dem Schluss einer
Strofe in den Anfang der andern übergreifen
kann , wie dies zuweilen bei Horatius der Fall
ist. Z. B.
possint imperiosius
Aequor.
kann den übergewaltigea
Meerschwall, Voss.
Die Musik zu solchen Oden kann unmög-
lich lyrischen Charakter gehabt haben, wenn
sie überhaupt gesungen wurden, und Lyra uud
Pl6ktrum nicht bloss als allegorische, schmük-
kende Attribute von ihnen gehen. "Vielleicht
war auch manche horazische Ode den Sängern
und Musikern nicht sehr willkommen,
293.
Die lyrische Verbindung der Strofen zeigt
ilircn Charakter iu dem bcstinnntcu Schluss der
,1 A 1 1 g e m e 'i n s r T L e i 1.
5iiüfe und in tlei' Antithese. Hier finden wirauck
flic Anlillicse in nocli grösserer Erweiterung
iils S t r o f e und A n t i s t r o f e , wozu nach dem
^ othild der dreifachen Theilung zuweilen noch
dif Epode kommt. Ob in den anlistrofischen Ge-
di'.hlen des Aherthums zuweilen mehr antistrofi-
s»he Form als antislrofischer Charakter vorhanden
sei, kann erst dann mit Sicherheit untersucht wer-
den, wenn der wahre Gesang jener Gedichte auf-
gcluuden worden seyn wird, was allerdings nach
den vielen Bemühungen metrischer Kritiker kein
iciclites Geschüft ist.
294.
In accentirten Strofen ist mit dem Reim der
Gipfel des Lyrischen erreicht, und da dieser in
der Verbindung der Strofen nicht einen Gegen-
salz in einem grössern Verhähniss antrifft, so
scheint hierin der Grund zu liegen, dass den
gereimten modernen Gedichten der anlistrofi-
sche Gegensatz fremd ist. Einzelne Versuche
mancher Dichter in dieser Gattung fanden keinen
Eingang, eben weil der accentirte Vers im Reim
sclion strofisch geordnet, und in der Strofe
seil 011 antistrofiscii und epodisch behandelt ist.
So erregt die Wiederholung derselben Reime in
der förmlichen Antislrofe nicht die Empfindung
des Gegensatzes, sondern vielmehr der Monoto-
nie, die man in Sestincn, Kranzsoneten vmd
aluiiiehcn poetischen Künsteleien, oft bemerkt.
\ o m V e 1- s. -2,^
Etwas dem Aulistrofischen ahnliclies zeigt
sich indessen im Sonet , dessen ganze Struktur
antistrofiscb und epodisch ist. Eigentlicli aber
Lüdet es eine einzige Strofe, in welcher die in-
nere antistrofi^.clie Coustruklion sehr deutlich
sich auszeichnet.
V o m V e r 5»
290.
In der Musik sind es Töne, in welchen der
Khylhmus erscheint. Diese Töne liaben an sich
noch kein fremdes Princip, was ihre verschie-
dene Dauer, oder ihren Accent bestimmte ; bei-
de Arten der Bestimmung bekommen sie erst
durch den Rhythmus selbst, der sich mit ihnen
verbindet. Ganz anders ist es mit dem Stoff des
Verses, der Sprache. Die Sylbeu, in welchen
die Momente des RliYthmus dargestellt werden,
sind nicht einzelne, unbestimmte tönende Ele-
mente, sie sind schon auf eine doppelte Art be-
stimmt, einmal als Längen oder Kürzen, durch
die grössere oder geringere Zeit, welche ihre
Aussprache erfordert, (denn z. B. wohl ver-
langt oirenl)ar mehr Zeit, als die Sylbe ob.
und ist daher laug) dann zweitens, als accen-
tirtc Sylben, durch den Accent, den sie indem
Worte ciunchracn, in welchem sie stehen.
aijf) Allgemeiner Tlicil.
296.
Jedes Woi't nämlicli soll, um die Einlieit
seilies Begriffs auszudrücken , nicht als eine \ iel-
licii , sondern ids eine Einheit (als ein Ganzes)
walu'genoimnen werden. Da nun die Einheit
in der Zeit Rhythmus ist, so muss jedes Wort
eine rhythmische Reihe seyn, um als Ganzes
zu gelten. In einsylbigen Wörtern wird diese
rhythmische Beschaffenheit latent , weil sich die
Elemente der Sylbe so innig vereinigen, dass
man sie, wie etwa einen schnell arpeggirten
Accord, als gleichzeitig vernommen betrachtet;
daher wir auch nicht Buchstaben, sondern Syl-
ben als rhythmische Elemente der Sprache an-
sehen. In mehrsylbigen Worten ist die Mehr-
heit der Sylben die Vielheit , welche im Wort
rhythmisch vereinigt seyn muss , um als Ganzes
wahi'genommeu zu werden. Ganz anders z. B.
spricht man das Wort: Filister aus, als die im
Laut ähnlichen drei einsylbigen: Viel isst er.
297.
GewÖnlich nimmt man den Accent als ver-
bindendäs Princip der Sylbenvlelheit zur Wort-
einheit an, und allci'dings ist er das ani mei-
sten auffallende Mittel, wodurch jene Verbin-
dung entsteht; allein in prosodisch gebildeten
Sprachen zeigt sich nicht weniger, als in quau-
titirenden Rhythmen, auch eine metrische Pro-
Vom Vers, 297
portion der Quantität , die zur Bestimmung der
Wortrhythmeu mitwirkt.
298.
Wer sich einem andern scliriftlicli mittlieilt,
braucht aus Bequemlichkeit wol zuweihn man-
che Abkürzung seiner Wörter, und ist über-
zeugt, der Leser werde, durch die Zeichen an-
geregt , das Undeuthche, oder Fehlende aus dem
Zusammenhange zu ergänzen im Stande seyn.
So halten es auch sehr häufig die Sprechenden.
Der Gegenstand, von dem eben die Rede ist,
gibt den Schlüssel zu den undeutlichen Artiku-
lationen, und daher verstehen es die Hörer ge-
w önlich zum erstenmal nicht genau , wenn ein
solcher Sprecher mit kühner Wendung zu ei-
nem fremdartigen Gegenstand überspringt. Je
mehr eine Sprache dieser bequemen und leich-
ten Art der Conversation dient, um so undeut-
licher wird der Rliylhmus in ihren Wörtern,
der sich am Ende noch kaum in einer schwa-
chen Spur des Accentes zeigt, so dass das me-
trische Verhältniss der Quantität unbemerkt
bleibt. Will man daher von den Bestimmungen
der Worlrbvlhmen richtig urlheilen, so muss
man nicht die Aussprache des gemeinen Lebens
zum Grund legen, sondern die, welcher man
sich dann selbst bedient , wenn man ein Wort
ohne All'ektalioa deullicli uimI ohne logische
agS AIIgcmoinerTheil.
Beziehung als einzelnes Wort ausspricht. Dann
•wird man fiuJen, dass wenigstens in der deut-
schen Sprache — \on den alten klassischen
Sprachen ist es ohnehin bekannt — ausser dem
Accent auch die Quantität als metrisches \er-
hiiltniss den Rhythmus der Worte bestimmt.
Spricht man z. B. das Wort Moosrose, so
bemerkt man auf der ersten Sylhe den Haupt-
accent, auf der z^veilcn den untergeordneten
der zweiten Arsis, und auf der dritten, als the-
tischer Sylbe, keinen Accent:
♦ * ♦
Moos - ro - St.
Diese Accentirung deutet schon auf das Quan-
tität-Verhültniss in diesem Piliythmus, und die
Aussprache zeigt, dass die erste Sylbe drei Mo-
mente, die zweite zwei, und die dritte ein Mo-
ment enthalte. Die ganze rhythmische Form
des Wortes ist also:
Jr J' .^
Moos-ro-se, '■
wovon sich jeder durch genaue Achtsamkeit auf
sein eignes Sprechen bald überzeugen kann.
Nur zweifle ein Unbekannter mit der Musik
nicht an der Sache, weil er das, was er ver-
nimmt , nicht vollkommen zu unterscheiden und
z'.i bezeichnen im Stande ist. Wie lange brach-
ten die Musiker zu, ehe sie den ganz gleiclien
0 V o na V e r s. 2g(^
luuslkalisclien Rhytlimus unzweideutig Bezeich-
neu und mesien lernten!
299-
Die accentlrte SylLe unterscheidet sich von
der accentlosen nicht durch ein längeres Ver-
weilen der Stimme darauf, sondern durch stär-
,keren Ton, der «ch, der Natur des Sprechens
gemäss, durch Erhebung der Stimme zeigt.
INIan sagt deswegen von der accentirten Sylbe,
»ie stehe in der Hebung des Wortes («(xr«?,
clatio), von der accentlosen hingegen, sie stehe
in der Senkung {-^ioig, positio). Die accent-
lose Sylbe kann daher lang seyn, z.B. dieSylbe
"Wahl in dem Worte Auswahl, wo sie in der
Senkung steht; dagegen kann eine accentirte
Sylbe kurz seyn, z. B. die erste in ovofiu. In
neueren Sprachen , z. B. der deutschen , gilt jede
Sylbe, welche einen Hauptaccent hat, für lang,
obgleich Worte von geringem BegrilFsgchalt und
ohne Quantitätlänge, z.B. oder, weder u.d.g.
besser pyrrhichisch gemessen würden. Der un-
tergeordnete Accent fällt indessen auch im Deut-
schen auf unbezweifelbar kurze Sylben, z. B.
feierlicher, Piächerinnen und ähnliche,
die in quantilirenden Versen nur mit Vorsicht
in die Stelle der Länge eintreten dürfen.
5oo.
Welche Sylbe eines Wortes accenlirt sei,
li.sM sich aus dem Aeussern der Sylbcnzusam-
5o« AlIgeM«incrTheI!, •
mensetzung nicht bestimmen. Wo die Quantität
nicht entschieden ist, die zuweilen auf den Ac-
cent zurückwirkt, da wird der Accent eines
Wortes Yon einem inuern Grunde bestimmt,
nämlich von der Bedeutung des Woi'tes, und in
der Regel bekommt diejenige Sylbe den Accent,
welche den Hatiptbegrifl' enthält.
001.
So lange in einem Worte keine Sylbenquan-
tität bemerkbar ist, weil alle Sylbeu vou glei-
cher Quantität sind, entscheidet der Accent al-
lein über dessen Rhythmus. Denn ob die Syl-
ben lang oder kurz seien, ergibt sich erst aus
der Vergleichung mit einem andern Wort.
Dergleichen Worte sind : Anmuthvoll, ovof*« ,
hominibus und äimliche. Da aber durch jede
rhythmische Bestimmung, sei es durch Quan-
tität oder Accent, sogleich metrische Verhält-
nisse entstehen, so erfolgt dieses nothwendig
auch hier. Indem der Accent sich fixirt, be-
kommt also das dadurch rhythmisirte Wort sein
metrisches Verhältniss, es entsteht Arsis und
Thesis und dadurch eine metrische Reihe. So liat:
anmuthvoll das metrische Verhältniss daa,
Kanzleirath dieses: a üa, und Domprob-
st ei dieses: aa ä. Wir finden in dergleichen
Worten dasselbe, was wir früher oft von Rhyth-
men bemerkt haben, die bloss in Hauplmomen-
tcn sicli bewe;:;cn.
• VomVers, 3oi
5o2.
Sobald in einem Wort ausser dem Accent
(denn dieser fehlt niemals) auch ein Quantität-
Yerhältniss unter den Sylben statt findet, so
äussert auch diese Quantitätverscliiedenheit ih-
ren Einfluss auf den Rhythmus der Worte, der
nun solchen Rhythmen gleichen wird , die mit
Momenten verschiedener Ordnungen wechseln.
Es fragt sich aber, wodurch eine Sylbe lang
oder kurz werde ?
5o5.
Auf der accentirten Sylbe hebt sich der Toa
wegen der Intensität, die er dieser Sylbe mit-
theilt. Wenn aber der Ton auf einer Sylbe
verweilt, länger als auf der andern, so ist diese
Sylbe lang. Dieses Verweilen des Tons ist nicht
vom Begriff abhängig, sondern von der Con-
slruktion der Sylbe , auf welcher der Ton ver-
weilt, daher linden wir, wo der Accent nicht
die Quantität bestimmt, Hauptwörter aus kur-
zen Sylben bestehend, z. B. 'O-fog, oQog und un-
bedeutende Wörter, z. B. nui, eig aus langen.
Wenn wir also den Accent ein inneres, ideelles
Princip nennen, so ist die Quantität ein äusse-
res, reelles Princip des Wortrhythmus. Die
Sache bedarf aber einer nähern Betrachtung.
V
3o2 % Allgameiner 'ihexl, ^
Allgemeine Prosodie.
3o4.
Das Körperliche , Materielle der Sprache Le-
s,telit Lekanntlich aus Vokalen und Konsonan-
ten. Die Vokale sind der eigentlich tönende
Bcstaudtheil, und jede Sylhe muss, um bestimmt
arlikulirt zu lauten , wenigstens Einen Vokal
enthalten. Mit diesem Einen Vokal ist sie als
Sylbe für die Aussprache beschlossen. Enthält
die Sylbe mehr Vokale, als diesen Einen, zur
Aussprache nothwendigen , so wird der Ton ge-
nöthigt, länger auf ihr zu verweilen, als auf
andern Sylben, die nur einen Vokal enthalten,
die Sylbe bekommt daher Länge. Es bedarf
kaum einer Erinnerung, dass mehr Vokale nur
dann in derselben Sylbe zusammentreffen,
wenn sie als Ein Laut, nicht aber als verscliie-
dene Laute ausgesprochen werden; denn im
letzten Fall würden sie nicht Eine, sondern
mehre Sylben bilden. Dies ist z. B. der Fall
mit den beiden A in Fraartes, Canaan; in
Aal, Meer, Boot hingegen bilden beide Vo-
kale nur Eine Sylbe.
oo5,
V okale von gleichem Laut, in derselben Sylbe
enthalten, }>ilden einen langen Vokal, der in ei-
nigen Sprachen durch besondere Figur, in an-
dern durch Verdoppelung, durch Anhängung
Allgemeine Prosodle 5o3
des Spiritus, oder durch ein Dehnungszeichen
angedeutet, oft aber ohne besonderes Zei-
chen, entweder aus seinem Stand in der Sylbe
erkannt, oder aus dem Sprachgebrauch erlernt
-wird. Die griechische Sprache hat bekanntlich
für die langen Vokale besondere Formen und
überdies noch am Circumflex ein Dehnungszei-
chen , die lateinische erkennt den langen Vokal
in der vorletzten Sylbe an der Betonung, in der
letzten an prosodischen Bestimmungen und zum
Theil an der Analogie des Accentes in Verän-
derungen des Wortes. Diese Analogie und der
Gebrauch der Dichter bestimmen die Quantität ^
der andern Sylben. Die deutsche Sprache be-
dient sich der Vokalverdoppelung (Aar, leer,
Moos), des augehängten Spii-itus (Ehre, ohne,
Noth), des stummen, bloss dehnenden E (w i e-
der, Liebe) welches im Hochdeutschen die Stelle
eines Dehnungszeichen vertritt. Doch überlässt
die deutsche Sprache nur zu oft dem Gebrauch
die Bestimmung des langen und kurzen Vokals,
und ohne durch ein Zeichen belehrt zu wer-
den, muss man bloss lernen, dass in Mond das
O lang, in blond kurz ist. (Scharf nennt man
gewöhnlich den kurzen Vokal, der in einer
durch Position, oder Accent langen Sylbe steht.)
Dtiher variiren auch oft die deutschen Dialekt«
liicrin, und Tag wird z. B. von manchen §e*
dehntj von manchen scliarf gesprochen. Di«se
ju-t Aligdinelncr Theil.
Yerschiedeiiheil zeigt sich zuweilen auch in der
Schreibart, und Vater, Eret, wird in manchen
Dialekten auch Vatter, Brett gesprochen und
geschrieben.
5o6.
Bernhardl (Sprachwissenschaft i8o5. S. 65.)
behauptet, auf einen Parallelismus gestützt,
diese Dehnung könne sich nur auf die Vereini-
gung zweier Vokale erstrecken , und gramma-
tisch sey aa und aaa dasselbe , wiewol ein mu-
sikalischer Unterschied eintrete. Da B. in der
Prosodie hierauf den Satz gründet, dass jede
Länge nur zwei Kürzen gleich sei, so muss je-
ner Behauptung widersprochen werden. Die
Contraktion eines kurzen (einfachen) Vokales,
und eines langen (doppelten) zu Einem Vokal
oder Difthong zeigt die Vereinigung dreier Mo-
mente in derselben Sylbe grammalisch, und
überhaupt muss grammatisch und musikalisch
nicht widersprechend seyn, sobald von absolu-
ten rhythmischen und metrischen Sätzen die
Rede ist. Bloss prosodisch betrachtet ist aber
die Sylbe weder dreizeitig, noch zweizeitig, son-
dern bloss lang im Aligemeinen. (5 18. 4o3 11'.)
307.
Vokale von verschiedenem Laut in ein»r
Sylbe ausgesprochen, bilden Difthongen, die
gleichfalls und aus demselben Grunde den Ton
Allgemeine Prosodie. 5o5
zum Verweilen nöthigen, und der SylLe dadurch
Länge ertheilen. Von den alten Sprachen ist
dieses bekannt, in der deutschen Sprache hat
man es lange nicht, und auch bis jetzt noch
nicht allgemein anerkannt : weil man die Quan-
tität der deutschen Sylben bloss aus dem Prin-
cip des Accentes, welches sich auf Begriffe be-
zieht, herleitete. Daher brauchte man die Wörter
aus, auf, euch, auch und ähnliche, weil sie
keine Hauptbegriffe bezeichnen und bloss ver-
binden, unbedenklich als Kürzen. Dem Ver-
stand gefiel dieses freilich , und dass dieser
selbst in Sachen, wo der Sinn einzig entschei-
den kann, sich eine richterliche Tirannei an-
gemaasst hat, ist bekannt genug. Dasselbe gilt
auch von den langen Vokalen im Deutschen,
die gewönlich ebenfalls, wenn der Begriff die
Sylbc nicht hebt, kurz abgefertigt zu werden
pflegen, z. B. ihr, wohl und ähnliche.
3o8.
Als zweiter Bestandtheil der Sprache zeigen
sich die Konsonanten. Wiewol sie grössten-
theils nicht selbst tönen , sondern nur dem Ton
des Vokales sich anschliessen , so erfordern sie
doch einige Zeit, um ausgesprochen zu werden,
und verlängern mithin die Dauer der Sylbe.
Trost z.B. erfordert offenbar mehr Zeit, als das
einfache O. Besonders auffallend wird dieses,
wenn mehre Konsonanten in Einer Sylbe zti-
ao
3o6 All^jciueiuei Tiicil.
sammentreffen, die ohne einen dumpf dazwisclien-
• tönenden Halbvokal ( Sclnva ) nielit ausgespro-
chen werden können, z.B. in: Sanft, Pabst,
wo man zwischen den schliessenden Konsonan-
ten den dumpfen Halbvokal vernehmlich hört.
Weniger auffallend tont dieses Schwa in andern
Sylben; aber wo es tönt, vermehrt es doch
ohne« Zweifel die Dauer derSylbe, und nölhigt
den Ton ebenfalls auf der konsonantenreichen
Sylbe zu verweilen. Hierdurch also erhalten
auch die Konsonanten Einfluss auf die Quanti-
tät der Sylben, der in der Prosodie unter dem
Namen der Position bekannt ist. Eine Sylbe
erhält näudich durch Position Länge , wenn der
Ton durch die Anzal, oder den Widerstand der
darin befindlichen Konsonanten genöthigt wird,
länger auf ihr, als auf andern Sylben, in wel-
chen diese Hindernisse nicht angetroffen wer-
den , zu verweilen. Es erhellt hieraus , dass die
Länge durch Position bloss relativ ist, und dass
unter Sylben, die bloss aus einfachen Vokalen
bestünden, schon Ein Konsonant der Sylbe Po-
sitionlänge ertheilen würde. Die Frage : wie
viel Konsonanten zur Position 'erforderlich seyen,
lässt sich mithin nicht im Allgemeinen beant-
worten, sondern die Beschaffenheit jeder Spra-
che muss darüber im Einzelnen entscheiden. *)
'') Diese Grundsätze über Position -mirden schon in der
Allgemeine Prosodie. 5q^
In Spraclieti', Avorin der grö.^ste Tlieil der Syl-
ben mit Vokalen anfängt , oder mit Vokalen
schllesst, ist gewönlicli jeder Vokal von dem
andern durch Einen Konsonanten getrennt; das
ZusammentrefTen zweier Konsonanten v.ird da-
her den Ton über das Gewöhnliche aufhallen
und dadurch eine Position bewirken. So ist es
auch in der That in der griechischen und la-
teinischen Spraclie, worin sich die Ausnahme
dass z. B. der stumme mit dem fliessenden Kon-
sonanten nur unvollkommene Position bildet
sehr leicht aus der geringern Verweilung er-
klärt, die der Ton hei dem leichten Leber<,^an<'^e
zu dem fliessenden Konsonanten nötliifr hat.
Findet sich hingegen bei der Mehrzal der Syl-
ben in einer Sprache Vorn und hinten ein Kon-
sonant, so ist das Zusammentrefien Von zwei
Konsonanten das Gewöhnliche, und es wird nur
dann Position entstehn, wenn w^enig tens drei
Konsonanten unmittelbar auf einander fob'on.
Diese Bewandniss hat es mit der deutschen Spra-
che, und man sieht, wie sonderbar seiht Klopslock
schloss, weil die Regel alter Sprachen von ^ er-
längung einer Sylbe durch Zusammentreffen
zweier Konsonanten unanwendbar scy, und es
ihm gelang, einen verfelilten deutschen Ilexa-
Leipzi^er Literatur - Zeitung 1809. N. il>5. , bei Ge-
lege^nheit einer Anzeige von Voss Uebeisetzung de»
Iloralius, von dem Vf. aiii-cslcllt.
5o5 A I i^ein oiiicr TlieiJ.
meter nach den Regeln der griechischen Proso-
die zu erfinden:
Tönender sangen verborgene Nachtigallen,
SO sey es lächerlich und ungereimt, im Deut-
schen Position anzunehmen, und überhaupt
Quantitäthestimmungen aus der äussern Natur
der Sylben herzuleiten.
509.
Etwas ähnliches hat Bothe *) behauptet, und
praktisch durchgeführt. Nur beschränkt er die
deutsche Position zu eng durch die Kegel der
griecliischen und lateinischen. Dennoch möchte
er den Spottvers des Beurtheilers in den Hei-
delberger Jahrbüchern (i8i3. April) nicht ver-
dienen. Wenn aber der Leipziger Recensent
(Lit. Z. 1812. N. 295.) die Sache erst dann als
streng bewiesen annehmen will , „wenn ein wirk-
lich grosser Dichter, wie Klopstock, in der von
Bothe bestimmten Prosodie sich nicht gezwun-
gen fültj" so möchte man fragen, warum der
grosse Dichter, der allem Zwang so abhold ist,
sich überhaupt die Fesseln des Verses anlegt?
Wenn manchen recht guten Dichter die Reime
im Deutschen geniren, ist darum der Reim aus
der deutschen Sprache zu verbannen? Ist die
Regel einmal in der Natur gegründet, so ist e«
*) Antikgemessene Verse Ton Bothe. 1812,
Allgemeine Prosodie. 505
etwas wundcrlicli , und eben nicht sehr genial
vom grossen Dichter, wenn er sich nur halb
fügt, und halb widerstrebt. Was wäre aber so
wunderlich, das ein Kritiker nicht behauptete!
3io.
Der lange Vokal, oder Difthong macht also
in jeder Sprache die Sylbe lang. Desgleichen
wird in jeder Sprache die Sylbe durch Position
lang; nur muss aus der Natur jeder einzelnen
Sprache selbst bestimmt werden, wie viel Kon-
sonanten zusammentreffen müssen, um eine Po-
sition zu bewirken. Es verbirgt sich indessen
hierbei die Bemerkung nicht, dass Sprachen, in
welchen wenig Konsonanten zur Position genü-
gen, weit leichter Sylbenquantität zeigen, als
andre, welche nur durch viel Konsonanten Po-
sitionlänge hervorbringen. Der Unterschied der
Positionlänge durch zwei Konsonanten von der
Kürze beträgt Eins, der durch drei Konsonan-
ten nur zwei Drittel, und der durch vier Kon-
sonanten würde gar nur ein Viertel betragen.
Mithin wird der Unterschied der Länge von der
Kürze immer geringer, und immer mehr ver-
dunkelt, je mehr Consonanten zur Position er-
forderlich sind, und in gleichem Verhältniss mit
der Positionlänge verdunkelt sich auch unter der
Masse von Consonanten die Quantität des lan-
gen Vokals, so, dass man die Portion von drei
5iü AUge tue in er T 1; e il.
Konsonanten wolil als Glänze wird annehmen
müssen, auf welcher die Quantitätbestimmung
noch deutlich Yernehmbar ist. Je mehr aber
das eine Piüncip verschwindet, um so mehr tiütt
nothwendig das andre hervor. Wo die Quan-
tität sich verherl , wird der Accent Hauptprin-
cip des Khythmus in der Sprache; wo hingegen
die Quantität sehr leicht vernehmbar ist, wird
diese voi'herrschendes Princip.
5ii.
Hieraus wird klar , warum Sprachen '^mit
leichter Quantilätbestimmung sich mehr zu
quantitirenden Rhythmen neigen, und da in
diesen der Tripeltakt vorherrscht , besonders
auch zu diesem (180.) Dies ist, wie die Folge
zeigen wird, in dem Griechischen fast durch-
gehends der Fall, und der grösste Theil lyri-
scher Verse bewegt sich in ionischem oder tri-
podischem Metrum, so dass man fast keinen
Vers anführen kann , der ganz unzweideutig ge-
raden Takt hielt. Sprachen hingegen mit viel
Konsonanten eignen sich leichter den accentirten
Rhythmen, z. B. die englische und andre nor-
dische Sprachen. Dass die italische und spani-
sche Spi'ache ihre Quantitätverhältnisse im Vers
nicht gellend macht, liegt nicht an der Sprache,
sondern in den Verhältnissen, unter welchen
sich die Poesie bei diesen Völkern ausbildete.
Allgemeine Prosodie. 5ii
Der Wolillaut des durch beide Sprachen so be-
günstigten Reimes und der Assonanz hat die
Poesie auf einen Weg geführt, der zu anlok-
kend ist, um ihn einer Schönheit (der Bewe-
gung) willen zu verlassen, welche die Musik
leicht dem Gedicht zubringt.
Ein bemerkenswerther Beleg hierzu ist , dass
die Musik, die am freiesten in accentirten
Rhythmen sich bewegt, ihre hauptsächlichste
Ausbildung unter solchen Völkern fand, deren
Sprache bloss acceulirt, oder nur wenig quan-
tilirt. Wo man bei leicht quantitirender Spra-
che auch in quantitirenden Rhythmen dichtete
und sang, z. B. in Griechenland, da blieb die
Musik zu sehr an die selbst musikalische Spra-
che gebunden und folgte Ton für Ton den
Sylben "des Gedichtes. Ihre Melodieen behiel-
ten deshalb zwar mehr Zierlichkeit, als die ro-
hen accentirten Gesangweisen des Nordlandes
haben mochten ; allein diese , welche nicht von
der Sprache gefesselt wurden, konnten sich
freier bewegen und der Musik einen Spielraum
anweisen , wo die Sprache nicht mehr dem
Ton Sylbc vor Sylbe folgen konnte. Hierin
liegt ein Ilauptuntcrschied, nicht sowol der al-
ten Musik von der neuern, als vieiraehr der
Verbindung der Musik mit dem Vers zum Ge-
sang in aller und neuer Zeit. Wie der accen-
tirte Gesang in Italien iil>or den quantitirenden
3 i :i A 1 1 g e m e i u e r T h e 1 1.
siegle, und wie durch die Aufnahme quanliti-
render Rhythmen in die accentirten Formen
griechische Eleganz mit nordischer Kraft verei-
nigt wurde, wird in der Folge nachgewiesen
werden.
3l2.
Die deutsche Sprache steht wegen ihres
nachgewiesenen Positionverhähnisses auf der
Gränze der quantitirenden und accentirenden
Sprachen; deswegen äussern Leide Principien
ihren Einfluss auf den Wortrhythmus. Der
Hauptaccent gibt der Sylbe , auf welche er fällt ,
wäre sie auch an sich kurz, doch den Charak-
ter der Länge. In Rosse z. R. gegen Rose
gehört, ist die erste Sylbe der Quantität nach
kurz, allein der Accent gibt ihr Länge. Weil
aber der Accent als ein innres und vom Ver-
stand abhängiges Princip erscheint, so äussert
er seine verlängende Kraft nicht auf unbedeu-
tende Sylben, die nur den arsischen, nicht den
BegrifFsjiccentKrhalten. Die dritte Sylbe in krie-
gerische ist deswegen , des Accentes ungeachtet,
kurz. Darum duldet der quantitirende Trime-
ter die Sylbenstellung nicht :
W — •«'— I y* — >m' — I t^ — »^ -^
Des schauerlichen Zuges feierliche Pracht
wohl aber der accentirende Alexandriner:
der schauerliche Zug in feierlicher Pracht
Allgemeine Prosodie. 5i3
und eben so der zehn und elfsylbige jambische
Vers:
Voll schauerliclier Ahndung sank die Nacht.
Eben deswegen äussert der Accent auch sein«
verlängende Kraft weniger in solchen Worten,
die bloss Nebenbegrifte bezeichnen , z.B. oder,
"weder u. a. m. , und die accentirten , an sich
kurzen Sylben solcher Wörter bekommen nur
eine zweideutige Länge, d. h. , sie können nach
Willkühr als Längen, oder als accentirte Kür-
zen gelten. So haben wir allerdings pyrrhichi-
sche Wortfüsse in der deutschen Sprache, frei-
lich ziemlich wenig, indessen sollte man doch
diese wenigen anerkennen,
OlD.
Nicht allein in Sylben und Worten findet
der Rhythmus die Sprache schon unabhängig
von sich bestimmt, sondern auch in ganzen
Sätzen. Wie nämlich das einzelne Wort seinen
grammatischen Accent hat, so hat der Satz sei-
nen logischen Accent , der ihn zur Einheit ver-
bindet, und dessen veränderte Stelle bekanntlich
auch den Sinn des Satzes verändert. Auch die
Position findet nicht allein in der Mitte des
Wortes, sondern oft und hauptsächlich in der
Zusammenstellung der Worte Statt, so, dass die
Endsylbe eines Wortes von veränderlicher Quan-
tität ist, je nachdem sie vor einem Vokal, oder
vor einem Konsonant sieht.
5i4 A llgem einer Theil.
Eine ähnliche Veränderlichkeit der Quantität
findet auch bei dem langen Vokal Statt, der,
wo der Accent keinen Einfluss auf die Quanti-
tät äussert, vor einem andern Vokal kurz, oder
doch von zweideutiger Quantität wird. Auch
im Deutschen sind die Endungen der Worte :
bei, einerlei u. d. g. vor einem Vokal zwei-
deutig, die accentirten: Abtei, herbei, blei-
ben lang , eben so einsylbige Ilauptworle , als :
Thau, froh, Schnee und ähnliche.
3i4.
Der logische Accent des Satzes gibt einer
kurzen Sylbe nicht nothwendige und unbedingte
Länge, am besten steht sie als Kürze in der
Hebung des Taktes. Will sie der Dichter als
Länge, vielleicht gar als dreizeitige, in die
Hauptarsis stellen, so muss Rhythmus und Me-
trum schon sehr entschieden seyn, sonst ver-
wirrt eine solche Stellung z. B.
Das hab' ich erkämpft, das hab' ich errungen,
hält sich in der ionischen Bewegung
I ^ 5 N" I I ^ ^ I I j^ j^ > I I > y 9
lt. m. ä^ m \ a. S^ 7 \ J. J. J^ d I «. • / /
als Accentlänge ; allein wenn die Bewegung noch
unentschieden ist , so kann man lesen :
Daher ist eine solche Accentlänge zum Anfang
nicht zu empfehlen.
Näher'e Bestimmung des Verse«. 3ij
Nähere Bestimmung des Verses.
5i5.
Findet nun verschiedene Sylbenquant^tät in
den Worten einer Sprache Statt, so tritt auch"
in dieser Rücksicht sogleich ein metrisches Ver-
hältniss ein; denn eine Sylbe ist im Rhythmus
nicht im Allgemeinen lang oder kurz, sondern
sie ist es nach einem bestimmten Verhältniss.
3i6.
Dieses bestimmte Verhältniss der Länge und
Kürze erkennen die Metriker an; allein sie be-
stimmen es für alle Fälle als das Verhältniss von
Zwei zu Eins, ohne einen Beweis für diese
Behauptung zu führen. Der einzige , Bernhardi ,
gibt in einem Parallelismus wenigstens eine Art
von Beweis. (3o6.) Es muss jedem Unbefange-
nen auffallen, wie sehr das Nachsprechen frem-
der Worte unsern Denkern eigen sey, da sie
gegen die laute Stimme der Musik und der Aus-
sprache , und gegen alle Beweise aus der Natur
des Rhythmus , dennoch auf jener willkührli-
chen Behauptung bestehen, und sich, mit Ver-
läugnung ihres Sinnes, lieber dem alten Vorur-
ihcil fügen, eh' sie von einer, von allen Seiten
probchaJteudcn , Ansicht Notiz nehmen.
317.
Dasselbe metrische Verhältniss, welches bei
quantitirenden Rhythmen überhaupt Statt findet,
5;i6 Allg e meiner Th eil.
muss aucli Lei Worthrhytlimen eintreten. Es
ist kein Grund , es anders zu erwarten , und so
ündet es sich aucli in der That.
In den absoluten Rhythmen — so nennen
wir sie in ihrer reinen Gestalt, ohne Verbin-
dung mit Wort oder Ton — fanden wir dreier-
lei Quantität der Länge, in Musikzeichen aus-
gedrückt: J. J und e'. 5 und zweierlei Quantität
der Kürze ^ und Js Diese Verhältnisse werden
sich in der Sprache, so fern sie rhythmisch in
Ansehung der Quantität betrachtet wird, eben-
falls finden. Nachweisungen von dergleichen
metrischen Formen in der Sprache sind schon
früher gegeben worden. Man spreche das Wort :
Anmutig, so spricht man es in der metrischen
Form des Bacchius:
! J >
B- — •«>
Anmutig
Mau spreche: Anmutiges, so spricht man
das Wort in der Form des Jonikers:
I ^ ^ >
•. c. e^ •
Anmutiges
und in diesen beiden Beispielen findet man alle
verschiedenen Quantitäten der metrischen Län-
gen und Kürzen. Eine vierte Gattung der Länge,
die nicht metrisch , sondern prosodisch ist , kann
erst später angezeigt werden.
Nähere Bestimmuiig des Verses. 617
5i8.'
Es ist bei der ersten Entwickelung des Me-
trum erwiesen worden, dass das Metrum kein
absolutes, sondern ein relatives Maas sey, näm-
lich ein Proportionmaas des Rhythmus. Das
Allgemeine des Metrum, nämlich der Begriff
eines Verhältnlssmaasses , entsteht mit dem All-
gemeinen des Begriffes Rhythmus. Die bestimmte
Proportion aber entsteht mit dem bestimmt ge-
gebenen Rhythmus. Daher ist es nicht nur er-
laubt, sondern nothwendig und in der Natur
der Sache gegründet, dass dieselbe Sylbe in
verschiedenen Wortrhythmen ein verschiedenes
metrisches Verhältniss habe ; denn sie bekommt
überhaupt erst irgend ein metrisches Verhältniss
durch die Stelle, in welcher sie im Wortrhyth-
inus steht. Die Sylbe Glück z. B. hat in dem
Wort: glücklich zweizeitige Länge; denn das
Wort ist ein Trochäus (JJ^); in glückse-
lige hat sie dreizeitige Länge; denn sie nimmt
die erste Stelle eines flüchtigen, sinkenden, io-
nischen Wortrhythmus ( j. J. ^ J ) ein; in
Unglücklicher hat sie unvollkommene Län-
ge, denn sie steht auf der zweiten Stelle dersel-
ben ionischen Form. Von der metrischen Quan-
tität ist also die prosodische Quantität wohl zu
unterscheiden. Diese, die prosodische, nennt
die Sylben bloss lang und kurz , ohne alle Rück-
sicht auf ein metrisches Verhältniss dieser I^änge
5x8 Allgemeiner Theil.
xind Kürze, nicht 'einmal auf das sich zuerst
darbietende von Zwei za Eins, und wir wer-
den späterhin sehn, dass die prosodische Lange
in einigen Fällen sogar metrische Kürze ist.
Die Prosodie sondert nur in der Sprache Syl-
ben , welche die Verhältnisse metrischer Längen
aufnehmen können, von solchen, welchen die
Verhältnisse metrischer Kürzen sich aneignen
lassen, und nennt die ersten ohne Unterschied
lang, die zweiten kurz, diejenigen aber, mit
welchen sich metrische Verhältnisse beider Art
vereinigen lassen, mittelzeitig. Durch die
Verwechselung der prosodischen Quantität mit
der metrischen, entstanden ungemein viel Ver-
wirrungen im Maas unbekannter Versformen,
und in den metrischen Theorieen selbst.
519.
Ist die Relativität des Metrum erwiesen, so
sieht man, wie weit Hermann von einer richti-
gen Begründung der Metrik entfernt ist, wenn
er (Metr. §.49.) sagt: „Metrum bezeichnet bloss
das Verhältniss der Länge der Zeitabtheilungen
gegen einander, ohne allen Rhythmus."
Ein Verhältniss der Zeitabiheilungen ist aber
nur im Rhythmus denkbar. Zu dieser Unklar-
heit der BegrilFe kommt nun noch folgender
Satz (das. §. 5o.) : „So vielfach das Maas der
Zeitabtheilungen in dem Rhythmus der Musik
Nähere Bestimmung des Verse 3. 3 ig
und Tanzkunst ist, so hat doch die Sprache,
die nicht bloss zum Ausdruck der Empfindun-
gen erfunden ist, und der eben deswegen eine
zu grosse Mannigfahigkeit des Maasses lästig
seyn würde, nur eine einzige \ erschiedenheit
des Maasses, ein einfaches und ein doppeltes."
— In der That, ein sehr befremdendes Versin-
ken in die materiellste Empirie , von einer Theo-
rie , die auf formale - objektive Gesetze a priori
mit bis zur Trockenheit strengem Ernste dringt!
Indessen lernen wir, dass Bequemlichkeit und
Unklarheit der Grund ist, worauf die Verwer-
fung andrer metrischer Verhältnisse im Vers
als des beliebten Eins zu Zwei sich gründet,
und dass gelehrte Filologen, die am Maas der
Verse und der Musik des Alterthums bessern
und meistern, nicht einmal im Stand sind, das
Maas ihrer eignen Aussprache zu vernehmen,
wenn sie ionische Wortrhythmen , z.B. Ankün-
digen; ( J. «'. ,N ^ ) aussprechen. Würden sie
sonst das Maas der Sprache auf jenes Verhäit-
niss : Eins zu zwei beschränken wollen ?
520.
Es ist mithin mit den Worten, wie rhit den
absoluten Rhythmen: das metrische Verhältniss,
auf den Accent bezogen, bildet die Arsis und
Thesis; auf die Quantität hingegen bezogen,
bildet es das rhythmische Sylbenverhältniss der
Länge und Kürze.
32o Allgemeiner ThelL
Wortfüssc.
021.
Wenn wir die Wörter einer Spraclie nach
ilirem metrischen Verhältniss betrachten, so
erkennen wir in ihnen den Rhythmus, und wir
haben sie in dieser Piücksicht schon oft Wort-
rhythmen genannt. Betrachtet man aber die
Wörter bloss in Hinsicht auf die prosodi-
sche Quantität ihrer Sylben, ohne Beziehung
auf Rhythmus und metrischen Gehalt, so nennt
man die Wörter Wortfüsse. So ist z. B.
A n'm u t i g e r zugleich ionischer Wortrhythmus
und Wortfuss ( J. J^ ,^ J^ - - w. ^ ) : Aus-
drü'cklicher hingegen ist zwar ionischer Wort-
fuss ( _ — ^ «^ ), aber nicht ionischer, sondern
iambischer Wortrhythmus ( J^ | j j^,^ 7 7 ) oder
auch daktylischer mit Auftakt ( J [ J j^ J^ )•
322.
Zu Bezeichnung der Wortfüsse reichen die
üblichen metrischen Zeichen , (die man richtiger
prosodische Zeichen nennen könnte) vollkom-
men aus. Nur vergesse man niemals bei ihrem
Gebrauch, dass sie bloss Länge und Kürze in
prosodischer Ansicht, keineswegs aber in metri-
scher Beziehung anzeigen. Sie deuten also
eben so wenig auf das Verhältniss Eins zu
Zwei, als auf irgend ein anderes. Ein Vers-
schema in solchen Zeichen i«t gleichsam eine
Wort füsse. Sax
Aufgabe zur Construktion eines Verses, wo der
Verskünstler die Verhältnisse zu finden hat, wie
etwa der Zeicliner, der aus fünf zufällii;en ge-
gebenen Punkten eine Figur construiren solL
Mancher Vers in den Theorien sieiit wirklich
aus, als hätte der Zeichner bloss einige mensch-
liche Glieder an die Stelle der Punkte gesetzt,
und die Figur vergessen.
Eben so bekommen die Wortfüsse von dem
Rhythmus ihre metrische Bestimmung, die ver-
schiedenartig seyn kann, v/eil die prosodische
Quantität verschieden bestimmbar ist. Der Wort-
fuss w - kann eben sowol den Rhythmus
J. J*^ .^ J" als den J J .^"^ oder diesen: J 1 J />
oder folgenden: ^ \ J^ ^ j^ enthalten. Ein
V
Vers aber enthält nicht unrhythmische Sylben-
massen, sondern Rhythmen. Im Vers ist also
das Maas des Wortfusses metrisch bestimmt, er
■wird Wortrhythmus ; und hier zeigt es sich von
neuem, dass es blosse Willkührlichkeit sei,
wenn man aus den vielfachen Bestimmungen des
Maasses bloss das von Eins zu Zwei als das al«?
lein gültige heraushebt.
S25.
Uibrigens ist der Ausdruck Wortfuss, wenn
er auch vielleicht nicht vollkommen passend
seyn sollte, seit Klopstock angenommen, un,d
als einmal eingeführt beizubehalten, wenn man
21
oaa AllgtineiiierTlieil, .
ihn nur 6orgfaliig, was selbst von Klopslock
und andern nicht immer geschehen ist , vom
Worlrhylhmus unterscheidet. Alle oben ange-
gebenen Füsse, oder rhythmischen Formen, von
zwei bis zu sechs und mehr Sylben, können
Worlfiisse werden, wenn ein Wort sie ganz
ausfüllt. So ist Emporstreben ein antispa-
stischer Worlf uss , Vernachlässigung ein
dochmischer, Magnet ein jambischer, Dop-
pelrubin ein choriambischer, General-
marsch ein steigendionischer u. s. w. Von
dem Gebrauch der Worlfiisse im Vers kann
erst später die Rede seyn; hier müssen wir uns
begnügen, ihren Begriff zu bestimmen.
524.
In etwas weiterm Sinne erfordert man zum
Wortfuss nicht ein geschlossenes Wort in buch-
stäblichem Verstände; man rechnet gewönlich
den Artikel, Konjunktionen und andere Hülfs-
wörter mit in den Wortfuss ein. So geht z. B.
die Gewallthat unter den steigendionischen
Wortfüssen. VV^er indessen genau beobachtet,
unterscheidet unter denselben Wortfüssen sogar
nach ihrem verschiedenen innern Zusammen-
hang. So sind die Worte : Tausenderlei; Fu-
rien tanz; Völkergeschick; Todmeteor,
sämmtlich choriambische Worlfüsse (und zugleich
chorlamJjische Wortrhylhmen); allein die verschie-
Verbindung des absoluten Rliylhmus mit der Sprache. 523
dene Zusammensetzung ändert ihren Charakter.
