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Full text of "Metrik"

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M    e    t    r    i    k 


V  o  11 


August     A  p  e  l. 


t> 


^- 


Erster     Tlieil. 


Leipzig,    181  4      , 
in    der    Weygand'schen  Buchhandlung- 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2010  witin  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.arcliive.org/details/metrikap01apel 


Vorrede. 


ilis  ist  eine  oft  wiederholte  Behauptung, 
'  dass  die  Verse  tles  klassischen  Alterthums 
unsre  neuern  Verse  an  Schönheit  des  rhyth- 
mischen Gesanges  weit  ühertrofTen  haben j 
befremdend  ist  es  aber  dabei ,  dass  die  Be- 
wunderer  des  Rhythmus  in  den  ahen  Ver- 
sen über  nichts  uneiniger  sind,  als  eben 
über  diesen  Rhythmus  selbst,  welchen  der 
Eine  so,  ein  Andrer  anders  angibt.  Man 
vergleiche  nur  verschiedene  Ausgaben  des 
Pindarus,  der  Tragiker,  der  Skollen,  oder 
andrer  Gedichte.  Jeder  Herausgeber  hört 
einen  andern  Rhythmus  und  lässt  die  Le- 
ser einen  andern  hören.  Betrachtet  nun 
ein  Unbefangener  das,  was  die  Gelehrten 
als  göttlichen  Rhythmus  des  Alterthums 
preisen,  so  wird  er  über  das  Ansinnen, 
in  man  eben  Versen  einen  schönen  Rbyth- 
mus  zu  vernehmen,    um  so  mehr  crstau- 


IV  Vorrede. 

iicn ,  well  er  oft  in  dJesen  gepriesenen 
Versen  gar  keinen  PJiylhnius  vernehmen 
kann.  Sagen  doch  selbst  die  Gelehrten 
einander  sehr  unsclimeichelliafte  Dinge  über 
ihr  Gehör  und  ihre  Kunst  bei  Anordnung 
der  alten  Rhythmen. 

Indessen  haben  wir  zu  viel  Beweise  von 
dem  Kunstsinn  des  Rassischen  Alterthums, 
als  dass  wir  uns  überreden  könnten,  die 
Griechen  hätten  ein  so  wunderliches  Ge- 
wirr von  Lang  und  Kurz ,  w  ie  uns  die  Ge- 
lehrten vorzeigen,  für  schönen  Rhythmus 
angesehn.  Der  Grund,  warum  wir  jene 
Rhythmen,  die  wir  bewundern  sollen ,  nicht 
mit  dem  Gehör  vernehmen  können,  dürfte 
vielleicht  weder  in  uns ,  noch  in  den  Rhyth- 
men liegen,  sondern  in  den  Erklärungen 
der  Gelehrten ,  die  jene  Rhythmen  missver- 
standen, und  ihren  Fantasierhvthmen  die 
Bewunderung  zollten,  welche  die  wirklichen 
Rhythmen  in  dem  Alterthum  verdient  hat- 
ten. Es  war'  wenigstens  nicht  das  erstemal, 
dass  den  Gelehrten  so  etwas  begegnete. 

Bevor  man  über  die  Schönheit  der  alten 
Versrhythmen  entscheidet,  sollte  man  billig 
diese  Rhythmen  selbst  kennen ,  d.  h.  sie  so 
bestimmt  und  unzweideutig  vernehmen ,  als 
andre  Rhythmen,   z.  B.  in  unsrer  Musik. 


Vorrede,  V 

Dieses  Ist  bei  den  Rlij-^llimen,  die  uns  die 
Gelehrten  als  alte  Rhythmen  aufzeigen,  kei- 
nesweges  der  Fall.  Glclchwol  zeigen  die 
alten  Verse  ,  wenn  man  sie  ohne  die  Erklä- 
rungen und  Abmessungen  derGelehrlen  be- 
trachtet, einen  ganz  fassllchcn,  und  zuwei- 
len sehr  gefälligen,  uns  gar  nicht  fremden 
Gesang,  z.  B.  der  galliambische,  priapische, 
epionische  Vers  und  mehre  andre.  Hat 
man  diesen  cigenthünillchen  Gesang  Im 
Verse  selbst  gehört,  und  vergleicht  ihn 
nun  mit  dem  metrischen  Schema-  der  FI- 
lologen,  so  begreift  man  sogleich,  dass  nur 
die  Unbeholfenheit  jenes  Schema  an  dem 
Verkennen  des  wahren  Rhythmus  im  Verse 
Schuld  ist,  und  man  wird  unwillkürlich 
an  ähnliche  MlssgrlfPe  erinnert,  die  von 
der  Ungeschicktheit  des  Organes,  wodurch 
man  sich  mitthcilte,  oder  von  der  Einsei- 
tigkeit der  Ansicht  herrührte,  mit  der  man 
das  MItgethellte  auffasste.  So  schrieb  ein 
Ausländer,  dass  man  in  Deutschland  Ku- 
chen aus  Asche  backe,  well  man  ihm  Asch- 
kuchen genannt  hatte,  und  ästhetische 
MIssvcrsländnisse  veranlassen  oft  eben  so 
drollige  Aeusserungcn ,  als  jenes  morali- 
sche, das  Ernst  Wagner's  vierzigjähriger 
Fibclschütz  erzält. 


VI  Vorrede. 

Den  wahren  Rhythmus  der  Verse  an« 
ihnen  selbst,  abgesehn  von  den  Deu- 
tungen der  Grammatiker  und  Fllologen 
herzustellen,  und  zugleich  zu  beweisen, 
dass  eine  allgemflne  Theorie  des  Rhyth- 
mus dieselben  Rhythmen  a  priori  entwik- 
kelt,  welche  wir  a  posteriori  in  den  un- 
verderbten  alten  und  neuen  Versen  und 
in  unserer  Musik  finden,  unternahm  der 
Verfasser  schon  früher,  zuerst  in  dem  An- 
han«:  zu  einem  Versuch  In  der  antiken 
Gattung  des  Drama  (die  Aetoller,  Leipzig 
1806)  und  dann  in  einer  Abhandlung: 
über  Rhythmus  und  Metrum  (in  der 
AUgem.  Musik.  Zeitung,  1807  und  1808). 
Dieselben  Sätze,  welche  in  den  genannten 
Abhandlungen  zuerst  aufgestellt  wurden, 
sind  in  diesem  Buche  zum  System  verar- 
beitet, wenn  man  diesen  Namen  einer  Art 
von  Bearbeitung  gönnen  will,  die  das  Gan- 
ze sowol  in  allgemeiner  llibersicht ,  als  in 
den  einzelnen  Thellcn  umfasst,  die  aber 
aus  Gründen,  welche  nicht  in  der  W'is- 
senschaft  selbst  liegen ,  sondern  in  der  Art, 
wie  man  sie  bisher  behandelte,  die  syste- 
matische Form  oft  verlassen  muss,  um, 
entweder  fremde  Meinungen  zu  bestrcilcn, 
oder  früher   Gesagtes,   bei  besondern  Ge- 


Vorrede.  VII 

legenheiten,  von  neuem,  und  in  verander- 
tei*  Beziehung  in  Erinnerung  zu  bringen. 

Wer  diese  Bellandiungs^veise  tadeln 
will,  der  bemerke,  dass  sie  nicht  aus  Nach- 
lässigkeit und  Bequemlichkeit  entstand, 
sondern  absichtlich,  nach  sorgfältiger  und 
Vviederholter  Prüfung,  erwählt  wurde.  So- 
bald man  eine  Wissenschaft  nicht  bloss 
erlernt,  sondern  sich  selbst  von  Grund  aus 
entwickelt  hat,  und  sie  nun  im  Ganzen 
sow  ol ,  als  Einzelnen,  klar  übersieht,  so  ist 
es  nicht  eben  schwer,  dem  Vortrag  dieser 
Wissenschaft  eine  systematische  Gestalt  zu 
geben.  Damit  ist  aber  noch  nicht  erreicht, 
was  der  Zweck  des  Vortrags,  besonders  bei 
neuen  Ansichten ,  seyn  muss,  nämlich  all- 
gemein verstanden  zu  werden.  Der  Leser, 
der  mit  andern  Ansichten  desselben  Ge- 
genstandes bekannt  ist,  oder  vielleicht  für 
eine  dieser  fremden  Ansichten  schon  Par- 
tei ergriffen  hat,  hört,  indem  er  die  Lehr- 
sätze des  neuen  Systems  lieset,  gewönlich 
die  ihm  schon  bekannten  dagegen  dlspu- 
tlren,  und  es  kann  nicht  feien,  dass  ihn 
die  entgegentönenden  Zweifel  und  Einwürfe 
oft  Irre  machen ,  und  im  richtigen  und 
deutlichen  Auffassen  fies  Gelesenen  stö- 
ren.    Was  dem  mündlichen  Vortrage ,  be- 


VIIT  V  o  r  r  e  rl  ft. 

sonders  dem  in  Gesprächsform,  Vorzüge  vor 
dem  schriftlichen  gibt,  nämlich  die  Mög- 
lichkeit, entstehenden  Einwürfen  schnell 
zu  begegnen ,  wollte  der  Vf. ,  dem  die  Ein- 
würfe von  mehr  als  einer  Seite  nicht  un- 
bekannt sind,  seiner  Behandlungart  zu- 
kommen lassen.  Deswegen  widerlegt  er 
fremde  Ansichten,  und  wiederholt,  oder 
bestätigt  und  erläutert  eigene,  wie  es  eben 
erforderlich  scheint,  um  eine  Sache  auch 
dem  Befangenen  einleuchicnd  zu  machen. 

Dabei  kann  es  nun  nicht  feien,  dass 
ein  und  dieselbe  Sache  dem  Musiker  höchst 
trivial  und  des  Erwähnens  unwerth  vor- 
komme, die  dem  Metriker  unerhört  und 
in  der  Ausführung  so  unmöglich,  als  in 
der  Theorie  unbegreiflich  scheint.  Dage- 
gen wird  manche  IMeinung  der  Theoreti- 
ker erwähnt  werden,  die  der  Metriker  mit 
Pomp  verkündiget,  während  der  Musiker, 
vom  Kapellmeister  bis  zum  letzten  Ripieni- 
sten,  dazu  den  Kopf  schüttelt.  Jede  Partei 
erlaube  hier,  dass  der  Vf  auch  der  entge- 
gengesetzten Partei  dieselbe  Aufmerksam- 
keit widme ,  auf  welche  sie  seligst  gerech- 
ten Anspruch  macht. 

Dass  die  Behauptungen  Hermann's  vor- 
züglich widerlegt  und  seine  Irrthümer  frei 


Vorrede.  IX 

aufgedeckt  werden,  kann  wol  niemand 
befremden.  Hermann's  Verdienste,  als  Fi- 
iolog,  bleiben  unangefochten,  selbst  als 
Metriker  \vird  sein  Andenken  beständig  in 
Ehren  bleiben;  denn  er  war  der  Erste,  der 
N  es  versuchte,  das  Ganze  der  Metrik  wis- 
senschaftlich zu  bearbeiten.  Nur  indem 
er  die  Mängel  eines  ersten  Versuches  durch 
Gelehrsamkeit  zu  sanktioniren  unternimmt, 
and  gegen  die  Bestreitung  seiner  metri- 
schen Lehre  das  vSchild  der  Filolo^-ie 
l>rauc]ien  will  (Allg.  Mus.  Zeit.  1809  No. 
19),  fordert  er  den  Gegner,  dem  es  mehr 
um  Wahrheit,  als  um  Autorität  und  «-län- 
zenden  Schein  zu  thun  ist,  zu  strcno-er 
Prüfung  seiner  Sätze  auf,  wo  es  freilich 
gilt,  jeden  Irrthum  mit  dem  rechten  Namen 
zu  nennen  und  im  hellsten  Licht  die  ver- 
schobene Gestalt  der  Sache  dem  prüfenden 
Leser  vor  Augen  zu  legen.  Die  Takltheo- 
rie  wird  dadurch  aufhören  ein  „efemeres 
Fantasma"  zu  scheinen,  und  statt  sicli 
selbst  „unangefochten  i»  Dunst  aufzulösen" 
möchte  sie  vielmehr  die  taktlose  Theorie 
als  ein  Dunslgebild  erscheinen  lassen,  das 
sich  im  Nebel  musikloser  Verworrcnlieit 
durch  das,  übrigens  chrenwerthe,  Licht  der 
Trelehrsamkeit  erzeugte.     GIcichwol  fürchte 


X  V  ü  r  r  c  d  f. 

liier  Niemand  eine  blosse  Polemik  gegen 
Hermann  7ai  finden!  Ein  richtiges,  aus 
der  Natur  des  Rhythmus  abgeleitetes  Zeit- 
maas  anzugeben,  und  so  ein  wahres  Sy- 
stem der  Metrik,  wenn  nicht  aufzustellen, 
doch  zu  begründen,  ist  der  Zweck  dieses 
Buchs. 

Fi'ir  einige  Beurtheiler,  welche  gern' in 
jedem  Bache  nur  eine  Verarbeitung  frem- 
der Gedanken  linden,  bemerkt  der  Verf , 
dass  die  Hauptsätze  dieses  Buches  von  ihm 
zuerst  in  dem  erwähnten  Anhang  zu  den 
Aetoliern  (I8O6)  aufgestellt  worden  sind. 
So  viel  ihm  bekannt  ist,  hat  zuvor  nie- 
mand auf  die  dunkle  Andeutung  Quinti- 
lians  von  der  Uiberlänge  der  Endsylbe  in. 
der  ersten  Pentameterhälfte  und  auf  die 
Unterscheidung  des  Anapästs  und  Dakty- 
lus, von  Dionysius,  eine  andre,  als  die 
gewönliche  zweizeitige  Messung  gegründet, 
und  Voss  braucht  in  seinem  vortrefflichen 
Werke  :  Zeitmessung  der  deutschen  Spra- 
che, zwar  Musikzeichen,  allein  er  misst 
Sylben,  Füsse  und  Verse  anders  und  nach 
andern  Grundsätzen. 

Böckh's  gelehrte  Abhandlung:  de  me- 
tris  Pindari  in  dessen  Ausgabe  des  Pm- 
darus  bekam    der   Vcrf   erst  während  des 


Vorrede.  XI 

DnicliS  dieser  Metrik  'zu  sehen,  und  also 
zu  spät,  um  in  dem  Buche  seihst  darauf 
einige  Riicicsicht  nehmen  zu  können, 
ßöckh  gibt  in  jener  Abhandlung  seine 
früher  bezeigte  Bilh'gung  der  Anwendung 
des  Taktes  auf  alte  Ilh)  Üimen  auf.  Seine 
Gründe  sind  diese  (S.  92):  „Quam  doctri- 
nam  sads  cjuidcm  acutam  duo  tarnen  la- 
^hefaetant,  immo  prosternunt  argumenta, 
aiterum,  quod  \eteres  trium  hrevium  syl- 
lahas  non  agnoscun«,  aiterum,  quod  hac 
ratione  expediri  nequit  choriambicus  ab 
iambica  incipiens    dipodia, 

—    —    w—     l    —    oo    — 

quo  saepe  utuniur  veteres.  Inde  profectus 
universam  Apelii  doctrinam ,  ut  despera- 
lan^i  prorsus,  coepi  relinquerc.'' 

Dass  die  Alten  die  dreizeitige  Läno-e 
nicht  gekannt  haben,  beweiset  Böckh  S. 
19  bloss  damit:  „Longam  autem  syllaham 
a  musicis  poetisque  \cterum  in  trisemhm 
longitudinem  produciam  esse  quamquam 
viri  harum  rerum  periiisslmi  oplnantur, 
qui  me  quoque  auctoiitate  sua  in  eiTorem 
ollm  induxerunt:  tarnen  nunc  perreptatis 
iterum  musicorum  libris  nego  hoc  fortiler 
propterea     quod    nihil    usquam    eiusmodi 


XII  Vorrede. 

traditur,  tibi  si  factum  esset  reticerl  non 
poterat."  Ein  schwaclier  Beweis  in  de^ 
That!  Einmal  werden  die  Grammatiker 
als  die  unwissendsten,  oberflächlichsten 
Köpfe  geschildert,  und  dann  wieder  ihnen 
solche  Autorität  zugeschrieben,  dass  eine 
aus  der  Natur  des  Rhythmus  erwiesene 
Sache  für  unrichtig  erklärt  wird,  bloss 
weil  jene  Grammatiker  nichts  davon  mel- 
den. Die  Musiker  melden  aber  allerdings 
davon,  wie  jene  Stelle  des  Marius  Yicto- 
rinus  (Putsch.  2481)  beweiset.  Sie  feiten 
nur  darin,  dass  sie  ihren  Streit  nicht  im 
Gebiet  der  reinen  Rhythmik  führten,  son- 
dern auf  dem  Gebiet  der  Grammatiker, 
in  der  Sprache,  wo  wsle  sich  bemüheten, 
die  verschiedene  metrische  Länge  der  Zeit-r 
momente  aus  den  prosodischen  Elementen 
der  Sylben  zu  erklären.  Die  prosodisi- 
renden  Grammatiker  verwerfen  diese  Kün- 
steleien mit  Recht;  denn  prosodisch  fin- 
det kein  Maas  der  Länge  und  Kürze  Statt, 
sondern  eine  Sylbe  ist  bloss  im  Allgemei- 
nen lang,  oder  kurz,  oder  mittelzeitig  (S. 
Metrik  3 18);  sie  kommen  aber  in  das  Un- 
recht, sobald  sie,  wie  eben  Marius  Victo- 
rinus  beim  Metrum  selbst  das  verschiedene 
Maas  nicht   wollen   gelten    lassen.     Feiten 


Vorrede.  XIII 

aber  auch  selbst  in  den  Werken  der  Mu- 
siker diese  Andeutungen,  so  vergesse  man 
doch  nicht,  dass  es  sehr  verschieden  sei, 
etwas  ausüben,  und  einen  richtigen  Begriff 
davon  andern  mittheilen;  man  denke  nur 
an  die  IVühere  Art,  unsre  Musikrhythmen 
zu  bezeichnen.  Wenn  ein  unmusikalischer 
Gelehrter  behaupten  wollte,  'unsre  neue 
Musik  kenne  keine  dreizeitige  Länge,  weil 
unsre  Notirung  kein  selbständiges  Zeichen 
dafür  hat,  indem  sie  die  Noten  nicht  in 
Drittheile,  sondern  nur  in  Hälften  theilt, 
war'  wol  diese  herkömmliche  Schreibart 
ein  Beweis  gegen  die  Sache,  die  uns  Al- 
len bekannt  ist?  Lässt  sich  auch  wol  an- 
nehmen, dass  die  Alten  jene  verwickelten 
rhythmischen  Zeitverhältnisse  sollten  wahr- 
genommen haben,  die  Böckh  S.  107  an- 
gibt, während  ihnen  das  einfache  Verhält- 
nlss  der  dreizeitigen  Länge  fremd  gewesen 
wäre  ?  Mit  dem  dreizeitigen  Fuss  (  vi  ^  u  ) 
ist  ja  die  dreizeitige  Länge  (  JVij  «  w  ü  )  eben 
so  bestimmt  gegeben,  als  mit  dem  zwei- 
zeitigen Fusse  (^  ^)  die  zweizeitige  Länge 
("uciw)?  welches  letzte  Böckh  selbst  (29) 
behauptet.  Wenn  ferner  (ebenfalls  nach 
Böckh  S.  29)  der  dreizeitige  Fuss  durch 
grössere  Energie  der  Arsis  (  J  ^  y  )  entsteht, 


XI V  Y  o  r  r  t  tl  e. 

SO  sind  ja  die  sömmtlichen  zsvei  Theses 
eben  sosvol  Produkte  der  arslsclien  stär- 
kern Kraft,  als  die  eine  Thesis  im  zwei- 
zeiligen Fuss  Erzcugniss  der  arsischen  ge- 
ringem Krait  ist.  Was  aber  Produkt  ei- 
nes andern  ist,  ist  ideell  in  ihm  enthal- 
ten, eil'  es  producirt  ^vurde,  und  so  ist 
also  die  Dreizeitigkeit  eben  sowol  in  der 
Arsis  enthalten,  als  die  Zweizeitigkeit. 
Mithin  postuliren  selbst  Böckh^s  theoreti- 
sche Säize  die  Annahme  der  dreizeitigen 
Länge. 

Der  zweite  Grund,  warum  Bö ckh  seine 
frühere  Meinung  aufgab,  weil  aus  meiner 
Theorie  der  choriambische  Vers,  der  mit 
der  iambischen  Dipodie  anfängt : 

sich  nicht  erklären  lasse ,  ist  noch  befrem- 
dender.    Das  Maas  ist  dieses: 

^  I    ;    ^  !   j    >  ^  ^  I 

Kretische  und  choriambische  Form  wech- 
selt unbezvYeifelt  (Metrik  254,  4H  und 
an  mehren  Orten).  Das  einzige  auffallende 
könnte  nur  seyn,  das5  ein  Vers,  der  im 
Niedertakt  anfängt,  mit  einem  im  Auftakt 
wechselte : 


V  o  r  r  e  d  vä.  XV 


—    uu—     |—    VJW    — 

<j      1—     U~I-"UU     — 


Allein,  theils  ist  dieses  üherlianpt  weder 
ungewönllch,  nocli  rhythmuswidrig,  iheils 
darf  es  in  choriambiscben  Systemen,  wo 
der  Fall  nur  vorkommen  kann,  gar  nicht 
befremden,  weil  Verse  im  System  genau 
zusammenhängen,  und  gleichsam  einen 
einzigen  grossen  Vers  bilden.  Wo  ist  also 
hier  etwas ,  was  unsre  Theorie  anfechten , 
oder  gar  stürzen  könne?  W^ahrscheinlich 
war  es  bloss  die  Unvollkommenheit  der 
ersten,  durch  den  Ort,  wo  sie  erschien, 
beschränkten  Darstellung,  was  den  Her- 
ausgeber des  Pindarus  veranlasst,  an  die- 
ser Theorie  wegen  so  leichter  Zweifel  so 
schnell  zu  verzweifeln. 

Uibrigens  glaube  Niemand,  dass  das 
leichte ,  angenehme  Spiel  des  Verses  durch 
eine  wissenschaftliche  Begründung  dem 
freien  Gebrauch  des  Lebens  und  des  Um- 
gangs entzogen  w^erden  solle.  Durch  je- 
nes Spiel  geschieht  dem  Ernst  der  Sache 
so  wenig  Eintrag,  als  jenem  Spiel  durch 
den  wissenschaftlichen  Ernst.  Denn  — 
diess  sey  erlaubt  zu  wiederholen  ~  um 
den  Tempel  jeder  Kunst  erstreckt  sich  ein 
weiter   Vorhof,    in    welchem     jeder   beten 


XVI      '  V  o  i-  r   c   d  e. 

und  opfern  mag,  auch  ohne  prlesterlichen 
Schmuck.  Freilich  macht  das  Priesterkleid 
noch  nicht  den  Priester;  aher  noch  ver- 
werflicher wäre  doch  wol  der  Satz:  dass 
unter  dem  Taiar  kein  lehendiger  Leih, 
sondern  bloss  ein  Gliedermann,  oder  höch- 
stens ein  Automat  verborgen  seyn  könne. 

Geschrieben  zu  Leipzig,  am  5.  März  18i4. 


Der  V^erfasser. 


1     11     11     a     1     c. 

V  o  r  e  r  i  n  u  e  r  u  n  g  e  n. 

Genie  und  Regel.      §.    i. 

Versbau.      §.    8. 

Urtheü   des   Gehörs.      §,    li, 

Takt   und   Taktlosigkeit,      ^s.  i5. 

Die   Grammatiker.      §,  21« 

Füsse.       §.   20. 

Hermann.      §.  44. 

Voss.      §.   55. 

CcÄSug  und  Deklamation.      §.   54. 

Metrische    Bezeichnung.      §,  64. 

TJibersicht.     §,   66. 

Allgemeiner     Theil, 

Vom  Rhythmus.      §.   68. 

Von  dem  Metrum.       §.    io4. 

Metrische  Entwickelung    des   Rhythmus,      §.    Il5. 

Gerades   Metrum.      §.    120. 

Gemischtes   Metrum.      §.    123. 

Gemengtes  Metrum.      §.    i43. 

Ungerades   Metrum.     §.    154. 

Vom   schweren   ungeraden  Metrum.      §.    lÖy» 

Vom  tripodischen   Metrum.      §,    i6l. 

Vom  leichten  ungeraden  Metrum.      §.    172, 

Accentirende  und  quantitireude  Rhythmen.       §.    176. 

Von  der  Verschiedenheit  der   Rhythmen.      §.    IQl. 

Von   der  Rhythmischen  Bewegung.      §,    ig2. 

Von  Punkten   und  Pausen.      §.   20 3. 

Vom  Schluss  der  Rhythmen.      §,   ai5. 


XVni  Inhalt. 

Vom   Anfang    der   R.hythmen.      §,   23-±. 

Verbindung   der   Rhythmen.      §.    256. 

Verbindung    der   Verse.      $.    281. 

Verbindung   der    Strofen.      §.   29O. 

Vom   Vers.       §.    2^5. 

Allgemeine    Prosodie.      §.    5o4. 

Nähere  Bestimmung    des   Verses.      §.    5l5. 

Wortf  üsse.      §.     321. 

Verbindung  des  absoluten  Rhythmus  mit  der  SpracHo. 
§.    025. 

Von    der  ,  Cäsur.      §.    336. 

Von   der  unbestimmten    Sylbe.       §.    35l. 

Vom  Maas  der  let;5tcn  Sylbe  in  Rhythmischen  Reihen. 
§.    555. 

Vom  Maas  der  letzten  Sylbe  in  metrischen  Reihen.    §.  362. 

Vom  Maas  der  Endsylbe  des  flüchtigen  Daktylus  in  rhyth- 
mischen und  metrischen  Reihen.      ^.    38 1. 

Vom   Maas   der   Auftaktsylbe.      §.    586. 

Von  einer  besondern  Art  der  repräsentirenden  Länge, 
§■  094. 

Von   der  Kraft  der  Arsis,   eine  kurze  Sylbe  zu  verlangen. 

§.     397. 

Von    der     Bestimmung     der     Sylbenquantität     durch     den 

Rhythmus.      §.    4o3. 
Von   den  Veränderungen   des   Rhythmus.      §.  4ll. 
Von   den   Versraessungen   der   Grammatiker.      §.   'i20. 
Von    polyschematischen    Versen.      ().   454. 
Von  widerstrebend  zusammengeiügten  Versen.      $.  442. 
Von   Asynarteten.      §.  447- 
Vom   Hiatus.      §.   46 1- 

Von  der  Brechung  der  Worte  am  Ende   der  Verse.  $.476. 
Einiheilung    der  Verse.     §.  486. 
Schlussbenitrkuiig.      §.   490.» 


Vorerinnerungen. 


Genie   unfl   Regel. 


1. 


jjer  Musik  und  den  bildenden  Künsten  gesteht 
jeder  Sacliversländij^e  unbedenklich  einen  wis- 
senschaftlichen und  technischen  Thcil  zu,  der 
sich  lehren,  lernen  und  üben  lässt ,  und  dessen 
gründliche  Kenntniss  man  um  so  mehr  von  dem 
Künstler  verlangt,  je  weiter  die  Kunst  selbst 
fortschreitet,  und  durch  gemeinschaftliches  Be- 
mühen der  Künstler  und  Beschauer  der  Kunst, 
der  Vollendung  entgegenrückt.  Dieser  wissen- 
schaftliche und  technische  Thcil  besieht  in  der 
gründlicheil  Kennlniss  des  Stoffes,  den  eine  Kunst 
zu  Darstellung  der  Ideen  verarbeitet,  und  in  ei- 
ner sichern  und  leichten  Handhabung  dieser  Ma- 
terialien. Der  bildende  Künstler  macht  daher 
seine  Schule  durch  Sludium  der  Figur,  d.  h. 
der  räumlichen  Verhältnisse  sichtbarer  Gegen- 
stände; der  Musiker  durch  Studium  der  Ton- 
Verhältnisse  in  harmonischer  und  melodischer 
Beziehung. 

1 


Voreriniiei-uuseu. 


Nicht  so  allgemein  erkennt  man  bei  der  Dicht- 
kunst einen  wissenschaftlichen  und  technischen 
Theil  an.  Der  Sprache,  als  des  Materials  der 
Poesie ,  scheint  jeder  durch  die  lange  Gewohn- 
heit des  Sprechens  schon  mächtig.  Er  wird  also, 
das  vermuthet  man,  ohne  besondre  Schule  nö- 
thig  zu  haben,  ein  Dichter  seyn,  und  vollendete 
Gedichte  liefern,  sobald  ihn  nur  poetischer  Geist 
wirklich  belebt.  Daher  kommt  es  auch  wahr- 
scheinlich, dass  niemand  Bedenken  trägt,  sich 
selbst  als  Maler  oder  Musiker  aufzuführen;  soll  er 
sich  hingegen  einen  Dichter  nennen ,  so  hindert 
ihn  seine  Bescheidenheit ,  denn  die  Beschäftigung 
mit  bildender  Kunst  oder  Musik  sagt  eben  noch 
nicht  etwas  Schmeichelhaftes  von  Jemand  ausj 
nennt  er  sich  aber  einen  Dichter,  so  kann  er 
sich  nicht  hinter  die  Technik  der  Poesie,  die 
Niemand  anerkennt,  verstecken,  sondern  er  hat 
sich  selbst  Genie  beigelegt,  was  nicht  allzube- 
scheiden klingt. 

5. 

Gleichwol  spricht  der  Dichter  nicht  die  ge- 
wöhnliche Sprache,  welche  Erziehung  und  Gram- 
matik lehrt,  sondern  er  gebraucht,  wenigstens 
in  dem,  was  man  in  Ansehung  der  Form  ge- 
wöhnlich ein  Gedicht  nennt,  den  Vers.  In  so 
fern    nun    der   Vers   Sprache    des  Dichters    ist. 


Vorerinnerungeii.  3 

scheint  die  Versbaukunst  der  technisch  wis- 
senschaftliche Theil  der  Poesie  zu  seyn.  Die 
meisten  Kritiker  verlangen  auch  wohl  eine  Vers-^ 
technik,  (d.  i.  eine  gewisse,  von  feinem  Ge- 
fühl geleitete  Fähigkeit,  die  Sprache  mit  Leich- 
tigkeit für  den  Vers  zu  handhaben),  von  dem 
Dichter,  als  eine  nicht  zu  verachtende  Zugabe, 
allein  eine  Wissenschaft  des  Versbaues  —  was 
man  gewöhnlich  unter  Metrik  versteht,  — 
scheint  ihnen  ein  Unding,  oder  vielmehr  ein 
Missgriff  des  in  Pedanterei  ausschweifenden  Ver- 
standes.      ' 

4. 

Der  Versbau  scheint  nämlich  vielen  eine  so 
unbedeutende  und  unwesentliche  Zierde  des  Ge- 
dichtes, dass  es  sie  lächerlich  bedünkt,  eine 
Sache  mit  dem  Ernst  der  Wissenschaft  behan- 
delt zu  sehen,  die  sie  bisher  als  ein  leichtes 
Spiel  zu  treiben  gewohnt  waren.  Es  geht  in- 
dessen mit  mehrern  Dingen  so.  Wer  die  Musik 
bloss  vom  Tafelzimmer  oder  vom  Ballsaale  kennt, 
wird  auch  \iclleicht  über  die  Wichtigkeil  lachen, 
mit  der  alte  und  neue  Musiker  die  Verhältnisse 
der  Intervalle  berechnet  haben.  Lacht  aber  je- 
ner Unmusikalische  damit  die  Akustik  und  Har- 
monik aus  der  Reihe  der  Wissenschaflen  weg?  — 
Ob  übrigens  der  Versbau  eine  unwesentliche 
Zierde  des  Gedichtes  sey ,  wird  die  Folge  lehren. 


4  Yorerinuerungvn. 

5. 

Andre,  der  Freiheit  des  Genius  eingedenk, 
verwerfen  die  Wissenschaft  des  Versbaues,  als 
eine  Fessel ,  die  dem  Genie  angelegt  werden 
solle.  Das  Genie  —  wiederholen  sie  —  duldet 
keine  Regel,  es  ist  über  alle  Regel  erhaben; 
und  doch,  wie  jede  wahre  Kraft,  des  Erfolges 
gewiss.  Wenige  bemerken ,  dass  dieser  Gemein- 
platz von  der  Freiheit  des  Genies ,  auf  dem  Dop- 
pelsinn in  dem  Worte  Regel  beruhe. 

6. 

Es  ist  allerdings  gegründet,  dass  überall  die 
Ausübung  der  Regel  vorausgegangen  ist,  und 
dass  die  Regel  seDjst  erst  von  den  Werken  der 
Kunst  abslrahirt  und  zur  Theorie  ausgebildet 
wurde.  Das  Genie  hat  also  oflenbar  vor  der 
Regel  und  ohne  d  i  e  Regel  gewirkt  und  gebil- 
det, welche  von  seinem  Werk  später  abstrahirt 
wurde,  aber  nicht  ohne  die  Regel,  welche  in 
der  Idee  des  Kunstwerkes  liegt,  und  von  dem 
genialen  Künstler  in  der  Rildung  seines  Werks 
dargestellt  wurde,  üeber  diese  Regel  ist  nie- 
mals das  Genie  erhaben,  denn  Genialität  besieht 
eben  darin,  nicht  die  zufällige  Erscheinung  nach- 
zubilden, sondern  die  Idee  in  ihrer  wesentlichen 
Gestalt  aufzufassen  und  darzustellen.  Dieser 
Geist  aber  ist  oft  über  dem  Buchstaben  verlo- 
ren   gegangen,    indem   die   Theoretiker    zufällig 


Vor«rinnerungeii.  5 

Eigenheiten  genialer  Werke  als  Vorbilder  be- 
trachteten, und  ihre  Befolgung  zur  Regel  erho- 
ben. Denn  die  Aesthetik  hat  ihre  Menschen- 
satzung wie  die  Moral.  Ueber  solche  todte 
Regeln  ist  allerdings  das  Genie  erhaben,  und 
wird  sie  niemals  befolgen,  ausser  wo  dieselbe 
Eigenheit  auch  seiner  freien  Darstellung  nöthig 
wird.  Dann  aber  ist  es  nicht  Befolgung  frem- 
dei  Regel,  was  das  Genie  leitet,  sondern  gleiche 
Freiheit  des  Darstellens. 

Doch  nicht  allein  das  Genie  zerstört  prak- 
tisch dergleichen  todte  Regeln,  sondern  auch 
jede  wahre  Theorie  muss  sich  bemühen  sie  wis- 
senschaftlich zu  vernichten.  Deswegen  äussert 
sich  die  Theorie  immer  polemisirend,  so  lange 
noch  Trugbilder  andrer  Theorien  vorhanden 
sind,  welche  irreleiten  und  die  reine  Idee  ver- 
dunkeln können. 

7- 
Der  Dichter  ist  mithin  eben  so,  wie  jeder 
andre  Künstler,  an  das  gebunden,  was  wir,  im 
Gegensatz  der  todten  Regel,  lebendige  Regel 
nennen;  und  wenn  der  Versbau  (nach  5)  den  wis- 
senschaftlichen und  technischen  Theil  der  Poetik 
ausmacht,  so  kommt  es  nur  darauf  an:  zu  zei- 
gen, dass  der  Vers  nicht  eine  bloss  willkühr- 
liche  Verzierung  sey,  mit  der  die  Dichter  ihre 
Werke  auszuschmücken  pflegen,    sondern,    dass 


a  Vorerinnevu  ngen. 

der  Bau  des  Verses  auf  eigenlhümliclien ,  in  sei- 
ner Natur  gegründeten  G'isetzen  beruhe,  um 
einzusehen,  dass  dem  Dichter,  der  über  den 
Dilettantismus  hinausstrebt,  diese  Schule  eben 
so  zu  empfehlen  sey,  als  dem  Maler  und  dem 
Musiker   die  seinige. 

Versbau. 

8. 

Um  dieses  eigenthümliche  Gesetz  des  Vers- 
baues zu  finden,  ist  es  nöthig  von  den  Worten 
des  Verses  ganz  abzusehen,  und  bloss  auf  des- 
sen Klang  und  Bewegung  zu  merken.  Wer  die 
Worte  nicht  beachtet,  •während  er  auf  den 
Vers  horcht,  fasst  blos  das  mit  dem  Gehör  auf, 
was  unsre  Vorfahren  die  Weise,  die  Römer 
Numerus  und  die  Griechen  Rhythmus  nann- 
ten. Von  diesem  Rhythmus,  (denn  das  grie- 
chische Wort  ist  uns  technisch  geworden)  be- 
haupten wir  nun,  dass  er  auf  eignen,  in  der 
Natur  gegründeten  Principien  beruhe,  und  dass 
mithin  jeder  Vers,  als  Rhythmus,  oder  Verbin- 
dung von  R.hythmen  betrachtet,  nach  diesen 
Grundsätzen  gebildet  und  beurtheilt  werden 
müsse. 

9- 

Die  Wissenschaft  dieser  Principien  nennen 
wir  Metrik.     Sie  lehrt  keinesweges  Rhythmen 


Vorerfnnerungen.  7 

oder  deren  Zusammensetzung  erfinden,  oder,  wie 
manche  sich  vielleicht  einbilden,  der  Empfin- 
dung des  Gedichtes  die  passende  Versart  aneig- 
nen. Dieses  ist  Sache  der  Kunst,  nicht  der 
Wissenschaft.  Die  Metrik  lehrt  bloss,  wenn  wir 
von  der  Musik  einen  Ausdruck  entlehnen  diir- 
ten ,  den  reinen  rhythmischen  Satz ,  oder  die 
Gesetze ,  nach  welchen  ein  Rhythmus ,  ohne  alle 
Beziehung  auf  die  Worte ,  welche  ia  ihm  tönen, 
«ich  erzeuget  und  bewegt. 

10. 
Da  der  Rhythmus  nicht  von  dem  Vers  ent- 
lehnt ist,  sondern  nach  völligem  Vergessen  des 
Verses  noch  übrig  bleibt,  so  können  wir  die 
Metrik  nicht  Wissenschaft  oder  Theorie  des 
Versbaues  nennen.  Sie  ist  vielmehr  Wissen- 
schaft des  Rhythmus  im  Allgemeinen,  er  mag 
aji  Worten  (im  Vers)  oder  an  Tönen  (in  der 
Melodie)  oder  am  blossen  Schall  (z.  B.  im  Trom- 
melsclilag)  vernehmbar  werden.  Der  Vers  nimmt, 
so  wie  die  Musik,  an  den  allgemeinen  Gesetzen 
des  Rhythmus  nur  Theil,  ohne  auf  diese  Gesetze 
selbst  einigen  Einiluss  zu  äusserni^ 

Urthell   des   Gehörs. 

Wenn  Rhythmus  im  Verse  (8)  das  ist,   was 
abgesehen   von    Inhalt   und  Worten   dem  Gehör 


j^  Vorferinnerungen. 

allein  iibrig  bleibt ,  so  hat  man  allerdings  zu  er- 
warten ,  flass  dem  Gehör  ein  Urtheil  über  den 
Vers  zustehe.  Dieser  Meinung  sind  indessen 
nicht  alle  Theoretiker,  und  nur  noch  vor  kur- 
zem hat  Sejjdler  in  seinem  Werk  über  die  doch- 
mischen  Verse  behauptet:  man  dürfe  sich  bei 
Beurlheilung  der  alten  Verse  nicht  auf  das  Ge- 
hör verlassen,  oder  sich  auf  dessen  Entschei- 
dungberufen; die  Theorie  sey  dagegen  ein  siche- 
rer und  untrüglicher  Grund  des  Urtheils. 

12. 

So  auffallend  und  vielleicht  wunderlich  diese 
Behauptung  dem  klingen  mag,  der,  an  sang- 
bare, bekannte  Versarten  gewöhnt,  keine  Miss- 
helligkeit zwischen  den  Behauptungen  der  Theo- 
rie und  dem  Urtheil  des  Gehörs  ahndet,  so  ist 
doch,  wie  gewöhnlich  in  jedem  Wort  wahr- 
heitsuchender Männer,  so  auch  in  jener  Be- 
hauptung etwas,  das  Aufmerksamkeit  und  nä- 
here Betrachtung  verdient. 

i5. 
Mit  den  Versarten  nämlich,  die  aus  dem 
Alterthum,  besonders  aus  dem  griechischen,  auf 
uns  gekommen  sind,  hat  es  eine  ganz  eigne  Be- 
wandtniss.  Wer  sie ,  gewöhnt  an  die  Bewegung 
unsrer  modernen  Verse ,  lieset ,  wird  in  manchen 
ihrer  Gattungen  kaum  einen  Vers  erkennen  wol- 
len z.  B.  in  dem  sotadischen: 


Vorerinnerungen.  y 

'ÜQr^v  TtOTS    q)ccaiv  diu  rov  xfqniV.fQu.vvov 

Gott     hört    das    Emporflehu    der     geheim    klagenden 
Unschuld    (Voss). 

Wer  hingegen  von  den  gewölmlichen  Theoriceo 
des  alten  Versraaasses  belehrt ,  dergleichen  Verse 
betrachtet,    z.  B.  den  dochmischen: 
q)uvriTOi  (.lOQoiv    6    naD.iaT    iftoiv 

Wer   hnischwand   in   Gram   und   Mühseligkeit 
und  sie  dem  üblichen  metrischen  Schema: 

anpassen  will,  kommt  allerdings  in  einen  Wi- 
derstreit zwischen  Theorie  und  Gehör.  Denn 
er  bemüht  sich  vergebens  mit  dem  Gehör  die- 
ses Schema  singbar  zu  finden ,  und  gleichwohl 
kann  er  sich  nicht  abläugnen,  dass  jene  Stelle 
des  Sophokles  ein  Vers  sey,  und  das  metrische 
Schema  den  Rhythmus  jenes  Verses  bezeichne. 

i4. 
Selbst  bei  den  Metrikern  hat  die  Theorie  das 
Gehör  noch  nicht  so  weit  befangen,  dass  sie  die- 
sen Widerstreit  nicht  fühlen  sollten.  Indessen 
suchen  sie  den  Ausspruch  des  Gehörs  abzuwei- 
sen, weil  das  Ohr  der  Neuern  unfähig  sey, 
Rhythmen  zu  vernehmen,  die  allein  aus  der  Ei- 
genthümlichkeit  der  allen  Musik  begriifen  wer- 
den könnten. 


lo  Vor  er  innorimgen. 

Takt   und   Taktlosigkeit. 

i5. 

Diese  Eigeuthümlichkeit  soll  nämlich  dariu 
bestanden  haben,  dass  die  griechische,  oder 
übei'haupt  die  alte  Musik  durchaus  von  allern 
Takt  entblösst  gewesen  sey  (S.  Hermann's  Handb. 
der  Metrik  S.  XX  ff.).  Verwöhnt  durch  unsre 
neuere  Musik,  deren  Rliythmeu  der  Takt  zum 
Grunde  liegt  —  behauptet  der  angeführte  Me- 
triker —  können  wir  jetzt  eine  solche  taktlose 
Musik  gar  nicht  fassen,  unser  Gehör  muss  sich 
daher  des  Urtheiles  über  dergleichen  Rhythmen 
enthalten,  und  sich  mit  den  Aussprüchen  der 
Theorie  begnügen. 

16. 

Eine  Ausflucht  dieser  Art,  die  das  Gehör 
mit  seinen  Einwendungen  zur  Ruhe  verweisen 
soll ,  muss  allerdings  etwas  gewaltsam  und  ge- 
zwungen scheinen,  da  sie  sich  des  verdächtigen 
Mittels  bedient,  die  Entscheidung  der  Sache  in 
eine  dunkle  Region  zu  spielen,  deren  Verhält- 
nissen wir  ganz  entwöhnt  seyn  sollen.  Allein, 
wenn  wir  auch  hiervon  absehen,  so  fordern  wir 
doch  mit  Recht  von  jenen  Theoretikern  den  Re- 
weis, dass  die  Musik  der  Griechen,  ganz  gegen 
die  Natur  alltj  uns  bekannten  Musik,  die  Ei- 
genschaft der  Taktlosigkeit  gehabt  habe. 


Vorerinnerungtn. 


V 


Sonderbar  genug  zeigt  es  sich  hier,  dass  ein 
Theoretiker  dem  andern  diese  Behauptung  nach- 
geschrieben, Wahrend  es  keinem  einzigen  ein- 
fiel, den  Beweis  davon  zu  versuchen.  Alle  spre- 
chen von  der  Sache  mit  einer  Zuversicht,  als 
wären  sie  in  den  Odeen  und  Theatern  der  Al- 
ten einheimisch  gewesen,  gleichwol  ist  bekannt- 
lich über  wenig  Gegenstände  des  Alterthuras 
noch  so  viel  Dunkel  verbreitet,  als  über  die  Mu- 
sik desselben.  Das  einzige  was  einer  Art  von 
Beweis  für  jene  Behauptung  ähnlich  sieht,  ist 
von  den  Versrhythmen  hergenommen,  die  nach 
der  Meinung  dieser  Theoretiker  ebenfalls  taktlos 
seyn  sollen.  So  führt  z.  ß.  Hermann  die  Stella 
aus  Pindaros: 

y^QVGia  Cf.OQ(.uy'i  AnolX<a- 

vog  KUL   ionXoxctfA,o)V 

Gvvdi'AOV  MotGCiv   y.r!avov 

Froh   begrüsst  Wohllaut   des   Frühlings 

blüthengefeierten    Tanz, 

Fluss  und   Wald  rauscht  jubelnd  im  Chor 
als   Beispiel    taktloser  Rhythmen   an ,    weil   sie, 
seiner  Ansicht  nach,   auf  folgende  Art  im  Takt 
wechseln  sollen. 

I  X^v-af~  I    f     a     (fOQ-    I 

l'roli   he-  I        grüsst  Wohl-  J 
laut   des  ]        Frühlings   | 


la  Voreriiinfrungen. 

^  vog  YMt  i~    I  f  onloTia-  \   ^  (itav    | 
blü-thenge-    J        feierten      j        Tanz    j 
I    ^vv  -8t      J  f   V.OV    Mol-     j 
Fluss   und     I        Wald  rauscht  j 
\   (J(XV  XT(-  «-  I  j    vov      I 
jubelnd     im  |        Chor    j 
oder  in  den  bekannten  musikalischen  Zeichen: 

J.M  JJ  1  j;i  JJ  I 

j;*jN  j;>jN  j  i 

JJ^I  JJ  I  J/.M  J  I 

deren  sonderbare  Zusammenstellung  den  Musi- 
ker allerdings  etwas  befremden  wird.  Aus  die- 
ser angeblichen  Taktlosigkeit  der  Versrhythmen 
wird  nun,  durch  einen  etwas  schnellen  Schluss, 
die  Taktlosigkeit  der  griechischen  Musik  gefol- 
gert, und  aus  dieser  Folgerung  wiederum  rück- 
wärts die  Taktlosigkeit  der  Ycrsrhythmen  gegen 
die  Forderung  des  Gehörs  in  Schutz  genommen. 
Man  sieht,  die  Metriker  Ujehmen  es  mit  der  Lo- 
gik nicht  immer  allzugcnau. 

18. 

Allein  die  Taktlosigkeit  jener  alten  Rhyth- 
men, z.  B.  der  angeführten  pindarischen  Stelle, 
ist  noch  nicht  so  ganz  erwiesen.  Es  könnte  der 
Fall  möglich  seyn,  dass  die  Meti-iker  in  ihrer 
Ansieht  der  Messung  in  einem  Irrthum  gewesen 
wären,    der   sie   verhinderte,    den   vorhandeneu 


Vorerinnerungen.  J3 

Takt  zu  bemerken.  Man  denke  sicli  einen  Kla- 
vierspieler, dem  die  Behandlung  der  andern  In- 
strumente fremd  ist,  vor  der  Stimme  einer  Be 
Klarinette  in  einem  Tonstück  aus  Ce.  Er  wird 
mit  seiner  beschränkten  musikalischen  Kennt- 
nis«, die  wunderlichen  Harmonien,  die  er  sieht, 
nicht  begreifen  können ;  deswegen  ist  aber  doch 
die  Harmonie  in  dem  Tonstiick  vorhanden.  So 
könnte  ebenfalls  in  den  alten  Pvhylhmen  Takt  seyn, 
gesetzt  auch  die  Metriker  hätten  ihn  auf  ähn- 
liche Art  verkannt,  wie  jeuer  Klavierspieler  die 
Harmonie. 

19- 
Wir  können  diesen  Satz  vorjetzt  nur  proble- 
matisch aufstellen,  da  sein  Beweis  und  die  Nach- 
weisung   des    Taktes     in    den    alten   Rhytlimen, 
noch  einige  Untersuchungen  über  Rhythmus  und 
Takt  voraussetzt.      Dieser  Bev/eis  wird  aber  mit 
der    vollkommensten   Deutlichkeit   gefiihrt   wer- 
den ,    denn  eben   darin   besteht  das  Eigenthüm- 
liche  unserer  Theorie,    dass  sie  beweiset,  in  al- 
len Rhythmen  scy  Takt,    Rhytlimus   ohne   Takt 
lasse  sich  dem  Wesen  des  Rhythmus  nach  nicht 
denken,    und  die  alte  Musik  sey  —  so  viel  sich 
aus    den    vorhandenen    Yersrhythmen   schlit,ssea 
lässt  —  der    neuen    Musik   vollkommen    gleich, 
wenn    auch    in  mancher  Rücksicht   beschränkter 
und  unvollkommener  guwcseu. 


i4  Vo  r  erinnerungen. 

Es  •wird  dabei  zwar  nicht  nöthig,  aber  doch 
in  geschichtlicher  und  andrer  Hinsicht  interes- 
sant seyn,  zu  bemerken,  Avie  die  neue  Musik 
dieselben  Melodien  hervorgebracht  hat,  deren 
Rhythmen  in  den  Versen  der  alten  Zeit  (wie- 
wol  lange  durch  falsche  Theorien  verkannt) 
auf  uns  gekommen  sind.  Die  Gesetze  des  Rhyth- 
mus sind  in  der  Natur  gegründet,  und  so  darf 
es  jNiemand  befremden ,  dass  sie  im  alten  Vers 
und  in  der  neuen  Musik  immer  dieselben  sind, 
ohne  dass,  nach  Hrn.  Hermanns  etwas  verfehl- 
tem Scherz  (Allg.  Mus.  Zeit.  1809.  N.  19.  S.  291) 
„die  Urgrossmutter  von  der  Urenkelin  tanzen 
lernte."  Durch  ene  solche  Vergleichung  ge- 
winnt '  auch  die ,  manchem  vielleicht  trocken 
scheinende  Untersuchung  über  Versgattungen 
einen  besondern  Reiz,  und,  während  die  grund- 
losen Erhebungen  der  alten  Musik  über  die 
neue,  in  welchen  manche  Philologen  (Vossius, 
Meibom,  Hermann  u.  a.  m.)  sich  gefallen,  ver- 
schwinden müssen,  Avird  sich  über  die  Natur 
der  alten  Musik  und  über  ihren  Unterschied 
von  der  neuen,  vielleicht  von  selbst  manche  be- 
stimmtere Ansicht  eröffnen. 

20. 

Nimmt  man  an,  die' erste  Musik  sey  taktlos, 
und  mitliin  der  Takt  eine  Erfindung  der  neuern 
Zeit  gewesen,   so   hätte  diese   neue  Erscheinung 


Vorerinnerungen.  '    j5 

ohne  allen  Zweifel  Epoche  in  der  Geschichte 
der  Musik  gemacht.  Eine  ähnliche  Erscheinung, 
die  nur  die  Veränderung  der  hen'schenden  Takt- 
art in  der  kirchlichen  Musik  betraf,  machte 
wirklich  Epoche  und  blieb  unvergesslich.  Es 
war  die  Einfuhrung  des  Gregorischen  Gesanges 
an  die  Stelle  des  Ambrosischen,  von  welchen 
beiden  an  gehörigem  Orte  die  Rede  seyn  wird. 
Allein  nirgends  findet  man  in  der  Geschichte 
der  Musik  einen  Zeilpunkt  bemerkt ,  wo  aus 
taktlosen  Rhythmen  ein  Uebergang  zu  dem  gleich- 
massigen  Takt  statt  gefunden  habe.  Der  Takt 
erschien  also  niemals  als  etwas  neues,  zuvor  noch 
unerhörtes ,  und  so  darf  man  wohl  auch  für  hi- 
storisch ausgemacht  annehmen ,  dass  er  von  An- 
fang an  den  Rhythmen  eigenthümlich  gewesen 
sey.  ]Nur  verwechsele  man  nicht  den  Takt  in 
der  Musik,  mit  der  bestimmten,  zweckmässigen 
Bezeichnung  des  Taktes  in  der  Notirung. 

Die    Grammatiker. 

21. 

Aus  den  Schriften  der  alten  Theoretiker 
(Grammatiker)  lässt  sich  über  diesen  Gegen- 
stand :  ob  nämlich  der  Rhythmus  der  alten  Mu- 
sik und  Poesie  taktlos  gewesen  sey,  und  ob  das 
Gehör  eine  Stimme  bei  Beurlheilung  eines  Rhyth- 
mus habe,  wenig  Aufschluss  erwarten.  Diese 
Metriker  schrieben  zum  Theii  zu  einer  Zeit .  wo 


i()  •  Vor  erinnc  r  ungcn. 

sie  nocli  Gelegenheit  hatten,  die  Verse  der  al- 
ten Dichter  in  lebendigem  Vortrag  recitii-en  oder 
singen  zu  hören,  es  konnte  ihnen  also  nicht 
leicht  einfallen,  dass  sich  jemals  ein  Widerstreit 
zwischen  Gehör  und  Theorie  werde  vernehmea 
lassen.  Theils  aber  hatten  jene  Grammatiker 
gar  nicht  die  Absicht,  eigentliche  Theorien  des 
Versbaues  und  des  Rhythnius  zu  schreiben.  Sie 
wollten  —  so  zeigen  es  wenigstens  ihre  auf  uns 
gekommeneu  Schriften  —  nichts  anders  liefern, 
als  Beobachtungen  über  die  bei  den  Dichtern 
vorkommenden  Versarten  und  ihre  eignen  gele- 
gentlichen Bemerkungen  dabei.  An  eine  voll- 
ständige Theorie  des  B.hythmus  dachten  sie  da- 
bei nicht,  und  wenn  sie,  wie  gewöhnlich,  einige 
Abschnitte  der  Lehre  vom  Rhythmus  oder  vom 
Metrum  w^idmen,  so  geschieht  es,  wie  man  bald 
sieht,  mehr  aus  einer  Art  von  gelehrter  Conve- 
nienz,  als  aus  Interesse  an  der  wissenschaftlichen 
Begründung  eines  Systems. 

22. 

Aus  den  Schriften  der  Grammatiker,  die  sich 
leicht  beurtheilen  lassen,  weil  gewöhnlich  einer 
dem  andern  nachschrieb,  sieht  man,  dass  ihre 
Ansicht  der  Metrik  ungefähr  diese  gewesen 
seyn  mag: 

Sie  fanden  die  verschiedenen  Versgattungen, 
als  etwas  Gegebenes ,  schon  vor  sich.  Nun  hatte 
man   seit    den   frühesten  Zeiten,    in  der  ältesten 


Vor  erinneru  n  gen.  jt 

Versgattung,  dem  Hexameter,  die  sechs  metri- 
schen Abschnitte,  oder  Takte  bemerkt,  und  als 
Maas  des  \  erses  gebraucht.  Man  nannte  sie 
Füsse.  Bekanntlich  sind  die  Füsse  des  Hexa- 
meters abwechselnd  Spondeen  oder  Daktylen, 
und  so  trug  man  die  Benennung  Fuss  auf  diese 
bestimmten  Formen  des  Verstaktes  über,  und. 
nannte  den  Spondeus  und  den  Daktylus  eben- 
falls Füsse.  Ein  solcher  Fuss  an  sich  ,  ausser 
seiner  Stelle  im  Verse  betrachtet,  zeigte  sich  als 
eine  Zusammensetzung  von  Sylben ,  und  weil 
man  diese  hier  bloss  ihrer  Quantität  nach  be- 
trachtete ,  als  eine  Zusammensetzung  von  Längen 
oder  Kürzen,  dergleichen  im  Hexaiueter  der 
Spondeus  und  Trochäus  zwei,  der  Daktylus  drei 
enthält.  Diese  Beobachtung  führte  auf  den  Ver- 
such, mehr  Zusammensetzungen  von  Längen  und 
Kürzen  zu  machen,  und  diese  gleichfalls  Füsse 
zu  nennen.  So  kam  in  das  Wort  Fuss  eine  Viel- 
deutigkeit, indem  man  bald  den  Verstakt  (z.  B. 
der  Hexameter  hat  sechs  Füsse,)  bald  die  Form 
dieses  Verstaktes,  bald  überhaupt  eine  der  ver- 
schiedenen Zusammensetzungen  langer  oder  kur- 
zer Zeitabtbeilungen  oder  Sylben  darunter  ver- 
stand. Worte  ,  Welche  mit  ihrer  Sylbenquanti- 
tät  einen  solchen  Fuss  erfüllen,  hat  man  neuer- 
lich Wort  füsse  genannt.  So  ist  z.  B.  das 
Wort  Unschuld  ein  trochäischer,  das  Wort  Dop- 
pelgeslirn  ein   choriambischer  Worlfuss. 

2 


iS  V  ore  rinne  r  ujig  c  11. 

F  ü  s  s  e. 

25. 

Durch  diese  Zusammensetzung  langer  und  kur- 
zer Syibcn  bekamen  die  Grammatiker  eine  be- 
träcbtiiche  Anzahl  von  Füssen,  die  sie  gewöhn- 
lich nach  der  Zahl  der  darin  enthaltenen  Syl- 
ben,  in  zwei,  drei  und  viersylbige  theilen,  de- 
nen sie  auch  zuweilen  ein  Verzeichniss  von  fünf 
und  sechssylbigen  beifügen.  Jeder  Fuss  bekommt 
«einen  Namen ,  eini'^en  hat  man  auch  mehrere 
iSamen  zugeiheill.  So  heisst  der  Trochäus  auch 
Choreus,    der  Kretikus    auch  Amfimacer  u.  s.  f. 

JNach  der  üblichen  metrischen  Bezeichnung 
wird  bekanntlich  die  lange  Sylbe  mit  dem  Quer- 
stx'ich  (  ),  die  kurze  mit  dem  Häkchen  (^)  be- 
zeichnet, und  so  wird  das  nachfolgende  Ver- 
zeichniss der  Füsse   verständlich  seyn. 

24. 
Zweisylbige  Füsse  gibt  es  vier : 

Spondeus,  z.  B.  Wohllaut. 

—  —  Trochäus  oder  Choreus,  z.  B.  Vater. 

^  -  Jambus:  Prophet. 

'*'  -'  Pyrrhichius:  Deus. 
In  der  deutschen  Spruche  gibt  es  allerdings  pyr- 
rhichisclie  Worlfüsse,  z.  B.  Jeder,  oder,  weder 
und  ähnlicbe,  doch  sind  sie  noch  so  wenig  an- 
erkannt, als  vor  einiger  Zeit  die  Spondeen  Un- 
schuld, Freiheit  und  andi-e. 


Voreri  nii  erungen.  -  jq 

25. 

Dreisylbige  Füsse  sind  acht: 

Molossus :    andaclitvoll. 

^  s^  ^  Tribracliys:  canite. 

—  ^  «-  Daktylus:   heilige. 
w  —  —  Anapäst:   Diamant. 

■  -  Kretikus:   Vaterland.  ' 

w  -  w  Amfibrachis :    Gefilde. 

—  —  w  Bacchius:   anbeten. 

-'  —  —  Palimbacchius :    Gewaltthat. 
Nach    einigen    heisst    der    mit    der  Kürze  anfan- 
gende   Fuss    (^ )    Bacchius    und    dei-   entge- 
gengesetzte ( ^)  Palimbacchius. 

26. 
Viersylbige  Füsse  sind  sechszehn : 
w  w  w  w  Proceleusmatikus :    celeriter. 
_  _  _  _  Dispondeus :  Seekriejschauplatz. 

-  w  -  w  Ditrochaeus :  Ungewitter. 
w  —  «^  —  Dijambus :  Bekümmerniss. 

-  ^  w  _  Choriambus:  Doppelrubin. 
^ w  Antispast:  Gebirgklüfte. 

-  -  "^  w-  sinkender   Joniker   ( lonicus    a  ma- 

iore)  Anküudiger. 

-  »^  -  -  steigender  Joniker   (Ion.  a  minore) 

Meteorstein. 

-  ^  ^  ^  erster  Päon:  Flüchtigere. 
-'  —  ^  -'  zweiter  Paon :  Beseliger. 
^  w  _  w  dritter  Päon:    Alabaster. 


2(,  Vorer  Iniieruug  en. 

^  ^  ^  _  vierter  Pänn :  lleligioii. 

^ erster  Epitritus :    Triumphausruf. 

_  ^  _  _  zweiter  Epitritus:  Tociesanblick. 
__,.,-  dritter  Epitritus:  Abschiedgesaug. 
*,  vierter  Epitritus:  Epheuranke. 

27. 

Fünfsylbige  Füsse  gibt  es  zwei  und  dreissig. 
Ihre  Namen  werden  verschieden  und  nicht  mit 
hinlänglicher  Bestimmtheit  angegeben.  So  nennt 
2.  B.  Diomedes  (Putsch.  S.  478.)  nur  ein  und 
dreissig,  und  zuweilen  verschiedene  mit  demsel- 
ben Namen.  Die  gewöhnlichsten  Benennungen 
sind   folgende. 

,^  w  ^  ^  -<  Orthius. 

-  ^  Molossospondeus. 

^  w  w  v^  —  Pyrrhichianapäst. 

_ _  w  Kalalypus. 

^  ^  ^ Hegemoskolius. 

—  —  —  -'  —  Spondeokretikus. 

^  ^  _  w  ^  Mesomacer. 

Mesobrachys. 

-/  _  «  sK  ^  Pariambus. 

„  ^ Hyperbrachys. 

•/w  w  —  —  Dasius. 

__  —  ■«'-'  Spondeodaktylus. 

w .  Musicus. 

w  w-  _  Amoebaeus. 

*. w  w  Jambodaklylu«. 


Vo'rerinn  erunges.  21 

_  w  w  —  —  Choreobacchius. 
^  w  —  —  —  Dipliyes. 
_  _  w  >--  ^  Syinplektus. 
w  _  w  ,./  —  Cyprius* 

_  ^ ^  Aulicyprius. 

^  w  -  «  -  Hegemokretikus. 
_  _  v^  _  s^  Spondeoskolius. 
w  —  w  —  w  Perio.dikus. 

.  _  V-  -  Anliperiodikus. 

w  -  -  —  -  Pfobracliys. 
—  w  *^  *.-  w  Parapäon. 
1.^  _  _  w  —  D  o  c  h  ui  i  u  s. 
^  ^  ^  —  ^  Doriskus. 
_  v^  w  w  —  Strofus. 

^^  _ w»  Anüstrofus. 

.^  —  w  —  —  Paviaiubocles. 
_  ^  _  »^  w  Choreodaktylus*. 

28. 

Secbssjlbige  Füsse   gibt   es  vier  und  sechzig, 
wtlchc  uebst   ihren   Bcnenuuugeu   der  Yollslän- 
(ligkeit  wegen  hier  Platz,  finden  mögen. 
.^  w  s«  w  w  w  Dichoi*eus. 

—  —  ^  —  Dikanius. 

^  w  V*  w  »-<  -  ChoreoantidaktyluSa 
_  _  —  —  —  w  Kaniolalius. 
.^  w  w  w  -  w  Choreoskolius. 
—  _  —  —  «-'  —  Kaniokrclikus. 
»^  w  -*  _  ,^  w  Choreodaktylus. 


V  o  r  e  r  1  n  n  0  r  u  n  c,  e  n. 

___«  —  —  Kaniobacchius. 
w  w  _  ^  v^  w^  Anapästochoreus 

—  —  ^  —  —  —  Laliocaniiis. 

w  -  w  -.  w  w  Skoliocl)oreus. 

_  w  —  —  —  —  Kretikokanius. 

w  ^  w  ^ Choreobacchius. 

—  —  —  —  ^  ^  Kanioclaktylus. 

w  ^  V  —  —  «^  ChoreoantibaccbiuS. 
_  _  _  ^  v„  _  Kaiiiantidaktylus. 
w  w  _  _  ^  w  Anapästodaktylus. 

w  .-  _  _  Latiobacchius. 

w  _  _  w  w  w  Bacdiiochoreus. 

_  w  »^ Daktylocanius. 

w.  w  v^  —  w  _  Choreokretikus. 
_  _  —  ^  —  ^  Kanioskolius. 
»>  w  _  w  —  w<  Anapäsloskolius. 
_  _  w  _  w  —  Laliokretikus. 
»^  _  w  —  w  w  Skoliodaktybis. 
_  ^  „  w  _  _  Krelikobacchius. 
^  _  _  w  _  _  Dibacchius. 
_  ^  ^  _  w  «-  Diclaklybis. 
^  _  w^  ^  w  -  Ökolianapästus. 

—  w>  _  —  —  —  Kredkolatius. 

-.  w  w  _  —  —  Cboreomolossus. 

w  w  ^  Molossocboreus. 

w  ^  —  -  -  w/  Anapästolatius. 

w  -  w  -  Latiautidaktylus. 

w ^  w  Bacchiodaklylus. 

-  ^  ^  ^ Daktylobacchiu^. 


Vorerinnerungen.  a3 

^  —  Skoliokretikus. 
_  ^  Krciikoskolius, 

Skoliobacchius. 

^  w  Kretikodaktylus. 

—  w  Bacchioskollus. 
w  —  Daklylocreticus. 

—  ^  Skoliolatius. 

^  —  Ki'etikanapästus. 

—  —  Anapästokretikus. 

—  >-  Lalioskolius. 

•^  —  Baccliianapästus. 

—  «^  Daktylolatius. 

—  —  Skoliokanius. 

>-'  -'  Kretikochoreus. 
-^  —  DJanlidaktylus. 

—  --  DilaUus. 

—  ^  Diskoliiis. 
•V  —  Diki'elikus. 

«"  -  Baccliiokjfctikus. 

—  >-'  Daktyloskolius. 

—  —  Baccliiülalius, 

w  —  Daktylanapästus. 

Anapästomolossus. 

'-'  -'  Laliüdioreus. 

Baccliiokanius. 

"x  ^  Daklylocliorcus. 
«-  s^  Laliodaktylus. 
Aiiapästobaccliius. 


24  Vorerinnerungen. 

29. 

Es  hegreift  sich  leicht,  ciass  die  Zahl  der  Füsse 
in  das  Unbestinitiite  auf  diese  Art  veiTnehrt  Avex'- 
den  kann,  denn  ausser  dem  Nachlassen  der  Ge- 
duld, die  endlich  doch  ausgeht,  findet  sich  kein 
Grund,  das  Zusetzen  neuer  Sylben  einzustellen. 
Wollte  man  aber,  um  siebensylbige  Worte,  z.  B. 
Flulenbesänftigerin,  als  Füsse  zu  benennen,  alle 
128  siebensylbige  Füsse  aufzählen,  so  unternahm' 
man  ohne  Zweifel  eine  sehr  unnütze  Mühe, 
denn  mit  der  Kenntniss  der  zwei ,  drei  und  \  ier- 
sylbigen  und  einiger  wenigen  unter  den  fünf- 
sylbigen  Füssen,  reicht  man  bequem  aus,  und 
die  gajize  Klasse  der  sechssylbigen  ist  hier  nur 
aufgeführt,  theils  der  Vollständigkeit  wegen,  theils 
um  die  verschiedenen  Namen ,  mit  denen  die 
Theoretiker  oft  denselben  Fuss  bezeichnen,  bei 
dieser  Gelegenheit   zu  bemerken. 

In  neuei-n  Zeiten  hat  es  nicht  an  Versuchen 
gefehlt,  den  Füssen  andre  Namen  zu  geben. 
Von  dem  deutschen  Purismus,  der  statt  Spon- 
deuSi>  Tritt;  statt  Trochäus,  Wälzer;  für  Dak- 
tylus, Fingerfuss  empfahl,  ist  wenig  zu  sagen. 
Erwähnung  aber  verdient  der  Einfall  des  Hrn. 
Kirchenrath  Perschke.  Dieser  schlägt,  in  sei- 
ner, sonst  nicht  sehr  zu  empfehlenden  Or  t hö- 
rne tri  c  (1809)  vor:  den  Füssen  solche  Namen 
zu  geben,  die  zugleich  die  prosodische  Natur 
des  bezeichneten  Fusses  selbst  hören  lassen.     Er 


Vorerinner  ungen.  26 

nennt  deswegen  den  Spondeus:  Klopstock;  den 
Trochäus:  Hölty;  den  Jambus:  von  Kleist;  und 
die  Einzellänge ,  die  er  als  Fuss  geltend  machen 
will:  Voss.  So  wunderlich  die  Sache  beim  er- 
sten Anblick  aussieht;  so  ist  doch  nicht  zu  läug- 
neu,  dass  durch  dergleichen  charakterisirende 
Benennungen  der  Füsse  dem  Gehör  ein  Sche- 
ma gegeben  Avird,  dem  ähnlich,  welches  die 
metrischen  Zeichen  für  das  Auge  bilden.  Hätte 
der  Verfasser  nur  übrigens  nicht  zu  voreilig  und 
ohne  hinlängliche  Kenntniss  der  Metrik,  über 
Metrik  geschrieben,  so  würde  dieses  hörbare 
Schema  beim  Ijnterricht  allerdings  manchen  \  or- 
theil  gewähren. 

5o. 

Ausser  dieser  Klassifikation  nach  der  Sylben- 
zahl,  theilten  die  Grammatiker  die  Füsse  auch 
nach  den  darin  enthaltenen  Zeiten  ein.  In- 
dem sie  nemlich  in  den  langen  und  in  den  kur- 
zen Sylben  einen  verschiedenen  Zeitgehalt  be- 
merkten, und  diesen  durch  ein  bestimmles.  ^'er- 
hältniss  bezeichnen  wolilen,  theilten  sie  der  kur- 
zen Sylbe  ein  Zeitmomeut  (Zeit,  lem})us,  mora, 
Xoovog -,  at]f.i{cov)  zu,  der  langen  hingegen  zwei 
dergleichen  Momente.  JNach  dieser,  nicht  zäh- 
lenden, sondei^n  messenden  Ansicht,  theilten  sie 
die  Püsse  ein  ,  in: 

1.  Zweizeilige.     Zu   dirser   Klasse   gehört    nur 


20  Vorerinnerunp;en. 

der  Pyrrliicliins  ( ■),  denn  die  Einzel- 
lange  (-),  wo  sie  auch  zwei  Zeilen  hat,  ist 
doch  nur  Sylbe  und  nicht  Fuss  zu  nennen. 
2.  Dreizeitige.  Diese  sind  nach  den  Graju- 
niatikern : 

der  Tribrachys  w  w  ^ 

der  Trochäus 

der  Jambus  -'  — 
5.  Vierzeitige.     Dahin  zählten  sie: 

den  Proceleusmatikus  «-^  w  ^  «,« 

den  Daklylus   -  w  w 

den  Anifibrachys  ^  —  w 

den  Anapäst  ^  ^  - 

den  Spondeus  —  — 

rr 

Ol. 

Es  war  Zeitverlust,  dieses  Verzeichniss  fort- 
zusetzen ,  denn  theils  sieht  man  an  der  Bezeich- 
nung jedes  Fusses  gleich,  wie  viel  Zeiten  er 
nach  der  Ansicht  der  Grammatiker  haben  müs- 
se ;  theils  ist  diese  Ansicht  selbst  durchaus  falsch, 
und  hat  die  Metrik  den  gross ten  Verwu'rungen 
und  Missverständnissen  ausgesetzt. 

32. 

Die  Behauptung  nemlich ,  dass  jede  Länge 
zwei  Kürzen  gleich  sey,  beruht  auf  einer  Täu- 
schung, die  sich  von  den  ältesten  Zeiten  an  bis 
auf  die  neuesten  erhalten  hat,  und  der  zuerst 
von  dem  Verfasser  dieser  Metrik  in  dem  Anhang 


Vorerinnerungen.  17 

zvi  der  Tragödie:  die  Aetolier,  und  später  in 
einer  ÄJjliandiung  über  Rliythmus  und  Metrum 
(Allg.  Mus.  Zeitung  1807  u.  1808)  widersproclien 
worden  ist.  Es  ist  nölhig,  diesen  Gegenstand 
hier  vorläufig  zu  erwähnen. 

53. 

Wem  die  Geschichte  der  Musik  nicht  unhc- 
kannt  ist,  der  erinnere  sich,  dass  die  musikali- 
sche Bezeichnung  des  Zeitgehaltes  anfangs  sehr 
unzureichend  war,  und  dass  Jahrhunderte  vei-- 
gingen,  ehe  mau  die  Intervalle  der  Töne  und 
ihre  Dauer  mit  der  Genauigkeit,  wie  jetzt,  be- 
zeichnen lernte.  Das  Länger  und  Kürzer  war 
bald  angedeutet ,  aber  in  dem  Wie  lang  und  Wie 
kurz,  lag  die  Sclnvierigkeit.  Die  Noten  reich- 
ten deswegen  in  den  ersten  Zeiten  nicht  zu,  den 
Gesang  eines  Liedes  zu  lernen ,  und  man  inusste 
die  Sänger  oft  weit  in  ferne  Länder  schicken, 
um  den  Gesang  zu  hören,  an  dessen  Melodie 
alsdann  die  unvollkommne  Bezeichnung  erinner- 
te. Ueberlegt  man,  Avie  ganz  verschieden  es  sey: 
mit  dem  Sinn  etwas  lebendig  aufzufassen ;  und  da- 
gegen es  in  Worten  oder  andern  Zeichen  so 
klar  und  vernehmlich  auszudrücken,  dass  Jeder, 
der  das  conventionelle  Zeichen  sieht,  dadurch 
sogleich  das  Bezeichnete  in  lebendiger  Anschau- 
ung vor  sich  habe,  und  selbst  innerlich  sinnlich 
wahrnehme,    so    wird    man    zugeben,    dass    die 


28  Vorerinnerungen, 

Sänger  cler  alten  Zeit  eine  Melodie  richtig  sin- 
gen konnten,  ohne  im  Stande  zu  seyn,  über  die 
Verhältnisse  der  Längen  und  Kürzen  darin,  durch. 
Worte  oder  Messung  genaue  Rechenschaft  zu  ge- 
ben. Uns,  die  wir  die  Melodie  gewöhnlich  mit 
Hülfe  der  bestimmten  Taklzeichen  erlernen,  wii*d 
dieses  freilich  leicht,  aber,  so  wie  ein  Ungeüb- 
ter im  Schreiben  selbst  das,  Avas  er  richtig  spricht, 
nicht  immer  richtig  bezeidinet,  eben  so,  und 
noch  weit  unzulänglicher,  wird  ein  Sänger  vor 
Erfindung  der  musikalischen  Bezeichnung,  die 
Verschiedenheit  der  Längen  und  Kürzen  ange- 
deutet haben ,  und  eben  so  unbestimmt  wird  er 
sich  auch  in  Worten  über  das  Wie  lang  und 
W^ie  kurz,  ausgedruckt  haben. 

54. 

Indessen  drang  sich  doch  zuweilen  die  Noth- 
wendigkeit  einer  solchen  Bestimmung  auf,  und 
dann  war  nun  wohl  das  einfachste  Verhältniss, 
welches  der  Länge  noch  einmal  so  viel  Dauer 
gab  als  der  Kürze ,  das  nächste  und  erste ,  was 
man  beim  Theoretisiren  ergriff.  Auch  der  Um-» 
stand,  dass  vielleicht  die  ältesten  Rhythmen, 
welche  man  bezeichnen  wollte,  eben  aus  diesem 
einfachen  Verhältnisse  liestanden,  konnte  dazu 
beitragen,  dass  niemand  dieser  bequemen  An- 
nahme zu  widersprechen  Ui-sachc  fand.  So  muss 
durfh  eine  alte  Tradition  dieses  Verhältniss  der 


Vorerinnerungeo.  '  29 

Kürze  zur  Länge  wie  Eins  zu  Zwey  auf  die 
Grammatiker  gekommen  seyn,  denn  sie  sprechen 
davon  als  von  einer  bekannten,  längst  unbe- 
zweifelten  Sache ,  ohne  einen  Grund  für  die  An- 
nahme dieses  Yerhähuisses  anzuführen.  'Auch 
gilt  ilinen  überall  die  Länge  zwei  Kürzen  gleich. 

55. 

Doch  scheinen  die  Musiker  der  alten  Zeit 
schon  gefühlt  zu  haben,  dass  dieses  \'erhällniss 
der  Länge  zur  Kürze  nicht  das  einzige  sey,  und 
die  iNIusik  rausste  auch  in  der  That  sie  bald  zu 
dieser  Bemerkung  veranlassen. 

Der  Grammatiker  IMarius  Viktorinus  (Putsch 
S.  248o)  sagt:  Unter  den  Musikern  und  Metri- 
kern ist  grosser  Streit  über  den  Zeitgelialt  der 
Sylben.  Denn  die  Musiker  behaupten,  nicht 
alle  Längen  und  alle  Kürzen  haben  gleichen 
Zeitgehalt,  indem  es  Sylben  gebe  von  grösse- 
rer Länge,  als  die  vollkommene,  und  von  ge- 
ringerer Dauer,  als  die  einzeitige  Kürze  hat. 
Deshalb  hielten  sie  auch  in  ihren  Melodien 
manche  Länge  länger,  und  fertigten  manche 
Kürze  kürzer  ab,  als  das  gewöhnliche  Maas  es 
bestimmte.  Die  Metriker  hingegen  blieben  bei 
dem  gewöhnlichen  Zeitmaas  stehen,  und  ge- 
stehen nicht  zu,  dass  es  Längen  von  verschied- 
nem  Zeilmaas  und  Kürzen  von  verschiedner 
Dauer  gebe. 


5d  Vorerinnerungen. 

Mari  US  selbst  zieht  sich  bequem  aus  diesem 
Streit,  iudtm  er  sagt:  Lang  sey  lang ,  und  kurz 
sey  kurz.  Wenn  man  sage ,  die  Deutschen  seyen 
von  langer  Statur,  so  behaupte  man  damit  nicht, 
dass  sie  alle  nach  der  Schnur  gemessen  seyen. 
Dergleichen  Subtilitäten  möchten  die  Musiker 
aushorchen,  der  Mtlriker  nehme  darauf  keine 
Riicksiclit. 

Man  sieht,  dass  die  Metriker  schon  in  der 
allen  Zeit  einen  Tick  gegen  die  Musiker  hatten, 
und  ihren  bessern  Einsichten  widersLrebien.  Auf 
jeden  Fall  zeigt  diese  Stelle  des  Marius  Vikto- 
rinus,  dass  die  allen  Khythmen  in  der  x\usübiing 
ein  andres  Maas  hören  liessen ,  als  die  Metriker 
mit  ihren  bloss  zweizeitigen  Längen  und  ein- 
zeiligen Kürzen  zu  bezeichnen  im  Stand  waren, 
und  dass  mithin  die  metrischen  Zeichen,  deren 
Beibehaltung  nicht  ihre  Zweckmässigkeit,  son- 
dern der  Eigensinn  der  Theoretiker  veranlasste, 
uns  keine  richtige  Anschauung  des  Gesanges  der 
alten  iihythmeu  geben  können. 

36. 

Dass  es  noch  andre  Verhältnisse  der  Länge 
zur  Kürze  geben  müsse,  als  das  von  Zwei  zu 
Eins,  wird  bei  der  Entwickeluug  des  Metruiu 
vollkommen  bewiesen  werden.  Jetzt  genüge  uns 
voriiamg  die  Sprache  selbst,  um  das  wirkliche 
\  orhujidenseyn  eines  andern  Verhältnisses  nach- 


Vorerinnerungen.  3i 

zuweisen.  Diese  Hinsicht  auf  das  Maas  in  der 
Sprache  ist  uns  um  so  nöthiger,  da  einige  Me- 
triker ( z.  B.  Hermann  Metrik  §.  5o )  in  der 
Sprache  nur  ein  einfaches  und  ein  doppehes 
Maas  hören  Avollen,  und  so  durch  eingestande- 
nen Mangel  eines  richtigen  Gehörs  den  besten  • 
Aufschluss  über  die  Irrthümer  ihrer  Theorien 
geben. 

Man  spreche  Worte ,  als:  Anbeten,  Aus- 
rufen, D  urchg  an ge,  deutlich  und  mit  Auf- 
merksamkeit aus,  aber  ganz  auf  die  ungezwun- 
gene Art ,  wie  man  sie  im  alltäglichen  Gespriich 
auszusprechen  pflegt.  jNiemals  wird  man  sprechen 
Durchgänge  Furchtbares 


I      > 


sondern  jeder,  der  sich  natürlich  gehen  lässt, 
spricht  deutlich  und  bestimmt: 

Durchgänge  Furchtbares 

I  I     >  \  \      > 

«•      «    tf  •  •      •     « 

und  gibt  also  der  ersten  Sylbe,  nicht  bloss  den 
Accent,  sondern  drei  Zeitmomente,  der  zweiten 
Zwei  und  der  dritten  Ein  Moment.  Nur  wenn 
er,  des  veränderten  Sinnes  AVegen  Furchtbares 
und  Furchtloses  unterscheiden  wollte,  würde 
er  zwar  die  zweite  Sylbe  betonen,  aber  deswe- 
gen immer  noch  nicht : 

Furchtbares 


3a  Vor  eriniie  rungen. 

sondern  vielmehr   im  Auftakt: 
Furchtbares 

•  I  •  • 
sprechen.  Man  sielit  also ,  dass  die  Sprache 
selbst  schon  die  dreizeitige  Länge  hat,  und  dass 
diese  unverkennbar  dem  genau  hörenden  Beob- 
achter erscheint.  Dieser  Umstand  allein  wäre 
schon  hinlänglich,  die  Messung  der  Füssc  nach 
Zeiten,  in  dem  Verhältniss,  welches  die  Gram- 
matiker lehren,  zu  verwerfen,  allein  die  Folge 
wird  dieses    noch  einleuchtender  machen. 

57. 

Neben  der  Ansicht  der  Füsse  als  Zusammen- 
setzungen von  Längen  und  Kürzen,  hatte  sich 
den  (Grammatikern  auch  der  ursprüngliche  Cha- 
rakter der  Füsse  als  Versmaas  (Takt)  erhalten. 
Hierdurch  wurden  sie  wahrscheinlich  zu  dem 
Ii'rthum  veranlasst,  als  sey  jeder  Fuss  und  jede 
Zusammensetzung  von  Sylben,  zugleich  auch  als 
Versmaas  zu  gebrauchen,  und  hierauf  gründet 
sich  die  zuweilen  ganz  unmetrische  und  verwor- 
rene Messung,  Benennung  und  Abtheilung  man- 
cher \ersarten. 

Fanden  z.  B.  die  Grammatiker  einen  Rhyth- 
mus, dem  wir  in  unsern  musikalischen  Zeichen 
ganz   singbar 


--*- *«— H— J|r— ^•-J< 1-.3  J-  —  « 


:SE^E3E?£Ezz^fä^:E:^ 


V  o  r  e  r  i  n  n  e  r  u  u  g  e  n.  55 

bezeichnen  ^vü^clcn    in  dem  Vers: 
Im   rotliglühenden   Morgenlicht 

SO  suchten  sie  die  Bezeichnung  seines  Sylbenge- 
hahes  auf  Füsse  zurückzuführen  und  fanden  nun 
einen  Antispast  und  einen  Diiambus. 

Nun  war  ihnen  der  Vers  ein  antispastischer,  und 
um  den  zAveiten  iambischen  Theil  nicht  ausser 
der  Theorie  zu  lassen ,  ward  die  Bemerkung 
hinzugefügt,  die  antispastischen  Verse  wechsel- 
ten neben  dem  Grundfuss  der  Antispasten  auch 
mit  der  ianxbisclicn  Dipodie  (oder  dem  Diiam- 
bus). Als  Grund  dieses  Wechsels  gab  man  auch 
wol  an,  der  Antispast  würde  dui'ch  seine  öf- 
tere Wiederholung  den  \  ers  rauh  und  hart 
machen.  So  erklärt  sich  z.  B.  auch  Hermann 
(Metrik  §.  65)  über  diesen  Wechsel. 

Kam   derselbe    Rhythmus   mit    der    geringen 
Veränderung 


•-'3— • • ^^ • — F 

vor,  z.  B.  in  dein  Vers: 

Wo   fröhlicheres   Lied   ertönt 

so  passte  er  nicht  mehr  auf  das  vorige  Schema, 
und  es  musste  ein  andres  entworfen  Werden: 


Die  vorige  Länge  (  j'^  statt  J^  )    schien  in  zwei 
Kürzen  aufgelöset.     Der  Vers  galt  den  Metrikern 


S4  Vorer  iimerun  ^e  11. 

nun  für  einen  Anlispast  lait  einem  Krelikus, 
und  3ie  bemerkten  nicht;  dass  sie  vorhin  nur 
durch  die  Zerreissung  des  Daktylus  (  j"  J^  >  in 
■  \  >^)  ihren  Diiambus  statt  des  Krelikus  er- 
hielten. 

Kam  folgender  Rhythmus  vor: 

3 


^m 


2.  B.  in  dem  Vers: 

In  dem   Gesang  zum   Olymp  empor 
so  musste  es  ebenfalls  ein  Antispast  seyn,  dessen 
erste  Länge  in  zwey  Kürzen  aufgelöset  war 

mit  nachfolgender  iambischer  Dipodie;  und  so 
wurden  die  verschiedensten  Rhythmen  oft  als 
gleich  und  gleiche  als  verschieden  betrachtet, 
wie  es  die  metrische  Bezeichnung  der  Füsse  ver- 
anlasste. 

Dieses  ist  wol  Beweis  genug ,  dass  die  Me- 
triker den  Vers  nicht  als  lebendigen  Gesang 
vernahmen,  sondern  bloss  als  todles  unorgani- 
sches Aggregat  von  Sylben  und  Füssen  analy- 
sirten  und  auch  wol  zusammensetzten.  Sic  wa- 
ren, wenn  der  Vergleich  erlaubt  ist,  Anatomen 
des  \erses  und  befassten  sich  nicht  mit  der  Fy- 
siologie  seines  Organismus.  Bei  den  meisten 
Versgattungen  wird  sich   in  der  Folge  Gelegen- 


Vorerinnerungen.  36 

heit  finden,  diese  Ansicht  der  Grammatiker 
nachzuweisen. 

38. 
Nicht  allemal  indessen  konnten  die  Gram- 
matiker in  einem  vorkommenden  Vers  den  be- 
stimmenden Grundfuss  auffinden,  und  die  an- 
dern als  Varietäten  desselben  betrachten.  So 
fanden  sie  z.  B.  den  saffischen  A'^ers : 

oixffg  GTQOv&oi,    -JiTiQvyag  [xilaivag 

lam    satis    tevris    nivis    atque    dirae 

Klaggetön   umher,   und   des  wilden   Schlachtrufs 

dessen  leichter  und  fliessender  Gesang  sich  doch 
auf  keine  regelmässig  wiederkehrenden  Füsse 
wollte  zurückführen  lassen.  Denn,  wenn  man 
ihn  in  solche  zu  zerlegen  sucht, 

so  entsteht  allerdings  ein  sehr  verworrenes  und 
widersprechendes  Gemisch,  und  selbst  die  Ab- 
iheilung   des  Hefästion 

gab  keine  Gleichförmigkeit  in  den  Abschnitten. 
Die  Grammatiker  erdachten  daher  fiir  diese  Gat- 
tung von  Versen  eine  besondere  Klasse,  die  sie 
widrig  gemischte  Verse  [f^uxQu  xaz  upti- 
■naOftuv  ^iixcu)  nannten.  Aon  diesen  wird  iu  ei- 
nem besonderu   Abschnitte  die  l\cde  seyn. 


36  Vorerinnerungen. 

3c,. 

Indem  wir  das  eben  Gesagte  übersehen ,  fin- 
den wli"  die  Grammatiker  in  einem  doppelten 
Irrthiim  befanijen,  wodurch  ihre  Lehre  vom  \ers 
und  Versbau,  der  äussersten  Verworrenheit  aus- 
gesetzt werden  musste. 

Der  erste  Irrthujn  besteht  darin,  dass  sie 
den  verschiedenen  Geliah  der  Längen  und  Kür- 
zen verkannten  und  jeder  Kürze  ohne  Unter- 
schied Ein  Zeitmoment,  jeder  Länge  ohne  Aus- 
nahme zwei  dergleichen  Momejite  zuschrieben. 
Daher  bedienten  sie  sicli  auch  nur  zwei  metri- 
scher Zeichen  ,  des  liegenden  c  (-)  für  die  Länge, 
und  der  untern  Kreishälfte  (-')  für  die  Kürze. 
Isidor.    Orig.    i.    16. 

4o. 

Wir  haben  bemerkt,  dass  die  Sprache  in 
den  Worten  selbst  schon  dreizeitige  Längen  hat, 
z.  B.  Ruhmvolle ,  schamhafte ,  Jungfrauen  u.  a.  m. 
Rhythmen,  mit  dreizeitiger  Länge,  sind  aus  der 
Musik  allgemein  bekannt: 


jtir.-Dt. 


=}: 


:^ 


j 
Wenn  nun  Verse  vorkommen,  wie 

Liedvolle ,    laubdunkle  Waldesnacht 
ist  es  nicht ,    ohne    noch  auf  Theorie  jZu  sehen, 
wahrscheinlicher,   dass  der  Dichter  sie,  der  JNa- 


Vorerinnerungen.  3y 

tur  der  Sprache  gemäss,  nach  jenem  musikali- 
schen Pthythmus 

J-  J  jN  J.  J   / 1  J  .^  J. 

gedacht  hahe,  als ,  mit  Widerstreben  der  Sprache, 
nach  der  zweizeitigen  Länge  des  metrischen 
Schema 

in  folgendem  Maasi 


^  1    I    "N   I 
»  I  •   «   • 


Liedvolle,      laubdunkle       Waldesnacht 
wobei  der  Leser  sich  zwingen  muss,    nicht  hö- 
ren   zu    lassen,    was    Sprache    und    Versrhyth- 
mus fordern? 

Gleichwohl  bestehen  die  Metriker  auf  dieser 
unrhythmischen  Messung ,  wiewohl  einige  dar- 
imter  z.  B.  Quintilianus  (IX.  4,  98)  richtig  hör- 
ten, aber,  wie  es  Tlieoretikern  oft  geht,  avo  sie 
theoix;lisirien  (das.  47.)  sich  nicht  auf  das  be- 
sannen, was  ilinen,  wo  sie  naliu'lich  fühlten 
und  sprachen,  wohl  bewusst  war. 

4i. 
Da  nun ,  wie  später  noch  einleuchtender  wei*- 
den  wird,  die  Längen  und  Kürzen  nicht  alle 
von  gleichem  Zeitgehalt  sind,  so  ist  es  klar, 
dass  die  Analyse  vder  Verse  bei  den  Grammati- 
kern durcliaus  unrichlig  scyn  muss  in  allen 
Vcrsgattungeii,    deren    Längen  andern  als  zwei- 


.■SS  V  o  r  e  r  i  n  n  e  r  u  n  j^  e  n. 

zelligen  Gehalt  haben.  Hätten  Dichter,  was 
ijidessen  wol  selten  geschehen  seyu  mag,  den 
Grundsatz  der  Grammatiker  von  der  bloss  zwei- 
zeitigen Länge  bei  der  Bildung  ihrer  Verse  be- 
folgt, so  würden  die  Rhythmen,  welche  drei- 
zeitige Länge  fordern ,  w  enigstens  dann  fehler- 
haft gebildet  worden  seyn,  wenn  solche  drei- 
zeitige Längen  aufgelÖset,  und  nicht  durch  drei, 
sondern  nur  durch  zwei  Kürzen  im  Vers  er- 
stattet worden  wären.  Bei  spätem  Dichtern,  die 
mehr  der  Theorie  als  der  Natur  folgten,  war  die- 
ser Fall  nicht  unmöglich  und  der  Pvhythmus 

».    ä     m    \    0.    s     0    \     0      0      0. 
Hin  sank  das      blutgierge         Ungeheur 

könnte  vielleicht   in  diesen: 

und  es  sank,  des  La-bi  -  riutbes  Un-geheur 
verkehrt  worden  seyn ,  dem  der  Leser  von  selbst 
durch  leichte  Dehnung  des  ersten  Takttheiles 
nachzuhelfen  sucht,  wenn  er  die  angezeigte  Mes- 
sung erhalten  will.  Welche  Verse  nun  Längen 
von  andrem  als  zweizeitigen  Gehalt  haben,  wird 
aus  der  Natur  des  Rhythmus  und  des  Metruni 
vollkommen  klar  werden. 

42. 

Der  zweite  Irrlhum  der  Grammatiker  besteht 
darin,  dass  sie  die  Füsse,  welche  durch  die  vex*- 


Vorerinnerungen.  Sg 

scliiedencn  Zusammenstellungen  von  Längen  und 
Kürzen  entstanden  sind,  durch  eine  Verwech- 
selung mit  den  Verstaktfüssen,  als  Yersmaasse 
brauchen,  und  bald  Verse  aus  dergleichen  Füs- 
sen zusammensetzen,  hald  sie  in  solche  Füsse 
zerlegen,  Avie  oben  (3?)  an  einem  Beispiele  ge- 
zeigt worden  ist. 

Durch  dieses  Verfahren  ward  die  Wahrneh- 
mung des  Rhythmus  im  Verse  durchaus  gehin- 
dert, denn  die  Verse  wurden  in  Theile  zerris- 
sen, von  welchen  oft  keiner  ein  rhythmisches 
oder  metrisches  Ganzes  war,  indem  er  doch  mit 
dem  Schein  eines  solchen  Ganzen  täuschte  und 
spätere  Metriker  zu  den  sonderbarsten,  allen 
Rhythmus  zerstörenden  Behauptungen  verleitete. 

VVär  übrigens  diese  Synthesis  der  Verse  aus 
Füssen  richtig,  so  müssien  entweder  alle  Zu- 
sammensetzungen der  verschiedenen  Füsse  Verse 
geben,  oder  es  müsste  eine  Regel  gefunden  wer- 
den, die  festsetzte,  welche  Füsse  mit  einander 
verbunden  werden  können.  Eine  solche  R.egel 
ist  aber  nirgends  aufgestellt  worden,  ja,  die 
Grammatiker  heben  ihi'en  Begriff  auf,  indem 
i\c  widrig  gemisclile   Verse  annehmen. 

45. 

Bei  allen  Bemühungen  der  Grammatiker  und 
Philologen  blieb  also  di<;  Theorie  des  \ Crsbaucs 
und   die    Frkciintniss  <1(  .s  llliylbmiis   in   <icn  ;illtn 


4o  V  o  r  e  r  i  n  n  e  r  u  n  g  c  n. 

Versarten  noch  ganz  unbestimmt.  Die  Gelehr- 
ten stritten  darüber  mit  gewohnter  Heftigkeit 
oluie  dass  jemand  ausser  der  Schule  die  \  or- 
trelFlichkeit  ihrer  aufgezeigten  Rhythmen  ver- 
nommen hätte ,  und  innerhalb  der  Schule  selbst 
kam  es  aus  Mangel  an  festen  Grundsätzen  zu 
keinem  sichern  Resultate. 

Hermann. 

44. 
So  stand  es  noch  zu  der  Zeit,  als  durch 
Kaufs  Kritik  ein  Streben  nach  Gründlichkeit 
in  allen  Wissenschaften  aufgeregt  wurde.  Man 
begrill",  dass  es  jeder  Wissenschaft  gezieme,  auf 
festen  Principien  zu  ruhen,  und  Kenntnisse ,  die 
man  früher  höchstens  als  angenehme  Erheite- 
rungen des  Lebens  zu  betrachten  gewohnt  ge- 
wesen war,  wurden  jetzt  als  wissensehaftliche 
Lehrgebäude  begründet,  und  mit  systematischer 
Strenge  beurtheilt. 

45. 
Vorbereitet  zu  wissenschaftlichen  Untersu- 
chungen durch  Bekanntschaft  mit  den  Schriften 
Kaufs,  fas.-te  der  Philolog  Hermann  in  Leip- 
zig den  Vorsalz,  die  Metrik  wissenschaftlich  zu 
begründen  und  aus  dem  Begrilf  des  Rhythmus 
selbst,  die  Theorie  (\cs  Rhythmus  abzuleiten. 
Sein    erstes    Werk  erschien    zu  Leipzig   im  Jahr 


Vor  er  um  erun  g  c  11.  4i 

1796  unter  dem  Titel:  Godofredi  Hernianni,  de 
melris  poelarum  Graecorum  et  Romanoi-um ,  li- 
Lri  III.  Diesem  folgte  1799  iu  deutscher  Spra- 
che: Handbuch  der  Metrik,  von  Gottfried  Her-  • 
manu ,  worin  die  allgemeine  Theorie  des  Pvhyth- 
mus  noch  weiter  ausgeführt  Avard.  Gelegenlliclie 
Erörterungen  über  Rhythmus  in  akademischen 
Schriften  und  Ausgaben  alter  Dichter,  so  wie 
die  specielle  Abhandlung  über  die  Rhythmen 
Pindars ,  können  hier  nicht  besonders  aufgeführt 
werden.  Hermanns  Schriften  fanden  zwar  liei 
den  Filologen,  die  ihr  System  abgeschlossen 
hatten,  wie  dieses  bei  neuen  wissenschaftlichen 
Ansichten  immer  der  Fall  zu  seyn  pflegt,  Wi- 
dei'spruch,  dagegen  erregte  des  Verfassers  Bele- 
scnheit,  und  die,  pn  solchem  Stoff  nocli  nie  ge- 
sehene Filosofische  Form  bei  Unbefangenen 
Bewunderung  und  das  Ansehen  der  (jrammati- 
ker  ward  nach  und  nach  durch  den  neuen  Me- 
triker verdrängt. 