Tausenderlei und Todmeteor haken sich
im Dreiviertehakt { s J J J ), Furientanz
und Völkergeschick nur im Sechsachteltakt-
( •'. J^ J J. )• Jene können zwar diesen, nicht
aher diese jenen gleichen Schritt haken. Der
Grund ist der verschiedene Rhythmus in den
Bestandtheilen des zusammengesetzten Wortes,
der den Worlfuss nicht ändert, wol aber sei-
nen rhythmischen Gebrauch bestimmt, und dem
Wort seinen Charakter mittheilt. Jagdgesang
z. B. hat wegen der iambischen Struktur mehr
Munterkeit, als derselbe ki-etische Wortfuss und,
Wortrhythmus : J ä g e r 1 i e d. Aus demselbea
Grunde ist T i r a n n e i ni o n u m e n t heftiger ,
als : von Ti rannen erbaut; heftig mit nach-
druckvollem Ernst: Tiranneidenkmal.
Verbindung des absoluten Rhythmus mit
der Sprache.
525.
Wie der Musiker Pihythmen und Melodien,
durch Töne darstellt, so stellt der Dichter, ia
so fern er zugleich Verskünstler ist, die Rhyth-
men und ihre Zusammensetzungen duixh die
Sprache dar.
Es erhellt aus dem Vorhergehenden, dass
der Dichter hiei-bei beschränkter ist, als der
'ii^ A t,l y c m e i Ji e r 'T li e i L
Tonkünstler. Denn wenn dieser die Töne m
Ansehung des Rhythmus noch völlig bestim-
munglos findet, so trift der Dichter sein Ma-
terial (die Sprache) schon dirchgängig von ei«
nem fremden, rhythmischen Princip bestimmt,
und zugleich prosodisch in absolute Längen und
Kürzen gelheilt. Er ist daher genöthigt, die
Worte für seine Gedanken so zu wälea und zu
ordnen, dass ihr eigenlhümlicher Rhythm is
dem Rhythmus, welchen er im Vers darstellen
will, entspreche. Wie dies derX)ichter bewerkstel-
lige, und wodurch die Sprache sich willig dem
Gedanken und dem Rhythmus anschmiege, ist
Sache der Kunst. Pfiemand glaube doch, dass
Kenntniss der Sprache und Uibersicht der ganzen
metrischen Wissenschaft, ihn ohne eigentliche
Kunst, oder Poesie, in den Stand setzen werde,
vollkommene Verse zu bilden; denn nur in den
Augenblicken der Begeisterung ist auch die
Kraft wirksam, die aus der Sprache schöne,
freie, lebendige, rhythmische Gestalten bildet,
und wer diese Kraft für eine mechanische Fer-
tigkeit hält, irrt nicht weniger, als wer das
Gedicht für ein Erzeugniss der Bemühung und
des Verstandes ansieht.
Hier hat die Wissenschaft bloss zu untersu-
chen, wie weit der allgemeine Rhythmus durch
den vorherbestimmten Rhythmus der Sprache
und ihre Prosodie darstellbar sei, und wie der
Verbindung des absoluten Rhythmus mit der Sprache. SaS
allgemeine Pihyllimus ( den wir hier den poe-
tischen nennen können) den Rhythmus der
Sprache und die Prosodie modificire.
526.
Der bloss accentirte Yei's - Rhythmus beach-
tet in der Sprache allein die Arsis und The-
sis, ohne sich durch Quantität in seinem Gange
auflialten zu lassen. Da accentirte Rhythmen
gewÖnlicli bei Völkern entspringen , deren Spra-
clie selbst kein, oder doch kein merklichei
Quantitätverhältniss hat : so liegt in diesem
Nichtachten der Quantität nichts befremdendes
und keine Härte. Nur dann erscheint der Vers
hart, wenn Arsis und Thesis des Wortrhyth-
mus der Arsis und Thesis, welche der Vers
verlangt , widersprechen,
527.
Einsylhigc Worte zeigen sich in der Sprache
Weder als Arsis, noch als Thesis; daher sind sie
in accentirlcn Rhythmen von gleichgültiger metri-
scher Beschaßenheit. Sie folgen bloss dem abso-
luten Rhythmus, und nehmen jede metrische Be-
stimmung an, die er verlangt. Durch Verwech-
selung des Acccutes mit der Länge entstand aus
diesem wahren Salze der ganz falsche : dass ein-
sylbige ^Vorle von gleichgültiger Quantität
seyeu , den Ramlcr nebst andern deutschen
Verskünstkrn aufslcllle und befolgte. Indem
3iG Allgeinüiner Thejl.
man nun quantilirendc Verse bilden wollte, und
In der Sprache nur Accentbestimmungen an-
nalun, musslen nalüi'licli die Verse, welche zwar
den accentirenden llhythmen analog, aber den-
noch, quantitirend sind, z. B. Hexameter, durch
prosodisclie Härten höchst ungelenk, oder im
entgegengesetztcAi Fall bis zur Dünnheit schwäch-
lich werden, z. B.
an dem rieselnden Bach in dem Gemurmel der Wellen.
Diejenigen Verse aber, welchen, wegen des
Wechsels der Momente verschiedener Ordnun-
gen , die Analogie mit accentirten Rhythmen
fremd Ist, mussten ganz unmöglich für die
INachahmung scheinen, und überdies verkannte
man selbst in den Originalen ihren Rhythmus,
weil man die Quantität theils zu einseitig be-
stimmte, theils überhaupt nur als iiccentvei*-
scliiedenheit hörte.
328.
Wo einzig der Accent den Vers und die
Sprache rhythmisch und metrisch Bestimmt, da
kommt allerdings auch dem logisclien Accent
einiger Eintluss auf dtis Metrum zu. Er kann
zv.'ar einer Sylbe nicht absolute Länge erthei-
Icii ; allein von Länge Ist auch im accentirten
Vers die Rede nicht. Indessen erlheilt er der
Sylbe, auf welche er fallt, die Eigenschaft, sich,
wenn sie auch an sich un])edeutcnd wäre, m
Verbindung des absoluten Rhythmus init der Sprache. 3^7
der Arsis des Verses zu halten. Allerdings fin-
det man accenlirte Verse , in welchen der Rhyth-
mus die Sprache gewaltsam mit sich fortreisst,
so, dass bloss der absolute Rhythmus herrscht j
und kaum in mehrsylbigen Worten die Arsis
des Wortes mit der Arsis des Verses verbunden
wird. Die extemporirten Gesänge kriegerischer
Völker mögen auch wohl in alter Zeit dem
Pihythnms des Gesanges diese Gewalt über die
Sprache gestattet haben. Dass aber die Harmo-
nie des Sprachaccentes mit dem absoluten in
accentirten Versen dem Kontrast beider vorzu-
ziehen sei, kann wol nur Lust an Paradoxie
bezweifeln.
329.
Die Gewalt des logischen Accentes in accen-
tirten Versen hat zur natürlichen Folge, dass
zweisylbige Worte von untergeordneter Bedeu-
tung, im Tripeltakt, ihre Arsis der Hauptarsis
des logisch accentirten Wortes unterordnen , und
daher mit beiden Sylben thetisch — gleichsam
als Accenlpyrrhichien — erscheinen. Es ist also
kein Fehler, was manche Kritiker, Accent und
Quantität verwechselnd, tadeln, wenn zweisyl-
bige Worte in accentirten Versen als dergleichen
Accenlpyrrliichicn behandelt werden, z. B.
and in sad cyprcss let mo be laid.
1 am slajn by a fair cruel niaid. Sliakesp.
3a3 Allgemeiner TU eil.
Ihren Schleier hebt keines Sterbllclien Hand.
Schiller.
Dass es keine Accent - Tribrachen (als
Worlfusse) geben könne, versteht sich von
selbst, weil es keine andern Formen, als aa
und daa, im accentirten Metrum gibt.
53o.
Je mehr eine Sprache Quanlitälverhältnisse
in sich ausbildet, um so mehr nehmen selbst
die accenlirenden Rhythmen in ihr neben der
Accentbestimmung auch Quantitätbestimmungen
an. So entsteht statt des geraden accentirten
Metrum" der trochäische Vers , wo die Kürze die
Stelle der Thesis vertritt, und statt des unge-
raden, der daktylische Vers, in beiden Fällen
also quantilireud genommen, eiu ungerades Me-
trum , allein die Quantität ist hier nicht im Me-
trum. , sondern in der Prosodie vorhanden. Denn
wie die Musik, welche im Gebiet des Accentes
herrscht , die quantilirenden Rhythmen des Ver-
ses gern in accentirte transponirt, so übersetzt
die prosodisch gebildete Sprache, die im Ge-
biet der Quantität mächtiger ist, die accentirten
Rhythmen der Musik gern in quantilirende.
Der Beweis zeigt sich auffallend in Gesängen ,
welche in accentirten Rhythmen , selbst bei tro-
chäischem Sylbcnmaas des Verses, doch den
geraden Takt halten, (178.) z.B. Choräle. Dass
Verbindung des absoluten Rhythmus mit der Sprache. 829
accentirende Verse neben quantitirenden auch
in prosodisch gebildeten Sprachen fortdauern
können, zeigt die Geschichte der lateinischen
Sprache. Der Saturnische Vers erhielt sich iin
Saliarischen Gedicht noch zu Cicero's Zeit und
die Antworten der Wahrsager, z. B.
Ludos minus diligenter factos pollutosque,
zeigen , dass man ihn zu feierlichen Gebräuchen
noch lange beibehielt. Wahrscheinlich würde
man auch unter den griechischen Versen accen-
tirte antreffen, wenn man sie aufzufinden wüsste.
Vielleicht — wenn eine Vermuthung hier er-
laubt ist — erklären sich manche Formen quan-
litirender Verse nur aus einem Zurücktreten
des Rhythmus in die Alterthümlichkeit der Ac-
centbestimmung, wie manche der neuern Musik
ungewönlich harmonische Fortschreitung an den
Ernst des Alterthums erinnert, indem sie in
der verschollenen Form einen Laut der einfa-
chem Vorzeit hören lässt. Besonders charak-
teristisch in dieser Art scheint die Verlänaunsr
der Kürze vor der schliesscnden Arsis zu seyu.
Z. B.
«^ — — «»«w>~«' —
Mit 'weithallendem Maditautruf,
oder:
BlutTolIe ^\ ahnsiuntthat :
53o Allgemeiner Theil.
denn die Korrektlieit d^. «ruantitirenden Rhyth-
mus verlangt hei der trochäischen Bewegung an
dieser Stelle eine reine Kürze, wie etwa die
moderne musikalische Skala von der Septime
zur Oktave einen halben Ton verlangt. Die
Abweichung von der Regel gibt hier, wie dort,
den Charakter des Ernstes, und man kann die
abweichende rhythmische Stellung so wenig im
Allgemeinen regellos nennen, als den Schritt
in die Oktave des Haupltons durch einen gan-
zen Ton.
33i.
Quantitirende Rhythmen, die den accentir-
ten analog sind, lassen sich, wie schon einige-
mal erwähnt ist, in acceutirenden Sprachen ge-
wissermaassen mittelst des Accentes nachbilden,
indem der Accent die Stelle der Länge vertritt',
und durch die accentlose Sylbe eine Kürze re-
präsentii't wird. Diese Art der Versbildung war
unter den deutschen Dichtern üblich von der
Zeit, woKlopstock griechische Versgattungen und
ihnen ähnliche Versmaasse einführte, bis aut
Voss, der zuerst auf Quantität in der deutschen
Sprache aufmerksam machte , und accentlose
Längen anerkannte und selbst als Längen im
Vers brauchte. Je mehr die Sprache ihre
Quautilätbestimmung ausbildet und festsetzt,
um so molir schwindet auch das Analoge sol-
Verbind;i3-g des absoIiUcn Rliythmus mit du- Sprache. 55 1
eher tjuantitirenden Rhytlimen mit den accenti-
renden, und sie \verden als völlig quantitirend
in der prosodischen ausgebildeten Sprache wie-
der gegeben.
032.
Je mehr das Quantitätverhältniss in einer
Sprache ausgebildet wird, um so mehr ver-
schwinden in ihren Wörtern die Bestimmungen
durch den Accent. Das Kriterium der hohem
Ausbildung für Quantität ist. wie wir gesehen
haben, die leichtere Empfänglichkeit für Posi-
tion. Je weniger Konsonanten nöthig sind, um
durch ihr Zasammentreffeu Länge zu bewirken,
um so höher ist die Empfänglichkeit einer
Sprache überhaupt für Längen- und Kürzen-
bestimmung, sowol durch Position, als Vokal-
quantität, und um so veränderlicher sind des-
wegen besonders die' Endsylbcn, die bald durch
Zusammentreffen der Konsonanten lang, bald
durch Nebeneinandcrstellung der Vokale kurz
werden. So entstehen oft Längen auf Svlben,
welche in Ansehung des Wortacccnles ganz un-
bedeutend sind. Dieser wird also dadurch ver-
dunkelt, und zwar um so mehr, je mehr die
(luantitätverhältniise in dem Worte sich aus-
zeichnen.
535.
Denkt man sicli dieses Steigern der Quanti-
tätverhäilnissc auf dm lH)r1i;st<:u T'unkt gctrie-
532 Allgemein er Tlieil.
ben , so war der Acceiit im Wort ganz aufge-»
hoben, es fand kein Wortrhythmus mehr Statt,
und die Worte wären in unzusammenhängcnde
Sylben zerlegt , die der absolute Rhythmus bloss
als Längen und Kürzen zusammenstellte, ohne
sich durch das ihm fremde Princip des Wort-
accentes und Wortrhyihmus gehindert zu fin-
den. Dieses reine Extrem findet sich nun zwar
in keiner der bekannten Sprachen (es würde
auch die Sprache dem unmetrischen Gebrauch
ganz entziehn) ; allein , je näher eine Sprache
ihm steht , um so freier herrscht der absolute
Rhythmus im Vers über den Wortrhythmus.
Daher finden wir in der griechischen und la-
teinischen Sprache Sylben, die bloss zufällig
durch Position lang sind, als Längen in der
Hebung des Verses, während oft eine accenlirte
Sylbe, wegen ihrer Stellung vor einen Vokal,
als unbedeutende Kürze in die Senkung des
Taktes zu stehn kommt. Von den sehr musi-
kalisch gebildeten neuern Sprachen, z. B. von
der italischen, kann man auf eine ähnliche Art
sagen, dass sie den Wortaccent in der Poesie
aufheben, um den accenlirten Rhythmus freie
Gewalt über die Sprache zur Bildung des Ver-
ses zu lassen; daher denn der sclion früher be-
merkte Widerstreit des prosaischen Wortaccen-
les mit der Accentirung des Verses entsteht.
Welches die Grenzen dieser Freiheit des acccn-
VerbJnfliing des absoluten Rhythmus mit der vSprache. 533
lirten E.hylliinus über die Sprache in den Ge-
dichten der italischen Dichter seyen, ist eine
für diesen Platz zu weitläuflige Untersuchung.
354.
Die deutsche Sprache steht durch ihr Posi-
tionverhältniss (3o8.) in der Mitte zwischen
quantitirenden und accentirenden Sprachen. So
lan^e sie nicht zu einem andern Positionver-
hältniss, durch Vermehrung oder Verminde-
rung ihrer Konsonantenmasse, gelangt, ist da-
durch auch das Verl) ältniss des absoluten Rhyth-
mus im Vers zu dem Rhythmus in ihren Wor-
ten bestimmt.
Es entsteht nämlich dadurch die Forderung :
dass in mehrsylbigen Worten keine von Natur
kurze, und nur durch Position lange Sylbe als
Länge in der Hebung des Verses stehn könne.
Dieser Satz ist nicht aus den besondern Ei-
genheiten der deutschen Sprache ahstvahirt,
«ondern er gilt nothwendig von jeder Sprache,
welche in der Mitte der accentirenden und
quantitirenden Sprachen steht, und deswegen
unter mehren Sprachen auch von der deutschen,
welche diesen Platz durch das Verhältniss ihrer
Konsonanten zu den Vokalen behauptet.
Schon aus diesem Grunde war also der
Klopslockische Spollvcr*;
55 ik A 1 1 g e m e i n e r T li e 1 1.
Tönender sangen verborgene Nachtigallen,
und der des Heidelberger Kritikers:
Bothe, dein antikes Sylbenmaas, das du so empfiehlst,
Prüfe mit echt deutschem Geiste doch und kritischem^
gegen die Position in der deutschen Sprache,
unpassend. Er -würde auch eben so unpassend
seyn, wenn die Position aus drei Konsonanten
gebildet war, z. B. :
Floh za § e' n d zum Gebirg , such e n d dort sichere
Freistatt,
Denn die bezeichneten Sylben sind nur durch
Stellung lang, und halten sich daher nicht als
Längen in der Hebung des Verses. Wollte man
den lateinischen \ers:
ill' inter sese magna vi brachia tollunt
Im Deutschen nachbilden , so könnte dieses nicht
durch Positionlängen geschehn , z. B. :
Zeus schleudert zürneud tausend roth flammend©
Blitze ;
dagegen halten sich ursprüngliche Längen, ob-
schon in der Senkung des Wortes, sehr gut in
des Verses Hebung:
Der müh s a m Zuk u n f't aus späht, voll sorglicher
Bangniss.
So gibt auch umgekehrt die Fähigkeit einer
Sylbe, sich als Länge in der Hebung des Verses
zu halten, ein Merkmal ihrer ursprüngHcheu
Länge iu der deutschen Sprache. Die End-
Verbindung des absoluten Ilhyllimus mit der Sprache. 555
sylben der Wörter: Freiheit, Drangsal,
Reicht h um, Demut h, Ambos, Ankunft,
Altan, Antlitz, Hoffnung, Frühling,
Niemand, niemals, langsam, mannhaft,
dreimal, mutvoll, singbar, arglos,
vielfach und ähnliche, welche sich in des
Verses Hebung als Längen halten, sollten nie-
mals kurz gebraucht werden. Die Endsylbe e n d
ist bloss in dem Wort Elend von absoluter
Länge,
335.
Dieses sind im Allgemeinen die Grundsätze,
auf welchen das Erscheinen des absoluten Rhyth-
mus im Verse beruht. Der Beurlheiler eines
Verses muss erwägen , ob er einen accentirenden,
oder quantitirenden Rhythmus vor sich habe,
und ob der Vers in einer accentirenden oder
quantitirenden Spi'ache geschrieben sei. Ohne
diese Rücksicht wird er , wie von mehren Theo-
retikern geschehn ist, an die eine Gattung Verse
Forderungen machen, die nur die andere be-
friedigen kann; er wird mit dem Gefül in ste-
tem Widerspruch sich befinden, und bei Ver-
ständigen seiner Ansicht, bei Voreiligen der
Kritik überhaupt den Vorwurf der Pedanterei
veranlassen.
356 Allgemeiner Theil.
Von der Gäsur.
536.
Was von den Formen der Rhythmen im
Allgemeinen gesagt worden ist, und von ihrer
bald lyrischen, bald deklamatorischen Verbin-
dung, haben wir nun auf den Vers selbst an-
zuwenden.
Um die Ansicht zu erleichtern, betrachten
wir den Vers als eine (einfache, oder verbun-
dene) metrische Reihe, auf welche der R.hyth-
mus seine verschiedenen Figuren zeichnet. Fal-
len die rhythmischen Figuren so, dass sie die
metrischen Formen jener Reihe gleichsam dek-
ken , so erkennen wir die vereinte Wirkung des
metrischen und rhythmischen Princips , und nen-
nen diese Verbindung, wie oben erwähnt ist,
die lyrische, z. B. :
%^
— — w I _Ww<— I — — •«»».* l — —
Horch, Nachtigallengesaiig schallt ferne vom Buchhain.
Decken sich hingegen die metrischen Formen
nicht gegenseitig, z. B. in folgendem trochäi-
schen Tetrameter :
Schöner blickt durch grüne Laubgewinde her des Monde*
Licht,
SO erkennen wir die verschiedene Wirksamkeit
lieider Principien, und nennen die Verbindung
deklamatorisch.
Von der Cäsur. 55j
537.
Die Gränze der rliytlimlschen Figur auf der
metrischen Reihe, gleichsam ihr UnuMss, der
sie von dem übrigen Theil der metrischen Pveihe.
abschneidet, (also der Punkt, wo die rhythmi-
sche Reihe auf der fortgehenden metrischen en-
diget,) heisst die Cäsur. Fällt diese Cäsar
auf das Ende einer metrischen Periode, so
begränzt sie einen Rhythmus, dessen Foi-m die
metrische Form deckt, in welchem also Metrum
und Rhythmus wesentlich, vollkommen, oder
lyrisch verbunden sind. Wir werden deswegen
diese Cäsur die lyrische nennen, oder auch
den Abschnitt des Verses. Fällt die Cäsur
hingegen in die Mitte einer metrischen Pieihe,
W'O also rhythmische und metrische Form nicht
gleichen Schritt halten, so nennen wir sie die
deklamatorische Cäsur, oder den Eiu«-
schnitt des Verses.
338.
Die metri*;che Form ist vollendet, wenn die
Hauptthcsis der metrischen Periode getönt hat,
denn z. B. j J J. ist eben so volle metrische
Form , als j / J J^ — Es ist also lyrische Cä-
sur vorhanden, wenn der Rhythmus auf der
Arsis des letzten Hauplmomenlt s schliesst . eben
so wol, als wenn auch die Thesis dieses Momen-
tes nachlönte. Der trochäische Tetra meter z. B.
23
33.^ A 1 1 g « m c i II e 1- T hulL
j j^j /u jN. in .'^J .M J ^N
Durch die Einsamkeit des Hains tönte dumpf der
Klaggesang.
hat eben sowol lyrische Casur , ( nur in einer
andern Form) , als der gewönliche :
Armes Herz von namenloser Kümmernis» gepeiniget,
Voss.
Auch wird die lyrische Cäsur nicht aufgehoben,
wenn die Thesis nach der Cäsiir wirklich er-
scheint, aber als Auftakt des folgenden Rhyth-
mus, z. L.:
i \ S. 0. 0^ » \ d » » ^ \ t>. t. 0^ 0 \ 0. 0
und voll stralet des Mondes Licht auf schönsinkenden
Nachtthau.
Denn der Kretikus ist eben so gut volle metri-
sche Form, als der Ditrochäus. Die Thesis ist
ideell, während eine zweite Stimme gleichsam
mit dem zweiten Pvhythmus des Verses einsetzt.
559.
Man kann mithin die lyrischen Cäsuren
wiederum eiutheilen in unbewegliche und
bewegliche. Durch die bewegliche Ciisur
entsteht eine Mittelklasse zwischen lyrischen und
deklamatorischen Versen. Ein Vers mit beweg-
licher lyrischer Cäsur ist z.B. der sotadi-
Von der C a s u r. 33g
sehe Vers, (so heisst nämlich der fiürhlig io-
nische Vei'S im jNieflertakt von vier Perioden) :
«. ». g^ a \ 0 s 0 » \ \ «. t. 9^ ä } 9. ä.
ii xai ßaaikevg ■JTiq)Vi(ug, ojg '&.'7]Tog uxovgop
Hell glänzen die Meereswellen, fi-oh tan.^.end im
IMondiicht
cot TOVTO ysi'ic&o} rpilo%> , /LUid'uf-iojg utay.r(iv
Thetis -winkt zu blaawogendera Weilenbad die Jungfrau
tJff nfvr,g '&£)mv i'/eiv , xai nlovaiog nkfov ff^^iv
Auf gowundner Muschel blässt ein kunsterfahrner
Triton
zuweilen schweift er auch wol in die Gattnnff
deklamatorischer Verse über, was jedoch bei
seiner lebhaft markirten Bewegung durch den
Vortrag des Sängers gemildert werden kann :
.^}}j. I A j j" ! j }^ j" ij.j
itcct TO xukov ?,uiG>]top n(Joßhj,uu '^^(orog
Tönt' in dem Heer Schlachtliedgesang zu tapferm
Angriff.
Der priapische Vers hingegen hat unbeweg-
liche lyrische Cäsur:
Lieder tönen , es rauscht des Bergs rehenbekränzete
Waldung
hunc lucum tibi dedico, consccro({ue Priapc. Catull.
54e Allgemeiner Theii.
und ist gleiclisam ein zur Ruhe gekommncr so-
tadischer Vtrs, der sich bloss durch die unbe-
^vegliche Casur unterscheidet.
Unter Verse von feststehenden Cäsuren soll-
ten allerdings nicht andre derselben Gattung
gemisclit werden, welche eine veränderte Cäsur
haben, so würde unter trochäischtn Tetrame-
tei'n mit dem gewönlicheu Abschnitt:
Keine Macht vermag 'des Schicksals ernstem Schlu«s
zu widersteha,
folgender, mit veränderter Cäsur:
Darum strebe nie der Mensch, bethört -^on üfaer-
müth gern Wahn ,
nicht wohl lauten, wiewol er an sich selbst
nicht tadeis werth seyn möchte. Weniger stö-
rend ist es, wenn die lyrische Cäsur in die
Zusammensetzung eines Wortes fällt:
Aus dem Abgrnnd tönt geheimnissvoUes Schicksals-
wort empor,
und es ist bekannt, dass selbst Brechungen der
Verse in der Zusammensetzung des Wortes Statt
finden; nur breche man die Worte, wo es nicht
auf komischen Eliekt abgesehn ist, nicht so,
dass die schliessende Hälfte für sich einen
scheinbai'en, dem beabsichtigten fremden Sinn
gibt, was schon in der Wortstellung, auch
ohne Brechung, feierhaft ist.
Von der Cäsur. 54i
54o.
Im deklamatorischen Vers findet keine be-
stimmte Cäsur Statt; sie wechselt durch alle
Stellen des Verses. Beispiele geben der epi-
sche Hexameter:
Glücklichen mehre das Glück, j und dem TJnglückselgeu
die Hoffnung.
Ringsher schallte das Feiergeläut , j und es schimmerte
' Sternglanz.
der iambische Trimeter, von welchem früher
Beispiele angeführt sind, und mehre Versarten,
die bald lyrisch , bald dramatisch gebildet
werden.
54i.
Indem wir behaupten, dass der Rhythmus
sieh bald in lyrischen Versen, mit der metri-
schen Reihe parallel und in gleichen Formen
cvolvire, bald in dramatischen, oder deklama-
torischen Versen sich von ihr unabhängig, in
ganz verschiedenen Formen, entwickele, so schrei-
ben wir dadurch dem Rhythmus gleichsam eine
freie Thliligkeit zu. Es fragt sich nun, wie
diese freie Thätigkeit des Rhythmus entstehe?
Wir nennen sie aber frei, in Beziehung auf die
metrische Reilie, in der sie zwar erscheint, abei?
unabhängig von ihrer Evolution; denn sonst
Viitr sie an die Formen dieser Reihe gebunden.
In dem absoluten Rhythmus unterscheiden
wir zwar das rhythmische und metrische Prin-
342 A 11 geni einer T h e i 1.
cip (269.) und sehen aucli in der Theorie schon
die iMöj^iichkeit , dass eine metrische Evolution
durch ein ihr fremdes rhythmisches Princip be-
stimmt werden könne; allein wir sehen noch
keinen Grund, dass diese Richtung eines rhyth-
mischen Princips auf eine ihm fremde meiin-
sche fleihe wirklich werde.
Soll ein solcher Grund der Wirklichkeit
eintreten, so kann er natürlich nicht in dem
absoluten Rliythmus liegen; deun dieser evol-
virt sich metrisch und rhythmisch gleichmassig ,
sondern er rauss in dem Material liegen, durch
w^elches der absolute Rhythmus zur Erscheinung
konmt. In dieser Hiiisicht ist das erwähnte
fremde rhythmische Princip n o t h w e n d i g , so
wie es in Hinsicht auf die von ihm zu bestim-
mende Reihe , f r e i genannt worden ist.
Liegt in dem Material, welches dem Rhyth-
mus zur Erscheinung dient, kein Gesetz, nach
welchem es , seiner Natur nach , selbst eine Suc-
cession hervorbringt , so kann der absolute
Rhythmus von ihm nicht beschränkt werden.
Daher denn auch blosse Schailmomente (z. B.
im l'rommelschlag) sich dem absoluten Rhyth-
mus ohne Widei'stand fügen, und deswegen
bloss Rliythmen darstellen, die sich gleichmas-
sig und parallel mit dem Metrum entwickeln.
Ijiegt aber in jenem Material selbst schon
ein Gesetz rhythmischer Evolution , so tritt die-
Vou dar Cä«ur. 345
ses mit dem absoluten Rhythmus, dem es zur
Erscheinung dienen soll, in Wechselwirkung.
In den Tönen zeigt sich die Harmonie als
ein solches Gesetz rhythmischer Evolution. Mau
denke nur an die Auflösung der Dissonanz, die
in einer Succession geschieht, wo also die Har-
monie Grund einer melodischen Fortschreitung
wird. Hier kann es gescJiehn , dass sich im
Fortschritt der Harmonie eine andre rhythmi-
sche Figur evolvirt , als der darzustellende ab-
solute Rhythmus verlangt. So kann z. B. , wie
man es oft in Sinfoniemenuetsiilzen findet, in
die Grundbewegung des Dreivierteltaktes durch
die der harmonischen Fortschreiiung eigne Be-
wegung ein Rhythmus im Zweivierteltakt ent-
stehn.
342.
In der Sprache ist der "Wortrhythmus und
der Rhythmus logischer Satze der Grund einer
fremden rhythmischen Bewegung, oder das
fremde Princip, welches in die metrische Evo-
lutio/i des absoluten darzustellenden Rhythmus
seine Figuren zeichnet. Er ist mit einem Wort
der Grund der Verscäsur. Der Rliytlimus des
logischen Satzes bildet die rhythmischen Haupt-
figuren im Vers, der Wortrhytlmnis die be-
weglichen Glieder in jeder Hauptfigur. In dem
llcxamrter z. B. ;
544 All gern einer Tlitil.
Weit umtönt von dem Feiergeläut , sank dämmernder
Abend
ist mit dem Wort Feiergcläut der erste Bhyth-
mus Ijescliiossen , oder : die rhythmische llaiipt-
cäsur fiUl nach Fciergeläut. Ausserdem bilden
die Wortrhythmen:
Welt umtÖiit j von dem Feiergeläut
die kleinern Glieder des grössern rhythmischen
Salzes, den Avir also aus einem Moloss und ei-
nem DoppelanapUst zusammengesetzt finden.
Man .sieht hieraus vorläufig, wie die Unge-
wissheit und der Streit mancher neuen Metri-
ker, z. B. Hermann's, Seidler's, Böckh's und
anderer, ob eine Sylbe Schlusslhesis des ersten,
oder Anfanganakrusis (Auftakt) des zweiten
Rhythmus in einem Verse sei, bloss aus der
Vermengung metrischer und rhythmischer Eei-
hen, und aus dem vmsichern Begriff von PJiyth-
mus und von Ctisur entstehen konnte. Z.B. im
Versschema :
könnte die mit o bezeichnete Stelle diese dop-
pelte Beziehung zulassen, und man könnte den
Vers theilen, entweder:
oder so:
Die metrischen Zeichen vcrmelircn noch die
Von der Cäsur. -3^5
Verwirrung: denn .sie können bedeuten, ent-
weder :
»• m^ e «. 0^ • e e \ &. »^ e d. sr » 0.
o
oder auch :
•. «^ « «. «^ « 1 g. ä. \ ». ä^ a 0, gr t I «. ^ /
Zu ■welcliem Verstheile nun, in jeder dieser
verschiedenen Messungen, die angezeigte Svlbe
gehöi'e, zeigt die Ciisur des Verses, oder der
Melodie, ganz unzweideutig. Heisst der Vers
z. B.:
Uippiger grünte die Waldung, frölicher b'ühte die Flur,
SO ist kein Zweifel, dass jene Sylbe Schluss-
ihesis sei. In folgendem Vers hingegen:
Glockengeläulraelodie durclihallte den Feiergesang,
ist sie offenbar Auftakt. Diese Verschieden'
heit ist bloss rhythmisch. In der metrischen
Reihe ist jene Sylbe in allen Fällen Thesis,
welche vom Rhythmus erst die Bestimmung als
schliessend oder anfangend bekommt. Denn
der Auftakt, Avie oft gesagt, ist eine Thesis,
deren Arsis nicht reell, sondern ideell vorhan-
den ist.
343.
Aus diesem Begriff der Cäsur folgt, dass mit
jeder Cäsur ein logischer Satz und ein Wort-
rhythmus endet. Alan kann diesen Satz nur
dann als Regel ausdrücken, wenn von einer
540 A 1 1 g e m 0 1 n e r T h r i 1.
bestimmten uiivcränderliclien Cäsur im absolu-
ten Khydimus die Rede ist, wo man vei'iangt,
dass der Rhythmus der Worte luid (]cs Satzes
mit dem absohiten Rhythmus gleichen Schritt
haken solle. Dieses ist der Fall bei der lyri-
schen Cäsar.
Die Eigenschaft des lyrischen Rhythmus,
dass seine rhytlimische Form sich mit der me-
trischen gleichmässig entwickele, erscheint also
für die lyrische Cäsur als Regel , deren Uiber-
schreitung den lyrischen Charakter des Verses
schwächt, oder ganz zerstört.
544.
In Hinsicht des dramatischen Verses kann
man obigen Satz nicht als Regel ausdrücken:
das Ende eines Satzes, oder eines Woi'tcs,
müsse dahin fallen, wo im Vers eine Cäsur ist;
denn überall, wo das Ende eines solchen
Sprachrhyt^mus hinfällt, enlsteht eben dadurch
eine Cäsur. Hier gilt jener Salz nur verneinend
ausgedrückt: V^o im dramatischen Vers die
Cä'sur nicht hinfallen darf, (nämlich an eine
Stelle, die ihm lyrischen Charakter geben wiu'-
de}, da darf auch der logische Satz sich nicht
endigen, ja nicht einmal ein vinbezwcifeller
Worlrljylhnius. Nicht zu empfehlen ist daher :
Als nun Alle berathcteii, {loh /.n dem Walde der Jüngling,
wegen der Hauptcäsur, und;
Von der Cäsur. 54y
Aber die schneeweissscliimidisrnden lenkte der Fürst
Ei-ymanüieus ,
wegen des Wortrhythmus.
Wenn nun gleich der dramatische Vers nicht
die symmetriiC^ie Eiulheilung des lyrischen ver-
trägt, so erfordern doch seine Glieder eine
schickliche Gruppirung-, wie vom Gemälde nicht
architektonische Symmetrie gefordert wird, v>ol
aher geschickte Anordnung der Figuren. Fehler-
haft ist in dieser Rücksicht die iSebencinauder-
stellung von Rhyllmienkolossen und Zwergen ,
was dem sonst so glücklichen und sorgsamen
Versbildner, Baggesen, zuweilen begegnet, eben
so fehlerhaft das Verschwimmen der Rhythmen
in einander ohne bestimmte Contoare , und von
der andern Seite die harten Umrisse, welche
die Rhythmen durch Darstellung in bloss logi-
schen kurzen Sätzen erhalten; doch kann seihst
das, was im Allgemeinen fehlerhaft war, durch
den Gebrauch fiir Darstellung vorzüglich wer-
den. Solche darstellende \erse sind z. B. der
Vossischc i
Bald, wie gedrängt Ber^llut in Geklüft weint, weinte
der Tonfall,
und der von Baggesen :
Und noch lang, als schwieg der Gesang, sang ferne
dT Nachklang.
Der V<:rs]nldner geht am sichersten, W!':in
er bei dem lyrischen \cys imnuv den Charakter
343 Allgemeiner T h o i 1.
des Musikalischen , bei dem deklamatorischen
Vers den des Pittoresken iu Anordnung und
Darstellung feslzahaiten sucht.
545.
Wie viel Leben die Wortrhythmen dem de-
klamatorisclieu Vers, und eben so den dekla-
matorischen Gliedern lyrischer Verse ( 279. )
geben, lässt sich schon aus diesem Wenigen
vermuthen. Worlrhythmen kann man, um sich
die Sache noch deutlicher zu machen, mit den
musikalischen Noteufiguren vergleichen, die in
denselben Hauch, oder in denselben Bogen-
strich verbunden werden , nur dass jene für den
\'ers, der die grosse Mannichfaltigkeit musika-
lischer Abwechselung nicht hat, noch btdeu-
teuder werden.
Der Ver5]>ildner hat sich hierbei besonders
vor Einförmigkeit zu hüten. Die am ei'Sten
sich darbietende Vorsichtregel ist ohne Zweifel
diese, dass er die Wortrhythmen nicht mit den
metrischen Füssen gleichen Scluütt halten las-
se. Sehr matt würde klingen:
Morgen j ■ Öth-- j goldne j Frühe I unsr*- 1 Lieder j schallen j dir«
Diese malte Bewegung wird sogleich gehoben
durch veränderte Wortfusse:
Morgenroth , ■wilik.omraucr Lichtstral , Lobgesang er-
schalle dir !
Auch in Füssen, die nicht mit dem Metrum
Von der Cäsur. 349
gleichen Schritt halten, ist Einförmigkeit zu
vermeiden. Unleidlich klingt:
. . . wo rings um
Schroffe Gestade des Meeres , die Wogen gewaltig
erbrausten ,
weil fünf Amfibrachen unmittelbar auf einander
folgen. Verbessert wird der Vers durch wech-
selnde und kraftvollere Worlfiisse. Z. B.:
Schroffe Gestadfelshöhn unermüdlicher Wogentumult
braust.
Schon im elegischen Pentameter ist die Stel-
lung der Wortfüsse:
— . I ^ I w_ II ->^ I »w-w 1 ^_
Tönen im grünen Gebüsch Lieder zur Feier der Braut,
nicht zu loben, weil der Amfibrach jedem Theile
seinen Chai-akter und dem Ganzen dadurch Ein-
förmigkeit gewährt. Vorzuziehn ist:
Frühlingslaubeu enthallt bräutlicher Feiergesang.
346.
Nicht bloss Einförmigkeit ist zu vermeiden;
auch vor schwachen und tändelnden Wortfüs-
sen mu.ss der Versbildner sich hüten, besonders
dann, wo es kraftvolle Darstellung gilt. Zu
solchen schwächlichen Wortfiissen gehört vor
andern der Amlibrachys, der zwar iarabische
und li'ochäische Bewegung vereinigt, aber, weil
seine Länge beiden Bewegungen zur Stütze die-
nen soll, beide Charaktere nur verwischt. Er
35o A 1 1 g e tn ü i n e r Th c- i 1.
gibt der rliythmi sehen Figur etwas Nehulislisches,
■was sie entstellt , wo *e5 um charaklerisiisehe
Gestall zu thun ist. Selbst grössern Worlfüsseu
iheilt er diese Eigenschaft mit. Man vergleiche
folgende Wortrhythmen , die sämmtlieh elegisch«
Schlussvershäiften* Lüden:
Meerestorallciigezweig
Allerbeseli'gerin ,
Slatuenjugendlichkelt ,
Fejerlichkeitmelüdie ,
Fcisengestadlabirint ,
Volkstiraniieiiiioriument.
Der erste ist, wegen des in ihm enthaltenen
Ani^braehys , der schwächste ; der letzte , wegen
des Doppelanapästen, der heftigste. So hängt
von der Zusammenfügung der Elemente der
Charakter der ganzen Figur ab.
347.
Auch die Stellung der Wortrhythmen im
Vers ist nicht zu vernachlässigen, und es ist
darüber schon früher im Vorbeigehen gespro-
chen worden. Im dt klamatorischen Vers steht
ein, der metrischen Versform gleicher, Wort-
fuss nicht wol auf dieser metrischen Form , eben
so wenig in deklamatorischen Vershälften lyi'i-
scher \'ei'se. Nicht gut ist deswegen:
Schattenreiche, grauenvolle, grabesdimkle Mitternacht.
in cpxantilircnden \ersen wird die Bewegung,
sehr gehoben, wenn der Wortaccent mit der
Von der Cäsur, 55i
Arsis des Verses konlrastirt. Denn indem die
Arsis des Verses .der Tliesis des Wortes, und
vimgekclirt , die Arsis des Wortes der Thesis des
Verses Kraft mitlheill, gewinnen beide an Ener-
gie, und der Vers bekommt dadurch einen fe-
stoi-n, kraftvollem Gang. Der Vers von Voss:
Düsterer zog Sturmnacht , graunvoll rinps wogte das
Meer auf,
im Gegensatz der natürlichen Stellang:
Düstere Sturmnacht zog, und graunvoll wogte das
Meer auf,
ist hinlänglich bekannt.
348.
Energie gewinnt auch der Vers und Würde
durch grosse mehrsylbige Wortfüsse. Es müs-
sen dieses nicht eben aufgeschwollene zeilenge-
streckte Wortkolosse seyn, indessen wird auch
niemand behaupten, dass ein in viel Sylben
zersplitterter Vers , z. B. :
Golden erglänzet das Schloss umringt mit Säulen tou
Marmor ,
so voll töne, als wenn er in grössern Wort-
rhythmen sich bewegt , z. B. :
Goldenen Fürstenpallasts scliöuprangendc Marmorum-
säulung.
Unter einander gewoi'fene grosse und kleine
Wortfüsse ohne schickliche Grtippirung machen
indessen auch einen UibeLstand, und daber ist
3j2 A 1 1 g e m e i n e r T li e 1 1.
der Pentamelerausgang in einen einzigen Wort-
luss nicht leielit passend, wenn nicht die erste
Hälfte aiieh volltönend auftrat, z. B. :
Neige den Oelbaumzweig, Friedeverkündigerin.
Ganz zu vermeiden, Avo es nicLt Parodie gilt,
sind Wortkolosse, die den Begriff der einzelnen
Worte darin nicht verstärken, z. B. :
Hochzeitvermälungsfestlichkeitaufzug der Braut,
füllt beinall den ganzen, übrigens regelrechten,
Trimeter, sagt aber nicht mehr, als das kurze:
Brautzug. Dieses sind schwülstige Wortblasen,
die, ausser der Parodie, den Vers entstellen.
Etwas anderes sind Zusammensetzungen, die
durch Zusammeudrängung zweier Begriffe den
Sinn beider Worte im zusammengesetzten ver-
stärken. So sagt fr oh aufrauschende Meer-
flut mehr, als das getrennte: froh aufrau-
schende Meerflut, schon dadurch, dass es das
Bauschen und die Flut mehr und zu stärkerer
L<jitlenschaft personißcirt.
549.
Uibrlgens sieht man, dass Wortrhythmen
nur in deklamatorischer Verbindung mit einan-
der stehn, und nicht einer den andern als
seine Thesis erzeugt. Ganz willkürlich und un-
haltbar ist daher Hermann's Behauptung: man
dürfe mit vielsylbigen Worten den Hexameter
Von der C ä s u r. 353
und Pentameter niclit schliessen: weil sonst Jle
letzte Reihe im Vers grösser, als die vorherge-
hende würde. Sie beweiset nichts, als dass
Hermann zwischen metrischen und rhythmischen
Reihen nicht zu unterscheiden vei-stand. Die
Griechen hatten und liebten sogar Verse, in
welchen die Wortfüsse in arithmetischer Pro-
gression wachsen , wie z. B. im homerischen :
Spes Deus aeternae stalionis conciliator, '
Steigt aufwärts ausbreitend ergrünende Blätterum-
kränzung.
Man nannte diese Verse Keulenverse (rho-
palicos) weil sie, gleich einer Keule, (^onaXov)
nach oben zu anschwellen. Möge dieses Spiele-
rei seyn, so zeigt doch das homerische Beispiel,
dass, wo der \ers nicht aus müssiger Künstelei
iu diese Kolbenfox'm gezwungen wird, gegen die
Fortschreitung in wachsenden Wortfüssen nichts
einzuwenden sey.