46. 

Hermann  halte  den  Plan  (Metrik  §..^  —  9), 
ein  a  priori  bestimmtes,  objektives,  und  forma- 
les Grundgesetz  des  Rhythmus  aufzustellen,  und 
aus  diesem  die;  voUstäJidige  Theorie  des  Rhyth- 
mus und  des  Metrum  abzuleiten,  gegen  welche 
alsdann  allerdings  kein  Z\v(  ifel  würde  erho])en 
werden   könne»).     1)ics(  s   (hiscIz    auf/,uliuden   be- 


42  Vor  e rinne ruii  gen. 

»liente  er  sich  der  Kantlscheii  Formen.  Denn 
wiewol  sclion  damals,  als  Hermann  schrieb,  die 
Kaiitischen  Lehrsätze  manche  tiefere  Begründung 
gefunden  hatten,  so  scheint  Hermann  doch 
sein  filosofi  ches  Forschen  mit  Kant,  wie  die 
meisten  damaligen  Filologen  ihr  metrisches  mit 
den  Grammatikern,  beschlo'  sen,  und  von  neuern 
Ansichten  nur  eine  unwillige  und  widerstrebende 
Notiz  genommen  zu  haben.  Was  aber  die  glück- 
liche Ausführung  seines  Planes  hauptsachlich 
hinderte,  war,  dass  er  nicht,  bevor  er  Hand  an 
das  Werk  legte,  sich  bemühte,  die  sinnliche 
Anschauung  des  Rhythmus  bestimmt  aufzufassen 
und  mit  Sicherheit  festzuhalten. 

Ein  mächtiges  Hinderniss  dabei  war  ihm  der 
Mangel  an  Kenntniss  der  Musik,  der  aus  mehrern 
Stellen  seiner  Werke  sich  errathen  lässt.  JNicht  als 
wäre  Kenntniss  des  technischen  in  der  Musik  nö- 
thig,  um  einen  Rhythmus  oder  eine  Melodie  zu 
fassen,  aber  die  Beschäftigung  mit  Musik,  in  wel- 
cher der  Rhythmus  freieres  Spiel  hat,  und  noch 
reiner  wahrgenommen  wird,  als  im  Vers,  dessen 
Rhythmus  selbst  zuweilen  noch  zweifelhaft  ist, 
übt  das  Gehör  und  erleichtert  das  Aidfasseri  der 
Rhythmen,  und  ihre  Anerkennung  in  manchen 
veränderten    Gestalten. 

Diese  Unbekanntschaft  mit  der  Musik  er- 
schwerte nicht  nur  bei  Hermann  die,  vor  der 
Theorie  so  nothwendige  Anschauung  des  Rhylh- 


Vorerin  ner  iingen.  45 

mus ,  sie  nährte  auch  in  ihm  den  Wahn ,  als 
sey  die  ahe  Musik  etwas  ganz  andres  gewesen, 
als  die  neue,  von  welcher  sie  sich  hesonders 
(wie  schon  oben  erwähnt)  durch  gänzlichen  Man- 
gel an  Takt  unterschieden  habe. 

Weil  Hermann  den  Rhythmus  nicht  durch 
unmittelbare  sinnliche  Anschauung,  sondern 
durch  das  Mittel  der  alten  Verse  und  überdies 
der  Kanlischen  Formen  betrachtete,  so  niusste 
es  ihm  begegnen,  dass  er  die  Sache  über  der 
Beschreibung  verlor,  und  gleichsam  das  Wort 
vor  lauter  Buchstaben  nicht  sah.  Er  streift  zu- 
weilen (wie  Kant  selbst),  an  dem  Wahren  nahe 
vorüber,  ohne  es  zu  berühren,  oder  zu  ergrei- 
fen. So  ist  er  oft  nahe  daran,  den  Bliythmus 
als  ein  Ganzes  in  der  Zeit  zu  erkennen,  abtr, 
weil  ihm  die  sinnliche  Anschauung  dieses  Gan- 
zen, entweder  gar  nicht,  oder  nur  vorüberge- 
hend kommt,  so  verliert  er  sie  in  einer  Menge 
von  Erläuterungen  über  Causalilät  und  Wech- 
selwirkung ,  die  den  Leser  wie  ein  Räthsel  äuir- 
stigen,  wenn  er  nicht  die  Deutuixg  in  der  An- 
schauung des  Rhythmus  als  eines  Zeilganzen 
schon  hat  und  zum  Lesen  mitbringt.  E]>eji  so 
ist  er  nahe  daran,  wo  er  von  Arsis  uitd  'Ihesis 
spi-ielti,  den  Grund  des  Rl)yihmus  (das  Princip 
der  Eiidieit  im  Zeitganzen)    in    dem    Accent   zu 


44  Vorerinnerungen. 

finclen,  allein  die  Kürzen  und  Längen,  die  er, 
ohne  sie  abzuleiten  (was  nothwendig  war),  als 
ein  schon  Gegebenes  aufnimmt ,  leiten  ihn  wie- 
der irre,  dass  er  mit  grösster  Inkonsequenz  das 
Zeitmaas  anticipirt,  und  in  die  Erklärung  des 
Rhythmus  aufnimmt ,  der  ohne  Längen  und  Kür- 
zen bei  gleichen  Zellablheiluugeu  durch  den 
Accent  statt  findet. 

48. 
Ein  auffallender  Widerspruch,  der  zugleich 
beweiset,  dass  diesem  Metriker  die  Anschauung 
des  Rhythmus  nie  deutlich  geworden  ist,  zeigt 
sich  zwischen  der  Behauptung  ( Metrik  §.  48 ) 
,,das  Maas  der  unbestimmten  Sylbe  sey  durch 
den  Rhythmus  eben  so  genau ,  wie  das  der  vibri- 
gen  Sylben  bestimmt,  und  die  Sylbe  möge  in 
einem  Wort,  das  an  dieser  Stelle  steht,  lang 
oder  kurz  seyn,  so  habe  sie  doch  in  dem 
Verse  nur  das  vom  Rhythmus  Ixstimmte  Maas ; " 
und  zwischen  der  Messung  der  Verse  (Metvin. 
.  Vorr.  S.  XXVIIl)  wo  die  unbestimmte  Sylbe, 
die  an  der  Stelle  der  Kürze  steht,  wegen  ihrer 
prosodischen  Quantität  als  wirklich  lang  im  Ver- 
se, gemessen  wird.  Misst  man  jene  pindarische 
Stelle  nach  der  Bemerkung  des  §.  48. 

XQvof  -  «  cpoQ-fJiiy^ ^AnolXb)  -  vog  zai  lonkoyMfxwv 
Froh  bcgrüsst  Wühllnut  des  Frühlings  blüthengefeierten    Tanz 


Vorerinnerungen.  45 

SO  ist  von  der  sonderbaren  Veränderung  der 
Taktart  bei  jedem  Takt  (Vorrede  XXV 111)  keine 
Spur.  In  jener  Bebauptung  (§.  48)  blitzte  dem 
Metriker  die  wahre  Gestalt  der  Sache  entgegen, 
allein  weil  er  ohne  deutliche  Anschauung  des 
Rhythmus  die  Bedeutung  der  prosodischen 
Liinge  an  der  Stelle  der  metrischen  Kürze  nicht 
fassen  konnte,  so  verlor  er  die  Wahrheit  (S. 
XX VIII)  unter  dem  Gerüst  von  Begrifl'en. 

Dieser  Mangel  an  deutlicher  und  festgehal- 
tener Anschauung  des  Rhythmus  äussert  seinen 
Einfluss  auf  das  ganze  Werk  dieses  Metrikers. 
Obgleich  das  Grundgesetz  des  R.hylhmus  als 
objektiv,  formal  und  a  priori  bestimmt  ange- 
kündigt isi;  so  werden  doch  so  subjektive,  ma- 
terielle und  a  posteriori  bestimmte  Momente  in 
Anspruch  genommen  z.  B.  der  Gebrauch  der 
Dichter,  die  Deutlichkeit  für  den  Leser,  ja  so- 
gar die  Kraft  der  Lungen,  dass  am  Ende  von 
der  Strenge  der  ersten  Forderung  wenig  in  der 
Ausführung  zu  bemerken  ist,  wie  bei  dem  Durch- 
gehen der  einzelnen  Versgattungen  sich  oft  zei- 
gen wird.  Daher  kommt  es  denn  auch,  dass 
oft  die  direktesten  Widersprüche  in  deui  Zwi- 
schenraum weniger  Seiten  auf  einander  folgen. 
So  scliickt  sich  §.  i>27  der  Daktylus  besser  als 
der    Spondeus,    §.  24a    der    Spondeus    besser  als 


45  Vo  rprinnerungen. 

der  Daktylus  zu  dem  Ende  des  Verses,  und  bei- 
des der  Ermüdung  wegen. 

5o. 

Urtheilt  man  nun  nach  dem,  was  Hermann 
wirklich  geleistet  hat,  und  nicht  nach  dem,  was 
er  seiner  Ankündigung  nach  leisten  Avollte ,  so 
steht  er,  so  heftig  er  immer  auf  die  Gramma- 
tiker schilt,  doch  in  Ansehung  des  Systems  der 
Metrik  nicht  über  ihnen. 

Die  Ableitung  der  Theoi-ie  des  Rhythmus 
aus  einem  Princip  hat  er  nicht  bewerkstelliget, 
ja  es  fehlt  seinem  Werk  bei  allem  Schein  syste- 
matischer Strenge  doch  ganz  an  einer  wissen- 
schaftlichen Begründung.  Denn  das  angeführte 
Grundgesetz,  dass  die  Zeitabtheiluugen  einander 
durchgängig  gleich  seyen ,  dass  die  freie  Ursache 
(die  Arsis)  den  Anfang  der  Reihen  bilde  ,  und 
dass  das  Bewirkte  (die  Thesis)  zwar  eben  so 
gross  oder  kjeiner,  nicht  aber  grösser  seyn  kön- 
ne, als  die  Arsis,  bleibt  unzulänglich  und  un- 
fruchtbar, weil  die  Erörterung  aus  der  Acht 
gelassen  worden  ist ,  wie  man  dazu  komme  Län- 
gen und  Kürzen  in  Zeilabtiieilungen  anzuneh- 
men.    Daher  reicht  dieses  Gesetz  auch  gar  nicht 

zu,  den  Moloss  (- unfruchtbar)  zu  erklären^ 

oder    den    Päon  (_  w.  ^  w    göttlichere)     dessea 
Lünsfe    Hermann    als     zweizeitisr    euinimmt    und 


Vorerinnerungen.  47 

mehres  andre,   was   in    den  einzelnen  Versarten 
nachgewiesen   werden  wird. 

5i. 
Die  Gleichheit  aller  Längen  (als  zweizeitig) 
and  aller  Kürzen  (als  einzeitig)  nimmt  Hermann 
mit  den  Grammatiker.!  unbedingt  an.  Dabei 
bezieht  er  sich  auf  die  Sprache,  welche  nur 
zweizeitige  Längen  habe,  (wir  haben  das  Ge- 
genlheil  gesehen)  und,  sonderbar  genug,  auf 
die  Musiker,  die  dem  Beispiel  der  Spi'ache  ge- 
folgt seyen.  Mit  einiger  Kenntniss  der  Musik 
'  hätte  sich  Hermann  auf  die  Figuren  J_  /  J^  J^ 
und  «^  ^^  ^'^  besonnen ,  und  war  auf  seinen  Irr- 
thum  aufmerksam  geworden. 

52. 

Hermanns  Hauptidee  scheint  gewesen  zu  seyn, 
die  Verse  nicht,  nach  Art  der  Grammatiker  in 
Füsse ,  sondern  in  Rhythmen  zu  zerlegen.  Hätte 
er  dieses  ausgeführt,  was  aber  ohne  jene,  oft 
bei  ihm  vermisste  Anschauung  des  Rhythmus 
unmöglich  Avar,  so  hätte  er  etwas  sehr  nütz- 
liches geleistet  in  einem  Felde,  das  die  Gram- 
matiker noch  unberührt  gelassen  hallen.  Allein 
was  er  für  den  rhythmischen  Theil  der  Vers- 
kunde tliun  wollte,  missrieth  durch  seine  An- 
sicht von  den  Reihen,  in  eben  dem  Grade,  als 
das,  was  die  Grammatiker  für  den  metrischen 
Theil    ihatcu,     durch     ihre    Ansiclit     der    Füss« 


48  V  o  r  er  inner  ung  e  11. 

missrailien  musste.  Hermann  verfeliilc  über  sei- 
nen Keilien,  die  er  mathematisch  berechnen 
wollte,  die  wahre  Gestalt  des  Rhythmus;  den 
Grammatikern  entging  über  der  Sylbenausglei- 
chung  in  den  Fc-Ssen,  das  Metrum  oder  der 
Takt.  So  stehen  beide  genau  auf  einer  Stufe, 
nur  die  Grammatiker  auf  der  metrischen,  Her- 
mann auf  der  rhythmischen  Seite.  Beide  fehl- 
ten darin,  dass  sie  sich  eben  nur  auf  einer  Seite 
hielten ,  und  durch  Zahlen  und  Berechnen  das 
finden  wollten,  was  vor  aller  Berechnung  und 
Demonstration  dem  Sinne  klar  seyn  muüs.  Wenn 
Hermann's  Metrik  als  Theorie ,  von  einigen  über 
die  Ansichten  der  Grammatiker  ei'hoben  wird, 
so  liegt  der  Grund  wol  bloss  in  seinem  Ver- 
dienst   als  Filolog,    durch  welches  er  seine  Irr- 

Me 
sanktiouirt. 


ihümer    als    Metriker    vor     befangenen    Augen 


Voss. 

53. 
Ohne  eine  Theorie  des  Rhythmus  schreiben 
zu  wollen,  brauchte  \oss  in  seinem  vortreff- 
lichen Wei'ke :  Zeitmessung  der  deutschen  Spra- 
che (1802),  die  musikalischen  Zeichen  statt  der 
gewöhnlichen  metrischen,  und  zeigte  dadurch 
in  den  meisten  der  alten  Versgatlungen  den  Takt. 
Indessen  hat  er  oft  den  Takt  durch  willkühr- 
liche  Punktirung  der  Viertel  in  vier  Viertellakt 


Vorerinnerungen.  ^q 

hervorgebracht,  und  sich  dieses  Hülfsmittels  be- 
dienen müssen,  ^veil  er  die  wesentliche  drei- 
zeitiije  Länge  nicht  kannte,  und  die  prosodische 
Länge  an  der  Stelle  der  metrischen  Kürze,  so 
wie  Hermann,  als  metrische  Länge  mass.  Der 
Charakter  dieser  prosodischen  Länge,  ist  aber 
starke  Betonung  der  Kürze  und  dem  sforzando 
in  der  Musik  gleich,  wie  die  Folge  ausführlich 
beweisen  wii'd. 

Ueber  die  Ansichten  Bernhardi's,  Böckh's  und 
Andrer  von  Rhythmus  und  Takt  wird  sich 
m(;hrcmal  Gelegenheit  finden,  im  Einzelnen  zu 
sprechen. 

Gesang   und   Deklamation. 

Indem  wir  behaupten,  und  fernerhin  be- 
haupten werden,  in  jedem  Rhythmus  sey  Takt, 
und  ohne  Takt  kein  Pdiythraus  denkbar,  müs- 
sen wir  einer  Einwendung  im  Voraus  bcirei'- 
ncn,  die,  so  viel  uns  bewusst,  zwar  noch  von 
Niemand  gegen  den  Takt  im  Rhythmus  gemacht 
worden  ist,  die  aber  doch  zu  erwarten  steht,  und 
am  meisten  von  denen,  die  in  unsre  Meinung, 
von  der  iSothwendigkeit  des  Taktes  in  jedem 
Rhythmus,  am  tiefsten  einzugehen  geneigt  sind. 

55. 
Solche  Leser  und  Urlheiler  werden  sich  zwar 
überzeugen,    dass    in    jedem   rhythmischen    Ge- 

4 


5ü  Vorcrinneru  11  y  on. 

sang  unfehlbar  Takt  seyn  müsse;  allein,  könn- 
ten sie  entgegnen,  nicht  jeder  Rhythmus  ist  für 
eigentlichen  Gesang  bestimmt.  Wenn  wir  auch 
den  Rhythmus  nicht  erwähnen,  der  von  der 
Prosa  verlangt  wird ,  so  giebt  es  doch  selbst 
Verse ,  die  bestimmt  sind,  bloss  gesprochen  und 
nicht  gesungen  zu  werden.  Von  den  Rhapso- 
den und  von  den  Interlokutoren  auf  dem  alten 
Theater  ist  es  wenigstens  wahrscheinlich ,  dass 
sie  sprachen,  und  dass  wir  noch  jetzt  von  fer- 
sen Rhythmus  fordern,  die  zu  dem  Gesang  gar 
nicht  bestimmt  und  geeignet  sind,  liegt  am  Tage. 
Nun  wird  aber  jNiemand  vom  Deklamator  for- 
dern dass  er  nach  dem  Takt  deklamiren  solle. 
Von  der  unschicklichen  hörbaren  Skansion  ist 
hier  nicht  einmal  die  Rede,  aber  selbst  das 
eleichmässig  Fortlaufende  des  Taktes  würde  die 
Deklamation  entstellen.  Oft  fordert  diese  eine 
zögernde,  oft  eine  beschleunigte  Bewegung,  oft 
Anhalten  einer  Sylbe,  über  die  vom  Takte  vor- 
geschriebene Zeit,  oft  unbestimmte  Pausen,  die 
sich  nach  der  Taktmessung  nicht  richten.  Al- 
les dieses  aber  sind  Dinge,  welche  dem  Takt 
gerade  zuwiderlaufen,  und  ihn  ganz  aufheben. 

56. 

Dieser  Einwand  hat  allerdings  viel  schein- 
bares. Um  ihn  zu  beantworten,  müssen  wir 
uns  vor  Allem   darüber  vex'ständigen ,    was  man 


Vorerinnerungen.-  5i 

Takt  halten  nenne,    und   zugleich   das  Verhält- 
niss  der  Rede  zum  Gesang  genauer  betrachten. 

In  dem  Ausdruck:  Takt  halten,  liegt  ein 
Doppelsinn,  denn  man  bezeichnet  im  Gespräch 
damit  zwei  ganz  verschiedenartige  Dinge. 

Wenn  ein  Sänger  oder  Instrumentist  einzelne 
Töne  eines  Tonstückes  in  einer  andern  Zeit- 
dauer vorträgt,  als  es  ihr  melodisches  Yerhält- 
niss  zu  den  übrigen  Tönen  erfordert,  so  sagen 
wir  mit  Recht,  er  hält  keinen  Takt,  denn  er 
hebt  durch  solches  Spiel  den  Takt  wirklich 
auf,  es  ist  unmöglich,  zu  seinem  Sj)iel  den  Takt 
zu  bezeichnen,  den  die  vorgeschriebene  Melo- 
die fordert,  und  Avenn  der  Taktschläger  taklirt, 
so  geschieht  es  nicht  zu  dem  taktlosen  Spiel, 
sondern  um  den  gestörten  Takt  wieder  herzu- 
stellen. Wer  auf  diese  Art  gegen  den  Takt 
fehlt,  (vorausgesetzt,  dass  sein  Instrument;, ihn 
nicht  hindert)  verräth,  dass  ihm  die  Anscliau- 
ung  des  vorzutragenden  Rhythmus  mangelt,  denn 
hat  er  diese,  so  kann  er  den  Takt  nicht  ver- 
letzen. 

Wenn  hingegen  ein  Virtuos  das  melodische 
Verhältniss  der  Töne  zu  einander  beobachtet, 
aber  dieselbe  Melodie  bald  in  schnellerm,  bald 
in  langsamem  l'empo  vorträgt,  ofler  wenn  er 
zwischen  ihrem  Anfang  und  End«  die  Bewegung 


.')2  Vorerinnc  rungcn. 

beschleunigt  oder  vei*zÖgert,  so  sagt  niau  woJ 
aucli,  wenn  dieses  Eilen  und  Zögern  lunvill- 
kürlich  oder  mit  frivoler  Willkürlichkeit  ge- 
schieht ,  er  halte  keinen  Takt ,  da  man  doch 
vielmehr,  sohakl  das  innere  Tonverhällniss  nur 
nicht  gestört  wird,  bloss  sagen  sollte,  er  halte 
nicht  Tempo. 

Durch  diese  Bemerkung  wollen  wir  den 
Sprachgebrauch  nicht  ändern,  sondern  nur  ver- 
hüten, dass  uns  nicht  durch  Verwechselung  bei- 
der Bedeutungen  ,  Einwürfe  von  Seiten  des 
Tempo  gemacht  werden  ,  indem  wir  vom  Takt- 
halten spi'echen,  und  umgekehrt. 

58. 

Diese  Beschleunigung  und  Verzögerung  des 
rhythmischen  \ortrages  dürfte  also  in  der  De- 
klamation des  Verses  um  so  weniger  befremden, 
da  sie  sogar  in  der  Musik  den  eigentlichen  Takt 
nicht  stört.  Allein  wichtiger  ist  die  Störung 
des  eigentlichen  Verstaktes,  durch  Verlan- 
gung  einiger  und  Verkürzung  andrer  Sylben 
gegen  die  Natur  des  Taktes,  und  was  dasselbe 
ist,  durch  Einmischung  ungemessener  Pausen, 
die  bald  der  Sinn  der  Rede,  bald  das  Gefühl 
Verursacht.  Man  versuche  irgend  ein  Gedicht 
zu  dtklamiren,  und  man  wird  sich  überall,  nicht 
allc;in  auf  Beschleunigvmgen  und  Verzögerungen 
ganzef   Rhythmen,    sondern   bei   Verweilen   auf 


Vorerlnuerungen.  55 

einzelnea  Sylben,  bei  schneller  Abfertigung  an- 
derer, und  bei  ungemessenen  Pausen  autreffen.  — 
Wie  bestellt  aber  —  fragt  man  mit  Pieclit  — 
hierbei  der  Takt?  Ein  Blick  auf  die  Musik  wird 
unsre  Meinung  erläutern. 

%• 
In  der  Musik  entdecken  wir  bald,  bei  einiger 
Bekanntschaft  mit  ihren  Werken,  etwas,  jenem 
Verweilen  des  Deklamators  ähnliches,  nämlich 
die  Fermate.  Der  Virtuos  wird  bei  gewissen 
Stellen  vom  Komponisten  selbst  aufgefordert, 
auf  einem  Tone  zu  verweilen,  und  dadurch  das 
gleichmässig  Fortgehende  des  Taktes  zu  unterbre- 
chen. Man  betrachte  aber  die  Fermate  zuerst 
uj  ihrer  einfachen  Gestalt  ohne  Koloratur.  Sie 
unterbricht  zAvar  den  Forlscliritt  des  Taktes, 
man  kann  aber  nicht  sagen,  dass  sie  den  Takt 
selbst  aufhebt,  so  wenig  als  eine  Interjektion, 
oder  selbst  eine  Parenthese  den  Zusammenhang 
der  Bede  stört,  wiewol  sie  ihren  Schritt  unter- 
bricht. Wie  der  Zuhörer  mit  dem  Festhalten  des 
Siunes  gleichsan^  über  der  Parenthese  schwebt, 
so  seh  webt  sein  Taktgefühl  ülaer  der  Fermate, 
die  eben  tlaflurch  Fermate  ist,  dass  sie  bei  forl- 
währenti<.iu  TaktgcAihl,  das  reelle  FoiHgehcn  des 
Taktes  selbst  anhält.  Man  könAte  diesen,  durch 
die  Fermate  angehaltenen  Takt,  mit  dem  sinn- 
vollen  Ausdruck   bezeichnen,    den    Göthe    von 


54  Vor  erinn  er  ungen. 

den  Farben  so  schön  erklärt ,  und  ihn  inten- 
tiouellen  Takt  nennen.  Die  Wahrheit  die- 
ser Benennung  fühlt  der  Taktschläger  am  sinn- 
lichsten nächst  dem  Virtuose^i  selbst. 

60. 
Die  Fermate ,  wo  sie  nicht  conventionell  ge- 
worden ist ,  z,  B.  ehmals  vor  dem  Schlusstril- 
ler koncerlirender  Stimmen ,  bezeichnet  ein 
Uebertragen  des  Ausdrucks  der  allgemeinen  Em- 
pfindung an  die  individuelle  des  Virtuosen.  Die- 
ser Charakter  der  Fermate  findet  sich  aber  nicht 
bloss  auf  der  einzelnen,  mit  dem  Zeichen  der 
Fermate  kenntlich  gemachten  Note ,  sondern 
überhaupt  in  jedem  con  expressioue  oder  con 
afl'ctto,  das  daher  oft  durch  ad  libitum,  a  pia- 
cere ,  senza  tempo  bezeichnet  wird.  In  solchen 
Stellen  ist  das ,  was  wir  intentionellen  Takt  ge- 
nannt haben,  von  der  einzelnen  Note  auf  ganze 
Tonrhythmen  übergetragen,  allein  aufgehoben 
oder  zerstört  ist  der  Takt  durch  das  ad  libitum 
so  wenig  als  durch  die  Fermate. 

61. 
Es  fällt  in  die  Augen :  Je  weniger  individuell 
und  subjektiv  der  Charakter  einer  Musik  ist, 
um  so  strenger  sind  ihre  Rhythmen  und  Melo- 
dieen  an  den  Takt  gebunden,  z.  B.  in  kirchli- 
chen Fugen,  Motetten,  und  im  Choralgesang. 
Je   mehr   hingegen    die  musikalische  Darstellung 


VorerinneruugeK.  55 

sich   dem  Ausdruck  des  Individuellen  und  Sub- 
jektiven  liiugiebt,   um    so    mehr   und   öfter  tritt 
der  Ch^irakter  des  intentioneilen  Taktes  hervor, 
^der  im  Recitativ   der  herrschende   wird,   in-    . 
dem   ihn    der  Virtuos   selbst  nach  Gefallen    (ad 
libitum)   anwendet,    wo    ihm    sein   Gefühl    sagt, 
dass  er  statt  finde.    Dass  aber  Taktlosigkeit  nicht 
Charakter   des   Recitatives    sey,    zeigt    der   Um- 
stand,   dass   es   dem   Urtheil   des  Sängers  über- 
lassen bleibt,  ob  er  strengen  Takt  hahen  wolle, 
wozu    er   in   manchen    Gattungen   von   Recitati- 
ven,    wo   die  Begleitung    während  des  Gesanges 
rhythmisch   fortgeht,    ohnedies    veranlasst   wird. 
Das  Recitativ   ist  also    als   objektives   Kunstwerk 
in   strengem   Takt   gedacht,    und    dieser  bleibt, 
wenn  auch  der  Vortrag  des  Virtuosen  den  stren- 
gen Takt   als   intentionelleiv  hören  lässt.     Etwas 
ähnliches  wie  vom  Rechativ  gilt  auch  vom  kirch- 
lichen Kollektengesang.     Bei  diesem  findet 
die  Eigenheit  Statt,   dass   er   (in   der  gewöhnli- 
chen Gattung)  den  Satz  unmetrisch  und  unmu- 
sikalisch (monoton)    anfängt,    oder    doch    nach 
einer   sehr    geringen  Modulation    zum   Anfange 
fortführt,  und  nur  am  Schluss  gesaugmässig  me- 
trisirt   und   modulirt.      Er   verbindet   Rede    und 
Gesang,    nicht    wie    das   Recitativ,    gleichzeitig, 
sondern  in  der  Aufeinanderfolge,   und  der  Takt 
bleibt    intenlionell  bis   zum  Eintritt  des  Schlus- 
ses,   daher   denn    auch  in  den  prosaischen  Kol- 


56  Vorerinncrungen. 

lektengesängen  die  Sätze  von  sehr  ungleicher 
Länge  seyn  können  und  sind.  Wir  sclni  in 
dieser  Art  des  Gesanges  das  musikalische  Ge- 
gcnbild  einer  Gattung  gereimter  Verse,  die  je- 
dem Keimwort  eine  willkührliche  Zahl  unge- 
ordneter Sylben  vorsetzen,  welche  bis  zu  dem 
Reim  regellos  abrollen,  und  die  man  wol  noch 
vom  Volk  cxtemporiren  hört,  oder  in  kunstlo- 
sen Inschriften  hie  und  da  findet.  So  las  man 
auf  einem  Grabstein: 

Ich  sohlummre  sanft    in   meiner   Gruft, 

Bis    mich   die   Posaune   zum   ewigen   Leben  ruft. 

In  musikalischen  Koloraturen  findet  man  auch 
zuweilen,  wie  bekannt,  ein  ähnliches  unbestimm- 
tes Aufhalten  des  Schlusses,  welches  die  Natur 
dessen,  was  wir  intentionellen  Takt  nennen, 
deutlich  macht,  Diese  Art  des  Kollektengesan- 
ges ist  folglich  als  Rede  zu  betrachten,  die  aus 
Convenienz  in  singendem  Ton  gesprochen  wird, 
und  zufolge  dieser  Annäherung  an  den  Gesang, 
den  Sehluss  der  Sätze  metrisirt  und  modulirt. 
Dasselbe  findet  Statt  bei  dem  vormals  üblichen 
Absingen  der  Episteln  und  Evangelien.  Dass 
über  der  Kollektengesang,  wo  er  wirklich  Ge- 
sang ist,  eben  so  wenig  Taktlosigkeit  zum  Cha- 
rakter habe,  als  das  Recilativ,  zeigen  thcils  sol- 
che Gesänge  dieser  Art,  welche  die  Modulation 
nicht  bloss  auf  den  Sehluss  beschränken  j   z.  B. 


Vorerinnerungen.  jy 

manche  Präfationen,  die  Konsekrationsformel 
und  ähnliche,  theils  Kollektenmelodien,  weiche 
in  Kirchengesängen  taktmässig,  und  zuweilen 
mit  Instrumenteubegleitung  ausgefühi'tj  gefunden 
werden. 

62. 

Die  Freiheit  des  Virtuosen  —  um  das  Gesagte 
kurz  zusammen  zu  fassen  —  im  Vortrage,  hebt 
also  den  Takt  im  Musikstücke  seihst  nicht  auf, 
und  was  vom  Sänger  gilt ,  das  gilt  offenhar  in 
noch  höhcrm  Grade  und  mit  grösserer  Freiheit 
vom  Deklamator.  Der  Takt  des  \erses  wird 
bei  dem  lebendigen  deklamatorischen  Vortrage 
intenlionell ,  die  Pausen,  welche  der  Deklama- 
tor macht,  sind  nicht  musikalisfjie  Pausen,  wel- 
che schweigende  Besiandlheile  des  Rhythmus 
sind.  Jene  Pausen  in  der  Deklamation  sind 
vielmehr  eigentliche  leere  Zeiten  (inauia  tem- 
pora),  binnen  welchen  der  Pihythmus  selbst 
suspendirt  Avird,  wie  denn  auch  in  der  Musik 
die  Fermate  auf  einer  Pause  Statt  finden  kann. 
Die  Pflicht  des  Deklamators  bleibt  indessen,  bei 
metrischen  Stücken  so  zu  sprechen,  dass  jener 
intenlionelle  Takt  niclit  überspannt,  und  da- 
durch seine  fortdauernde  Anschauung  im  Zu-^ 
hörer  gestört  werde.  Die  Erhaltung  dieser  ide- 
ellen Taklauschauung,  ohne  reelle  Darstellung 
des  Zeitmessens,   würde  eine  der  höchsten  Auf- 


5S  Vororinnerungen. 

gaben   der  metrischen  leidenschaftlichen  Dekla- 
niution  scyn. 

65. 

Man  hat  auch  Wol  geglaubt,  die  behauptete 
Taktlosigkeit  alter  Rhythmen  durch  Beispiele 
aus  neuer  Masik  zu  erläutern,  indem  man  sich 
auf  Fantasien  grosser  Musiker  berufen  hat, 
worin  die  Musik  sogar  einige  Zeit  ohne  die  ge- 
wöhnliche Abzeichnung  durch  Taktstriche  fort- 
geht. Der  Beweisgrund  für  die  Sache  ist  zwar 
schwach,  indem  er  die  Ausnahme  unsrer  Musik 
als  Regel  für  alle  Musik  aufstellen  will,  indes- 
sen wird  es  nölhig  seyn,  auch  diese  letzte  Zu- 
flucht abzuschneiden. 

Allerdings  können  in  einem  Tonstück  Stel- 
len vorkommen,  wo  der  Komponist  die  Takt- 
eintheilung wegliess.  -  Man  unterscheide  aber 
nur  vor  allem,  ob  diese  Stellen  rhythmische 
Stellen  waren,  oder  ob  die  IMusik  an  diesem 
Ort  zu  andrer  Darstellung  gebraucht  wurde. 
Wenn  z.  B.  ein  Orgelvirtuos  in  einem  Tonstück 
den  Donner  auf  der  Orgel  nachahmt ,  so  kann 
diese  Nachahmung  ganz  vom  Takt  entbunden 
seyn,  sie  ist  aber  auch  nicht  rhythmisch,  und 
braucht  daher  keinen  Takt,  sondern  nur  eine 
allgemeine  Zeitbegränzuug  ,  um  die  nebenbei 
fortgehenden ,  oder  darauf  folgenden  Rhythmen 
nicht  zu  stören.      Eben  dieser  Rhythmen  wegen 


Vorerinnerungen.  5ij 

tritt  hier  der  Fall  ein ,  dass  das  unrhythmische 
Getön  nach  einem  rhythmischen  Maasse  ( dem 
Takt)  gemessen  werden  miiss,  und  dass  also 
der  Takt  auf  das  unrhythmische  uneigentlicher 
Weise  übergetragen  wird ,  damit  dieses  in  sei- 
ner Dauer  beschränkt  werde.  Wenn  aber  ei- 
nige (z.  B.  Herr  Direktor  Gotthold,  Berl.  M. 
Sehr.  1809.  lul.  S.  5i.)  die  Meinung  hegen :  der 
Takt  sey  vielleicht  erfunden,  damit  mehrere 
(rhythmische)  Stimmen  zugleich  ohne  Ver- 
wirrung vorgetragen  werden  können,  so  zeigen 
sie,  dass  sie  die  zeitmessende  Eigenschaft  des 
Taktes  (der  bloss  ein  \  erhältuissmaass  ist)  gar 
nicht  kennen. 

Ein  einzeln  fortklingender  Ton  ist  ebenfalls 
kein  Rhythmus,  und  kann  daher  taktlos  fortge- 
halten werden,  denn  es  ist  nichts  vorhanden, 
was  Takt  erfordere  ,  und  die  blosse  Begränzung 
der  Dauer  in  Anfang  und  Ende  ist  kein  Takt. 
Dasselbe  gilt,  wenn  dieser  gehaltene  Ton  von 
dem  Virtuosen  koloi'irt  wird,  durch  Arpcggio 
oder  andres  Passagenwerk.  Nur  sobald  das  Ar- 
peggio  oder  die  Koloratur,  aus  dem  Gebiet  des 
bloss  Tönenden  tritt,  und  sich  gleichsam  aus 
dem  Tonchaos  zu  einem  Rhythmus  gestaltet, 
dann  ist  auch  in  diesem  Rhythmus  der  Takt 
(vielleiclit  der  Darstellung  des  Werdenden  we- 
gen, Anfangs  intentionell)  vorhanden,  gesetzt 
auch,  der  Komj^ouist  bezeichne  ihn  nicht  durch 


6o  Vorer  inner  uHf'jfcij. 

Taktstriche,  well  er  ihn  vielleicht  noch  nicht 
festhalten,  sondern  nacli  und  nach  aus  dem 
Chaos  unrliythmischer  Töne  entstehen  lassen 
will.  So  sind  dergleichen  wirklich  taktlose 
SteUen  zu  verstehen;  scheinbare  Taktlosigkeit 
erkennt  der  Musiker  leicht. 

Metrische   Bezeichnung. 

64. 
Gewöhnlich  bedient  mau  sich  noch  jetzt  in 
der  Metrik  der  alten  Zeichen  der  Grammatiker, 
nämlich  zu  Bezeichnung  der  Lange  <\cs  Quer- 
striches ( — )  und  zum  Zeichen  der  Kürze  des 
Halbzirkels  oder  Häkchens.  (^)  Beide  Zeichen 
vereinigt  man,  um  die  unhesllmmte  Stelle  an- 
zudeuten, die  (aus  später  anzuführenden  Grün- 
den) eben  so  wol  lange  als  kurze  Sylben  zu- 
lässt.  [z)  Man  pflegt  dann  die  Bestimmung, 
welche  das  Metrum  fordert,  unten,  und  die,  mit 
welcher  sie  vertauscht  werden  kann,  darüber  zu 
setzen.      Z.  B.  in  dem  iambischen  Verse: 


Aus  jedem  Wohnplatz  staubgeboiner  Sterblicher 
ist  die  erste  Stelle  metrisch  kurz,  sie  gestattet 
aber  eine  Sylbe  von  prosodischer  Länge.  (Aus) 
Umgekehrt  ist  die  letzte  Stelle  metrisch  lang, 
sie  gestattet  aber  die  prosodisch  kurze  Sylbe. 
Daher    steht    im    ersten    Fall    das    Zeichen    der 


Vorerinnerungen.  6i 

Kürze  unten,    und    das   der  Länge  über  diesem 
[3]  und  umgekehrt  im  zweiten  Fall. 

Um  anzudeuten,  dass  eine  lange  Sylbe  mit 
zwei  kurzen  vertausclit,  oder  in  diese  aufgelö- 
set  werden  könne,  setzt  man  über  den  Strich, 
der  die  lange  Sylbe  bezeichnet,  zwei  Halbzirkel, 
als  Zeichen  der  Kürze ,  [  ÜH!  ]  z.  B. 

Wohnt  in  Paradiesen 
Umgekehrt  bedeutet  das  Zeichen  ~,    dass   zwei 
kurze   Momente   durch   eine  lange  Sylbe  ersetzt, 
oder   zwei  Kürzen  in  eine  Länge  zusammen  ge- 
zogen werden  können,  z.  B.  im  anapästischen  Vers: 

unheiliger  Kampf,  vro  Gewalt  obsiegt 
Zuweilen  finden  auch  an  der  Stelle  der  metri- 
schen Kürze  zwei  kurze  Sylben  Statt,  diese  be- 
zeichnet man  alsdann  durch  das  doppelte  Zei- 
chen der  Kürze  über  dem  einfachen.  ['C']  Lässt 
eine  solche  Stelle  auch  die  prosodische  Länge 
zu,  so  setzt  man  das  Zeichen  der  Länge  dazwi- 
schen [^]  z.  B. 


nOTUfitav  T6  m]^tti,  novriMv  rt  ttvfjiuroiv     Aeschyl, 
pavidumque  leporem   et  advenam  laquco   griiem      Horat. 

Und  den  Hasen  in  Angst,   und   dich,  du   reisender 
Kranich ,  fangt        Voss. 


62  Vorerinnarungen. 

Nur  vermulhe  man  nicht,  dass  die  zwei  Kür- 
zen Auflösung  der  Statt  habenden  Länge  seyen, 
diese  Länge  (3)  ist  unauflösbar,  weil  sie,  wie 
wir  beweisen  werden,  nicht  metrisch,  sondern 
nur  prosodisch  ist..  Zum  vorläufigen  Beweis 
dient,  dass  die  doppelte  Kürze  statt  der  einfa- 
chen auch  auf  Stellen  vorkommt,  welche  die 
Länge  statt  der  Kürze  nicht  dulden,  wie  das 
obige  Beispiel  zeigt. 

65. 

Es  ist  indessen  schon  im  Vorbeigehn  erin- 
nert worden ,  Avie  unzureichend  und  irreleitend 
diese  Bezeichnung  sey.  Denn  da  der  Zeitgehalt 
nicht  bei  allen  Längen  und  Kürzen  derselbe  ist, 
so  ist  eine  Bezeichnung  dieser  Verschiedenheit 
unumgänglich  nothig,  diese  aber  gewähren  jene 
nietri.3chen  Zeichen  nicht,  und  der  ganz  ver- 
schiedne  Rhythmus  in 

und 

j  j  .\N  j  j  j":- 

wird  durch  dieselbe  Bezeichnung 

also  höchst  zweideutig  und  un.sicher  ausgedrückt. 
Wir  werden  uns  daher  hauptsächlich  der  schick- 
lichem und  ebenfalls  allgemein  bekannten  mu- 
sikalischen Zeichen,  oder  Noten,  bedienen,  durch 
welche   alle   Zweideutigkeit   der  metrischen   Be- 


Vorerinnerungen.  G3 

Zeichnung  gehoben  wird.  Man  darf  die  Be- 
kanntschaft mit  diesen  Zeichen  wol  hei  jedem 
Leser  voraussetzen,  auch  würde  sie  ein  Musik- 
unkundiger  sich  mit  leichter  Mühe  erwerhen, 
und  vielletclit  dann  es  dem  Zufall  Dank  wissen, 
der  ihn  der  Musik  zuführte,  während  er  sich 
nur  der  Metrik  zu  nähern  gedachte.  Wo  indes- 
sen keine  Zweideutigkeit  veranlasst  werden  kann, 
und  hesonders  bei  bloss  prosodischen  Quanti- 
tätbestimmungen, welche  die  metrische  Bestimmt- 
heit (aus  später  anzugebenden  Gründen)  nicht 
haben  sollen,  werden  die  gewöhnlichen  metri- 
Ächen  Zeichen  iu  diesem  Buche  ihren  Gebrauch 
behalten. 

Uebersicht. 

66. 
Nach  diesen  Vorerinnerungen  wird  nun  un- 
ste  Theorie  die  Ordnung  beobachten,  dass  zu- 
erst im  allgemeinen  Theile,  vom  Rhythmus, 
vom  Metrum,  vom  Vers  und  von  den  damit 
verwandten  Gegenständen  gehandelt  werde.  Der 
besondre  Theil  wird  dann  die  einzelnen  ver- 
schiedenen Versgattungen,  welche  insgesammt 
ans  dem  Wesen  des  Rhythmus  abgeleiltt  wer- 
den , .  erklären.  Beide  Theile  machen  ein  fest 
Verbundenes  Ganzes  aus,  und  der  allgemeine 
wird  im  besondern  s».ine  Erläuterung,  so  wie 
dieser  in  jenem  seine  Begründung  linden. 


£4  V  or  »r  i  11  n  er  Ulli- ou. 

67. 
Sollte  der  Verfasser  manclien  Lesern  viel- 
leiclit  hier  und  da  zu  ansfiilirlicli,  ja  weilscliwei- 
fig  und  in  das  Kleinliche  gehend  scheinen,  so 
Littet  er  diese,  solche  Stellen  zu  überschlagen, 
und  ihn  selbst  mit  der  nothweudigen  Püicksjcht 
auf  andre  Leser  zu  entschuldigen,  die  vielleicht 
die  Ausführlichkeit,  oder  selbst  Wiederholung 
des  früher  Gesagten  ihren  W  ünschen  angemess- 
ner  finden.  Um  dieselbe  Entschuldigung  bittet 
er  auch  wegen  der  gehäuften  Beispiele,  beson- 
ders aus  den  griechi  eben  und  lateinisc'hen  Dich- 
tern. Da  sich  die  Metrik  bis  jetzt  hauptsäch- 
lich in  den  Händen  der  Filologen  befindet,  so 
war  es  nöthig,  den  Kinweisungen  dieser  Ge- 
lehrten auf  die  Praxis  der  alten  Dichter  zuvor- 
zukommen, und  diese  ihre  Autoritäten  selbst 
gegen  ihre  möglichen  Einwendungen  zu  benu- 
tzen. Deutsche  Beispiele  sind  überall  hinzuge- 
fügt, denn  nur  zu  leicht  versteckt  sich  die  Un- 
klarheit hinter  das  Fremde,  besonders  wenn  es 
durch  Gelehrsamkeit  sanktionirt  ist.  Uns  ist  es 
aber  darum  zu  ihun,  mit  Gelehrten  und  Un- 
gelehrlen  gleich  deutlich  und  vernehmlich  über 
die  Sache  zu  sprechen. 


Allgemeiner  Theil.     Vom  Rliytlimus.  GS 


Allgemeiner  Theil. 


Vom   Pi  h  y  t  h  m  u  s. 

68. 

Um  nicht  iu  den  Fehler  zu  fallen,  eleu  wir  an 
Andern  gerügt  haben,  wird  es  nöthig  seyn,  vor 
Allem  eizie  bestimmte  Anschauung  dessen  zu 
erwecken,  was  man  Pihythmus  nennt.  Hat  man 
erst  diese  mit  Deutlichkeit  und  voller  Sicherheit 
aufgefasst  ( so ,  dass  man  sie  unter  allen  Gestal- 
ten wieder  zu  crl^ennen  im  Stand  ist) ,  dann  ist 
es  Zeit,  die  wissenschaftliche  Erörterung  des 
Rhythmus  zu  versuchen,  die  allerdings  nöthig 
ist,  um  beurtheilen  zu  können,  ob  unsere  Theo- 
rie eine  willkühriiche  sey,  oder  bestimmt  durch 
die  Natur  des  llhythmus. 

69. 
Numeros  memini ,  si  verba  tenerem  —  sagt 
Virgii's  Lycidas,  als  er  vom  nächllielien  Ge- 
sänge nur  die  Melodie  (die  S a n g w e i s e ,  nach 
dem  allen  Ausdruck)  vernommen,  und  die  Worte 
überhört    hatte.       Das    lateinische:    Numerus, 


f,(,  All  ge  meiner  Thcil. 

korrespoiidirt  bekanntlich  dem  gneclilschen 
Worte  Rh  yt lim  US.  Man  dachte  sich  also  un- 
ter Numerus  und  P\.hythmus  ungefehr  dasselbe, 
•\vas  wir  gewöhnlich  mit  einem,  ebenfalls  aus 
dem  Griechischen  entlehnten  Worte  Melodie 
nennen,  die  musikalische  Weise  oder  Form  des 
Gesa?ages,  abgesehen  von  den  Worten  oder  dem 
Text.  In  diesem  Sinn  sagt  man  auch  wol  von 
einem  Liede ,  es  gehe  nach  der  Melodie  eines 
andern,  und  so  unterscheidet  man  genau  die 
musikalische  Form  des  Gesanges  von  seinem 
Inhalt  als  Gedicht. 

70. 
Betrachten  wir  eine  solche  Melodie  weiter, 
sie  sey  nun  vom  Gesänge  entlehnt,  oder  ohne 
Verbindung  mit  Poesie,  gleich  für  die  Musik 
selbst  erfunden,  so  lässt  sich  zweierlei  in  ihr 
unterscheiden.  Es  ist  hinlänglich  bekannt,  dass 
ein  musikalischer  Gedanke  fast  in  jedem,  nicht 
ganz  leicht  behandelten  Tonstück,  in  verschied- 
nen  Tonarten  wiederholt,  und  auf  mancherlei 
Art  gewendet  wird.  Der  Hörer  erkennt  den 
Gedanken  bei  allen  Veränderungen  und  tim- 
kehrungen  wieder,  und  zwar,  wie  es  nicht  an- 
ders seyn  kann,  an  dem,  was  bei  allen  Ver- 
änderungen doch  in  ihm  unverändert  geblieben 
ist.    Z.  B.  in  dem  Gedanken : 


V  o  m  R  ]i }'  t  h  m  u  s.  C7 

er  mag,   in   welcher  Tonart    es    sey,    in  gerader 
oder  umgekelirter  Bewegung   (alla  riversa) 


vorkommen,  sind  die  Töne  zwar  nicht  diesel- 
ben geblieben,  wir  erkennen  aber  den  Gedan- 
ken in  jeder  Stellung  wieder  an  der  Bewegung: 

welche  überall  dieselbe  geblieben  ist.  Was  wir 
verändert  finden,  ist  das  melodische  Verhältniss 
der  Töne  zu  einander;  was  unverändert  blieb, 
nennen  wir  das  rhythmische  Verhältniss,  oder 
auch  den  Rhythmus  überhaupt. 

71- 
Wie  wir  zuerst  die  Worte  vom  Gesang  ab- 
zogen, und  die  Melodie  übrig  behielten,  so  ha- 
ben wir  nun  von  der  Melodie,  das  Tonverhält- 
niss  abgezogen ,  und  den  Rhythmus  übrig  be- 
halten, der  auch  ausser  dieser  künstlichen  Ab- 
straktion wirklich  ohne  Tonverhältniss  vorkommt, 
z.  B.  im  Trommelschlag.  Wir  unterscheiden  die 
verschiedenen  Arten  des  Trommelschlages  im 
Generalmarsch,  Zapfenstreich  und  andern  Gat- 
tungen dieses  militärischen  Rufes,  an  den  ver- 
schiedenen Rhythmen,  z.  B. 

unterscheidet  sich  durch  blossen  Rhythmus  von : 


(iö  Allgemei  ner  Th  eil. 

ohne  dass  irgend  ein  Tonverliältniss  die  Untci'- 
scheidung  l)ewirkte,   oder  auch  nur  erleichterte. 

72. 
Betrachten  wir  dagegen  manche  andre  Klän- 
ge, die  an  sich  vielleicht  angenehmer  seyn  ken- 
nen, als  der  Trommellärm,  z.  B.  das  Tönen 
der  Acolsliarfe,  das  Rauschen  des  Windes  in 
den  Blättern,  so  werden  wir  selten,  und  dann 
bloss  durch  Zufall,  das  darin  gewahr  werden, 
was  wir  rhythmische  Bewegung  genannt  haben. 
Das  Brausen  eines  Wasserfalls,  oder  das  Bie- 
sein eines  Quells  hat  wol  auch  einige  Verschie- 
denheit, aber  wir  bemerken  sie  nicht.  Wir  un- 
terscheiden dieses  Geräusch  nur,  wo  wir  es  un- 
terscheiden, nach  Stärke  und  Schwäche,  nicht 
aber  nach  Verschiedenheit  des  l\hythmus,  und 
nicht  mit  Bestimmtheit.  JNiemand  wird  es  ein- 
fiillen ,  durch  die  \  erschiedenheit  eines  solchen 
unrliythmisehen  Geräusches  Signale  von  ver- 
schiedener Bedeutung  geben  zu  wollen,  weil  er 
nicht  voraussetzt,  dass  jemand  im  Stande  sey, 
jene  Versciiiedenheiten  so  sicher  aufzuAissen, 
dass  er  sie  mit  Gewissheit  wieder  erkennen, 
und  sich  danach  richten  könne. 

75. 
Ein   subjektives    Merkmal   des  Bhythmischen 
ist   also    die  Eigenschaft,   mit  Bestimmtheit  auf- 
gefasst,    unterschieden    und    wieder    erkannt    zu 


V  o  m  R  h  y  t  h  ra  u  s.  6g 

werden.  Wir  fassen  zuerst  das  subjektive  Merk- 
mal auf,  weil  uns  daran  gelegen  ist ,  vor  aller 
andern  Untersucliung ,  die  bestimmte  Auscliau- 
ung  des  Rhythmus  zu  fassen  und  festzuhalten. 
Die  objektiven  Eigenschäften  des  Rhythmus  wer- 
den deswegen  hier  noch  als  Bedingungen  be- 
trachtet, unter  welchen  ein  Rhythmus  aufgefixsst 
werden  kann.  Es  wird  nützlich  seyn,  zur  Er- 
läuterung der  Sache  ein  Gleichniss  von  einer 
Anschauung  im  Räume  zu  gebrauchen, 

74. 
Man  denke  sich  unter  den  räumlichen  Ge- 
genständen für  das  Gesicht,  eine  weitausgebrei- 
tete, unbegränzte,  gleichfarbige  Flüche,  z.  B.  ei- 
nen gleichbcwölkten ,  düstcrgrauea  Regenhim- 
mel, dessen  Ausdehnung  jaur  durch  die  zuiiil- 
ligen  Gegenstände  des  Erdhorizontes ,  als  Berge, 
Häuser,  Wälder  u.  d.  g.  abgeschnitten  wird. 
Der  Sinn  nimmt  hier  die  Empfindung  der  grauen 
Farbe  z^war  unter  der  Form  des  Raumes  als  Aus- 
dehnung walir,  allein  In  der  Einbildung  bleibt 
nur  ein  bestimmtes  Bild  von  der  Empfindung 
(der  Farbe),  nicht  von  der  Form  zurück.  Denn 
weil  die  Begränzungen  des  Horiz;onlcs  zufällige 
sind,  die  von  fremden  Gegenständen  herrüh- 
ren, so  erkennen  wir  sie  sO'  wenig  für  IJmrisse 
jöncr  grauen  Fläche,  als  wir  den  Rahmen,  dex' 
die  Figur  eines  (jomäldcs  «ntorbruht,    als  Um- 


7©  A 1 1  ^  e  m  e  i  n  t-  r  T  Ji  e  i  1. 

riss  dieser  Figur  belracliten.  Mit,  einem  Worte, 
die  graue  Iliinmelsfläche  zeigt  uns  keine  Figur, 
weil  sie  selbst  als  gränzenlos  erscheint. 

75. 
Nun  nehme  man  ferner  an,  das  Gewölk  habe 
sich  abgeregnet,  die  gleichfarbige  Wolkenmasse 
fange  an ,  sich  zu  sondern,  einzelne  Stellen  und 
Streifen  werden  lichter,  doch  ohne  noch  die 
blaue  Heitere  des  Himmels  durchscheinen  zu  las- 
sen, andre  verdichten  sich  noch  mehr^  um  bald 
in  abgesonderten  Wolkcnmasscn  aus  einander 
zu  gehn,  aber  alles  ringt  erst  wie  ein  Chaos 
nach  fester  Gestalt.  Hier  bekommt  die  Einbil- 
dungskraft zwar  die  Anforderung,  ein  Bild  auf- 
zufassen, aber  sie  vermag  nicht  es  festzuhalten. 
INur  das  Bild  des  Allgemeinen,  das  Streben  der 
Masse ,  sich  zu  gestalten,  bleibt  in  der  Fantasie. 
Ein  Maler  würde ,  wenn  es  seyn  sollte ,  einen 
Wolkenhimmcl  dieser  Art  malen,  aber  niemals 
ein  bej>iimmtes  Wolkenchaos  treu  nach  der  Na- 
tur auffassen  und  wiedergeben  können,  eben 
weil  die  Grunzen  fehlen,  imter  welchen  allein 
ein  bestimmtes  Bild  aufgefasst  und  wiedergege- 
ben werden  kann. 

Erst  dann,  um  das  Beispiel  noch  einmal  auf- 
zunehmen, wenn  die  Wolkenmassen  sich  ganz 
gesondert  haben,   und  von  allen  Seiten  sich  die 


Vom  Rhythmus.  7' 

Bc"-i'äiizung  wesentlich,  nicht  durch  zufällige 
Bedeckung  fixirt  hat,  entsteht  das  feste  Bild, 
die  Figur,  welche  die  Einhildungskraft  festhal- 
ten,  und    treu   in   der   Darstellung   wiedergeben 

kann. 

Oder,  was  dasselbe  ist,  erst  dann  wird  ein 
räundicher  Gegenstand  für  uns  zur  Figur,  wenn 
die  Fantasie  im  Stande  ist,  seine  Ausdehnung 
als  ein  Ganzes,  in  seinen  wesentlichen  Begrän- 
zungen,  oder  Umrissen,  aufzufassen.  Je  zufal- 
liger diese  Begränzungen  scheinen,  um  so  schwie- 
riger wird  das  Auffassen,  daher  Falten ,  Luft, 
Laub,  Haar,  dem  angehenden  Zeichner  manche 
Mühe  machen,  eh'  er  das  rechte  Verhältniss 
von  Wahrheit  und  Dichtung  (Treue  und  Fan- 
tasie) in  der  Nachbildung  treffen  lernt. 

71- 

Was  hier  beispielsweise  von  räumlichen  Ge- 
genständen gesagt  worden  ist,  gilt  auch  von  den 
Erscheinungen,  die  in  der  Zeit  wahrgenommen 
werden. 

Es  ist  eine  Behauptung  Kanfs,  die  oft  nach- 
gesprochen w^orden  ist:  Raum  sey  die  Form  al- 
ler äussern  sinnlichen  Anschauung,  d.  h.  jeder 
Gegenstand  der  äussern  Anschauung,  oder  jede 
Empfindung  des  äussern  Sinnes  werde  unter 
der  Foriu  des  Baumes  (räumlicher  Ausdehnung) 
von  d«;r  Sinnlichkeit  wahrgenommen. 


•J2  Allgemeiner  T heil. 

Dieser  Salz  aber  ist  falsch.  Es  gibt  Empfin- 
dungen des  äussern  Sinnes,  welche  durchaus 
nicht  in  der  Form  des  JR.auincs,  sondern  blos 
in  der  Form  der  Zeit  wahx'genommen  werden. 
Zu  diesen  Empfindungen  gehört  vornehmlich 
der  Schall.  Der  Schajl,  als  Empfindung,  ist 
durchaus  ohne  irgend  eine  räumliche  Beziehung. 
Nennt  man  ihn  dick,  voll,  rund,  so  sind  die- 
ses, wie  jeder  weiss,  uneigentlichc,  von  räum- 
lichen Verhältnissen  übergetragene  Benenniuigen. 
So  nennt  man  wol  einen  Gedanken  gi'oss,  ein 
Gefühl  lief,  ohne  beiden  deshalb  räumliche  Be- 
ziehung anders  als  melaforisch  zuzuschreiben. 
Der  tönende  Körper  ist  im  Raum,  die  bewegte 
Luft  desgleichen ,  aber  das  Fänomen  dieser  Be- 
wegung, der  Schall,  wird  vom  Sinn  nicht  im 
Baume  vernommen.  Das  ]Nah  und  Fern,  was 
Avir  beim  Schall  unterscheiden,  deutet  zwar  al- 
lerdings auf  ein  räumliches  Verhähniss,  allein 
dieses  wird  nicht  vom  Sinn,  sondern  von  der 
Reflexion  aufgefassl,  und  deutet  nicht  auf  die 
Schallempfindung,  sondern  auf  den  klingenden 
Körper,  was  schon  durch  den  dabei  möglichen 
Irrllium  erwiesen  ist,  und  so  ist  wol  jeder  Schein 
gehoben,  als  mische  sich  irgend  eine  räumliehe 
Beziehung  in  die  sinnliche  Wahrnehmung  des 
Schalles,  der,  wie  man  sich  bei  jedem  \ersucli 
überzeugen  kann,  in  keiner  der  drei  räumlichen 
Dimensionen,    sondern    bloos    unter    der   Form 


Vom  Rhy tlimus,  yS 

der  Zelt  vernommen  wird,  und  mit  der  einzi- 
gen, der  Zeit  eignen  Dimension.  Es  war  kaum 
nöthig,  hierüber  ein  Wort  zu  spreclien,  wenn 
nicht  Filosofen  aus  der  Kautischen  Schule,  den 
Antheil  der  IleÜexion  an  der  Sinnempfiudung 
zuweilen  auf  die  Sinnlichkeit  übergetragen,  und 
50   zu  Irrthümern  Veranlassung   gegeben  hätten. 


Die  reine  äussere  Anschauung  der  Zeitdi- 
meusion  (des  Zeitverlaufes)  geschieht  also  mit- 
telst des  Schalles.  Vielleicht  liegt  hierin  der 
Grund,  warum  die  Mittheilung  cor  Objekte  des 
innern  Sinnes  (der  Gedanken)  an  den  äussern, 
durch  hörbare  Zeichen  ( \Vorlc )  allgemein  in 
der  Sprache  bcAvirkt  wird.  Die  Anschauung 
räumlicher  Dimension  wird  dagegen  durch  Farbe 
vermittelt.  Der  Schall  wird  daher  in  und  für 
seine  Sfäre  gerade  das  seyn,  was  die  Farbe  für 
die  ihrige  ist. 

79- 
VVic  vorhin  die  unbcgränzte  Fläche  des  grauen 

RegenhJmmels,  so  denken  wir  uns  jetzt  das  mo- 
notone Brausen  eines  fernen  Wasserfalles.  Was 
die  Fantasie  davon  behält,  wenn  w^ir  uns  aus 
der  SchalJweile  entfernt  habeu,  ist  (in  Ansehung 
der  Schal]em]>rindung)  bloss  das  Allgemeine  des 
Geräusches,  ein  Gegenstück  in  der  Zeil,  zu  der 
Formlosigkeit    jeuer    grauen    Fläche    iiu    llaura. 


-4  Allgemeiner  'l'heil. 

Die  Begi'äuzuugeu ,  nämlicli  das  Anfangen  und 
Aufliören,  liegen  auch  hier  nicht  iji  der  Natur 
jenes  Schalles,  sondern  in  der  Zufälligkeit  des 
Ein-  und  Austretens  in  die  Scliallwcite.  Wir 
nehmen  an,  dass  wir  heim  Nähertreten  bemer- 
ken, wie  der  Strom  verschiedene  Gegenstände, 
Holz,  Moos,  und  ähnliche  Dinge  über  den  Was- 
serfall führe,  und  dadurch  eine  Abwechselung 
in  seinem  Geräusch  verursache.  Wie  bei  der 
angehenden  Sonderung  des  Geivölks,  wird  zwar 
die  Einbildungskraft  hier  ein  allgemeines  Bild 
erhalten,  nämlich  das  Bild  eines  Schallwechsels, 
das  aber  noch  einem  Chaos  von  Schällen  gleicht. 
Im  Allgemeinen  wird  auch  die  Fantasie  ein  sol- 
ches Bild  dai-stellen  können,  allein  ein  treues 
Bild  eines  eben  vernommenen  Schallchaos,  wird 
sie'  niemals,  weder  festhalten,  noch  in  der  Dar- 
stellung wiedergeben  können. 

Wir  nehmen  ferner  an,  dass,  bei  grösserer 
Nähe,  wir  bemerken,  w^ie  der  Strom  sein  Spiel 
mit  einem  halb  losgerissenen  Balken  treibt,  den 
die  Welle  hebt,  bis  er  durch  eigne  Schwere 
zurücksinkt,  und  w^ieder  von  neuen  Wellen  ge- 
hoben wird.  Diesen  ordnungmässig  wiederkeh- 
renden Schall  des  An-  und  Abprallens,  z.  B. 
d  J  I  d  o^c^  d  J  J  I  d  verliert  die  Einbildungs- 
kraft nicht  in  der  Wahrnehmung  des  Allgemei- 
nen, sie  kann  ihn  aulfassen,  und  treu,  wie  sie 
ihn  vernahm,  wiedergeben,  eben  so,  wie  sie  nach 


Vom  Rhythmus.  n^ 

dem  obigen  Beispiel  die  Figur  eines  vollkom- 
men begränzlen  Gegenstandes  im  Räume,  auf- 
zufassen und  wiederzugeben  im  Stande  ist. 

80. 

Wir  finden  also  in  der  Zeiterfüllung  etwas, 
der  Figur  im  Piaume  analoges,  was  wir  mit  ei- 
nem niebt  unpassenden  Worte  Zeit figur  nen- 
nen könnten,  d.  h.  ein  Ganzes,  das  rein  in  der 
Zeit,  obne  Hinzukommen  eines  räumlicben  Ver- 
hältnisses, als  Ganzes  sinnlich  aufgefasst,  be- 
halten und  wiedergegeben  werden  kann. 

81. 

Wie  die  Figur  im  Räume,  als  begränzte  far- 
bige Fläche  wahrgenommen  wird ,  ( denn  die 
dritte  Raumdimension  wird  nicht  vom  Sinn, 
sondern  von  der  Reflexion  erkannt)  so  wird 
die  Zcitfigur  als  begranzter  Schall  wahrgenom- 
men werden,  denn  Schall  ist  die  reine  Zeiter- 
füllung, und  eigenthümliche  Gränze  ist  die  Be- 
dingung der  Figur. 

Es  fragt  sich  aber  dabei:  wie  kann  der  Schall 
mit  einer  eigenthümlichen  Gränze  erscheinen, 
um  die  Bedingungen  zu  erfüllen,  unter  welchea 
er  eine  Zeitfigur  bildet? 

82. 
Wie    die    Zeit  selbst,   so   verläuft  der  Schall 
als  reine  ZciterfüUung  nur  in  Einer  Dimension. 


76  Allg  emeiner  Th  eil. 

Anfang  und  Ende  sind  daher  seine  Gränzen, 
allein  diese  Gi'änzen  erscheinen  nicht  als  eigen- ' 
thümliche  Avesenliiche  Gränzen,  der  Sehall  könnte 
durch  sie  bloss  abgeschnitten  seyn  in  seiner 
Dauer,  so  wie  die  farbige  Himmelsfläehe  durch 
den  Horizont,  die  Figur  im  Bilde  durch  den 
Piahmcn  abgeschnitten  ist. 

Die  eigenthiimlichc  Begrenzung  der  Figur 
im  Baume  ist  Ausdruck  ihrer  innern  Cohäsion, 
oder  Selbstständigkeit.  Was  aber  für  das  Bäum- 
liclie  Cohäsion  ist,  das  ist  für  die  Erscheinun- 
gen in  der  Zeit  Evolution.  Die  Gränze, 
welche  wir  von  der  Zeitfigur  erwai-ten,  wird, 
also  sinnlicher  Ausdruck  der  Evolution,  oder 
des  successiven  nothwendigeu  Zusammenhanges 
seyn. 

85. 

Um  Cohäsion  zu  bemerken,  muss  die  Be- 
flexlon  erst  Theile  (eine  Vielheit)  unterscheiden, 
die  nun  von  der  Anschauung  als  zusammenge- 
hörig (Totalität)  aufgefasst  werden.  Eben  so 
kann  auch  Evolution  nicht  angeschaut  werden, 
ohne  Mannigfaltigkeit  der  Momente,  die  als 
Ganzes  unter  dieser  Form  aufgefasst  werden 
Süllen.  Zeilmomente  müssen  also  erscheinen, 
ihre  Vielheit  muss  wahrgenommen,  aber  als 
Einheit  angeschaut  werden,  indem  ein  Moment 
als  Erzeugniss  des  Andern  sich  offenbart.  Die 
Zeitligur  ist  mithin  eine  Beihc  von  Evolutionen. 


Vom  Rhythmus.  y-» 

84. 
Wir  haben  diese  vorstehende  Reflexion  zwar 
unternommen  bei  Gelegenheit  einer  rhythmi- 
schen Schallreihe  des  Trommelschlages;  allein 
wie  wir  Anfangs  von  den  Worten  des  \erses, 
dann  von  den  Tonverhältuissen  der  Melodie 
abstrahirten ,  so  haben  wir  bei  jener  Reflexion 
auch  selbst  vom  Schall  abstrahirt,  der  uns  zur 
reinen  Zeitcrfüllung  wurde.  So  blieb  uns  nichts 
übrig,  als  die  Zeit  selbst,  in  der  wir  Figuren 
(Ganze)  erkannten,  wie  im  R.aume.  Wir  erken- 
nen in  der  Zeitfigur  leicht  den  Rhythmus  wie- 
der, dessen  Charakter  eben  dieser  ist  (74)  wie 
bei  der  Zeitfigur ,  nämlich  als  Ganzes  in  der 
Zeit  aufgefasst  werden  zu  können.  Insofern  also 
Rhythmus  eine  Figur  in  der  Zeit  ist,  verslehn 
wir  darunter,  die  anschaulich  dargestellte  Ein- 
heit einer  Reihe  von  Zeilmoraeuten. 

85. 

Diese  Abstraktion,  nach  welclicr  bloss  die 
Zeit  übrig  bleibt,  scheint  Vielen  die  höchste  zu 
scyn,  und  sie  erklären  dann  den  Gebrauch  des 
Wortes  Rhythmus  von  räumlichen  Verhältnis- 
sen für  einen  metaforischen  Ausdruck,  mit  dem 
man  jedes  regelmässige  Verhäiluiss  überhaupt 
bezeichne.  Allein  es  zeigt  sich  bald,  dass  die 
Abstraktion  ilir  Geschäft  noch  nicht  vollendet 
habe,     so    lang    noch    von    Zei  tmomenlen    die 


7>i  A 1 }  ^  ff  m  e  i  u  «  r  '1'  h  t  i  J. 

Piede  Ist,  imd  iiiclit  von  Momenten  der  Evolu- 
tion überhaupt,  durch  welche  erst  die  Anschau- 
ung der  Zeit  selbst  (als  Form  der  Evolution) 
entsteht.  Führen  Avir  also  den  Begriff  Pihyth- 
mus  zu  seiner  höchsten  Allgeraeinheit  zurück, 
so  verstehn  wir  unter  Rhythmus  eine  Reihe  von 
Momenten  der  Evolution ,  welche  dem  Sinn  als 
ein  Ganzes  (Totalität,  empirisches  Bild  der  Ein- 
heit in  der  \ielheit)  erscheint.  Die  Nothwen- 
digkeit,  bei  dem  Begriff  des  R.hythmus  auch  von 
der  Zeit  zu  abstrahiren,  wird  sich  späterhin 
zeigen. 

86. 
Ist  der  Rhythmus,  wie  wir  abgeleitet  haben, 
die  sinnlich  angeschaute  Evolution,  so  ist  schon 
dadurch  die  objektive  Bedingung  angezeigt,  un- 
ter der  eine  Reihe  von  Momenten  als  ein  Gan- 
zes oder  als  eine  Zeitfigur  wahrgenommen  wird, 
nämlich,  wenn  ein  Moment  als  Erzeugtes  des 
Andern  erscheint.  Der  anschauliche  Charakter 
des  Hervorbringenden  oder  Verursachenden  ist 
nun,  der  Natur  der  Sache  nach,  Kraft;  der 
des  Hervorgebrachten  oder  Bewirkten  hingegen 
Schwäche. 

87. 
Man  bemerke   aber  sogleich  Folgendes:   Ein 
Hervorgebrachtes  kann  allerdings  seiner  Ursache 
an  Kraft  ausserordentlich  überlegen    seyn,    und 


Vom  Rhythmus.  79 

es  ist  niclits  seltenes ,  dass  z.  B.  der  Sohn  dem 
Vater,  oder  auch  der  Widerhall  den  Schall  an 
Energie  weit  iibertrift;  allein  indem  wir  dieses 
Verhältniss  bemerken,  geht  uns  auch  eben  da- 
durch die  Anschauung  der  Abhängigkeit  des 
Erzeugten  vom  Erzeugenden  verloren.  Wenn 
wir  z.  B.  in  einem  künstlich  akustischen  Bau, 
den  Widerhall  unsrer  Worte  stärker  als  unsre 
eigne  Stimme  vernehmen,  so  verwundern  wir 
uns  darüber,  weil  unserm  Wissen,  dass  dieses 
Widerhall  sey,  von  der  sinnlichen  Wahrneh- 
mung widersprochen  wird.  Nicht  die  Anschau- 
ung ei'kennt  also  hier  die  Abhängigkeit  des  Wi- 
derhalles ,    sondern  die  Reflexion. 

88. 

Hierdurch  erklären  sich,  um  dieses  der  Deut- 
lichkeit wegen  voraus  zu  bemerken,  die  rhyth- 
mischen Inganni,  wenn  der  schlechte  Taktlheil 
mit  Uebergewicht  an  Kraft  gegen  den  guten  an- 
geschlagen wird.  Das  Analogen  davon  im  Vers 
ist,  wenn  das  Erzeugende  vom  Erzeugten  durch 
einen  Einschnitt  getrennt  wird ,  und  dieses  als- 
dann mit  überwiegender  Kraft  nachtönt,  wie 
z.  B.  in  der  berühmten  Cäsur  des  heroischen 
Verses  vor  der  Endsylbe: 

Schönheit  selbst    und   Geschlecht  {^ibt   alles   der  grosse 
Monarch:   Gold! 


8o  A 1 1  g  e  m  e  j  n  0  r  T  li  e  i  1. 

Dcv  Effekt  (lieser  Cäsur  bcrulit  einzig  und  allein 
auf  dem  rliylhmisclicu  Ingaiino,  wie  am  gehö- 
rigen Ort  weiter  ausgeführt  werden  wird. 

89- 
Ferner  vergesse  man  nicht,  dass  niclit  alle- 
mal, wo  Kraft  sich  zeigt,  auch  ein  wirkliches 
Hervorbringen  folgen  müsse.  Im  einzelnen  Mo- 
ment ist  zwar  die  Anlage  zur  Evolution  gege- 
ben, aber  die  Evolution  kommt  darin  noch 
nicht  zur  wirklichen  sinnlichen  Anschauung. 
]Xur  wo  eine  Pieihe,  also  Avenigstens  zwei  Mo- 
mente angeschaut  werden,  ist  jenes  Verhältniss 
der  Abhängigkeit  gegeben ,  nach  welchem  das 
Starke  zum  Schwachen  sich  verhält,  wie  Her- 
vorbringendes zum  Erzeugten,  oder  wie  Ursache 
zum  Bewirkten. 

90- 
Wir  werden  künftig  zuweilen,  mit  einem, 
von  sichtbaren  Gegenstanden  hergenommenen 
Gleichniss,  das  bewirkende  Moment  das  Bild 
nennen,  das  bewii'kte  hingegen  das  Gegen- 
bild, so  wie  man  von  höi-baren  Erscheinungeu 
die  ähnlichen  Ausdrücke:  Schall  und  Wider- 
hall, und  von  aussersinnlichen  lledc  und  Ge- 
genrede braucht,  um  die  Erweckbarkeit  des  Ei- 
nen (hirch  das  Andre,  und  ihren  Gegensalz, 
wo  beide  vorhanden  sind,  zu  bezeichnen. 


Vom  E.hythmu5.  81 

ri::!-:>    iC  91. 

Vorläufig  haben  wir  das  Bild  vom  GegenLilde 
im  Rliytlimus  uur  der  Intensität  nacli  unter- 
schieden, indem  wir  das  Bild  als  stark,  das  Ge-  • 
genbild  uh  schwach  hezeichneten.  Allein  auch 
der  Extensität  nach  kann  der  Charakter  der 
Abhängigkeit  und  des  Bewirkten  im  Gegenbilde 
erscheinen.  \^  as  nämlich  der  Intensität  nach 
als  stark  oder  schwach  sich  zeigt,  das  erscheint 
der  Extensität  nach ,  als  laug  oder  kurz. 
Beides  ist  eins  und  dassellic,  nur  einmal  unter 
qualitativen,  das  andremal  unter  quantitativen 
Verhältnissen  betx*achtet.  Das  Bild  wird  also  in 
Beziehung  auf  das  Gegenbild,  als  Länge,  und 
dieses  als  Kürze  sich  kcnnilich  ujachea. 

Indem  das  Bild  zum  Gegenbild  in  das  Ver- 
hältniss  der  Länge  zur  Kürze  tritt,  entisteht  die 
rhylhmische  Figur;  cJ*'?  denn  alle  andere  Ver- 
hältnisse der  Länge  zur  Kürze  z.  B.  0.  J  sind 
erst,  wie  die  Forge  lehren  wird,  aus  jenem  als 
dem  ursprünglichen  abgeleitet.     Wir  erkennen  in 

dieser  Figur  den  Trochäus  ( Sonne.)      Wie 

nun    aber    in   der    ursprünglichen   i*hylhmischeu      fi/^^- 
Einheit    die    Fähigkeit    oder    das    Streben    liegt, 
ßich   in  Bild    und   Gegenbild   zu   scheiden,    und 
durch    diese    Scheidunar    als   Rhythmus    zur  Ei'- 
ecUeiuuug   zu   kommen,  so  liegt  diese  Tendenz, 

G 


82  ALIgemeJner  TheiL 

sich  von  neuem  zu  rhy thmisiren ,  auch  in  dem 
Bilde,  das  hier  als  Länge  sich  chai'akterisirt  hat, 
und  durch  den  Gegensatz  der  Kürze  schon  eine 
Duplicität  des  Gehaltes  in  sich  ankündigt.  Zer- 
legt sich  die  Länge  nun  in  zwei  Momente,  die 
nur  der  Intensität  nach  entgegengesetzt  sind,  so 
entsteht  die  rhythmische  Figur: 

k^      <■«      «.< 

a  b  c 
in  welcher,  wie  diese  Ableitung  zeigt,  h  das 
Gegenbild  zu  a,  und  c  das  Gegenbild  zu  a+h 
ist.  Mithin  ist  c  ein  Gegenbild  höherer  Ord- 
nung als  &,  wie  es  denn  auch  durch  frühere 
Evolution 


Ä+5       *        Ö+6 

:  J 


e 


V  .1/   / 

a     b       c 

entstand.  Der  Charakter  dieser  Entstehung  zeigt 
sich  ganz  deutlich  im  Praktischen.  Denn  c  ist 
von  viel  stärkerm  Gewicht,  als  h.  Daher  ist  auch 
die  Stellung  j  J^  natürlich ,  diese  hingegen  ^  J 
gewaltsamer,  weil  sie  Produkte  verschiedner 
Zeugungen  verbindet  (synkopirte  Noten  in  der 
Musik).  Daher  ist  der  Daktylus  J*  J  J  aus  dem 
Tribrachys  f  ^J  (-  **  w  aus  :.  ^  ^)  ebenfalls 
natürlich,  denn  er  gibt  dem  Moment  a,  wel- 
ches den  Charakter  des  Bildes  gegen  h  hat,  die 
Extensität  der  Quantität  statt  der  blossen   In* 


,Voni  Rhythmus.  85 

tensilät  des  Accentes ,  die  Verlängung  der  mitt- 
lem Kürze  hingegen  J^  J^  ^  ist  gewaltsam,  denn 
sie  täuscht  durch  Quantität  mit  dem  Schein  des 
Bildes,  bei  dem  Gegeubild,  und  gehört  also' 
unter  die  rhythmischen  Inganni. 

Ausser  diesen  Verhältnissen  der  Extensität 
und  Intensität  zeigt  sich  noch  ein  \erhäliniss 
der  Pielation  zwischen  Bild  und  GegenLild,  wel- 
ches in  der  metrischen  Proportion  besieht.  Die 
genaue  Auseinandersetzung  des  Metrum  wird 
dieses  erst  vollkommen  deutlich  machen.  Man 
setze  indessen  den  Fall ,  mehx'ere  Klänge  wech- 
selten mit  lang  und  kurz,  oder  stark  und  schwach 
ab,  aber  in  ganz  willkührlichen  Verhäliuissen, 
wie  dieses  z.  B.  bei  den  Tonen  der  Aeolsharfe 
der  Fall  ist,  so  würde  man  nicht  im  Stande 
seyn,  ihre  Folge  als  ein  Ganzes  aufzufassen; 
mithin  war  auch  in  einer  solchen  Tonreihe  kein 
rhythmisches  Yerhältniss.  Die  metrische  Pro- 
portion der  rhythmischen  Momente  ist  daher 
eine  Haupibedingung  zum  Auflassen  einer  Beihe 
als  Bhylhmus. 

Um  Alles  zu  erschöpfen,  muss  noch  der  sub- 
jektiven Bedingung  der  Auffassbarkeit  gedacht 
Werden.  "Man  setze  den  Fall ,  dass  in  einer  Beihe 
die    Momente    sich     mit    so    ausserordentlicher 


84  Allgemeiner  Theil. 

Sclmelligkeit  folgten,  dass  sie  die  Walirnch- 
mung  übereilten,  oder  in  so  Aveiten  Intervallen, 
dass  sie  das  Auffassungsvermögen  ermüdeten,  so 
können  alle  objektiven  Bedingungen  des  Rhyth- 
mus vorhanden  seyn,  ohne  dass  er  vernommen 
würde.  Die  Bestimmuiig  solcher  subjektiven 
Verhältnisse  liegt  aber  ausser  den  Gräuzen  der 
Theorie. 

95. 

Wir  haben  (85.) ,  um  den  Begriff  des  Pihyth- 
mus  ganz  rein  aufzufassen,  uns  bemüht,  auch 
die  Voi'stellung  von  Zeilabtheilungen  aus  ihm 
zu  enlfernen.  Um  nicht  missverstanden  zu  wer- 
den, sind  hierüber  einige  Worte  nöthig. 

Versteht  man  unter  Zeit  die  Succession  der 
Erscheinungen,  sie  sei  nun  objektiv  an  diese 
gebunden^  oder  nur  subjektive  Form  ihrer  W  ahr- 
nehmung;  so  müssen  wir  bei  dem  allgemeinen 
Begriff  des  Rhythmus  von  der  Zeit  abstrahiren; 
denn,  wie  wir  bald  finden  werden,  es  sind 
rliythmische  Reihen  möglich,  ohne  dass  die  Mo- 
mente in  der  Zeit  einander  nachfolgen.  Denkt 
man  hingegen  die  Zeit  in  ihrem  ursprünglichen 
Wesen,  als  reines  Werden  (Evolution,  oder  mit 
einem  Schulausdruck:  das  unendliche,  formell 
ideelle  Bild  der  Einheit),  so  ist  .Rhythmus  al- 
lerdings das  endliche  formelle  Bild  der  Zeit, 
deren   Anfang   und  Ende  für    uns   im  LiiendJI- 


Vom  Pchy  t  hmus.  85 

chen  Hegt.  Bei  dieser  Ansicht  darf  es  aber  auch 
nicht  befremden,  rhytliniische  Reihen  im  Piaunae 
zu  finden.  Denn  die  Zeit  spiegelt  sich  im  Rau- 
ane,  und  erscheint  räumlich  in  ihm,  was  frei-. 
lieh  paradox  und  seltsam  klingt,  sobald  man 
Zeit  in  einer  andern,  als  der  eben  erwähnten 
ursprünglichen,  Bedeutung  nimmt.  Hier  aber 
zeigt  es  sich,  dass  z.  B.  die  Pflanze  in  den  Ab- 
iheilungen ihrer  Knoten,  oder  Augen  eine  Zeit- 
reihe im  Räume  darstellt,  und  dass  überhaupt 
die  ganze  Vegetation  sich  als  ein  Abbild  der 
Zeit  im  Räume  betrachten  lasse.  Wir  lassen 
aber  diese  Ansichten,  die  zu  leicht  auf  entfernte 
Gegenstände  fühlten,  und  nicht  selten  zu  einem, 
zwar  intei'essanten,  aber  unfruchtbaren  und  ein- 
seitigen Spiel  mit  Begriffen  verleiten,  hier  un- 
ausgeführt, und  begnügen  uns,  das  Verhältniss 
zwischen  Zeit  und  Rhythmus  hier  im  Allgemein 
nen  angedeutet  zu  haben.  ♦ 

96. 

Wenn  Rhythmus  die  sinnlich  angeschaute 
Form  der  Evolution  ist,  so  wird  er  so  viel  Ar- 
ten der  Erscheinung  zulassen,  als  es  Arten  sinn- 
licher Anschauung  gibt.  Der  Rhylhmus  erscheint 
mithin  tlieiis  dem  iuuern  Siini,  theils  dem  äus- 
sern ,  und  diesem  wiederum  entweder  im  Räu- 
me,  oder  in  der  Zeit,  oder  in  Raum  und  Zeit 
zugleich. 


86  Allgemeiner  Theil. 

97- 
Dem  Innern  Sinn  —  bei  unsern  Lesern  dür- 
fen "wir  wol  die  Bekanntschaft  mit  diesem  Aus- 
druck voraussetzen  —  erscheint  Rhythmus  in 
einer  Reihe  von  Bildern,  oder  Empfindungen. 
Der  Verstand  kann  vielleicht  den  Inhalt  dieser 
Reihe  tadeln,  während  sich  der  innere  Sinn  doch 
an  ila-er  Form  ergötzt,  und  umgekehrt.  Dieser 
innere  Rhythmus  macht  oft  einen  bedeutenden 
Theil  der  Schönheit  eines  Gedichtes,  oder  einer 
Rede  aus,  indem  das  Wohlgefallen  nicht  sowol 
durch  die  Gedanken,  oder  Bilder  des  Gedichtes 
selbst,  sondern  durch  ihre  Verbindung,  ihre  ^ 
Beziehung  und  Erzeugung  aus  einander  erregt 
wird,  er  ist  daher  ein  Haupttheil  der  innern 
Musik  eines  Gedichtes.  Die  Regeln  seiner  Be- 
urtheilung  gehören  aber  nicht  hieher,  sondern 
in  die  Poetik,  wiewohl  sie  im  Allgemeinen  sich 
auf  das  Wesen  des  Rhythmus  überhaupt  gründen. 

98. 

Dem  äussern  Sinn  im  R^aume  erscheint  der 
Rhythmus  nicht  als  „regelmässiges  Verhältnis» 
überhaupt",  denn  dieses  erscheint  auch  in  der 
Symmetrie.  Symmetrie  aber  und  Rhythmus  sind 
sehr  verschieden.  Rhythmus  ist  seinem  Begriff 
nach  im  räumlichen  Verhältniss  nur  dann  vor- 
handen, wenn  eine  Evolution  räundich  als  ein 
Ganzes  angeschaut  wird.     Die  Pflanze  zeigt,  wie 


Vom  Rhythmus.  V^j 

ficlion  oben  erinnert,  in  den  Augen,  Knoten 
u.  s.  w.  die  Momente  einer  successiven  Evolu- 
tion im  Räume  festgehalten,  und  so  bildet  z.  B. 
der  Halm  mit  seinen  Knoten  eine  rhythmische 
Keihe  im  Raum.  Indessen  erkennt  bei  Natur- 
produkten oft  mehr  die  Reflexion,  als  die  sinn- 
liche Anschauung,  dass  hier  eine  Evolution  vor- 
handen sei  5  soll  die  Anschauung  die  Form  der 
Evolution  wahrnehmen,  so  sind  bei  räumlichen 
Rhythmen  ebenfalls  die  allgemeinen  objektiven 
Bedingungen  erforderlich,  unter  welchen  eine 
Reihe  als  Ganzes  angeschaut  werden  kann,  näm- 
lich metrische  Proportion  der  Intensität  und  Ex- 
tensität ,  und  diese  findet  sich  auch  bei  den 
schönsten  Pflanzengestalten,  welche  den  Cha- 
rakter der  Vegetation  am  reinsten  und  freisten 
darstellen.  Die  Kunst,  welche  ausschliesslich 
für  die  Anschauung  bildet,  ist  deswegen  an  jene 
objektiven  Bedingungen  des  Pihythmus  gebun- 
den, und  beobachtet  sie  überall,  wo  es  darauf 
ankommt,  die  Momente  der  Länge,  sei  es  in 
die  Höhe  oder  in  die  Weite,  als  ein  Ganzes  zu 
fassen.  Rhythmus  im  räumlichen  Verhältniss  ist 
also  nicht  Ebenmaass  im  Allgemeinen,  sondern 
Proportion,  im  Gegensatz  der  Symmetrie, 
Welche  die  Momente  der  Breite  regelmässig 
ordnet,  und  das  Analogon  der  Harmonie  ist. 


88  Allgemeiner  The il. 

99- 
Dem  äussern  Sinn  in  der  Zeit  erscheint  clei? 

Rhylhmus     am    reinsten    mittelst    des    Schalles, 

■welcher    {_']']•■  78.)    die    reinste    Zeiterfüllung  ist. 

Am  freisten  also  zeigt  sich  der  Piliythmus  iu  der 

Musik,    wo    der   Schall    reiner    Ton    ist,    unge- 

gehemmt  durch  Artikulation  und  logischen  Sinn, 

^vie  es  im  Vers  der  Fall  ist.     Befremdend  muss 

es    daher  allerdings  einer  unbefangenen  Ansicht 

seyn,    wenn    einige    Metriker    ( z.    B.    Hermann 

§.  55.)  durch  Erinnerung  an  die  Musik  „falsche 

rSehenhegrifTe"  zu  veranlassen  fürchten,  da  doch 

nichts  natürlicher   scheint,    als    das   Zusammen-: 

gesetzte  aus  dem  Einfachen  zu  erläutern. 

100. 
Im  Ptaum  und  iu  der  Zeit  zugleich  erscheint 
der  Pihythmus  im  Tanz  und  in  der  Älimik,  mit 
Welchen  auch  gewöhnlich,  wegen  der  nahen 
Verwandtschaft  zwischen  Rhytlimus  und  Schall, 
Musik  verbunden  zu  seyn  pflegt.  Diese  Er- 
scheinung dics,  Pihythmus  liegt  aber  ausser  den 
Gränzen  unserer  Unlersiuhung,  wicAVol  ihi'e 
Gesetze  ebenfalls  in  den  allgemeinen  Gesetzen 
des  Bhylhmus  gegründet  sind. 

,.     101. 
Ln    Laufe    dieser   Unlersachung    haben    sich 
von  selbst  verschiedene  Ei'klänmgen  des  Rhyth- 
mus   dargeboten,    welche     insgesammt    dasselbe 


Vom  Rhythmus.  8t) 

aussagen,  und  vollkommeu  verständlicli  sind, 
sobald  man  nur  die  bestimmte  und  klare  An- 
schauung des  llliylbmus  sieb  eigen  gemacht  hat. 
Ohne  diese  Anschauung  bleiben  alle  Erkläi'un- . 
gen  leere  unverstandene  Worte.  Hat  man  sich 
aber  geübt,  den  Rhythmus  z.  B.  eines  Gesan- 
ges aufzufassen,  und  ihn  in  jeder  Abstraktion, 
Vom  Vers ,  vom  melodischen  Verhältniss ,  selbst 
vom    Schall  *)    -wieder    zu   erkennen,    und    von 


*}  Es  ist  bekannt,  dass  mehrere  Aerzte,  aller  und  neuer 
Zeit,  ia  den  Pulsschlägen  Rhythmus  suchten,  und 
jedem  Gcsnndheltzustand  seinen  bestimmten  Puls- 
rhythmus  beilegten.  Samuel  riafenrcüer  nahm  diese 
Ansicht  vom  Puls  in  seinem  Buch  :  Mouochordon 
Svmholico- biomanticum,  abstrusissimam  pulsuum  do- 
ctrjnam  ex  harmoniis  niusicjs  dilucidc,  figurisque  ocu— 
lariter  demonstrans.  Ulm  iG'lO.  Später  hat  ein 
französischer  Arzt,  Marqnet,  die  Pulsbewegung  in 
Musikzeichen  auszudrücken  gesucht,  iu  seinem  Buch  : 
NouvelltJ  melhode  facilo  et  curleuse  pour  connaitre 
le  pouls  par  les  notes  de  la  musique.  Nancy  1747. 
4.  Zweite  vermehrte  Ausgabe  von  Buchoz.  -Amst. 
et  Paris,  l'/ÖQ.  Die  Verwechselung  von  Tempo 
lind  Rhythmus  ist  in  den  meisten  Sätzen  nicht  zu 
verkennen.  Uebcvhaupt  trägt  man  gewöhnlich  in 
die  meisten  Naturphänomene,  z,  B.  den  Fall  der 
Tropfen,  erst  den  Riiythmus  über.  Das  Tremuli- 
ren  zweier,  -wenig  in  der  Ilül^e  verschiedener  zu- 
j^Ieich   llin^H-nder  Töne,    \vä'r   vielleicht    zu    untersu- 

»  nhcn,  nm  die  Veränderung  des  Rliyllnnus  bei  Vcr^ 
äudcrung   d<s   TuavcrhälLnisscs   zu   bemerken. 


go  A 1 1  g  e  m  e  i  n  e  r  T  Ji  e  i  I. 

andern  zu  unterscheiden,  dann  wird  man  seine 
Erklärungen  als  Zeitfigur,  als  Ganzes  in  der 
Zeit,  als  Form  der  Evolution,  als  sinnliche 
Anschauung  der  Einheit  in  einer  P«.eihe  von 
Momenten,  und  wie  sie  alle  heissen  mögen, 
leicht  verstehen;  denn  mehre  Ausdrücke  für 
dieselbe  Sache,  können  insgesammt  richtig,  und 
dennoch  sehr  verschieden  seyn,  je  nachdem  man 
den  Standpunkt  nimmt,  von  welchem  aus  man 
die  Sache  betrachtet.  Wer  z.  B.  den  Rhyth- 
mus eine  Zeitfigur  nennt,  bestimmt  ihn  eben 
so  richtig,  als  der,  welcher  die  sinnliche  Form 
der  Evolution  in  ihm  sieht,  nur  spricht  die- 
ser gründlicher,  jener  anschaulicher. 

102. 

Selbst  Hermanns  Definition:  (Metrik  §.  18.) 
„Rhythmus  sei  die,  durch  blosse  Zeit  darge- 
stellte Form  der,  durch  Wechselwirkung  be- 
stimmten Caussalität" ,  so  sonderbar  sie  auch 
klingt,  würde  bei  einer  deutlichen  Anschauung 
des  Rhythmus  cinigermassen  verständlich  wer- 
den, wenn  dieser  Metriker  nicht  durch  gänzli- 
ches MIssverstehn  der  Kantischen  Lehre  von 
der  Wechselwirkung  die  Sache  verwirrt  hätte, 
indem  er  die  Caussalität  Im  Rhythmus  durch 
Wechselwirkung  bestimmen  will.  In  den  Mo- 
menten der  Caussalität  ist  allerdings  Wechsel 
des  Positiven    und  Negativen;    allein   eigentliche 


Vo  m  Rhythmus.  «, 

Wecliselwirkuug  findet  nur  dann  Statt,  wo  von 
beiden  Seiten  zugleich  Positives  und  Negatives 
auf  und  gegen  einander  wirken.  Jene  Einmi- 
schung der  Wechselwirkung  verwirrt  also  aller- 
dings den  Begriff;  denn  das  Gegenbild  (nach 
Hei'mann  Thesis)  wirkt  nicht  positiv  auf  das 
Bild  (Arsis)  zurück,  und  steht  also  mit  diesem 
nicht  in  Wechselwirkung,  sondern  hloss  in  rei- 
ner Caussalverbindung. 

io5. 

Wechselwirkung  ist  in  dem  reinen  Begriff 
des  Rhythmus  gar  nicht  enthalten,  sie  ist  viel- 
mehr der  Grund  der  Harmonie ,  ^  welche  aller- 
dings mit  dem  Rhythmus  sehr  nahe  verwandt, 
und  nur  eine  andre  Erscheinung  der  Einheit 
ist,  als  dieser.  Wenn  Rhythmus  die  Einheit 
in  verschiedenen  Momenten  der  Succession  er- 
scheinen lässt,  so  zeigt  Harmonie  die  Einheit 
in  verschiedenen  Momenten  des  Zugleichseyns, 
und  ebenfalls  am  reinsten  in  Tönen,  die  ohne 
räumliches  Verhältniss,  als  geistige  unsichtbare 
Naturen  zugleich  und  neben  einander  sind, 
ohne  Daseyn  und  Substantialität  zu  haben. 
Metaforisch  könnte  man  daher  den  Rhyllimus 
fliessende  Harmonie,  und  die  Harmonie  siehen- 
den Rhyllimus  nennen,  wenn  man  dabei  nur 
nicht  vergissl,  dass  hierdin-ch  nichts  erklärt, 
sondern  bloss  das  nahe  Verhältniss  beider  bild- 


(ji  Allgera  0  i  ucr  Tlieil. 

licli    ausgedrückt   wcrtlcu    soll.       In   räumliclieo; 
Verliäknissen   zeigt  sich  die  Harmonie  als  Sym- 
metrie, Proportion  deutet  auf  rhythmisches  Yer- 
hältuiss    im    Raum,    wie   schon    oben    (98.)    im 
Vorbeigehn  erinnert  wurde.     Unterscheiden  wir 
beide  Worte  genau,    so   finden   wir   die  frühere 
Bemerkung   bestätigt,    dass   wir   bei   Gegenslän- 
den,  die  wir  der  Breite  nach  vor  uns  sehn,  har- 
monische Verhältnisse  (Symmetrie)  fordern,  bei 
Gegenständen   aber,    die   wir   nach  ihrer  Länge 
betrachten,     sei     es    der    Ferne    oder    der    Höhe 
nach,  rhythmische  Verhältnisse  (Proportion.)    Das 
Anschauen    der  Breite  geht  nämlich  auf  das  Si- 
multane,   das    Anschauen    der    Läifge    hingegen 
auf    das    Successive.       In    der    perspektivischen 
Darstellung  geht  daher  das  Symmetrische  in  das 
Proporlionale    (das   harmonische    Verhältniss    in 
das  rhythmische)    nach   und    nach   über.     In  so 
fern  sich  nun  die  Architektur  hauptsächlich  mit 
Darstellung  von    Symmetrie  und  Proportion  be- 
schäftigt,   so  scheint  sie  allerdings  das  im  Bau- 
me   zu    vollbringen,    was  die  Musik  in  der  Zeit 
wirkt.     Nennt    sie   jemand    die   Musik  des  Rau- 
mes,  so    sagt    er  in  der  That  damit  nichts  auf- 
fallenderes,   als  wenn  er  die  Jugend  den  Früh- 
ling des  Lebens  nennt. 


Vom  Metrum,  ^5 

Vom    M  e  t  r  11  m. 

io4. 
Wir  erwälinten  oben  (§.  90.),  dass  sich  das 
Bild  vom  Gegcublld  im  Piliythmus ,  niclit  allein.  " 
der  Extensität  und  Intensität,  sondern  auch  der 
inctrisclien  Proj^ortion  nach,  nnterscheide.   Diese 
metrische  Proportion  ist  jetzt  zu  bestimmen. 