35o.
Das Ende einer metrischen Reihe, als sol-
cher, macht keine Cäsur. Nur dann findet an
einer solchen Stelle Cäsur Statt, wenn das Ende
der metrischen Reihe zugleich Ende einer rhyth-
mischen Reihe ist, z. B. :
— «rf — %^ I ^>.i<_i.rf
Mädchenrosc , Liebesblume. Tiek.
Die metrische Reihe braucht daher nicht mit
25
5j-i Allgemeiner llieii.
dem Ende eines Wortes zu schliessen, ausser
wenn sie zugleich Ende einer rliylhmischen
Pieihe ist. Dieser Salz liegt zwar ganz in dem
vorigen; es ist aber vielleicht nöthig, ihn noch
besonders hier aufzustellen, weil die Theorien,
vorzüglich die Hermannische, metrische und
rhythmische Reihen nicht unterscheiden. Des-
wegen findet man auf metrische Reihen man-
ches angewendet, was nur von rhythmischen
Reihen gilt, und umgekehrt. Hauptsächlich ist
dieses dar Fall hei der Lehre von der unbe-
stimmten. Sylbe, oder vom Älaas der letzten
Sylbe in metrischen und rhythmischen Reihen,
welche durch Hermann durchaus verfehlt und
verwirrt worden ist.
Von der unbestimmten Sylbe,
55i.
Unter „unbestimmter Sylbe" versteht man in
diesem Sinne nicht die prosodische Mittelzeit
einer Sylbe, nach welcher sie im Vers bald
lang, bald kurz gebraucht werden kann, z. B.
die Sylbe vor einem stummen und fliessenden
Consonanten. Denn es ist hier nicht von pro-
sodischer, sondern von metrischer Unbestimmt-
heit die Rede. In Versen nämlich kommen me-
trische Stellen vor, welche eben sowol eine ent-
schieden kurze, als entschieden lange Sylbe zu-
lassen. Der alcäischc Vers z. B. kann eben so-»
Von der unbestimmten Sylbe, 555
wol mit einer kurzen, als einer langen Sylbe
anfangen :
Es drängt zum Aufruhr ,
Bald drängt zum Aulruhr,
und eins ist so richtig, als das andere; eLen so
kann der Tetraraeter in der Mitte mit eiutr
kurzen oder langen Sylbe scliliessen:
Wenn im Frühlingtanz die Mädchen,
Wenn im Frühlingtanz die Jungfraun ;
er kann seine erste Periode sogar in fortgehen-
dem Rhythmus mit einer kurzen, oder langen
Sylbe beschliessen:
Wenn des Glockenthurms Geläute,
Wenn vom Dorfkirchthurm Geläut hallt,
und beides ist richtig, wiewol das Metrum eine
kurze Sylbe ursprünglich verlangt. Die Iheo-
relikcr, z. B. Iloratiiis in seiner Poetik, ver-
langen sogar die Länge in solchen Stelleu als
eine Schönheit des Verses.
352.
Dergleichen Stellen im Verse, welche sowol
lange, als kurze Sylben zulassen, nennt man
unbestimmte Stellen. Mit Unrecht! Denn
solche Stellen sind, wie wir sehn werden, we-
nige Fälle ausgenommen , metrisch eben so voll-
kommen bestimmt, als andre.
Die Metriker behaupten, tliese Unbestimmt-
heit komme der letzten Sylbe jeder Reihe zu.
•"3 ijli A Hg ein ei Ji er Tliml. Vo<i> dem Maas
well mau in ihr, als letzter Sylbe, das Maas
niclit Letiierke. Um die Sache genau in das
Auge zu fassen, müssen wir also vor Allem von
dem Maas der letzten Sylbe in rhythmischen
und metrischen Reihen sprechen.
Von dem Maas der letzten Sylbe in
rhythmischen Reihen.
355.
Ehe wir die Meinungen Andrer über diesen
Gegenstand anführen und widerlegen, wird es
gut seyn, die Sache nach ihrer wahren Beschaf-
fenheit 3;u betrachten. Fremde Meinungen wer-
den sich dann historischerweise anzeigen lassen,
um ihre Irrthümer zu widerlegen.
354.
Wenn eine rhythmische Reihe (von der
metrischen ist hier nicht die Rede) in der
Arsis schliesst , z. ß. :
— s.. «./ _ .^ ^ _
mächtiges Orgelgetön,
SO kommt die Quantität einer solchen Schluss-
sylbe gar nicht in Betrachtung. Denn da sie
als blosse Arsis erscheint, so liegt bloss die
Mö^^lichkeit eines mclrischen Quantitätverhält-
uisses in ihr; weil aber diese Arsis schliesst,
und keine Thesis aus sich entwickelt, so kommt
jenes metrische Quantitätverhältniss nicht zur
der letzten Sylbe in rhythmischen Reihen. ob-j
Wirkllclikeit. Es bleibt mitbin diesem Scbhiss-
moment der bloss arsiscbe Cbaraktcr, der
zwar dem Metrum angehört, aber ohne Quan-
titrät. Befremden wird dieses Niemand, der sieb
erinnert, dass in accenlirten Kbytbmen Arsis
und metriscbes Verbäitniss obne Quantität über-
haupt Statt findet. Es gilt dabei gleichviel, ob
die scbliessendc Arsis die Hauptarsis einer me-
trischen Periode > oder die Arsis eines zerfäll-
ten Hauptmomentes sei, sobald sie sich nur als
Arsis charakterisirt , indem sie durch eine The-
sis von der vorhergehenden Arsis getrennt ist*
Z. B. in dem Pthythmus:
«M ^ — «^ S.^ ~>
schwebte sie flüchtiger «uf,
kann die letzte Arsis eben so richtig eine Kürze
seyn :
schwebte die Flüchtigere.
Denn die vorhergehenden metrischen Momente
iestimmcu zwar ihre Qualität als Arsis, aber
um Quantität zu haben, müssten Momente
folgen, Avas hier nicht möglich ist, da sie als
Schlussarsis betrachtet wird. Diese Eigen-
schaft der Schlussarsis gibt ihr daher nur Mög-
lichkeit der Quantität, und eben deswegen Un-
bestimmtheit; denn durch Folge der Momente
kann sie eben sowol zur Länge werden:
s(hwcbte die Flüchtige fern im Gewölk ,
als zur Ki'irzc:
ibä Allgemeiner Theil, 'Von "dein Maas
— tB«V^ t^ •^ ■i^ Mmt *^ w^
•chwebte die Flüchtige zu dem Gewölk,
In Musikzeicheu kann diese Unbestimmihell
liicht ausi^cdrückt werden, weil man die ganze
Periode (den Takt) mit ideellen Zeilmomenten ,
(Pausen) aasiliUt. Hierdurch bekommt jene
Sciilussarsis eine Folge von Momenten, die,
wenn sie auch ideell sind, doch die Zeit
bestimmen. Der reelle Rhythmus schliesst da-
her mit der Arsis, die ideellen Momente be-
stimmen ihi' aber eine Quantität, die jedoch
vor dieser Bestimmung willkürlich ist. Wir
bezeichnen deswegen, wo wir uns der Musik-
zeichen bedienen, diese unbestimmte Stelleo
durch das Zeichen •' , welches dem metrischen
'Ol analog ist. Z. B. :
Fiulenbesänftigei-jij.
355.
Wenn wir behaupten, die schliessende Arsis
eines B.hythnius sei ohne bestimmte Quantität ,
so beziehet sich dieses nur auf den Pihythmus,
welchen sie beschliesst. In Beziehung auf einen
Vers, in dessen Mitte vielleicht der rhythmische
Schluss vorkommt, hat jene Schlussstelle aller-
dings ihre bestimmte Quantität auf eben die
der letzten S3lbe in rhythmiachen Heilicn. Säg
Art, wJe üLerliaupt, wenn die Periode mit ideel-
len Momenten ausgefüllt wird, und so tritt also
der Fall ein, dass eine metrische Länge von
einer prosodisclien Kürze repräsentirt werden
kann, z. B.:
Orania vincit anior, et nos cedamus amori. Virg.
Ostentans artem pari t er, arcumqne sonantcm. Ders.
Will man die prosodische Quantität mit dem
metrischen Yei-hältniss vereinigt ausdrücken , so
erfüllt man das, in der Quantität der Sylbe
Fehlende , durch eine Pause :
JJIJ.VI/r.\NJ.\MJ.VIJJr
/
Nee, quae praelerii t , iterum revocabilur unda. Ovid,
Mau würde mithin sehr irren, wenn man, sol-
cher prosodisclien Kürzen wegen, welche dir
Stelle metrischer Längen (im Vers) vertreten,
ein aiidres Maas des Verses zu finden glaubte,
und z. ß. den Hexameter so :
Omnia vlnclt amor , et nos redauius Amori,
messen wollte. Dieses fällt auf; gleicliwol mes-
sen die Metriker andre Verse eben so iring,
weil sie die prosodische Quantität von der me*
Irischen nicht unterscheiden, und die Pause,
welche nacli der Kürze, wenn man sie metriscl»
betrachtet, fallen muss, nicht anerkennen.
5ÖO Allgemeiner Th e i 1. Von dem Alüa»
356.
So wie wir jetzt die Unbestimmtheit der
schliessenden Arsis erklärt haben, muss der
Salz verstanden werden, den manche Theoreti-
ker aufstellen: dass die Gäsur eine kurze Sylbe
lang macheu könne.
Die gewönliche Erklärung der Cäsur ist näm-
lich, dass sie der Einschnitt sey, den das Ende
eines Wortes in einen Zeitfuss mache, z. B.
Itali - am cur - su peti - tis , ven - tisque vo - catis.
Virgil,
Wolkenem - por auf- stürmt das Ge- schrei, furcht-
bare Verwüstung.
War nun der Satz richtig, dass Cäsur in die-
sem Sinne die kurze Sylbe lang mache, so
müsste folgender Hexameter auch richtig seyn.
Feierli - eher tön-ten Lie-der, prei-send die
Be- glücktern.
Niemand aber wird sich bei diesen Längen be-
ruliigen , weil nicht wirkliche Rhythmen, son-
dern bloss untergeordnete Theile von Rhyth-
men schliessen. Die Schlusssylbe des Wortes
Lieder beschliesst zwar einen Hauptrhythmus;
da sie aber in der Thesis des Wortrhythmus
steht , so kann sie im Deutschen Vers we-
gen des Einflusses des Accentes nicht in der
Arsis des Verses als Länge (selbst als Kürze
nur mit Mühe) sich halten. Anders ist es mit
der letzten Sylbe in j hytlimischen Reihen. 5Ci
der Schlusssylbe des "Wortes: Feierlicher,
das sich in choriambischer Bewegung ausspre-
chen lässt, wo dann die Endsylbe als Arsis die
Kürze statt der Länge gestattet. So hält sich
dieses Wort im Vers, wo es den Rhythmus be-
schliesst , z. B. :
Glockengeläut scholl feierlicher: Schon nahte dei-
Festzug ,
wie das griechische :
uiäoiog TS (A,Qi iGoi , (fiXs iavQSf deivog x£,
Home r.
nicht aber :
Feierlicher scholl Glockengeläut,
und so bewährt sich die Kichtigkeit der von
uns gegebenen Ansicht.
Was die Dichter, dem Gefül gemäs, ausüb-
ten, ward von den Grammatikern zwar bemerkt,
aber ohne dieses Gefül in einseitiger Reflexion
aufgefassl. Sie bemerkten die unbestimmte Sylbe
zwar richtig am Schluss der rhylhmischeu Reihe;
es entging iJinen aber, dass der Schluss auf der
Arsis der Grund sei, warum diese Syll)c keine
Quantität haben könne. So Stellleu sie den
Satz auf: die letzte Sylbe einer Reihe (im All-
gemeinen) sei von unbestimmlcr Quantität, und
Hermann, um die Sache nicht unerklärt zu las-
sen, setzt binzu: In der letzten Sylbe werde das
Maas ohnehin nicht bemerkt, weil nichts darauf
folge, flie Poeten thuen dalier Re(;ht daran.
5C)3, Allgemeiner Theil. Von dem Maa»
wenn sie mit der Quantität der Endsylbe es
nicht so genau nelimen , als hei den andern Syl-
ben. Allerdings eine etwas zu bequeme Erklä-
rungsart für eine Theorie, die sich mit so viel
Ernst lind Strenge ankündigt, als die Ilcrmann-
sche I Doch wiir diese Bequemlichkeit nicht so
sehr zu tadeln, enlslünden nur nicht aus ihr
die grösslen Willkürlichkeiten und Irrthümer,
durch' die sich überhaupt Hermaun's Theorie
vor allen andern auszeichnet.
. 358.
Nach den Grammatikern und Hermann ist
die letzte Sylbe einer Reihe (metrische uml
rhythmische Pveihen werden von dem neuen
Theoretiker, wie von den altern, nicht unter-
schieden) von unbestimmter Quantität, d. h. ,
sie kann lang seyn, wo das Metrum sie kurz
verlangt { Z ) und kurz , wo das Metrum Länge
fordert { - )• Von dem zweiten Fall haben
wir eben gesprochen. Der erste Satz hingegen:
dass die kurze Endsylbe einer Reihe unbestimmt
sei , und deswegen au ihrer Stelle die Länge
zulasse, ist durchaus falsch, sobald von rhyth-
mischen Reihen , (nicht von metrischen , ) die
Rede ist.
559.
Hier zeigt sich nun die Verworrenheit der
Hcrmannischen Theorie, die aus der Unklarheit
der letzten Sjibe in rhytliraischen llelKen. 5G3
der Begriffe von Reihe über die ganze Metrik
sich verbreitet. Es ist nÖthig, darauf aufmerk-
sam zu machen, da die Filologen auf den Her-
mannischen Sätzen auszuruhen scheinen, und.
die Wissenschaft durch ihn für geschlossen hal-
ten. Wir wei'den nachweisen, wie die Herman-
nische Theorie die Unbestimmtheit und Viel-
deutigkeit des Begriffes von Reihe gebraucht,
um bald dieses, bald jenes, nachdem es der
Gegenstand erfordert, daraus abzuleiten. Wil*
heben hier nur etliche seiner Sätze aus, und
stellen sie gegen einander.
„Cäsur heisst jeder Ort in einem Verse,
wo eine Reihe sich endiget." Hdb. d. Metrik.
§. 87.
„ Wo sich eine Reihe Im Rhythmus des Ver-
ses endigt, da muss auch eine Reihe im Rhyth-
mus der Worte , mithin ein Wort geendigt wer-
«ien." Das. §. 89.
„Die letzte Sylbe einer jeden Reihe ist un«-
bestimmt." Das. §. 46.
„Daher ist es auch die letzte Sylbe der tro-
chäischen Dipodie. " Das. §. 48. 108.
Nolhwendige Folgerung hieraus ist, dass,
weil die trocliäische Dipodie sich durch die
unbestimmte Eudsylbe als vollendet^ Reihe an-
kündigt, auch jedesmal ein Wort mit der letz-
ten Sylbe der Dipodie schliesscu müsse. Gleich-
wol ist allgemeiu bekannt, dass gerade die be-
364 Allgemeiner Theil. Von dem Maas
sten trochäischen Verse solche sind, in welchen
nicht jede Dipodie mit dem Ende eines Wortes
schliesst, z. B.
Ei Tt firj duificov TTttXuiog vvv fii&«nf]y.e gt^utm,
Aes eh.
Wenn des Glücks uralter Dämon nicht vom Heer
treulos entwich.
Hier endigt mit der ersten und dritten Dipodie
das Wort nicht; gleichwol steht zu Ende bei-
der Dj'podien die lange Sylbe statt der kurzen.
Ist nun also die trochäische Dipodie eine Reihe,
oder ist sie keine? Lnd steht die lange Sylbe
statt der kurz,c;u zu Ende der ersten und drit-
ten Dipodie am Ende der Reihe , oder in der
Mitte? So ist die Hermannische Theorie mit
sich selbst uneins I
An sinh ist die Sache sehr leicht zu erklä-
ren. Die trochäisehe Dipodie ist eine metri-
sche Reihe. Ihr Ende macht, wo es nicht zu-
gleich eine rhythmische Reihe beschliesst, keine
Cäsur. Die Schlusssylbe einer metrischen Reihe
nimmt aber, aus Gründen, welche in dem fol-
genden Abschnitt erläutert werden, die proso-
dische Länge statt der Kürze an. Da nun der
Schluss der metrischen Reihe , weil er keine
Cäsur macht, nicht mit dem Ende eines Wor-
tes zusammenzufallen braucht, so kann die
Länge statt der Kürze auf der Schlusssylbe der
Periode, mitten im Wort und mitten in der
der letzten Sylbe in rhythmischen Keihen. 565
rhythmischen Reihe Statt finden, wie unzälige
Beispiele künftig beweisen werden.
Trift die rhythmische Reihe mit der metri-
schen im Schluss durch lyrische Cäsur zusam-.
mcn , z. B. :
(o TittTQccg 0r]ßt]g ivotxot,
Als der Abendthau herabsank,
SO ist allerdings auch die kurze Endsylbe der
rhythmischen Reihe durch eine lange Sylbe re-
präsentirt worden ; allein diese Länge gehört der
metrischen Reihe an, nicht der rhythmischen.
•^ 36o.
Dass dieses so sei, erhellt noch mehr aus
Folgendem :
Unter den Cäsuren des heroischen Verses
wii'd von allen Theoretikern (auch von Hermann)
die: xura tqitov xQoyutov genannt. Sie fällt nach
der zweiten Sylhe des dritten Fasses, wenn er
ein Daktylus ist:
TtttVTUs yuQ qttXifGMv, odta Im oixiu vatojv.
Homer.
Flog sie hinein zu der Stube, wo schon mit dem
Greise der Jüngling. Voss.
Ist hier nun eine Cäsur, so ist hier auch nach
Hermann das Ende einer Reihe, und ist hier
das Ende einer Reihe, ^o findet auch hier,
nach demselben Metriker, die unbestimmte Sylbe
3G6 Allgemeiner The iL Von dem Maas
Slalt, folglich müsste der Hexameter diese Form
dulden :
Furchtbar heulte die Wind braut, und hoch auf
schäumte die Brandung ,
die keinen Vcrllieidiger finden diirfte.
Eljen so kommt im iambisclien Trimeter
die Casur vor:
ßbi[.ioiGi naiiqjkexTOKXtV ix de -O^vfiaTtov. Soph,
Zweileibger, unwirthbarer , rosshufwandelnder.
Hier stellt ebenfalls die unbestimmte Sylbe in
der Mitte des Wortes (tt«^« q/Xix roiaiv ) und des
Rhythmus ; die Endsylbe der rhythmischen
Reihe hingegen behält das bestimmte Maas der
. Kürze j denn folgenden Trimeter :
w . ^ I w_3,_ I Z - ^ ~
Leicht wird die Last des Unglücks, trägt ein
Mann es leicht ,
möchten wol wenige vertheidigen , und Hermann
selbst nicht; wiewol ihn die Theorie von der
unbestimmten Endsylbe vollkommen rechtfer-
liget.
56i.
ISiemals ist also die Schlusssylbe einer rhyth-
mischen Reihe im Allgemeinen von unbestinmi-
ler Quantität. Sie duldet nur die Kürze statt
der letzten bylbe in rhjithnilschen Reihen. 067
der Länge, wenn sie auf eine Arsis im Verse
fällt, und die Länge statt der Kürze, weni^sie
zugleich Sclilusssylbe einer metrischen Reihe
ist. Es war fast unLegreiflich, wie sich dieser
Irrthum Lei den offenbarsten Beweisen vom Ge-
gentheil in den Cäsiiren des Hexameters, Tri-
meters und andrer Verse hat erhalten können,
wenn nicht eben die Unklarheit des Begriffes
von Reihe in der Hermannischen Metrik sol-
che Irrthümer begünstigte. Denn Reihe hedeu-
td bei ihm bald so viel als Rhythmus, bald
einen Bestandtheil des Rhythmus (§. 68.) so,
dass nirgends ein bestimmter Begriff davon zu
treffen ist.
Hermann sucht zwar einige Widersprüche
seiner Theorie dadurch zu heben, dass er zwi-
schen periodischen Reihen und nicht pe-
riodischen unterscheidet. Periodische Reihen
nennt er solche, die von gleicher Länge sind,
z. B. (§. 57.):
f
Romuli nepotes ,
oder von abnehmender, z. B.:
Pinifer Olympus et Ossa ;
denn hier habe die erste Arsis den stärksten
Ictus, und die folgenden Reihen flicssen ganz
leicht au« der ersten so, dass das Gehör selbst
3G8 Allgemeiner Tlieil. Von dem Maas
den Zusammenliang nud die Causalvcrbindung
dei'felben wahrzunehmen scheint. Nichtpei-io-
dische Reihen hingegen nennt Hermann solche,
die nicht aus der ersten Arsis hervorgehen,
sondern deren jede, weil sie grösser als die vor-
hergehende ist, mit einer neuen Arsis anhebt,
z. B.
— <k» W«^_t«<>^V^
Rex Olyniple caellcola.
Solche Reihen köinie man nicht sprechen, ohne
bei jeder Arsis mit einem neuen ictus eine neue
Reihe anzufangen. Allein dieser Unterschied
ist nur scheinbar, die Reihe:
besteht eben so wenig aus abnehmend, als diese:
aus zunehmend langen Reihen, ajle, in beiden,
grossem enthaltenen kleinei-n Reihen sind sich
vollkommen gleich , und nur die unzweckmäs-
sige metrische Bezeichnung täuscht mit dem der
Ungleichheit. Dir Maas ist:
— >^ ■»^ ■>•* I — s^<^ 1 — «^
«. «^ «^ ä^ \ m. ü^ m \ m »
Pinifer Olympus et Ossa,
Nieder zu dem Haine der Barden,
und von der andern:
J j I j. tf*^ j 1 J. «^ j \ • y
Rex Olympie caelicola,
der letzten Sylbe in rhytiimischen Reihen. Bog
und so war die Hermannisclie Uuterscheidung
der ßeihen schon in sich selbst grundlos. War
aber auch der Unterschied nicht bloss scheinbar,
so würde er doch durch Hermanns Anwendung
zu einem bloss willkürlichen. Denn, wenn
Reihen von gleicher Länge, so viel man nur
will ( §. 58.) in eine periodische Reihe verbun-
den werden können, warum ist denn der tro-
chäische Vers :
nicht eine einzige periodische Reihe, sondern
in vier dergleichen abgetheilt, deren jede die
unbestimmte Endsylbe hat ? Und wenn det
Vers nicht Eine Reihe seyn soll, warum ist
nicht jede einzelne Reihe ( _ ^ ) selbststän-
dig , sondern nur zwei und zwei ( _ .«< _ ^^ ) ?
Dieses wird auf einmal aus der blossen Empi-
rie beantwortet ( §. 48.): „weil nämlich trochäi-
sche Verse nach Dipodien gemessen werden^
die mithin nur am Ende der zweiten Reihe
( _ ^ _ 3 ) die unbestimmte Sylbe zulassen."
Allein die Anapästen werden auch nach Dipo-
dien gemessen; gleichwol soll nicht mitten im
System, sondern nur am Ende desselben (§.280.)
die unbestimmte Endsylbe Statt finden. Wollle
man sagen, dies sei die iNatur des Systems, so
stehn wieder die trochäischen Systeme entgegen,
wo jede Dipodie die unbestimmte Endsylbe hat«
24
Öjo Allgemeiner Tlit'il. Von dem iViaas
So zeigen sicli überall tlie WiJersprliclic der
Hcrmannjstliea Metrik, wenn man sie tiefer, als
auf der Oberfläche betrachtet.
Jetzt wird es nöthig seyn, zu untersuchen,
woher die lange Sylbe statt der kurzen am
Schltiss der metrischen Pieihen entstehe.
Von dem Maas der letzten Sylbe in
metrischen Reihen.
56^.
Eine rhythmische Reihe ist mit der Cäsur
geschlossen. Sie ist ein Ganzes, das, selb-
ständig, für sich besteht. In ihr selbst liegt
kein Grund eines Wcitci'strebens über die Cä-
sur hinaus; man kann also nicht sagen, eine
rhythmische Reihe erzeuge aus sich eine andre,
so wie die Arsis eine Thesis erzeugt. Der
Rhythmus z. B.:
Alles gewährt Kühnheit,
kann für sich allein stehn; es kann ihm aber
auch ein andrer folgen, als:
und den Wagenden schützen die Götterj
oder ein andrer:
*• ^^ %./ •— ^w ^i.^ -«
Wagende schützet das Glück,;
im Rhythmus ist also kein Grund vorhanden,
da.^s noch ein Rhythmus folge und welcher.
der letzten Sylbe in meln'ychen Reihen. 5-i
Sollen Rhythmen als mit einander verLunden
wahrgenommen wei'den, so liegt der Grund ausser
ihnen , irämlich im Metrum , welches die Rhyth-
men bald lyrisch, bald deklamatorisch verei-^
nigt.
565.
"Was uns die Wahrnehmung an vorliandenen
Pihythmen zeigt, fanden wir schon früher, als
wir die Natur beider ursprünglich verbundenen
Principien, des R.hythmischen und des Metri-
schen , betrachteten. Das rhythmische Princip
zeigte sich nämlich als das formende, begran-
zende. Was aber begränzt, kann nicht zugleich
den Grund des Hinausstrebens über die Gränze
enthalten. Entgegengesetzt zeigte sich schon
früher das metrische Princip ('^69.), als das aus-
dehnende. Die metrische Periode ist zwar ein
Ganzes, allein sie lässt sich wieder als Arsis zu
einer Thesis betrachten, indem die ganze Pe-
riode a]$ Entwickelung der Arsis gedacht wird^
in welche ursprüngliche die rhythmische Einheit
sich nebst einer Thesis, welche die folgende
Periode bildet, zerlegte:
d
Arsis.
0
EJaiieit.
d
Thesis.
J J
J .N .^
Erste Periode.
J J
Zweite Periode.
572 Allgemeiner Theil. Vou dem Maas
Dieses Verhältniss des Zusammenhangs zweier
Perioden, oder die Erzeugung der zweiten aus
der ersten, erkennen wir zwar theoretisch, al-
lein im Vers soll es sinnlich anschaulich dar-
srestellt werden, so wie das Verhältniss der Ar-
sis zur Thesis überhaupt. Die hervorbringende
Periode muss also den Charakter der Kraft ge-
gen die zweite ausdrücken, und da dem Anfang
der Periode unmittelbar die Thesis zuvorgeht,
so wird gefordert, dass diese Thesis die Kraft
ausdrücke, welche die folgende metrische Pe-
riode erzeugt. In der Dipodie also:
»Im' — <..< I — -^ — w>
soll die mit dem Häckchen bezeichnete Note
( J^ ) jene hervorbringende Kraft ausdrücken.
Sie soll metrischer Weise Thesis bleiben (schlech-
ter Taktt-hcil), soll aber dabei, ohne metrische
Arsis zu werden, bloss das Intensive der Arsig,
die Kraft, wahrnehmen lassen.
364.
Sehn Wir von den Worten des Verses ab,
lind halten uns bloss an die einfachere Erschei-
nung des Metrum in Tönen, so löset sich diese
Aufgabe sehr leicht. Die bezeichnete thetisch©
Stelle erhäh kräftigeren Anschlag, und schliesst
sich, um das Hervorbringende noch mehr aus-
zudrücken , durch Bindung an die folgende Ar-.
der letzten Sylbo in metrischen Reihen. 575
«Is der neuen Periode. Man überzeugt sich da-
von leicht, ohne noch auf Musik Rücksicht zu
nehmen, indem man den Trommelschlag beob-
achtet :
j .^ j .;T.^ i" j" J.
Die Musik braucht zu diesem Ausdruck das
sforzaudo, ebenfalls die Bindung, und auch
•wol die Kraft der Dissonanz. Z. B.
=^T^..t ' >
^j"
Der beabsichtigte Ausdruck wird hierdurch er-
reicht, aber es fällt in die Augen, dass die me-
trische Quantität der gehobenen Stelle nicht
verändert wird. Sie bleibt Kürze, wie sie der
Natur des Metrum nach seyn soll.
564.
Die Prosodie der Sprache bedient sich, um
dieses sforzando in dem Vers : uszudrücken ,
des Mittels, das sie in ihrem Gebif. dazu fin-
det. Wie der stärkere Ton gleichsam ein Ag-
gregat von Tonen ist, deren Gehalt sich in ei-
nen einzigen conceulrirt, so conccntrirt die
Sprache in der langen Sylbe den Gehalt mch-
rer kurzen, wie wir denn auch den langen Vo-
kal als Summe zweier, oder dreier kurzen be-
iraelitct haben. Indem nun die prosodische
'ö-^i Allgemeiner The iL Von dem Maas
Läzige im Vers an die Slclle der metrischen
Kürze gesetzt wird, so erliält sie, ganz nacli
ullgcmcinem mechanisclien Gesetz, das an Kraft
zugesetzt, was sie an der Zeit, die sie proso-
disch erfüllen sollte, in dieser Stelle der me-
li-isclien Kürze aufgeben muss. Die prosodisclie
Länge in der Zeit der metrischen Kürze ausge-
sprochen, ist also gleich dem sforzaudo in der
Musik.
565.
Hieraus folgt unwidersprechlich , dass die
prosodische Länge, welche die metrische Kürze
rcpräsentirt, im Verse durchaus nicht das Maas
der Länge, sondern der Kürze habe. Eben
darin besteht auch ihre ganze Wirksamkeit und
ihr ästhetischer Charakter, dass sie den Gehalt
einer Länge in die Zeit einer Kürze zusammen-
drängt. Es ist daher ein Ii'rthum, wenn Voss
( Zeitmess. S. io5.) den trochäischen Dimeter,
wegen des Spondeus im Viervierteltakt;
e. a 9 0 \ e. e e ä
Bürgerwohlfalirt saun er rastlos,"
und eben so den iambischen Trimeter;
Jl J-d^J Jl J..N Jl J..N^
Arbeite mutvoll , Träge üielit Cllickseligkeit,
messen will. Das Maas bleibt allezeit der Sechs-
achteltakt :
(lüi- ktztcri öylbö in metrischen Reihen. 5;ö
Schwer drllckt geheimnissvoller Welssaguiiäen Last.
Die bezelclmetcn Stellen haben bloss repräsen-
lirende Länge, cl. b., sie sind zwar prosorliscU
lang, baben aber im Vers das Maas der Kürze.
Wenn der Deklamator, der iiberbaupt nicht
seharf skandiren soll, diese Länj^e nicht im
strengsten Maas der Kürze ausspricht, sondern
zuweilen (wenn keine Cäsar unmi Heilbar vorber-
gelit) der Lunge des Trochäen etwas abbricht,
um CS der kraftvollen Kürze zuzusetzen, so än-
dert dieses das eigentliche Maas des Verses
nicht; auch lässt sich dieses Davon- vmd Dazu-
thun nicht berechnen, eben, weil es Sache der
deklamatorischen Kunst ist. Mcuisch bleibt
das Maas dieser repräscntircndon Länge allezeit
das der Kürze.
566.
Es ist anffcdlend, dass Ilcrmaun das wahre
Maas dieser repräsentirendcn Länge , wenn auch
nicht den Grund der Repräsentation, an einem
Ürie einzusehen scheint , während er doch , wo
von der wirklichen Messung solcher Sylben die
Rede ist, seine eigne ISIeinung vergisst, imd
ihnen das Maas zweizeitiger Längen zuthcilt.
Er sagt nämlich (De Metris S. 29.): nullo
numeri dispendio in fine ordinum promiscue
lüuga vel brevis syllnba poni polcit, (piae qui-
SjG Allgemeiner Tlieil, Von dem Maas
tlcm liac sempcr mensura esse crecliiur, quam
numerus exigit; und eben so (Metrik §.48. S. 22.):
Man sieht leicht, dass die ganze Lehi'e von der
unbestimmten Sylbe sich eigentlich bloss auf die
Prosüdie bezieht. Denn durch den Rhythmus
ist natürlich das Maas dieser Stelle eben so ge-
nau, wie das der übrigen, bestimmt, und sie
mag in dem Worte, das an einer solchen Sylbe
(Stelle?) steht, lang oder kurz seyn, so hat sie
doch in dem Verse nur 4as vom Rhythmus be-
ßliinmte Maas.
Gleichwol misst Hermann (Vorrede S. XXIII.),
um seine Meinung von der Taktlosigkeit der
Pdiythmen durchzusetzen, in einer Stelle des Pin-
darus alle repräsentirenden Längen eines trochäi-
schen Verses als zweizeitig; wodurch denn frei-
lich jenes taktlose Gewirr entstehn muss, das
uns die Metx'iker als unbegreifliche Schönheit
anrühmen. VVie Hermann jene Stelle des Pin-
darus, seiner Meinung nach, für die Musik be-
cfuem mischt, ist früher gezeigt worden. Jetzt
wird das wahre Maas und der Rhythmus dieser
Stelle begreiflich seyn, nämlich:
1 ^ 1 ^ I j ^ 1 f^ 1 ^ f^ > ^ ^ > I J
V V
yQVGftt (poQfAty'i ^ A-nollcüvog KUt ion\oKaf.i(av y
Froli begriisst Wohllaut des Frühlings blütcn^efejerten
Tanz.
Öer letzten Sylbe in metrischen Reihen. 377
— km> — »-^ I ^ s^ >m* m^
m m • ft \ 9. e^ m ä.
ÜVvdlKOV MoiQttV HTfUVOV,
Fluss und Wald rauscht jubelnd im Chor ,
oder, wenn man den Satz als zusammenliän-^
genden Vers betrachtet:
i n ^ I j .^J ^ \ .\VAV I J.J j" 1 j ,\\^'^ I 'j.
Moiaav -/.naiov ,
(vergl. wegen des -vorletzten Taktes 388 ff.)
wodurch in der, angeblich taktlosen, Pteihe, dei'
wirkliche Takt zum Vorschein kommt. So dai'f
man sich auf die Theorie und das Gehör der
sprachgelehrten, aber musiklosen Metriker ver-
lassen !
067.
Verse , in welchen dieser Zusammenhang der
Perioden nicht anschaulich gemacht werden
kann, weil die rhythmische Form auf der Ar-
sis schliesst , und die Thesis nur idecU im Punkt
vernehmen lässt, erscheinen daher immer von
etwas lockerm Zusammenhang und fast abgestos-
sen. Dahin gehören die kretischen und chori-
ambischen. Vielleicht fühlte Horatius , dass in
choriambischen llhythmen deswegen aucli der
Wortrhythmus choriambischen Schritt halten
müsse, und beobachtete darum die choriam-
bische Ciisur im asklepiadischeu Vers, dem er
578 Allgcniöiner Theil. Von dem Maas
clioriamLisclx (lachte, sorgriiltigtT, als die Grie-
chen.
568.
Dieser Zusammenliang der metrisclien Reihen,
durch die Kraft der verhiudenden Thcsis ( J*^ ),
ilndet, der Natur der Sache nach, nur dann Statt,
wenn mit der erüleu metrischen Reihe nicht zu-
gleich eine rliythmischc Reihe sich endigt, son-
dern der Rhythmus vielmehr aas einer Periode
in die folgende übergreift. Denn endigte sich
der Rhythmus mit der metrischen Reihe gleich-
förmig, so wären beide Perioden nicht sowol
mit einander verbunden, als vielmehr in lyri-
scher Antithese. Z. B. in dem Dimeter:
^-^1 . - ^
Morgenröthe , goldne Frühe ,
sind beide Perioden in lyrischer Antithese 5 in
folgender hingegen :
— «^..«^ 1 — »kf — ^j
Stille Nachtwallfahrt der Jungfraun ,
WO der Rhythmus nicht mit der Periode schliesst,
sind sie durch die Kraft der Thesis anschaulich
verbunden.
069.
Wenn mit der metrischen Reihe zugleich
eine rhythmische schliesst, so ist diese Reihe
vollkommen geschlossen. Gewönlich findet die-
ser Haiiptschluss Statt am Ende des Verses, oder
tier letzten Sylbe in metrischen Reihen. 3-a
eines solchen Yerstlieiles , der mit dem andern
iu lyrischer Anlitliese steht. Wie nun die
Schlusslhesis verbuiidener Perioden den Cha-
rakter des Weiterstrebens , des Hervorhringens
einer neuen Periode, annimmt, so hat die
Schlusslhesis der Periode in der lyrischen An-
tithese den Charakter des Vollendeten, Be-
schlossenen, Ruhenden; denn der Pihythmus
hegränzt das Metrum an der Stelle, wo es
selbst sein Ziel gefunden hat, und beide Prin-
cipe sind zu ilirer ursprünglichen Vereinigung
zurückgekehrt.
Wie aber jenes W^eiterstreben und Hervor-
bringen einer neuen Pei'iode anschaulich wer-
den musste, so auch dieses Ruhen des vollen-
deten rhythmischen Satzes.
Dieses Anschaulichwerden besteht darin, dass
der Schluss des Rhythmus die ursprüngliche,
bestimmunglose Urform, in welcher nOch Me-
trum und Pihythmus uagctrennt liegt , hören
Iksst. In dieser |LIrform erscheint der Rhythmus
bloss als -Bild und Gegenbild, mithin frei von
Quantitätbestimmungen. Die Schlusslhesis muss
also hier ebenfalls quantitätlos erscheinen, bloss
als iNachhail der Arsis. Wo nun die Arsis eine
Länge ist, da \\ird ihr auch die Thesis als the-
tische Länge nachhallen. Allein, weil die nach-
gcjjildele Urform des Rhythmus qiianlilällos ist,
•so kann diese nachliallende ihelisehe Läns/e nur
33o Allgemeiner Theil. Von dem Maas
eine prosodische Länge seyn, während sie im
Verse selbst nur das Maas hat, welches das
Metrum des Verses fordert. Wir werden diese
Art der repräsentirenden Länge mit dem Zeicheu
J^ bemerken, um sie von der (363.) früher be-
merkten zu unterscheiden. Z. B. :
_^_3 I - ^ - Z I _w-C I _^^-
Morgenroth , wilikomraner Liclitstral , sei mir &n«
dachtvoll gegrüsst.
370.
Es kann nur bei einem flüchtigen Uiberblick
auffallend scheinen , dass vorwärtsstrebende Thä-
tigkeit und schliessende Ruhe gleichmässig durch
prosodische Länge anschaulich gemacht werden
sollen. Denn bei genauem Aufmerken unter-
scheidet man bald den verschiedenen Charakter
dieser Längen. Die kräftige übertönt die Arsis ,
welcher sie nachfolgt, weil sie gewaltig an die
folgende andringt, und den Grund ihres Ent-
stehens ausspricht. Deswegen liebt diese Stelle
besonders eine Länge, welche in der Arsis des
Wortrhythmus steht. Besser ist z. B. :
Rings umher graunvolle Wildniss,
als:
Rings die furchtbarödo "Wildniss j
denn die Commissur des Worts: furchtbar-
öde fällt auf den Schluss der Periode, und die
der letzten Sylbö in metrischen Reihen. 58 1
Thesis Im Wort: furchtbar auf die llielische
Stelle im Metrum. Daher klingt etwas von ly-
rischer Cäsar durch, welches dem Fortschrei-
tenden gerade entgegengesetzt ist. Die ruhende.
Länge hingegen liebt thetische Längen im Wort-
rhythmus, weil sie der Arsis als schwacher Wi-
derklang nachhallen soll, z. B. :
Uiberall umtÖnt von Wohllaut.
Dieser Charakter des Nachhallens ist so wirk-
sam, dass er selbst die fehlende lyrische Cäsur
ersetzt, z. B. :
Als um Mitternacht die s chicks al volle Kriegsai-heit
begann.
Ein geschickter Eliapsode wird den Unterschied
dieser beiden Arten repräsentirender Längen nie-
mals verfehlen.
571.
In diesem Charakter der nachhallenden Länge
liegt wahrscheinlich der Grund , warum im iam-
bischen Trimeter statt des vierten Trochäen
nicht gern ein spondeischer Wortfuss, oder Wort-
ausgang, gesetzt wird. Der Vers würde nämlich
bei der gewönlichen Cäsur nach dem zweiten
Ti'ochäen, zum zweitenmale lyrisch geschlossen,
und verlor den Jambischen und sogar deu dra-
matischen Charakter. Nicht gut ist daher:
tpaixiv namarovg ol nov^jQot rovg y.aXovg ,
Feindselges Buiidiiiss schliesst zum A 11 f ruh r jedf)
Stadt ,
tind besser die Stellung:
5^2 Allgemeiner Theil. Von dem Maas
Bald schliesst ^um Aufrulir jede Stadt feindselgCÄ
Ennd.
Deswegen will man aucli, wenn man diese
Cäsur nicht ganz vermeiden kann, doch den
vollen lyrischen Schluss nicht durch die Länge
noch hörbarer machen, und zieht an dieser
Stelle den Trochäus dem Spondeus vor, z.B.:
iliv'/Qog not avTO)v ■&fQ!iov utfiu TcUTut, Sofokl.
Mit jeder Gallin "wird die Reue dir yerraält,
trennt man diese nachhallende Thesis von ihrer
Arsis durch eine Cäsur, so v/ird der lyrisclie
Charakter des Schlusses gestört, was in der oft
angeführten Cäsur des heroischen Verses:
Schönheit selbst und Geschlecht gibt Alles der gross©
Monarch: Gold,
der Fall ist, und in allen andern Versen mit
thetischem Schluss, z. B. :
big 7i£vt]g d^fXo)t> i'/^eiv , act nlovaiog nXeov o'/^etv.
372.
Da diese rcpräsentirende Länge nur auf der
Schlusssylbe einer (metrischen) Reihe vorkom-
men kann, wie die rcpräsentirende Kürze nur
auf der Schlusssylbe einer (rhythmischen) Reihe
in der Arsis vorkommt , so wurden die Meti-iker,
die beide Arten von Reihen nicht^ unterschie-
den, zu der Meinung verleitet, die Schlusssylbe
sei überhaupt von unbestimmter Quantität, und.
Hermann hat für die Länge, wie für die Kürze,
der letzten Sylbe in mttrisclien Reihen. 3S3
den Erklärunggrund, dass man am Ende der
Reihe den Verstoss gegen die Regel nicht be-
merke, und der Dichter doch nichts davon ha-
ben würde, wenn er sie noch so pünktlich be-
folgte. Das erinnert freilich an die Verstösse
gegen den reinen Satz in der Musik, die man-
che Komponisten sich erlauben, weil sie, an
manchen Stellen, ihrem Ausdruck nach, „sich
mit durchfressen." E smerkensw^erther aber ist
folgendes: Bekanntlich lassen die Poetiker (z.B.
Iloratius) den Dichtern die Spondeen (welche
durch rcpräsentirende Längen entstehn) in iam-
bischen und trochäischen Versen nicht bloss als
nicht aufrallende und deswegen verzeihliche Ver-
stösse gegen die Regel hingehn, sondern sie
fordern sie von ihnen als Bedingung der Schön-
heit und Würde des Verses, besonders des tra-
gischen, den sie bitter tadeln, wenn er dieser
Zierde ermangelt. Lässt sich nun wol ein
durchschlüpfender Fehler als Zierde denken,
oder ist wol die Theorie gründlich zu nennen ,
welche Schönheiten des Verses (und zAvar nicht
scherzhafte jNaivetäten, oder Parodieen) aus Ver-
stössen gegen die Richtigkeit erklärt, die man
ntir an dem Ort, wo sie verschuldet werden,
nicht bemerkt?
575.
Die rcpräsentirende Länge auf der Schlass-
thesis der metrischen R«ihe gehöi-l, wie wir g<?-
584 Allgemeiner The II. Von dem Maas
sehn haben, nicht sowol der Richtigkeit, als
vielmehr der Schönheit des Verses an. Sie wird
also dann unstatthaft seyn, wenn der Charak-
ter, den sie darstellen soll, nicht im Verse vor-
handen ist. Dieser Fall tritt ein, wenn der
Periode, die als hervorbringend gedacht wird,
nicht" eine ganze Periode folgt, sondern nur ein
Moment derselben. Hier würde die Sclilussthe-
sis, wenn sie die Länge annehmen wollte, eine
Kraft darstellen , die zar Entwickelung eines ein-
zigen Momentes unverhältnissmässig gross scheint,
z. B.