100. 
Fast  Jede  Theorie  bemüht  sich,   das  Metrum 
Vom   Rhythmus    zu   unterscheiden,    und    gesteht 
eben  durch  diese  Bemühung,  dass  beide  Begriffe 
leicht  zu  verwechseln  scyn.     Betrachtet  man  in- 
dessen die  Erklärungen  des  Metrum ,  wie  sie  in 
den    Theorien   sich   finden,    so    ist  wenig  damit 
deutlich  gemacht.     Wenn  z.  B.  Quintilianus  sagt: 
rdiythmi,    i.    e.    numcri,    spatio  temporum   con- 
slant:  nielra  etiam  ordine;  ideoque  alterum  esse 
quantitatis   videtur,    alterum   qualitatis.      Rhyth- 
•mis  libera  spatia,  metris  finita  sunt.     Inania  quo- 
que  tempora  rhythmi  facilius  accipient  —  so  ist 
durch   diese  Antithesen  für  die  Erklärung  nicht 
viel    gewonnen.       Man    muss    erst   wissen,    was 
Rhythmus  und  Metrum  sei,    um  diesen  Gegen- 
slelbiugen  Beifall  zu   geben,    oder    zu  versagen, 
r^ach  Hermann  (§.  ^9. )  bezeichnet  Metrum  kei- 
ncswcges  den  Rliythmus  selbst,    sondern   bloss: 
„das  VerhäJtni.ss    der   L[a\^c   der   Zeitabtheilun- 
gen gegen  einander,  ohne  al]<'n  Rhythmus."    In 


(ji  Allgemeiner  Theil. 

dieser  Erklärung  liegt  allerdings  etwas  Wahres, 
nur  wird  sie  falsch  durch  den  Zusatz:  ohne 
allen  Rhythmus.  Es  sollte  vielmehr  heissen: 
im  Rhythmus;  denn  nur  in  diesem  ist  eia 
Verhältniss  der  Zeitabtheiluugen  denkbar.  Ohne 
Rhythmus  bestimmt  nicht  das  Metrum,  sondern 
die  Prosodie  die  Länge  der  Zeitabiheilungen, 
(im  Material,  nämlich  den  Sylben)  aber  eben 
deswegen  auch  ohne  Verhältniss.  Die  Folge 
wird  diese  Behauptung  rechtfertigen» 

106. 

Metrum  im  Allgemeinen  bedeutet  Maas.  Zeit- 
maas, Yersmaas  nennt  man  es  auch  wol,  so 
wie  man  in  der  Musik  den  Takt  das  Zeitmaas 
nennt.  Allein  die  Benennung  Zeitmaas  ist  zwei- 
deutig. Der  eigentliche  \  ei'lauf  der  Zeit  wird 
durch  das  Metrum  und  den  Takt  nicht  gemes- 
sen; dazu  dienen  andre  Zeitabschnitte,  Jahr, 
Tag,  Stunde,  Minute  und  ähnliche.  Dieses 
sind  allgemeine  absolute  Maasse,  die  wir  an- 
wenden, um  die  Dauer  eines  Zeitverlaufes  zu 
bestimmen,  so  wie  wir  für  räumliche  Ausdeh- 
nung, Zolle,  Schuh,  Linien,  Meilen  und  andre 
Maasse  gebrauchen.  Etwas  ganz  verschiede- 
nes sind  relative  Maasse,  Avodurch  nicht  zeit- 
liche und  räumliehe  Ausdehnungfliii  Allgemei- 
nen gemessen,  sondern  zeitliche  und  räumliche 
Proportionen  bestimmt  werden.      So  misst  man 


Vom  Metrum.  g5 

z.  B.  eine  Säulenhölie  nacli  Ellen  oder  Schu- 
hen, um  sich  eine  allgemeine  Vorstellung  von 
ihrer  Grösse,  oder  auch  von  ihrem  Verhältuiss 
zu  andern  Säulen  oder  Höhen  zu  machen;  mau 
mi^st  sie  aber  nach  Modeln,  um  ihre  eigenthüm- 
liche  innere  Proportion  zu  bestimmen,  oder  mit 
den  Proportionen  andrer  Säulen  zu  vergleichen* 
Ein  solches  relatives  Maass  ist  nun  auch  das 
Metrum,  oder  der  Takt.  Isicht  also  für  die 
Zeit  überhaupt  dient  es  zum  Maass,  sondern 
für  Anschauungen,  oder  Figuren  in  der  Zeit, 
also  für  Rhythmen.  Metrum  ist  seinem  Begriff 
nach  Proportionsmaas  des  Rhythmus  in  der  Zeit, 
Es  entsteht  mithin  durch  und  mit  dem  Rhyth- 
mus, und  ist  zugleich  Gesetz  desselben,  oder, 
wie  ein  alter  Schriftsteller  sich  darüber  etwas 
mystisch  ausdi-ückt:  „der  Vater  des  Metrum  ist 
der  Rhythmus  und  Gott,  denn  vom  Rhythmus 
hat  das  Metrum  den  Anfang,  Gott  aber  sprach 
das  Metrum  aus. " 

107; 

Das  Metrum  als  Proportionsmaas  des  Rhyth- 
mus kann  nichts  anders  messen,  als  das  Ver- 
hällniss  des  Bildes  zum  Gegenbilde.  Diese» 
Verhältniss  kcmn  kein  willkührliches  scyn,  son- 
dern es  muss  in  der  Natur  des  Rhythmus  selbst 
liegen,  und  sich  nachweisen  lassen. 


gö  A 1 1 2  e  m  e  i  11  e  r  T  h  e  i  1. 

io8. 
Indem  das  Bild  zum  Gegenbilde  sicli  bloss 
der  Intensität  nach,  wie  Stark  zu  Sclnvach  ver- 
liält,  so  ist  ia  Ansehung  der  Zeit,  welche  jedes 
erfüllt,  zwischen  beiden  keine  Ungleichheit  ge- 
setzt. Das  Verhältniss  vom  Bild  zu  Gegenbild 
ist  also  in  Ansehung  der  Dauer  gleich  Eins  za 
Eins.  Von  Länge  und  Kürze  kann  hier  noch 
nicht  die  Frage  seyu,  eben  weil  die  Dauer  beir 
der  von  gleichem  Maasse  sejn  soll.  Wir  be- 
zeichnen daher  einen  solchen  Rhythmus  noch 
nicht  mit  den  metrischen  Zeiclien  der  Länge 
und  Rüi'ze,  sondern  mit  einem  Buchstaben, 
Z.  B.  a.  Das  Metrum  dieses,  durch  Intensität 
charakterisirten    ß.hytlmms ,      Avird     also    diese» 

scyn ; 

ct.  a. 

Bild  Gegenbild 

Der  Charakter  des  Bildes  (die  Kraft)  zeigt  sich 
hier  als  Accent,  und  kündiget  sich  dadurch 
als  Ursache  des  bewirkten  Gegenbildes  an.  Die 
beiden  Sylben  des  Wortes  Anmuth  z.  B.  sind 
von  gleichem  metrischen  Gehalt,  (dass  sie  beide 
Längen  sind,  geht  erst  durch  "V ergleich ung  mit 
Kürzen  hervor)  allein  der  Accent  auf  der  er- 
sten Sylbc,  welcher  der  zweiten  fehlt,  macht 
])eide  zu  einem  Ganzen,  indem  sich  die  erste 
Sjlbc  durch,  jenen  Accent  die  zweite  unterord- 
net.     ?\lan   befreie   die    zweite   Sylbe  von  dieser 


Vom    Metrum.  q-, 

Herrschaft  der  ersten,  indem  raan  ihr  gleiche 
Kraft  des  Accentes  gibt,  so  hört  man  nicht 
mehr  das  einfache  Wort  Anmuth,  sondern  mau 
hört  zwei  Worte,  z.  B.  die  Ausrufe:  Anl  Muth! 
Oder  man  nehme  der  ersten  vSylbe  den  Accentj 
und  gebe  ihn  ausschliesslich  der  letzten,  so  ist 
der  Rhythmus  verändert,  und  man  hört  statt 
Anmuth,  jetzt :  an  Muth  (z.  B.  gebricht  es,)  Die- 
sen Accent,  als  Charakter  des  Bildes  im  Bhytli- 
mus,  nennen  die  Musiker  in  Tonrhythmen  den 
guten  Takttheil,  im  Gegensatz  des  schlech- 
ten Takttheiles  (des  accentiosen  Gcgenbiides), 
Weil  sich  die  Stimme  bei  dem  Aus  prechen 
der  accentirten  Sylbe  hebt ,  bei  der  accentiosen 
hingegen  senkt,  so  nennen  die  Metriker  die  ac- 
centirte  Stelle  im  Rhythmus  (das  Bild)  die  H  e- 
bung  (elatio,  ekvatio,  u^Gig)^  oder  mit  dem 
adoptirten  griechischen  Worte  Arsis,  die  ac- 
centlose  Stelle  hingegen  (das  Gegenbüd)  die 
Senkung  (positio,  S^emg),  oder  mit  dem  eben- 
falls adoptirlen  Worte:  Thesis.  In:  Sanftmuth 
z.  B.  ist  die  Sylbe  Sanft  Arsis,  die  Sylbe  Muth 
hingegen  Thesis.  Die  Arsis  bezeichnen  wir  im 
Rhythmus,  wo  es  nöthig  ist,  mit  dem  Zeichen 
des  Accentes 

d  a 

Arsis  Theais 

Bild  Gegenbilcl 


ijJi  Allgemeiner  '1'  heil. 

Nur  vergesse  man  nicht,  dass  der  Acccnt  nie- 
mals eine  Länge,  sondern  bloss  die  Kraft  der 
Arsis  anzeigt, 

109. 

Zu  bemerken  ist  hierbei,  dass  die  Musiker 
die  Worte  Arsis  und  Thesis  in  ganz  umgekehr- 
tem Sinne  brauchen.  Bei  ihnen  heisst  Thesis 
der  Niederschlag  des  Taktes,  mithin  der  gute 
Takltheil,  Arsis  liingegen  d<3r  Aufschlag  oder 
der  schlceiite  Takttheil,  oft  auch  wohl  der  Auf- 
takt ( Hermanns  (xvanQovGig ) ,  wenn  sie  unter- 
scheiden, ob  ein  Stück  in  Arsi  oder  in  Thesi 
anfange ,  weil  der  Auftakt  nichts  andei^s  ist,  als 
ein  schlechter  Takttheil,  dessen  guter  nur  ideell 
vorhanden  ist ,  daher  er  zuweilen  durch  eine 
anfangende  Pause  angezeigt  wird. 

Hermann  hat  zuerst ,  unbekannt  mit  dem 
Sprachgebrauch  der  Musiker,  diese  Benennun- 
gen umgcAvend^t,  es  war  leicht  diese  Aenderung 
zu  bewirken,  da  die  wenigsten  Metriker  mit  der 
Musik  so  bekannt  waren,  um  daran  Anstoss  zu 
nehmen,  die  Musiker  aber  würden  auch  ohne 
diese  Verschiedenheit  der  Benennuug  nicht  leicht 
in  Hermanns  Lehrgebäude  den  Eingang  gefun- 
den haben,  weil  sie  in  Gegenden  längst  hell  zu 
sehn  giwohnt  sind,  über  Avelche  in  jenem  Ge- 
bäude kimmerisches  Dunkel  verbreitet  wird. 
Wir    wcrjeu    indessen    die    Wörter    Ar.sis    und 


Vom  Metrum,  99 

Thesis  in  dem,  von  Hermann  elngefiilirten  Sinn 
gebrauclien,  tlieils,  weil  diese  Bedeutung  nun 
einmal  bei  den  Metrikern  Eingang  gefunden  hat, 
theils,  weil  es  billig  ist,  dass  der  Melriker  eine  • 
Benennung  von  Hebung  und  Senkung  der  Stim- 
me hernimmt,  während  der  Musiker  sie  von 
Hebung  und  Senkung  des  Taktirstabes  ableitet. 
Dass  dieser  durch  die  Verschiedenheit  tler  Be- 
nennung nicht  irre  geleitet  werde,  wird  sich 
durch  vorsichtigen  Gebrauch  doppelsinniger 
Worte  leicht  bewirken  lassen. 

Die  Grammatiker  scheinen  mit  Arsis  und 
Thesis  keinen  bestimmten  Begriü"  verbunden  zu 
haben.  Gewöhnlich  nennen  sie  Arsis  die  erste 
Sylbe  eines  Fusses,  und  Thesis  die  zweite.  So 
war  im  Trochäus  (-  -  Sonne)  die  lange  Sylbe 
die  Arsis,  die  kurze  Thesis;  im  Jambus  hinge- 
gen (-'  -  Gewalt)  würde  die  kurze  Sylbe  Ar- 
sis die  lange  Thesis  seyn.  Auf  diesen  Gebrauch 
der  Grammatiker  ist  also  gar  nicht  Rüchsicht 
au  nehmen. 

110. 

Wo  sich  das  Bild  nicht  bloss  durch  Intensi- 
tät, sondern  durch  Extensität  (91)  vom  Gegen- 
bild unterscheidet,  und  sich  zu  ihm  verbält, 
wie  Länge  zur  Kürze,  da  ist  sclion  in  Anse- 
hung des  Maasses  eine  Ungleichheit  gesetzt.  Da 
die  Ungleichheit    hier   ohne  alle  Bedingung  ge- 


lüo  Allg  eine  i  II  e  r  'J'lieil. 

fordert  ist,  so  iindcl  \Aoss  die  ursjnimglrcliyle 
und  unbcdi älteste  aller  Ungleicbheiteu  Statt, 
nämlich  die  Hälfte  oder  das  Verliältniss  von 
Zwey  zu  Eins.  Das  Bild  wird  also  zwei  Mo- 
mente (Zeilen,  Mora)  enthalten,  das  Gegeuhild 
hingegen  nur  Ein  Moment.  Wir  bezeichnen 
nun  das  Bild  mit  dem  metrischen  Zeichen  der 
Länge,  das  Gegenlüld  hingegen  mit  dem  Zei- 
chen der  Kürze,  wodurch  dieser  Rhythmus: 

Bild  Gegenbild 

entsteht.  Indem  wir  so  den  metrischen  Gehalt 
dieser  Länge  gefunden  haben,  wird  das  noch 
klarer ,  was  schon  früher  ( 92 )  in  andrer  Be- 
ziehung   erwähnt  Avurde,    dasrs  diese  Länge  sich 

in  Arsis    und  Thesis  von  neuem  zerfallen  lasse: 

— —  «•• 

So  entstehn  drei  gleiche  Zeitabtheilungen: 

wovon  die  erste  sich  nun  durch  den  Accent  als 
Ai'sis  charaktei'isirt.  Sie  ist  ber  Arsis  gegen 
das  zweite  Moment,  und  zugleich  Arsis  gegen 
das  dritte,  weil,  in  Beziehung  auf  dieses,  das 
zweite^  später  aus  ihr  entwickelte,  dem  Wesen 
nach  immer  noch  zu  ihr  zu  rechnen  ist.  Diese 
Eigenschaft  einer  Arsis  in  doppelter  Beziehung, 
werden  wir,  wo  es  nöthig  ist,  mit  einem  dop- 
pelten Accent: 

—  <•#  «^ 

bezeichnen. 


Vom   Metrum.  loi 

111. 

Indem  die  Lange  gegen  die  Kürze  gestellt 
ist,  (-  ~)  entsteht  allerdings  schon  im  Rhyth- 
mus ein  Verhältniss  der  Länge  zur  Kürze.  In- 
dem aber  die  drei  gleichen  Zeilabtheilungen 
(>^  w  _)  entstehn,  ist  es  wiederum  bloss  die 
Kraft  der  Ax'sls,  oder  des  Accenles,  welche  den 
Rhythmus  bestimmt',  und  für  diese  Beslimm,ung 
ist  der  Unterschied* der  Länge  und  Kürze  ver- 
schwunden. Man  kann  also  die  drei  gleichen 
Zeitabtheilungen   eben   so  richtig  durch  I^ürzen 


als  durch  Längen 


bezeichnen,    oder   wo    man    diesen  X^nterschied 
übergehen  will,   sich  der  indilferenten  Zeichen: 

d  a  a 

bedienen. 

112. 
So  haben  wir  zwei  Gattungen  des  Rhyth- 
mus gefunden,  wovon  die  eine  nach  gleichen, 
die  andre  nach  ungleichen  Theilen  gemessen 
wird,  oder  nach  einer  andern  Ansicht,  deren 
eine  den  Rliythmus  in  zwey,  die  andre  in  drei 
gleiche  Theilt;  (Momente)  metrisch  zerlegt.  ISach 
einer  gewöhnlichen  Mt:tafer  trägt  man  diese 
verschiedne  Eigenscliaft  des  Rhythmus  auf  sein 
Maass  (das  Metrum)  über,   und  nenut  es  gera- 


103  Allgemeiner  Theil. 

des  Metrum,  wo  es  den  Piliyllimus  nach  der 
geraden  Zahl  (zwey),  ungerades  liingegen,  wo 
es  ihn  nach  der  ersten  ungeraden  Zahl  ( drei ) 
ablheilt. 

ii5. 

Indem  wir  jetzt  das  Metrum,  und  Vorher 
den  Rhvihmus  in  den  ersten  Elementen  betrach- 
teten ,  ward  es  einleuchtend ,  dass  beide  zugleich, 
mit  und  durch  einander,  entstehen.  Der  Rhyth- 
mus ist  nämlich  in  seinem  ersten  Erscheinen 
als  Bild  und  Gegenbild  metrisch  bestimmt,  und 
da  das  Metrum  nichts  anders  ist,  als  Propor- 
tionsmaass  des  Rhythmus,  so  entsteht  es  zu- 
gleich mit  dem  Rhythmus,  und  ist  ohne  ihn 
nicht  denkbai*. 

Mau  würde  jedoch  sehr  irren,  wenn  man 
glaubte,  hiermit  sei  der  Streit  entschieden,  ob 
jeder  Rhythmus  Takt  habe,  oder  ob  es  auch 
taktlose  R^hythmen  und  Verse  gebe.  Wollte  je- 
mand auch  mit  einiger  Voreiligkeit  behaupten, 
was  von  den  Elementen  gelte ,  müsse  d  urch  die 
ganze  Sfäre,  die  aus  diesen  Elementen  entsteht, 
Gültigkeit  haben,  so  könnte  man  ihn  vorläufig 
durch  die  Bemerkung  aufmerksam  machen,  dass 
schon  aus  der  Zusammensetzung  rhythmischer 
Elemente,  z.  B. 

taktlose  Reihen  entstehen  würden,  und  dass 
wenigstens    die   Prosa,    deren  Sätzen   man  doch 


Mclrische  Entwi'jkeluüg  des  Piliythmus,  io5 

auch   Rhytlunus    zuschreibt,     nicht    nach    einem 
bestimmten,     gleichiörmigen    Takt    sich    bewege. 
Die    Untersuclxung ,    sehen    wir    bald,    ist    noch 
nicht  an  dem  Punkte,    wo   jene  Frage  entschie-. 
den  werden  kann. 

ii4. 
Uebcrhaupt  ist  jetzt  der  Rhythmus  nur  in 
seiner  Grundform  nachgewiesen  w  orden ,  es  ist 
aber  nötliig,  ihn  durch  alle  EntAvickelungen  die- 
ser Grundform  zu  betrachten,  wodurch  zugleich 
das  Metrum,  das  jetzt  ebenfalls  nur  als  Element 
des  Taktes  erschien,  seine  nähern  Bestimmun- 
gen erhalten  wird. 

Metrische  Entwictelung  des  Rhythmus. 

11.5. 
Die   einfachste   Form,    oder    die    Grundform 
des  Rhythmus  im  geraden  ÄIcLriun  ist  (108)  diese: 

d  a 

und  zAvischen  beiden  IMomenten  ist  kein  Quan- 
titätunlerschied,  jedes  hat  dieselbe  Dauer  in  der 
Z('it  wie  das  Andre,  und  das  erste  Moment  (das 
Bild) ,  unterscheidet  sich  nur  durch  den  Accent 
(die  Arsis)    von  dem  zweiten  (dem  Gegenbilde). 

116. 
Wie   die    vhytlimische    ui'^piningirche  Einheit      y  j^ 
überhaupt  als  Fälligkeit  gedacht  wird,    ihr  Ge- 
genl»ild   aus  .sich  hervoivnbriugen  .    so    hnl    nnch 


io4  AlIgemeinerTheil. 

jedes  i'hythmisclie  Moment,  die  Arsis  sowohl 
als  die  Tliesis,  jene  Fälligkeit,  sich  von  Neuem 
in  Momente  zu  zerlegen,  zwischen  Avelchen  nun 
ebenfalls  das  Verhällniss  dei*  Arsis  und  Thesis, 
mit  allen  rhythmischen  und  metrischen  Beziehun- 
gen statt  findet.  Wir  bezeichnen  diese,  aus  je- 
nen entstandenen  Momente  mit  denselben,  aber 
kleinci'n  Buchstaben: 

A  A 

d         a         a         a 

und  nennen  sie  Momente  der  zweiten  Ordnung, 
im  Gegensatz  jener,  die  wir  Momente  der  er- 
sten Ordnung,  oder  auch  Hauj)tmomente  nennen. 

117. 

Diese  Momente  der  zweiten  Ordnung  neh- 
mc7i  dieselbe  metrische  Bestimmung  an,  wie  die 
Hauplmomente  selbst.  Nach  dem  geraden  Me- 
trum, welches  sie  der  Intensität  nach  bestimmt^ 
sind  sie  unter  sich  selbst  von  gleicher  Quanti- 
tät, und  bloss  als  Arsis  und  Thesis  durch  den 
Accent  verschieden  : 

A  A 

d  a  d  a 

Arsis        Thesis        Arsis        Thesi« 
Gegen  die  Hauptmomente  gehalten  aber,  hat  je- 
des der  Momente  zweiter  Ordnung  nur  die  Hälfte 
des    Zeitgchaltes    von    dem    Hauptmomenl,    aus 


3Ietrische  Entwickelung  des  Rh)rthmus.  io5 

welchem  es  hervorging,  und  in  dieser  Beziehung 
entsteht  unter  beiden  Galtungen  erst  ein  Quanli- 
lätverhältniss,  das  wir  nun  so  ausdrücken  können : 

d         d 

\     \     \     \ 
•    •    «     • 

und  welchem  in  der  Musik  der  Vier-Viertehakt 

entspricht. 

118. 

Denkt  man   sich   eine  Reihe   von  Rhythmen, 
die   sich  bloss  in  Haiijitmomenten  bewegten,   so 
zeigte  sich    in    ihnen   kein    Quantitiitverhaltuiss 
sondern   das   einzige   rhythmische   Princip   einer 
solchen  Reihe  würde  der  Aecent  seyn. 

Dasselbe  würde  Statt  finden,  wenn  die  Rhyth- 
men bloss  Momente  der  zweiten  Ordnung  ent- 
liielten.  Denn  da  die  Kürze  dieser  Momente 
nur  relativ  ist  gegen  die  Hauptmomente,  so 
kommt  sie  unter  blossen  Momenten  zweiter  Ord- 
nung nicht  vor.  Sie  wird  nur  ein  schnelleres 
Tempo  verursachen,  innerhalb  demselben  aber 
wird  keine  Quantilätverschiedenheit ,  sondern 
nur    ein   Wechsel   Von   Arsis    und   Thesis    Statt 

finden. 

119. 

Die  Bedingung  aller  Quantitätverschiedenheit 
ist  daher  Wechsel  der  Momente  verschiedener 
Ordnungen,  also: 

Ada         a   J   J 
d     a    A        J   J   r-i 


laG  Allgemeiner  T  h  e  i  I. 

Damit  wird  indessen  nicht  behauptet,  dass  un- 
ter wirklich  quantitirendeu  Versen  niemals  eine 
Picihe  von  Momenten  derselheu  Ordnung  vor- 
kommen könne.  Ist  nur  einmal  das  Quanlilät- 
verhältniss  durch  wahrgenommenen  Wechsel  der 
Ordnungen  bestimmt,  so  treten  auch  die  Mo- 
mente einzelner  Ordnungen  nicht  aus  dem  ein- 
mal festgesetzten  Quanlilätverhältniss,  und  die 
Verse : 

TV)  div  Meaarivri  ^vf^ßli^ri^v  u^r^koiiv     Homer 

Clves  Romani   tunc   facti   sunt   Campani 

Ahndungvoll  Avehklagt  beim   Festmal   Abschiedwehmuth. 

werden  unter  Hexametern  ebenfalls  als  Hexame- 
ter anerkannt  werden,  \Niewol  sie  sich  nach 
vierzeitiger  Messung  des  heroischen  Verses  blos 
in  Hauptmomenten ,  nämlich  Spondeen  bewegen. 

Gerades    Metrum. 

120. 

Im    geraden    Metrum   finden  also  vier  Foi'- 
men  des  Rhythmus  statt,  nämlich: 
J  J    die  sjioudcische  _  „ 

j  m'  0^  ^^^  daktylische  _  »1^ 
J^  J^  J  die  anti daktylische  J.  «*  _    un- 
terschieden von  der  anapästischen 

•^  »^  0^  J^  ^i^  proccleusmatische  Z  •*>  L  ^ 


Gerades  Metrum.  107 

von  welchen  in  dem  besondern  Tbeile  unter 
den  Yersgattungen  des  geraden  Metrum  beson- 
ders gehandelt  werden  wird.  Wir  nennen  das 
gerade  Metrum  von  seiner  Grundform  auch  das 
«p  ende  i  sehe. 

121. 
Dieses  Zerfallen  der  Momente  würde  sich 
allerdings  in  das  Unbestimmte  fortsetzen  lassen; 
allein  alle  neuen  Zerfallungen  der  jNIomente  spa- 
terer Ordnungen  würden  dieselben  Verhältnisse 
bloss  wiederholen,  welche  zwischen  den  Momen- 
ten erster  und  zweiter  Ordnung  Statt  finden, 
und  Momente  entfernter  Ordnungen,  z.  B.  der 
ersten  und  vierten,  können  in  demselben  Rhyth- 
mus nicht  mit  einander  wechseln. 

122. 

Hier  ist  es  nothwendig,  einer  sonderbaren 
VeriiTung  zu  gedenken,  zu  welcher  der  Mangel 
an  Einsicht  in  die  Musik  einige  Metriker  ver- 
leitet hat. 

„In  unsrer  Musik  —  sagt  Hermann,  Metrik 
S.  XX.  —  hat  zwar  der  Rhythmus  der  Melodie 
ein  siebenfaches  Maass  vom  ganzen  Takt  bis  zu 
Vierundsechzigthcilcn,  da  der  Rhythmus  der 
griecliisehen  Musik,  Avenigstens  bei  dem  Ge- 
sänge und  der  Begleitung  desselben  nur  eia 
zweifaches  Maass,  der  ganzen  und  halben  No- 
ten hatte." 


loS  Allgemeiner  Theil. 

Man  sieht  gleicli  aus  „  dem  siel)enfaclien  Maass 
der  Melodie  vom  ganzen  Takt  bis  zum  \ier- 
undsechzigtlieil  "■ ,  dass  dieser  Metriker  eine  et- 
was mangelhafte,  und  bloss  gelegentliche  Keunt- 
"niss  von  der  Musik  hat,  sonst  wären  ihm  die 
übrigen  Extreme  de?  Notenreihe  vor  der  ganzen 
Taktnote,  und  nach  dem  \  ierundsechzigtheil  in 
längern  und  kürzern  Tonzeichen  nicht  unbe- 
kannt geblieben,  und  er  hätte  sich  überzeugt, 
dass  hier  überhaupt  gar  keine  Gränzü  ist,  denn 
was  hindert  den  Componisten,  die  Theiiung  der 
Noten  fortzusetzen,  so  weit  er  es  nöthig  findet, 
und  Fünfhunderlzwölftheile  zm  schreiben,  wie 
man  schon  lange  Zweihundert  sechs  und  funfzig- 
theile  schrieb?  Auch  hätte  er  bemerkt,  dass  im 
Sechsachteltakt  das  punktirte  Viertel  (J.  )  ein 
eben  so  selb.stständiges  Maass  ist,  als  im  Vier-  • 
vierteltakt  die  halbe  Taktnote  (cJ)?  denn  beide 
erfüllen  einen  halben  Takt,  also  ein  ganzes 
Hauptmoment  (vergl.  i23.)  Doch  dieser  Irr- 
thum,  wiewohl  er  einem  Kritiker  der  neuen 
Musik  in  Beziehung  auf  alte,  nicht  wohl  ansteht, 
betrilTt  nur  eine  Nebensache. 

Die  Hauptsache,  auf  welche  es  hier  ankommt, 
ist  diese:  Wo  ist  denn  in  unsrer  neuen  Musik 
eine  Melodie  zu  finden,  in  deren  Rhythmus 
auch  nur  das  Hex-mannsche  siebenfache  Maass 
vom  ganzen  Takt  bis  zum  Yierundsechziglheil 
wechselte?    Unstreitig  verwechselt  Herrmann  die 


Gorades  Metrum.  loq 

Koloraturen  des  Rhythmus  mit  dem  Rhytlimus 
selbst,  allein  die  Noten  der  Koloratur  sind  doch 
nicht  die,  den  Rhythmus  constiluirenden  Mo- 
mente. Was  Hermann  einseitii»,  zwiefaches  Maass 
der  griechischen  Musik  nennt,  pas^t  im  allge- 
meinen Ausdruck  vollkommen  auf  jede,  und 
folglich  auch  auf  unsre  Musik.  Die  Rhythtnen 
selbst,  entkleidet  von  ihren  zufälligen  Coloratu- 
ren,  wecbseln  bloss  mit  Momenten  benachbar- 
ter Oi'dnungen,  und  selbst  der  Rhythmus,  wel- 
cher in  den  Coloraturen  Statt  findet ,  hält  sich 
allezeit  in  den  Grenzen  benachbarter  Ordnun- 
gen. Es  darf  nicht  befremden,  dass  der  Rhyth- 
mus eben  so  wohl  seine  durchgehenden  Noten 
hat,  wie  die  Harmonie,  und  eben  so  wenig,  dass 
in  demselben  Tonstiick  Meiodieen  aus  verschie- 
denen Klassen  der  Momente,  jedoch  immer  nur 
im  Wechsel  benachbarter  Ordnungen  vorkom- 
men, da  sogar  dieselbe  Melodie  erweitert  (per 
augmenlationem),  oder  vermindert  (per  dimiuu- 
tionem),  in  demselben  Toustück  kunstmässig 
behandelt  wird.  Nur  in  dem  eigentlichen  Rhyth- 
mus wird  man  niemals  Sprünge  in  entfernte 
Ordnungen  der  Momente  bemerken. 

So  wenig  niui  die  Koloraturen  den  Haupt- 
ihythmus  constituiren,  eben  so  wenig  bilden 
ihn  die  aushalteuden  Noten  entfernter  Ordnun- 
gen. Die  Nnie  des  OrgeI])unkles  z.  B.  wird 
niemand     einen    RJiylhmus     nennen.       Ks    kann 


HO  Allgeinei  ner  Theil. 

aber  seyn,  dass  lange  aushakende  Noten  für 
sich  ehie  besondre  Melodie  (z.  B.  per  augmen- 
talionem)  führen,  alsdann  ist  anch  selbst  in  die- 
ser Melodie  nur  ein  Wcclisel  benachbarter  Ord- 
nun.qfeu  vorhanden,  wiewol  in  der  Summe  der 
verschiedenen  gegeneinander  geslellten  Rhyth- 
men,  die  entferntesten  Ordnungen  der  Momente 
eri^cheiuen  können.  Denn  es  ist  das  Wesen  des 
doppelten  Contpapunktes,  Rhythmen  gegenein- 
ander zu  bearbeiten,  so  wie  der  einfache  Con- 
trapunkt Töne  harmonisch  geg^n  einander  stellt. 
An  Koloraturen  fehlte  es  der  allen  Musik 
auch  nicht,  wenn  den  Klagen  über  \erkünste- 
lung  der  Rhythmen  durch  die  Virtuosen  zu 
trauen  ist,  und  die  Neumen  über  deren  Miss- 
brauch schon  in  den  frühesten  Zeiten  des  Kir- 
chenge^angs  geklagt  Avird,  deuten  wenigstens  auf 
eine  Art  davon ,  und  erregen  gegründete  Zwei- 
fel, ob  Hermanns  Behauptung,  (Metrik  XXIII.) 
im  griechischen  Gesänge  habe  jede  Sylbe  nur 
Eine  JNote  gehabt ,  mehr  aus  Unkenntniss ,  als 
aus  gründlicher  Kenntniss  der  Sache  herrühre. 

Gemischtes  Metrum. 

125. 

Die  Hauptmomente  des  geraden  Metrum  kön- 
nen sich,  so  wie  die  rhythmische  Einheit  selbst, 
auch  der  Extensität  nach  zerlegen,  oder  was 
dasselbe    ist    (112),    jedes    Hauptmomeut    kann 


Gemischtes  Metrum.  IH 

sicli  in  drei  Momente  zweiter  Ordnung  zer- 
fallen : 

A  A 

d       a       a  d       a       a 

Unter  sich  haben  diese  Momente  zweiter  Ord- 
nung zwar  ebenfalls  kein  Quantitätverhältniss 
(ii.)),  indessen  ist  das  starke  Uebergewicht  des 
ersten  jeder  drei  Momente  nicht  zu  verkennen, 
da  CS  in  doppelter  Beziehung  (iio)  Arsis    ist. 

124. 

Gegen  die  Hauptmomeute  gehalten,  hat  je- 
des iMoment  zweiter  Ordnung  den  dritten  Theil 
vom  Gehalt  des  Hauplmomentes,  und  so  ent- 
stehn  folgende  Quanlitätverhältnisse: 

d        d 
J  J  J    J  j  J 

Wir  müssen  aber  hier  zuvörderst  einer  Eigen- 
heit unserer  gewöhnlichen  Notenhezeichnung  ge- 
denken. 

125. 

Nach  unsrer  jetzt  üblichen  Art  zu  notiren, 
theilt  man  jede  ^iote  in  zwey,  und  niemals  in 
drei  gleiclic  Theile.  Daher  haben  wir  bloss 
Zeichen  für  Ganze-,  Halbe-,  Viertel-,  Achtelno- 
ten u.  s.  1.,  nicht  aber  fiir  Drittel,  Sechstel, 
Neuntel  u.  s.  w.  Um  diese  zu  bezeichnen,  hilft 
juau  sich  bekauullich  mit  dem  Punkt,  oder  durch 


112  Allgemein  er  The  il. 

das  Zeichen  dei'  Triole.  Allein  lileriius  entstellt 
eine  Inconsequenz  im  musikaliscliea  SpracLge- 
braiicli.  Wir  sprechen  nämlich  vom  Dreiviertel, 
Sechsachtel  und  anderm  Takte,  ohne  durch  diese 
Benennung  anzeigen  zu  wollen,  Jass  ein  Takt 
dieser  Taktart  kein  v^^ller,  geschlossener  Takt 
sey,  sondern  nur  drei  Viertel,  oder  Sechs  Ach- 
tel von  einem  vollen  Takt  enthalte.  *)  Wir  er- 
kennen vielmehr  an,  dass  jeder  Takt  in  jeder 
Taktart  ein  volles  Ganzes  sey.  (Ich  vermeide 
den  A  usdruck :  ein  ganzer  Takt,  weil  dieser 
technisch  geworden  ist,  anstatt  Viervierteltakt, 
und  folglich  Missverständniss  erzeugen  konnte.) 
Die  Benennung  Viertel,  Achtel  u.  s.  f.  hat  dem- 
nach ihre  relative  Bedeutung  verloren,  und  ist 
gleichsam  Eigennahme  der  verschiedenen  Zei- 
chen gcAVorden,  der  bloss  zufällig  in  Viervier- 
teltakt mit  seiner  eigenthümlichen  Bedeutung 
zusammentrifi\.  Denn,  da  jeder  Takt  ein  Gan- 
zes ist,  so  ist  z.  B.  im  drei  Achtel  Takt  das 
Achtel  nicht  ^  des  Taktes,  sondern  f,  wir  be- 
halten aber  die  gewöhnliche  Benennung:  Ach- 
tel, eben,  weil  sie  bedeutunglos  geworden,  ist. 
Man   setze    nun    den   Fall,    der   Urheber    dieser 

*)  Der  Musiker  versteht  es  zwar  richtig ;  dass  aber  die- 
ser zweideutige  Sprachgebrauch  selbst  hei  sehr  scharf- 
siuiiigeu  Nichtmnsikern  ganz  irrige  Vorstellungen  und 
Resultate  verursache ,  zeigt  2.  B.  Bernliardi's  Spracli- 
wissenschaft  S,  386.  ^ 


Gemisch  t  es  Me  truui.  ii3 

Bezeichnung    habe    auf    die   Bedeutsamkeit    der 
Benennung   aufmerksam   reflektirt,    so  Avürde  er 
jede    Taktavt    als    ganzen    Takt    mit    der    ganzen 
Taktnote    bezeichnet    haben;     aber   so    wie    der 
Schlüssel  zeigt,  wie  eine  Note  im  System  heisse, 
so    würde    er  durch  die  Benennung  dts  Taktes, 
gleichsam    durch    den  Taktschlüssel,    bezeichnet 
haben,  wie  viel  eine  Note  in  diesem  Satz  gelle. 
In  der  That  finden  wir  auch,  dass  Franchino 
Gafurio,    ein   musikalischer    Schriftsteller    aus 
dem    fünfzehnten    Jahrhundert,     und    Professor 
der  Musik    zu   Mailand,    diese  Ansicht    der  No- 
tirung    gehabt   habe.      Er    bestimmte    durch    die 
besondere    Gestalt    eines  Taktschlüsstls    den  re- 
lativen Gehalt  der  Noten.      Das  Verhältuiss  der 
Hauptmomente    zu  der  Einheit  nannte  er  Tem- 
pus,   und    zwar    perfectum,    wenn   drei    Haupt- 
momente   entwickelt    waren,      (nach    damaliger 
Mystik    vielleicht   zu   Ehren    der  Dreiheit),    im- 
perfectum  hingegen,    wenn    nur  zwei  Hauptmo- 
mente    vorhanden   waren.      Das    \erliähniss  der 
Momente   zweiler   Ordnung    zu     den    Hauplmo- 
jnenten  hiess  bei  ihm  Prolalio,    und   zwar  wie- 
derum  perfecta,    wenn  drei,    imperfecta,    weim 
zwei    Momente    aus    jedem    Hauplmonienle    sich 
entwickelten.      So   bekam  er  folgende  vier  Ycr- 
hällnisse,    bei   welchen  wir  die  rhylliniische  ur- 
sprüngliche Einheit    mit   dem  Zeichen  der  gan- 
zen Taktnote  (o)  bezeichnen, 

8 


1 14  All  ge  m  ein  er  The  iL 

1.  Prolatio  perfecta  in  tempore  perfeclo  : 

a 
1  (  1 

a  a  a 

J^JJ      JJJ      JJJ 

wo  ein  jedes  von  drei  Hauptmomenten,  sicli  in 
drei  Momente  zweiter  Ordnung  zerlegt.  Dieses 
Verliahniss  })ezeiclinete  er  mit  dem  Zeichen  0 
als  Tal^tsclildssel,  weil  es  als  Zeichen  der  Sonne, 
des  Goldes  u.  S.  w.  auf  das  Voiikomnienste 
deutet. 

2.  Prolatio  pei'fecta  in  tempore  imperfecto  : 

O 

ö  a 

JJJ   JJJ 

Für  dieses  Verhidtniss  wählte  er  als  Taktschlüs- 
sel die  Hälfte  des  vorigen  Zeichens  (•  ,  um  das 
Halbvollkommene  auszudrücken. 

3.  Prolatio  imperfecta  in  tempore  perfecto: 

O 
d  d  d 

j        j        j        j        j        J 
Der  Taktschlüssel    für  dieses   Verhältniss  sollte 
O  «eyn. 

4.  Prolatio  imperfecta  in  tempore  imperfecto: 

a        a 
J  j      j  J 


G  emi  seht  es  Metrum.  ii5 

Der  Taktschlüsscl  war  wieder  die  Hälfte  des  vori- 
gen Zeichens,  also :  C  •  worin  Avir  dea(jrniid  iinsers 
gegenwärtigen    \iervierteltakizeicliens    erkeuneu. 

Wahrsclieinlicli  haben  diese  Verhähnisse  spä- 
tem Schriftsteilern  zu  komplicirt  geschienen^ 
vielleicht  trug  auch  die,  von  den  Meti'ikcrn  an- 
genommene Meinung  von  der  bloss  zweizeiligen 
Theilung  etwas  dazu  bei,  die,  alleixlings  griiud- 
lichere  Bezeichnung  Franehino's  aufzugeben. 
Kurz,  wir  bedienen  uns  jetzt,  wie  bekannt, 
der  zweigetbcilten  Notirung,  .  und  helfen  uns, 
wo  eine  JNote  wesentlich  drei  Zeiten  enthalten 
soll,  eben  so  mit  dem  Punkte  (J  J^^,^).  wie  in 
Fällen,  Avo  sie  durch  willkiihrliche  Dehnung  in 
das  folgende  Moment  dreizeitig  wird  {l^J.J')^ 
wiewohl  die  Verschiedenheit  beider  Fälle  nicht 
zu  verkennen  ist. 

126. 

Nach  dieser  jetzt  üblichen  Art  zu  notiren, 
bedienen  wir  uns  fiir  das  oben  (124)  angege- 
bene Yerhällniss  folgender  allgemeiner  verständ- 
licher Bezeichnung : 

J-  J. 

;  ;  j^   ." ."  j" 

worin  wir  sogleich  unsern  Sechsachteltakt  (Fran- 
chino's  prolaliü  perfecta  in  tempore  imperfecto) 
erkennen. 


,  j  (,  A  1 1  ii  c  in  e  1 II  t  r    .1'  h  e  i  1. 

IQ--. 

Die  Kraft  der  zweiten  Arsis,  welche  das 
erste  der  drei  Aelitel  gegen  das  zweite  hat  (in), 
kann  sich  nun  ebenfalls  als  Länge  zeigen,  wo- 
durch das  zweite  Achtel  zur  Kürze  werden  muss. 
Es  tritt  alsdann  hier  schon  ein  Quantitätver- 
hült-niss  ein,  näiniich  ^\?5/  statt  /J^^^—  Auf- 
merksame Hörer  temcrken,  dass  in  der  musl- 
kaiischen  Figur  ^^^  die  mittlere  Note  sehr  der 
Willkühr  des  Virtuosen  überlassen  bleibt.  Er 
fertigt  sie,  nach  dem  allgemeinen  Charakter  der 
Melodie,  bald  etwas  geschwinder  ab ,  bald  lang- 
samer. Wir  sehn  aber  auch  hier,  dass  ihr  Ge- 
halt /wischen  f  und  ^  einer  Viertelnote  schwankt. 
Jenes  tirfoi'dert  die  Analogie  des  Maases,  diesem 
die  Gleichförmijkeit.  Ey  tritt  hier  gkiclisam 
eine  rhytlimisch  gleichscliwebende  Temperatur 
ein  die  nicht  befremden  darf,  wenn  man  sich 
der  Verwandtschaft  zwischen  lliijthmus  und  Har- 
monie erinnert. 

128. 
Wir  nennen  dieses  Metrum  das  gemischte, 
weil  seine  Grundtheilung  in  zwei,  und  die  spä- 
tere ,  auf  jener  ruhende ,  in  drei  Theile  ist. 

129. 
In    diesem    gemiscliten   Metrum   zeigen    sieh 
nun  sehr  mannigfaltige  Formen,    und    wir  wer- 
den die  Fasse  der  Meüuker,  welche  diese  durch 


Grcmi^cJites  Metrum.  117 

Sylbenzusammensetzuugen  erliielten,  liier  in  ih- 
t6v  waliren  Psatur  als  iiuyllimen  entstcLen  oclin. 
Die    Formen    des    gemischten    jMetrum    sind 
foIg(jnde  : 

1.  Wenn     Leide     Hauplmomente    uuzerfallt 
bleibeii» 

J^  j  in  metrischer  Bezeichnung  ^  ^ 
Wir  erkennen  hic^'  den  Spondeus  des  gera- 
den Metrum  Avieder,  der  aber,  wo  tr  unter  an- 
dern Formen,  des  gemischten  Metrum  vorkommt, 
nothwendig  die  angezeigte  Me-ssuag  hat.  Die 
Metriker  haben  ihn  verkannt,  und  dadurch  in 
der  Messung  vieler  Verse  geirrt,  z.  B.  iu  fol- 
gcn,dem  Sütadisclien; 

0.  •.    \  0    *    g    m.  €^  0     \   4  »    e  9     \  0.  ä. 
Q7]aiv  öido^evrjv  uyu&rtv  qvkaaae  aavroj. 

Weinlaub  in  dem  Gelock,  den  Pokal  bekränzt  mit  Efeu, 
dessea  metrisches  Schema  zu  gauü  falscher  Vor- 
$tellung  des  eigentlichen,  Gesanges  iu  diesem 
Vers  verleitet,  wenn  man  es  nicHt  durch,  mu- 
sikalische Zeichen  berichtiget. 

i5o* 

2.  Wenn  das  erste  Moment  unserfallt  bleibt, 
uud  das  zweite  sich  in  drei  gleiche  Theile- zerlegt. 

j   ^  j^  J^  metrisch  beze^ichpel  -^  J,  ^  ^ 
Wir  erkennen  hier  den  ersten  Püon  der  MQ" 
triker,  und  flas  walyre  INIaijs  dieses  Fusses. 


ii8  Allgemeiner  Th  eil. 

l5l. 

5.  Wenn   in    der   eben    genaiyiten  Form    das 
erste  Achtel  zur  Lange  wird  (nach  127.) 

j  J^^  ^  ^  metrisch  bezeichnet  _  „  „  ^ 
Wir  sehen  hier  von  selbst  aus  den  Principien 
des  Rhythmus  und  dc-s  Metrum  den  Fuss  her- 
A'orgehen,  den  die  (Grammatiker  lonicus  a  ma- 
iore  (sinkender  loniker)  nennen,  und  be- 
merken zugleich  seinen  wahren  Rhythmus,  den 
die  metrische  Bezeichnung  verbirgt.  Der  Vers  z.  B. 

'/I^i]v  nOT€  aaatv  Jicc  rov  refJTciaiQuvi'Ov 
wird  in  der  gewöhnlichen  metrischen  Bezeichnung 

nur  gesehen ,  aber  nicht  gehört.  Begreift  man 
die  Entstehung  des  ionischen  Fusses  aus  der 
Natur  des  Rhythmus,  so  hört  man  in  ihm  be- 
stimmt folgende,  unsrer  Musik  gar  nicht  fremde 
Melodie : 

«.  9.  ^  9     I  W.  »•   »^  ■m     \  s.  9.  4^  4     \  m.  41 
Laut  tönet  der  Jagdruf',   und  das  frohschallende  Waldhorn. 

die  in  der  Unbestimmtheit  der  metrischen  üb- 
lichen Bezeichnung,  und  noch  mehr  in  den 
Theorien  der  Metriker  untergegangen  war. 

102. 
4.  Wenn    bei    unzcrfHlllcm     ersten    Moment, 
das    zweite   sich    in    die    Grundform    der   Läugr 
und  Kürze  zerlegt: 

•'•  j  •'**  wietrisrh  bezeichnet:    «  _  ^ 


Gemischtes  Metrum.  uy 

SO  entsteht  der  Fuss,  den  die  Grammatiker 
Bacchius  (nacli  andern  Palimbaccliius)  nen- 
nen, und  wir  sehn  seine  Messung  in  den  mu- 
sikalichen  Zeichen,  welche  ehenlklls  durch  die 
gewöhnhchen  metrischen  Zeichen,  die  vollkom- 
mene, iinvollkommene  und  dreizeitige  Länge 
nicht  unterscheiden,   verdunkelt  wird, 

i53. 
5.  Wenn    bei    nnzerlegtem    zweiten   Moment 
'das  erste  sich  in  drei  gleiche  Theile  zerfallt 

N  j^  j*^J  metrisch  bezeichnet  ^  ^  ^  - 
Diesen  Fuss  nennen  die  Grammatiker  den  vier- 
ten Päou.  Wir  sehn,  dass  er  nicht  im  Auf- 
takt >  ^  ^  I  I  zu  messen  i'st,  wie  Herrmann 
durch  die  Bezeichnung  ^  ^  w  1  und  ^  ^  w  i  - 
andeutet.  Der  vierte  Päon  hat  die  Hauptarsis 
vielmehr  auf  der  ersten  Sylbe,  und  kann  daher 
mit  dem  ersten  Päon  zusammengesetzt  werden: 

^www    1    S  ^ das    ist:    ^'.  ^  J  #    \  »  a  0  ^ 

und  mit  dem  sinkenden  Joniker 

^  ^   ,   ^^^_  musikalisch  J.  4'.  ,^*   !•«#«■ 

oder  anfangend: 

, das  ist:  ,\\'^J.  UJ'i 

Ucberall  fangt  der  vierte  Puon  in  Psiedertakt 
an,  und  niuss  also  vom  ersten  Päon  mit  drei- 
zeitigem   Auftakle    ^^w    I    -*'-'w    1    -    tl.    1. 

>  ^  N  I    1      ^   ^   N  I    I     ^vol   unterschieden    wer- 

•   •    «    \  d'    •    •    «    '4' 


lao  Allgemeiner  Theil. 

den ,  wenn  man  niclit  den  Rhythmus  der  Verse 
ofTenbar  verwixTen  will. 

i54. 

6.  Wenn  bei  der  vorigen  Form  das  erste 
Achtel  (127)  zur  Länge  wird: 

«^  ^  «^  j.  metrisch  bezeichnet   ^  ^  ^  ^ 
Hier  finden   wir   den  Choriamben   und  seine 
Messung  im  gemischten  Metrum,  z.  B, 

^  I  I  >  I  1   ^  ^  ^  J 

igi"  olg-pcff),  M  %()VGokoq>ot. 

Vom    Siegerschwert   niedergestürzt 

Eine    andre  Messung,    nämlich  J«,^,^J,    ha?  er 
im  schweren  dreizeitigen  Metrum ,  z.  B. 

•    •    \    g  i  *    »    \»«ä4\0g9«    \  a  ä 
v/o   das  Schlachtfeld   von  Triurnfmelodien   aiifjauchzl'  in 

Entzückung 

Doch  ist  diese  Messung  unstreitig  die  seltnere. 

7.  Wenn ,  bei  unzerlegtem  zweiten  Haupt- 
moment, das  erste  sich  in  die  Grundform  der 
Länge  und  Kürze  zerfällt, 

9  J^  m.   metrisch  bezeichnet:  _  w  - 
Wir  erkennen  hier  den  Kretikus,   oder  Am- 
f imacer    der  Grammatiker,    und  zugleich  seine 
wahre  Messunar. 

•3 


Gemischtes  Metrum.  jai 

l56. 

8.  Wenn    beide   Hauptmomente    sich   in   die 
Grundform  der  Länge  und  Kürze  zerlegen. 

J  j^  J  J^  im  metrischen  Zeichen  _  ,^  _  -« 
Hier  entsteht  die  trochäische  Dip  odie.  oder 
der   Dit  roch  aus,     dessen    Messung    auch    die 
inetrischen  Zeichen  richtig  angeben. 

9.  Wenn    jedes    Hauptmomeiit    sich  in    drei 
gleiche  Theile  zerlegt: 

•^•^•^•^J^rf^  ^^  metrischen  Zeichen  Jv<w  J^w^-» 
Die  Form.,  welche  hieraus  entsteht,  ist  die  tri- 
b  r  a  c  h  i  s  c  h  e ,  der  sechssylbige  Fuss  wird  auch 
von  einigen  Pichoreus  genannt,  weil  sie  ihn 
als  entstanden  aus  dem  Dilrochäus  durch  Aul- 
lösuugen  beider  Längen 


betic-4itei\, 


W       —       «»' 


i58. 
10.  Wenn    bei    der    vorigen   Form   das   erste 
Achtel  jedes  Momentes  die  Länge  annimmt: 

f^  ^  J^  j!  ^  «^  ^^  metrischen  Zeichen ^  ^  _  ^  ^ 

Wir  linden  hier  wiederum  eine  daktylische 
Form,  wie  in  dem  geraden  Metrum  {l'2o).  Die 
metrischen  Zeichen  unterscheiden  beide ,  so  ganz 
verschiedenen  Formen  nicht,  dereu  Unterschied 
aus    der    E^twickelung    des   JKhylhmus    hervor- 


122  All  gemeiner  Theil. 

gellt,  und  durch  musikalisrlie  Zeichen  deutlich 
dargestellt  wird.  Wir  nennen  zum  ünler.schiid 
den  Daktylus  des  gemischten  Metrum:  den 
flüchtigen  oder  drei  zeitigen  Daktylus; 
den  des  geraden  Metrum  hingegen:  den  schwe- 
ren oder  vier  zeiti  gen.  Denn  wie  die  Ne- 
Leneinanderstelluug     in     musikalischen    Zeichen 

beweiset : 

^  ^  ^  und   I  '^  > 

so  haben  die  flüchtigen  Daktylen  drei  Zeiten, 
die  schweren  aber  vier, 

iSg. 

Dieser,  aus  der  Natur  des  Rhythmus  und 
des  Metrum  abgeleite  Unterschied  beider  Gat- 
tungen von  Daktylen,  war  den  Grammatikern, 
und  noch  mehr  beinah  (i4o)  den  neuen  Metri- 
kern unbekannt.  Sie  maassen  alle  Daktyk^n 
vierzeitig,  und  verkannti.'n  also  den  Rhythmus 
aller  Verse ,  welche  im  gemischten  Metrum  ge- 
dacht sind.  Bei  solchen  Messungen  konnte  es 
freilich  nicht  fehlen,  dass  ihnen  die  alten  Rhyth- 
men und  Yerse  taktlos  erschienen.  Was  ist 
z.  B.  leichter,  als  der  Vers: 

m.   ä  0     \    0  e     0.    \    0.   0-    0^  0     \    0.   0- 
Schon   tünt   der   Morgengruss   sani'tlockendes   Waldhorns 

allein   man  maass  nach  der  metrischen  Bezeich- 
nung 


Gemischtes  Metrum.  »af 

ohne  die  wahre  Messung  zu  kennen,  so; 

ä  0  0     \    ä  0     d    \    0  0  0     •     <•     • 
und  wenn  man  so  den  Gesang  verdorben  hatte, 
bemühte    man    sich,    das     wunderliche    Gewirr, 
durch  das  noch  wunderlichere  Fantom  taktloser 
Schönheit  vortretlich  ?u  finden. 

i4o. 
Indessen    scheinen   selbst   einige  von  den  al- 
ten   Grammatikern    ein    dunkles    Gefühl   dieses 
Unterschiedes  gehabt  zu  haben.     Dionysius  (tt^^* 
cvv&t(5.    opoft^    erwähnt    die    Behauptung    alter 
Rhythmiker,    dass    die    Länge    des  Daktylus  un- 
vollkommen   sey  ,    und  setzt  dazu,    jene  Rhyth- 
miker hätten   sie    deslialb    unbestimmt   genannt." 
Gleich wol     machte    jemand    von    dieser   Beob- 
achtung   bei    Messung    daktylischer    Verse    Ge- 
brauch,   wiewol   die   Daktylen   unter  Trochäen, 
und  die  Verwechselung  der  Trochäen  mit  Dak- 
tylen   auf  die    dreizeitige    Messung    des    letzten 
hätten   führen    sollen,    war   auch   der    Grund    a 
priori    dieser    Messung,    aus    den    Gesetzen    des 
Rhythmus,  verborgen  geblieben.     Zuerst  hat  auf 
diesen   Unterschied    beider   Daktylen,    und    auf 
die    wahre    dreizeitige    Messung    des    flüchtigen 
Daktylus ,    der  Verfasser  dieser  Metrik  aufmerk- 
sam gemacht  in  den  beiflen  in  der  Vorrede  ge- 
nannten Abhaml hingen.      Böckh  hat  diese  Mes- 
sung in  seiner  bekannten  Untersuchung  über  die 


124  Allgemeiner  T  heil. 

Versraaasse  des  Pindaros  (Mus.  d.  Altei-tli.  Wiss. 
2.  B.  2.  Stck.)  zum  TheÜ  ^uf  pindavische  Verse, 
Vplger  in  seiner  Ausgabe  der  SafFo,  beson- 
ders auf  die  Fragmente,  und  Besseldt  in  sei- 
nen Beiträgen  zur  Metrik,  auf  melire  Yers?irten 
angewendet,  die  man  durch  unrichtige  Messung 
lange 'verkannt  hatte.  Wie  \  oss  in  seiner  Zeit- 
messung auf  den  flüchtigen  Daktylus  deutete, 
wenn  er  ihn  auch  nicht  als  bestimmtes  Maas 
inancher  Versgattungen  annahm ,  ist  bekannt., 

i4i.  .    ^g 

Die  übrigen  möglichen  Formen  des  gemisch- 
ten Metrum,  als :  der  flüchtige  Daktylus  mit  dem 
Trihrachys 

ä^^J^ 0*0^0^  in   metrischen  Zeichen  _ww  4«y 
die  umgekehrte  Stellung: 

»'J'J^J^^J'  metrisch   J,  ^  ^  _  ^  ^ 
der  Trochäus  mit  dem  Trihrachys 

J.^#^//  metrisch    _  .^  1  ^  ^ 
die  umgekehrte  Stellung: 

•^J^/J#'^  metrisch  Z  ^  ^  -.  ^ 
der  flüchtige  Daktylus  mit  dem  Trochäus 

•\^«rjj^  metrisch  _  ^  v  -  «-' 
die  umgekehrte  Stellung: 

Jm'J^J^^  metrisch  _  w.  _  w  ^^ 
führen    keine    besondern   Namen,    man    müsste 
denn  bei  der  Form  _  ^  ^  ^  ,.  all  den  Parapaon 


Gemischtes  Metrum.  125 

denken  ^vollen,  mit  dem  sie  in  Jessen,  wie  sich 
später  zeigen  ^vi^d|,  nur  Aelmlichkeit  hat.  Hier 
sind  diese  Formen  hauptsächlich  deswegen  an- 
gezeigt, damit  man  sie  in  den  Zerstückelungen- 
der  Metriker  als  bekannte  Figuren  wieder  zu 
erkennen   wisse,    z.    B.    wenn    der  Metriker  den 

Vers: 

y.ac  g:c(i'i^Mg  snriiJiif-i/ov 

in  einen  Choriamben  und  einen  Diiambus  theilet 

Fejergeläut   durchhallt   die   Flur 

SO  erkennen  wir  die  beiden  Formen  des  ge- 
mischten Metrum: 

ä.  4^  0    «)  «    I  j  0    d. 

--'---  1  — *- 

und  theilen  den  \  ers  richtig  ab ,  ohne  an  das 
Fantom  einer  Veränderung  des  Choriamben  in 
die  iambische  Dipodie ,  wegen  seines  zu  gewalt- 
samen Rhythmus,  zu  denken. 

l42. 

So  ist  also  ein  dreifaclics  Maas  der  Länne 
abgeleitet:  die  dreizeitige  Länge  (J,  ),  die  ein 
Hauptmoment  des  gemischten  Metrum  erfüllt, 
die  zweizeitige  (J),  die  im  geraden  Metrum 
ein  Hanptmoment  ausfüllt,  und  im  gemischten 
zwei  Drilihcil  eines  Hauplmomenlcs,  und  die 
unvollkommene  (J^),  die  noch  niclit  volle 
zwei   Zeilen   erfüllt.      Sehr    bedeutend    nannten 


la6  A 1 1  g  e  m  e  i  n  e  r  T  h  e  i  1. 

sie  flie  alten  Metriker  unbestimmt  (aXoyoi),  denn 
sie  schwankt,  wie  wir  gesehen  haben,  zwischen 
^  und  ^  der  vollkommnen,  zweizeitigen  Länge. 
Die  Grammatiker  indessen,  und  die  meisten 
Metriker  bezeichneten  alle  diese  verschiedenen 
Längen  mit  demselben  Zeichen  der  Länge  (-). 
Dai'f  man  also  von  ihnen  bei  solcher  Messung, 
Einsicht  in  den  wahren  rhythmischen  öinn  ei- 
nes Verses  erwarten? 

Gemengtes  Metrum. 
i43. 
Ausser    der   Mischung    des   geraden  und  un- 
geraden Metrum,    lässt  sich  i.och  eine   ^  ermen- 
gung    beider    in    derselben    Ordnung    der    Mo- 
mente, denken. 

Man   setze    den    Fall,    dass  von  zwei  Haupt- 
momenten,   das  Eine   sich    in    zwei,    das  Andre 
in  drei  Momente   zweiter  Ordnung   zerfalle,    so 
wüi'den  folgende  Verhältnisse  entstehn: 
A  A 

da  ci       ci       ci 

oder  entgegengesetzt 

A  A 

d       a       a  da 

Das  Quanlitätverhältniss  dieser  Form  zeigt  sich 
in  der  musikalischen  Bezeichnung : 

i      J 


Gemischtes  Metrum.  137 

oder  umgekehrt: 

J         J 

'S  N  ^    >  ^ 

^    ä    •       «     • 
ünsre   iibliche    musikalische   Notirung  macht   es 
nölhi"^,  die  drei  Achtel  des  einen  Momentes  als 
TrJolen  zu  hezeichuen.  (#«*)*)  Daher  schreiLt 

man  dergleichen  Stellen  in  Zwei -Viertel,  oder 
überhaupt  geraden  Takt,  wiewohl  der  Sechsach- 
teltakt mit  demselben  Rechte  als  Grundbestim- 
mung angenommen  werden  konnte ,  was  aher 
die  ungewöhnliche  Schreibart: 

ä  0    g  0  ^    ocier    0  0  0    0^0 

verursachen  würde.  Franchino  würde  dieses 
Verhältniss    als   prolalio    imperfecta   et  perfecta. 

*)   Hiermit      war      denn     also    Herman's    Frage      (Allg. 
;  Mus.   Zeit.    iSog-)  beantwortet:    „Wenn  unter   den, 

in  dem  Umfange  eines  sogenannten  Taktes  enthal- 
tenen Noten  ein  Rhythmus  von  drei  Triolen  vor- 
kommt,  welchen  Takt  hat  dieser  Rhythmus?"  Herr 
nermaan  ist  so  •wenig  mit  unsrer  Musik  bekannt, 
und,  "wie  es  aus  seiner  Unbekanntscliatt  mit  dem 
hemiolischen  Yerhältniss  des  Aristidts  scheint,  mit 
der  alten,  dnss  er  niclit  nur  diese  Frage  aufwerffin 
kann,  sondern  sog;ir  duich  ihr  blosses  Aufwerlon, 
unsre  Theorie  ,, beseitigt"  zu  liaben  mcii\l.  Ein  eben 
nicht  günstiger  Beweis  fiir  die  Competenz  sein«*  Ur- 
theils. 


jgg  Allgemeiner  Theil. 

und  in  umgekelirler  Ordnung  perfecta  et  im- 
perfecta ex  tempore  imperfecto  bezeiclinet  ha- 
ben. Allein  nach  seiner  Schreibart  Avürde  der 
öftere  Wechsel  des  -  Taklschlüssels :  Q  und  Q 
das  Lesen  der  Noten  sehr  erschweren. 

"Wo  solche  Verhältnisse  vorkommen,  erfül- 
len die  zwei  Achtel,  als  Repräsentanten  eines 
Hauptmomentes,  dieselbe  Zeit,  welche  die  drei 
Aclitel  erfüllen,  welche  ebenfalls  ein  Hauptmo- 
ment repräsentiren.  Der  augeuscheinlif'.hste  Be- 
weis hiervon  ist  die  Begleitung  von  Triolea 
durch  die  Grundabtlieiluug  des  Taktes: 


Wollte  man  diese  Messung  bezeichnen,  so  miisste 
man  jedem  der  beiden  Achtel  einen  Punkt  bei- 
setzen ( j^  j^  JT^)'  Doch  war  dieses  nur  in  der 
Theorie  brauchbar,  in  der  Ausübung  würde  es 
den  Musiker,  dem  das  Triolenzeichen  beque- 
mer ist,  nur  verwirren. 

i45. 
Dass    dieses    Vcrhältniss    in   unserer   neuern 
Musik    vorkommt,    ist   bekannt   genug.       Allein 
auch    in  den   Versrhythmen  der  Griechen  findet 
es  sich.     Folgender  Vers  z.  B. 


Gemeng  tes  Metrum.  lag 

0  Ttevijg  ileicrat,  6  ds  Ttlovaiog  (f&oveitKt., 
Wo   Gesang   melodievoll  zu   dem  Saitenspiel  ertönte. 
hat    zum   Anfang    den    Pyrrhichlus    {^  ^)    statt 
eines    dreizitlgen   Fusses ,    den  das  Metrum   er- 
fordert : 


Dieser  Pyi-rhicliius  enthält  also  drei  Zeiten,  sey 
es ,  dass  man  beide  Achtel  dehne,  oder  das  erste 
durch  die  Kraft  der  Arsis  sich  zur  Länge  ge- 
hoben denke,  was  bei  dem  als  frivol  bekannten 
Sotadi sehen  *)  Gedicht  nicht  befremden  darf, 
da  selbst  der  eiuiste  Hexameter  sich  diese  Deh- 
nun«^  gestattet.  Die  alten  Metriker  und  Musi- 
ker bestimmen  dieses  Verhältniss  deutlich,  gleich- 
•wol    haben    spätere    Metriker    diese    ganz    klare 


*)  Der  Sotadische  Vers  scheint  in  den  quantitlrenden 
Rhythmen  das  zu  seyn ,  was  der  Saturnische  Vers 
unter  den  accentirten ,  und  unter  den  gereimten 
der  Knittelvers  ist.  Der  vielfache  Wechsel  der  me- 
trischen Formen ,  den  er  gestattet,  machte  ihn  vor- 
züglich zum  Improvisiren  geschickt,  und  eben  daher 
darf  es  uns  nicht  wundern ,  wenn  er  zur  Aufnahm© 
mancher  leichten  Einfalle  gebraucht  Avurde,  und 
wie  unser  Knittelvers  schon  durch  seine  Form  eher 
auf  Muthwillen,  als  Ernst  deutete.  Wie  sein  Grund- 
schema mit  dem,  des,  ebenfalls  zum  ImproYisiren 
sehr  geeigneten.  Saturnischen  Verses  übereinstimmt, 
wird  sich   in   der  Folge   zeige«. 

9 


i3o  All  jj  eine  in  er   iheil. 

klare  Saclie^mlt  der  tielsteu  Dunkelheit  bedeckt 
und  verwixTt. 

i46. 
Die  griecliischen  Metriker  nämlich,  z.  B.  Ari- 
stides,  unterschieden  vier  Gattungen  des  rhytli- 
mischen     ( genauer :     metrischen )     Verhältnisses 
{yei'7j  QvU^uixu ). 

1.  Das  Yerhältniss  von  Eins  zu  Eins  {ysvog 
iGOv),  wenn  Arsis  und  Thesis  in  Ansehung  der 
Quantität  gleich  sind,  oder  genauer  bestimmt, 
wenn  der  Rhythmus  aus  zwei  Hauplmoraenleu 
besteht,  deren  jedes  sich  wieder  in  zwei  Mo- 
mente zweiter  Ordnung  zerlegt.  Hier  bleibt 
unter  diesen  Momenten  immer  das  Yerhältniss 
Eins  zu  Eins,  oder  was  dasselbe  ist:  Zwei  zu 
2iwei,  kurz  ein  gleiches  Yerhältniss  der  Ar- 
sis zur  Thesis.  Dieses  findet  im  geraden  Me- 
trum Statt ,  zwischen  Spondeen,  vierzeitigen 
Puktylen  und  Antidaktylen. 

147. 

2.  Das  Yerhältniss  von  Zwei  zu  Eins  {yivog 
dmluaiov) ,  wenn  die  Arsis  zwei  Zeiten  enthält, 
die  Thesis  aber  Eine  Zeit.  Allgemeiner  ausge- 
di'ückt :  wenn  der  Rhytlimus  sich  in  drei  Ilaupt- 
momente  theilt,  oder  jedes  Hauptmoment,  es 
mögen  zwei  oder  drei  seyn,  sich  in  drei  Mo- 
Hienle  zweiter  Ordnung  zerlegt.  Hierzu  gehört 
also  das  uneerade  und  das  i^emischtc  Metrum. 


Gemengtes  Metrum.  i3i 

i48. 

5.  Das  Verliältniss  von  Drei  zu  Zwei  {yspog 
7]f.uohov) ,  wenn  ein  Moment  drei  Zeiten  entliäk, 
das  Andre  zwei,  der  ganze  Rhythmus  also  fünf- 
Zeiten. 

Man  sieht  leicht,  dass  sich  hier  ein  Dop- 
pelsinn in  das  Wort  Zeit  eingeschlichen,  der 
Verwirrung  hervorbringt. 

Aus  der  Natur  des  Rhythmus  ergibt  sich, 
dass  die  Entgegensetzung  von  drei  und  zwei, 
nicht  in  den  Hauptmomenten  vorkommen  kann, 
denn,  wiewol  sich  das  \  erhäilniss  des  Bildes 
zum  Gegenbilde  durch  grössere  Extensität  aus- 
drücken kann,  so  kann  doch  auf  diesem  Punkte, 
wo  für  unsre  Sfäre  die  Zaltnreihe  erst  entste- 
hen soll,  nicht  aus  der  empirisch  vorhandenen 
Zalenmenge  ein  beliebiges  Verliältniss  aufgenom- 
men, und  willkühi'lich  festgesetzt  werden,  son- 
dern das  \erhältniss  muss  das  ursprüngliche 
seyn,  welches  den  andern  Zalen  zum  Grunde 
liegt,  nämlich  das,  von  Zwei  zu  Eins.  Unter 
den  Hauptmomenten  kann  mithin  kein  andres 
Yerhältniss  vorkommen,  als  Zwei  zu  Eins,  oder 
Eins  zu  Eins.  Jedes  zusammengesetzte  Verliält- 
niss deutet  allemal  auf  Momente  späterer  Ord- 
nung. 

149. 

Aus  dem  ungeraden  Metrum  würde  das  Ver- 
hältnlss  von  Drei  zu  Zwei  nur  so  eulstehn  kön- 


4  Ji  A 1 1  g  e  m  L'  i  n  e  r   T  Ji  u  i  1. 

neu,    dass   das   lange  Moment  sicli  in  drei,    dai 
kurze  in  zwei  Momente  zerlegte: 

J         J^ 

Wir  werden  dieses  Verhältniss  in  der  Folge 
(207)  näher  zu  betrachten  Gelegenheit  finden. 


100. 

Aus  dem  geraden  Metrum  haben  wir  dieses 
Verliäitniss  oben  (i43)  als  eine  der,  in  seiner 
Totalität  enthaltenen  Formen  entwickelt: 

j  J 

,>   >     ^   >   > 

am  e  m  e 
Diese  Entwickelung  zeigt,  dass  im  hemiolischen 
Metrum  zwar  fünf  Theile,  aber  nicht  fünf  glei- 
che Thtile,  oder  fünf  Zeiten  enthalten  sind. 
Denn,  reflektirt  man  auf  die  gerade  Theilung, 
so  enthält  der  Rhythmus  Vier  Zeiten,  wovon 
aber  Zwei  in  drei  Momenten  (Klangen,  Noten) 
erscheinen,  als  Triolen,  wie  man  es  gleich  all- 
gemein verständlich  ausdrücken  kann;  reflektirt 
lüan  hingegen  auf  die  ungerade  Thcilung,  so 
sind,  es  Sechs  Zeiten,  wovon  drei  in  xwci  Mo- 
menten (Tönen,  Noten)  erscheinen,  und  also 
dieselbe  Zeit  in  ihrer  Zweiheit  erfüllen,  welche 
ihnen  als  Dreiheit  zukommt.  Worauf  man  also 
auch  reflektire,  so  bleibt  in  beiden  Fällen  das  Lild 
dem  Gegenbildc  dei-  Quantität  nacli  gleieli,  und 


Gemengte  s  Metrum.  i33 

an  einen  Fünf-Achtel  oder  Fünf-Yierlehakt  ist 
nicht  zu  denken,  so  wenig  als  in  folgender  mu- 
sikalischer Figur : 

\—^-v—Jv- h- — -y 


Es  begegnete  hier  dem  Aristides,  dass  er  die 
Töne  (Sylheu)  mit  den  Zeiten  verwechselte, 
und  die  fünf  Klange  im  gemengten  Metrum  (y. 
-lij-Hohov)  für  eben  so  viel  Zeiten  ansah.  Dieser 
Irrthum  verfolgt  ihn  auch  noch  weiter.  Denn 
wie  er  das  yivoq  laov  und  dinXuaiov  richtig  durch 
das  Maas  bestimmt,  so  betrachtet  er  im  '/fvos 
■j'jfuohov  und  tniTQaov  die  Zal,  und  verwechselt 
sie  stets  mit  dem  Maas. 

i.'n. 
Dass  in  dieser  Ableitung  der  Sinn  des  Ari- 
stides  nicht  verfehlt  sey,  beweiset  die  Messung 
des  Päon,  dem  Aristides  das  hemiolische  Ver- 
hältniss  zuschreibt.  Wir  haben  seine  Messung 
(ijo)  so  bestimmt: 

J.  i^.^i" 

—     «•»    uy    «^ 
Da   nun   die  Länge   dieses  Päon  bei  den  Dich- 
tern auch  in  zwei  kurze  Sylben  aufgelös^t,  vor- 
kommt ; 

>    ^     A    N   ^ 

•     •       m     m    m 


<Tf  rroTf  Jteg 

O    wie   sich    im    ('re-saii/' 


i54  Allgemeiner  Theil. 

SO  zeigt  sich  hier  das  hemiolische  Verhähniss 
des  Päon,  und  der  wahre  Sinn  seines  lihyth- 
mus,  der  aus  zwei  einzeiligen  Kürzen  statt  der 
Länüre  nicht  vernommen  werden  kann.  Dasselbe 
hemiolische  Verhältniss  wird  bleiben,  wenn  man 
die  Theilung    in  Zwei  dem  letzten  Moment  gibt 

N     ^     |S        N     I\ 
•     0      •        9      « 

,^      «^      s../  t-'      W 

wodurch  der  aufgelösete  vierte  Päon  entsteht. 


'ö 


i5-2. 
4.  Das  vierte  Verhiiltniss,  welches  Aristides 
angibt ,  ist  wie  Vier  zu  Drei  ( yevog  entT^nov ). 
Die  Ableitung  dieses  Verhältnisses  aus  dem  un- 
geraden Metrum  wird  sich  bei  diesem  bewäh- 
ren. Wir  lassen  daher  die  Erklärung  des  epi- 
triiischen  Verhältnisses  bis  zu  Erläuterung  des 
ungeraden  Metrum  ausgesetzt,  denn  jede  Er- 
klärung steht  an  dem  Ort  am  schicklichsten, 
wo  sie  am  besten  vorbereitet  ist. 

i53. 
Bei  genauer  Betrachtung  des  hemiolischen, 
oder  gemengten  Metrum  zeigt  sich,  dass  es  al- 
lerdings von  der  Theorie  erwähnt  werden  muss, 
dass  aber  sein  Gebrauch  sehr  beschränkt  ist, 
und  so  wenig  eine  besondre  Galtung  des  Me- 
trum nöthig  macht,  als  die  Einmischung  von 
Triolen  eine  besondre  Taktart.  Selbst  die  zwei- 
getheilte  Auflösung  der  Länge  des  Päon  ("^Jr"  ^^S} 


Ungerades  Metrum.  i35 

bekommt  durch  die  Kraft  der  Arsis  leicht  ei- 
nen Schein  trochäischer  Bewegnng,  und  so  wird 
sich  der  Päon  immer  zu  den  Gattungen  des  ge- 
mischten Metrum  zälen  lassen ,  dem  er  seiner 
Natur  nach  angehört. 

Ungerades  Metrum. 

i54. 
Die  ursprüngliche  Form  des  Rhythmus  im 
ungeraden  Metrum  ist  diese:  J  j^,  oder  in  me- 
trischer Bezeichnung  _  ^.  Sie  verwandelt  sich 
durch  eine  neue'  Zerlegung  der  Arsis  in  diese 
Form  J^  j^J*  ^^  w  «,  welche,  da  sie  wieder  aus 
gleichzeitigen  Momenten  hesteht,  ohne  Quanti- 
tätbestimniung  ist,  und  blos  durch  den  Accent 
d  a  a  rhythmisirt. 

i55. 
Aus  dieser  doppelten  Form  des  ungeraden 
Metrum  entspringen  zwei  Gattungen  desselben. 
Betrachtet  mau  die  Form  a  a  a  als  quantität- 
los, und  jedes  Moment  derselben  als  fähig,  sich 
in  Momente  zweiter  Ordnung  zu  zerlegen,  so 
entsteht  die  eine  Gattung,  in  welcher  sich  die 
Hauptniomenle  gegen  die  Momente  zweiter  Ord- 
nuni; als  Längen  charakterisiren. 


'o 


A     A  J      J 


a  a  a  a  a  a  j '  r  -i '  j '  j "  j 


^  ^  >  >  >  ^ 
\  g  »  » 


a36  Allgemeiner  Theil. 

Betrachtet  man  hingegen  die  Form  JJ^  _  «,  so 
ist  schon  in  den  Haup tmomenten  selbst  ein 
Quaiiiitätverhältniss  der  zweizeitigen  Arsis  ge- 
gen die  einzeitige  Thesis  vorhanden.  Löset  sich 
also  die  Arsis  auf,  so  sind  die  sämmtlichen 
drei  Älomente  Ct—T  S)  als  Kürzen  charakterisirt. 

i56. 

Wir  nennen  deswegen  die  erste  Gattung  das 
schwere  ungerade  Metrum ,  welchem  in  der 
Musik  der  Dreivierteltakt  zur  Seite  steht.  Die 
zweite  Gattung  nennen  wir  das  leichte  unge- 
rade (oder  dreizeitige)  Metrum,  dem  in  der  Mu- 
sik der  Dreiachteltakt  entspricht. 

Der  charakteristische  Unterschied  beider  Gat- 
tungen ist,  dass  die  schwere  Gattung,  weil  die 
Kauptmomente  selbst  Längen  sind,  die  Zusam- 
menzieh ung  nicht  gestattet,  dahingegen  die  leichte 
Gattung  schon  ursprünglich  die  ersten  beiden 
Momente  zusammengezogen  enthält,  nämlich  in 
der  Grundform  J  J^,  woraus  erst  J^  ^  J^  entsteht. 

Von  dem  schweren  ungeraden 
Metrum. 

157. 
Wenn    die  Hauptmomente  des  schweren  un- 
geraden   Metrum    sich    in    zwei    gleiche    Theile 
zeilegon  (Franchino's  prolatio  imperfecta  e  tem- 
pore; perfeclo),    so  entstehn  durch  den  Wechsel 


Von  dem  schweren  ungeraden  Metrum.  y'Sn 

der  Momente  beider  Ordnungen,  vorzüglich  fol- 
gende Formen: 

1.  Die  molossisclie:  jJJ>  in  metrischen 
Zeichen  _  _  _,  welcher  Fuss  bekanntlich  Mo- 
lo ssus  heisst,  daher  man  auch  das  schwere 
dreizeitige  Metrum  selbst  von  dieser  Grund- 
form das  molossischc  nennen  könnte.  Ob  übri- 
gens Verse  aus  lauter  wirklich  molossischen  Füs- 
sen vorkommen,  und  ob  der  von  Diouysius  an- 
geführte : 

£0  Zrivog  xac  Aridag  'AaXXiaroi  GbirtiQfg 

Weh ,  -weh  uns !   ruft  ringsher  unmuthvoU  Angstausruf 
^.^u  Voss 

ein  molossischcr  5&iimeter,  oder  spondeischer 
Hexameter  sey,  gehört  noch  nicht  hieher. 

i58. 

2.  Die  schwere  ionische  Form  JJJ^J^ 
metrisch ,  v^.  Es  ist  hierbei  eine  Bemer- 
kung nöthig.  Die  Grammatiker  unterscheiden 
zwei  iouiscbe  Füsse.  Den  sinkenden  loniker 
(lonicus  a  maiore) ,  der  mit  den  langen  Sylben 
anfangt  _  _  ^  ^,  und  den  steigenden  lonikcr 
(lonicus  a  minore) ,  der  mit  den  kurzen  Sylben 

anfangt  ^  w- ,  und  zwar  im  Auftakt  w  ^  | , 

wie  alle  Beispiele  zeigen.  Metrisch  ist  also  der 
steigende  loniker  vom  sinkenden  nicht  ver- 
schieden ,     denn   eine   Pieibe   steigender    loniker 


i38  Allgemeiner  Theil. 

ist    gleich   einer   Reihe  sinkender  mit  dem  Auf- 
takt: 

Allein    die  prosodische  Gestalt  des  lonikers, 

welche  das  gewöhnliche  metrische  Zeichen ^  ^ 

darstellt,  kann  auf  zweierlei  Art  metrisch  vei'- 
standen  werden:  entweder  J  J^  ^  J^,  wo  wir  die 
ionische  Form  des  gemischten  Metrum  wieder- 
finden; oder  so  JJJ^g",  welche  wir  ehen  als 
schwere  ionische  Form  im  molossischen  (oder 
schweren  ungeraden  Metrum)  nachgewiesen  ha- 
ben. Beide  Formen  lassen  den  Auftakt  von 
zwei  Sylben  zu:  die  1  eichte,  ionische  (so  nen- 
nen wir  der  Kürze  wegen  die  ionische  Form 
des  gemischten  Metrum) ,  z.  B.  im  Anakreonti- 
sehen  Vers: 

^W         I V.W         I 

Ä  Ä  I    I    >  ^  ^  1    i    1 

xuTtt  y.iaaoiGt  ßQffiovTug 

in  dem    Lenz   fröhlicher  Jugend 

die   schwere    ionische  in  den  Versen,    die  als 
steigende  Joniker  aufgeführt  werden,  z.  B. : 

miserai'    est  nequ'    amori 
(las  so   furclitbar  wie    der   Ausspruch 
Nicht  also  der  Auftakt,    sondern  die  innre  ver- 
schiedene   Bewegung  bildet   die   Verscliiedenheit 


Von  dem  schweren  ungeraden  Metrum.  iSg 

beider  Formen.  Indessen  bemerkt  man  bald  bei 
Vergleichung  mehrer  Beispiele,  dass  die  schwere 
ionische  Form  mehrenlheils  mit  dem  Auftakt 
vorkomme.  Der  Grmid  ist  leicht  einzusehn. 
In  der  schweren  ionischen  Form  ist  die  erste 
Kürze  eine  Arsis  (nämlich  zweiter  Ordnung  im 
aufgelösten  dritten  Hauptmoment) ,  in  der  leich- 
ten Form  hingegen  eine  ganz  accentlose  The_ 
«is  (4^).  Soll  der  Charakter  jener  Arsis  nicht 
verloren  gehn  oder  verdunkelt  werden,  so  muss 
sie  von  der  vorhergelienden  Lange  gesondert 
eintreten,  sie  bildet  daher  den  Auftakt  zu  dem 
folgenden  Takt,  und  um  die  Reihe  vollzäiig 
zu  machen,  nimmt  dann  auch  der  erste  Takt 
die  beiden  Auftaktsylben  an.  Vernachlässigt 
man  die  Hebung  der  erwähnten  Arsis  durch 
Absonderung  von  der  vorhergehenden  Länge, 
so  geht  die  Bewegung  sogleich  in  die  leichte 
ionische   über.      Dies  ist  vier  Fall  bei   Iloratius': 

patruae   verbcra    liiiguae 

welches  wegen  der  ganz  accentlosen  Mittelsylbe 
in  verbera  in  die  Bewegung 

"^    ^   I   J     '^    ^    >   I    J    J 
tr  m^    \    ä.   ä.    0^  4     \   ä.   ä 

patruae  verbera  linguae 
Übergeht. 

Durcli    diese    Bemerkung    dürfte    unsre  Be- 
nennun,;^ :  schwere    iouis(  he  Form,  gerechtfertigt 


110  .'Mlgem  einer  The i  I. 

seyn.  Daas  Verse,  in  dieser  Form  gesclirieli«;!!. 
dem  Dreivierteltakt  angehören,  ist  wold  nicht 
zu  bezweifeln,  und  dass  die  steigenden  lonlker 
der  Grammatiker  zu  dieser  Form  gehören,  zeigt 
der  Gruudfuss  dieser  Verse, 

k«<«ti>        I        —      —      ^r      '^        I        —      — 

der  selbst  nach  der  zweizeitigen  Langenmessung 
der  Grammatiker  und  Hermanns, 

J«  \  *  9  e  »  IJJ 
einen  ganz  unverkennbaren  Dreivierteltakt  gibt. 
Was  soll  man  nun  aber  zu  Hermanns  Behaup- 
tung (Allg.  Mus.  Zeit.  1809.  S.  295)  sagen:  „Es 
gibt  Taktarten,  die,  so  wenig  sie  auch  auffal- 
lendes haben,  doch  in  keinem  griechischen 
Rhythmus  vorkommen,  z.  B.  die  vom  Verfasser 
der  erwähnten  Abhandlung  ( über  E.hyth.  und 
Metr.)  angenommenen  molossisclien  Rhythmen, 
welche  |  Takt  haben."  (Es  steht  zwar  |  Takt, 
allein  offenbar  ist  dies  ein  Druckfehler,  denn 
in  jener  Abhandlung  ist  wie  hier,  das  molossi- 
jjche  Metrum  dem  |  Takt  gleich  gesetzt.)  Also 
gab  es  im  griechischen  Rhythmus  keinen  Drei- 
vierteltakt, und  doch  folgenden  Vers: 

^^|M    >>|ji    ^^1JJ    >'^!Jj 

iixt  deilav,  ffie  iiuGav  Y.c.noraTMV  Ttidey^oiauv. 
iniscrar'  est  nequ'  amori  dare  luduni ,   nequ<;  dulci 
Was   ermalint  ihr  zu  dem  Siegvsmahl  um  dem  KrouhirscJi 
mich,   den  Waidmanu        Voss 


Von  dem  schweren  uiigeiaden  Metrum,  i4i 

oflcr  wären  diese,  doch  gewiss  nicht  unbekannte 
Rhythmen ,  selbst  nach  dem  Hermann'schen 
Handbuch,  anders  als  im  Dreivierteltakt  zu  mes- 
sen,  und  also,  nach  der  angegebenen  Benen- 
nung, nicht  molossische  Rhythmen?  Solche 
Behauptungen  muthen  doch  wirklich  dem  Le- 
ser zu  viel  Vergessenheit  und  Geduld  an. 

169. 
3.  Die  schwere  choriambische  Form: 
J  J*  J^  J  ^^  metrischen  Zeichen  _  ^  ^  _.  Sie 
unterscheidet  sich  von  der  leichten  choriambi- 
schen, im  gemischten  Metrum  «"^  j^J^J  ,  wie  die 
schwere  ionische  von  der  leichten,  nämlich  durch 
die  Arsis  auf  der  ersten  Kürze,  statt  welcher 
die  leichte  Form  eine  ganz  accentlose  Thesis  (  ^) 
hat.  In  einzelnen  Yerstakten  kann  sie  allerdings 
vorkommen,  z.  B.: 

.VIJJ.\NJ.N^J  JJ.V  J 

Wo   der  Goldthron  und   der  Prachtobelisk  hinstürzU 

in  den  Staub. 

und  eben  sowol  in  ganzen  Versen,  wiewol  diese 
seltener  gefunden  werden  möchten. 

160.   ' 
Die    andern    Formen   des  molossischen   Mc- 
Ivnm 

J^J^mJ  metrisch:  S  ^ 

N  N    N    N    '  I 

•  •  *  •  •  metnscli?    ^  ^   ^  ._  .. 


i4a  Allgemeiner  T  li  is  i  l. 

J^J^JJ^J^  metrisch:  ^  w  _  ^  « 
Jj^i'^J^J^  metrisch:   _  ^  ^  ^  ^ 

j^«r«r/j^j'^  metrisch:    ^  ^  J.  ^  s^  « 
erklären    sich    und    ihre     Messung     von    selbst. 
Auch    findet   man    mehre    von    ilineu    in  Versen 
des    molossischen  Metrum,     z.   B.    in    schweren 
ionischen : 

wo  das  Kriegsheer  um  die  Freiheit  von  Germania  sich  den 

Tod  focht 

oder : 

^^  I .  ^  |_^^_,_^^:,^  ,_ 

In  dem  Labirint  der  gewaltigen  anstürmenden  Melodie 
Man  sieht  aus  diesen  wenigen  Beispielen,  dass 
auch  das  molossische  Metrum  nicht  arm  an 
wechselnder  Bewegung  ist,  dass  aber  der  Dich- 
ter sor^^fältig  wachen  müsse,  damit  nicht  der 
Charakter  dieses  Metrum  verdunkelt  werde. 

Vom  tripodischen  Metrum. 

161. 
Mit    diesem    noch    ungewöhnhchen   Namen, 
benennen    wir    ein  Metrum,     welches   bisher    in 
den  Theorien  eben  so  unbekannt  war,  als  diese 
Benennung. 


V  o  m  tripodischen  Metrum.  i43 

162. 
Die    Hauptmomente    können   sich    im  schwe- 
ren   ungeraden    Metrum    von    neuem    nach    der 
Regel  des  ungeraden  Taktes  zerfallen: 
A  A  A  J.         ,1  .1 

d  a  a     d  a  a     d  a  a         ^^^  /^>J^  ^J^J^ 
und  so    entüleht    das    Verhältniss,    welches  dem 
Neunachteltakt  entspricht:    Franchino's   prolalio 
perfecta  ex  tempore  perfecto. 

i63. 
Wiewol  dieses  Verhältniss  ganz  natürlich 
aus  dem  Wesen  des  lUiythmus  hervorgeht,  und, 
in  der  Musik  längst  hekannt  ist,  so  hat  es  doch 
noch  kein  Melriker  erwähnt,  und  \  erse  danach 
gemessen.  Dass  aher  eine  hedeutende  Anzahl 
Ycrse  nach  diesem  Metrum  gemessen  werden 
müssen,  z.  B.  die  dochmischen: 

(pavi^Tü)  fX0()(fiv  0  nuUuarffiOiV     S  o  p  h  o  k  I. 

Wer  lnns!hvv;md   in  Cram   und  Mühseligkeit  Voss. 

wird     die    besondre    Ausführung    der    einzelnen 
Vei'Sgaltungen  zeigen. 

i64. 
Wir    nennen    dieses    Metrum   das    tripodi- 
sche,     weil    jede    metrische    Periode    desselben 
drei   Zeilfüsse  durch  die  Zcrtälkmg    der   Haupt- 


14«*  Allgeraeiner  ThaiL 

momcnte  erliält.  Da  wir  das  gemlsclite  Metrum, 
wclclies  Perioden  von  zwei  Füssen  enthalt,  nicht 
das  dipodische  genannt  haben,  so  kann  jene 
Benennung  mit  Recht  unschickJich  genannt 
werden.  Sie  ist  aber  hier  provisorisch  vorgezo- 
gen Avorden,  um  die  Aufmerksamkeit  auf  das 
Fremdartige  in  dem  Maas  dieser  Periode  zu 
richten.  Richtiger  würde  dieses  Metrum  das 
molossisch-tribrachische  genannt  werden, 
oder  das  neunzeitige. 

i65. 
Angedeutet  wird  dieses  Metrum  von  Aristi- 
des,  wo  er  die  epit ritische  Gattung  des 
Rhythmus  (yevog  iixiTQixov)  erwähnt,  dessen  Ver- 
hältniss  Vier  zu  Drei  seyn  soll.  Nehmen  wir  an, 
dass  bei  dem  tripodischen  Metrum,  wie  bei  dem 
gemischten,  auch  eine  Untermengung  (i4:3)  Statt 
finden  könnte ,  so  entstehen ,  Avenn  zwei  Mo- 
mente sich  nach  der  Regel  des  geraden  Rhyth- 
mus theilen,  das  dritte  aber  nach  der  Regel 
des  ungeraden,  folgende  Formen: 

A       A      A  J.        J.        J.         ■ 

a  a     a  a    aaa  ^^    J^/    ^^^ 

aaa     a  a     a  a  J^J^J^  J^J^    j^ j^ 

a  a     aaa     a  a  «'^     ^««i     J« 

in    deren    erster   man    das   Yerhältniss    Vier    zu 
Drei  erkennt,  wenn  man  die  ersten  beid(;n  Mo- 


Vom  tilpodi scheu  IMetrum.  i45 

mente    zusammcnzlelit,     und    gegen    das    dritte 

hält:  _=_ 

J  '.''  «  •        «  «  J 
Dieses    ist  also    das  yevog  (tiitqitov  des  Aristides^ 
welches    indessen    nach  seiner  Versicherung  sel- 
ten   gebraucht   Avorden    ist,    auch    gibt   er  keine 
Beispiele  davon. 

166. 
Man  sieht,  dass  Aristides  dieses  Verhältniss, 
so  wenig,  als  das  heniiolische  in  seinem  wahren  , 
Grunde  fasslc.  Beide  waren  ihm  bloss  Zahlen- 
Verhältnisse,  und  daher  entgingen  ihm,  beson- 
ders bei  dem  genus  epitritum  nicht  allein  die 
beiden  andern  (löf))  angegebenen  Formen,  son- 
dern auch  die  ganze  zweite  Seite  des  Verhält- 
nisses. 

167.  ^ 

Es    können   nämlich    zwei   Momente  sich  zu 

drei  Theilen  zerfallen,   und    nur  Eins    in  Zwei, 

wodurch  folgende  drei  Formen  entstehen: 

A      A       A  J_  J_  J_ 

aaaaaaaa  ^^'^    j^j^'^     ^^ 

«•«      •«•      dm 

aaa  a  a    aaa        ^  ^  ^   J^  J^        ^  ^  d^ 
a  a  aaa  aaa         >  ^        J"  J^  J^   ^  J^  J^ 
die    bei     Zusammenziehung     der    ersten    beiden 
Momente,    das    ^  erliältiiiss    der    Hanpiarsis    zur 
Hauptthesis    Avic    Fünf  zu  Drei,    oder  Sechs  zU' 
Zwei  angeben  v>iirdcn. 

10 


nÄ  Allgemeiner  Theil. 

168. 
So  wenig  als  bei  dein  hemiolisclien  \erhäit- 
niss  ist  CS  nöthig,  wegen  des  cpitrilisclicn  eine 
besondre  Gattung  anzunehmen.  Die  Verse,  wel- 
clie  das  walu'e  epiti'itische  Verhältniss  zeigen, 
Werden  nach  dem  schweren  ungeraden  Metrum 
gemessen,  und  die  drei  Theile  des  einen  Mo- 
mentes als  Ti'iolen  betrachtet.  So  lässt  sich  der 
Strophus  nach  gleichem  Maas  mit  dem  schwe- 
ren Choriamben  messen: 


j\N  J  J«^M  Jj^v^  J 1  JJ.^N  JJ 


In   des   Festmahls   dithyrambischen  Gesang  tönt  laut  der 

Pokalklang 

und  eben  so  der  Dasius  (w  w  w )  nach  dem 

Maase  des  schweren  lonikei's,    unter   diesen  so- 
wol ; 


m    e    \  »  e  e    o    4    \  e  s  a    m    \  tt 


und  es  stürmt  laut  zu  dem    Olymp  auf  das   Geschrei 
als  auch  allein : 

.N\NJJ/j\NJJj\^.NJJ 

KBVBu  nvcvauig  ertöne  itto/i>o>  ß^ci'/v  ti  Tiffnvop 

rind.  Ol.  X.  A.  5. 
O    wie   der  Festwein    In   dem   Pokal   hier   zu    Melodi« 

weck  t !    Voss 


Vom  trjpodischeii  Metrum.  i47 

ohne    dass    man    ein    besondres    Metrum    dafiii* 
anzunehmen  braucht. 

169. 
Ist  hingegen  neben  zwei  Dreigetheilten ,  nur 
Ein  Moment  zweigetheilt  (167),  so  werden  dcr- 
gleiclien  Yerse  nach  dem  tripodischen  Metrum 
gemessen ,  und  die  zwei  Aclitel  erfüllen ,  wie 
bei  dem  hemiolischen  Verhältniss,  dieselbe  Zeit, 
wie  die  drei  Achtel  der  andern  Momente: 


J  J        JJ  J        J  J  J 


Vw/ 


Ein  Beispiel  solcher  Messung  fludet  sich  in  man- 
chen Formen  dochmischer  Yerse ,  z.  B. : 


• 


j>>JS>    ,> 


«0      «  «      «  «. 

I    I     H 

in   der  Vergötterung 
und  in  mehrern  andern. 