— %l^ — wy [ —
banger Angstausruf,
und zugleich würde die Häufung der Längen,
besonders in thetischen Schlüssen, dem Verse
ein aufgeschwollnes , ungeschicktes Ansehn ge-
b6n, z. B. :
^ *^ - w I
heiige Festnachtwallfahrt.
In solchen Fällen kann daher die Länge auf
der Schlusssylbe der Periode nicht Statt finden.
Deswegen verliert aber die Periode nicht den,
anschaulichen Ausdruck des Hervorbringens,
sondern sein charakteristisches Zeichen tritt nur
um eine thetische Stelle zurück, wie auch der
VV^ortaccent bei Verlängerung des Wortes oft
seine eigentliche Stelle verlässt, z. B. :
letzten Sylbe in metrischen R»ilteu. 38s
Angstausruf ertönt,
oder :
unwirthbare Felskluft.
Die Anwendung dieser Sätze auf den Yers zeigt
sich bald. Im Tetranieter:
Wenn des Glücks uralter Dämon nicht Tora Ileet
treulos entwich ,
Stellt jede rcpräsentirende Länge am Schluss der
Periode,^ und die Stellung:
---■-' I - <- -
nicht treulos vom Pleer entwich,
■v\"är felilerliaft. Man verkürze aber den Vers;
Wenn des Glücks uralter Dämon nicht treulos
entwich ,
SO ist diese Stellung in der zweiten Hälfte;
- Z . I _
nicht treulos entwich ,
richtig , und die Länge auf der Schhisssylbe der
Periode war fehlerhaft.
Durch diese Rückung der repräsentirenden
Länge entsteht die Form der Dipodie _ _ _ ^ ,
die man nur nicht als allgemeine Form, sondern
bloss als bedingte betrachten darf, um nicljt
über ihre Natnr und Bedeutung za irren.
506 Allgemeiner Theil. Von dem ülfla«
574.
Was hier vom Ende des Verses gesagt ist,
darf man nicht auf das Ende einer rltythmi-
schen Pieihe in dem Vers bezielm; denn indem
der Vers nach dem Ende jener rhythmischen
Reihe noch fortgeht, erzeugt die Periode nicht
Hoss das zum SchUiss des Rhythmus nöthige
Stück, sondern die ganze Periode des fort-
schreitenden Verses. Der Pihythmus z. B.:
_ s^ _ w I _
Sank geläutdurchtönt,
ist im. Tetrameteranfang vollkommen richtig,
denn die Periode geht fort:
Sank geläutclurchtönt der Abend,
Oft wird man daher die Unregelmässigkeit ei-
nes Verses nur scheinbar finden, indem ein
solcher Schluss nicht dem Ende eines Verses,
sondern nur einem Rhythmus in demselben an-
gehörte, z. B. :
Dort hallt Wehklagruf,
aus üder Felskluft,
i.sl ein einziger Vers:
.'^ IJ.J ,N J ^N.M J. J
der letzten Sylbe in melrisclien Reiher. 537
8er in dem ehcu Gesagten seine völlige Erklä-
rung findet.
375.
In Laccliisclien und palimbaccliisclien Versen:
Die Anmuth, o Jungfraun, gewinnt mehr, denn Schön-
heit, Voss,
■würde die Länge auf jeder Schlusssylbe der Pe-
rioden der Scliöiilieit des Verses Eintrag thun,
indem alle Manniclifaltigkeit gestört, und sogar
die Verwechselung mit molossischer Bewegung
möglich würde:
z \ — 3| — z \ — ri —
"Wo sich der Vers lyrisch in zwei Hälften theilt :
Z \ w| ii-^r ^1
Dort lebt ohne Mühsal ein frohsinnges Bergvolk ,
da gilt von der lyrischen Vershälfte dasselbe ,
"Was vom ganzen Vers gilt, nämlich: das Ende
darf mit Längen nicht überhäuft werden , und
die Sylbe vor dem Schluss, dem arsischen, wie
dem thetischen , muss die natürliche Quantität
behalten. Lst diese lyrische Theiluug nicht vor-
Jianden, so wird sich der Dichter, wie jeder
^ndre Künstler, vor Uiberladuug mit dem Cha-
raklcrislischcn zu hüten haben. Der %ers:
den man Tür einen doclimischcn mit zwei Kre-
383 Allgemeiner iTheil. Von dem Maas
likern sdilicssendcu Vers anseliri köiiule, zcln
sich hald als ciu baccliisclier:
Z i Z \ -'I- -1-
'■^ 1 i 1 M J I > 1 I ! ^ 1 I
Dort flamait ohne Rast rotho Glut himmelan ^
und so ist die etwas sonderbare Form de«
Doclimlers Z Z - gewiss nur sehr selten
vorhanden, wo sie dann bloss als ein rhythmi-
sches Zurücktreten in die Alterthiimlichkeit de«
Accentes zu betrachten ist. (33o.)
076.
Wir haben die letzte Sylh3 der metrischea
Periode jetzt als ursprüngliche Kürze betrach-
tet. Die Uibersicht der metrischen Formen
zeigt aber, dass diese Thesis auch als ursprüng-
liche Länge vorkommen kann, nümlich in der
Form : g', j. wo beide Hauptmomente der Pe-
riode uuzerfallt bleiben. Denn war das erste
Moment zerfällt, z. B. in der kretischen Form
( * e* J. ) ? stJ nähme die Hauptthesis gegen die
Vüi'hergehende Thesis zweiter Ordnung arsi-
schen Charakter an; man könnte also nicht sa-
gen: sie sei lange Thesis. Was nun von der
Dipodie gilt, versteht sich auch von der Tripo-
die, wo die lange Thesis in den Formen:
l ;^ J. J. und J. J. J j^ vorkommt.
der letzten Sylbe in inctiischen Ileiheii. ö8()
377.
Da diese Tliesis iirsprünglicli lang ist, so
hat sie schon den Charakter des Fortslrebeiis ,
welcher der ursprünglich kurzen Thesis ei'st
durch die repräsentii;ende Länge beigelegt wird.
AYo also jene in der Mitte einer rhythmischen
Reihe vorkommt, da bleibt sie zwar unverän-
dert, sie muss aber ihre Länge prosodisch
streng behaupten, z. B,
I J 1 J ^ ' 1 I J J^ ! J J
fOVTO) öicnoTug (ivoiocg xe - v.h]ixu-^ ,
■\V e li m u t volles Lied trostloser Sehnsucht j
«. gl. I •««#•« e I • e * e 1 • • «,
L}]Qiv dfdof.iiv7]v uyu&r/V ifivkuaus acivrat.
Aufschwingt zu dem Olymp sich in niäch^em
Flug die Kühnheit,
sonst würde sie den Vei'S verwirren , z. IP. :
— »< I — «»< —
Deines Volkes Ruf,
noch mehr, wenn der Wortrhythmiis über di?
Periode wegreicht;
— w I ^ «^ _
Eichenkranz belohnt.
Zur liebung dieser Thesis dient ludessen noeli
die Wortstellung, indem eine stark accentirte,
und der folgenden sieh anschliessende lange
iSylbc den Platz der TIh sis rrfüllt.
5 ijo A 1 1 g e ni c 1 n er Tii e i 1. \'on d em Maas
578.
Wenn diese lange Thesis zuj^leich auf das
Ende einer rliytlimisclien Pieihe fällt, z. B.
Kränzt die Locken mit Efeu, fiillt die Becher mit Wein,
SO ist durch die lyrische Caisur die Reihe voll-
kommen geschlossen, und der Rhythmus ist
erfüllt, sohald die Thesis angeschlagen ist. Ob
sie am Scliluss des Rhythmus ihren ganzen Zeit-
r,ehalt erfülle, ist für den Rhythmus gleichgül-
lig und das Metrurp. ersetzt das au dem realen
Moment fehlende durch Pausen. Die lange
Thesis kann also in lyrischer Cäsur durch eine
Kürze repräsentirt werden, ohne dass Rhythmus
oder Metrum dadurch gestört wird. Dasselbe
aber, was von der lyi'ischen Ciisur gilt, ist eben
auch von dem Ende des ganzen \erses güllig.
In obigem Vers z. B. konnte die erste Hiilfte,
statt:
Kränzt die Locken mit Efeu
cLca so richtig heissen:
%^ >*( V.^ I —
Kränzt die Locken mit Rosen ,'
wiewol weniger schön und volltönend, Eben
so kann aiu Ende des \crses:
Frohrauschend empfingt das Gewog wejsssfhäumender
Meeriliit ,
der lelzlen Sylbe in metrischen Reihen. 39 1
Statt des Spondeus: Meerflut, der Trocliaus:
Fluten stehen, aber der \ers verliert, wenn
auch nicht die Richtigkeit, doch die Yollto-
uigktit.
Im tripodischen Metrum findet dasselbe Statt:
der llhylhnius:
jNJ J'J.J.
"Wenn kalter Nordhauch,
verträgt am Schluss die Kürze:
AVenu frostge Stürme.
Daher findet mau beide Formen im Alcäischen
\' ers :
Wenn süsser Wohllaut über die Fluren zieht,
und Silberquellen , froh der Entfesselung ,
die Kürze aber nur in lyrischer Gäsur. Die Stel-
lung :
Gern wohnt in Blütenhainen die Nachllsall ,
Stört, oder verdunkelt doch, selbst im Munde
des geschicktesten Khapsodeu, die waluc Mes-»
sung. Hingegen:
Gern ■wolint in rrülilingshsiinea die Kachtigall ,
hält sich in dem tripodischen Maas, wiewol die
Ca iir übergangen ist.
3^2 Allgemeinei- Theil, Voji dem Maas
58o.
Die Piichtigtcit der Sache wird noch deulli-
clier an Beispielen im Auftakt. Im epionischen
Vers:
^1 Ij^^^^l I I 11 ^IJi^'^'^J^IJ
f> \ t> d e. s^ 0 I •. 0 ' ' 9 I • ^ «• «^ « 1 «.
AV'ie schön aus dunklem Gewölk blickt des Mondlichts
lieblicher Stral,
nimmt schon der einfache Auftakt eine der
drei Zeiten weg, welche die lange Thesis er-
iidlen sollte. Bei zweisylbigem Auftakt, z. B.
im galliambischen Vers:
'»^i| r^i ^ll ^||J'^^ll ^^^^|J
lu dem Aug entbrannten Gluten, die Verkünderinuen
der Lust ,
ist die Kürze selbst durch das Metrum gerecht-
fertigt, wiewol immer die Länge vorzüglicher
hleüjt:
^^! I ^J ^I i ^Ä•*l i ^^^^| i
(«« lae»« \ o. e. a^ 9 \ 0 e o 0 » \ 0.
Wie erbebt iin Glanz die Wcinlaub' o Beseliger du er-
schienst. Voss,
So erklären sich manche Verse sehr leicht, wel-
t:lie «lie Melriker zu den sonderbarsten Hypo-»
thesen verleiteten , z. B. :
0^ \aa0. 07b\^. 0^0000
"NVillkoramnes Abends erlabende Dämmerung,
der Eu«Uylbe des flüchtigen Daktylus. SvjS
Avo Hermann die Leiden nebeneinanderstellen-
den unbesünimten Sylben durch die von iluii
ausgedacbte Basis (De Metris. S. 217.)
^^_w— i«»»ti— ""«^ — ■»/<«,»
zu erklären sucht. Ob der Metriker hierbei
wül hören mochte, ^vas er bezeichnete?
Dass die Verkürzung dieser von Natur lan-
c;en Thesis dem Vers eine Schönheit entxieht,
statt ihm eine neue zu ertheilen, ist schon er-
innert worden.
Vom Maas der Endsylbe des flüchtigen
Daktylus am Scldiiss metrischer und
rhythmischer Reihen.
58i.
Die Schlussthesis der metrischen Reihe kommt
nicht blo»s in der spondeischen (•• *• ) und tro-
chäischen (••*»), sondern auch in der
Iribrachischen und flüchtig daktylischen Form
vor.
582.
Die tribrachische Form ist nicht als Grund-
form von Versen, sondern nur im Wechsel mit
Trochäen und andern Formen bekannt. So
wechselt z. R. der trochäische Vers:
_^_3 I _w_^
Durch des Lieds anmuthgen Wolillaut,
594 All 2 ein ei li er Theil. Von dem Maas
an jeder Stelle mit Tribraclien , iiulem di«
Länge des Trochäen sich in zwei Kiii'zen auf-
löset
In des Gesang« anmtfthgem Wohllaut.
Es fragt sich nun, ob die Schlussthesis der
metrischen Periode auch dann die repräsenli-
rende Länge annehme, wenn der letzte Tro-
chäus trihrachische Form angenommen hat?
z. B.:
Schwebte zu der lichtvollen Sternbahu,
» r — t — I w
nov (.wt xa la, rcov {lOi tu qqÖu tiov fioc ra '/.aXa aeXiva
"Wenn dieser letzte Vers iambisches Maas über-
haupt hat, wie Böckh behauptet. Im fortgeh-
enden Hhythmus findet diese Länge allerdings
Statt, und so ist der Ausdruck der Theoretiker
zu verstehn, dass in den gleichen Stelleu tro-
chäischer Verse (dem zweiten, vierten, sechsten
Trochäen u. s. f.) der Anapäst statt des Tro-
chäus Statt habe. Der Ausdruck ist freilich
nicht der glücklichste; denn, da man gewönlich
die Kürzen des Anapäst im Auftakt ( w, w i - )
hört, so klingt es sonderbar, dass der Anapäst
den Trochäus rcpräscutircn solle.
der Eiulsylhe des flUclitigeü Daktylu». SgS
383.
In der lyrisclien Cäsur liiiigegen würde über-
haupt die Auflösung derArsis den ganzen Sclduss
entslellen; denn der Charakter der Thcsis ist
hier jNachhail, welcher durch das Zerstückeln
der Arsis aufgehoben wird, z. B.:
Uiberall umtönt von Melodie.
Gelehrten Künsteleien dieser Art werden wir
immer das einfache: umtcint von Wohllaut,
vorziehn. Auch ohne die lange Endsylbe
schwächt die aufgelösele Arsis schon den Cha-
rakter des thetischen lyrischen Schlusses , z. B. :
Grössre stet» und kriegerischere Haufen drängt
der Feind heran.
Daher dürfte diese Stellung nicht leicht bei vol-
lem lyrischen Schluss^ r.m wenigsten in dem
Ende des Verses zu brauchen scyn, z. B. im
Schluss anapästischer Systeme:
in den Staub hiasLiirzte den Obelisk.
384.
Dass der flüchtige Daktylus des Tribrachys
Stelle vcrirele, isc früher schon oft bemerkt
worden; er findet daher auf jeder Stelle der
rcriode anstatt des Trochäen sich ein z. B.:
SgS Allgemeiner ThoiL Von dem LTaws
XQriOiv ohr^GTri(ju Barjov y.ct(iuoq.OQOv lißvug u(juv ,
P i n d a r.
Mit dem ZwHIlngton. des Waldhorns wechselte fröhlicher
Doppelgesang ,
nioht bloss ain Schluss der Periode, "wie man-
che gemeint haben, indem sie ihn aas der Auf-
lösung des Spondeus statt des Trochäus:
— *j — \j
irrigerweise erklärten. Denn ^a diese Länge
das Maas der Kürze, also Eine Zeit hat, so
kann sie nicht in zwei einzeitige Küxzen aufge-
löset werden. Es fragt sich aber hier wieder,
ob der Daktylus am Ende der Periode auf der
letzten Kürze, gleich dem Tribrachys, den er
repräsentii't , die Länge annehme ? Z.B.:
Bunter Elüten r e i c h t h u in des Friihlhigs,
Man hört den Mislaut bald. Buntes Blüten-
geßld hält sich im Yers, goldner Frucht-
reichthum gleichfalls. Die Endlänge im Dak-
tylus zeigt sich also dem Gehör als unstatthaft.
Dass :
— o — o(j1 — u — "J
Müde Rosse bergauf sich ahraüün,
im Verse sich halte, werden nur die behaup-
ten, welchen ein steigender Spondeus (bergauf)
mit demlambus (hinauf) gleich tönt. Richti-
ger ist:
der ÜJidsyltie des llüchtigen Daktylus. 697
Müht bergauf sich das matte Samnross.
Der Gruiicl liegt in der Natur des flüclitigea
Daktylus , der schon *ile Kraft in seiner ersten
Ai*is versammelt hat, und daher ohne Uiber-
ladung und Widerstreit nicht auch die letzte
Sylbe verstärken darf. Wie die Periode sicli
dennoch al$ hervorbiungend charakterisirt, wird
bald näher bestimmt werden. Uiberhaupt schlies-
sen sich die flüchtigen Daktylen schon von selbst
lebhafter, als die Trochäen an die folgende Ar-
sis an, so, dass in der daktylischen Form be-
reits der Charakter des Fortschreitenden an-
schaulich dargestellt ist.
385.
Eine andre Frage ist: ob die Schlasssylbe
in flüchtig daktylischen Rhythmen unbestimmt
sei, und also die Länge statt der Kürze ge-
statte? Z. B.
E.uft ZU Jt-m hciUgca Kampfe das Vaterland.
Die Theoretiker behaupten es , nach ihrer
lUgcl: die Endsylbe der Reihe' (ob metrisch,
ob rhythmisch, unterscheiden sie nicht) sei un-
bestimmt. Die Dichter haben auch '»viiklich
dieser Freiheit sich bedient, z. B. :
noct ßt^aaug Cqiwv Sv<r rtumaXo vg, n'tog ^¥ i(p vß'iS.-
3g3 Allgemeiner Tlieil. Von dem Maa»
und für solche Freiheiten lässt sich allerflings
nichts als die Herniaunisclie Bet[uemlichkeitsx*e-
gel anfuhren: dass sie hingehen mögen, wo
man sie nicht sehr hemcrkt.
Wir wüi'Jen inJessen den Virtuosen mit
Grund tadeln, der die letzte Note der Figur:
•• *^ * • 7 7
I
oder:
^ l^ >
l
nicht kurz abfertigte, sondern mit einem langen
Bogenstrich gleichsam darauf ausruhete. Soll-
ten wir also am Dichter rühmlich finden, oder
uns dabei beruhigen, wenn er anstatt:
Lippen, wie glühender Morien crröthende,
nach jener Freiheit :
Lippen, geröthet, wie glühender Morgenstrahl,'
boren lies? — Der Unterschied ist wohl ziem-
lich vernehmbar, und Aver hören kann, wird
sich von Hermann nicht üJjerreden lassen, man
höre den Unterschied zwischen Lange und Kürze
an dieser Stelle nicht. Weniger auffallend ist
CS freilich, wenn eine Positionlänge, oder doch
eine nicht gedehnte, sondern scharfe Länge
schlicsst, z. B. :
Blickte das Auge , so mild und so liebevoll.
Docli wird ein geschickter Yersbiidner selbst
solche Stellungen nur als Ausnahme und nur
der Endsylbe des üächü^rsn Da'^tylus. Sgg
dann gebrauchen, wenn er der grossem Kor-
rektheit grössere Schönheiten des Ausdruckes
opfern mllsste; denn vom Dicliter verlangt
man mit Recht eine solche Gewandtheit im Den-
ken, und eine solche Vertrautheit mit der Spra-
che, dass ihm die Gedanken ohne langes Sin-
nen gleich im anständigen Wortgewande er-
scheinen. Oder würden wir die Ungeschickt-
heit dessen rühmen , der , anders als im Scherz,
ein Sonnet mit dem Reimwort Mensch an-
fangen wollte, und dann sich quälte, weil er,
seihst mit der Diogeneslaterne aller Wörterbü-
cher, kein Gegenstück in der Sprache finden
könnte? Horatius scheint dieses gefühlt zu ha-
ben j wenigstens vermeidet er sorgfältig in der
Ode (I. 4.):
Solvitur acds hiems grata vke Verls et favoni,
die lange Endsylbe des letzten Daktylus. Hier-
aus widerlegt sich auch die Hermannische Theo-
rie des sinkenden lonikers. Nach diesem Me-
triker nämlich soll jeder ionische Fuss seinen
eignen ßhytlimus haben, und durch keine pe-
riodische Reihe mit dem andern zusammenhän-
gen; deswegen soll das Maas der Endsylbe des
ionischen Fusses unbestimmt seyn, und der lo-
niker mithin diese Form: S S ^ - annehmen,
wodurch denn der loniker zugleich der trochäi-
schen Dlpodie ( _ J _ y ) und der iarabischen
( ^ - • - ) gleichgGselxl wird. Ai4f diese Art
H.OO Allgemeiner TheiL
wird also nicht allein tier Endsylbc des loni-
kcrs in einem Illiythmus die unbestimmte
Sylbe gestattet, z. B. :
— o — u — — uo I — o — O — u
y.at ro f.u] na^ov f^i 7] -Oekeip' ovöe ya() aov tariv,
(auf dieselbe Art, Avic in obigem Beispiele:
dvancnnuXovg^ sondern der End.sylbe jedes io-
nisclien Fusscs als einer ( inelrisclien) Beihe,
gleich der trochäischen Dipodie, wodurch denn
freilich Verse entstehn würden, z. B. :
— — u— !— — vj— lu — u— I — —
Laut ruft das Schladithorn uns zum Kampf, erhebt das
Schwert muthvoll ,
WO man weniger Gehör, als Theorie besitzen
muss, um den gemeinten ionischen B.hythmus:
W. S. e^ t> I #. «. «^ 0 I ». «. «^ 0 \ e. a 7
herauszufinden. Es zeigt sich also, diese Her-
mannische Form des lonikers JL ± ^ — dem
Rhythmus ganz zuvrider, und avo sie, ausser
dem Ende wahrer rhythmischer Reihen , bei
Hermann vorkommt, ist sie nicht im Vers, son-
dern nur in der falschen Hermannischen Mes-
sung" enthalten, z. B.:
1^ — v^ — I— — — wl— — — Ol
Denn dieser Vers hat, wie früher erinnert wor-
den, folgendes Maas:
Von dem Maas der AuftaJttsylbe. 4oi
o — u I —
I-O-l Ol
1 1 1 I ^ j I ! I > 1 j j
TOVTi'i öianorag ftpoiag aeyJaj/Accc.
Selbst am Ende rhythmischer Reihen Ist die
Missform S J. ^J - und ,j ^ c» ^ nicht so oft
vorhanden, als Hermann sie nachweisen will,
z. B. der Vers :
/ , ' ' , r t
\j KJ \J — yj I O — U— I \J Kr \j — \j \ — ^
hat nicht dieses von Hermann angegebene un-
rhythmische Maas, sondern folgendes ganz mu-
sikalische:
KJ ^ u — \^ ^ \ — u — 1 OUÜ — o I — —
^^^^^^! i ^J i ^t^ni ^ \ \ i
B m 0 m. e^ m \4ite. \mmädm \ d. ä.
in dem geflücelten Wechseltanz mit der geliebten Jungfrau^
ohne irgend eine jener Missformen. In den
meisten Fällen Ist auch diese Länge zweideutig,
wegen folgendes Vocales, oder blosse Position-
lange , die am Schluss der llhythmen nicht mehr
störend ist, als der Hiatus. i^^Q'J.)
Von dem Maas der Auftaktsylbe.
386.
Wir sprechen hier nur vom einfachen Auf*
takte, niclit vom zusammengesetzten. (235.)
26
402 A 11 ä«»u einer Tlieil. Vou einer besonderii
Die Auftaktsylbe haben wir schon oben (234.)
als eine Thesis aus einer vorhergehenden, aber
jiur in dieser Thesis reell vorhandenen metri-
schen Reihe kennen gelernt. Dass sie ideell
ganz vorhanden sei, zeigt noch die vormalige
Art der Bezeichnung, welche die ideellen Mo-
mente durch Pausen angab :
- d"l d d I d -
Betrachtet man nun den Auftakt als Thesis der
vorhergehenden metrischen Reihe, welche die
folgende unmittelbar an sich anknüpfet, so gilt
von dem Auftakt dasselbe , was von der verbin-
denden Thesis im Allgemeinen (563 ff.) gesagt
ist. Soll diese Verbindung anschaulich darge-
stellt werden, so erfordert die Auftaktsylbe die
repräsentirende Länge , welche ihr auch von den
testen Dichtern gewönlich zugetheilt wird, z.B.;
W| — W — «,»1— W — S-|_W_
fi7j TOiv uQiCTtüv UUT6XCI ßovXevfiaxoiv. Sofokle«.
Arbeite mutvoll, Träge flieht Glückseligkeit. Voss.
"Wir bezeichnen sie an dem Musikzeichen eben-
falls mit dem Häkchen ( J ). Ihr Maas aber ist
dasselbe, wie das Metrum es fordert, also kura
in iambischen und ähnlichen Versen.
38;.
Die Auftaktsylbe ist Thesis einer frühem
metrischen (nicht rhytlimischen) Reihe. Wo
sie aho im Vers vor einer bloss rhythmischeu
Art der reprasenllrenden Länge. 4o5
Keihe (die nicht zugleich eine metrische an-
fängt) vorkommt, kann sie die repräseiuii-ende
Länge nicht annehmen, sondern sie bleibt auch
prosodisch kurz , z. B. :
Fürwahr, der Argwohn ist der Uibel übelstes.
Falsch würde seyn:
Blick' auf! h e 1 1 schimmernd glänzt im Morgenstral
das Schloss.
Denn die dritte Sylbe ist zwar Auftakt einer
rhythmischen Reihe, nicht aber zugleich einer
metrischen, und duldet daher nicht die proso-
dische Länge. Da Hermann i'hythmische vmd
metrische Kcihen nicht unterscheidet, so würde
nach seiner Theorie auch eine solche Sylbe die
Länge annehmen.
Yon einer besondern Art der reprasen-
llrenden Länge.
588.
Ausser den angezeigten Fällen der repräsen-
tirenden Länge gibt es noch einen, sehr häufig
Vorkommenden, aber von den Grammatikern,
und besonders von Hermann, durchaus verkann-
ten Fall dieser Länge.
Die repräscntirende Länge auf der Thesis
( J^ ) zeigt die Intention an, etwas hervorzu-
briogen; was, dem gewönlichen Lauf nach, nicht
^o'-i Allgcuic'i uer 'i'heil. \ ou einer bcsonderu
ZU erwarten war. Mit der Thcsis war eigent-
lich die metrliciie Reihe zu Ende, allein sie
äussert ihre Kraft über das Ziel hinaus. Diese
Intention muss aber nicht nolhwendig auf Her-
vorbringung einer neuen Reihe gerichtet seyn ;
sie kann in der angefangenen Reihe selbst et-
was ungewönliches vorbringen , und die darauf
zu verwendende Kraft durch repräsentirende
Länge ausdrücken. Dieses ist der Fall, wenn
in einer angefangenen Irochäischen Reihe sich
ein Trochäus, oder mehrere, in Daktylen, di'ci-
zeitige nämlich , verwandeln. Z. B. :
I N > ^ > !
Durch die bläuliche Flut.
Hier nimmt der Trochäus vor dem eintretenden
Daktylus auf seiner Thesis gern die prosodi-
sche Länge an und verwandelt sich also in ci-
licn Spondeus:
! > ^ ^ ^ J
Durch biauv/ogtnde FIuU
Dieser Spondeus ist aber ebenfalls nur proso-
discherwcise Spondeus ; melrisch betrachtet
bleibt er dem Trochäus im Maasse ganz gleich,
009.
Der theoretische Grund hiervon liegt in den
oben ausgeführten Sätzen. Ls i^t hier bloss
^ 'N ^ > i I i
Art der repiäsentlrenden Längs. io5
nachzuweisen, flass die Dichter, von ihrem Ge-
fühle geleitet, diesen Grundsatz befolgt haben.
Die Fälle, dass Daktylen nach Trochäen ein-
treten, sind besonders in folgenden \erseii ent-
halten:
Im Ferekrati sehen Verse:
■Wild a n stürmende Heerschaar ,
olog y.ai Ilagig tk{}(ov,
im Glykoiiischen Vers:
Non praeter solltum Ices, Horat.
Solch' a b scheulichen I\Ioderätaul) ,
im Faliikischen Ilendekasyllahus:
• ^ •. «^ • \ 0 0 m 0 \ et. s.
Schön a u f steigendes Morgenroth des Festtags,
Et tristes animi levare curas , Catull.
im Asklepiadisch en Vers:
- Z ■ s^ \ ww^I-^-
Nos convivia ros praclia virginum^ Hoiat.
Auf blondlockigem Haupt grünte der M}Ttenkvaii:,
in der Foi'm des a n a k r c o n t i s c h c n \ erse^ ;
4o5 Allgemeiner Theil. \on einer bcsondcrn
j^ji\} «^^'!J^l J.J
ixvafit^ufiev /jtovvai'} , Anacreon,'
in der monddurchleuchteten "Lenznacht ^
in dem epionischen Vers:
1^ I — V — «^«^ I — — »^ I — *,» — fci*»* I mm
^ I • - / »^ « i •. ^ ^ i <) ^ •. tf*^ • i «I.
f^f« TiQWTOv (HSV vjraQ/etv navTOiV iarj'/o^iuv»
Empfangt frohlockend im Festschmuck der Jungfraun
tanzenden Chor.
üiberall in diesen und mehren andern ähnli-
clien Versen findet man vor dem Daktylus die
rcpi^äsentii'ende Länge in der zweiten Sylbe des
Trochäus. Diese unbestimmten Sylben haben
sowol die Grammatiker, als Hermann, in den
Vei'sen bemerkt; allein, weit entfernt, den wah-
ren Grund davon einzusehen, erschöpften siclj
jene in Aufzälung einer Menge Verschiedenhei -
ten des ersten Halbfusses in antispastischen Ver -
sen, und dieser verlor sich in die willkürlich-
ste und unhaltbarste aller Träumereien, näm-
lich in seine Lehre von der Basis, welche
schon früher (238 ff.) erwähnt worden ist. Wir
"werdeiv später bei den Versgattuugen , die Her-
mann nach seiner Basis messen Tvlll, das Wei-
lcrc davon anrühj'en und widerlegen,
Art der repräsentlrenden Länge. 4ü7
590.
Nach diesem Grund der repräsentirenden
Länge dürfte sie auch in trochäisclien Versen
Äuf ungleicLen Stellen vor dem Daktylus nicht
befremden, z. B. :
Wo dumpflieulend in öder Felskluft jNaclitunholde der
Wolf begrüsst.
Allein, wenn auch die alten Dichter so ge-
schrieben haben , so darf man sich doch nicht
wundern, dass ilu'e Verse, nach so vieljähriger
Bemühung der filologischen Metiüker, nur in der
Gestalt auf uns gekommen sind , wie sie mit der
Meinung dieser Kritiker übereinstimmen. Bei--
spiele solcher Emendatiouen haben wir an dem
Skolion des Hybrias {'^-jQ.) bemerkt. Mehr
finden sich in Hermanns Schriften, wo wirk-
lich (de Metr. S. 118.) ein Spondeus vor eincDX
Daktylus :
TTOvTog, ^.ixcpi 6" dxga yvQiov u()(fvop iGTUTai
V!(fOg, Archilochus.
Wenn Gesang, vom "weitaushallenden EarLiton be-
gleitet, tönt,
wegemendirt wird. Eben so wird im iambi-
schen Vers auf der zweiten Stelle der iambi-
schcn Dipodie ( u - 3 - ) die repräsentii'cnde
Länge statt finden, z. B. :
Fern hallt Krjegsdonner , die Schlacht beginnt , laut
brülk der Tod,
io8 Allgemeiner Thoil. Von einer Ijeaondeni
aber auch diese dürfte grösstentliells durch kri-
tische Emendatioaen vcrscliwunden seyn. In-
dessen werden diese Fälle schon darum nicht
sehr häufig seyn, weil die bessern Dichter den
letzten Trochäen der Dipodie lieber in spoudei-
scher als daktylischer Form gebrauchen.
391.
Vor dem Tribrachys statt des Trochäen
wird die reprasentirende Länge nur dann Platz
finden, wenn die erste Sylbe des Tribrachys
iichei' und stark accentirt ist, z. B.
Hochzeitliche , sehnsüchtige Wehmut ;
nicht aber umgekehrt:
sehnsüchtige hochzeitliche Wehmut.
Denn diese Sylbe ist accentlos. Wo der Tri-
brachys charakteristisch steht, um Flüchtigkeit
darzustellen, thut man überhaupt nicht wohl,
diese Flüchtigkeit durch einen vorschreiteuden
Spondeus zu hemmen,
592.
In lyrisch zusammengefügten Rhythmen, de-
ren zweiter Theil bestimmt die flüchtigdaktyli-
sche Form hält, wird die hervorbringende ar-
ßisclic Natur der ganzen ersten Hälfte zuweilen
Art der repr'Jsentirenclen Lajige. 4oa
dadurch anschaulicli gemacht, dass diese Jie
Trochäen ganz verwirft und bloss Daktylen, oder
Spondeen annimmt, z. B.:
Schau hülfreich auf uns, Flutcnbesäaftigorin — •
Heiljges Prachtdenkmal sinkt in den grausen P>.uiu.
wodurch der Schein entsteht, als sei der Spon-
dcus durch Zusammenziehung der Kürzen im
vierzeitigen Daktylus entstanden. Die flüchtigen
dreizeitigen Wortdaktylen solcher Verse zeigen
aher, dass sie der angegebnen dreizeitigen Mes-
simg angehören.
395.
Diese Stellung, so wie manche andre, gab den
.komischen Dichtern wahrscheinlich Gelegcnlieit zu
karikirender Parodie, luid so entstanden vielleicht
manche Verse, die den Gesetzen des Metrum
widerstreiten. Zu diesen gehört z.B. die Form:
— O I^ —
oIk Old' cog i\uag rcvO-^ txcji' , Aristo f.
ScJnvermutvoIl aufseufzet der Hain,
die Lei Horati us:
Te Dpos oro , Sybarin,
Immerhin sei taub der Musik, Voss.
und andern in reinem metrischen Verhältniss
vorkommt, und noch mehr die zweite Hälfte das
Metrum Eupolideum j^olyschemalistum :
4io Allgemeiner Theil. Bemerkungen über
ci)X ovo" wg vfiag nod-" ivMv n^cjÖMau rovg d(-*
Itovg.
Schwermutvoll aufseufzet der Hain , laut voll Wehmut
ächzt der Bach.
VielleicLt war auch das Grundschema dieses
Verses ein Uiberrest aus der Zeit accentirter
llhythmen , von denen die Dichter noch im Ko-
mischen Gehrauch machten, so wie etwa in un-
serer Zeit der vormals angesehene Alexandriner
und der alte deutsche sogenannte Knittelvers
noch humoristisch gebraucht wird. Wenigstens
wird man, ausser den Komikern, selten odt^'
nie dergleichen Versformen antrelFen.
Bemerkungen über die reprasenllrenden
Längen und Kürzen.
394.
Aus Allem, was über die repräsentirendon
Längen und Kürzen gesagt worden ist, erhellt,
dass ihr Gebrauch nicht zur Richtigkeit des
Metrtim erfordert wird, sondern einzig und al-
lein der Schönheit des Verses wegen. Ein Vers
bleibt eben so richtig ohne repräsentirende
Längen, als mit denselben, aber es mangelt ihm
ein wesentliches Stück der rhythmischen Schön-
heit, vorausgesetzt, dass nicht vielleicht sein
Inhalt den Ausdruck der Leichtigkeit und Schnei-
die repräsentirenden Längen und Iliirzea. 4n
ligkelt fordert, dem viel repräsentirende Län-
gen zuwider seyn würden.
595.
Bei dem häufigen Gebrauch solcher Längen
in alten und neuen Dichtern und nach den
vielen Erörterungen darüber in den Schriften
der besten Metriker, muss es allerdings be-
fremden, wenn man in der neuesten Zeit sogar
Lehrbücher findet, in welchen die lange Auf-
taktsylbe als eine Nachlässigkeit des Dichters
getadelt, und verbessernd in eine kurze ver-
wandejit wird, gleichsam als ob der so oft em-
pfohlne Gebrauch der Spondeen in iambischcii
Versen eine zwar zu bemei'kendc, aber nicht
zu befolgende licentia poetica war. So tadelt
z. B. D. Gräffe in seiner Anweisung zum
Rhythmus (Göttingen 1809.) S. 62. den Vers:
Gott ruft der Sonn' und schafft den Mond ,
und verbessert ihn , seiner Meinung nach , so :
Der Sonn' ruft Gott u. s. w. ,
weil, wie er sagt, die Worte: Gott ruft, feh-
lei'haft als ein Jambus gebraucht scyen , da docli
das Subslaniivum: Gott, nie kurz werden
könne. Dergleichen Tadel des Bessern und
Veränderung in das Schlechte findet sicli häufig
in diesem Buche, der drolligen Orthomctrio
(Frkf. a. d. Oder 1808.) nicht zu gedenken, die
4i2 All gera feiner Thoil. Von der Kraft der
im preziosesten Palhos licxametcjr maclicu ichrt,
'vie sie niclit sevii sollen.
096.
Von repväsenlJrcnden Kürzen wird nur die-
jenige dem Vcrijjildner zu empfehlen seyn,
•«velche dev Schlusssylbe der in der Arsis en-
denden rhythmischen Reihe zukommt; denn,
inidem sie die Kraft der Arsis seihst in der pro-
sodischen Kürze anschaulich macht, bildet sie
eine Art von metiüschem Inganno. ]\iir hüte
sich der Leser, diese Sylhe zur Länge zu deh--"
nen; sie muss vielmehr nach strenger Quantität
kurz gesprochen -vvcrden (die Pause erfüllt die
metrische Zeit ) wie die kurze iSote in ähnli-
chen Fällen vom \irtuoscn vorgetragen -\vird;
denn sonst wird eben dieses Inganno zerstört.
Hieraus folgt zugleich, dass eine solche Kürze
in gereimten Versen nicht als männlicher Pieim
jrebrauclit werden kann, so selir sieh auch ei-
o
nige Dichter (z. B. Kosegarten) in Reimen
der Art (z. B. Liebliche, frischer Schnee)
gefallen mögen.
Die Kürze statt der schliessenden langen
Thesis ist immer nur ein Nothhehelf, und ent-
zieht dem Veis, besonders in der lyrischen Cä-
sur, seine natürliche Schönheit. Sie ist deswe-
gen möglichst zu vermeiden.
Aiiiö, ciuc kuiiSe Sylbe zu ■verlangen. 4i7i
Von der Kraft der Arsis, eine kurze
Sylbe zu verlangen.
597.^
Mit cTcr Bemerkung p dass die rliytlimisclie
ScLlussIiinge auf der Arsis dui-ch eine K,ür/.e
rcpräsenlirt werden könne, verLiuJet sich, die
Frage, ob wol üLerLaupt die Arsis die Krafi
Labe, eine kurze Sylbe im Kbytbmus an dti
Stelle der metrischen Länge zu balten? Es ist
dabei nur von solclien Stellen die Rede, wo
nicht, wie am Schluss, die metrischen Momente
durch Pausen ei'setzt werden können.
In accentirteu \erscn kann zwar die Arsis
des Vcrslaktes die Sylbe nicht eigentlich ver-
langen, weil hier überhaupt von Lang und
Kurz nicht die Rede ist, sondern nur von He-
bung und Senkung. Allein die Arsis dts Vers-
taktes kann derselben Sylbe Hebung geben, die
sonst in der Senkung stehen kann. So steht
die Endsylbe des Wortes: Schattendes im
ungeraden Takt in der Senkung:
Wölbet ein s ch a 1 1 e n des, j^rünes Gemach,
die im geraden Takt in der ilebung steht:
Ihr Zweige, baut ein sciiattendos Gemacli.
Schiller.
.Denn der Irochäische Vers gehört im acccnti-
ren den Rhythmus dem geraden Takt an (^liaäa).
In der oft erwülinttn Mittelklasse zwischen ac-
!
-iii Allgemeiner Tlieil. Von der Kraft der
cenl'irten und quanlitii'enden Rhythmen verlangt
man zu dieser Hebung , dass entweder die
Sylbe im Worlrbytlimus nicht absolut ihetisch
sey; (darum kann man die zweite Sylbe des
Wortes: Schatten nicht in die Hebung stellen,
wol aber die dritte in schattendes, welche,
wie jedes dritte Moment [ -- yj ), zugleich arsi-
sehe und thetische Natur hat ( 92. Sy'k. ) , und
daher eine untergeordnete Hebung verträgt)
oder, dass die Sylbe wenigstens lang sei,
wenn auch in der Senkung des Wortes, z. B.:
Roichthum vergeht , der Welt Hoheit rer-
schwindet. Vos».
Der bloss accentirte Vers hingegen lässt den
Yerstakt über den Wortaccent herrschen. Je
mehr nun eine Sprache sich den Qua,ntitätbe-
stimmungen eignet, um so mehr fügt sich selbst
dtir accentirte Vers den beiden angezeigten For-
derungen jener MiUeiklasse.
598.
In der flüchtig daktylischen Bewegung wird
die Arsis am leichtesten diese Kraft ausüben;
denn da der flüchtige Daktylus überhaupt tri-
l)rachisches Maas hat, so wird er durch den
Tribrachys auch leicht rcpräsentirt. Darum
liält sich unter leichten sinkenden lonikcrn
{ J. m^ ^ J^ u u ) auch der erste PäoQ
\«. » dl J — i/»j(j)z. 13. ;
Arsis, eine kurze Sylbe zu verlangen. j4i5
Hell stralet des Mondes Glanz dem fröhlicheren
Kachtfest.
und selbst im Hexameter, den man riclitiger
als dreizeitigen, denn als vierzeitigen daktyli-
schen, Vers betrachtet, z. B.:
und der Gesang auf der Bleich' und die einsam©
Flöte des Schäfers. Voss.
mdoiog xe (.wt eaat, <pile txv^s, dtivog t(.
Homer.
599.
Nicht so leicht hebt die Arsis die Kürze zur
vollen Länge des Trochäen. Beispiele solcher
Hebungen gibt es zwar unzählige bei alten und
neuen Dichtern:
o Tcsvr,g i?.eiiTal, ö ds 7T?.ov(nog cp'&oveiTue.
zu dem goldenen Praclitschloss , zu der Hütt«
schleicht die Armuth ,
allein etwas Sylbenzwang bleibt es immer, eine
absolute Kürze allein durch den Takt zur Länge
zu heben. Ist ein Dichter zu einer solchen
Stellung gezwungen, so ist Vorsicht nöthig,
damit das Metrum nicht gestoi-t werde, z. B.:
yXvxvntxQov ■ uuayavov oQuirov ,
von der blutigen Geissei der Rächerin,
lässt zweifelhaft, ob es nicht vielmehr im Auf-
takt:
zu XcsQTX sei. Am sichersten ist es, die Kürze
4 1 G Allgemeiner T ]i e 1 1, Von der Kreft «ler
nur dann an eile Stelle der Länge zu setzen,
wcmi der Gang des Verses so entscliiedcn ist,
d;-.ss der Leser und Hörer nicht mclir getäusclit
werden kann, und auch dann muss die Kürze
von der Art SL-jn, dass sie schon im Wort-
rhythmus eine untergeordnete Arsis hat, oder
doch haben kann, ais eiasylbigcs Wort näm-
lich. So hält sich das Wort: schauerlicher
nolhdürilig als Doppcllrochäus im Teti'ameter:
llincs bedrohten uns die Schrecken schauerlicher
iMltternacht ,
und wenn die trochäische Bewegung ciamal ent-
schieden ist, auch im iVnfang:
1 n des Hains verschwiegne Schatten.
Auch ihut man bei solchen leichten Stellungen
wohl, die andern Theile des Vei'ses nicht durch
viel kräftige Worliüsse und repräsentirende
Längen in zu starken Kontrast zu setzen, z. B.:
Df.s so furchtbar wie der Ausspruch ,
Aviirdc steigenden ionischen Piliythmus hören
lassen, und:
Zorncifüilt durchzog Poseidon das erzitternde Gewog,
wird durch den dün])en Ausgang des vollenAn-
fange« fast komisch x\nd parodirend.
Vielleicht wollte auch Aristofanes derglei-
chen Verse (Lysistr. loii.) parodiren:
Arsls, eine kurze Sylbe zu verlangen. 417
ovÖiv iari -Oti^iov yvvuixog u/.taxojTfQOv\,
Nimmer ward durch Weiberlist verderblicheres aus-
gedacht,
wenn sie nicht vielmehr so zu messen sind:
J jN^"" I J jN ^N J. .'' .^N J .N
Berg und Thal bewohnte niemals fröhlichere Hirtenschaar.
Auf jeden Fall sind diese Verse Veränderungen
des trochäischen Tetrameter; denn wenn auch
Hermann v. 1016 und 17 wesemendiren will
so geht doch die ganze Stellung nach und nach
in die gewönliche Form des Tetrameters über,
welche von v. io5o. unzweifelhaft eintritt.
4oo.
Im Hexameter vor der langen Thesis kann
sich ebenfalls mit gehöriger Vorsicht die Kürze
in der Ai-sis halten:
Vom anhauchenden Winde gekühlt. Voss.
Ist aber diese Kürze die erste Sylbe eines Wor-
tes und dessen Auftakt, so hält sie sich nicht,
weil ihr absolut thelischer Charakter nie der
Arsis entfremdet, z. B. :
E r tönt lauter im Feld das Kanonengekrach' und der
Schlachtruf,
oder auch:
Die Schönheit der Natur jn bewunderndem Sinnen
betrachtend,
WO der Artikel zu eng an das folgende Wort
2-7
4i8 Allgömeiner Theil. Von der Kraft der
sicli anscliliGsst, um als lange Arsis Lestelien zu
küinien.
Ob der Ilomerisclie Vers (II. 20, 2.):
imcöt] vr,ag re aui EWrtOnovrov lnovro ,
m dieser Gestalt ursprünglich acht sei, mögen
andre entscheiden. Hefästion führt ihn als
Beispiel einer Synekfonesis ( Zusammenziehung
zweier Sylben iu Eine) an, -wo er:
indd-t] eis v^jag u. s. w.
gelesen wird. Auf ähnliche Art steht bei Ae-
s c h y 1 u s :
060 V flfP iVVUTflQU U^QOOiV , -O^iOV ds Xttt
|M?;r»;^o i(fvg,
und bei E u r i p i d e s :
tJ OT(q,ij Tov qi^.ruTOv ^oc deotVf uyulfiuv ev'i'u,
unter trochäischen Tetrametern, anderer Bei-
spiele von Synekfonesen , die Hefästion anführt,
nicht zu gedenken.
4ol.
Statt der dreizeiligen Länge wird sich eine
Kürze höchst selten halten können, ausser am
Ende der rhythmischen Reihe, welcher Fall
aber nicht hieher gehört. Wo sie in andern
Fällen sich hält, da ist es entweder Täuschung
durch den logischen Acccnt, der ihr den Schein
der Länge gibt, z. B. (5i4.)
I ^ li > I I
Das liab' ich ertümpft.
Arsis , eine kurzi^ 5>ylbe zu verlangen. 4ig
oder der einmal eingeleitete Verstakt besticlit
das Gehör:
N {\ ^
0. «^ «
Sanft lönet das Waldhorn in Liebesgesänge;
aber im zweiten Fall bleibt die Kürze immer
ein übler ]>iüthbelielf, der den \ers entstellt.
Hermann behauptet zwar, da.«s der ionische
Fuss, dessen erste Länge nach unsrer Ansicht
dreizeitig ist, in dieser Form: ^ J. ^ ^ vorkom."
me . und so schiene denn die dreizeitige Länge
durch eine Kürze repräsentirt. Allein diese
Form des lonikers exislirt bloss in der Herman-
nischen Schule, aber in keinem Vers, in wel-
clic sie Hermann nur durch seine ganz vergrif-
fene Messung gelegt hat.
So findet er sie z. B. in folgenden Versen
(de Metr. S. 558.):
■nuvTfg ig yo\v}' TT^nrijOTfg | t^ioi^ xvv e\6vxc
dtanoTuv xui \ (.liyuv ^«at-| A?-;« (pwfe - | oi'Tt.
Das IMaas ist abei', selbst nach Hermanns Lesart :
— w — »^w I — — I «^s*«>^— .w«w I — —
m » »■ 0^ » \ m. 6. \ 0 » tt ». m^ s I #. «.
nuprrg f^ yovv ix^nct} - fjrfg t/xot y.tntovTtf
m0 0. \00 0. 0^ä \ S ä ä d \ ä. 0.
420 Allgemeiner l'heil. Von dtr
Tincl so ist denn an jene Unform nicht zu den-
ken. Die Saffischen Verse :
dt'dvy.i f.iiv ü. 2ie\(/.vKl
Welche Hermann noch als Beleg anführt, sind
oüenhar im Auflakt zu messen :
^1— *''^ — *-'I— —
dt - dvxe f-iBv « 2:iluvuj
von ßrautmelodieu des FrüLlings,
und beweisen daher ebenfalls nicht.
4o2.
Leichter hält sich die Kürze statt der Länge
des aus der dreizeitigen Länge entstandenen
Trochäen, wiewol der schon erwähnte Sylhen-
zwang auch hier unvtirkennbar ist. Z. B. :
ort TcavTig ocfoi thqiggov 7}&6?,t]auv (v^iiv.
Alabasterne Nymfenchöre hüten dort die Quellüut.
Dass die Stelle, welche hier der Pyrrhichius
einnimmt, dreizeitig sey, zeigt sein Wechsel
mit dem Trochäus und Tribrachys. Ohne diese
llücksicht lässl der \ ers auch die Messung im
Auftakt zu:
•^ 1^ [ — s^ <^ — t,t I — — I — >^ — ^» I — - —
wo der Spondcus aus zwei dreizeitigen Längen
besteht.
Bestimmung der Sylbenquantität durch den Ilhythmus. 42i
Von der Bestimmung der Sylbenquanlltäl
durch den Rhythmus.
4o5.
Das Metrum, wie schon melirmals erinnert
worden , ist ein relatives M a a s. Es zeigt
nicht an, -welchen Gehalt eine Sylbe an und llir
sich habe, sondern bloss, welches Verhältniss
das rhythmische Moment, das sie ausfallt, zu
den andern rhythmischen Momenten habe, mit
welchen es in Beziehung steht. Die Prosodie
hingegen betrachtet die Sylben isolirt, ohuc
alle iBeziehung aut Wortrhyllnnus, oder Yei'S,
und sagt bloss aus, diese sei lang, jene kurz,
höchstens: diese schwebe zwischen Länge und
Kürze und neige sich entweder auf diese, oder
auf jene Seite. Wie lang aber eine Sylbe sei,
oier gar, wie viel mal länger, als eine andre,
darnach fragt die Prosodie nicht. Man denke
sich ohne doch das Gleichniss zur Ungebühr
auszudehnen, die Sylben als ein Aggregat von
Musivstiften, welche die Prosodie nach ihrer
verschiedenen Grösse aussucht. Der Melriker,
der seinen J\hythmus mit ihnen ausfüllen will,
■wählt sie nach ihrer Grösse, den Forderungcu
eines jeden rhythmischen Momentes gemäss, aus,
und zeigt in dieser (prosodischen) Wahl richligeu
oder unrichtigen Sinn, wie der Künstler rich-
tiges Augenmaass zeigt, indem er den Musiv-
422 Allgemeiner Thcil, Von der
slift wühlt, der die passende Grösse für den
Ort liat, dg;i er auszufüllen bestimmt wird.
4ü4.
Erst, wenn die Sylbe im Rliythmus steht,
bekommt sie dureh diesen ihr bestimmtes Maas.
War sie vorher bloss lang, so wird sie nun
dreizeilige, zweizeilige, unvollkommene, oder
auch repräsentirende Länge , alle für die Proso-
die gleich, oder doch nicht nach, bestimmtem
Maas unterschieden. So ist z. B. die Sylbe :
Meer prosodisch lang, in M e e r herrscher wird
sie dreizeilig, in Meergcstad zweizeitig, in
Meertirannei ( ^'. J\ ^ J. ) unvollkommene,
und im Vers:
Meer fluten theilend zog das ScliilF nach ferriC-ra Ldud,
ist sie repräsentirende Länge.
4o5.
Erst durch den Rhythmus wird also die
Sylbenquantitä t zum Sylbenmaas. So wie
nach Franchino die Notenfigur d zwar lang
und diese J kurz bedeutet, aber erst durch den
Taktschlüssel (der gleichsam die Uiberschrift
ist, und das kurz ausspricht, was der ganze
Rhythmus sagt) das Maas der Länge ei'hält, so
widerfährt es der prosodischeu Länge durch den
Rhythmus, dessen Metrum der Sylbe ihren bc-
.slinunlen Gehalt gibt.
üesliinmun^' der Sj'lbeiic[uantitä't durch den n.'.ythmus. 423
Dieses Maas zeigt sich zuei'st im PJiyllimus
jedes mehr als einsylbigen Worles, und so Avie
der Accent überhaupt noch vor der Quauiilät
die Grundform des Rhythmus bestimmt , so auch
hängt der Rhythmus des Vv^ortes und das Maas
seiner Sylben vom Accent. ab. Um also die
Wortrhytlnntu zu beurtheiicn, muss man die
wirkliche lebende Aussprache des Wortes genau
kennen, die aber freilich in den alten soge-
nannten lodten Sprachen Air uns immer in
vielen Worten ungewiss bleiben wird, daher
wir von ihr nur hypothetiscli sprechen können.
Ist es z. B. gegründet, dass die Griechen das
Wort üv&QOiTxog auf der ersten Sylbc acccutir-
ten, und also im vollen Takt anüngen, so war
ihnen der Rhythmus dieses Wortes ein bacchi-
scher ( j. j I" ). Die accenlirte Sylbe halte
dreizeitige Länge , und sie sprachen es eben so ,
wie wir das Wort androhen sprechen. Aen-
dei'le sich der Accent im Sprechen bei dpßQta-
nov, wie der geschriebene sich ändert, so spra-
chen sie es dann als einen Spondeus mit dem
Auftakt ( J I J J ), wie wir das Wort P roh-
st ei wald aussprechen. Es ist ein molossischcr
Worlfuss, dsr in der Äliltc die liebung hat,
gleichsam ein Acccntamfdjrucliys. Weiss man
also Aon einem Wort die prosodische Quanti-
tät und den Accent, so findet man den Rhyth-
mus desselben, indem man es gegen die me-
4zi Allgemeiner Theil. Von der
Irischen Formen hält, deren jede ihren Rhyth-
mus hat,
4o6.
Ein Vers besteht nicht bloss aus einzelnen
Sylben, deren i'hythmisches Maas noch unbe-
stimmt ist, sondern zum grossen Tlicil (die ein-
sylbigen Wörter bloss ausgenommen) aus schon
rhythmisch bestimmten Wortfüssen. Hierbei
entsteht nun die Frage : löset der Pihythmus des
Verses den Rhythmus der Worte auf, und
.«teilt er in ihren Sylben die bloss prosodische
Ouantität her, die er nun selbst durch s^in
cigenthümliches Metrum bestimmt? oder, ist der
Vers an den Rhythmus der Worte so gebun-
den, dass jede Sylbe im Vers dasselbe metri-
sche Verhältniss in Ansehung der Arsis und der
Quantität behalten muss, "welches sie im ein-
zelnen Worte hat?
407.
Man erkennt in diesem hier erwähnten Ge-
gensatz des Versrhythmus mit dem Wortrhyth-
mus bald eine Analogie des Gegensatzes zwischen
rhythmischer und metrischer Reihe. Wie in
dem gleichmässigen Schritt beider R.eihen der
lyrische Charakter (das Singbare), in dem
ungleichen Schritt der deklamatorische
Charakter des Verses sich zeigt, so geschieht
dasselbe im Zusammeotreflen des Wortrhyfhmus
ßestimmung der Sylbenqiianthat durch den R.hythmus. 4^5
mit dem '\^crsrliythmus, und iii dem Abweichen
beider Arten von Pihytbmen. Nocb deutlicher
%vird dieses Verhültniss, wenn man bedenkt,
dass eigentlich der Wortrhythmus nicht sowol
mit dem Pihythmus des Verses , als vielmehr
mit den meti'ischen Formen desselben kollidirt.
Z. B. der llhythmus des Wortes: hochzeit-
liche ist ionisch { J. m. J^ J ), im Vers kann
aber das Wort gestellt werden:
• I e. « 0 • \ ti, a
Ilochzcltlicho BekräiiEung.
düss die Periode päonisclicn Rhythmus hat,
und der ionische Worlfuss aus einer Periode in
die andre reiclit, indem er einen unvolizäligcn
Päon mit dem Auftakt bildet.
4o8.
Jene Frage (4o6.) beantwortet sich also nicht
im Allgemeinen, sondern immer nui* in Bezie-
hung auf den Charakter des Verses. Wo der
lyrische Cliaraktcr vorherrschen soll, wird die
metrische Form des Verses Wortfüsse von glei-
cjicr metrischer Form verlangen , z. B. im Liede.
Wo hingegen der deklamatorische Cliai'akler der
herrschende ist, z. B. im e])ischen und im dra-
matischen Verse, da wird die Verschiedenheit
der metrischen Bedeutung, in welclier <lie Syl-
])cn im Wortrhythiuus und iui Versrhythmus
4x6 Allgemeiner T h e 1 1. Von der
erscheinen, dem Yers Lebendigkeit und Bewe-
gung erllicilen. Hierdurch v.ird der Vers zum
Darslellungsmlllel der Empfindung und die Me-
trik trilt aus dem Gebiet der Wissenschaft iu
den Kieis der Kunst, wo die Hegel schweigt,
und aliein das Gefühl des Dichters entscheidet.
In dem Vossischen \ers:
Düsterer zog Sturmnaelit, graunvoll rings wogte da»
JMeer auf,
■wird jeder mehr Bewegliches und Darstellendes
erkennen, als in der SteLung:
Düstere Stui-ninaciit zog, und grauiiYoIl ■wogte da«
Meer auf,
WO jeder Wortrhythmus rcr metrischen Stelle,
auf welcher er steht, gleich ist.
4c9.
Im Schluss des Ves&ss, wo metrische und
rhythmische lltiheu sich vereinigen , gleicht auch
in der Regel, .selbst im deklamatorischen Vers,
der schlicssende V/ortrhythmus der schliessen-
den meti-ischen Form. Es ist daher der Gipfel
des deklamatorischen Ausdrucks , wenn selbst
im Schluss der Worlrhythmus eine, der metri-
schen Schlussform ungleiche, Beihe bildet, z.B.
wenn im Hexameter der Schlussrhythmus (- - }
gethcilt und die erste Sylbe an den vox'hcrge-
henden Bliylhmus gezogen wird:
Besümmimg der Sj-lbeiniuauüiät durdi den Rhj'tlimux. 427
Ne quis huraare Teilt Alaccni, Atrida , vetas ; cur?
Horat.
Schonlieit selb^t und Geschlecht giht alles der grosse
Monarch : Geld. Voss.
Deswegen empfehlen diesen Scliluss aucli die
Aesllietikcr nur zu erhabenen Gegenständen:
vsqeh]y(QSia Zevg , Homer.
Der Herrscher im Doiiuergewölk, Zeus, Voss,
oder zu Parodieen des ErhaLenen :
nascetur ridiculus mus, Horat.
komm doch heraus , Jlaus ! Y o s s.
und ralheu , ^^o er ohne solchen Ausdruck
seyn soll, ihn durch ein unmittelbar vorausge-
hendes , ebenfalls eiusylbiges Wort zu mildern :
Principibus placuisse viris , no.i ultima laus est,
Dennoch fragt er dazwisclien: wo bleibt mein Töch-
terchen? rchläft sie? Wo SS.
wodurch aus beiden elusylügen Worten gleich-
sam ein zweisilbiger Wortfuss entsteht. Dass
aber die INIetriker, die jedem einsvlbigen Hexa-
meterschluss den pathetischen, oder parodirenden
Charakter beilegen, die Wahi'heit verfelilen,
zeigen mehre einsylbigc Schlüsse, in denen mau
jenen Charakter nicht bemerkt , z. B. :
Home r.
Quod tiLi deläto Ortygiam dicturus Apollo est. Virg.
428 Allgemeiner Theil. Von der
Ist nicht Frau Bischöfin gesellt ilim : dennoch erzählt
man. Voss.
Denn UHsträflich zu scyn in Kircli und Hause begelir'
ich. Ders.
Soll jene Wirkung hervorgebracht werden, so
muss ein rhylhmischer Einschnitt vor die
Sclilusssylbe lallen, der sie von der vorherge-
henden trennt. Ein kräftiger Wortfuss bewirkt
oft einen solchen Einschnitt, hauptsächlich aber
ein Hauptwort als Schlusssylbe, das sich durch
den Gehalt seines Begriffes von dem vorhergeh-
enden trennt. Die Stellung z. B. :
Denn nicht Hekatomben begehr' ich,
ist unwirksam, weil das Pex'sonwort sich nicht
genug von seinem Zeitwert trennt. Anders ist:
Denn nicht Hekatomben begehrt Zeus,
WO das Schlusswort einen abgesonderten Begriff
enthält, und also von dem vorigen mehr ge-
trennt erscheint. — In der jNIusik ist der Ge-
brauch dieser Stellung sehr häufig, aber der
harmonischen Verhältnisse wegen nicht immer
von so auffallender Wirluing, als die volle Cä-
sur vor der Schlasslhesis im Vers. Die meisten
Male gleicht sie nur dem einsylbigen Schluss-
wort ohne Cäsur,
Im gereimten Vers dagegen scheint diese
Stellung auffallender, besonders im Deutschen,
wo wir zu sehr an die klanglosen weiblichen
Bestimmung der SylbeuqiiantJtät durch den Rhythmus, 429
Ausgänge: Sonne, Wonne, Leben, Stre-
ben, gewölmt sind, so dass manche Kritiker
diese stumpfen Reime als Regel, die volltönen-
den hingegen, z.B. Wahrheit, Klarheit, .
oder gar: machtvoll, prachtvoll, als Re-
gellosigkeiten und Härten betrachten. Manche
nennen dann auch wol ihre Ungewandtheit im ^
Handhaben der Sprache den Genius derselben,
der das nicht gestatten soll, was ihnen nicht leicht
genug wird. Den Reim aus zwei Worten , z.B.:
. der nichts minder ar*; wohnt,
als dass die Braut bleich und erstarrt im Sarg wohnt,
duldet diese Kritik noch weniger. Erkennt man
aber weibliche, in beiden Sylben volltönende
Reime überhaupt für vorzüglicher an , als die,
durch halbstumme Endsyl])en E und En abge-
stumpften , so verliert sich auch das Auffallende
in dem doppelten Reimwort, sobald nur nach
der ersten Sylbe kein Einschnitt folgt. Die
Stellung z. B. :
Der Bursch' im Mastkorh war noch euer Heiland,
Euch rettete vom Tod sein lauter Schrei: Land!
setzt durch die Cäsiir die Relmwortc in auffal-
lenden Widerstreit, und möchte daher bloss
zum komischen Gebrauch dienen. Uiberhaupt
muss im Gebrauch soh'her Reimstelluugen ein
feiner Takt den Dichter leiten, dass er nicht
eine ernst gemeinte Stelle durch Anklang des
Koniisclicii verderbe. i'j'nc zu schwerfällige
43o A 1 1 s c m c i n c r T Ii e i I. Von iltr
Stellung kann dieses bewirken, und ehen so
eine zu leichte prosaische. Die heroische Stanze
des romantischen Epos gibt besonders in ihren
Schlusszeilen einen schicklichen Ort für der-
gleichen Pveimstellungen; denn der Humor luid
die leichte Ironie des romantisch - epischen Ge-
dichtes vertragen gern seihst den Anklang des
Komischen, der so leicht durch jene volltönen-
den Reime in zwei Worten entsteht. Voss wollte
in seinen bekannten schwergereimlen Oden wahr-
scheinlich nur den Missbrauch, vielleicht auch
die Misgeburten mancher Dichter, die aus Un-
behülflichkeit schwer reimen, parodiren. Denn
gegen die Reime : Aga, Bragaj Tuba, Juba;
Sion, Kronion; Vv^ermut, Schwermut,
lässt sich nichts einwenden, und Voss selbst
empfahl späterhin (ü i b e r B ü r g e r's Sonette,
in der Jenaischen A. L. Z. 1808) sehr nach-
drücklich die volltönenden Reime: Indus,
Pindus; Seemann, Lern an u. a. m.
Einigen Eiufiuss auf die Brauchbarkeit sol-
cher Reime hat allerdings die Versgaltung, in
welcher sie vorkommen. Göthe's :
Mfin Busen , der vom Wissensdrang g e Ii e i 1 1 ist,
soll keinen Schmerzen Iviinftig sich verschliessen ,
und was der ganzen Menschheit zuge theilt ist,
will ich u. s. w.
wird im dramatischen V^ers wenig auffallen , und
verliert im Gegentheil von dem Charakter die-
Bestimmung der S^'Ibenquantltk'i durch den Rhyllimus. 451
scs Reimes durch den verscliiedenen Acceut
(geheilt ist, zugctheilt ist) beider Pieimworte
bei der durch einen Zwischenvers getrennten
Stelhing. Stärker würde der Effekt dieses E.cir
mes seyn, wenu nicht der erste und dritte , son-
dern der zweite un(i vierte Vers, als die eigent-
lich schliessendeu Verse, mit zwei Worten reim-
ten.
In lyrischen Versen ist diese Art Reime nicht
wohl zti gehrauchen, wiewol in Balladen be-
sonders in alten englischen, sie nicht selten ge-
funden werden , z. B. :
and hooly, hooly, 1 e f t h i m ,
and sighan say d , slie coiild not stay/
since death of life had reft Iilnu
od
er;
beg'd to be buried b y h i m
aud sore repented of die daye
that slie did ere dcnye Iiim."
Dass Assonanzen sich in zAvei Worte theilen
können, leidet keinen Zweifel. Im Deutschen
ist zwar die Assonanz schon von mehren Dich-
tern gehrauclit worden, aber in weiblichen En-
dungen gewönlich nur mit dem stumpfen Aus-
gang, z. B. Adel, Vater, bahnen, wiewol
die deutsche Sprache an zweisylbig volltönen-
den Assonanzen niclit ganz arm ist, z. B.:
43 i AIl'jemeJnerThcil.
Mutter, schweig mit solchen Worten!
Wahre Liebe liebt nur einmal,
liebt die Qual noch des Verlustes ,
drum ist Liebesclinierz unheilbar.
Glaub» nicht, weil er mir treulos,
dass ich Groll ihoi heg' und Feindschaft.
U. S, W.
Unter solclicn Assonanzen -wird auch die Thei-
lung nicht auffallender scheinen, als am Hexa-
nieterschluss, oder im Beim. Die Cäsur zwi-
schen den assoaireuden Sylben wird dagegen
fast dieselbe \ orsiclit im Gebrauch fordern,
als die Cäsur zwischen den Worten eines iheli-
sehen Reimes.
4io.
Voss war der erste , der diese Stellung der
Wortrhylhmeu gegen die metrische Form in
deutschen Versen gebrauchte. Es darf nicht
befremden, dass die, mit den Versen der Grie-
chen und Pvömer unbekannten, Deulschen an-
fangs einigen Ansloss an dieser Behandlung
nahmen, welche den, durch bloss lyrische Vcrs-
gattungen Verwöhnten, fremdartig vorkommen
mussten. Dass aber die Filologen, die sich
vertrauter Bekanntschaft mit der klassischen
alten j^oetischen Literatur rühmten, die Vossi-
schc jNachbildung nicht begrilfen, und deswegen
verunglimpften, dürfte wol clAvas befremdend
scheinen, wenn man nicht wüsste, wie leicht
Von dea Veränderungen des Rhythmus. 433
filologisclie Metriker in Einseitigkeiten hefangen
werden, die sie hindern, ihre Götter in andern
Tempeln, als den selbsterbauten, wieder zu er-
kennen. Klopstock, dessen Hexametei' nur in
einzelnen Ausnahmen die Vergleicliung mit dem
homerischen ausliält, soll dagegen nach man-
chen dieser Filologen sogar die Griechen oft
übertroffen haben. So mächtig ist Vorurtheill
Von den Veränderungen des Rhythmus.
4ii.
Unter dieser Aufschrift soll nicht Herman's
Kapitel mit derselben Rubrik (Metrik, Buch I.
Kap. 6.) kommentirt werden; denn wir sind
nicht der Meinung dieses Metrikers : „ es gebe
einige beschwerliche Rhythmen, die durch an-
dre gemildert werden müssen. " Eben so wenig
möchten wir die Veränderungen des Rhythmus
für eine „willkürliche Einrichtung der Dichter"
mit jenem Meiriker halten, bei dem die Will-
kür der Dichter sehr oft die Stelle der Theo-
rie und fester Grundsätze vertreten muss. Hier
soll gezeigt werden, wie ein Rhythmus, sowol'
in seiner Bewegung, als in seinem Metrum,
verändert werden könne, ohne seinen wesentli-
chen Gesang zu verlieren.
4l2.
Ein Rhythmus wird in Ansehung der Be-
wegung veräudert, indem die Form seiner
a8
43* Allgemeiner I'heil.
melrlsclicn Periode mit tler einer aii<lern ver-
tauscht wird. So ist die ionische Form eine
Veränderung der trocliülschen Periode, und es
darf cialier nicht befremden, •\venu in einem
ionischen Verse statt des lonikers die trochäi-
sche Dijjodic steht. Z. B. :
£1 Hat ßuGilivg nKfV'/Mg , ojg ^i/7]Tog uxovaou.
Schön waren die goldnen Träume, unhold das Erwachejä,
Ehen so sind folgende beide Verse:
'^Hq^v nore cpaatv Jia tov xiQitr/AQuvvov ,
Laut rufen die frohschailendeu Waldhörner zum
Festrcilin,
und:
— ^ — w I -.»»/ — («y I _W — ^ ( — —
(xig nevr^g ■9£lo)v i'/^ttv, y.at TtXovGiog nkcov Gj^fii^,
Haben will der Arme stets, und mehr begehrt, wer
viel hat,
sotadlsche Verse. Wie der loniker, so sind
aber auch die Formen: J. J ^ und J «j ,. ,N «'
Formen der Periode des gemischten Metrum,
und deswegen schickliche Variationen dieser Pe-
riode j daher stehn sie ebenfalls im ionischen
Vers , und folgender :
i.j^^j" I J.J j' I J/.\'^jN J.J
nut TOig fieyaloiotp ttaitoig yfyijd^fv 6 xonfiog,
Hell schimmert im Mondstral die leichtgekräuselta
Meerflut,
Von den Veränderungen des Rhythmus. 455
ist gleiclifalls ein sotadisclier Vers, dessen Mes-
sung Hermann (M. §. 333.) ganz verfehlt so:
t t I t r r f
___W,^ I __«,_ 1 w — W.W I — M*
3ta* TOtg (^isyaXotGiv y^anoig ysyrj&ev 6 noaiiog,
aufstellt, wiewohl seine angenommene Lesart:
fieyaXoiGiv statt {.isyaloig^ den Vers verbessert,
denn :
iitti TOtg ^iyuXoig xaxoig yfy?]&av 6 KOGinogf
hell schimmern im Mondesstral die Wellen der
Meerflut ,
klingt zwar nicht fremdartiger im sotadischen
Vers, als die Verlängung der Kürze zu Anfang:
r
o Tcevtjg ikeetTcce,
in dem grünenden BuchhaJn,'
allein zu empfehlen ist eines so wenig, als das
andre, und war auch die Hermannischc Lesart
nicht Wiederherstellung, so ist sie doch gewiss
rhythmische Verbesserung. Eben so steht der
erste Päon statt dts lonikers im sotadischen
Vers :
J J\' .^ I J..\^J^ I J.J^^^.^ I J.J.
Clocfcenton erschallt in den Gesang fröliches Danlliöd»,
wo Ilcrmanu's überladendes intfiniiTTome ganz
<436 Allgemein fcr Theil.
unnöthig ist, und überdies einen andern B.hyth-*
mus gibt, als der Yerbesserer will, nämlich
diesen :
— u — o 1 — uO— 1 — — oo I — —
J .N .M.':.'*j\'. I J.j\^^ I J.i
Glockenton erschallt in das Lied froh dankender Andacht
oder auch mit der repräsentirenden Länge,
diesen :
— u — Ü I — v^-UO I — — uw I — —
er will aber, nach dem gesanglosen Schema;
uu
— (_) — <_' I — — t)vj I — — U(J i — —
'^layv^oi YQuq.övTl Inenninxfäiis j^eküvt],
welches Dreiviertel- und Sechsachteltakt unter-
einander wirft. Manches zu Hülfe gerufene Di-
gamma wii^d als unnöthig erscheinen , wenn
man durch das Vernehmen des wahren Rhyth-
mus sich überzeugt, dass ihm die Kürze an sol*
clien Stellen eben so natürlich ist , als die Länge,
Die spondeische Form ist schon mehr-
mals im sotadisclien Verse nachgewiesen wor-
den , z. B. :
— — I OOU — 0(J I —u — u I — —
d. m. \ • • s »• o^ 1 \ d m ä ä \ ». m.
QtiGcv didoi-uvrfV uyaOi^v cpvluaoe cuvtou
V.einlaub in dem Gelock, den Pokal bekränzt mit
Efeu.
Von d«n Veränderungen des Rbytlmnis. k'Si
Was würde man wol von dem INIusiker denken ,
der diesen musikalischen Pvliytlimus so llieilte:
So misst Hermann diesen Vers :
oi]Qiv didoi.uvnv oiya<^nv q.vXÜGae aavuo.
Da die kretische Form ebenfalls dem ge-
mischten Metrum gehört, so steht sie auch,
wiewol von den Metrikern verkannt, in dem
ionischen Vers, z. B. :
J.J. I j;j. I J.J.N J.J.
rouTO) de(T7T0Tug ^ivoiug a(y.h',i.iai. ,
Schon webt blutge Seh aar furchtbar das
Schlachtnetz ,
und man sieht aus diesen Beispielen, dass der
Regel nach in jedem Rhythmus die Formen sei-
ner metrischen Periode unter einander verwech-
selt werden können, ohne dass der Rhythmus
dadurch etwas anderes erleidet, als die Varia-
tion seiucr Bewegung. Ausuahmcn werden hald
angezeigt werden.
4i5.
Diese Verlauschharkelt der mclrlschen Formen
haben die Metriker bisher nicht anerkannt , und
daher dieselben Rhythmen oft fiir ganz verschie-
den angesehen, oder auf die wunderlichste Art
zerrissen, weil sie die Gleichheit der rhythmi-
4 53 Allgemeiner Theil.
Süllen Form unter der Manniclifaltigkeit ihrer
Hewegung verloren. So will Seidlcr cinea
doclimisclien Yei-s, z. B.:
wegen des zweisylbigen Auftakts nicht für einen
doclimischen, sondern nur dem doclimischea
iilmliclien Vers gehalten haben, als oh:
wegen des zweisylbigen Auftaktes kein iamhi-
scher Yers war. Andre Metriker wollen den
Griechen ein so üherfeines Gehör zuschreiben,
dass sie die Vertauschung des K.retikus z. B. mit
dem Ghoriamb:
— O — KJ — \J %j —
Uiberall tönt Jubelgesang','
anstatt t
— o — u<^— o —
Rlngsher tönte der Jubelscliall j
nicht hätten ertragen können; gleichwol sollen
sich diese feinhörenden Griechen, nach densel-
ben Metrikern, den Diiambus :
<J — c —
Belvüramerniss ,
Statt des lonikers:
— — U Ü
Weliklagencle ,
und die Form:
" Voii ilc'U Veräaderuaijen dts Kiijihaius. 439
u — u — vj
Justizverwalturg ,
alalt der doclimischeu,:
w — — U — '
Vernachlässigung ,
haben gefallen lassen, weil eine Thcorif die
iiiclil verstandenen Verse in solclie Formen aus-
einanderwirft. Wir haben theoretisch die me-
trische Gleichheit der Formen ( in jeder Ai't des
Metrum) abgeleitet und erwiesen, und zugleich
die wirkliche Vertauschung dieser Formen un-
ter einander in den Versen aller Dichter auf-
gezeigt. So kann wol weder von der metri-
schen, noch von der filologischen Seite ein
Zweifel gegen die Sache übrig bleiben.
4i4.
Bei aller Veränderung der rhythmischen Be-
wegung muss doch die charakteristische Gestalt
des Rhythmus unverändert bleiben 5 sonst ent-
stände nicht ein veränderter, sondern ein andrer
Rhythmus. Deswegen duldet die Schlussform
eines Rhythmus keine Veränderung. Was Schluss-
form sei , begreift sich leicht aus dem, was oben
(210 fr.) von den rhythmischen Schlussformen
gesagt worden ist. So wie man diese Schliiss-
form variirt, so entsteht ein andrer Rhylhmtis.
Die erste Hälfte des galliambischeu Verses z. I>.
schliessl in der spondeischeu Form :
44o Allgemeiner Theil.
UO I — — KJ f-> I — —
.^^IIJ^J^J- I J.J
in der giündämmenidcn Waldnacht ^
wollte man die kretische Form beschliessen las-
sen, so entstand ein ganz verschiedener Rhyth-
mus;
Owl — — uu I — w —
in der gi-ündämnaernden Waldesnaclit,
Verse, in welchen der Pvhythmus nicht noth-
wendig am Schluss des Verses endet, sondern
ohne bestimmte Cä&ur aus einem Vers in den
andern übergeht , z. B. in Systemen , die gleich-
sam ein langer Polymeter sind , haben eben we-
gen dieser Natur keinen bestimmten Schluss,
lind wechseln daher an jeder Stelle, auch am
Ende des Verses, mit andern Formen. So kann
in einem iambischen Systeme der einzelne Vers
mit der tribrachischen Form statt der iambi-
schen schliessen:
— — uo
was im selbständigen iambischen Vers fehlerhaft
ßcyn v/ürde. Eben so duldet der dochmische
^er«, bei fortgehendem Rhythmus, die A.uflö-
sung seiner Schlusslänge (Auflösung ist Verän-
derung der Form) in zwei Kürzeu;
— VJU —
O — — s-f — U— — O —
Schon zog feierlicher Triumfeug hersn,
Von den Voränderuagen des Rhythmus. . 44i
nicht aber am eigentliclien Schluss des Rlivth-
mus. So findet auch hier Bestätigung, was frü-
her (383.) erinnert wurde, dass am Versende,
oder in lyrischer thetischer Cäsur, die Auflö-
sung der Arsis den Schluss entstellt, wenn
man, z. B.:
— 0(J —
— O — w l — Kj — %j
Uiberall umtönt von Melodie ,
Statt : u m t ö n t von Wohllaut, künsteln
wollte. Nur wo es nicht um Festhaltung der
lyrischen Cäsur zu thuu ist, sind solche Stel-
lungen anwendbar. Beispiele aus alten Dich-
tern, welche die erste Tetrameterhälfte mit auf-
gelüscter Arsis schlicssen, sind, besonders bei
Euripides, nicht ganz selten:
JcK^dccvov TCQog do)jiic(&', 'Elivriv ^Tfvileoig onojs
UiS uq" '/(piyiveiup 'Elsvi^g voGTog tjp TcsiiQoinsvoi.
•i &vYC(TiQ, ^xsig in oh&goi y.ui av , -auc fir^rr,^
indessen werden alle Beispiele nicht beweisen,
was die Natur der Sache widerlegt. Auch wird
man selbst in dergleichen Beispielen nicht leicht
den vollen lyrischen Schluss auf der zweiten
Dipodie finden, sondern die Cäsur des Verses
fällt gewöhnlich auf die deklamatorische Art,
früher oder später.
44i Allg(#meiner Theil.
4i5.
Die Stelle vor der rhythmischen ScMuss-
form verlangt zwar prosodischc Reinheit, d.h.,
sie nimmt, in der Regel, nicht die repräsenli-
rende Länge an; allein dieses hindert nicht,
dass sie mit andern metrischen Formen wech-
sele. So wird zwar der glykouische Vers,
— o-^ot» — u —
schönaufglühendes Morgeuroth ,
nicht die vorletzte SylLe prosodisch verlangen :
heissaufgliihender Ivlittagsstral }
allein es ist kein metrischer (wenn auch viel-
leicht mancher ästlietische ) Grund vorhanden,
warum der Trochäus vor der Schlussarsis nicht
tribrachische, oder flüchtig daktylische Form an-
nehmen sollte , z. B. :
— O — U — O Kf ~~
Dunkles Hains hochwipflige Pracht.
So viel Widerspruch auch dieser Salz bei den
Metrikern finden mag, so wird doch vor seiner
Verwerfung wenigstens seine Widerlegung nö-
thig seyn,
4i6.
Die Regel, dass im Vers die verschiedenen
Formen der metrischen Periode mit einander
vertauscht werden können, leidet indessen ei-
nige Ausnahme.
Von deil Veränderungen des Rhytlimus. 445
1. Verse, die einen bestimmten ruliigen
Gharakter haben und aussprechen sollen, ge-
statten jene Vci-tauschung der Formen nicht.
Dahin gehören die eigentlich dramatischen Ver.s-
gattungen (nicht die lyrischen Verse in Dramen).
Im iambischen Trimeter z. B. würde es un-
schicklich seyn, die antispastische Form mit
der iambischen wechseln zu lassen.
Z - ^ - \ "^ s..|w_w_
Gelegenheit macht oft Helden und Köm'ge,
anstatt :
w_Vrf_ 1 Z> — ^ " I w/ — 1^ —
Gelegenheit macht Helden, macht selbst Könige.
Eben so würde im trochäischen Tetranieler des
Drama die ionische Form unschicklich statt der
trochäischen stehn :
Unsicheren schlimmen Rathschluss fasst im Zorn
des Menschen Sinn,
und nur im komischen Gebrauch möchte eine
solche Stellung, z. B. des Päon statt der Dipo-
die (399.) zu rühmen seyn.
Indessen sind auch diese Versarten nicht so
fest an eine einzige Form gebunden, dass
keine andern Zeitfüsse, als die herrschenden,
z. B. Trochäen, in ihnen Yorkommen dürften.
Auch in ihnen können verschiedene Formen
wechseln, jedoch ßichl Formen aus Momenten
444 Allgemeiner Theil.
verschiedener Ordnungen zus.immengesetzt.
Der trocliäische und iambi^clie dramatische Vers
duldet daher, statt des Trochäus, den Tribra-
chys und den Daktylus, welche auch seihst bei
den tragischen Dichtern nicht ungewöhnlich
sind z. B. :
xat yaicc nohloiv ovofiuTOJv (lOQcpr} fna. Aesch.
Viel treibt die Armuth in die Gefahr unwürd'ger
That.
Denn Tribrachen sind eben soAVol rhythmische
Grundformen, als Trochäen, und eben so die
flüchtigen Daktylen, welche die Tribrachen re-
präsentiren (iii). Uiber diesen Gegenstand,
nämlich über die Zulässlichkeit der Daktylen
und Anapästen im tragischen Trimeter hat be-
kanntlich Hermann in seiner Vorrede (gegen.
Porson) zur Hekuba des Euripides, sehr weit-
läuftig und gelehrt gehandelt, ohne doch auf
ein sicheres , nicht bloss subjektives , Resultat
zu gelangen. Denn die Behauptung: die Ana-
pästen stören den iambischen Pdiythmus, und
dürfen dalier nur in unentbehrlichen Eigennah-
men, z. B. Agamemnon, oder in ungern ent-
behrten poetischen Prachtworten, z. B. Ixaroy-
KUQ^vov gebraucht werden, ist doch kein siche-
res festes R^esultat zu nennen, da Hermann die
Anapästen vierzeitig misst und sie deswegen
durchaus verwerflich finden müsste, möge das
Von den Veränderungen des Rh^-thmus. 445^
Prachtwort nocli so brillaut seyn. Die Anapä-
sten und Daktylen in trocliäiselien Reihen sind
aber dreizeitig und stören den iambischen Rhyth-
mus nicht. Metrisch also finden sie in dem
Verse Statt, ob sie aber mit dem ästhetischen
Charakter des Verses im Widerstreit sind, ist
eine andre Frage. Ausführlich wird hierüber
in dem Abschnitt von iambischen Versen ge-
handelt werden.
417.
2. Die zweite Ausnahme machen Verse, de-
ren Form überhaupt als unveränderlich festge-
setzt ist. Dahin gehört: der heroische He-
xameter, der bloss mit Daktylen und Spon-
deen wechselt ; denn einzelne Trochäen, Anapa-
sten, oder Proceleusmatiker gehören unter die
Unregelmässigkeiten. Ferner die Verse in den
Strofen lyrischer Oden, als der alcäische,
saf fische Vers und ähnliche. Dergleichen
Verse dulden in den Oden selbst durchaus keine
Vertauschung der metrischen Formen, wiewol
sie, einzeln genommen, dieselbe lyrische Frei-
heit haben würden, wie andre. Der Vers z.B.:
Noch tönt der Nachhall feierndes Jubelgesangs,
i^t eine Veränderung das Alcäischen Verses , der
mit dem Kretikus statt diesen Choriamben
schliesst; gleicliwohl würde man in der Alcäi-
446 Allgemeiner Theil.
sehen Strofe ihn nicht brauchen können. Bei
diesen so ganz bestimmten Formen finden nicht
einmal Auflösungen und ZusammSnziehungen
Statt. In der alcäischen Strofe würde z. B. der
Vers:
Durch das kannibalisch wüthende Rä'ubervolt,
nicht Statt haben, es war denn, dass ein Dicb-
ter diese Form absichllich durchführen und da-
durch eine modificirte alcäische Sti-ofe bilden
wollte, wie man ia neuen Zeilen eine durch
vei'schiedene Stellung des Daktylus modificirte
safüsche Strofe gebildet hat.
4i8.
"Wie die rhythmische Bewegung bei gleicher
metrischer verändert werden kann, so kann
auch umgekehrt die metrische Bewegung bei
bestehendem Rhythmus verändert werden. In
der Musik ist die Sache bekannt : eine Melodie
z.B. im Viervierteltakt kann leicht in den Sechs-
achteltakt transponirt werden, und man wird
keine Folge von Variationen finden, wo nicht
eine, oder mehre den Takt änderten. Was aber
vom musikalischen Rhythmus gilt, beruht auf
allgemeingültigen Sätzen, und. gilt mithin auch
Vom Versrhylhmus. Bei solchen Variationen
niuss immer die Periode der Periode gleich
bleiben, und die accentutt' Kürze wird durch
Von dea Verduddruiigt-a de« iUiyt}imus. 4'i7
Läno'e, oder umgekehrt, diese durcli jene reprä-
sentirt. Der vierzeitige Rhythmus z. B.:
V
In eilendem Fluge Teriausclien die Stunden,
verwandelt im gemischten Metrum seine zv,ei-
zeitif^e Länge, die ein Hauptmoment füllt, in die
dreizeitige, die ebenfalls in dem gemischten.
Metrum ein Hauptmoment füllt, und die accen-
tirle Kürze wird zur zweizeitigen Länge. So
entsteht der Lacchische Vers:
j^ 1 j. j .M j. j ;^ I j. j J' 1 i j-
-, — I — wi — i —
In rastloser Arbeit entfliehn uns die Stunden.
Wollte man in das molossische IMetrum varii-
ren, so entsteht der bekannte ionische Vers:
^ ^ 1 _«^w I -^ - ^ ^ I _-ww I --
Wenn im Frühroth das Gewölk glüht, bis der Nacht-
tliau sich herabsankt ,
der im tripodischen Metrum noch weitere und
mannichf»ltigere Veränderungen zulasst.