170. 
Wie  bei  dem  gemischten  Metrum,  so  kann 
auch  bei  diesem  der  Tribrachys  sich  in  den 
flüchtigen  Daktylus  verwandeln,  so,  dass  nacli 
der  geAvöhulichen  metrischen  Bezeichnung  ein 
Pyrrhicliiu.s  von  gleicher  Dauer  mit  dem  Dak-^ 
lylus  seyn  kanu ,  z.  B. : 
—         t 

»-'        1        »i*     s«-      — .     w»     ».^      — 

Gv  de  -jiu^'  oipiyovov 
in   dein    vertraulichen   Taiiz 


i84  Allgemeiner  Theil. 

was  unter  den  dochmisclien  Formen  vorkommt. 
Kennt  man  die  wahre  Messung  niclit,  so  macht 
der  Doppelanapäst  mit  dem  Auftakt  fi-eilich  eine 
etAvas  sonderbare  Figur,  oder  der  Daktylus  gibt 
den  Metrikern  Anstoss,  die,  den  Rhythmus  mehr 
sehend,  als  hörend,  die  Identität  des  flüchtigen 
Daktylus  mit  dem  Tribrachys  nicht  fassen. 

171. 

Die  einzelnen  Formen  des  tripodischen  Me- 
trum sind  zu  mannigfaltig,  um  hier,  wo  wir 
nur  im  Allgemeinen  davon  handeln,  ausgeführt 
werden  zu  können.  Sie  entstehn  durch  den 
Wechsel  dieser  vier  Formen: 

J,  J,         J.         metrisch  ^        '  _  _ 

J  .>  i  j"  i  j"  ------ 


'S    'S>^N>>>> 
•    •••••   «•• 

i'^  Ä  >  >  Ä  >  ^  1^  j^ 


und  werden  im  besondren  Theile,  bei  Erörte- 
rung des  tripodischen  Metrum,  im  Einzelnen 
Letraclitet  werden.  Man  erkennt,  um  dieses 
vorläufig  zu  bemerken  in  der  trochäischen  Foi*m : 


'O 


den  ilhyfallischen  Vers: 

veris   et  FavonI 

Weil   der   Mond  lierabLlictt" 

wenn    dieser    nicht    vielleicht    dipodische   Mes- 
cung  hat: 


Vom  trJpodischen  Metrum.  l4g 

^    w    —    >»'      I      •-    — 

J  .N  jM  J.  J. 

Lenzgesang  im  Buchhain 
«lies  ist  der  Fall  in  dem  Vers:  ^ 

;>.Vj\V  1  .Wi\'*.N  J  .N  .M  J.  J. 

Solvitur  aeris  hieras   grata  vice  veris  et  Favoni 
Lieblicher  grünte   die  Flur  und  es  zwitscherte  Lenzge-, 
sang  im  Buchhayn 

In   folgendem   Vers  liingegen   hat   er   unbc-« 
z>veifelt  tripodisches  Maas: 


0  e  J    ^  »  •    •  •  •     I     s  m  d  m    «• 
Inniger  iu  dem  geflügelten  Wirbeltanz  umschlungen 

Von  dem  lelchlen  ungeraden  Metrum; 
172. 
In    dorn    leichten    ungeraden    INIetrum    kom- 
men   unter   den  llauptmomenten  seihst  folgende 
verschiedene  Formen  vor: 

die  Irochäische:  J        ^  metrisch  _  ^ 
die  irihrachische :  2"  m   m    metrisch  J,  ^  w 
die  flüchtig  daklyhsche:  ^}.^  metrisch  _  ^  ^ 
Die  Form  J.   kann  nicht  vorkommen,  ^veil  durch 
diese     Zusammenziehung    beider    llauplmomeute 


i5o  Alli^'emeiner  Tlieil. 

in  Eine,  die  Verschiedenheit  aufgehoben  wer- 
den würde,  ohne  welche  der  Rhythmus  nicht 
Statt  finden  kann. 

175. 
Es  fällt  in  die  Augen,  dass  die  Form  J^'^  ]^ 
zwischen  der  Natur  der  Hauptmomenle ,  und 
der  '  Momente  zweiter  Ordnung  schwanke.  Die 
beiden  ersten  Achtel  gehören  einer  sj)ätern  rhyth- 
ini sehen  Zerlegung  an  (92),  das  dritte  hingegen 
ist  offenbar  Hauptmoment.  Wegen  dieser  Na- 
tur der  Hauptmomente,  kann  bei  dieser  Form, 
wiewol  die  Quantität  sich  schon  in  der  Zusam- 
nienziehung  zeigt,  noch  eine  besondere  Zerfäl- 
lung  Statt  finden,  nämlich: 

J  .> 

-T     J"     .^ 

und  durch  diese  Zerfällung  entsteht  unter  meh- 
jen  Formen  vorzüglich  der  P  a  r  a  p  ä  o  n  (_  ^  ^  ^  ^ 
•  »^,^,nJs),  der  sich  durch  Zusammenziehung 
des  ersten  Achtels  mit  dem  ersten  Sechzehntheil 

^ ».  »^  o^  J^  -  >^  ^  ^)  in  eine  Art  P ä  o n  ver- 
wandeil, den  wir  den  trochäischen,  oder  pa- 
rapäonischen  nennen  müssen,  weil  er  sich 
durch  den  Accent  auf  der  vorletzten  Note,  z.  B. 
kriegerische,  A^on  dem  ersten  Päon,  der  den 
accent    auf    der    dritten    INole    vom    Ende   hat. 


Von  dem  leichten  ungeraden  Lletrum.     i5i 

z.  B.  göttlichere ,  unterscheidet.  Diesei'  para- 
päoi'ische  Rhythmus,  würde  sich  aus  der  Zer- 
fälhmg  des  Molossus  _  ^U"  "LT  J  i"  ^  ^  ^ 
schon  wegen  seiner  grösseren  Fhichtigkeit  nicht 
ahleiten  lassen.  Die  genauere  Bestimmung  die- 
ses Päon  kann  erst  später  (207)  deutlich  werden. 

174. 
Mit  diesen,  hier  aus  der  Grundform  des 
Pdiythmus  abgeleiteten  Gattungen,  ist  der  ganze 
Cyklus  der  metrischen  Formen  beschlossen,  und 
wenn  unsre  gegebene  Ansicht  die  richtige  ist, 
so  müssen  alle  vorkommende  Rhythmen  auf  eine 
der  angegebenen  Formen  sich  zurückführen, 
oder,  was  dasselbe  ist,  alle  möglichen  Rhyth- 
men müssen  sich  aus  diesen  Formen  entwickeln 
lassen. 

175. 
Unsre  Theorie  hat  daher  nicht  nöthig,  ne- 
ben den  regelmassigen  Galtungen  des  Rhythmus 
■noch  unregelmässige  {yfvt]  akoya)  anzunehmen. 
Was  mithin  bei  den  IMcirikern  unter  den  jNa- 
men  versus  jiolyschematisti,  {.ur^ex  '/.ax  uvrma'&fiav 
'fimTa  n.  d.  g.  vorkommt,  wird  zwar  in  histori- 
scher Rücksicht  dem  Siim  dieser  Metriker  ge- 
mäss erklärt  werden,  doch  muss  es  in  dem  Sy- 
stem selbst  seinen  Platz,  wie  jeder  andre  Rhyth- 
mus ünden. 


j32  Alli^emcinerTheil. 

Accentirejiflc  und  quanlltlrencle 
Pihythmen. 

176. 
VlcUeiclit  ist  es  nicht  ganz  unnützlicli,  liier 
zu  erinnern,  dass  jetzt  noch  nicht  von  Versen, 
sondern  nur  von  Rhythmen  im  Allgemeinen, 
ohne  Beziehung  auf  Sprache,  die  Rede  ist.  Be- 
vor wir  vom  Vers  hanJehi  können,  muss  die 
Betrachtung  des  Rhythmus  an  sich  geendet  seyn, 
und  wenn  hier  und  da  Beispiele  in  Versen 
schon  im  Voraus  gegeben  werden,  so  geschieht 
dieses  nur,  um  den  Satz  zu  erläutern,  Avas 
durch  Beispiele  aus  der  Musik  zuweilen  zu  um- 
släudlich  seyn  wüi'de. 

177. 
Es  ist  schon  mehrmals  Gelegenheit  gewesen^ 
zu  bemerken ,  dass  unter  einzehien  Momenten 
derselben  Ordnung  kein  Quantitätverhältniss 
Statt  findet,  indem  alle  Quantitätverschieden- 
heit nur  unter  folgenden  Bedingungen  entsteht: 

1)  bei    dem    geraden   Metrum   durch  Wechsel 
der  Momente  verschiedener  Ordnungen, 

2)  bei  dem  ungeraden  Metrum 

a.  in  der  Grundform  selbst,  nämlich  j  J^ 
in  metrischen  Zeiclien  _  ^, 

h.  durch  Wechsel  der  Momente  verschiede- 
ner Ordnxmg:  z.  B.  J.  ^  ^  ^^  otler  me- 
trisch _  J,  ^  ^, 


Accentirende  und  quantiiireude  llLytlimCn.  i55 

c.  durch     beides     in    demselben    Rhythmus 

vei'einigt:  z.B.  j^  J  J^  metrisch  bezeichnet 


178. 

Wo    keine    dieser   Bedingungen    eintritt,    ist 
bloss    der    Accent    das    rhythmisirende    Prineip. 
Dahin  gehören  alle  Rhythmen ,    die  sich  in  Mo- 
menten derselben  Ordnung  bewegen ,  z.  B. : 
da         da         da         d 
'  d  a  a     d  a  a     d  a  a     d  a 
Es  ist  dem  Missversthndniss  ausgesetzt,  Beispiele 
des    accentirten    Rliythmus    in  Versen    zu  geben, 
weil  die  verschiedene  prosodische  Quantität  der 
Sylbeu    leicht    durch  einen  Irrthum  auf  die  me- 
trische   Quantität     des    Rhythmus    übergetragen 
werden  möchte.     Wir  müssen  also  die  nöthigen 
Beispiele  aus  der  Musik  wählen,  oder  doch  aus 
solchen  \erseu,    welche   Avir   gcAVohnt    sind   mit 
der  Musik  za  denken.     Der  Toiu-hythmus 


bewegt  sich  bloss  in  Momenten  derselben  Ord- 
nung (in  Sechzehulheilen),  gleiehwol  wird  er 
durch  alle  Tonveränderungen  selbst  in  der  Um- 
kehriiiig: 


i5i  Allgemein  er  The  iL 

und  eben  so  in  der  Trausposition  in  eine  an- 
dre Ordnung  der  Momente  (per  augmenlatio- 
nem  oder  diminutionem) 


^^^ 


einzig  an  seiner  rhythmischen  Bev/egung  wieder 
erkannt.  Da  aber  alle  Momente  desselben  von 
gleicher  Quantität  sind,  so  ist  einzig  der  Ac- 
cent,  nicht  die  Quantität  das  rhythmisirendc 
Princip  dieses  Rhythmus. 

Hier  zeigt  sich  nun,  dass  die  Musik  dem 
Rhythmus  einen  ungleich  grössern  Spielrciam 
gewährt,  als  der  Yers.  Der  Musik  nämlich 
steht  das  weite  Gebiet  accenlirter  Rhythmen  of- 
fen, weil  sie  ihren  rhythmischen  Stolt',  den 
Ton,  unbestimmt  findet,  und  ihn  also  i^^t^i  so 
wol  aus  derselben  Ordnung  der  Momente  wä- 
len  kann,  als  aus  verschiedenen.  Der  \er.s- 
künstler  hingegen  findet  in  den  Sylben  der 
Wörter  schon  grösstentheils  Momente  verschie- 
dener Quantität  (denn  Verse,  wie  der  vöu  Voss 
angeführte  (y-  ^'orv-  Jl.  (^^./  y'>r^.  ^/^-  f^J 

Xtyi  Ss  av  tcara  rtoöa  veolvra  fiilia 
gehören    selbst   in    der    griechischen  Sprache  zu 
den  Seltenheiten  uii/d  Ausnahmen.)      Kr  ist  da- 


Accentirende  und  quantiü'rende  Rhythmen.  3  55 

her  in  den  prosodiscli  gebildeten  Sprachen,  \on 
dem  Gebiet  der  bloss  accentirten  Rhythmen 
ausgeschlossen,  in  A^elches  nur  die  Musik  von 
neuem  den  Ycrs  einführen  kann,  indem  sie  die 
Quantilätbestimmungen  aufhebt,  und  in  Quali- 
tätbestimmungen  umwandelt,  so  dass  die  lange 
Sylbe  dem  accentirten  (guten)  die  kurze,  dem 
accentlosen  (schlechten)  Taktthcile  gleich  wird. 
Dieses  geschieht  am  unzweideutigsten  im  Choral, 
dessen  Melodie  sich  in  Tönen  von  gleicher 
Quantität  bewegt: 


während  die  Sylbcu  des  Yerses  prosodisch  ver- 
schieden sind: 


Nun    sich   der  Tag   geendet   hat 

denn  auch  hier  sind  Verse  von  prosodisch  glei- 
tlrn  Sylben ,   z.  B.: 

.  I  J    J  I J  J I  jp  J 

Dein   Werk   kann   Niemand   hindern 
dein'   Arbeit  darf  nicht   ruhn 

Ausnahmen  und  Seltenheiten,  die  übrigens  nur 
durch  /iifall,  aus  ISichtachtung  der  Quantität 
entstanden  sind. 

Verse,    bei    welchen    der   Dichter   nicht    die 
Quantität   der  Sylben.    sondern  nur  den  Wort- 


l5ö  Allg  emeiiier  Theil. 

accent  beobachtet,  nennt  man  daher,  auch  wenn 
gie  nicht  unmittelbar  der  Musik  angehören,  ac- 
centirte  Verse.  Es  versteht  sich  dabei ,  das« 
diese  Behandlung  der  Sprache  nur  bei,  an  sich 
sclion  bloss  accentirten  Rhythmen  Statt  finden 
kann,  und  dass  daher  quantilirende  Rhythmen, 
z.  B.  dochmische,  gailiambische,  und  das  weile 
Oebiet  dier  leichten  ionischen ,  durch  accentirte 
Behandlung ,  ohne  Beobachtung  der  Sylbencjuan- 
tilät,  gar  nicht  gebildet  werden  können. 

*Das  Gebiet  der  accentirten  Rhythmen  hat 
daher  die  Musik  vor  der  Verskunst  voraus. 
Allein  in  quantitirenden  Rhythmen  kann  die 
Sprache  im  Vers  es  der  Musik,  bis  auf  wenige 
Ausnahmen,  gleich  thun,  denn,  sobald  sie  nur 
prosodisch  hinlänglich  ausgebildet  ist,  so  bietet 
sie  dem  Rhythmus  fast  dieselbe  Fülle  und  Ver- 
«cliiedcnheit  metrischer  Momente  und  Formen 
(in  den  Wortfüssen)  wie  die  Musik.  Daher  fin- 
den wir  auch  wix'klich  d«»  R^hythmen  unsrer 
bekanntesten  Älelodien  schon  in  den  Versrhyth- 
nien  der  Griechen.     Z.  B.  die  Melodie: 


finden  wir  unverkennbar  im  Rhythmus  des  Gal- 
liamljcn: 

ü   uie    schön   pranget   die   Jungfrau ,    mit   dem  Brautkranz 

iu    dem   Haar 


Accentirende  und  quantitirend«  Rhythmen.  i^-j 


Folgende ; 


?bi:^: 


'  '     f- — t— / — ' 


-t-t— -fc+-t- 


IJnr^Iir^ 


->~t- 


-^-^ 


-&*- 


:^: 


^V^: 


ttrj^±i±rtiLi^-r:* 


V if- 


♦nöt 


:^^J^— f^ij^rN-l-^ 


-a — -N-\t-^^^-i — R-N-  -^^M — .-- 1 : — y — » — tti— »-i.-i- 

4 1 1 C LJ ^-^ 


in   dem  priapiJschen   Vers   und  dessen  Variatio- 
nen; 

Fackeln  leuchten  dem  Feiertanz  Bacchos'  heiliger  Festnacht 
t)QiGTT]aa  [isv  Itqiov  XtitTov  fuxQov  anoxlag 

Schon  vom  Gebirg  her    schallet  der    Chor   frölicher  Jub«i- 

lieder 

VTt  KvadevÖQadtov  ocrcaXag  ccanaXci-&ovg  narcovTfg 
Frohrauschend    ertönet    dtr  Hayn:    Preis,    Preis   dir. 


laccho» 


Folgende : 


— t 1 '^ö — > 


im   epionischen   Verse   (Metrum   epionicura  po- 
lyschcmalistiim) 

Umkränzt  dio  Becher  mit  Efeu ,  mit  Rosenblülcn  das  ll«ar 


jj3  Allgemeiner  T  heil. 

nnci  so  lassen  sich  zu  jedem  Rhythmus  alter 
Verse,  gleiche  Melodien  in  unsrcr  Musik  nach- 
weisen, die  milhin,  in  rhythmischer  Hinsicht, 
der  alten  Musik  nicht  so  unähnlich  seyn  kann, 
als  die  Melriker  uns  versicliern. 

Accentirte  Koloraturen  qiiautilirender  Illiyth- 
meu  überlässt  der  Vers  wiederum  der  Musik, 
und  dieses  um  so  mehr,  da  die  Koloratur,  wenn 
sie  sich  auch  in  gleich  kurzen  Sylben  bilden 
liess,  den  logischen  Sinn  des  Verses  mit  dem 
llliythmüs  in  Disharmonie  bringen  würde.  Der 
Komiker  findet  indessen  in  einer  solchen  Be- 
handlung der  Sprache  im  Khythmus  einigen 
komischen  Stoff. 

180. 

Ist  es  nun  wahr,  wie  es  denn  wahrscheinlich 
ist,  was  die  meisten  Alterthumforscher  behaup- 
ten, dass  die  alte  Musik  an  die  Poesie  gebun- 
den war,  und  sich  nicht  als  selbständige  Kunst 
bewegte,  wie  in  unsern  Zeiten,  so  ist  der  Un- 
terschied zwischen  alter  und  neuer  Musik  nicht 
zu  verkennen,  und  mit  ziemlicher  Deutlichkeit 
zu  bestimmen.  Die  alte  INlusik  nämlich  be- 
schränkte sich  auf  das  Gebiet  quantitirender 
Rhythmen,  und  wir  können  sie,  wenigstens  in 
Ansehung  des  Rhythmus  mit  Sicherheit  aus  den 
alten  V ei-srhythmen  herstellen,  wo  wir  sie  bei 
den  Griechen  mit  unserer  Musik,  wenn  sie  <juan- 


Accentirende  und  quautItJrende  Rhythmen.  aSg 

titirende  Rhythmen  bildet,  sehr  ühereinstim- 
mend  finden  werden.  Allein  das  weite  Gebiet 
acccntirter  Pvhythmen,  worin  unsre  selbständige 
Musik  vorzüglich  glänzt,  folglich,  wenn  auch" 
nicht  die  Harmonie  der  Töne,  doch  die  har- 
monische Behandlung  der  Rhythmen  (der  dop- 
pelte Contrapunkt)  war  der  alten  Musik  fremd, 
mithin  auch  der  weitere  Umfang  der  Harmonie, 
den  die  neue  Musik  durch  den  doppelten  CoH- 
trapunkt  auszubilden  Gelegenheit  fand. 

181. 

Da  nun  im  ungeraden  Metrum  eine  ungleich 
grössere  Zal  quantitirender  rliythmischcr  For- 
men sich  findet,  als  im  geraden,  so  darf  es 
nicht  befremden,  dass  die  alte  Musik,  wie  die 
alten  Ycrsrhythmen  zeigen,  sich  mehr  im  un- 
geraden, als  im  geraden  Takt  bewegte,  beson- 
ders da  in  der  griechischen  Spraclic  (wie  es 
auch  iu  der  deutschen  der  Fall  ist),  die  Zal 
der  lldclitig  daktylischen  choriambischen  und 
ionischen  Wortfüsse,  die  der  schweren  beträcht- 
lich übersteigt.  *) 


*)  Herr  Direktor  Gotthold  in  Küstrin  (Taktlose  LIu- 
sik,  BcrI.  Monatscli.  1809.  Julius  N.  3.)  übersieht, 
ich  -vveis  niclit  v.-aruni ,  überall  die  Eeweise ,  und 
nennt  Sätze,  die  ans  der  Natur  des  Metrum  abse- 
loitet   sijnd  ,  Froihftilen.       Dns-;    die   Verse    der   Grie- 


i6o  AI  1  gern  e  jne  r  Theil. 

182. 
Diese  Eigenlieit  der  Musik  (178),  die  Quan- 
titätverschiedenheit  der  Sylben  accentirler  Verse 
in  eine  Acccntverschiedenlieit  umzuwandeln,  ist 
von  den ,  mehr  gelehrt  als  musikalisch  gebilde- 
ten Metrikern,  als  eine  Willkiihrlichkeit  ange- 
sehn  worden,  und,  weil  sie  über  den  Unter- 
schied des  accenlirtcn  Rhythmus  vom  q^iantiti- 
renden,  und  über  das  Yerhältniss  beider  Gat- 
tungen des  Rhythmus  zu  Musik  und  Sprache 
(oder  Vers)  durchaus  nicht  im  Klaren  sich  be- 
fanden, so  kamen  jene  Metriker  auf  die  sonder- 
baren Behauptungen  von  der  Beschaffenheit  al- 
ter Musik,  und  von  der  Verderbtheit  der  neuen 
durch  Abweichung  von  der  prosodischen  Syl- 
benquantität,  wie  man  dergleichen  in  den  Schrif- 
ten Isaac  Vossius,  Hermanns  und  andrer  fin- 
det. Wenn  man  hingegen  durch  eine  richtige 
Ansicht    des    R.hythmus    den    Accent     als     sein, 


chen  grösstentlieils  Tripeltalct  hören  lassen,  liegt  in 
der  Natur  des  quantitirenden  Rhythmus,  und  ist 
■ss'cder  als  Vorzug  (wie  Hr.  Dir.  G.  mir  Schuld 
gibt),  noch  aLs  Tadel  von  mir  angeführt,  sondern 
als  historisches  Faktum.  Warum  wir  Neuem,  he- 
sonders  im  voUstimmigen  Gesang,  den  geraden  TakC 
dem  ungeraden  vorziehen,  wird  ausführlich  erörtert 
■werden,  wo  vom  accentirten  Vers  besonders  dia 
Rede  ist,  und  von  seiner  Aufnahme  in  den  Kirchen--' 
gPiang. 


Accentirende  und  quantitirende  Rhythmen.         i6i 

Grundprincip  kennen  gelernt  hat,  so  darf  es 
nicht  befremden ,  dass  selbst  prosodisch  gebil- 
dete Sprachen  es  lieben,  ihre  Prosodie  zu  ver-, 
gessen,  und  die  Worte  zu  Bildung  accentirtep 
Pvliythmen  quaulitällos  zu  gebrauchen.  So  sind 
z.  B.  unsre  modernen  trochäischen  und  iambi- 
schen  Verse ,  grö^istentheils  bloss  accentirt  ge- 
dacht, und  selbst  der  feiuhörende  Dichter  braüclit 
die  Kürze  weniger  des  Maasses  wegen,  als  um 
die  Schwäche  des  Takttheiles  darzustellen.  Der 
Vers  z.  B. :  Bösen  auf  den  Weg  gestreut,  hat 
zwar  unbezweifelt  das  prosodische  Maas: 

und  würde,  als  quantitirender  Rhythmus  von 
der  Musik  im  Sechsachteltakt 

behandelt  werden  müssen;  allein  Dichter  und 
Leser  hören  ihn,  ohne  an  der  Quantität  Anstoss 
zu  nelimen,  als  accentirten  Vers,  und  singen 
ihn  unbedenklich  nach  der  bekannten  Melodie 
im  Viervierteltakt.  Durch  diese  Umwandlung 
der  Quantitälverschiedenheit  in  Accenlweehsel, 
nimmt  die  Verskunst  an  dem  Gebiet  accenlir- 
ter  Rliythmen  Theil,  welches  ihr  sonst  fremd, 
und  der  Musik  allein  überlassen  bleiben  müsste. 
Wie  eng  und  einseitig  muss  also  die  Ansicht 
der  alten  und  neuen  Musik  und  Verskunst  bei 
jenen  gelehrten  Metrikern  erscheinen,  die,  stall 
den  Gewinn  eines  neuen  Gebietes  für  die  Vers- 

11 


l6a  Allgemeiner  Theil. 

kunst,  den  kein  Verlust  früheres  Eigenthumes 
begieilet,  anzuerkennen,  die  Musik  lieber  auf 
den  kleinem  Theil  ihres  Gebietes,  den  sie  mit 
der  Yerskunst  zugleich  beherrscht,  beschränken 
möchten,  näraiich  auf  das,  der  quantitii'enden 
Gattungen  des  Rhythmus. 

i83. 

Es  wird  hier  der  Ort  seyn,  noch  einige  Irr- 
thünier  zu  berichtigen,  die  in  Ansehung  accen- 
tirter  Rhythmen  manche  Verwirrungen  in  den 
Theorien  hervorgebraciit  haben.    . 

Die  einseitige  und  empirische  Ansicht  des 
Rhythmus,  nach  welcher  er  in  dem  Verhältniss 
der  Längen  und  Kürzen  in  einer  Zeitreihe  be- 
stehn  soll,  hat  bei  m;;nchen  Theoretikern  die 
Meinung  hervorgebracht,  als  sei  in  Gesängen, 
deren  Töne  ohne  Unterschied  von  Längen  und 
Kürzen  in  gleichgemessenen  Zeiten  fortschreiten, 
kein  Rhythmus  zu  finden.  So  trifft  man,  um 
gleich  ein  Haupibeispiel  anzuführen,  bei  vielen 
Schriftstellern  die  Behau]  tung:  in  den  Kirchen- 
choralgesängen  sei  kein  Rhythmus,  weil  ihre 
Melodien  sich  in  gleichzeitigen  Theilen ,  ohne 
Unterschied  von  Längen  und  Kürzen  bewegen. 
Andre  gehen  in  ihren  Behauptungen  so  weit, 
dass  sie  in  den  Choralmtlodieen  weder  Rli^lh- 
mus  noch  Metrum  annehmen  wollen.  Auf  diese 
Weise,    sagen   sie,   unterscheide   sich   der    Cho- 


Accentirende    oder  quantitireiide  Rhythmen.  i63 

räl'^esang  vom  Mensural  -  oder  Figui'algesang,  in 
dem  Ouautitätverscliiedenlieit  Statt  findet,  und 
dem  sie  deswegen  Rhythmus  und  Metrum  zu- 
schreiben. Von  diesem  falschen  Gesichtspunkte 
sind  eine  grosse  Menge  Urtheile  über  den  Am- 
brosischen und  Gregorischen  Kirchengesang,  und 
über  die  alte  Musik,  besonders  der  Griechen, 
ausgegangen. 

i84. 
An- sich  betrachtet,  ist  es  keinem  Zweifel 
unterworfen,  dass  der  Pihythmus  in  seiner  Grund- 
form {da)  durch  den  Accent  bestimmt  werde. 
Allein,  auch  bloss  empirisch  angesehn,  ist  Rhyth- 
mus und  Metrum  in  den  Choi-almelodien  nicht 
zu  verkennen,  und  es  gehörte  die  Hartnäckig- 
keit einer  erlernten  Theorie  dazu,  um  beides  in 
ihnen  nicht  zu  finden.  Man  betrachte  zwei  ver- 
schiedene Choralmelodien,  z.  B. : 

d  1  d  d  I  d  d  I  d  d  I  ö 

Ach  Gott  vom  Himmel  sieh  dareiu 
und: 

dlddld 
O   Tramigkeit 

wodurch  unterscheiden  sie  sich  denn,  abgesehn 
vom  melodischen  Tonverhältniss,  als  durch  den 
verscliiedenen  Rhythmus ,  durch  ihre  verschie- 
dene Form   in  der  Zeit?    Koch    auffallender   ist 


jG4  Allgcm  e  i  ner  T  h  eil. 

es ,    wenn    man  Clioralmclodien  von  verscliletle- 
ner  Bewegung  mit  einander  vergleicht,  z.  B.: 

C2cia\6a6\dat^\dad\aa 

Lobet  den  Herren ,  deu  inächtigeu  König  der  Ehren 
und: 

dlddlddlddld 
Ich  hab'  mein  Sach'  Gott  heimgestellt 
Würden  diese  Melodien  nicht  als  E.hythmen  und 
im  Metrum  vernommen,  so  könnte  diese  ver- 
schiedene Bewegung  in  ihnen  gar  nicht  wahrge- 
nommen werden.  So  fest  aber  setzt  sich  eine, 
nicht  selbst  erkannte,  sondern  auf  Autorität  an- 
genommene Meinung  in  der  Theorie  fest,  dass 
man  lieber  an  seiner  eignen  Wahrnehmung  zwei- 
felt, ehe  man  dem  Zweifel  gegen  sanktionirte, 
und  oft  nachgesprochene  Meinungen  Raum  giebt. 

i85. 
Betrachtet  man  die  accentirenden  Rhythmen 
gegen  die  quantitirenden ,  so  ündel  man  bei  ei- 
nigen Gattungen  der  letztern  eine  analoge  Be- 
wegung mit  den  accentirenden,  bei  andern  aber 
hört  selbst  diese  analoge  Bewegung  auf. 

186. 

Es    täuscht   nämlich    der  Wechsel   von   stark 

und  schwach  in  einer  rhythmischen  Reihe  leicht 

mit  dem  Schein    eines   Wechsels   von   lang  und 

kurz,     und  so    entsteht  in  der  Bewegung  acceu- 


Accentirende  und  quantitirende  Rhythmen.  i65 

tirter  Rhythmen  die  erwähnte  Analogie  mit  quan- 
titirenden.      Z.  B.  in  der  Reihe: 

d     a     d     a     d     a     d     a 
hört  man  etwas  der  folgenden 

älinliches.     Eben  so  ist  die  Reihe: 
daa     daa     daa    daa 
der  daktylischen: 

•  •  «^  «    t'  4^  B    g.  ä^  0    c.  «^  « 
ähnlich,    die  zwischen  accentirten  und  quantitl- 
renden  Reihen  das  ISIittel  hält.     Glaubt  man  sie 
der  schweren  daktylischen  Reihe 

I  >  >  I  'S  >  i  ^  ^  I  >  > 

gm»    gm»    gg»    00» 

ähnlich ,  so  beruht  diese  Meinung  auf  einer 
neuen  Illusion,  indem  man  die  schweren  iDakty- 
len  von  den  leichten  nicht  unterscheidet,  und 
was  mau  von  den  leichten  als  richtig  fühlt,  auf 
die  schweren  überträgt,  welche  die  Theorie  al- 
lein nennt. 

187. 

Es  zeigt  sich  schon  hieraus,  dass  diese  Ana- 
logie nur  dann  Statt  findet,  wenn  der  quantiti- 
rende  Rhythmus  in  derselben  Ordnung  der  Mo- 
mente sich  bildet ,  also,  um  gleicli  den  gewöhn- 
lichen und  verständlichen  Ausdruck  zu  brau- 
chen, in  trochäischen  und  flüchtig  daktylischen 
Rhythmen.    Sobald  Momente  verschiedener  Ord- 


1 

0 
löG  Allgemeiner  Theil. 

nung  wechseln,  z.  B.  in  ionischen  Rhythmen 
(J.  ml  ^  »)">  liört  alle  Analogie  mit  den  acccn- 
tirenden  P\^hythmen  auf.  Der  quantitirende 
Khythmus  hat  zwar  noch  das  Princip  des  Ac- 
centes  in  der  Arsis  und  Thesis ,  auf  welchem 
aller  Rhythmus  beruhet,  allein  der  Wechsel  mit 
Momenten  in  verschiedenen  Ordnungen,  giebt 
ihm  einen  Charakter,  der  von  den  Rhythmen, 
welche  in  derselben  Ordnung  der  Momente 
wechseln,  ganz  verschieden  ist. 

188. 

Wo  nämlich  Momente  derselben  Ordnung 
den  Rhythmus  bilden,  da  wechselt  allezit  die 
Arsis  mit  einem  oder  zwei  thetischen  Theilen, 
und  der  Arsis  folgt  niemals  unmittelbar  eine 
zweite  Arsis.  In  dieser  Art  quantitirender  Rhyth- 
men findet  also  derselbe  Accentwechsel  stp.tt, 
wie  in  den  accentirenden  Rhythmen  selbst,  und 
dieses  begründet  jene  Analogie.  Wechselt  hin- 
gegen ein  Hauptmoment  mit  Momenten  der  fol- 
genden Ordnung,  so  treffen  zwei  Avses  unmit- 
telbar auf  einander,  wovon  die  zweite  zwar  eine 
Thesis  gegen  die  erste  Arsis ,  aber  eine  Arsis 
gegen  die  aus  ihr  entwickelte  Thesis  ist: 

j.    j  : 

Ars.   Thpfl, 

Arsia 

Thesi« 


Accentirende  und  (luantitirende  Rhythmen.  1C7 

Hicvdurcli  -wird  der  Wechsel  von  Arsis  und 
Thesis,  der  den  accentirenden  Rhytlimen  eigen 
ist,  unterbrochen,  und  mithin  jene  Aehniich- 
keit  gestört.  So  erhahen  diese  Art  Rhythmen 
einen  von  den  accentirten  ganz  verschiedenen 
Charakter ,  -sviewol  sie  ar.f  denselben  Principien 
beruhen,  welche  vom  Rhythmus  im  Allgemei- 
nen, vom  quautilirendeu ,  wie  vom  accentirten 
gelten. 

189. 
Aus  diesem  Verhältniss  beider  Gattungen 
von  Rhythmen  lässt  sich  ein  Grund  einsehen, 
warum  ein  grosser  Theil  der  antiken  Rhythmen 
von  den  Neuern  weder  Aernommen  noch  nach- 
gebildet worden  ist,  und  wai'um  die  Nachbil- 
dung, wo  sie  ja  unt^jrnommen  ward,  mehr  auf 
den  Schulgebrauch  beschränkt,  als  in  die  Poesie 
selbst  aufgenommen  wurde.  Man  erinnere  sich 
nur  z. '  B.  an  die  wunderlichen  Messungen  des 
galliambischen  Verses,  die  bei  Gelegenheit  des 
CaluUschen  Atys  an  den  Tag  gekommen  sind. 
Wer  kann  wol  in  dem  wunderlichen  Fussgewrr: 


>^         1  ««<'—         I         W>—         I         -m^  ^mt 


«.y  W       1       *.««.'  — 


das  einige  Erkliirer,  (z.  B.  Werthcs)  aufstellten, 
etwas  versöhnliches  finden,  und  wem,  der  den 
galliambischen  Gesang : 

ij>!:.\«s/ij.j.*/ij..\vij. 


iGS  Allgemeiner  Theil. 

oder  in  der  üblichsten  Art  Catuirs: 

Äl^M^'^ll   i]^n!I  !>>>>!  •: 
m^ &^  \  ^  j  00  I J.  j «^ ^  I  ^ 0  j  •  j  I ;. 

Super  alta   vectiis   Atys    celerfrate   maria 
Wie  erbebt  im  Glauz   die  Weinlaub';    a  Beseliger,   du  er- 
scheinst       Voss 

nur  einmal  vernommen  hat,  kann  es  einfallen, 
dieses  Metrum  so,  wie  z.  B.  Werthes,  zu  be- 
zeichnen ,  oder  gar  zu  behaupten ,  wie  andre 
Filologfcn ,  der  Dichter  habe  sich  an  kein  be- 
stimmtes Metrum  gebunden ,  sondern  sich  der 
Begeistrung  überlassen,  numeris  lege  solutis? 

190. 
Die  Neuern,  an  den  accentirten  Rhythmus, 
aus  spater  anzugebenden  Ursachen,  gewöhnt, 
vernahmen  zuerst  unter  den  antiken,  quantiti- 
renden  Versgattungen  diejenigen,  bei  welchen 
die  oben  erwähnte  Analogie  mit  den  accentirten 
Rliythmen  Statt  findet,  nämlich  die  trochäi- 
schen nebst  den  iambischen,  und  die  daktyli- 
schen, nebst  den  anapästischen ,  und  auch  diese 
vernahmen  sie  nicht  ihrer  Quantität  nach,  son- 
dern gleichsam  transponirt  aus  dem  quantitircn- 
den  in  den  accentirten  Rhytlimus.  iNur  wo  sie 
theoretisii'ten,  unterschieden  sie  als  lang  und 
kurz,  was  sie  in  Wahrheit  nur  als  stai'k  und 
schwach  (Hebung  und  'Senkung)  vernahmen. 
A  s  diesem  Grunde  blieben  ihnen  auch  die  deut- 
schen   «Spoudeen    unbekannt,    denn     sie    hnvtcu 


Accentirende  und  quantitirende  Rhj-thmen»        1G9 

ihre  tlietische  Länge  nur  als  Senkung,    und  be- 
haudt'lleu   sie  als  Trochäen,    was    sie   in    Anse- 
hung des  Accentes  wirklich  sind,    und  so  kann 
man  begi'eifen,  dass  sie  auch  in  den  alten  Spra-- 
fchen    die    Quaniilät    der    Sylben    nicht    hörten, 
sondern    nur   darum    wussten.      Für    die    zweite 
Klasse     quantitirender    Rhythmen     fehlte    ihnen 
jene  aneignende  Illusion,  sie  konnten  daher  diese 
Rhythmen  niemals  sinnlich  vernehmen,  so^^^rn 
sie  mussten  sich  begnügen,    theoretischer  Weise 
ihre  Regel  zu  finden  und  zu  lernen.      So  fielen 
diese    \ersgattangen    lediglich     der    Schule    an- 
iieim,    die    durch    Untersuchungen    dessen,     was 
ohne  sinnliches  Ergreifen  nicht  vernommen  wer- 
den kann,  das  nicht  Erkannte  auch  unkenntlich 
machte.       JNur   auf    diese    Art    vvar    e     möglich, 
dass    Vorstellungen    über    alte    Musik    Eingang 
finden     und   bewundert    werden    konnten ,     wie 
Isaak  Yossius,    Meibom,    Hermann    und   Andre 
der  Welt  vorgetragen  haben. 

Während  die  Gelehrten  über  alte  Musik 
stritten ,  hatte  die  neue  Musik  sich  längst  in 
Besitz  aller  Rhythmen  der  alten  Musik  (i~3) 
gesetzt.  Die  Gelehrten  aber,  nicht  ungleich  je- 
nen Patrioten,  die  den  lebenden  Euripides  vor 
der,  von  Mitbürgern  gefertigten  Büste  prüften, 
und  lür  unächt  erklärten,  verwarfen,  was  die 
neue  Musik  hören  liess ,  und  erhoben  ihr  Fan- 
tom taktloser  Musik,  das  dem,  sonst  verdientea 


170  All  gern  einer  Theil. 

Meibom  selbst  ziu*  Verzweiflung  brachte,  als  er 
es  aus  der  Schule,  vor  die  Königin  Christine 
in  die  Welt  treten  Hess.  So  gross  ist  aber  die 
Macht  der  Gewohnheit,  und  der  Bef|uemlich- 
keit ,  dass  man  lieber  vergisst,  was  man  besitzt, 
eh'  man  sich  enlschliesst,  es  auf  eine  ungewohnte 
Art  zu  gebrauchen. 

Von   der  VerschiedenKeit    der   Pihythmen. 

191. 
Wir  haben  schon  früher  den  Rhythmus  eine 
Zeitfigur  genannt,  und  dieses  mehr  im  ei- 
gentlichen, als  bloss  metaforischen  Sinn.  Wie 
Figuren  im  Räume  durch  wesentliche  Begrän- 
zung  der  räumlichen  Dimensionen  gebildet,  und 
durch  die  Verschiedenheit  dieser  Begränzung 
unterschieden  werden,  so  bildet  die  wcsentliclie 
Begränzung  der  Zeitdimension  den  Rhythmus, 
als  Zeitfigur,  und  die  Vei-schiedenheit  dieser 
Begränzung  wird  die  Verschiedenheit  der  Rhyth- 
men hervorbringen.  Diese  Begränzung  erscheint 
aber  als  wesentlich,  wenn  nicht  ein  blosser  Zeit- 
verlauf begTänzt  wird,  sondern  eine  Reihe  von 
Momenten,  in  deren  Evolution  schon  ein  inne- 
rer Grund  der  Begränzung  liegt.  Wir  bekom- 
men also  drei  verschiedene  Bestimmungspunkte 
des  Rhythmus  als  einer  Figur  in  der  Zeit,  näm- 
lich:   den    Anfang,    das    Ende,    und    die  Art 


Von  der  rhythmischen  Bewegung,  171 

der   Evolution,    oder   die  .  rhythmi  sehe    Be- 
wegung. 

Von  der  rhythmischen  Bewegung. 

192. 
In  den  verschiedenen  Formen  des  'Rhyth- 
mus, welche  wir  (120  his  172)  enlwickek  La- 
ben, ist  die  Verschiedenheit  der  Bewegung, 
durch  die  Art,  wie  sich  der  Rhythmus  metrisch 
evolvirt,  aufgefunden.  Die  ionische  Bewegung 
z.  B.  unterscheidet  sich  von  der  choriambischen, 
diese  von  der  trocliäischcn  u.  s.  f.  Wir  nen- 
nen diese  Formen  deswegen  rhythmische 
Formen ,  oder''  Formen  der  rhythmischen  Be- 
weguug,  weil  nämHch  in  ihnen  die  Verschie- 
denheit der  E.hythmen  in  Ansehung  ihrer  Be- 
wegung sich  zeigt. 

195. 
Diese  Verschiedenheit  der  Bewegung  nennen 
wir  rhytli misch,  wenn  sie  unter  verschiede- 
nen Formen  desselben  Metrum  sich  zeigt.  So 
ist  z.  B.  die  Bewegung  des  flüchtigen  louikers 
(^^•^•^•^)  ^'"^1  ^^^^  ^^^'  trochäischen  DIpodie 
(Jj'^J*^)  ihylhmisch  verschieden,  metriscli  hin- 
gegen sind  beide  sich  gleich.  Wir  nennen  da- 
gegen die  Bewegungen  metrisch  verschieden, 
wenn  sie  in  verschiedenem  Metrum  Statt  linden. 
So    ist    die    Bewegung    d<\s    schweren    Daktylus 


172  '  All;^  e  in  ei  n  er  Theil. 

(J  ^J')  von  der  des  Baccliius  (j.  JJ^)  metrisch 
verschieden,  rhythmisch  hingegen  sind  Leide 
sich  gleich.  Die  Bewegung  des  flüchtigen  Cho- 
riamhcn  (J^e^#^j. )  J'^t  "von  der,  des  schweren 
Daktylus  zugleich  rhythmisch  und  metrisch  ver- 
schieden. Aus  dieser  Gleichheit  und  Verschie- 
denheit erklärt  sich,  welche  Formen  mit  einan- 
der in  rhythmischen  oder  metrischen  Variatio- 
nen der  Verse  wechseln  können.  So  ist  z.  B. 
jeder  der  drei  folgenden  Verse: 

—     ■^     —     s^     >^       I       >^     — 

Sjlvarumque  virentiura 
Ahndungsvolle  Bekümmerniss 

]    N    1    >     I     >    ^     JS    ! 

•   •    •   0        I    «.  «r    0    • 
v 

Stille   ruht  auf  HLicel  und   Thal 


Feiergeläut  durchhaut  die  Flur 

eine  der  vielen  rhythmischen  Variationen  des 
glykonischen  Verses,  dessen  Grundthema  da« 
einfache 

—     <— '     —     s^       I       —      >i<     — 

Klageton  der  Nachtigall 


Von  der  r hyth'mischen  Bewegung.  1^5 

ist.     Metrische  Variation   findet  dagegen  in  fol- 


genden Versen  Statt: 


„      I      _    ^    ^      1      _    w    ^      I 


j  j^ ;  I  j .''  .N  j  j 


Schon  tönt  der  Gesang  in  dem  Haus  der  Vermälung 

.^  I  J.  J  ;  1  J.  .1  .N  J.  J  j"  I  J.  J  7 

In  rastloser  Arbeit  entfliehn  uns  die  Stunden 

deren  einer  denselben  Rhythmus  in  derselben 
Bewegung  nur  in  ein  andi'es  Metrum  trans- 
ponirt. 

194. 
Bei  aller  rhythmischen  und  metrischen  Ver- 
schiedenheit dieser  Formen,  bemerken  wir  doch 
etwas,  worin  sie  sich  insgesammt  gleich  sind. 
Sie  erfüllen  nämlich  alle  dasselbe  relative  Zeit- 
maass.  Dieser  Satz  scheint  beim  ersten  Anblick 
allerdings  etwas  paradox,  wenn  man  absolutes 
Zeitmaass  vom  relativen  nicht  sorgfältig  genug 
unterscheidet.  Deswegen  bedarf  es  einer  nä- 
hern Bestimmung. 

195. 
Alle  Momente  späterer  Ordnung  bringen 
keine  Vermeidung  der  Zeit  iii  das  Moment, 
aus  dem  sie  sich  entwickeln,  sondern  sie  be- 
stimmen durch  ilire  Zal  nur,  ob  jedes  von  ih- 
nen die  Hälfte  oder  den  dritten  Theil  von  dem 


1^4  A  llgemeiuer  Th  c  il. 

Zeitgelialte  ihres  Stammmomentes  haben  soll. 
Die  Hauptmomente  behalten  daher  dasselbe  Zeit- 
maass,  sie  mögen  sich  in  drei  oder  in  zwei  Mo- 
mente zerlegen,   mithin   ist  nicht  nur  die  Form 

•  7]  r^  §^"*^^i  ^^^'  ^^^'^  m  JT3t  und  umge- 
kehrt  dieser  j"^  J"J^»  sondern,  was  noth^vendig 
folgt,    die   Formen    TJ]    /J«   ^^^    /«  Ü   si"d , 
sich  rh^^misch  gleich,   Tvicwol   sie    im  Metrum* 
verschieden  sind. 

In  demselben  Verhäitniss ,  wie  die  spatern 
Momente  zu  ihrem  Stammmomenle,  stehn  nun 
die  Hauptmomente  zu  der  ursprünglichen  Ein- 
heit, welche  sich  i'hythmisirt,  d.  h.  in  Arsis 
und  Thesis  zerlegt.  Drei  Momente  oder  zwei 
Momente  mögen  sich  aus  diesen  evolviren,  im- 
mer repräsentiren  sie  dieselbe  Einheit,  und  ha- 
ben also,  wo  diese  Einheit  als  Maas  gilt,  das- 
selbe Maas.  Wir  nennen  dieses  Maas,  oder  die- 
ses Zeitganze ,  welches  entsteht,  indem  die  Ein- 
heit sich  rhythmisirt,  abgesehn  von  der  Zal  der 
entwickelten  Hauptmomente,  die  metrische 
Periode. 

196. 
Wir  wiederholen  nun  unsern  obigen  Salz 
(194)  bestimmter:  Alle  rhythmischen  Formen, 
welche  wir  metrisch  entwickelt  haben,  sind  sich 
darin  gleich ,  dass  jede  die  ganze  metrische  Pe- 
riode   austuUt.      Der  schwere   Daktylus    also    i^t 


Von  der  rhythmischen  Bewegung.  175 

in  seiner  metrisclien  Ausdehnung  der  trochäi- 
scheu  Dipodie,  oder  dem  Bacclnus  gleich,  und 
eben  so  auch  der  Tripodie,  denn  eins  wie  das 
andre  erfüllt  eine  metrische  Periode,  oder  mu- 
sikalisch ausgedrückt,  einen  Takt. 

Aus  diesen  Sätzen  läisst  sich  schon  im  Vor- 
aus begreifen  ,  warum  daktylische  Pihytlimen 
nach  Monopodien  (Füssen) ,  trochäische  nach 
Dipodien,  und  andre  nach  Tripodien  gemessen 
werden,  und  dass  diese  verschiedene  Messung 
der  Verse  zwar,  wie  Rufinus  (Putsch  2712.) 
sagt,  ein  „altes  Institut"  sey,  aber  keinesweges 
eine  willkürliche ,  sondern  in  der  Natur  des 
Rhythmus  und  des  Meti*uni  gegründete  Einrich- 
tung. 

In  sofern  jede  rhythmische  Form  eine  me- 
trische Periode  ausfüllt,  ist  sie  Form  dieser  Pe- 
riode ,  und  wir  werden  daher ,  wo  wir  in  die- 
ser Beziehung  von  ihr  sprechen,  sie  auch  die 
metrische  Form,  d.  h.  die  Form  der  metri- 
schen Periode  nennen.  Denn  Avir  werden  sehn, 
dass  rhythmische  Foi'men  auch  so  voikomuien 
können ,  dass  sie  nicht  zugleich  Formen  der 
metrischen  Periode  sind.  So  kann  z.  B.  die 
choriambische  Form  rhythmisch  vorkommen 
(z.  B.  im  Worlfuss),  wenn  die  metrische  Form 
der  flüchtige  loniker  ist: 


ijb  Allgemeiner  Theil. 