419.
Dergleichen Veränderungen werden zwau
nicht oft in Gedichten selbst vorkommen, wie-
Wül sie die Wedisclge.^ärigo besser, als ganz
-iiS Allgemeiiier Thell.
vcrscliiedenartlge Pvliytlimcn , zuweilen cliarak-
lerisiren würden ; allein hier ist der Punkt, von
wo man einsieht, wie die Musik nicht an das
Jauchstäbliche Yerhältniss des Gedichtes gebun-
den ist , sondern das Recht hat , den Rhythmus
desselben auch in verändertem Metrum zu be-
gleiten. So wird es möglich, dass vierzeitige
Melodieen zu Gedichten in dreizeitigem Rhyth-
mus komponirt werden können. Dem Musik-
rhythmus z. B. :
i^^^^^^l^
würde , streng genommen , nur ein vierzeitiger
Versrhythmus entsprechen :
Rings umher durchhallet die Nacht Liebesgesang voll
Sehnsucht.
Allein folgender :
Rings ertönt auf blühender FIuv Liebesgesang und
Festreihn,
Tviewol er dieses Maas hat:
j jN j' I j^^.^i 1 .^^jN .m j.j;
Te Deos oro Sjbariu cur properas amando ,
lassl sich bequem mit jenem musikalischen be-
gleiten; denn was hier Kürzen sind, triftt dort
auf den schlechten Takttheil, und so führt die
Musik durch ihre vierzeiligeii Mclodieeu dio
Von (ien Veränderungen des Rhythmus. 449
CTuantitirenden Rhythmen auf die Natur der ac-
centirten zurück, was, wie die Folge zeigen
wird , durch den gregorischen Kirchengesang im
Gi'ossen bewirkt wurde. Ob die alte griechi-
sche Musik im vierzeitigen Metrum dreizeitige
Rhythmen begleitet habe, lasst sich, wenn auch
nicht bestimmt verneinen , doch aus vielen Grün-
den bezweifeln. Sie ging höchst wahrscheinlich
mit den Versen Schrill vor Schritt, und jedes
Moment hatte seine eigene Sylbe, wo es nicht auf
eine Pause traf. Man sollte daher um so mehr
envarten, dass nur aus der Musik Aufklärung
über die alten Rhythmen zu erwarten sei, und
da die Gleichheit unsrer neuen Musikrhythraen
mit alten Versrhythmen uns so oft entgegenli*itt ,
wie hier ebenfalls in dem angeführten horazi-
schen Vers, so sollte das alte Vorurtheil der
gänzlichen Verschiedenheit alter und neuer Mu-
sikrhythmen wol endlich als blosses Vorurtheil
erscheinen.
Dagegen ist allerdings, wie mehrmals schoil
bemerkt, die Art, wie die Musik unsrer Zeit
den Rhythmus eines Gedichtes modificirt, sehr
von der Art verschieden, wie die Musik der al-
ten Zeit sich dem Rhythmus des Gedichtes an-
«chloss. Uiisre neue Musik transponirt nicht
allein öfters den Rhythmus aus seinem eigen-
thümlichen Metrum in ein anderes; sie behan-
delt ihn zugleich mit einer Freiheit, welche
29
45o Allgemuiuer Theil.
das grieclilsche Alterthum , bei der Un Vollkom-
menheit der Musik als selbständiger Kuust,
Wahrscheinlicii nicht kannte.
Unsre Zeitgenossen haben die Revolution im
Gebiet der Tonkunst, aus welcher die, nicht
jnit Unrecht so genannte, deklamatorische
Musik, hervorging, zum Theil selbst durchlebt.
Ohne uns in eine Geschichte des Streites für
und gegen diese Gattung einzulassen, sei hier
bloss an das erinnert , was wir oben ( 54 IF. )
über die Freiheit des Deklamators bei metri-
schen Stellen erwähnt haben. Das Subjektive
der Deklamation in der Behandlung der einfa-
chen und erweiterten Fermate kann selbst wie-
der Objekt der Musik werden , welche dann die
Bestimmung, die der Versrhythmus durch die
Deklamation erhalten hat, als eigentlichen P\.hyth-
mus desselben annimmt, und auf dieselbe Art
behandelt, wie anderwärts die, durch Deklama-
tion nicht modificirten, Versrhythmen. Kenner
der Musik werden einsehen, dass diese Behand-
lungsart eine selbständig gewordene Instrumen-
talmusik voraussetzt, die man im klassischen
Alterthum zu ei warten keine Veranlassung
findet.
Eine andre Freiheil, welche die Musik über
denVersrhytlnnus ausübt, nämlich einzelne Syl-
ben so lange zu halten, dass sie einer ganzen
Folge von Tönen als Träger dienen, wodurch
Von .den Veränderungen des E.hythinu5. 45i
die Stimme des Sängers fast zum Instrument
wird , war vielleicht dem klassischen Aiterlliume
nicht so ganz fremd, als die Gelehrten behaup-
ten wollen; wenigstens finden wir Spuren da-
%'on im Kii'chengesang der ältesten Zeit , wo er
dem griechischen Gesang auf das genaueste
nachgebildet wurde. Die rohen Gesänge meh-
rer wenig kullivirter \ ölker zeigen ein ähnli-
ches Absingen mehrer Töne auf derselben Sylbe,
so dass man in den ersten Zeilen der Musik
bei den Griechen ein solches Dehnen der Syl-
ben nicht unwahrscheinlich finden kann. Viel-
leicht dauerte aucli diese Art des Gesanges noch
neben dem spälern, rhythmisch geregelten, fort,
wie auf ähnliche Weise in Rom der Gesaug des
saliarischen Gedichtes und der Gebrauch an-
drer accentirten \erse neben den (Juantitiren-
den fortdauerte.
Dieses Foitsingen mehrer Töne auf Einer
Sylbe ist allerdings oft gemlssbraucht worden;
allein an sich ist diese Behandlung dem voU-
kommncu Gesänge nicht durchaus fremd, und
bei volistimmigem konlrapunktischen Satz, schon,
der Struktur des Ganzen wegen, oft erforder-
lich. Allein, auch abgcsehn von diesem Mecha-
nismus, ist das Forthalteu einer Sylbe auf einer
Folge von Tönen oft, als Darsielliingsniittel,
You kräftigem Eü'ekt und unentbehrlich, wo es
der Mii^ik zvdiommt, die Empfindung fortzu-
4J3 Allgtmciner Thejl,
halten, welche in gleichem Scliritt mit den
Worten des Gedichts zu schnell vorübereilen
würde. Der Dichter, welcher die Opersituation
YOn der Situation des Schauspiels zu unter-
scheiden weiss , steht auf dem rechten Gesichts-
punkt für die Beurtheilung des Komponisten,
der, wo die Idee des Gedichtes musikalischen
Ausdruck fordert , diesen gewährt , ohne sich
von dem Buchstaben des Gedichtes irre leiten
zu lassen. Man muss in der That mit den fi-
lülogischen Nichtmusikern an der engen Vor-
stellung haften , dass die Musik der Poesie nur
diene, ohne sich jemals der Idee einer Verei-
nigung zweier Künste zu nähern, um in dieser
Art, wie neue Musik den Vers behandelt, ein
Verderbniss unsrer Musik zu finden. Unserer
INI u s i k nämlich ; denn dass im weitern Raum
mehr Irrwege möglich sind, als im engen, dass
also unsre Musiker auf mehren Seiten aus-
schweifen können, als die der Vorzeit, leidet
keinen Widerspruch.
In andern Künsten bemerkt man gern bei
dem Urtheiler einige Kenntniss der Sache; son-
derbar genug aber ist man gewohnt, über das
Verhältniss alter und neuer Musik Gelehrte
uvtheilen zu lassen, die bei jedem Worte be-
weisen, dass ihnen auch die ersten Anfänge der
Kunst unbekannt sind, über welche sie ent-
scheidend abzus])rechen im Begrill" sind.
Von den Versmessungen der Grammatiker. 453
Von den Versmessungen der Grammatiker.
420.
Die griechischen Grammatiker theihen einige
Verse nach Füssen ab, andere nach Doppel-
fiissen (Dipodien). Nach Füssen maassen sie
daktylische, kretische, choriambische, steigend
und sinkend ionische, päonische und antispasti-
sche Verse. Jeder Fuss macht ein (ait^ov aus ; der
choriambische Dimeter z. B. enthält also zwei
Choriamben, der daktylische Trimeter drei Dak -
tylen u. s. f. Nach Dipodien hingegcu maas-
sen sie anapästische, trochäische und iambische
Verse. Bei diesen macht der Doppelfuss ein
Metrum aus. Ein trochäischer Dimeter enthält
also zwei irochäisclie Doppelfüsse , oder trochäi-
sche Dipodien, ein iambischer Trimeter drei
iambische Dipodien.
421.
Alan findet nirgends einen Grund angegeben,
warum die Grammatiker diesen Unterschied be-
obachteten. Rufinus, ein lateinischer Gram-
matiker, sagt bloss: es sei ein altes Herkommen,
den heroischen Vers nach Füssen, den ianibi-
schen nach Dipodien zu messen. Gleichwol
wichen auch die lateinischen Metriker von die-
sem Herkommen ab, und maassen auch iambi-
che und trochäische Verse nach Füssen. Daher
434 Allgemeiner Theil.
lieisst bei ihnen der iambisclic Trimeter Senarius,
tler trochüisclie Tetrametcr Octonarius u, s. f.
422.
Nach unsrcr Ansicht zeigt sich diese schein-
Lai* willkürliche Messung als eine Ahndung des
Wahren. Sieht man den Daktylus, mit den
Grammatikern, als einen vierzeitigeu , dem ge-
raden Metrum angehörigen, Fuss an, so erfüllt er
so, wie der ^w* ihm gleiche Spondeus, eine volle
metrische Periode. Daktylische Verse würden
also vollkommen richtig nach Füssen, oder Mo-
nopodien gemessen. Betrachtet man aber den
Pyrrhichius als Grundfuss (wie im gemischten Me-
trum den Trochäus), so war die Messung des ge-
raden Metrum ebenfalls dipodisch , nämlich nach
Pyrrhichien, tleren zwei, also eine pyrrhichische
Dipodie, eine metrische Periode des geraden
Metrum erfüllen. Im gemischten Metrum er-
füllt die trochäische Dipodie eine volle Periode;
folglich findet bei trochäischen Versen dipodi-
sche Messung Statt. Choriambische , päonische,
kretische, bacchische und ähnliche Füsse erfül-
icu , gleich der trochäischen Dipodie, eine Pe-
riode des gemischten Metrum; jeder Fuss ist
also ein Maass, und in solchen Versen findet
inonopodische Messung Statt, so lange diebenen-
ncndfe Form des Vci-ses nicht mit der Dipodie
wechselt; es enlslcht aber durch diesen Wech-
Von den Versmessungcu der Gifinunaüker. 455
sei kein verändertes Maas, sondern nur eine
veränderte Benennung desselben Maasses; denn
im Choriamben und andern Foi'men des ge-
mischten Metrum ist, wie wir wissen, die iro-
chäische Dipodie, nur in verschiedener Bewe-
gung völlig enthalten. Der (schwere) steigende
loniker erfüllt eine Periode des molossischen
Metrum, dessen Verse daher nacl^ Moi^opodien
gemessen werden.
420.
Tripodische Messung kannten die Gramma-
tiker nicht, wiewol sie ohne Zweifel dieses
Maas im Verse z. B. :
^ \ ä m ». ä m \ m. m^ e m 4 »
— . "^ —
der frohen Jugend anmuthge Begleiterin j.
SO gut als Avir Vernahmen. Sie bemühten sich
aber, das, was sie mit dem Gehör auffassten,
auf die einmal festgesetzte theoretische Bezeich-
nung zurückzuführen, so unvollkommen sie
auch das Vernommene ausdrücken mochte.
Wenn z. B. manche Wörterbücher den Laut
des G im Englischen durch dsj bezeichnen, so
bedienen sie sich der vorhandenen, wiewol un-
zulänglichen Zeichen : deswegen behält aber doch
jener Laut sein Eigenlhündiches , unddcrFrem-
»56 Allgemeiner Theil.
de y der nach dem Wörterbuch gelernt hat,
wird vergebens mit dem Eingebornen darüber
streiten. So gehört aucli manchem Vers tripo-
dische Messun'g, wenn sie auch im Schema der
Grammatiker sich nicht findet.
22I.
Die Grammatiker sonderten in der Theorie
nidit den Auftakt von der Periode, Sendern
fingen ihr (xstqov mit dem Auftakt an. Daher
maassen sie die iambische Dipodie nicht, wie
wir sie messen würden: J^| J J*^J sondern: ü-u-
und ein Trimeter hat bei ihnen diese Abthei-
lung :
die wir richtiger so:
schreiben würden. Dasselbe gilt von allen Ver-
sen im Auftakt. Ein steigend ionischer Dime-
ter wird von ihnen so :
abgetheilt , richtiger von uns :
Der antispastische Dimeter wird von den .Gram-
matikern so:
von uns ;
W I •m mm \mf *>> | «p^..
.M J. j^ j« .M J .f* J
Von den Versmessungen der Grammatiker. 487
bezelclinet; denn jede Periode fängt nothwendig
mit dem vollen Takt (der Arsis) an.
42 5.
Nachdem nun die metrische Periode in ei-
nem Yers einmal, oder mehrmal enthalten ist,
nannten die Grammatiker den Vers Monome-
ter, Dimeter, Trimeter, Tetrameter,
Pentameter, Hexameter u. s. f. Man
sieht, dass man einen Vers erst genau seiner
metrischen Bewegung nach kennen muss, ob er
diesem oder jenem Metrum zugehöre, ehe man
im Stande ist, ihn richtig zu messen, und, da
wir über den eigentlichen Gesang der Verse
nicht vollkommeu unterrichtet sind, so darf es
nicht befremden, wenn das Dilaas mancher, selbst
bekannter, Verse auf verschiedene Weise an-
gegeben werdeijL kann. Der saffische Vers z. B.
iLisst das dipodische Maass zu:
J .N ."1 ."^.^N j^l J.j.
'jioiy.t?,\üQov' güccvcct' 'AcfQodiTU, Saffo,
Oed' und einsam trauert der Sitz der Liebe,
vmd eben sowol das tripodische:
J .N ,^" J5 .'' I J ."^ J. j.
Integer vitae, scelerijque purus, Horat,
trüb' und -wehmutliToU , in des Hains Umscliattun»,"
und bei sehr vielen Versen finden ähnliche Ver-
hältnisse Statt. Oft gibt die Strofe, in welclier
458 Allgemeiner Thejl.
ein Vers steht, oft die Cäsur den Aufiscliluss,
welche Art der Periode vom Dichter als Maas
seines Verses gebraucht wurde. Horatius scheint
mit seiner bekannten, sehr unrecht von Hermana
getadelten, Cäsur auf das tripodische Maas zu
deuten.
426.
Nicht alle Verse füllen indessen dieses Maa«
des Dimelers, Triraeters u. s. f. nach der Mes-
sung der Grammatiker vollkommen durch reell«
rhythmische Momente aus. Der Vers z. B. ;
— «♦* — »^ 1 _-%i*_
Rosen auf den Weg gestreut ^
füllt die zweite metrische Periode, nach der
Messung der Grammatiker, nicht vollkommen
aus. Diesen unzureichenden Schluss nennen die
Grammatiker Katalexis, und Verse, welche
auf diese Art vor dem Ende des fiszQov ( der
Periode) schliessen, katalektische Verse,
Obiger Vers ist also zwar ein trochäischer Di-
meter; aber, weil er das Maas des Dimeter nicht
ganz erfüllt , ein katalektischer Dimeter. Im
Deutschen könnte man diese Verse unvoll-
zälige Vei'sc nennen.
427.
Da die Grammatiker den Auftakt in die Pe-
riode einrechnen (424.), so entsteht bei dem
Von den Versmessungen der Grammatiker. 459
Maas von Versen im Auftakt eine ganz entge-
gengesetzte Bezeichnung. Ein iambischer kata-
lektischer Dimeter würde, nach richtiger An-
sicht des Auftaktes, der eben erwähnte trochäi-
sche Vers mit dem Auftakt seyn:
^ I _.^_^ I —te/ —
Mit Rosen uns den Weg bestreut.
Allein nach der Messung der Grammatiker be-
steht der iambische katalektische Dimeter aus
zwei iambischen Dipodien, deren letzter die
Schlusssylbe fehlt:
mit Rosen kränzt die Lockend
Es war also ein Irrthum, wenn man bei kala-
lektisclien Versen an unsre weiblichen Endun-
gen denken wollte j denn ob die Katalexis stei-
gend oder fallend sei , hängt von der Versart
ab, in welcher sie voi'kommt«
428.
Schliesst ein Vers ohne Katalexis, also mit
der vollen Periode , so nannten ihn die Gram-
matiker akatalcktisch ( vollzäldig). Folgen-
der Vers:
Mit Rosen uns den Weg bestreut,"
ist also ein akatalektischcr iambischer Dimeter',
46o Allgemeiner Theil.
nach Jer Messung der Grammatiker, so wie
folgender :
WO die Glut hoch zu Gewölk stieg,
ein steigend ionischer akataleklischer Dimeter.
429.
Verse, die in der Mitte der Periode schlies-
sen, nennen die Grammatiker brachykata-
lektische ( halb vollzählige) Verse. Folgender
Vers z. B.:
■^ t^ — ^ ] — «•<
Sucht die grüne Waldung,
ist ihnen ein brachykatalektischer trochäischer
Dimeter.
43o.
Wenn endlich ein Vers nur um eine Sylhe
länger ist, als sein Maas, so heisst er hyper-
katalektisch ( übei-zählig). Folgender Vers:
.., ttf —' •mt l — t^ — ^^ I —
Morgenroth des lang ersehnten Tags,
würde ein überzähliger .trochäischer Dimeter
seyn.
4oi.
Bei diesen Messungen gilt es gleich, ob die
Form schliesst, welche dem Verse den Namen
gibt, oder eine, die nach der Tiieorie der
Grammatiker mit ihr wechselt. So ist:
Von den Ver$messungen der Grammatiker. 4Gi
Hochwipfliche Fichtenwaldung J
ein akatalektischer ionischer Dimeter^ '
-m k^ w I — MI —
Weissstämmiger Birkenwald,'
ein katalektischer Dimeter;
— — ••« >i« I — «^
Hochragende Fichte,
ein brachykalalektischer Dimeter, und
Schöngriinender Hain ,
ein liyperkatalektischer ionischer Älonometer;
denn die Grammatiker erkennen den Wechsel
der trochäischen Dipodie mit dem sinkenden
louiker eijenfalls an.
452.
Wo diese Bestimmungen nicht zureichen,
benennen die Grammatiker die Kataiexis nach
der Zahl der Sylben. So heisst der päonische
Vers:
Folgte den Gewaltigen,
rin Dimeter catalecticus in trisyllahum (drei-
sylbig unvollzäliger Dimeter), und folgender:
Heiligere Liebe,
'•in dimetrr catalecticus in bisvllabui».
462 Allgemeiner Theil,
In dieses Maas der Verse werden jedocli von
den Grammatikern die ScLaltperioden, oder
im Allgemeinen Sclialtmetra (262 fF.) nicht
mit eingerechnet , sie mögen am Anfange des
Verses stehn, oder in dessen Mitte. Zu An-
fange des Verses finden sich dergleichen Schalt-
pei'ioden, Schaltfüsse, oder SchaJtsylben ziem-
lich häufig, z. B. :
<p£v, q)€V' ov VW f.i£ TtfJoTOv, cc?.Xk nokXaxcg i
f K^eov , Eurip.
Bcc' IIo2,vf.i}]GTO^ cJ dvarccvi i reg d aiKalias ;
D e r s.
ungerechnet die Stellen , welche gewönlich durch
Synekfonese erklärt werden, z. B.:
D ers.
27«* tiSg ov ßkcmig {* svxt^Xov, uofitvog fi idojv.
D ers.
In der Mitte des Verses finden sie sich selt-
ner, lind sind, wo sie sich finden, grössten-
iheils von den Kritikern wegemendirt, z. B. :
{TloX.) ddcy.in ye at] , (o -d^foi. {-Er-) Blvzrivaig,
(.{1] 'v'&ttd' UfanaXfi' 'Otovg, Ders.
WO mehre Kritiker bald das: (o -esot weglassen,
hald:
Kdi-Aca /, cJ {)£oc. 3Ivy.r,vaig fo; 'pdad' avaxakst
{)£ovg,
lesen wollen. Der Scholiast sagt ausdrücklich:
to tu -^lOi öici usaov. Also waren Schaltmetra
Von den Versmessungen der Grammatiker. 4G5
tei den Dichtern nicht ungewönlich; sonst
konnte sie der Scholiast, man mag ihm viel
oder wenig Umsicht zutrauen, nicht als etwas
tekanntes nennen. Sind aher einmal Schaltme-
tra vorhanden, so ist kein Grund in dieser an-
geführten Stelle Worte zu streichen , deren kei-
nes der Sinn des Verses ohne Entstellung enl-
Lehreu kann.
435.
Man sieht hald , wie unvollkommen , schwan-
kend und falsch diese Eintheilungen seien. Be-
trachtet man die wahre Messung der Verse, so
zeigt sich, dass viele, die von den Grammati-
kern für katalektisch gezälilt werden, ganz voll-
zählig sind, aher nur mit einer andern, bei
oberflächlicher Ansicht, der katalektischen ähn-
lichen Form schliessen. Der sotadische Vers
z. B. heisst ein Tetrameter ionicus a maiore bra-
chycatalecticus , und die Grammatiker messen
ihn:
Jl^r^p Tiort (fiaoiv diu top TfQnixeQavvov.
Es ist aber ein vollzähliger Trimeter und schliesat
mit der spondeischcn Form des gemischten Me-
trum:
i..\^j''\J..^ 5.f I J.j-^j^.M J.J.
Laut rufen die frotichallend«n Waldhörner aar /agdIlUt
464 Allgemeiner TheiL
Mehr Beispiele wevden jedem Leser aus dem
Vorliergelienden einfallen. Da übrigens die
Grammatiker die tripodisclie Messung nicht
kannten, und eben so wenig die durch drei-
zeitige Lange entstehenden Formen des gemisch-
ten Metrum, so muss man zwar ihrem Fleiss
' Gex'echtigkeit widerfahren lassen,* allein ihre
Abtheilungen dürfen und können uns nicht als
Muster dienen. Indessen wird bei jedem Vers
immer auf die Messung der Grammatiker zu-
rück zuweisen seyn, da ihre, den \ersen er-
theilten Namen einmal technisch geworden sind.
Von polyscliematischen Versen.
-ioi.
So viel Mühe die Grammatiker sich auch
gaben , jeden Vers nach ihrer Ansicht auf gew isse
Grundfüsse zurückzuführen, so musste ihnen
doch dieses Bestreben oft misslingen, weil sie
aus Unbekanntschaft sowol mit der tripodischeii
Versmessung, als mit dem dreizeitigen Maas der
Länge, keine vollständige und richtige Ansicht
des Versmaasses haben konnten. Dieses Miss-
lingen trat besonders dann ein, wenn entweder
eine prosodische Quantität die ihr entgegen-
gesetzte metrische , oder eine metrische Form
eine andre , ihr gleiche , repräsentirt. Denn ,
wiewol die Grammatiker einige Fälle der peprä-
sentirenden Quantität anerkannten, so war si«
Von polyschematischen Versen. 465
ihnen doch in vielen andern Fällen unbekannt,
und bildete dann für sie eine unerklärliche Aus-
nahme von der Regele und weil sie die Gesammt-
heit der Formen im gemischten Metrum nicht
kannten, so schien ihnen ein Wechsel dieser
Formen ebenfalls eine Ausnahme.
455.
Verse dieser Art, wo entweder eine reprä-
«entirende Quantität in einer, den GramiUHiikern
nicht bekannten, Art sich einstellt, oder wo eine
metrische Form gegen eine , von den Gramma-
tikern nicht für gleich geachtete, vertauscht
wird, nannten sie polyschcmatische \erse
(V. polyschematisti ) , d. i. Verse, die verschie-
denartige Formen zulassen. Aus dem eben Ge-
sagten erhellt, dass diese Verse zweiei'lei Art
sind.
436.
Zu der ersten Art polyschematischer Verse
gehören die, in welchen die repräsentirende
Länge an einer Stelle gefunden wird, wo sie
nach der Ansicht der Grammatiker nicht Statt
findet. Dahin gehört der epionische Vers
(Metrum epionicum polyschematistum) :
b) y.c<llc<TTi] TXoXt TiuaiZv üGag A^sojv tcpoQcCf
Wie schön durch leichtes Gewölk blickt des Mond-
strnls lieblicher Schein,
den die Grammatiker so messen:
5o
4t)t»
A 1 1 8 u iii e i a i; r T h c i 1.
lu tlicsem Vers findcl sicli oft in den ianibl-
äclicn Dipodien stall des zweiten laniben ein
Spondeiis, der aucli hier im iScVieraa bezeiclinet
ist. Nach der Theorie der Grammatiker findet
aber die repräsentirende Länge nur auf der
Kürze des ersten lamben Statt. Deswegen nen-
nen sie diesen Vers polysebemaliseh.
Hermann (§. 369.) iheik diesen Vers, um
diese repräsentirende Länge durch die Endsylbe
einer B.eihe zu erklären, so ab:
und vergisst, dass er §. i5i für eine so schwa-
che Keilie, wie ein einziger Trochäe ist, eine
ianqe Anakrasis uaschickhch fand. iSacb un-
srer xlnsicht ist die Messung:
3i - Z ^ I i ^ i-
und die repräsentirende Länge steht wegen des
folgenden Daktylus (383). Es ist also kein Po-
lyschematismus in diesem Verse.
437.
Die meisten, für polyschematisch ausgege-
benen Verse lassen sich auf ailgemeiae Princi-
pien zurückführen, sobild man nur über Rhyth-
mus und Metrum überhaupt im Klaren ist. In-
dessen finden sich unter den alten Versen ei-
Von |Jüly.-üh«niatisci;eii Verden. .iß-r
iiige, die man vergebens suchen wird mit den
Sätzen der Metrik in üebereinstimmung zu brin-
gen. Dieses ist der Fall tbeils bey unrichtigen
Vei-sen, welche der Zufall erhalten hat, iheils
und vielleicht am öfteisten in der Parodie sol-
cher Verse. Zu diesen scheint der Vers des
Eupolis zu gehören, von welchem schon früher
im \orbeigehn (395.) die Rede war:
- Z I .w- I - Z - Z I - ^ -
tjTTtj&etg, ovK u^iog tov. tuvt ovv vfuv fif/j,<pofitti,
A 1" i s t o p h.
der die Spondäen an schicklichen und unschick-
iichen Stelleu häuft. So wie Aristoplianes man-
che Manier der Dichter durch Karikatur paro-
dirt, so scheint er auch diesem durch Karikatur
schwerfälligen Verse, in der bekannten Stelle
der Wolken v. ^17, sein Recht getlian zu ha-
ben. Ist dieses, wie es denn wenigstens höchst
•wahrscheinlich ist, so würde man sich verge-
bens um eine theoretische Rechtfertigung diesem
Verses bemühen , man müsste ihn denn als bloss
accentirten Vers:
_3|_w| ,w|_ii-3i_w|_^_
in Dreiachteltakt messen wollen, durch welches
Maass man Alles rechtfertigen kann, Die Gram-
matiker verfuhren daher, indem sie ihn j>oly-
schematisch nannten, wenigstens konsequenter
als Hermann, der ihn durch seine Basis erklä-
ren will :
40 J A 1 1 ^ e 111 e i u e r T h e i 1,
wodurch aber nichts erklärt wird. Denn durch
eine „wlllkührliche Einrichtung der Diclilcr"
das als richtig zur Hinter ihür in die Theorie
einführen, was mau a priori als rhythmuswidrig
verworfen liat, heisst docli niemals: Erklaren.
Eben so gut konnte man ein körperliches Ge-
hrechen als eine Willkühj-lichkeit der plasti-
schen Natur, unter den Yei'häitnissen der schö-
nen Form aufführen.
438.
In der zweiten Gattung ]5olyscheraatisch ge-
nannter Yerse sind die metrischen Formen mit
einander vertauscht. Denn was wir metrische
Formen nennen, da.^ kommt bei den Gramma-
tikern unter dem iVamcn Schema \or. So
nennen sie z. B. einen daktylischen Vers, der
mit keiner andern Form wechselt : monoschema-
listüm dactyliciun.
In diesem Sinne können alle Verse polysche-
matisch genannt werden , die mit den Formen
wechseln ; doch sind nur diejenigen so benannt^
deren Wechsel nicht aus den gewönlichen Auf-
lösungen der Längen in zwei Kürzen zu erklä-
ren ist. Wo z. B. der Trochäus mit dem Tri-
brachys wechselt, ist von keinem Polyschema-
lismus die B.ede; wol aber dann, wenn der
Von polyschematisclien Verden. 46^
Daktylus mit dem Trochäus wecliselt. So nimmt
z. B. der Glykonisclie Yers :
— w I — s^ >** I _•»^ —
Schönaurglühendes Morgenroth,
zuweilen die , bloss in der Bewegung variirende
Form an :
Morgcnrolli, licUslüheruIer Stral .
und wird nun, weil der Daktylus nacli der
Theorie der Grammatiker nicht aus dem Tro-
chäus abgeleilet werden kann, für einen poly-
schemalischen Ters ausgegeben, was im allge-
meinen Sinn des Polyschematismus wahr, im
specicUen der Grammatiker aber falsch ist.
459,
Verse, welche mit Formen wechseln, deren
Gleichheit die Grammatiker einsahen, nennen
sie auch nicht polyschtmatisch, sondern sie
merken gk-lcli in der Eeschreibung des Yer es
an, mit welchen Formen die Ilauptform ver-
bunden werden könne. So bemerkt Hefästion
gleich zw Anfang vom sinkenden loniker, dass
er mit der trochäischen DIpodie verbunden wer-
den könne; aber ohne den metrischen Grund
davon anzugeben.
4-0 AUjju meiner iiieil.
4-io.
Als polyschcmalische Verse werden besonder«
der giykon isclie und der priapisclie Vers
angegeben, welcher letztere aus einem glykoni-
schcn und ferekratischen Verse bestellt:
Hunc ego , jiivenes locum villulamque palustrera.
Fackeln leuchten dem Feiertanz Bacchos heiliger
Festnacht.
Der ganze Polyschematismus beruhet auf der
verschiedenen Stelle, die der Daktylus in der
trochäischen lleihe einnimmt :
— -' — •-' — >-'— I — — — s^ — ~-
xac f.ich).ojTivop IuImv zat ^oda TiQOdearjgcug ,
_~ w .- I -3-w^
riQiGrf]Gaiiev iiQiov linrov (.iiXQOV dnozlag,
_w_3_«^w_ I .-ww
ov ßtßrtXog cJ zeUrut, tov veov AiowGov y
und mit doppeltem Daktylus:
■ vri «vadhÖQadoyv unukag ccGTia^cc&org ncitojvxfg,
0) Hula/ag [a.£v i'^f^wv , avanvioiv ^^ vcv/.tv&ov.
Die Form:
tl> ^itflO)Pt Ä(i)TO(fOgoi XVnflQOV T£ d^OGUtdli,
EfcMiIaub umlcränzet «Tis Haar thyrsosschwingende»
Mänas ,
^
V'v« polyschemalischi u \ oiütji. ^y i
gtliört zu den Verstärkungen der rliytlini? sehen
Charakteristik, von denen früher gesprochen
worden ist. Hier, ^vo die bfeideu Perioden da-
durch in Antithese gesetzt werden :
d:
dient sie zwar zum Darstellungsmiitel , ist aber
doch für den einzehien Daktyhis ein zu schwe-
res Gegengewicht. Horalius hat auch hierin im
oft angeführten \ers:
Te Deos oro , Sybarin cur properas amando,
sein feines Gehör bewiesen.
44i.
Eigenthch polyschcmatische Verse , in wel-
chen ganz verschiedene, nicht zu demselben
Metrum gehörige , Formen mit einander \ er-
tauseht werden können, finden der. Natur des
Rhythmus nach gar nicht Statt. Wo der Schein
eines solchen Tausches eintritt, da ist entweder
der Vers unrichtig, oder verderbt, z. B. wenn
man im heroisclien Hexameter slatt des Spon-
deiis einen Molossus fand: oder die Form hat
neben der unzulässigen noch eine andre Mes-
sung. So scheint mit dem sinkenden loniker
der Moloss zu w echseln :
In de» crschnicn Abends f oldeinluiücnder Dämmrung.
472 Allgemeiner Th c i 1.
Allein dieser Moloss ist ein Bacchios mit pro-
sodisch langer Eud.sylbe am Schluss der Periode,
und also keine fremdartige Form. Hermann he-
hauplet ebenfalls, dass es keine polyschemati-
schen Verse gebe; gibt es wol aber bei den
Grammalikern einen sclilinimern Heteroscliema-
tismus, als er selbst annimmt, indem er die
Formen: ^ - c u und ^^ _ ^ _ als verlausch-
bar mit dem sinkenden loniker: _ _ ^ „ auf-
nimmt ?
Von widerstrebend zusammengefügten
Versen.
{MsTQtt y.av KVTinadstav fJiiKTtii.)
442.
Eine andre Gattung unregelmässiger Verse
bildeten die Grammatiker aus solchen, in wel-
clien Formen , die sie für heterogen hielten ,
nicht so wol gegen einander vertauscht werden,
als vielmehr mit einander zu einem Verse ver-
bunden sind. Solche \erse nannten sie Avider-
slrebeud zusammengefügt ( ^iTQu x«^' dvxinaßnav
(iixrci). Dieser Begriff widerstrebender Zusam-
men fügung widerstrebt aber selbst dem Begriff
des Verses. Schon hieraus lässt sich vermuthen,
dass nicht im Vers, sondern in der Unbekannt-
schafl der Grammatiker mit der wahren Mes-
Von -widerstrebend zusammengefügten Versen. 475
sung der Grund lag, warum diese Verse ihnen
widerstrebend zusammengefügt scliieuen,
445.
Zu solcLen Versen rechneten die Gramma-
tiker folgende :
1. Den Epionicus uvaalMixevog, nach
Hefästion :
i)[(i HIV '^vdQOfiiöci nclttv ujiioißcxV'
Durch sanfLe Liebesgevv'alt der holden Jungfrau.'
Hefästion misst ihn so:
als bestehe er aus einer iambischcn Dipodic und
zwei steigenden lonikern (^^o — --!« u — —)r
welche nach den Grammalikeru durch eine um-
xlaoiq (Umbeugung, Synkopie der ISoten:
/i^j ^ä I A^J j ) diese Form uu-u I -o-u
annehmen sollen, wie bei dem molossischen Me-
trum weiter erörtert werden wird. Vielleicht
fand sich auch der Vers zuweilen in reiner io-
nischer Form:
Z ,- I ^ ^ I W.W
ntoiooov' ctt y(/.(i '^nolloiv 6 ?,vKe7oet
Mit sanfter Liebesgewnlt Vi^ehrte die Jungfrau,
mit jenem vermischt. So sieht nun freilich der
Vers sehr widerstrebend zusammengefügt aus;
denn wer mochte diesen Rhythmus:
i;4 A I J f^ e m oiiip r T ii •, . 1.
fluiden? Er zeigt sich aber in walirer Gestalt,
sobald man nur die Musikzeiclicn ordnet:
,1^1 j / .^ ;> .M j. .^'5 j^ i J.J
von dem nun jener ccvaxkojfifvog :
'^ I ' J^ j'^ ^ j'^ i J ^ J ^ I ' J
« I « i ^. «^ji^ \ d 0 ä 9 \ 0. ä
Z \ — .-^wi — . — ,|
eine sehr leichte Variation ist. So lös't sich
das Widerstrebende in beiden Versen,
444.
2. Den Saf fischen Vers, den die Gram-
matiker so messen:
— «* — <^ I — la/,.«.. I i^ .^ s^
Als der Jugend liebliches Licnt dahinscliwand.
Das Widerstrebende entsteht bloss durch Ne-
beneinanderstcllung der Füsse , wo drei Tro-
chäen anfangen , und zwei lamben nebst einer
unbestimmten Sylbe schliessen:
Der wahre Gesang dieses Verses in zweierlei
Mötrum ist früher schon (425) angegeben.
Hermann tadelt des Iloratius Cäsur:
Von ^vicIerstrebend zusammengefügten ^ ersen. 475
Integei- vitae, scelerisque purus ,
Wenn ron , dir unhold mich die Parze scheidet —
Voss.
weil dann der zweite Trochäus, al^ mitten iö
der Reihe Leflndlich, nothwendig rein bleiben
musste. Sollte denn aber Horatius sein besse-
res Gehör verläugnen, weil sein Kritiker metri-
sche und rhythmische Reihen nicht zu unter-
scheiden weiss , und übrigens vcrgisst, dass im.
Irochäischen Tetrameter von ihm selbst an der
Stellung:
— >_/ — V* I — «-' — «.< I r— w< — \./ I — »^_
^(ÜOt UvdQCÜTiMV. XaKlGTU Tu) ^CVOPTl yiV^TUl ,
kein Anstoss genommen wird, obgleich die re-
präsentirende Lange am Schluss der Periode
nicht am Ende einer rhythmischen Reihe, son-
dern in der Mitte eines Wortfusses, steht ?
445.
3. Folgenden Vers, nach Hefäslion:
o — u— I — — vju I — o — tj
ionkox\ ayvci, fjnkt'/o finde ^an(fOc.
Des Herbstes Froslhauch ))leichte die grünen Blatter.
Hermann misst ihn richtiger:
ü — <j"-ij I — \_»0 — w — V»
Man kann ihn betrachten als einen Sa f fi-
schen Vers mit dsm Auftakt, oder als einen.
4^6 AI] g eme iriü r Thtil.
mit der schliesscndea Tliesis verlängerten, Ai«
c ä i s c h e n.
Der pindarische Vers:
U — — (J I — \J <~> — U — Kf
0 IlIovGuyezag f.ie y.aXii '^Ofievaai,
Empoi- dringt der Muth zu der GÖltei-wohniing,"
ist eine Variation des vorigen, indem die bac-
cliisclie Foi'm statt der trochäisclien zu Ajiifaiig
steht :
cl — — ul— VJÜ — ül— —
. 446.
* 4. Den Alcäi scheu Vers, nach Hefa-
Stion:
<j — O— I— — yOl— o —
tu Va§ 'jlnQl.l.MV^ 7i(x7 fi^yuXoi Jiog-
Ein -weiser König schützet die Wissenschaft. Voss.
Hermann misst ihn:
Vj — u — t/ I — OO — oo
und so fällt schon das Widerstrebende weg.
Wahrscheinlich aber ist die Messung tripodisch^
und die fünfte Sylbe von Hefästion nicht ohne
Ginind als Länge angezeigt:
^ I J .N.J. l.'^is.N.'^J
u 1 — u — — 1 — Uly — o —
Mors et fijgacem persequitur virum. Horat.
Von Asyn arteten.
/t'-'
Mehr über äivse wichtige Versart wird bei den
* Verseu des tripodischen Metrum gesagt werden.
Von As yn arteten.
447.
Versus asynarteti entstehn, nach der Meinung
der Grammatiker, wenn zwei Riiythmen zwar
in Einem Verse cnthahen sind, aber mit sich
selbst nicht zusammenhängen. Dieser Mangel
an Zusammenhang oiFenbart sich nach Hermann
(§. 075.) dadurch, dass jeder dieser Rhythmen
die unbestimmte Endsylbe hat, und den Hiatus
zulässt.
Hiermit ist nun freilich nichts andres gesagt,
als: es habe den Dichtern gefallen, zuweilen
zwei für sich bestehende Verse zu einem einzi-
gen zusammenzusetzen, so, dass sie auch in der
Zusammensetzung noch geschieden bleiben, und
jeder schliesst, als ob er für sich allein stände.
Dringt man nun darauf, zu wissen, ob solche
Verse zwei Verse seyen, oder nur Einer, so
lässt die Hermannische Theorie, so wie die Lehre
der Grammatiker über diesen Hauptpunkt die
Auskunft fehlen. Um aber genau zu wissen,
wovon die P^ede sey, ist es nölhig, das Daseyn
der Asynartetcn zuerst als empirisches Datum
aufzunehmen. Dann wird es sich aus ihrer Ver-
gleichung mit den allgemeinen Principien des
478 Allgemeiner T h e i I.
Rhyttinus von seihst zeigen, welcher Natur
diese Verse seyn.
448.
Als Asynarteten werden aufgeführt:
1. Ein Vers des Archiiochus:
<j — v.>o — «ja — u I — o — u — u
£g<xGfiovidri XuoiXuf , yjjtjpu rot yfKoiov.
Es blüht an dem schäumenden Ijeuher Myrtenzweig und
Rose.
Für einen Asynarteten wird dieser Vers gehal-
ten, wegen der uuheslimmten Endsylhe seines
ersten Theils, die nicht auf den Schluss einer
Dipodie fällt. Allein sie fällt allerdings auf den
Schluss einer metrischen Periode; denn der
Vers ist tripodisch zu messen :
O |— (JU — uw — u |— u — w — u
Die Cäsur ist nicht an eine bestimmte Stelle
gebunden, wie die von Hefästion und Hermann
angeführten Beispiele nebst mehrern andern
zeigen :
V I — ^o — u(J— ?u I — u — ü — <-»
Ti]g -^fiere^ug aoifiag y.QiT7}g uQiGxe navzMV.
<-» I — V.iU — OU — <_l I — 5U — (-»""^
6Q)(^ovnfvov ogrig un^f^Xaliv ^^^^v rQvyotdotv.
Ar isto ph.
Mit weitaushallendem Becherklang das Lied begleitend.
Von Asj-nar Le teil. 4y^
Diese veränderliche Caesur maclit auch die an-
gegebene tripodische Messung wahrscheinlicher,
als die mögliche dipodische:
> 1 ?N 5 .N > ^ >
«s
j^j::^^ ! j.j. I J .N J" N.J.
V
Denn die dreizeitige Thesis der dritten Periode
könnte in der Mitte des Worlrhythmus nicht
als Kürze stehn, wie es oft in diesen Versen
der Fall ist.
Der Vers des K r a t i n u s :
;:: i — . ^ — ■ ~ z \ _^-«._w.
'Uftaafiovidi] ßcc&innf , tmv aoiQoKsuov ^
ist nichts als eine Variation des vorigen, die
ganz deutlich die trochiiische Natur jener Dak-
tylen zeigt.
In beiden Versen bemerkt man bald die
Achnlichkeit mit dem Saturnischen Verse der
Pvömev :
w I _^_^_3 I -w Z
Mortales immortales flere si foret fas,
Mehr Leiden , als die Krankheit führt herbei die
Rettung,
der, genau genommen, ein accentirter ist:
a \ ä a ä a d a \ ü a ä a ci a
und an jeder Stelle die Tripelbewegung an-
nimmt :
Slmul alius aliunde ruininant inter se
weswegen er, wenn mau ihn als fjuantitircnden
Vers betrachtet, an itder Stelle Trocliiicji .
48u Allgeraeiner Theil.
Spondeen, Tribracheu, Anapästen und Dakty-
len zuzulassen scheint. Jener Arcliilochische
"Vers ist also das Scliema des Salurnisclicn \er-
sesj in die quantitirende Gattung transponirt.
Für die Geschichte der Rhythmen sind der-
gleichen Nebeneinandei'Stellungen ähnlicher Verse
Sehr interessant. Sie zeigen dasselbe Grund-
schema in sehr verschiedenen Versen durch Kul-
tur der Sprache und Nalionalcharakter modiii-
cirt und ausgebildet. Das einfache Schema:
war der Grund des epischen Verses bei den
Griechen und Römern, (\es Hexameters (der
Anfangs wahrscheinlich ebenfalls accentirte), und
des Saturnischen Verses. In seiner Einfachheit
schwankt es theils auf die dramatische Seite im
dipodischen Trimeter :
wo es in Daktylen von trochäischem Maas, die
mehr deklamatorische, als lyrische Form des
Hexameters in Episteln und ähnlichen Dichtar-
ten bildet, wie künftig weiter ausgeführt wer-
den wird, theils auf die lyrische Seite im di-
podischen Tetrameter :
J .N .N J.J. IJ /J .N J.J
wohin vielleicht der Yers der SafTo:
dev^o diVTe, Moifsai, ^^vaeov Xinotacii^
Von Asynarteton. 48 1
gehört, und wo sich die grosse Zal der ioni-
schen Verse in ihrem mannichfahigeu Formen-
wechsei bildet.
449.
3. Ein andrer Vers des Archilochus:
_ S~Z, _ J~^ - -T^ _-w I '
OVK i&' üfiiog '&ul\{ig dnaXov XQoa' xu()(ffTai. yccQ
Vitae summa bravis spem nos vetat inchoare longam.
H o r a t.
Wenn der G<^sang Festmale verherrlichet, scheuche
weit die Schwermuth.
Das Maas dieses Verses ist folgendes:
j^ i! J^^'« .N .^^\\'« / 1 J jN ." IJ.J.
Dem Metrum nach ist er also ein trochäischcr
Tetrameter. Der Charakter des A.syiiartetus soll
jedoch darin liegen, dass die Endsylbe der dak-
tylischen Reihe die reprasentirende Länge g^"
statte:
xtti ßrjGGag üQfiov dvgnumuXovg olog riv ((p ^]ß^g.
Beute der freudlos traurigen Unterwelt ward der
GlauB der Schönheit.
Was aber bei der Endsylbe daktylischer Rhyth-
men iin Allgemeinen bemerkt wurde, gilt auch
hier. Der Krelikus, statt des schliessenden
Daktylus, bleibt allemal ein Zwang des Rhytli-
mus; denn der Charakter des Daktylus ist Flüch-
Ji
HÜ» AllgemeiiKsr Theil.
tigkcit, -welche sich nicht bloss in der Schnel-
ligkeit zeigt, mit der die Sclilusssylbe zur fol-
genden forteilt, sondern zugleich in der Leich-
li"^keit, init der sie an sich selbst kurz verhallt.
Diese Leichtigkeit gibt der repräsentirenden pro-
sodischen Kürze auf der schliessenden Arsis
ästhetischen Charakter, und darf daher, wo sie
von INatur steht, nicht durch repräsentirende
Länge verdrängt werden. Man versuche nur
Vv^orte, wie Völkerwohl, Gottesfurcht,
Uebermuth und ähnliche flüchtig abzufertigen
und man wird sich überzeugen. Leichte und
scharfe Längen halten sich allerdings an solchen
Stellen, z. B. :
Helle, liebliclae Flutenbewegerin, ebne sanft die Wogen,
und stören die Flüchtigkeit nicht, da sie ohne-
dies von zweideutiger Länge sind.
Eoi'atius wusste sich in Gedichten der Frei-
heit unbestimmter Sylben zu bedienen , dennoch
hat er in der Ode (I. 4.) Solvitur acris hiems
die daktylische Hälfte dieses Verses nieoials mit
dem Kretikus, sondern, von richtigem Gefühle
geleitet, allezeit mit reinen Daktylen beschlos-
sen. Voss beobachtete in «einer Uibersetzung
dieser Ode dasselbe.
Der Archilochischc Vers ist also kein
Asynartetus, so wenig als der Soladische Vers,
von welchem dieser AroUiioch loche eine Varia-
Von Asyn arteten. 4S3
tion mit stehenclen daktylischen und trochäi-
schen Formen scheint:
_ JZ - ^ ^ I - - - - ^ -. I - w - w I _ «
I ^ÖMJ ^^^II^1^!^IJI
S. «^.s\ I ä. «. cJ I JJ. oV I ä.'i.
^^^^ft^l ^J^^^^.^| j M ^I j j
J. «'J «. «^0 I <». ^ä c. jT^ t ^ ^ 'J :^ I <^. ^.
^HotiV TTOTS quaiv ^lu xav TfQnr/.egoivvov.
Nunc decet aut viridi nitidum caput impodire mjTto.
H or at.
'Folgender Vers des Kratinus ist eine Va-
riation davon:
•. ^ J ». t^ « \ g. 0^ d d J I 0 d d r I «. d.
^uiQfre TtavTiq ^eot noXvß(OTOv Tcovriav 2^fQi<f0Vf
Alles gewährt IVIuth vollen das Schicksal. Miith besiegt
die Götter,
und ehen so wenig ein Asynartetus. Das ganz
trochäische Grundschema beider Verse ist:
j j-^j jN i^i i^\ j jN :• I jj.
Ol'«?' ^yJfi(ix\iav oQuTi nxoixov ovt fq)* t]fxiv.
Wenn der Mitternacht Beschattung Flur und Wald
umdunkelt.
45o.
5. Noch ein Vers des Archilochus:
ulXa f.1 (j IvnififXr/g (o \aiQ( SafAvarac nodog.
JloUibus in pucris aut in put-Ilis Orere, H o r a t.
AU er von blühendem Mund «Icghaft den Erstlingkuss
geraubt.
484 Allgemeiner 'I'h eil.
Seine Messung ist:
Wenn die Arsis der zweiten Pe^'iode als iliyth-
musbeschliessend die Kürze annimmt, z. B. :
Inachia furere, sylvis honorem decutit,
Wale den Mächtigeren ! Kein Schwacher schützt yor
solchem Feind,
30 maclit dieses den Vers noch zu keinen Asy-
narteten, so wenig als die kurze schliessende
Arsis in :
Omnia vincit amor, et nos cedamus amori,
den heroischen Hexameter. Wollte man diese
Kürze bei vernachlässigter Cäsur anwenden, so
war der Vers entstellt, z. B. :
o
— OU — «JU— I fj — ij — KJ — \J —
Flocht sich ein blutiges Diadem und herrscht* im öden
Land.
Uiherhaupt ist dieser Vers streng an die Cäsur
gebunden, wegen der Pause in seiner Mitte.
Man versuche:
Breitet erglühende Farbenpracht am Abendhimmel aus,
und der Vers ist , ohne grossen Sylbenzwang,
nicht mehr derselbe.
45i.
Eben wegen dieser so unverändei^Iichen , und
durch eine Pause begi*anzten^ Cäsur, sollte man
diesen Vers nicht sowol für einen asynartetus .
Von Aaynartclen. <i83
als \ielmthr für zwei getrennte Verse anselm,
wie denn auch mehre Ausgaben des Horatius
diesen \ers trennen:
fervidiore mero
arcana promorat loco.
Welch ein Geplauder von mir !
Wie reut mich jedes Lustgelag. Voss,
Es ist bekannt, wie sich Bentlei gegen diese,
von Lambinus ausgehende, Trennung des Ver-
ses ereifert; allein genau betrachtet, beweiset er
nichts, als dass es mit den Lanibinischen Ma-
nuskripten eine zweideutige Sache seyn mochte,
dass die Grammatiker die Asynarteten weder
für Eins, noch für Zwei mit Bestimmtheit aus-
gaben, und dass der Hiatus (mero arcana)
und die unbestimmte Sylbe schon nach Hefii-
stion am Ende eines Pvhythmus ( Colon) eben
sowol , als am Ende eines ganzen Verses Statt
habe. Ist dies aber hinlänglich, um gegen die
trennende Schreibart zweier Rhythmen zu ei-
fern , die an sich durch eine Pause getrennt
sind? Eine andre Bewandniss hat es mit dem
folgenden Verae.
452.
4. Die Umkehrung des Vorigen:
- - u o
«J — W — W — U— I --njtu — U«J —
Deformis aegrimoniae dulcibus alloquiis. Horat.
Wenn spät des Abends Dämmerschein dich dem Gelieh-
ten vereint.
486 Allgemeiner Theil.
Sein Maas ist:
•N j /j ^M j .^J. \.u,\f:i>:\ii '
Wenn die Schlusssylbe der ersten Hälfte kur«
ist, so ist der Grund die schiiessendc' Arsis,
oline dass man nöihig hat, einen Asynartetus in
diesem Verse, zu sehen, z. B.:
Levare diris pectora eoUicitudinibua. Horat.
Als dunkle Nacht die Liebenden schützend in Schleier
gehüllt.
Wollte man die Cäsur übergehen , so müsste dJe
Schhisssylbe von ganz bestimmter Länge seyn:
Verbann' aus unsrer Brust den misslannigen Sorgen-
tumult, Voss,
sonst entsteht ein verschiedener Vers:
Aus freier Brust die öoigen verbannet in frolicher
Lust,
der das Maas haben würde :
Dasselbe geschieht, wenn das Wort zwar mit
der Kürze endet; aber im Begriff sich zu eng
an das folgende anschliesst:
Als dunkle Nacht die Liebenden barg. Der geheiligt*
Hain.
Der Vers ist also kein Asynartetus. Indessen
haben auch ihn einige Herausgeber des Hora-
Von Asynartetsn. 48?
tius , ^viewolil mit weniger Grund , als den vori-
gen, in zwei verschiedene Verse getlieiit.
455.
Warum aber, könnte ein Zweifler hier ein-
wenden, duldet der Schluss der ersicn Peiita-
meterhälfle nicht die Kürze statt der Länge,
wenn bloss die schliesseude Arsis hinlänglich
ist, sie zu rechtfertigen?
Allerdings lautet die Regel der Grammati-
ker, dass diese Stelle unAcränderlich lang seyn
müsse; auch habeo die Dichter von jeher diese
Regel befolgt. Allein, wenn nur die CUsur auf
dieser Stelle ganz bestimmt eintritt, so ist kein
Grund, warum nicht hier, wie bei jeder andern
schliessenden Arsis, die Kürze Statt finden
könnte^ z. B.;
aLer die duntle
Nacht schwieg schauerlicher, düsterer blickte der Mond,
Denn dass auf ähnliche Art die Kürze im Hexa-
meter stelle, ist schon öfter bemerkt woi-den.
Allerdings ist diese Pcntameterlünge' dreizeitig;
aber auch die dreizeitige Lange in der schlies-
senden Arsis duldet die prosodische iCürzc, z. B. :
Schüchtern sang die Erröihende ; schweigend horchte
der Buchbain.
Nutrlvi magis et inagis ut beata q^notannis. Catull,
Wahrscheinlich bedienten sich die Dichter des-
488 Allgemeiner Theil.
wegen bei dem elegischen Verse dieser Freiheit
nicht, weil der Vers durch eine so ganz be-
siimmie Cäsar zu eintönig werden würde, wie
bei der weitern Erörterung des elegischen Pen-
tameters noch deutlicher werden wird.
454.
5. Der enkomiologische Asynartctus:
^ (>' Irt Jeivoi-UVit tm TvQixyiiii'i.
Aber hinaus, wo der Fluss durch Wald und Berghöhn.
Er hat vielleicht tripodisches Maas:
.f: .^ J' .\^ i" i ^"11 .N.J.
vielleicht aber auch diese dipodische:
.N'! .\N«! / I J / J / 1 J.J.
Wegen der Länge statt der Kürze des ersten
Trochäen in der zweiten Dipodie vergl. das 5y5
Gesagte. Die Kürze der Schlusssylbe in der
ersten Reihe hat ihren Grund ebenfalls iu der
schliessenden Arsis , z. B. :
Alles beseligende , huldreiche Göttin.
Falsch würde seyn:
KUes beseligende Gewalt der Liebe.
Denn die Schlusskürze wurde über die metri-
sche Zeit hinweggezogen werden, und man
würde die Bewegung :
~<-»«» — »t» I S0> f *^ — '^^ I —-•
Ton Asynarteten. 489
ZU vernehmen glauben. Auch hier ist es also
nicht nöthig, einen Asynartetus anzunehmen.
455.
6. Der lambeiegus, der die Ordnung des
vorigen umkehrt:
— >>>
.«> — *.< — «.«1— «««w — «■««■«^
Aus dunkler Felskluft weeken Gesänge mich auf.
Das Maas dieses Verses ist tripodisch:
,M J .N.J. I .':.'* y\N'* .N
Er ist so wenig ein Asynartetus, als der Alkäi-
sche Vers, dessen letzten Kretikus der lambeie-
gus in den Choriamben variirt.
456.
7 Der Platonische Vers:
jfaf()e naXaioyovMV dvö^cov ■&£ut<x}v ^vXXoys nap-
Scheuche den düsteren Sinn, noch blüht die Jugend,
lächlet die Freude dicli an ,
von Plato, dem Komiker, so genannt. Hefä-
stion misst diesen Vers mit richtigem rhythmi-
schen Gefühl so:
wobei er vielleicht an die Art dachte , wie Gram-
matiker, manchmal auch wol Dichter, Vex'«zu-
49° Allgemeiner Theil.
sammensetziingen erfanden. Sie setzten nämlich
in die Mitte eines bekannten Verses ein Sclialt-
uictrum {fifT()op /.ifaov. S. 262.), wozu gewönlich
der Choriarah , das iambische Penlliemimere»
( ~ _ „ _ ^ ) und das daktylische Penlhemi-
nieres {-.^J^J-.^J^-) gebraucht Aviu-de. In
diesem Platonischen. Vers iöl zwischen die Hälf-
ten des elegischen Verses jene iambische Figur,
Penthemimeres genannt, eingeschaltet, wie die
Messung Hefästions zeigt.
Der Messung und iil>tlieilung:
— wo — 'JW — W— lO — t> — WU — OÜ-"
V
'/f^-iQ'^ TcalaLoyovtav KvÖQiov d^iarcop ^vlXoye TrapToaoq:cov
widerspricht die Stelle der repräsentirenden
Länge.
Hermann will den Grammatiker verbessern
und misst den Platonischen Vers so:
_t^y — oü— "oi— »^~v/l — u*j — 00 —
Freuden umflattern die Jugend , graue Weisheit bannet sie
neidisch hinweg.
Rhythmi ch betrachtet wird der Vers durch
diese Theilung sclileppend, indem ihn die bei-
den auf einander folgenden, thetisch- lyrischen
Cäsuren, gegen das von liefästiou angeführt«
?ieis])iel entstellen.
Von Asy narteten. 691
Die Messung ist tripodisch:
vielleicht aber auch c!ipo''isch, "wie Lei dem
Elegiambus (454.) beide MessuDgen Statt findun:
.^* jV .5 j-^ I j / j /i j. j. 1 .^^ j\'; ,^ .N j.
wo ev aber besser als zwei ^erse betrieb tet
würde :
— uü — ou I — O — ü i — —
Denn er ist seinem Rhythmus nach ein Elegi-
ambus mit noch einer Penlameterhälfte. In so
fern hat er auch auf der ersten Arsis der zwei-
ten Periode, inderCäsur die prosodische Kürze :
u —
— ou — w«j ! — u — w I •— — • I — 00 — uü I —
Alles beseligende, hiildmcho Göttin, höre den Feier-
gesang.
Hermann 'scheint diese Kürze zu bezweifeln,
wiewol er sie bei dem enkomiologischen Vers
anerkennt; daher kommt ohne Zweifel seine,
den Hhylhmus entstellende Theilung.
458.
8. Der Pindarische Vers, nacli Hefä-
stion's Messung :
\J — \f — \^ I — «w— uO— l c»~o — u
OS xat Ttmfig ayvo) nAiitd rixtro ^uv&av ^'&uvui/.
Dort blUlit, Tora jNordtturm nimmer bedroht, in dem Thai
•in ewger Frühling ,
49s Allgomciner Theil.
scheint, dem Schema nach, die Umkehrung des
platonischen zu seyn; denn die Daktylen sind
hier in der Mitte und werden auf beiden Sei-
ten von lamben eingeschlossen. Seine Messung
würde nach dieser Ansicht folgende seyn:
Hermann tadelt auch hier den Grammatiker und
theilt den Vers so :
Ü — V-» — U I — <J^ — VKJ — %J I —0 — 0
wo der Rhythmus freylich bis zur höchsten Mo-
notonie in den drei lyrisch- thetischtn Cäsuren
schleppend wird. Denn dass Hermann metrisch
nach Tripodien den Vers habe iheilen wollen,
lässt sich nicht erwarten , tlieils, weil er die Tii-
podie nicht kennt, theils, weil er in andern
Versen niemals die Au/taktsylben in die vor-
hergehende Periode, metrischer Weise, zuschrei-
ben pflegt.
Vielleicht ist aber keine dieser Messungen
die wahre, wenigstens bieten uns die Versbei-
spiele bei Hefästion, wenn wir von seiner zu-
sammengesetzten Messung absehn, einen weit
schönern, lebendigem PUiythmus dar, nämlich
diesen :
— _ o ~
V0~(fi0t di 'AUL ro ftrjSfT ccyuv fuog aivrjaav niQiOGtag
Von Asyn arteten. 49S
die mit O bezeiclmete Stelle gestattet als sclilles-
semle Arsis die prosodische Kürze, ohne den
Vers zum Asynartetus zu machen.
459.
Die einfachere Form dieses Verses ist der
Eur^pideische sogenannte Asynartetus :
Dort wohnt in FrühlingsblUteupiacht ewger Reiz der
Jugend.
Die Messung erklärt sich von selbst, aber es ist
dieser Vers so wenig ein Asynartetus, als ein
andrer. Gibt man dem Schluss der ersten Hälfte,
die in der /dreizeitigen Schlusslänge ideell ent-
haltene Thesis: als reelles Moment, so zeigt sich
der iambische Tetrameter :
oder metrisch getheilt:
z I Z I -_-(Z)| |__
als Grundschema des Verses.
46o.
Es würde unnöthig seyn, alle andre Verse,
die von Hcfästion und Hermann als Asynarte-
ten angeführt werden, besonders durchzugehn.
tiberall, wie in den Angefülirlen, sieht man,
dass die unbestimmte Sylbe ihren Grund ent-
weder im Schluss einer metrischen Periode ,
49* Allgemeiner Thail.
welche die Grammatiker verkannten (<5er Tri*
podie), oder im arsischen Schluss eines Rhyth-
mus, oder in der verkannten dreizeitigen Lange,
oder in etwas ähnlichen findet , ohne dass man nÖ-
thig hätte, eine besondre Gattung von Versen,
die Asynarteteu, anzunehmen, um jene Freiheit
der Sylben zu rechtfertigen. So verschwindet
denn, neben den poly&chematischen und anti-
palhetischen Versen auch das Fantom der Asyn-» '
arteten, deren Begriff schon schwankend lässt,
ob von Einem \ erse die Rede sei , oder vou
Zweien.
Archilochus wird als Erfinder der Asyn-
arteten genannt. Diese Erfindung konnte in
nichts andern bestehen, als dass Archilochus
feines Gehör genug hatte , um in Versen , wel-
che man sonst für verschieden hielt, die metri-
sche Gleichheit zu bemerken, und in Beziehung
aui diese Gleichheit, ihre Zusammensetzung zu
versuchen. So lang ein solcher Vers das Zei-
chen seiner Zusammensetzung in einer bestimm-
ten lyrischen Cäsur behält , ist es gleichviel , ob
man ihn als Einen Vers schreibt, oder als zwei.
Wenn aber rhythmische Künstelei, oder Muth-
^ville der Komiker, diese Cäsur verwischt, dann
findet die Trennung freilich nicht mehr Statt,
und so entsteht erst der widersprechende Be-
griff eines Asyuarteten, indem die Worte des
Verses Einheit andeuten , und der Rhythmus des
Vom Hiatus. iga
Verses an sich die zwei verbundenen Rliythmen
eewönlicli in lyrisclier Antithese nachweiset. So
findet man in manchen Äsynarteten die lyrische
Cäsur von Archilochus selbst genau beobachtet,
und von Kratinus und Aristofanes in derselben
Versart. willkührlich verlegt.
Vom Hiatus.
# 461.
Der angebliche Charakter der Äsynarteten,
dass sie in den Endsyiben das unbestimmte
Maas und auch den Hiatus gestatten, macht
es nölhig, hier einiges vom Hiatus zu erinnern.
Unter Hiatus versteht mau den Misslaut,
der durch das unmittelbare Zusammentreffen
zweier Vokale oder Difthongen entsteht, z.B.:
Nicht Europa allein
^ und er redete also
Leda aber begann
das blaue Auge.
Man kann es sieh nicht verbergen, dass
Verse durch solchen Uibcllaut entstellt werden,
und Dichter, die mit einem feinen Gehör be-
gabt sind , suchen ihn möglichst in ihren Ver-
sen zu vermeiden. Indessen trifft man doch zu-
weilen zusammenstehende Vokale, ohne durch
einen Misslaut beleidigt zu werden. Der Hiatus
scheint also nur unter gewissen Bcdingungeu
496 Allgemeiner Theil.
durch das ZusammentrefFen der Vokale zu ent-
stehn, oder, wenn man mit Einigen jedes Zu-
sammdutreffen der Vokale Hiatus nennt, so
scheint er nur unter gewissen Bedingungen fe-
ierhaft, unter andern aber zulässig zu seyn,
und selbst der feierhafte Hiatus kann unter
manchen Verhältnissen aufhören feierhaft zu
seyn.
462.
Man bemerkt bei einiger Achtsamkeit, dass
Vokale, die in der Mitte eines Wortes zusam-
mentreffen, keinen Misslaut erregen. In Fraar-
tes, Kanaan und ähnlichen Worten duldet
man die beiden a unbedenklich. Wollte man
hingegen einen Vers anfangen: da ahndete,
so war der misslautende Hiatus vorhanden.
Zeus blauäugige Tochter, lesen wir ohne
Tadel; genau aufmerkend hingegen, oder:
Sank der Nacht th au auf die Flur, würde
missfallen.
465.
Der Grund dieser Verschiedenheit Hegt ohne
Zweifel darin : Jedes Wort ist durch eine, zwar
oft geringe , aber doch immer vorhandene
Schlusspause, von den benachbarten Wörtern
abgescldossen , wie die Zweideutigkeiten durch
Vernachlässigung dieser Pause ( z. B. der Zei-
tung gleich, statt: der Zeit ungleich) beweisen.
Vom Hiatus. 4^-,
Die Vokale innerhalb eines Wortes empfangen
nun beim Aassprechen keinen besondern Än-
stoss (Spiritus) und werden, wie gebiindne No-
ten, gleichsam mit demselben Bogenstrich ab-
gefertigt. Sprechen wir Fraartes, so werden
beide a in demselben Hauch gesprochen und,
ohne besondern Einsatz, nur gelind markirt.
( * ^ * I* ) Anders hingegen ist es, wenn zwei
VokaJe an der Gränze zweier Worte zusammen-
treffen. Der wortanfangende Vokal bekommt
einen besondern Kehlansioss (Spiritus lenis) ,
der zu seiner Aussprache nöthig ist. Geht ihm
nun in dem Ende des vorigen Wortes ein Kon-
sonant vor, so präparirt das Schwa, das dem
Konsonant nachtönt, diesen Spiritus lenis, und
der Anstoss, mit welchem der \okal einsetzt,
wird durch diese Vorbereitung gemildert. Tont
aber am Ende des Wortes ein Vokal, so muss
der Anfangvokal des neuen Wortes entweder,
die Wortpause verletzend, mit dem vorherge-
henden zusammenfliessen, oder mit jenem An-
stoss eintreten, der hier um so härter tönt,
weil er in das weiche Aushallen des Endvokals
sich eindrängt, und dieses scharf absclmeidet.
Diese Härte, mit welcher der Spiritus, den
Nachhall abbrechend, seiuen \okal einfülirt,
ist der Hiat us.
464.
Ans dieser Natur des Hiatus folgt:
A2
.,ijy All .c L- m e i u c r Tlieil.
1. Der Spiritus asper, mit dem tin Wort
anfangt (das II) r- lit^bt den. Hiatus auf, indem
er das Eintreten des \ oiials vermittelt. Das H
ist das Schwa vom Konsonantenkörper entbun-
den, indem es also dem Anfangvokal vor-
tritt, führt es ihn so leielit in den Klang ein,
als tönt' es als Schwa einem vorhergehenden
Konsonant nach.
(Man denke sich den frei eintretenden Vo-
kal wie den \iolinton, der in Berührung der
Saite mit ruhendem Bogen anfängt, den aspi-
rirten aber als den, welcher durch* Berührung
der Saiten mit schon bewegtem Bogen entsteht.
Die Friktion des Ansatzes bei jenem ist der
Spiritus lenis des freieintretenden Vokales mit
dem Hiatus.)
465.
2. Worte, die so genau, wie Sylben, zusam-
menhängen und gleichsam einen einzigen Wort-
fuss ausmachen, bilden mit ihren zusaramen-
Irell'enden Vokalen keinen Hiatus. Blauäugig
spricht sich leicht, Amerika aber dagegen
bildet einen Hiatus; noch missjaulender ist:
aus grüner Au aufsteigend. Eben so ist es
bei verschiedeneu Vokalen: forderte auch,
Europa endlich; nur dass der Misslaut ver-
mehrt wird, wenn gleiche Vokale zusammen-
trefl'en: wie ihm, da alle er zu untei'st.
V" ü lii H i a t II s. 4qr»
466.
3. Eu, ei, au, u. i, bilden am Wortende
vor andern, als ihnen gleichen, Vokalen, keinen
so harten Hiatus, als die andern Vokale, oder
Difthonge. Z. B. Blau a n g e t h a n , bei uns,
treu oder untreu, du aber, wie oft. Der
Grund ist , weil i und u leicht in die Conso-
nanten j und w übergehen, und dieser schwe-
bende Halbkonsonant vertritt einigermassen die
Stelle des Spiritus asper. Dieser Halbvokal
drängt sich oft zwischen die Vokale, und zwar
nach o, wegen dessen Verwandtschaft zum u,
daher rovina aus ruina: und dass er im Di-
gainma sich bis zum F steigert, ist bekannt.
jNach e drängt sich wegen dessen Verwandt-
schaft zum I das j; daher die Verwechselung der
Endungen in ea und eia, z.B. Hhiöfiu, Medea.
Wie das w zu f, so steigert sich das j durch g'
und ch bis zum r und schwächt sich vom r
herab zum j. Daher notajo;^ calzolajo statt
notaro, calzolaro.
467.
4. Wenn die Paiise nach dem endenden
Vokal so bedeutend ist, dass dieser verhallen
kann, ehe der neue eintritt, so findet kein Hia -
tus Statt. Deswegen, weil nach dem Ende ei-
nes Verses in der Regel eine solche Pause cin-
Irjil. kann 7A\ischen Versende und V«rsanfang
6oo A 1 1 g e 111 « i 11 e r T h e i 1.
die Stellunc; clcr Vokale Statt finflen, flie zwi-
schen Wortende und \\ ortanfang einen fiiatus
bilden würde. Allein dasselbe liudel aiuli in
demselben Verse zwi.^clicn lihyllinmsende und
Rbylhmiisanfang Statt, z. B. :
Als in dem Ost Friihroth aufdämmerte. Ahndende
iJofFnuiig,
VVie diese Pause den Hiatus hindert, so hindert
sie auch die Position, z. B. :
. . . und er naiite sich huldigend. Frohe Bewunderung.
Nur absolute Längen sollten durch das
Ende der rhythmischen Reihe nicht verkürzt
werden.
468.
Hört man die Metriker über den Hiatus,
und bemerkt man, wie viel sie bei der Kritik
alter Dichter auf den Hiatus Rücksicht nehmen,
so sollte man meinen, diese Metriker hätten
ihre Lehre aus dem tiefsten Wesen der Sprache
geschöpft, und die alten Dichter hätten, entwe-
der durch gleiche Wissenschaft belehrt, oder
durch ein das Wissen ersetzendes Gefühl gelei-
tet, unwandelbare Grundsätze über den Hiatus
befolgt. Dass dieses aber nicht der Fall sei,
leuchtet bei nälierer Betrachtung bald ein.
Böckh*) hätte bei seinen Untersuchungen über
*) Uiber die Versm. des Pindaros , im Mus, der AI-
lerth. Wiss. II. 2.
Vom Hiatus, 601
lue Verse des Pintlaros ohne Zweifel manches
Vorlref liehe und Wahre gefunden , -wi.jin er sieli
nicht zuviel bei Hermanns mangelhaften Sül-
zen beruhigt hätte. INach Hermann (§. 4öi.)
soll ein kurzer Vokal vor einem kurzen, oder
langen Vokal oder Difthongen ohne die geringste
Härte seyn. Folgende Stellaugen wären mithin
nach diesem Metriker unladelhaft:
die flüchtige Antwort,
das duiilcle Auge.
Da also ohne Ehre erst du unterlagst ,
Kämpfeade Edle erlagen, da eilte er wie im Gewitter.
Doch möchten sie wenig andern gefallen. Wenn
man an Stellungen, wie:
Stets kam die Antwort,
durch die e n t götterten Tempel ,
Aveniger Anstoss nimmt, so dürfte dieses nicht
der Kürze des Vokales zuzuschreiben seyn, son-
dern der Natur des Vokales und seiner Ver-
wandschaft zum folgenden, in vielen Fallen auch
wol der engen Verbindung der beiden Worte
selbst, die zusamiuen einen einzigen Wortfuss
bilden^
469.
Fei'ner soll nach Hermann (§. 45o.) ein
langer Vokal, der wegen eines folgenden Vo-
kals oder Difthonges verkürzt wird, nnl diesem
keinen beleidigenden Hiatus bilden, weil er,
wie ein an sich kurzer Vokal hinrollc.
5o2 Allgemeiner 1' h o 11.
Hiergegen gilt das iii dem vorigen Paragra-
feu in Beispielen Angeführte. Der kurze, oder
der verkürzte Vokal kann den Hiatus nicht liin-
dcvn; denn das Wesen des Hiatus, nämlich das
unvorbereitete Eintreten des Vokales, wird durch
die Verkürzung des vorigen Vokales , wenn keine
Pause dazwischen fallt, nicht aufgehohen. Die
Beispiele, die Hermann anführt (Metrik §. 43o) :
ovdf: rc fwi TxffjixecTut, inft nu&ov ukyea 'Qv^ibi
Ulil il.l}]V IpVpii' U. S. f.
beweisen nicht; denn ijn ersten hebt die Pause
nach der Cäsur den Hiatus, und in beiden ent-
steht durch den in I endenden Difthong jener
Halbvokal , der den Hiatus im Werden hindert.
In dem Pindarischen (Nem, ii. Ant. 2.):
wird Niemand den Mislaut des « cc wegtheore-
tisiren. OiTenbar ]irüft Hermann nicht den
Vers an dem Grundsatz, sondern modelt den
Grundsatz nach den vorkommenden Beispielen.
470.
Auch soll nach Hermann kein missfälliger
HiiUus cnlstehn, wenn der erste Vokal lang ist
lind deji ictus im Verse liat. Untadelhaft war
dalicr :
Vom Hiatus. oos
und es sah Agamemnon
und er stieg zu der grünenden Au auf
blühenden Klee e hm als, jetzt Stroh oft trägL
er zur Streu ein.
was Niemand billigen wird. Hermanns Bei-
spiel :
'Jhov inTTjGdai, ivvaiO(iivov titoIu&QOv.
beweiset wieder nicht; denn tlieils bildet sick
hier jener Halbvokal, tbeils hindert den Hiatus
die Cäsur. ^
471.
Der letzte Fall, den Hermann in seiner
Metrik angibt, ist dieser: Avean der erste \o-
kal laug ist, oder ein Diflhong, und an einer
Stelle des Verses sieht, wo er keinen ictus hat,
und überdies lang ist, oder lang scyn kann.
Wo unter cheser Bedingung eui Hiatus vor-
kommt, soll es ein Zeichen einer verderbten
Lesart seyn, indem er nicht anders, als am
F.nde eiaes Verses vorkommen könne.
Der Fall, den Hermann hier augiebt, wird
allerdings auch ohne Hiatus häufig das EjicIc
eines Verses andeuten; denn eine lange Sylbe
ohne ictus, .ilso in der Thesis, steht gcwönlich
am Ende einer metrischen Periode, wohni
in der Mitle des Verses nicht gern ein rhyth-
mischer Einschnitt fällt, der die Periode lieber
in der Mitte schneidet. Es ist daher niohi /"
5o4 Allgemeiner U'lioil.
verwundern, dass man boi dem Hiatus an solch
einer Stelle nicht eijcu des Hiatus, sondern,
der Stelle selbst wegen, auf ein Versende, oder
doch auf eine lyrische Casur schliessen kann,
z. ß. in dem bekannten Vers der Saffo :
> \ ^ ^ > I ]N t j I ^ 1 ^ Ji > i > i i i
vvarfg, nuQcc ötQ^it' cjQa, tyo) df (lova na&ev&O).
Ausserdem findet der lange Vokal in der The-
sis ijorh Statt im Auftakt, und in Trochäen
mit der reprasentirenden Länge, In solchen
Fällen wird sich aber der Dichter vor dem Hia-
tnr^ iiüten, damit nicht durch die Stellung vor
dem \ -..kal die beaböichligte repräsentirende
Länge vciioren gehe, oder geschwächt werde.
Es wird also, wo eine solche Stellung vor-
kommt, in den meisten Fällen auf das Ende
eines Verses geschlossen werden können.
472.
Diesen Hiatus, behauptet nun Hermann, ba-
ten die alten Dichter sorgfältig vermieden, und
hierin hat er, in Beziehung auf das eben Ge-
sagte, ganz Recht. Sehr auffallend aber sind
die Ausnahmen, die er von diesem Satze (434)
macht. Die alten Dichter haben nämlich, sei-
ner Meinung nach, diese Sti-enge nicht beob-
achtet:
1. Im heroischen Hexnmeter, „desscu feier-
licher Gang eher einige Schwerfälligkeit in der
Vom Hiatus, ^oä
Prosodie vertrage." Ein eigener Einfall, in der
That, die Würde eines Verses zum Deckman-
tel der Nachlässigkeiten und ICakofonieen zu
machen! Und ist denn der Hiatus eine pros-
odische S:"hwerfälligkeit? Im Gegentheil ist er
doch vielmehr ein Aufheben der Schv*'ere , das
mit der Feierlichkeit des heroischen Verses eben
sehr übel kontrastirt. Wenn in den von Her-
mann angeführten homerischen Beispielen:
(oSf ßiTjV T äya&ov , Tiat '/Xiov iq.i avaacftv.
der Hiatus gemildert wird, so liegt dieses theils
in dem Auftakt und der Natur des Bindewortes
Kai, das mit dem folgenden Wort sich zu einem
Wortfuss vereinigt, theils an dem, nach dem
y.ub zwischen beide \okaIe hineinklingenden.,
Halbvokal. Man versuche aber: -
Steigt Aurora auf, an der östlichen Pforte des
Himmels ,
und der Hiatus ist mit aller Härte mitten im
heroischen Verse vorhanden.
473.
2. In den lonicis a maiore, „deren gebroch-
ner und matter Rhythmus durch diesen schlep-
penden Hiatus nichts verliere."
Also erst wird der Hiatus wegen der Würde,
und nun wegen der Unwürde desVerses zugelassen !
Sollte man in'cht meinen, der Metriker scherze nur.
5oG Allgemeiner Theil.
oder spräche liier im eigenlliclisten Sinn, wie
der Blinde von der Farbe ? Freilich nacli der
Hermannschen Theorie ist der ionische Rhyth-
mus gebrochen und matt; denn die erste Hälfte
des lonikers besteht nach Hermann aus einer
Reihe, die mehr anfängt, als sie ausführen kann,
und eine zweite zur Hülfe braucht. Allein die-
ses Hermanniöche FauiaEraa isL zum Glück kein
ionischer Riiytlimus. Der ionische Vers hat^
wie wir oft ^eaehn habfn, diesen Gesaug:
Hell schimmert im MondessUal die loichtwailenda
Meerflut.
el xal ßuailevg nfqjiiyMg, ojg &vrjTog u^ovnoV'
Wer, der diesen Rhythmus hört, und nicht
bloss im metrischen unvollkommnen Schema :
musiklos beschaut, wird ihn wol matt und ge-
brochen nennen? So wallen aber unsre gepine-
senen Metriker mit verschlossnen Sinnen im
Reiche des Gesanges, über Dinge entscheidend,
deren Wesen ihnen so fremd ist, als dem Blin-
den die Farbe. Wäre der sinkend ionische
Rhytlimus matt, so war es der antispastische
nicht minder; denn er unterscheidet sich von
dem ionischen allein durch Aitu Auftakt:
Wie hell schimmert im Mondcsstral die leichtwallende
IVloerflul-,
Vom Hiatus. §07
oder in Musikzeichen deutlicher;
J \ «. d. a^ 9 \ » s e e \ 0. d. e^ a i c. « •
Was die Alten an ionischen Gesä]igen tadelten,
bezog sich hauptsächlich auf ihren Inhal!.
Wenn spätere Grammatiker sie unsangbar fan-
den, so lag dieses an ihrer unpassenden Mes-
sung, die sie zum Vernehmen des ionischen
Rhythmus so wenig kommen Hess, als zum Auf-
fassen der antispastischen und dochmischen
Rhythmen, die noch In ihrem Namen den Be-
weis führen, dass ihr Gesang* den Theoretikern
ein unerforschtes* Geheimniss war.
474.
5. Richtig ist allein der dritte Fall von Her-
mann aui^egehen ( §. 45i.) , dass nämlich am
Ende des Rhythmus ein schliessender langer
Vokal mit dem folgenden anfangenden Vokal
des neuen Rhythmus keinen Hiatus bilde, z.B.:
Schon hallt die Tuba! überall tönt Schlachtgeschrej.
Der Grund ist der schon (467.) angegebene,
weil nämlich der schliessende Vokal in der
Pause z-wischen den Rhythmen Zeit findet, zu
verhallen , imd in der Rede allezeit verhallt seyn
muss, wenn die Stimme mit einem neuen Satz
eintrilt.
Dieser Grund Hegt, wie man sieht, ni<hi
im Rhythmus, sondern in der Rede; denn im
5q8 Allgemeiner Theii.
Rhythmus bildet sich der Hiatus nicht, sondern
hl den arliitulirten Lautei? , Avelche den ilhyth-
mus erscheinen lassen. Hieraus erkennt man
den Irrthum der Metriker, die den Hiatus un-
ter rhythmischen Bedingungen erlaubt, oder un-
erlaubt finden wollen, da er doch beides bloss
unter grammatischen und logischen Bedingun-
gen seyn kann.
Es ist auch mithin falsch, wenn die Metri-
ker im Allgemeinen behaupten, dass am Ende
des Verses der lliatus erlaubt sei. Er ist es
nur, wenn am Ende des Verses ein logischer
Abschnitt, der jene Pause zulässt, Statt findet,
z. B. :
Hell glüht im Purpurlicht Aurora,
Aus jedem Hain ertönt ("■eaang ;
nicht aber, wenn dieser Abschnitt fehlt, z. B.:
als hell im Purpurlicht Aurora
aufstieg.
In der Mitte des Elegiambus (45o) trennen
die Pausen beide Tiieile so bestimmt, dass der
Abschnitt in der Rede nicht übergangen werden
kann; der Hiatus wird daher an dieser Stelle
gar nicht bemerkt , z. B. :
Fervidiore mero arcana promorat loca. Horat.
Eben so entsteht im lambelegus kein Hiatus,
wenn die Cäsur in der Mitte auf das Ende
eines logischen Satzes fallt, üntadelhaft würde
sevn :
Vom H i a l u s. 5og
Uns ruft Walhalla ! Auf in die blutige Schlacht.
Falsch hingegen :
Ihn stösst Walhalla aus von der seligen Lust.
Noch übk^r:
Uns lockt Walhalla an mit der seligen Lust.
Ein anders ist, wenn die Vokale in der Mitte
eines Wortes stchn:
Auf regte Zeus' blauäugige Tochter den Streit.
Denn hier hebt die Einheit des Wortes den
Hiatus auf.
475.
Aus dieser Natur des Hiatus kann man leicht
beurtheik^n, wie unsicher es sei, ihn zum Merk-
mal des Yerscndes zu machen, da Verse, be-
sonders deklamatorischer Gattung und in de-
klamatorischer Verbindung, oft schliessen, ohne
dass der rhythmische Gedanke mit dem logi-
sclien zugleich endet, und da umgekehrt der
Hiatus am Ende des logischen Satzes ( in der
Cäsur) Statt finden kann, ohne dass eben ein
Versende vorhanden seyn muss, z. B.:
Zeus in Gewölkhöhn
donnerte ; unten im Thal rauscht u. s. f.
oder in der langen Thesis :
So
•weissagte Mauto : Untergang droht allem Volk.
Wie unsicher mitliiu und willkürlich die Kriti-
:; 1 1 ) A 1 1 j^ e m e I n e r 'I' li e i l.
ker-J)ei Bestimmung des Vcrsen<]e.s diircli den
Iliatu.s verfulircn, da sie Aveder die dreizeitige
Länge, noeli den flüeLtigoii Daktylus, weder
den Schluss in Hauptraojnentcn { g. J. ), noch
das tripodisehe Versmaas kannten, fällt in die
Augen.
Von der Brechung der Worte am Ende
der Verse.
476.
Der Fall, von, dem wir sprechen, ist dieser:
Gewönlich endet ein Vers mit dem Ende eines
Woi'tes, ja, man slösst sogar an, wenn das
letzte Wort ein bindendes ist, das den Vers
mit dem Folgenden in den genauesten Zusam-
menhang bringt, z. B. :
. . , . doch zu
lange bediiiiket es ihn.
Gleichwol finden wir Verse, deren Ende in die
Mitte eines Wortes fallt, selbst bei Dichtern,
welche den Wohllaut und das Schickliche im
Vers hinlänglich ehren. So hat Voss, der den
sogenannten Asynartetus :
in zwei Theile zerlegt, in seiner Uibersetzung
des Horalius Epod. i5, V. i4. die Trennung:
Verbann' aus unsrcr Brust den miss-
lauijjgon Sorgentumult ,
\ an der Brechung der \Vurte am Ende der Verse. 5ii
und V. 23 :
Kie trägt zum Hause dich die meer-
farbjge Mutter zurück.
Auch im Hexameter:
.... nahte mit düsterem , unhold-
seljgem Blick ,
wlü'de die Brechung mehr der Seltenheit, als
der Härte -wegen auffallen. Lesen wir dagegen:
.... schwingend die Keul' und den Spiess, Zeus'
Sprössling, da kamen, die Braut ver-
langend die Beiden zusammen , und Kypris , die
Reizvolle , sass ,
oder :
Länger siehst du nicht
diesen Mann , — ein gross-
sprechrisches Wort ! — ■wie keinen un-
ter dem Heer Troja je ,
SO wissen ^vir kaum, ob der Dichter nicht bloss
mit uns scherzt, und erst, wenn uns die Filo-
logen versichern, die Alten, als Pindaros. ha-
ben-eben so abgetheilt, z. B. Isthm. I. 21. nach
Hermann :
^ KttGTOQetoi , 1] lola-
ov hu(j(.ioi.tti {.iir i'(.tvcij ,
nehmen wir unser Gefiil gefangen, und verrau-
then eine liefe, uns nur unbekannte und un-
vernclimliclie Schönheit thirin.
iiia Allgemeiner Theil. Von der
477.
Ob die Dichter des Alterllnims hierin so
ganz verschieden von uns gefühlt haben, ist in
neuern Zeiten silbst von Filologen bezweifelt
worden. Voss (Zcitm. S. 243.) war einer der
ersten, die behaupteten, nicht die Dichter, son-
dern die Grammatiker, hätten aus Unkenntniss
der Avahreu Abtheilung die V^erse in der Mitte
des Wortes gebrochen, und ßöckh hat in dem
Versuch einer neuen Abtheilung der pindari-
schen Verse diese Behauptung praktisch ausge-
führt.
So viel ist gewiss: In allen Versen, deren
Maas wir genau kennen, finden sich Brechun-
gen der VV^orte am Versende höchst selten, und
dann kommen sie nur auf eine solche Art vor,
welche die Brechung bloss scheinbar macht, d.
h. , nur zusammengesetzte Worte werden gebro-
chen, und zwar nach der Commissur ihrer Zu-
sammensetung , z. B. :
Quanto cum fastu , quanto molimine circum-
specteraus. Horat.
Mit wie schwellendem Stolz, wie hochehrwürdig wir
ringsum-
her anschaun. Voss.
Die sogenannten Hyrermeter, in welchen dir
letzte öyibe des Verses eiidirt wix'd:
Von der Brechuug der Worte am Ende des Verses. 5i5
Orania Mercurio similis , vocernque coloremqu©
Et ilavos crines, Virgil,
und der Lekannte Homerische:
TQMag anwGaa&ut , -/.ui iQvxffASv evQvoncc Zt]'
V, aviou y.. t. X. ■.
geliöreu niclit lileher. Nur die Schreibart , wel-
che den letzten Buchstaben zu dem folgenden
Verse rechnen will, gibt den Schein einer Bre-
chung.
In saffischen Oden scheint eine andre Art
Brechung vorzukommen :
nvxva diviovni an (üquv ai&e-
^og dea (xeOGOi , Sappho.
Labitur ripa, love non probante , u-
lorius amnis. Horat.
Siegs/jesang umher , und des freiqn Volks ver*
götternder Zuruf,
die auf die Zusammensetzung der Worte keine
Rücksicht nimmt, und daher selbst einfache
Worte trennt. Allein Andre haben schon be-
merkt, dass diese Brechung nur zwischen dem
dritten Vers der Strofe und dem angeliängtcn
Adoniker vorkomme. Hierauf gründet sich die
Vei-mulhung, dass der Adonius mit dem vor-
hergehenden Saffischen \ersc enger verbunden
sei, als die di-ei Saffischen Verse unter sich.
Und so ist es auch in der That, wie bei Mes-
sung der Saffischen Strofe nachgewiesen werden
wird.
35
i)l4 Ail^'^uiciue t 1 heil.
4-9.
Nur in unbekannten Versarten , namentlich
In denen der chorischen Strofen bei den Dra-
matikern, und hti PIndaros, finden wir Bre-
chungen der \ er.se. Unbekannt dürfen wir diese
Versarten wol unbedenklich nennen, da fast je-
der Kritiker sie anders abtheilt, was unmöglich
seyn würde, war' ihr Rhythmus bekannt und
unzweifelhaft. Hieraus und aus der Analogie
der bekannten Versarten sollte man wol schlies-
sen dürfen, dass die Dichter dasselbe Gesetz
befolgt hätten, wie bei bekannten Versarten, dass
aber die Verse von den Grammatikern nicht als
Vei'se vernommen , sondern nach einem ganz
fremdartigen Priacip abgetheilt worden wären,
gleichsam als wollte ein Ünmusiker, der keine
dreifache Theilung kennt , und von Pausen
nichts weis, den bekannten Menuettrhythmus:
=^^M
- . p _> ' rf .^^
> .'.J-nJ 1 ' 1 M
so abtheilen :
^.3=:
und metrisch als zwei Verse:
_ ^ «« 1 I*. W — N.« I
M« <*« «^ «.« I — —
bezeichnen. In dieser Art ist z. B. Hermanns
Theilung des ionischen Tctrametcr .
Von der Brechung der Worte am Lnde des Verses. 5i5
J .N. I J.J jN j'.'^jN .^ 1 J.
'^' i/ /
in folgende Stücke:
iari fiot nlovros fxeya doQV
- w I -
oder nach seiner Angabe des Rhythmus:
— <«> — -- I — «^w**«.»
4 - CTi fitoi nXovTog fifya do^v
— s.. — '•*'
Xttt ii(fog,
WO möglich noch schlimmer zerrissen, als jeuer
Menuetrhythmus. Erinnert man sich zugleich,
dass diese Versabtheiler bloss zweizeilige Län-
gen kannten, dass sie die prosodische Quanti-
tät der unljestlmmten Sylbe mit dem metrischen
Maas (Neuere oft auch dieses mit jener) ver-
wechselten, so kann man im Voraus weit eher
unrichtige, als richtige Abtheilungen von \ersen
erwarten , die nicht durch regelmässige Wieder-
kehr, gleich den bekannten Vei'sarten, ihi-c Mes-
sung liefer und bestimmter einprägten. Was
blieb also d>sen Theoretikern übrig, als die
unbekannten Sylbenreilien mit bekannten Kliylh-
nien zu vergleichen, und so, besonders in an-
tisirofischen Gedichten, wo die Verse sich ent-
öi(i Allgonieiuer i'heii.
6prechen sollten, zuweilen Anfang und Ende
eines Verses in die Mille des Woi'tes zu le<j,en'i
Dass dieses geschehen sei, lehrt jeder Blick in
irgend eine Ausgabe der Dramatiker oder, des
Pindaros.
48o.
Nach Voss 's Meinung (Zeitm. S. 245), der
auch Bock h *) beistimmt , haben die Verse in
den Strofen der Chöre eben so wenig Wort-
brechungen, als die in lyrischen Strofen. Man
soll nämlich die Verse in der Strofe betrachten
als grosse, wied«;rum aus kleinem Versgelenken
bestehende Glieder, welche sich antistrofisch
bloss im Ganzen entsprechen, wie etwa zwei
Hexameter, nicht aber in den einzelnen kleinem
Gliedern, die sich auch in den Hexametern
niclit entsprechen, z. B. :
Malo me Galatea potit, lasciva puella,
et fugit ad salices, et se cupit ante videri.' Virgil,
sind beides Hexameter, aber jeder ist im Ein-
zelnen anders gegliedert , als der andre. So fasst
auch Böckh in Einen Vers zusammen:
^^^aei' otxTj-GzTjoct Barrov xagnoqo^ou yJißvug UquVj
Mit dem Zwillington des Waldhorns wcrhselte frölicher
Dopptlj^oaang,
* ) Uiber dif? Vernmaasse des Pinilaros. Im Museum dar
Alterth. Witsenschaft. II. Band. 2. Stck.
Von der Brechung der Wonn am Kndc des Verses. aiy
was die Ausgaben (Pyth. 4, v. lo. ii) in zwei
Vei"se iheilen, und vermeidet dadurch die Bre-
climig in der Gegenstrofe:
cpafii yaQ ru^d ti, v.'f.tTTluy-
UTOv nore yuq 'ünuqolo aogav ,
Als vom Tlial laut scholl Triumfaus-
ruf in des Sclilachtcngesaiigs Melodie ,
indem beide \ erse nun einen einzigen Telra»-
meter mit beweglicher Cäsur bilden. Allerdings
kommen durch dieses \ erfahren zuweilen etwas
kolossale Verse zum Vorschein, z. B.:
^ \ä d m 0 \0 » t 3 • \mB*ä0\0»dä^ \*.0.tr» \e.J^0 «
c^ltiag yfy()C(7TTori. ylvy.v yao avTM /iFlog 6qfi?.o)v inc-
Xi).ud-\ (a 3Ioia, a.).).o gv y.cct dvyavTjo.
Herbei zum Siegsmahl, wo der Pokal schänrot, und mit dem
Kriegshall in den Gesang laut einstürmt der Posaune
Gewalt.
Ferner :
£i).{t' Kuoi'tt (pdtfuvov no).vdfV'/.rig KcirroQog sv ito-
Eitler Schüiulierrtchaft Diadem und der Drangsal glänzen-
des Schmachmonument ,
oder noch liingin*:
5i5 Aligemciiicr Theil.
Gtc'ixfv eviTVTiov (jaddi^t KvQuvag o(fQtt noi^iu^ovii ovv
Als im Schicksal vollen gewalligen Welticampf siegesfroh
hcrstürnito die mutige Schaar,
die , wie Bock h selbst meiut , in ihrer Lange
sogar lächerlich scheinen könnten, wenn man
Vtrgisst, dass ihre Länge allein aus der Auffüh-
rung zu einem grossen Tanz erklärlich sei.
48i.
Es ist hier der Ort noch nicht, über diese
Vci-skolosse etwas zu bestimmen. Allerdings
müssen einige von ihnen befremden, nicht so-
vvol durch ihre Lange, als durch den Wider-
streit des logischen Abschnittes mit dem rhyth-
mischen, selbst in solchen Stellen, wo man
AVcgou der hervortönenden lyrischen Antithese
eine Uibereinstimraujig der logischen und me-
trisch-rhythmischen Cäsur erwarten sollte. Dies
'i?t. um einen bekannten Vers zum Beispiel zu
nelimcn, im trochäischen Telrameter der Fall,
der bei Pindaros, ohne die gewönliche Cäsur
in der Mitte, vorkommt:
JubelvoU anhub geläutdurchhallt des firaiilz'.igs Fest-
gesang.
iMan soll freilich durch den Mangel der tren-
Von der Bi-ecliung der Worte am Ende des Verses, iig
nendeiiCäsur gleichsam gezwungen werden, den
Vers als ein ungelheilles kolossales Ganzes zu
vernehmen; allein das Wesen eines Dinges lässt
sich nicht wegkünstein, und so tönt immer die
lyrische Cäsur als ein rliythmisches Postulat
durch, dem der cäsurlose Tetrameter nicht ge-
nügt." Oder wollte man behaupten , statt jener
lyrischen Cäsur sollten hier die drei rhythmi-
schen Glieder:
^.z — -— — «^ w^
dnrchkllngen , so scheint dtr Charakter des Te-
irameters gestört, der sich, wie alle zweige-
theilte Verse, mehr zu dem Lyrischen neigt.
Die dreigetheilten, z. B. der Trimetcr, haben
mehr deklamatorische Natur«
482.
Viele jener Verskolossen lösen sicli anch bei
genauer ßeirachlung in bekannte Formen auf,
die nur deswegen bei dem ersten Anblick be-
fremden, weil ihr Maas (die metrische Periode)
nicht das gewönlichc monopodische, oder di-
podische, sondern das längere tripodische ist.
Dies ist der Fall bei dem oben angeführten Vers:
520 Allgemeiner TJi e i 1.
orufifv ivmnou ßaaiXrji KvQuvug oqiQa y.ojftct^ovit ovv
^(jy.ifFlAU ,
der ein ti'ipüdischcr Tetrameter ist, aber mit
der Cäsur wechselt, so dass der zweite Theil
des Verses zuweilen einen Auftakt bekommt:
yv(x){^i vvv TV.V Oidmodci aoq^iav. fl yuQ rig o^ovg o|ü-
To/nco Tit^emi:
Goldner Lichtstral frohes , ersehnetcs Tags , wie bald um-
zog dich feindlicher Stürme Gewölk!
Durch das rechte Maas der Verse verwandeln
sicli also viele, die von Böckh zu den zusam-
mengesetzten B-hythmen gezält werden , in ein-
fache, durch gleiche metrische Perioden zu
messende \erse, und vielleicht gelingt es einer
künftigen Untersuchung, durch gehörige Mes-
sung auch in den noch fremdartig scheinenden
Vei'sen Variationen der, allgemeinen rhythmi-
schen und metrischen Formen aufzufinden.
Denn , was man auch von Pindaros höher re-
gelloser Schönheit rühme, sollen es nicht leere
tönende Worte seyn, mit welchen man Uner-
fahrne blendet, aber Unterrichtete nicht täuscht^
so zeige man doch nur erst diese erhabenen
Khythmen in ihrer regellosen Schönheit, jedoch
ganz bestimmt und verstandlich auf. Aber son-
derbar genug stimmen alle Kritiker im Lobe der
Pindarischcn Rhythmen überein, während sie
Von der Brechung der Worte am Ende des Verses. 621
Über uichts uneiniger sind, als eben über diese
Fibythmen selbst, die einer so, ein andrer an-
ders zusammensetzt, emendirt und ordnet. Wo
bleibt aber Pindaros unter allen Pindarisken?
„Der geniale Dicbter — sagt sein vorzüglicher
Bearbeiter Bö ckh — scbmiegte sieb natürlicb
Tiiclit in vorgeschriebene Formen, da ihm bei
der grossen IMenge von rhythmischen Möglich-
keiten überall die Bahn offen war; aber gewiss
hielt er sich an die festgesetzten Regeln der
rhythmischen Bildung, welche, nach dem Vor-
gang vieler Musiker und Lyriker, ohne Zweifel
eben so bestimmt wai-en, als heut zu Tage viele
Gesetze der musikalischen Komposition."
483.
Aus dem Gesagten erhellt, dass Brechungen
der Worte am Ende der Verse nicht anders,
als in der Kommissur zusammengesetzter Worte
Statt finden können.
Ob Brechungen der Worte in der Kommis-
sur der Asynarteten Statt haben, ist eine un-
nütze Fi'age , da es keine Asynarteten im ge-
wönlichen Sinne gibt. Will man \evse, deren
Hhyihmus bestimmte , besonders lyrische Cäsur
hat, so nennen, so wird durch die Brechung
der Worte in der Kommissur der Khythuius
nicht gestört, z. B.:
Als um Mitteruacht die icliicksal-volle Kriegsarbeit begann.
52» Allgemoiner Theii.
Ausser der Kommissur gebrochene Worte hin-
gegen stüi'en die Cäsur, besonders da gewön-
lich alsdann ein andrer rhythmischer Charakter,
sogar ohne Brechung, bloss dui-ch den verän-
derten Einschnitt entsteht , z. B. :
— «»> »irf I — w/— ?«^ ( — ^< — .^ I .«»^_
Oedes Felseiland im Meer , vom wilden Raubthier nur
bewohnt.
Ein solcher Vers bleibt zwar metrisch ein tro-
chäisclier Tetrameter, rhythmisch genommen
aber ist er von dem lyrisch gelheilten Tetrame-
ter ganz unterschieden.
Wenn ein Vers unvollzälig ist, und also mit
Pausen schliesst, so findet am Schlüsse nicht
einmal die Brechung in der Kommissur deis
Wortes Statt, z. B. im cpionischen Vers:
Er trotzt unheiliger Herrschaft und beugt sich nimmer
dem Schick-
sal, u. s, w.
Dasselbe gilt von der Casiir eines Verses, nach
welcher eine Pause eintritt , z. B. in folgendem :
Fröllcher tönet der Jagd-gesang zu muntrer Hönier
Schall,
Denn ein solcher Vers ist seiner Natur nach
nicht Ein (janzes, sondern Zwei.
Vou der Brechajig der Worte am Ende des Verses. 525
Der ersleu Haifte des elegisclien Yerses folgt
keine Pause. Duldet man am Hexameterscliluss
die Wortbreclnmg in der Kommissur, so ist
kein, Grund, sie hier zu tadeln, z.B. bei Kal-
limaclius:
iiQa vvv de Jiog- KovQidita yevef]^
und Voss:
Sauk ein dunkeles Sühn-opfer in heiterer Nacht,
Vucli hier aber haben die Metriker (vergl. Her-
mann'« Metrik §. 2.^9 bis 245) eine Menge Vor-
schriften erdacht , die nichts sind , als Resultate
einseitiger willkürlicher Theorien, und vom völ-
ligen Mangel eines richtigen Gehörs bei ihren
Erfindern zeugen. Lixsst sich z. B. wol etwas
widersinnigeres denken, als der getheilte fünfte
Fuss im sogenannten Pentameter, von dem je-
der Abschnitt eine Hälfte haben soll,
nm fünf Füsse zu zälen? Gleichwol ist diese
Messung noch immer die übliche.
484.
Einen indirekten Beweis gegen die Zulässig-
keit solcher Brechungen gibt ilir Gebrauch zu
Bewirkung des Komischen, Man kennt den
Vossischen Vers,
Gesättigt reicht dem Herrn PiJtori
sein Glas der dicke Konsistmi-
iilralli ,
t
^2* Allgemeiner Theil.
und, um den Einfluss des Picims zu entfernen,
Klopstock's :
Lebe die KlubbergmunizipalgüIIotinoligokra-
tierepublit!
in dena Gedicht: dns Neue, wo der wilde Hu-
mor des Dichters den' Meropsfluf; nicht in die-
ser einzigen Stelle nimmt, desgleichen das Ai'i-
stofanische :
l.onadora(itt)^oaf}.ayoyvl(o~
i(^avio?.en{iut'odoif.tu7iüT(jiiffjiaTO-
■ü ikq io:'M<Juoi.i^li r'iy.uTuy.f yv nivO"
xi,y/,ke7tiv.0Gf)vq:0Tifi)iOTe(ja-
kfy,TQvovomfK&a>u/.)uoviyy.kon£-
K(io\ay(x)OGiQaioßa(f.i}r(juyuvomiQvy(av.
Nicht aber bloss das anschauliche Ausdehnen
des Wortes macht den konischen Eilekt, son-
dern zngleich das Aufheben des gefühlten Ge-
setzes, dass der Vers ein Ganzes seyn soll. Die-
ses deutet auf eine Unbehülflichkeit des Dich-
ters, dem die Sprache durchzugehen scheint,
während er den Vers zu halten bemüht ist. Der
komische ElFckt ist daher allezeit um so stäi'-
ker, je mehr die Leichtigkeit, Sprache und Vers
vereint gehen zu lassen , in die Augen leuchtet.
Denn so erscheint jene Unbehülflichkeit als ein
freier Scherz des Dichters, Avie eine dümmliche
Maske vor einem geistreichen Gesicht. Manche
Verse der alten Komiker möchten wol ei.st von
dieser Seite ihren wahren meti'ischen Sinn zei-
Sfcn könnfu, besonders w^nn man berücksich-
Von der Brechung der Worte am Ende des Verses. 525
tJgt, wie gern die Komiker parodirlen und pa-
i'odirend persifilirteu. Aehnlichen Effekt maclit
schon das Aufheben der Wortti'eunuug, indem
mehre für «ich hcstehende Worte zu Einem
kolossalen Wort verbunden werden, ohne dass
sie, wie jener aristofanische vielzeilige Wort-
riese, die Gränze des Yersendes überschreiten,
z. B. :
Gcc}>7TtyyoXoy'^vn7]i^adat , acx^xttGf.i07nTvo)(ccf.i7iT(i(i ,
A r i s t o f ,
oder:
Giftwütlirichfallkrautwolilverleidürrblätterstaub,
WO ein Wort den ganzen Trimetcr erfüllt. Et-
was ahnliches ist das aristofanische :
— ijvj — — <jO — VU
tj yj — ^ U —' I <-ii.)-Uv>>— I Uü-^<-'w — I UU
Gi(VTr,g ßulavTjg dkqcruftoißoi TO^pevTCtG7TidoXv^on7]yot
Hochreichsf'relherrlicher Bibliothekar, auch Titulareduka—
lionsrath ,
WO die Wortfüsse im aristofanischen Yers fast
wie im rh opalischen Hexameter wachsen.
In modernen Versen ist etwas ähnliches die
Vermeidung des Reimes, wo er sich von selbst
zudrängt. Beispiele sind aus Shakespeare und
alten Volksbüchern bekannt.
485.
Hermann hat sehr umständlich in seinem
Handbuclie der Metrik von der Brechung der
Worle gehandelt. Allein da wir die Brechun-
jea ausser der Kommissur der Worte, über-
426 Allgemeiner Theil.
liaupt für unstatthaft ansehen, so war' es uu-
iiöthig, das Einzchie in den Erläuterungen je-
nes Metrikei's besonders zu widerlegen. Eben
so wenig kann hier von dem bekannten Streite
die Rede seyn, ob Ahlwardt, oder Böckh.
der erste war, welcher die Unschicklichkeit der
Wortbrechungen einsah, und eine Abtheilung
alter lyrischer Gedichte ohne Brechungen ver-
suchte. Mehr als , alles andre muss doch der
Gesang einer Yersgattung über das Ende der
Verse entscheiden. Wie kann man also über
Eintheilung eines Gedichts in Verse sprechen,
so lang der Gesang der Verse nicht vollkommen
entschieden ist? Das oben (276) rhythmisch re-
stituirte Skolion zeigt, dass weder Wort- noch
Sinn -Brechungen darin Statt finden, wie in
den gewönlichen Abtheilungen, und dass die-
selbe Versgattung, jedoch in vielfachem Wech-
sel rhythmischer Bewegung, vpn Anfang bis
zum Ende durchgeht.
Metrische und rhythmische Eintheilung
der Verse.
486.
Das Metrum und der Rhythmus gibt einen
doppelten Eintheilunggrund der Verse. In An-
sehung des Metrum gehören sie niimlich entwe-
der dem geraden, oder dem ungeraden Metrum an,
^Metrische iind rliythmlsciie üintheilur.g der Verse. Saj
tmd die ersten wiederum entwedei' dem spondei-
scben, oder dem gemischten, die Ictztei-n aber
dem schweren, oder leichten dreizeitigen Metrum.
487.
Der Rhythmus bewirkt in zweierlei Hinsicht
Verschiedenheit unter den Versen, nämlich in
Ansehung der Bewegung und in Ansehung der
Form.
Der Bewegung nach sind die Verse durch
die metrische Form, oder Periode bestimmt und
bestimmen sich als daktylische, ionische, cho-
riambische u. s. w.
Der Form nach sind sie verschieden , je nach-
dem sie im Nicdertakl, oder Auftakt anfangen,
und auf diesem, oder jenem Moment der Perio-
de schliessen, und mehr, oder weniger Perioden
erfüllen.
488.
Eine vollständige Eintheilung der Versarten
hat auf alle diese Verschiedenheiten Kiicksicht
zu nehmen. Wir werden daher die verschie-
denen Versgattungen in folgender Ordnung ab-
handeln :
I. Verse des geraden Metrum, welches zwei
Hauptmomenle enthUlt. Diese sind:
1. Verse des spondeischen Metrum, in
>Yclchem sich jedes liauptmoment in zwei
iiU^ Allgemeindr Theil.
Momente zweiter Ordnung zerlegt; die
Zerlegung geschehe iibrigens reell, oder
ideell. Diese sind wiederum :
a. daktylische Verse, wenn sieimKie-
dertakt anfangen. Diese begreifen die
spondeischeu und proceleusmatischen
unter sich.
h. Anapästische Verse, wenn sie im
Auftakt anfangen.
2. Verse des gemischten Metrum, in wel-
chem jedes der beiden Hauptmomenie sich,
reel oder ideel , in drei Momente zweiter
Ordnung zerlegt. Diese sind, der rhyth-
mischen Bewegung, und form des Anfangs
nach:
a. flüchtig daktylische, nebst den
äolischen und logaödischen,
h. trochäisch c,
c. iambische,
cZ. choriambische,
e. flüchtig anapästischc,
f. ionische,
g. antispastische,
7i. bacchische mit Inbegriff der ersten
päonischen Gattung ( - w u u )
i. palimbacchische,
Ji. kretische, mit Inbegriff der zwei-
ten päonischen Gattung (vierter
Päon J""^ «j - )
Metrische und rhythmische Eintheilung der Verse. 629
In einem vollstündigen System der Metrik
war' es allerdings zweckmässiger, diese verschie-
denen Benennungen der Verse des gemischten
Metrum ganz zu verwerfen, und die trochäi-
schen und iambischen Verse als Grundformen,
die andern aber als Variationen derselben zu
betrachten. Denn es muss befremden, wenn
z. B. unter ionischen Versen Verse aufgeführt
werden, in welchen auch nicht Ein ionischer
Fuss vorkommt:
J«W«. •"« \0»e-\*B«ee \ s. m 7
J«JW — Ov) I -U- I UUU — «-z I — —
im Diadem der Vergötterung sich zum Olymp erhebend,
der ihnen doch den Namen geben soll. (Denn
im Doppeliambus , 0 ^n) ^ilft, wird kein Wohl-
hörender mit Hermann die ionische Form er-
kennen.) Allein die nothwendige Rücksicht auf
bestehende Ansichten macht die Beibehaltung
jener Benennungen unentbehrlich, und so müssen
jetzt noch manche Versgattungen unter den her-
gebrachten Namen abgehandelt Averden , wicwol
die gleichnamige Form oft weder vorwaltender,
noch cluiarakterisirendtT Bestandtheil solcher Verse
ist. Indessen wird jede Versgaltung immer mit
Rücksicht auf ihr Grundschema und ihre Va-
riationen abgehandelt werden.
Die Form des Vex-sendes und die Zal der
:>+
53ü Allgemeiner Theil.
Perioden macht den JE iniheil ungsgrund der Ver-
se in jeder einzelnen Klasse, nach der früher
(218 IF.) gegebenen Eintheilung der rhythmischen
Schlüsse.
II. \ erse des ungeraden Metrum, welches drei
liauptmomente enlhält, sind:
1. Verse der schweren Gattung, diese sind:
a. molossische, welche jedes der drei
Hauptmomente in zwei Theile zerfallen ,
h. tripodische, oder molossisch-trochä-
ische Verse , in welchen jedes der drei
Hauptmomente in drei Momente zweiter
Ordnung zerfällt.
2. Verse der leichten Gattung. Diese sind:
a. päonische Verse der dritten Art
( - o vj v-r ) oder parapäonische,
die durch Zerfäiiung der Momente ent-
steha ,
&. m o n o p o d i s c h - 1 r o c h ä i s c h e Verse,
in welchen die Momente nicht zerlegt
werden.
Wie wir bei den spondeisclien Versen von der
ersten rhythmischen Urform jL _ oder d a aus-
gingen, so beschliessen wir in den monotro-
chäischen Versen mit der zweiten rhythmischen
Urform - o • Denken wir uns den Cyclus al-
ler Versgattungen, so sehn wir, dass zwischen
diesen beiden Extremen auf der einen Seite des
Kreises die ganze Pieilie der q uan litirendeu
Schlussbemerfcung. 55i
von uns aufgezälten Versgattungen liegt. Auf
der entgegengesetzten Seite liegt zwischen den-
selben Extremen die Reihe der a c c e n t i r t e u
Verse , die sich im spondeischen und mono-
trochaischen Metrum an beide Extreme quanti-
tirender Verse anschliessen. Diese accentiren-
den Gattungen werden den zweiten Theil der
besondern Metrik ausmachen.
489.
Wenn Hermann alle einfachen Verse in
trochäische, daktylische und päonische theilt,
so ruht vielleicht die Idee dieser Einlheilung
auf dem ysvog laov , dcnlaaiov und ijf.uohov, nur
dass Hermann mit dem ysvog dtnXaaiov in den
Trochäen anfängt. Wie unvollkommen indes-
sen diese Ansicht sey, fällt in die Augen; die
anlispastischen Verse z. B. werden zu den Iro-
chäischen gezält, während die sinkend ioni-
schen, die doch jenen, den Auftakt ausgenom-
men, ganz gleich sind, unter den daktylischen
genannt werden. Es sei auch hinlänglich diese
Abtheilung, die sehr empirisch für eine aprio"
tische Theorie klingt, nur angeführt zu haben.
S c h 1 u 5 s b e m c r k 11 n o'.
490.
Werfen wir zum Schluss noch einen Blick
auf das Ganze der vorstehenden üntersuchuu-
i'j'i A 1 1 g c 111 e 1 1. c i ilieil.
gfu, SO iindeii Avir folgende Salze bewiesen uud
als Haupisälze unsrer Theorie aufgestellt:
Die lUiylhmen der alten Musik und der al-
len Verse sind von den llhythmen der neuen
Musik im Wesentlichen durchaus nicht verschie -
den. Sie haben ganz auf dieselbe Art, wie un-
sre jMusikrhythmen, einen bestimmten Takt,
nach welchem sie vernommen und getnesscn
werden.
Der Grund, warum der Takt in der alten
Musik und in den alten \ersen von den Me-
trikern bezweifelt woixlen ist, liegt bloss in der
verfeldten IMessung der Rhythmen. Verfehlt
Wtirde sie dadurch, dass man alle Längen ohne
ünlerschied mit demselben Zeichen (-) und
ebenfalls alle Kürzen mit demselben Zeichen
(u) bezeichnete, und nun den >\illkürlichen
Satz aufstellte: jede Lange sey dem Maasse
zweier Kürzen gleich. Man wende diese Be-
handlungsart auf unsre, unbezweifelt taktmässige
Melodien an, und man wird Sie zu derselben
Taktlosigkeit umgestalten, wie es mit den anti-
ken geschehen ist.
Das Mittel , den wahren Gesang der alten
Pihythmen zu erkennen und wiedei*herzustellen ,
ist die Aufhebung jener einseitigen Art zu mes-
sen. Man verlasse die unbestimmte, vieldeutige
metrische Bezeichnung und bediene sich der be-
stimmten Musikzeichen, wo man nicht mit dem
i G li 1 u s s b e ra e r k u u g. 553
allgemeinen BegrifF der Länge ausreiclit, son-
dern das bestimmte, sehr verschiedeue Maass
der Länge ( J. j ,. und ,1^ ) bezeichnen muss.
V
Nur in solchen bestimmten Zeichen kann man
die ^vahre Bewegung der Rhythmen unzweideu-
tig vernehmen und Anderen deutlich machen.
Uibrigens überzeuge man ^ich aus der Natur
des Rhythmus, dass alle diese verschiedeneu
Gattungen der Länge und der Kürze nicht eine
willkürliche Annahme unsrer Theorie seyen, son-
dern eine, in dem Wesen des R.hythmus selbst
begründete Sache, dahingegen die Behauptung
der Metriker: jede Länge sei zweizeitig und jede
Kürze einzeitig, ein dem Wesen des E.hythmus
widerstreitender Ausspruch derWilikührist, für
dessen Gültigkeit auch nicht der Schatten eines
Beweises von den Metrikern beigebracht wor-
den ist.
Wie unsicher und inkonsequent die Metri-
ker in ihren Messungen verfahren , und zu wel-
chen Widersprüchen sie durch ihre bloss zwei-
zeitige Länge gezwangen werden, mag noch fol-
gendes Beispiel zeigen.
Hermann hatte in seiner Metrik behauptet;
die Thcsis könne zwar im Maasse der Arsis
gleich seyn, auch kleiner, aber durchaus nicht
grösser , weil die Wirkung ( §. 42) niemals gros-
554 ' Allgemeiner Thcil.
ser seyu könne, als die Ursache. Aufmerksam
gemacht , dass auf diese AjL't der Päon ( - u u u),
dessen Arsis nur zwei, die Thesis aber drei
Zeiten habe, jener Theorie widerspreche, er-
klärt er seinen Satz auf eine Art, die man kaum
glaublich finden würde, las' man sie nicht in
seinem Briefe an Böckh (Mus. der Alterth.
Wiss. Bd. II, St. 2. S. 556). „Nie hab' ich —
schreibt der Metriker — behauptet , noch konnte
ich behaupten, dass Alles, was die Thesis aus-
macht, der Arsis gleich seyn müsste. Dann
müsste ja z. B. in diesem Verse von Klopstock:
Nieder zu dem Haine der Barden senkt,
bloss der zAveite Fuss ein richtiges Maas haben;
im ersten aber die Länge dreien Kürzen, im
dritten eine Kürze der Länge gleich seyn. Ich
habe, wie Sie aus §. 42 ff. der Metrik sehen
können, bloss behauptet, die Arsis könne kein
kleineres Maas haben, als jede einzelne
Sylbe der Thesis hat, wol aber ein länge-
res. Daher ist derTribrachys ein eben so rich-
tiger Rhythmus , als ^ w u u u u , wo die Arsi«
nur o w gilt."
Durch diese Erklärung fällt unbezweifelt das
ganze Gebäude der Hermannischen Metrik zu
Boden. Abgerechnet das Widersinnige, dass
nicht die ganze Thesis, sondern nur jede Sylbe
derselben, als Bewirktes von der Arsis, kein
Schlussbemerkung. i3S
grösseres Maas haben dürfe als diese (wodurch
der empirische BegrilF Sylbe auf einmal in das
formal aprioi-ische Gesetz des Rhythmus gezo-
gen wird) , so Avird ja durch jene Erläuterung
durchaus jede mögliche Reihe von La'ig uiid
Kurz, zum untadelhaften Rhythmus 5 denn wie
sollte man denn auch, wenn man die Sylben
durch des Loos ordnete, gegen jenes Gesetz feh-
len können, da es unmöglich ist, wenn man
mit der Länge als Arsis anfängt, eine thetische
Sylbe zu finden, die ein grösseres Maas hätte
als die lange Arsis ? Zu was denn nun also
die Ankündigung und Aufstellung eines Ge-
setzes, das der frivolsten Wilikühr, ja selbst dem
gesetzwidrigen Vorsatz freies Spiel lassen muss ?
Zu was die Aufstellung eines kritischen Grund-
satzes, der nie Anwendung finden kann, weil
das, was er verbietet, absolut unmöglich ist?
Zu solchen Hülfsmitteln muss sich die Ilerman-
nische Theorie flüchten! Hat wol je einer der
so oft gescholtenen Grammatiker, oder irgend
ein andrer Melriker, auf diesen Gipfel der Un-
"wissenschafilichkeit sich verirrt?
An sich ist die Sache sehr leicht zu erklä-
ren. Der Satz: keine Thesis kann grösseres
Maas haben, als ihre Arsis, ist a priori voll-
kommen richtig und bewährt sich in jedem
empirischen Rhythmus, wenn man nur die Zer-
fällung der Momente beobachtet:
Jj36 Allgemeiner Theil.
Arsis. Thesis.
Spondeus.
J I J
- I o u u Päon.
J, I .f' / j-^
— u
Bacchius.
J. I J /
- I - u w loniku«.
J. 1 j: Ji ."
Uiberall ist die Thesis der Arsis im Maasse gleich
mid so zeigt sich wieder in jedem denkbaren
Rhythmus die Richtigkeit der angegebenen Theo-
rie, und die nolhweudige Gleichheit des arsischen
und thetischenMaasses postulirt ^viede^ die drei-
zeitige Länge, welche wir aus der Natur de«
Rhythmus abgeleitet haben.
Das kürzere Maas der Thesis:
— o
ist aus dem Obigen ebenfalls klar.
492.
Vergleicht man nun die Begeisterung, mit
welcher unsre Metriker von der ganz über-
schwenglichen Schönheit der alten Rhythmen
sprechen, mit der Ungewissheit, in der sie
selbst über den wahren Gesang jener alten Rhyth-
men schweben, indem fast jeder Melriker sie
anders vernimmt und ordnet , so trifft man woi
Schlussbemerkung. 537
das Wahre, wenn man Aermutliet, die Metriker
haben niemals einen antiken Rhythmus (mit
A-usnahme der bekanntesten ) wirklich vernom-
men, sondern sprechen jene Begeisterung nur
den Schriftstellern des Alterlhums auf Treu und
Glauben nach. Betrachtet man nun über dieses
noch die Missforraen, welche die Metriker für
antike Rhythmen ausgeben und als solche be-
wundern , und bemerkt man , wie diese Missfor-
men aus dem Zerreissen verkannter Rhythmen
entstehn, so muss jene Vermuthung zur Ge-
wissheit werden. Man sollte nun glauben , der
wahren Begeisterung für das Schöne müssten
Aufschlüsse über die Natur des Verkannten will-
kommen seyn, gleichwol lehrt die Erfahrung,
dass die Metriker, der aufgezeigten wahren
rhythmischen Formen ungeachtet, bei ihren
rhythmuswidrigen Ansichten beharren.
Dieses Festhalten der Metriker bei ihrer
Messung und die Beharrlichkeit, mit welcher
sie der für den Gesang zweckmässigeren Mes-
sung widerstreben , würde fast unbegreiflich
seyn, wenn man nicht wüsste, wie imgern die
Bewunderung von einem, Gegenstand ablässt,
dem sie nicht aus Anerkennung der Wahrheit
beipflichtet, sondern im glaubenden Erstaunen
huldiget. Man ist gewohnt . die Rhythmen der
538 Allgemeiner Theil.
alten Musik und Poesie in einem Glanz uner-
reicbbarer VortrefFliclikeit zu denken, und diese
nicht unangenehme Illusion wird durch die man-
gelhafte Kenntniss von ihrem wahren Gesang
am sichersten unterhalten. Zeigt nun eine he-
stimmte Messung das wahre Wesen jener Rhyth-
men, und dass sie keine andern waren, als
solche, die unsre Musik uns langst hat hören
lassen, so verschwindet jenes bewunderte Schat-
tenbild, und die Fantasie scheint zu verarmen,
indem der Verstand ihre Alcinous Gärten zu
gewönlichen Blumenstückeu und Lusthainen ver-
arbeitet. Der Bewundrer der alten Rhythmen
zieht deswegen jede Erklärung, die ihm das
Verstehn jener Rhythmen schwer, ja wo mög-
lich unmöglich macht, einer solchen vor, die
ihm den Ausruf: weiter nichts ? ! abnöthigen
könnte, weil er sieht, dass er mit der bewun-
derten Schönheit längst Bekanntschaft halte,
ohne sein Glück zu kennen. Aber, wenn man
auch in der Dichtung gern den Marmorfelsen
zusehn mag, die sich nach der Musik glätten,
formen, und zum Wunderpaiiast zusammenfü-
gen, so wird doch ein wirklicher Baumeister
den Kopf schütteln und sich mit dem Bau nicht
befassen wollen, verspricht man ihm nicht ne-
ben dem Musikus noch die nöthigen Werkleute.
So kann man auch wol mit dem Dichter sich
gern an den Wundern der alten unbegreiflichen
Schlussbemcr kun g. 559
Musik crfi'cuen, und dennocli den Kopf schüt-
teln, wenn der Metriker uns die Sache erklä-
ren will, und Mittel augieht, wodurch ein Con-
cert entsteht, das uns andere Empfindungen ge-
währen würde, als die, um welche wir die
griechischen Zuhörer der Vorzeit beneiden.
Hierzu kommt, dass vorzüglich Hermann
seine Metrik mit dem Glanz seiner Gelehrsam-
keit ausgeschmückt, und zugleich Kennern und
Nichtkennern , durch den Schein der bis zur
Trockenheit strengen wissenschaftlichen Form
so imponirt hatte, dass man kaum wagte, hin-
ter so ernsten Umgeh migen das unhaltbare Fan-
tasma zu vermuthen, welches dieses tJieoreti-
sche Labirinth bewohnt. Uiber dieses hat die
Hermannische Metrik schon so viel Einfluss auf
die Veränderung der Lesarten in den Dichtern
des Alterthums gehabt, dass mit dem Fall die-
ser Theorie nothwendig auch die mühvolicn und
ernsten Bestrebungen vieler Kritiker als ver-
fehlte Versuche erscheinen müssen. Hieraus er-
klärt es sich, warum die Metriker die Untersu-
chungen über den Rhythmus in das Gebiet der
Filologic zu ziehen suchen, da es doch offenbar
ist, und der leichtesten Betrachtung einleuch-
tend, dass die Filologie zwar in Ansehung der
Kritik durch metrische Untersuchungen gewin-
nen kann; dass aber diese Untersuchungen selbst
weder in das Gebiet der Filologie gehören , noch
5i6 Allgemeiner Theil. SchlussbemeiKuuj,.
unter Einwirkung filologisclier Rücksichten ge-
führt werden dürfen.
Unter diesen Verhähnissen darf es uns nicht
befremden , wenn unsre Theorie bei den Metri-
kern der Schule keinen Beifall, sondern bloss
heftigen, aber gehaltlosen Widerspruch findet.
Unbefangene Prüfung hingegen wird das Wahre
bald erkennen, und von dem täuschenden
Prunk leerer Irrgebäude unterscheiden.
D r u c k f e 1 e r.
S. 4 Z. 1 V. u. st. zufällig, 1. zufällige.
«• 4:1 - 17 st. Fil o s o fis che, I. f ilo s o fis ch e,
- 5i - l5 st, con expi-essione 1. con espres-
s i o n e.
6i - 4 V. u. St. ni]Vttt, 1. 7it]yat.
- 82 - 6 st. Insensität, 1. Intensität.
- o4 - 5 T. u. st Ausdehnung, 1, Ausdehnun-
gen.
- QC) - 16 St. ein Trochäus, 1. im Trochäus.
- 106 - 10 St. a}^X-)^).ovv, 1. akkriXo t'iv,
-125-2 letzt. Takt, st. ^'^ J^ 1. ^ >
- i52 - 5^st. J J 1. J ^'^
- IZiJ - 10 ßt. Tiimeter, !. Tetrameter,
- l4t) - 8 St. aerisj 1. acris,
- l36 - 20 St. den i. die.
- 168 - 3 st. celerirate, I. celeri ratt, ,
- 169 - 1 V. u. St. dem 1. den.
- l84 - 5 T. u. St.
ist zu lesen :
— ov— 5<j|— u —
- 208 - 2 St. ereiltst, 1. ereilst.
- 220 - 4 V. u. St. steht, '1. stehet.
- 221 - g st.drei ze i tige, 1, dreiü eilige Länge.
- 226 - i4 St. ^ _ ^ _ 1. 3 _ _ ^
- 209 - .10 feit der zweyte Takt: - „ ^ _
- 246 - 16 St. '&avftCcce IV , 1- -d^uv/iiaCdv.
- — - 10 St. Bewunderung, 1. Bewundrung.
- 262 - 9 u. 10 ist der letzte Taktstrich auszustreichen.
- 268 - 1 V. u. St. ^ 1. 7
- 269 - l4 St. sahen, 1. sehen künftig.
- 'J^5 - 1 St. igoj^ \. iaxtv.
S. 28o - 4 St. kehrt, I. kehret,
- 286 - 5 St. Dimeter, 1. Trimeter,
- 3'2g - 17 St. u ng (i Av ön li ch , 1. ung e\vö n lieh e,
- 359 - 3 V. u. St. rebenbekraiizete, 1. reben-
bekränzte.
- 55o - 8 St. Allerbes eligerin, 1. Allcsbese-
lig eri n.
- 55l - 5 V. u, St. Goldenen, 1. Goldenes.
- 56o - 18 st. Beglücktem, 1. Beglückten,
- 4oi -Sst. r_^_^l, ^j_^_
- 432 - 6 V, u. st. m uss ten , I. musste.
- 45/ - 8 V. u. St. 7l0l-Ml(>i& Qov', 1. noiKiko-,
"& QOV.
- 462 - ^ &t. TtOjTOV, 1- 7lQ0)T0V-
- 475 - 8 St. , _ ^ 1. u - o
- 5oO - 10 St. Bewunderung, 1. Bewundrung.
- 620 - 8 St. 6'^ovg, 1. o^ovg.
Geringere Feier , welche sich leicht im Lesen verbessern^
hielt man anzumerken für unnöthig.
Gesang. ^^^fL^F^TJ^^
iemals zum Streit die tapfre Heerschaar.
}.ai<sr] - 'i-ov TTQoß/.Tjua XQüjtos,
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Begleftun
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ICE
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-ä—^^^
Frelhehaarum dich.
TOV ~ TK u-Tre -/.UJV.
Freiheit! Vaterland!
i^3^
^^ft==ES
tei-^ t .
^
Hochhcdu zurück siegreich, dann windet statt des
ftvoiaTu y.aXov Xai-orj-'i - ov irgo^Ar^fia
Kräftis^-.
Gesang.
Begleitung.
^iC! ff' ^^^''="='«"''^^"'. «■' leuchtet der Tag des Kampf«! Fröhlicher zog niemals rum Streit die tapfre Heerschaar.
,01 n/.ov Toe ^jyas öo-qv y.ai ^i-ipog, xaiToxa-Xov !.ator, - i-op n^oßl^ixa x?<"ros,
Hochlicllger
firoias «£ •
Heersruf! Tummle dich, Schlachtschwert, an dem Ta-ge des heiigen Kampfs! Kommst du zurück siegreich, dann windet statt de$
-y.}.7],uai, Toe Se fiT] toi, - /iojv - tis i-jrcivSo-^v xaj |» - 90s, x«e tu xaXov lai-aij-'C - ov liiioßhifm
Lorbeers aus bräutlichem Feslzweig dir die Gelieb -te den Siegkianz. Tummledich, tapfres Schwert, es beginnt der Kampf um^ ^y"" T \T'
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