J.  .^  J^.N  J.  j\'^/l  J.N.M  J.J. 

Hallt  Flötengetön  lockender,  als  der  Ruf  des 

Schlachtliorns 

und  umgekehrt  ?<ann  die  ionische  Form  rhyth- 
misch vorkommen,  avo  der  Choriamb  metrische 
Form  ist : 

J^  .^  .'^  J.   I  .^  .!*  j^  J  /  I  J.  J- 

Lieblich  in  jungfräulicher  Schaam   arröthend 
Dieser   Unterschied ,     ob    eine    Form    an    einer 
Stelle  bloss   rhythmische,   oder    zugleich   metri- 
sche Form  sey,  wird  sich  in  der  Folge  als  sehr 
bedeutend  zeigen. 

198. 

Die  metrische  Periode  ist  also  ein  Maas.  So 
betrachteten  sie  auch  die  Griechen,  indem  sie 
den  Fuss,  oder  die  DIpodie,  nach  welcher  sie 
den  Vers  maassen,  fifr^ov,  und  den  Vers  selbst» 
nachdem  er  das  Maas  zweimal  oder  dreimal 
enthielt,  Dimeter,  Trimcter  u.  s.  w.  nannten. 
Sie  ist  aber  ein  Maas,  nicht  des  einfachen  Rhyth- 
mus in  seiner  Grundform,  sondern  des  zusam- 
mengesetzten Rhythmus,  der  das  Maas  der  Pe- 
riode überschreitet,  also  des  Verses,  mithin  ganz 
das,  was  in  der  Musik  der  Takt  ist  (iy6). 


Von  der  rhythmischen  B  e  w  f  g  u  n g.  \■J^ 

199- 
Wir    haben   hier   eine    erweiterte    Bedeutung^ 
des  Wortes  Metrum  gefunden,    welche  indessen 
ebenfalls     in     der     Allgemeinheit     des   BegritFcs-, 
Maas,    enthalten    ist.      Zuerst   bedeutet   Meti'um 
das  Yerhältnissmaas  der  Arsis  und  Thesis,    also 
die  Mora    {'/^opog,    atjftfiov ,    tempus,    Zeit),  v als, 
das    einfachste    Maas    der   rhythmischen  Grund- 
form.     So    wie   sich   die    rhythmische  Form  er-/ 
weitert,    indem   jedes  Hauptmoment  sich  wieder 
rhvthmisirt  (d.  i.  in  neue  Momente  zerlegt) ,    so 
wird    das    Hauptmoraent    selbst    zum   INlaas    der 
Periode,   als  F  u  s  s.       Daher    die  Periode  Mo- 
iiot)odie ,    Dipodie,    Tripodie   ist,    gleichwie    das 
einzelne  Moment   eine    Zeit,    zwei    Zeiten,    oder: 
drei  Zeiten  enthält.      Jetzt    finden   wir  in  noch- 
mals erweiterter  Ansicht    die    metrische  Periode 
selbst  als  Maas,  des  Verses  nlimlich,  der,  wie-, 
derum  als  Maas  eines  Gedichtes  betrachtet,  eben-, 
falls  Metrum  heisst,  z.  B.  das  epische,   saffivsche 
Metrum,    wo    überall    der   Begrifl'  Maas  in  foj't- 
währender  Erweiterung  zum  Grunde  liegt. 

Durch  diese  Darstellung  werden  die  Begriffe: 
Fuss  und  Metrum  hinlängliche  Bestimmtheit  er- 
halten haben.  Dass  auch  aus  diesem  BegrifT 
von  Metrum  der  Takt  in  jedem  Verse  nothwen- 
dig  folge,  wird  sich  schon  als  Vcrmulhung  hier 
aufdringen,  indem  ja  der  Takt  nichts  anders  ist, 
als    das    ursprüngliche,    dem  Bhythmus  wcscnt- 

12 


1^8  A 1 1  g  e  m  a  i  n  u  r  T  h  o  i  1. 

liclie  Proportionmaas    dei*  Grundform   in    seiner 
Erweiterung  auf  abgeleitete  Formen  bezogen. 

200. 

Indem  unsre  Untersuchung  hier  auf  dem 
Punkt  angelangt  ist ,  wo  der  Begriff  des  Taktes 
als  wesentliclier  Eigenheit  des  Verses  und  mu- 
sikalischer Melodie  uns  von  selbst  sich  darstellt, 
wird  es,  schon  in  historischer  Beziehung,  nÖ- 
thig  seyn,  zu  erwähnen,  welche  Vorstellung  die 
Gegner  unsrer  Meinung  vom  Takt  sich  machen. 

„Eine  unbefangene  Ansicht  der  allen  Metrik 
—  sagt  Hermann,  in  der  Allg.  Mus.  Zeit.  1809. 
N.  19.  —  leitet  uns  geradezu  auf  die  Behaup- 
tung, dass  die  alten  Versmaasse  mit  unserni 
Takte  nichts  zu  thun  haben.  Der  Takt  ist  an 
sich  kein  nothwendiger  Theil  des  musikalischen 
Rhythmus.  Er  ist  nur  ein  Mittel,  ohne  wel- 
ches die  jetzige  Musik  in  ihrer  Vollkommenheit 
nicht  bestehen  könnte.  Denn  da  in  ihr  nicht 
nur  eine  Note  mittelst  der  Theil ung  durch  Zwei 
in  vier  und  sechzig  Theile  getheilt  werden 
kann,''  (man  sieht,  Hr.  IL  ist  1809.  noch  so 
wenig  über  musikalische  Notenzeichen  und  de- 
ren Zerfällung  in  drei  Theile  im  Klaren,  als 
1799.,  wie  schon  (122)  bemerkt  worden  ist), 
„sondern  auch  nacli  einer  Theilung  durch  drei 
Triolen,  und  nach  andern  Theilungen,  andre 
Auflösungen  zulässt;  da  ferner  oft,  oder  fast  im- 


V  o  u  der  r  11  y  l  h  m  i  s  c  ii  e  11  li  e  \\  c  g  u  n  g.  i  -'y 

mer  mehrere  verschiedene  Khylhmen  neben  ein- 
ander herlaufen,  und  die  Menge  dersclLen  oft 
noch  gar  durch  die  Anzal  der  begleitenden  In- 
strumente vervielfältigt  wird , "  (hier  wird  die 
Unbekanntschaft  mit  der  Sache  zu  einiger  Dun- 
kelheit) ,,sü  ist  ein  einziger,  einfacher,  sich 
durcliaus  gleichbleibender  Khythmus,  welcher 
der  des  Taktes  ist.  unentbehrlich,  um  alle  jene 
mannichfalligen  Rhythmen  und  Veränderungen 
der  Rhythmen  zusammen  zu  halten.  Wo  aber 
nichts  zusammen  zu  halten  ist,  wozu  soll  da 
der  Takt?  dies  ist  aber  bei  den  Griechen  der 
Fall." 

IN'och  unbefangner  und  planer  spricht  Hr. 
Dr.  Gotthold  diese  Meinung  aus  (N.  Berl.  Mon. 
Sehr.  1809.  Jul.  S.  5i.  Anm.):  „Wie,  wenn  der 
Takt  sein  Entstehen  überhaupt  dem  Bedürfnisse 
verdankte,  mehrere  Stimmen  einer  Musik  "e- 
nau  unter  einander  zu  setzen,  und  mit  Leber- 
einslimmung  vorzutragen  ?  Der  |  Takt  z.  B.  in 
alten  kanonischen  Arbeiten  scheint  olt  nur  eine 
Abtheilung  für  das  Auge  zu  seyn ;  und  ein 
während  der  Aullührung  Hinzutretender  sollte 
wol  nicht  die  sogenannten  guten  und  schiechten 
Takttheile  von  einander  unterscheiden." 


201. 


Es    ist    eine    sonderbare    Erscheinung,    dass 
manche,  sonst  nicht  ungeübte,  öciiriilstelkr  zu- 


1  bu  A 1 1  j;  e  m  c  i  11  c  r  '1'  h  e  i  1. 

weilen  nicht  im  Stand  siiul,  ihre  Gedanken 
fortdauernd  und  unver\N endet  auf  den  Gegen- 
stand ihrer  Untersuchung  zu  ricliten,  ohne  mit- 
unter damit  auf  verwandte  Gegenstände,  oder 
auch  wol  Fanlome  ,  zu  schwanken.  Dieses  he- 
gegnet    auch  den  beiden  angeführten  Männern. 

Hr.  Gotthold  yerwechselt  offenbar  Takt,  d.  i. 
innres  cigenlhümliches  Maas  der  Melodie,  und 
Taktbezeichnung,  mit  einem  Worte,  den  Takt- 
strich. Sein  Beispiel  beweist  dieses.  Eben 
darum  hört  man  in  vielstimmigen  Sätzen  oft 
den  .Uten  und  schiechten  lakllheii  verschiede- 
ner Stimmen  /.usammea  treffen,  weil  jede  Stim- 
me ihren  besondern  innern  eignen  Takt  liat, 
unabhängig  von  den  neben  ihr  forllaufenden 
Stimmen,  deren  Mehrheit  also  nicht  erst  den 
Takt  (den  innern  jeder  Stimme)  als  ein  Postu- 
lat hervorruft,  sondern  nur  dem  Komponisten 
aullegt,  dass  er  die  Stimmen  nicht  taktwidrig, 
sondern  im  Yerhällniss  des,  ihnen  eigenthümli- 
chen ,  schon  vorhandenen  Taktes  verbinde.  In 
einer  solchen  Verbindung  berührt  allerdings 
sehr  oft  das  gute  Taktlheil  des  einen  Rhythmus 
das  schlechte  Taktlheil  eines  zugleich  tönenden, 
so  dass  ein  und  dieselbe  Zeit  für  einen  Rhyth- 
mus Arsis,  für  den  andern  Thesis  ist,  wie  die 
JN'atur  z.  B.  in  Zwillingkrystallbildungen  die- 
selbe Linie,  Seite  des  einen  und  Zuspitzung 
des    andern  Krystalls   seyn  lässt,    und  wie   der- 


't 


Von  der  rli3'th  m  is  c  hcn  Bewegung.  i'.h 

selbe  Ton  in  verschiedenen  Stimmen  versclne- 
dene  liarmonisclie  Beziehung  haben  kann.  Nacli 
Hrn.  Goühokrs  und  Ilermann's  Ansichten  aber 
würde  man  eben  so  wol  von  der  Harmonie  be- 
haupten können:  sie  sei  nicht  in  der  ÄNalur  der 
Töne  vorhanden  (oder  nach  liermann's  Wor- 
ten: „kein  wesentlicher  Theil  der  musikalischen 
Melodie") ,  sondern  danke  ihr  Entstehen  nur 
dem  Bedürfniss  der  Musiker ,  mehrstimmig  zu 
komponiren;  denn  der  Komponist  wirft  ja  die 
Töne  eben  so  wenig  gegen  die  Harmonie  unter 
einander,  als  die  B.hythmcn  ohne  Biicksicht  auf 
ihren  Takt. 

Der  Taktstrich  aber,  der  allerdings  in  viel- 
stimmigen nachahmenden  Sätzen,  nianche  Me- 
lodie mitten  in  ihrer  metrischen  Periode  schnei- 
det, z.  B. : 


m 


oder  in  zusammengesetztem  Rhythmus : 


^;d^=:^ 


— «■— *- 


dieser  ist  allerdings  erfuntlcn,  um  mehre  Stim- 
men unter  einander  setzen  und  übersehn ,  atK'h 
durch  den  Taktschlag  jede  Stimme  erinnern  zu 
können,  wo  die  andern  Stimmen  seyen,  ohuo 
dass  cImh  der  Taktscblag  und  der  Taktstrich  in 


i8a  _  A.llgc  inei  ner  Tlieil. 

jerler  Stimme  den  Anfang  und  das  Ende  ihrer 
wirklichen  metrischen  Periode  bezeici)in>n  miis.s. 

Den  Taktstricli  kannten  nun  die  (i riechen 
wol  sehAverlieh,  so  wenig  als  in  friiluni  Zeilen 
der  Schreibkunst  die  Inlerpunktionzeichen.  La- 
sen und  sprachen  sie  also  deswegen  wol  g<';>en 
den  Sinn,  den  wir  durch  diese  Zeichen  andeu- 
ten? Könnte  also  auch  sogar  historisch  erwie- 
sen werden,  dass  sie  den  Takt  nicht  kann- 
ten (d.  h.  doch  nichts  anders,  als,  dass  sie  von 
diesem  Maass  des  Rhythmus  keinen  hesoudern 
Begriff  sich  gebildet  huien,  so  wie  viele  ihre 
Muttersprache  richtig  sprechen,  ohne  ihi*e  Re- 
geln zu  wissen),  wüi'de  dai-aus  wol  folgen,  dass 
ihre  Melodien  keinen  Takt  hatten?  Gesetzt, 
die  Griechen  hätten  die  Harmonie  nicht  ge- 
kannt, ist  sie  deswegen  nicht  in  der  INatur  je- 
der Miisil^?  Dass  aber  der  Takt  so  wesentlich 
in  der  Natur^  des  Rhythmus  gegründet  ist,  wie 
Harmonie  im  Vei'häliniss  der  Töne ,  ist  in  den 
Abschnitten  vom  Rhythmus  und  vom  Metrum 
erwiesen. 

Liess'  aber  auch  sogar  sich  darthun ,  dass 
die  Griechen  ihi'e  Rhythmen  wirklich  anders, 
als  nach  dem  Takt  gemessen,  und  sogar  sich 
gegen  ein  gleichförmiges  Maas  darin  erklärt  hät- 
ten —  was  an  sich  nicht  dargethan  wei'den 
kann  —  so  würde  dennoch  daraus,  das<  sie  die 
"Natur     des    rhythmischen     Maasscs    verkannten, 


Von  der  r  h y  th m  is  c  h  e n  B  e  w  e  g u  n  g.  185 

nocli  nicht  folgen,  dass  in  den  Rhythmen  selbst, 
welche  sie  bildeten  und  hörten,  kein  Takt  ge- 
wesen sey ,  sondei'n  uui' ,  dass  ihre  Theoi-eliker 
durch  ihre  Bezeichnung  die  Gleichförmigkeit  des 
Maasses  störten.  Oder  sollte  wol  dai-aus,  dass 
Hermann  (M.  Zeit.  a.  a.  O.)  für  den  Klopstock- 
ischen  \ers: 

Nieder  zu  dem  Haine  der  Barden  senkt 
folgendes  Maas  angibt: 

J  .^  .'^  .M  J  .^^  J^  I  J  /  1  J 

und  dieses,  um  einen  Takt  darin  zu  haben,  auf 
diese  Ai't,  seiner  Meinung  nach,  laktmässig  ab- 
theilt : 

0  9     m     \    m     0m     l#     ••     l*7 
Nieder  zu  dem  Haine  der  Barden  senkt 

folgen  können,  dass  Klopstock  jenen  Vers  wirk- 
lich als  so  ein  rhythmisches  Ungeheuer  gedacht, 
oder  dass  der  Vers  an  sich  eine  solche  Unform 
sey,  da  doch  vielmehr  jeder  Leser  ihn  in  rich- 
tigem Takt  so: 

•  •   «^  »^  »^    I   #.    /^  •     \   ä  0    •• 
Nieder  zu  dem   Haine  der   Barden  senkt 
—     »»<>»<«,/      l_^^l_^l_ 

lieset  und  hört?  Eben  in  diesem  natürlichen 
Maas  hört  ihn  ohne  Zweifel  auch  selbst  Her- 
mann,  nur  dass  er  der  musikalisch -rhythmi- 
schen Orthografie  nicht  machtig  genug  ist,  um 
das  vieldeutige   unbestimmte   melrische  Schema/ 


i84  All  gern  einer  T  hei  1. 

das  er  gewohnt  ist,  riclitig  und  vevstanfilich,  so 
wie  er  es  wiikücli  hört,  in  musikalische  Zei- 
chen übei-zutragen. 

202. 

Jede  metrische  Periode  fängt  mit  der  Arsis 
an,  und  endet  mit  der  Thesis  des  Grundrhylh- 
mus ;  denn  sie  umfasst  die  ganze  Zeit,  die  aus 
der  Einheit  entsteht,  indem  sie  sich  zum  Rhyth- 
mus bildet.  Da  nun  jede  metrische  (197) 
Form  die  ganze  metrische  Periode  erfüllt,  so 
fängt  auch  jede  metrische  Form,  als  solche,  auf 
der  Arsis  an,  und  schlicsst  auf  der  Thesis.  Ei- 
nige Formen,  z.  B.  die  kretische,  choriambi- 
sche, und  vierte  päonischc ,  scheinen  davon 
Ausnahme  zu  machen,  indem  keine  Thesis  an 
ihrem  Schlüsse  hörbar  wird;  allein  diese  Aus- 
nahme ist  nur  scheinbar,  denn  metrisch  be- 
tracl.tet  ist  die  Thesis  vorhanden,  nur  dass  sie 
nicht  rhythmisch  vernommen  wird.  Die  Musik 
bezeichnet  die  Vollständigkeit  des  Taktes  jedes- 
mal durch  Punkte  oder  Pausen, 

die  zuweilen  auch  durch  den  Anfang  eines  fol- 
genden Rhythmus  (Auftakt)  ausgefüllt  werden, 
z.  Jö. :  _  ^   »^  —,  4^  I  —  */  — 

daher  wird  die  metrische  Bezeichnung,  welche 
rhythmische  Foi-men,    nicht  metrische,    zu  sou- 


Von  Punkten  und  Pausen.  i85 

dem  pflegt,  in  solchen  Füllen  vor  den  Auftakt 
gesetzt : 

V^«^_         I         w*      —      >d>       — 

Schattengebiet  der  Unterwelt 
was  zu  seltsamen  und  verwirrenden  Missver- 
ständnissen der  Metriker  Veranlassung  gegeben 
hat.  Da  Hermann  an  mehren  Orten  seiner 
Schriften  sicli  —  wie  es  scheint,  aus  Mangel  an 
Sachkenntniss  —  gegen  die  Punkte  und  Pausen 
erklärt ,  und  noch  in  der  eben  angeführten  Stelle, 
wo  er  den  Klopstockischen  Vers  beuvtheilt,  äus- 
sert: „es  finde  sich  kein  Rechtsgrund  auf,  Punkte 
und  Pausen  anzunehmen,"  so  wird  es  nöthlg 
seyn,  über  diesen  Gegenstand  einige  Worte  zu 
sagen. 

Von  Punkten  unrl  Pausen. 

205. 

Der  Punkt  an  einer  Note  bedeutet  bekannt- 
lich in  der  Musik  (Jj,  dass  der  so  bezeichnete 
Ton  nocli  um  die  Hälfte  länger  gehalten  wer- 
den soll,  als  die  Dauer  der  Note  selbst  es  ver- 
langt. Bei  dem  Viertel  gilt  er  daher  ein  Ach- 
tel, bei  dem  Achtel  ein  Sechzehntheil  u.  s.  w. 

Aus  dem,  was  oben  (i25)  und  bei  Gelegeu- 
hyit  der  von  Franchino  vorgeschlagenen  Noten- 
bezeichnuug  gesagt  worden  ist,  erhellt,  dass  m 
unserer  Notimmg  der  Punkt  an  der  Note  nicht 
allezeit     eine   Verlängerung    des    Tones    in    das 


i8G  Allgemeiner  Theil. 

fol^^ende  Moment,  (J  /  statt  J^/ j^)  anJeutel, 
sondern  dass  er  zuweilen  des  einmal  ein^^efühiten 
Systems  unsrer  Notirung  wegen,  der  Note  bei- 
geschi'ieben  werden  muss  ( j. ) ,  um  die  volle 
Zeitdauer  eines  Momentes  auszufüllen.  Unsre 
Notenzeichen  nämlich  deuten  einzig  die  Halbi- 
rung  an,  und  haben  deswegen  auch  alle  ihre 
Benennung  von  dergleichen  Theilung  durch 
Zwei  erhalten,  z.  B.  Viertel,  Achtel,  Sechzehn- 
theil u.  s.  f.  Wollen  wir  nun  die  Länge  des 
Tripeltaktes,  welche  drei  Zeiten  enthält,  so 
müssen  wir,  weil  wir  für  eine  solche  Dauer 
kein  besonderes  Zeichen ,  und  eben  so  wenig 
den  Franchino'schen  Taktschlüssel  haben,  uns 
mit  dem  Punkt  an  der  Note  helfen,  z.  B.  J_ 
9  e"  m''  Dieser  Punkt  ist  keine  willkührliche 
Verlängerung,  welche  die  Dauer  eines  Tones 
aus  einem  Momente  in  das  andre  hinübei'zieht, 
sondern  der  Punkt  bildet  mit  der  Note  ein 
selbstständiges  Moment,  das  wir  nur  iu  Er- 
mangelung eines  einfachen  Zeichens  mit  dem 
zusammengesetzten  der  punktirten  Note  bezeich- 
nen müssen.  Punklirte  Noten  dieser  Art,  wel- 
che im  ungeraden  Metrum  ein  dreigetheiltes 
Hauptmoment  bezeichnen : 

A  A  l  J. 

a  a  a     a  a  a  •••      i    d    ä 


Von  Punkten  und  Pausen.  187 

ekelten  also  in  metvisclier  Hinsicht  ganz  für  ein- 
fache. Es  ist  bemerkenswerth ,  wie  der  Metri- 
ker, indem  er  den  „falschen  Nebenbegrifien  aus 
der  Musik"  entgehen  will,  sich  selbst  durch" 
falsche  Begrifi'e  von  Musik  irre  leitet.  Hätte  ihn 
die  zufallige  Bezeichnung  des  dreigetheilleu  Mo- 
mentes durch  die  punktirte  Note  nicht  zurück- 
geschreckt, so  war  ihm  vielleicht  bei  der  Be- 
zeichnung Franchino's  das  wahre  Verhältniss 
des  ungeraden  und  gemischten  Metrum  nicht 
entgangen.  So  veranlasste  aber  das  Zufällige 
der  punktirten  Note  iu  der  musikalischen  Be- 
zeichnung das  ganze  Gewebe  von  li-rthtimern, 
das  unter  dem  JNamen  der  Hermann  sehen  Me- 
trik bekannt  ist. 

2o4. 
Willkührlich  ist  der  Punkt  an  der  Note  nur 
dann,    wenn    die    Note    ohne   Punkt    schon   das 
ganze  Moment  ausfüllt ,  z.  B. : 

J.   .'^  J  J 

Die  Willkührlichkeit  dieser  Punktirung  erhellt 
daraus,  dass  der  Gehalt  der  Note  mit  Eiuschluss 
des  Punktes ,  nicht  in  der  metrischen  Form 
selbst  enthalten  ist.  So  entsteht  z.  B.  das  punk- 
tirte Vierlei  in  dem  obigen  Beispiel  des  Vier- 
vierteltaktes nicht  in  einer  der  Formen  des 
geraden  Metrum,  sondern  durch  eine  willkür- 
liche,   d.  h.  metrisch  nicht  angedeutete  Verlan- 


i88  Allgem  einer  Tj»eij. 

gcvung  des  Tones  in  das  folgende  Moment.  Das 
Moment  seihst  erhält  auch  tiadurch  kchie  Ver- 
längerung, sondern  der  Ton  klingt  nur  unah- 
gesetzt  in  das  folgende  Moment  hinüber j  daher 
ist  der  Punkt  bloss  als  eine  Abbreviatur  der  Fi- 
gur J^J^ /■  zu  betrachten,  er  ist  mithin  mehr 
ein  musikalisches  (auf  den  Ton  sich  beziehen- 
des) Zeichen,  als  ein  eigentlich  metrisches.  Hin- 
gegen das  punklirte  Vierlel  in  folgender  Figur 
I      ^    >    ^ 

0.  e  a  » 
ist  in  der  metrischen  Form  des  ersten  Päon  an- 
gedeutet. Der  Punkt  ist  also  nicht  willkühr- 
lich,  sondern  vertritt  mit  der  Note  zusammen 
das  Zeichen  des  dreigethejiten  Momentes  in  Er- 
mangelung einer  einfachem  Bezeichnung. 

2o5. 
•  Die  willkürliche  Punktirung  einer  Note  enl- 
izieht  daher  der  folgenden  von  ihrem  wesentli- 
chen Gehalt  allezeit  so  viel,  als  auf  den  Punkt 
verwendet  wui'de.  Auf  ein  punktirtes  Viertel 
z.  R.  kann  zu  Erfüllung  des,  mit  dem  Punkte 
angefangenen  Momentes,  nur  der  Gehalt  eines 
Achtels  folgen: 

J.   J^  oder  J.  ^ 
Folgte  eine  Note  von  längerm  Gehalt,  so  würde 
das    Uebergreifen    des    Tones    in    tlas    folgende 
-Moment  nur  fortgesetzt ,  und  es  entständen  Syn- 
kopieen,    die  am  Ende  erst  die  Gleichheit  her- 


Von  Punkten  und  Pausen.  185 

stellen.  Die  wesentliche  Puiiktirung  einer  Note 
kann  dagegen  der  folgenden  an  ihrem  Gehalt 
nichts  entziehen,  denn  der  Punkt  führt  den 
Ton  nicht  in  das  folgende  Moment,  sondern, 
bloss  zum  Ende  des  von  der  Note  angefangenen 
Momentes;  daher  können  mehr  punktirle  No- 
ten dieser  Art  .auf  einander  folgen ,  ohne  dass 
Synkopieen  entstehen.  So  gewiss  bewährt  sich 
also  die  metrische  Verschiedenheit  dessen,  was 
selbst  unsre  musikalische  Bezeichnung  mit  dem- 
selben Zeichen,  der  punklirten  Note,  andeutet. 

206. 

Es  fragt  sich  nun,  in  wie  fern  die  Note  mit 
dem  Punkte  in  dem  Maas  eines  Verses  gebi-aucht 
werden  könne? 

Dass  die  wesentlich  punktirte  Note  (im  Tri- 
peltakt) als  Versmaas  gelte,  ist  aus  dem  eben 
Gesagten  klar.  Die  aus  der  Natur  des  Metrum 
abgeleiteten  Formen  enthalten  das  Maas,  wel- 
ches sie  bezeichnet  (die  dreizeitige  Länge) ,  und 
in  den  Wörtern  der  Sprache  (z.  B.  ausrufen, 
anbeten,  H  e  e  r  f  ü  h  r  e  r) ,  zeigt  sie  sich  unver- 
kennbar. Die  Zulassung  der  willkürlich  punklir- 
ten Noten  als  Versmaas,  möchte  dagegen  noch 
einigem  Zweifel  unterworfen  scyn. 

207. 
Ist    der   willkürliche   Punkt,    wie   (2o5)    er- 
wiesen worden,    nicht   ein  metrisches,    sondern 


juo  A 1 1  g  e  111  e  j  u  e  r  '1  h  e  i  1. 

ein  mtisikalischeü  Zcicheu,  wie  er  denn  auch 
hauptsäclillch  in  accentirlcn  Pvliythmen  vorkomml, 
die  dtr  Musik  vorzüglich  angehören,  so  findet  er 
bei  dem  absoluten  Maasse  des  Rhythmus  und  des 
Verses  allerdings  nicht  Statt;  nur  lasse  man 
sich  auch  hier  von  der  Aelinlicidteit  punklirler 
Noten  nicht  verleiten,  einen  Punkt  für  will- 
kürlich zu  halten ,  der  wesentlich,  d.  h.  in  den 
metrischen  Formen  gegründet  ist.  Dieses  ist 
der  Fall  hei  dem  flüchtigen  Daktylus  {J^  ^  J^), 
und    bei     dem     trochäischen     Päon     ( J^  J^  ^^  ^»5 

Es  ist  mehrmals  in  der  Ableitung  des  flüch- 
tigen Daktylus  gezeigt  worden,  dass  seine  Länge 
eine  unvollkommne  und  unbestimmte  sey,  die 
selbst  die  musikalische  Bezeichnung  nicht  mit 
voller  metrischer  Genauigkeit  bestimmt.  Denn 
sie  enthält  eigentlich  nicht  ^,  sondern  nur  f 
der  vollkommenen  zweizeitigen  Länge  (des  Vier- 
tels), wie  die  Entstellung: 

zeigt.  Die  Musik  bedient  sich  aber  in  ihren 
Zeichen  einer  metrischen  Ausgleichung  (Tem- 
peratur), um  Verwirrungen  zu  vermeiden,  und 
deswegen  müssen  wir  die  reine  metrische  Form 
des  flüchtigen  Daktylus,  in  welcher,  kein  Punkt 
ist,  durch  Einmischung  der  puuklirlen  JN ote  be- 
zeichnen. 


Von  Punkten  und  Pausen.  l'gi 

Dasselbe  findet  Statt  bei  dem  Päon,  den  wil- 
den trochäischen  nennen.  Er  entsteht  durch 
Zerlegung  des  kurzen  Momentes  im  Trocliäus, 
während  das  lange  sich  quantitirend ,  also  zur. 
trochäischen  Form  von  neuem  rhylhmisirt : 


—      W«      «-^      kW 


Die  oben  erwähnte  metrische  Temperatur,  wel- 
che die  Bezeichnung  des  flüchtigen  Daktylus 
ordnet,  macht  bei  diesem  Päon  ebenfalls  die 
Bezeichnung 

nöthig,  welche  aber  nicht  eine  willkürliche 
Verlängung  der  ersten  ]N  ote ,  sondern  nur  ihr 
Quantilätübcrgewicht  gegen  die  zweite  ausdrückt, 
das  in  der  metrischen  Form  gegründet  ist.  Wir 
wenden  also  in  diesen  beiden  Fällen  ein  musi- 
kalisclies  Zeichen  zu  Bezeichnung  eines  ähnli- 
chen metrischen  Verhältnisses  an,  weil  uns  ein 
eigenlhümliches  Zeichen  mangelt,  itnd  so  be- 
dienen wir  uns  der  punktirten  Noten  in  den 
Formen  j^  ,^  *"  und  j^  J^  J^  ^^  mit  demselben 
Recht,  als  bei  der  Bezeichnung  der  dreizeitigen 
Längen  (J. )  in  andern  metrischen  Formen. 

208. 

Als  Bestätigung  dieser  Sätze  dient  die  Spra- 
che selbst,    Avelche    in  llüchti!?  daktvlischen   und 


iga  Allgemeiner  T  h  e  i  1. 

päouischen  Wortfüssen,  das  angegebene  Maas  die- 
ser I^oi'men  hören  lässt.  Die  Daktylen:  Flüch- 
tiger, Lilie,  spricht  niemand  anders,  als  in 
diesem  Maas :  j^  ^  ,]^.  Eben  so  spricht  jeder  den 
trochäischen  Päoil :  Feierlicher,  in  dem  ange- 
gebenen Maasse  :  J^  ^  ^^  ,^5^ ,  es  war  denn,  dass  er 
in  bloss  accentirten  Rhythmen  vorkam,  wo  er 
ebenfalls  bloss  accenlirt,  z.  L. : 

in   der  schauerlichen   Stille 

feierlicher  Mitternacht 
ausgesprochen    würde.      Anders   im   cjuantitiren- 
den  Vers: 

^^l   ^Ä^5»l  '^^^J^l^l  >iJ^{^!i 

f  r  '  ' 

^   ^         I         _»*.W-'         I  —       ^       K^    ^         I         —       ^       s^    ^         1      — 

Da  ertönten  Melodieen ,    und   die   Liebliche  versank 
mit   den  tanzenden  Gespielen  in  das  silberne  Gewog 
Dass  dieser  trochäische  Päon  sich  auch  im  Spre- 
chen   von    dem    ersten   Päon    (J    J^  J^  J    Iws^^w 
göttlichere)  unterscheide,    zeigt  sich  leicht  iu 
der  Vergleichung. 

209. 

In  andern,  als  den  angegebenen  Rhythmen, 
die  punktirte  Note  zu  Messung  der  Verse  anzu- 
wenden, gränzt  nah'  an  WiHkühr.  Deswegen 
ist  auch  Voss'  Messung  trochäischer 


V  o  11  P  u  11  k  t  e  n  u  ii  d  P  a  u  s  e  n. 


Uj3 


I     >    I   J    !     I     >  I    j 

#.      #       0     s       i       m-     0    0      0 
Eürgtrwohlfahrt  sann  er  rastlos 

und  iambisclier  \erse: 

J  I  J.  jN  J  IJ.  J'^  J  J  I  J.  .^^  J 

Arbeite  mutvoll ,  Trage  flieht  Glückseligkeit 
welche  er  durch  Punklirung  hewcrksteliigt,  nicht 
zu  billigen.  Der  Musiker  kann  allerdings,  durch 
die  schon  erwähnte  Kraft  der  Musik,  die  proso- 
dische  Quantität  aufzuheben,  dergleichen  Verse 
nach  diesem  Maas  komponiren,  indem  er  sie 
aus  dem  quantitirendcn  Pvhythmus  auf  den  ac- 
centirten  zurückführt ,  allein  für  den  quantiti- 
renden  Rhythmus  des  Verses  selbst  ist  jene  Mes- 
sung untauglich.  Auch  hier  irrt  also  Hr.  Dir. 
Gotthold  (S.  09),  wenn  er  glaubt,  diese  Theo- 
rie löse  die  Aufgabe,  wie  wir  Neuem  Gedichte 
in  antiken  Versen  in  Musik  setzen  können.  Ge- 
rade umgekehrt!  Sie  zeigt  den  wahren  Rhyth- 
mus alter  Verse  ganz  abgesehn  von  musikali- 
scher Behandlung.  Der  Musiker  kann  den  tro- 
chäischen Rhythmus  auf  die  von  Voss  angege- 
bene Art  behandeln;  aber  der  wahre  trochäi- 
sclie  Rhythmus  und  das  trochäische  Metrum  ist 
es  dann  nicht,  sondern  eine  Transposition  in 
das  accentirle  Metrum 

J  J  J  J I J  J  J  J 

mit  Verstärkung   des  trochäischen  Charakters  in 
der  Bewegung,  durch  den  Punkt: 

J.  .N  J IJ.  .N  J 


]o4  All^e  nie  i  II  er   1' h  e  j  1. 

So  verwandelt  aucli  die  Musik  den  Irochäischeji 
Piiou  in  den  accentirten  Ditrochäus ,  der  quan- 
litireud  ein  Proceleusmatikus  ist ,    z.  B. : 

j  .^  ;^  i  j  .^  jM  j  .^ ;  N 

Seht  wiV   d'?m   Mai  tlle   Natur   sich   verjungt. 

Fröhlicher   Gesang  u.   s.  -w. 

Voss   u.    Reichardt. 

WO  dieser  Päon  ohne  allen  Zwang  die  Zeit  ei- 
nes schweren  Daktylus  vertritt,  dessen  Stelle  er 
einnimmt.  Wer  wollte  wol  eine  solche  musi- 
kalische B/^handiung  tadeJn?  Gleichwol  ist  die 
musikalische  Messung  vonVlem  eigentlichen  Maas 
des  Yersrhythmus  verschieden.  Der  (208)  an- 
geführte trochäisch -päonische  \ers  wüi'de  von 
der  Musik  als  ein  leichter  trochäischer  Tetra- 
mcter 

_<M  —  w     I     _.*/  —  w     I      — s.*—  te*     1     —  <^  — 
und   die  Weberin  der  Fluten  in  dem  muschlichen  Gezelt 
der  seine  Längen  nur  accentirt,  ungefähr  wie 

kf'/f  de  av  nara  nod'cc  vfolviu  f^nlea 
behandelt   werden   können,    aber  mit  einer  ein- 
zigen Zusammenziehung,  z.  B. : 

.M ."  j5 ;!  .ij  I  .^'*  .f*  .M  .^^'!  ."*  i  w 
u 

wirkt  Teppiche  dem  Lager,   das    die  Liebenden   rereint 
ist  die  Täuschung    aufgehoben,    und   der  quan- 
tilirende    Rhythmus    tritt    vor.      Dann    verlangt 
der    accenlirende    Leser    wirket    statt    wirkt. 


Von  Punkten  und  Pausen.  iq5 

das  den  quantitirenden  befriedigt.  Wir  glauben 
hierdurch  zugleich  gezeigt  zu  haben,  wie  ent- 
fernt unsre  Theorie  von  der  Einmischung  mu- 
sikalischer Eigenheiten  in  das  Maas  des  Rhyth- 
mus an  sich  sey. 

210. 

Pausen  hat  man  zu  betrachten  als  ideelle 
metrische  Momente,  d.  h.  als  Ausfüllungen  der 
metrisclien  Reihe ,  die  dem  äussern  Sinn  nicht 
zur   Erscheinung  kommen. 

Schon  der  Begrilf  von  Pausen  als  etwas  Ideel- 
lem im  Gegensatz  eines  Reellen  zeigt,  dass  sie 
dem  reinen  Begriff  des  Metrum  und  des  Rhyth- 
mus fremd  sind.  Erst  wenn  der  Rhythmus  zur 
Erscheinung  kommt,  z.  B.  in  Tönen,  lässt  sich 
unterscheiden,  ob  alle  metrische  Momente  wirk- 
lich (in  Klängen,  Sylben  u.  s.  f.)  erscheinen, 
oder  nicht.  Vorhanden  sind  alle  Momente  in 
der  metrischen  Reihe,  z.  B. : 

.^ .f!  .N\'>  J^  I  J ."  1 ."  \  i ." i  i"  I  J.Nr 

Als  er  dem  lieblichen  Rosenmund   sieghaft   den  Ersllini^ku.s« 

geraubt 

Nun  setze  man  aber  den  Fall,  dass  der  Rhyth- 
mus nicht  alle  diese  Momente  zu  seinem  Er- 
scheinen brauchte,  z.  B.: 

j'^ .1* .^^^'^  I  JrijNJjNj'^IJ.Nr 

Als    von    dem   blühenden   Mund  er   kiiJin    den  ErsLlingknss 

geraubt 


ig6  Allgemehiei-  Tlicil. 

SO  "Werden  die  scliweig-ciidrn  Momente  durch 
Pausen  ausgefüllt,  -welclie,  so  gut  als  die  Noten, 
rhythmische  Momente  sind,  nur  ideelle,  ehen 
weil  sie  nicht  reell  erscheinen,  sondern  bloss  in 
der  meti"ischen  Reihe  (die  in  Beziehung  auf  den 
wirklich  erscheinenden  Khythmus  ideell  ist), 
vorhanden  sind.  Die  Pausen  gehören  mithin 
nicht  unsrer  neuei'n  Musik  an,  sie  sind  viel- 
mehr ganz  in  der  Natur  des  Metrum  und  in 
der  Totalität  metiüscher  Reihen  gegründet.  Nur 
unterscheide  mau  wohl  rhythmische  und  metri- 
sche Reihe.  Innerhalb  der  rhythmischen  Reihe 
kann  keine  Pause  vorkommen,  *)  allerdings 
aber  zwischen  zwei  Rhythmen  in  der  metrischen , 
Reihe,  welche  sie  verbindet,  wie  das  obige  Bei- 
spiel zeigt. 

211. 

Sind   die  Pausen  aus  der  Natur  des  erschei- 
nenden Rhythmus  erwiesen,  so  sind  sie  auch  in 


*)   Dass  die  Pausen ,  z.  B. 

nur  abgestossene  Klänge  bezeichnen ,  ujid  also  die 
rhythmische  Reihe  nicht  unterbrcclien ,  hört  Jeder. 
Sie  sind  ebenfalls  keine  Erfindung  der  neuen  Mu- 
sik ,  und  wurden  in  alten  Zeiten  anders  als  durch 
Pausen  bezeichnet.  Die  aUen  Blusiker  nannten  diese 
Art  des  Vortrags  Ochelus,   oder  Hochctus,   Ifoijuetus. 


Von  Punkten  und  Pansen.  197 

der  Messung  der  Verse  anzuwenden,  z.  B.  am 
Ende  von  Versen,  deren  Rhythmus  nicht  die 
ganze  letzte  metrische  Periode  ausfüllt,  wie  eben- 
falls das  vorige  Beispiel  zeigt,  oder  auch  in  dtn- 
Mitte  des  Verses,  wenn  eine  rhythmische  Reihe 
mit  einer  kurzen ,  statt  der  langen  Sylbe  sehlicsst, 
z.  B.: 

e.  »^  o    e.  »^  6    c    7  «     1  •  «    0.  m^  ä    »4 
Omnia  vinciL  amor ,    et  nos   cedamus   amorl 
Folge   dein   Glücklicheren,    Glück   spenden   die   seligen 

Götter 

wie  noch  deutlicher  in  dem  Abschnitt  von  dem 
Maas  der  letzten  Sylbe  in  rhythmischen  Rei- 
hen, gezeigt  werden  wird. 

21 2w, 

Diese  ISalnr  der  Pause  setzt  es  schon  ausser 
Zweifel ,  dass  auch  die  Griechen  sie  gekannt  ha- 
ben, war  uns  auch  historisch  noch  weniger  da- 
von bekannt,  als  wirklich  der  Fall  ist.  Die 
\  olikonnucnheit  solcher  Bezeichnungen  entsteht, 
wie  die  Geschichte  der  Musik  lelu-t,  sehr  ^pät, 
und  erst  nach  manchen  vergeblichen  Versuchen. 
Wir  haben  oft  bemerkt,  dass  es  selbst  nnsrcr 
Notirung,  die  doch  zu  Aufzeichnung  grosser 
musikalischer  Werke  hinreichend  ist,  noch  an 
vollkommener  Bestimmtheit  fehlt,  und  ein  Isaak 
Vossius,  Meibom,  oder  Hermann  künftiger  Zeit, 
würde    nach    einem    Zeitalter  von    Barbarei    aus 


igS  AHg  emejner  Theil. 

uiisrer  Notlrung  so  wimderliclie  Sätze  über  un- 
sre  Musik  heran sklügeln  (z.  B.  von  Takten,  die 
Lloss  drei  Achtel  eines  Taktes  enthalten  haben), 
als  mau  uns  jetzt  von  der  Musik  der  Griechen 
vorträgt  und  bewundern  lässt.  Dass  die  Grie- 
chen zweierlei  Pausen  kannten ,  die  einfache 
(Af^jMjM«  und  die  doppelle  n^oa-&eGig)  bestätigt 
Arislides  (Ed.  Meib.  S.  4o.).  Die  genaue  Mes- 
sung dieser  Pausen  möchte  aber  nicht  leicht 
aufzufinden  seyn;  vielleicht  hing  sie,  so  wie  die 
Messung  der  Länge  im  Yers,  von  der  Stelle  ab, 
welche  sie  im  Rhythmus  einnahm.  Warum  Her- 
mann diese  deutliche  Stelle  des  Arislides  igno- 
rirt,  wo  er  allen  Pausen  den  Rechtsgrund  ab- 
spricht, ist  nicht  einzusehn. 

Vom  Schlüsse  der  Rhythmen. 

2l3. 

Wir  haben  bis  jetzt  die  erste  Seite  der  rhyth- 
mischen Figur  betrachtet,  nämlich  die  Bewe- 
gung. Es  bleibt  uns  noch  übrig,  die  Verschie- 
denheiten des  Schlusses  und  des  Aufauges 
zu  betrachten. 

2l4. 
Die  metrischen  Formen  zeigen  uns  hier  eben- 
falls   die    Verschiedenheiten    an;    denn,    wiewol 
sie,  metrisch  betrachtet,    alle    die  ganze  Periode 
erfüllen,    so  schliessen  sie  doch,    als  Rliythraen, 


V  o  tu  Ö  c  h  1  u  s  s  ©  der  R  h  y  t  lim  e  n.  1 99 

Lald  auf  diesem,  bald  auf  jenem  Moment  der 
Periode.  So  scliliesst  der  Choriamb ,  wo  er  me- 
trische Form  ist,  auf  der  Arsis  des  zweiten 
Hauptmomentes, 

Nebelgewölk 
und   für    den  Rhyllimus    des    Choriamben  ist  es 
gleichglihig,     ob    dieses    zweite    Moment    seine 
Thesis  reell  erscheinen  lässt,  z.  B. : 

Nebelgewölk  verhüllt 
oder  nur  ideell,  im  Punkt  oder  Pause,  wie  das 
vorige  Beispiel  zeigt.     Dagegen  schliesst  der  Iro- 
chaischc  lihythmus 

j  ;  j ; 

Morgenröthe 

als  metrische  Form,  auf  der  Thesis  des  zweiten 
Hauptmomentes,  und  so  sind  beide  Rhythmen, 
bei  gleichem  Metrum,  doch  in  Ansehung  des 
Schlusses  verschieden, 

2l5. 
Die  Verschiedenheit  des  rhythmischen  Schlus- 
ses   beruht,    wie    schon   diese    Beispiele   zeigen, 
auf  der  Verschiedenheit  der  metrischen  Momente, 


200  Allgemeiner  Tlieil. 

in  welche  tlcr  Sciiluss  des  Rhythmus  fallt.  So 
viel  Momente  ei'Ster  und  zweiter  Ordnung  die 
Periode  eines  Metrum  hat,  so  vielerlei  rhyth- 
mische Schlüsse  werden  in  diesem  Metrum  vor- 
kommen können. 

Je  nachdem  nun  das  Moment,  welches  ei- 
nen Rhythmus  schliefest,  eine  Arsis  ist,  oder 
eine  Thesis ,  oder  das  letzte  von  dreien  ( im 
Tribrachys  oder  Daktylus),  werden  wir  den 
Schluss  den  arsischcn,  den  ihetischen, 
(>der  im  dritten  Fall  den  schwebenden  nen- 
nen.    Arsisch  ist  z.  B.  der  choriambische  Schluss: 


>     ^     >     ! 
Morgengestirn 
thelisch  ist  der  trochäische: 


•1     >    J    J^ 

c       «        tf      • 

Morgenröthe 
Schwebend  der  flüchtig  daktylische: 

N  ^  >  ^  N  % 

s.  m^  m    f .  «^  « 

Flaramengewallige 

Man  hat  den  flüchtig  daktylischen  Schluss  nicht 
ohne  Sinn  schwebend  genannt;  denn  die  letzte 
Sylbe  dieses  Daktylus  schwebt  wirklich,  wie 
oft  erwähnt  worrleu  ist.  zwischen  arsischem  und 
rl I et i sei I cm  Chava ktcr. 


Vom  Schlüsse  der  Rhythmen.  2*1 

216. 

In  acceutirten  Rhythmen  begnügen  Avii*  uns 
hekamillich  mit  dieser  Eintheilung.  Den  ar- 
sischen  Schluss  hat  man  auch  den  steigenden, 
oder  den  männhchen  genannt: 

O   schmücke  dich,    du   grünbelaubtes  Dach!        Schiller 
Die    Italiäucr    nennen    Verse,    welche     steigend 
schliessen,  versi  trouchi,  gleichsam  als  mau- 
gelte ihnen  etwas,    nämlich  die  Thesis. 

Den  thetischen  Schluss  nennt  man  in  accen- 
tirlen  Versen  auch  den  fallenden,  oder,  viel- 
leicht seiner  Weichheit  wegen,  den-  weibli- 
chen: 

Und  scherzt  und  spielt  um  ihre  Rosenwangen      Ders. 
Diese  \erse  nennen  die  Italiäuer  versi  piani. 

Den  schwebenden  Schluss  bezeichnet  man 
auch   in   accentirten  \ersen  mit  diesem  JNamcn: 

Lieblicher  tönende, 
Wälderverschöuende. 

Die    Italiäner   nennen   sie    versi    sdruccioli. 

Dieser  Scliluss  vertritt  bei  ihnen  auch  die  Stelle 

des  fallenden ,  und  steht  unter  diesen  vermischt 

in  demselben  Gedicht,  %.  B.: 

Quando   procuro   a'  miei  ma^gior   tristizia.      Dante 

was  wol  auch  im  Deutschen ,  z.  B. : 

Euch  lohn'   ein  Kranz   hells^rüner   Petersilie.      Voss 
So   triiiniHit,   erliegend   noch,   Ilispauia.      Schlegel 

doch  nicht  leicht  mit  Endungen,  die  keine  Zu- 

samnien/.icliiinir  gcj-JalU-u ,   wie: 


J02  A 1 1  ^  « in  e  I II  e  r  T  h  e  i  1. 

Als    rings   umher  Thalgrund  und   Fels   orzilterte 
vorkommen  wird.      In   alten    deutschen  (iedicli- 
ten    ist    dieser    Ausgang    statt    des    zweisilbigen 
nicht  selten,  z.  B. : 

Sie  war   ihm   das  unwehrende 
iu  Wolframs  Titurel. 

In  quantitirenden  Pihythmen  dagegen  kön- 
nen wir  uns  mit  di<;ser  Abtheilung  nicht  be- 
gnügen; denn  die  Schlüsse  sind  verschieden, 
nachdem  sie  auf  einem  Moment  erster,  oder 
zweiter  Ordnung  stehen,  und  über  dieses  macht 
die  Verschiedenheit  des  Metrum  noch  manchen 
Unterschied.  Wir  müssen  daher  die  rhythmi- 
schen Schlüsse  im  Einzelnen  nach  diesen  ver- 
schiedenen Bestimmungen  betrachten. 

2l8. 

1.  Arsische  Schlüsse.     Diese  fallen 

a.  im  geraden  oder  sponJeischen  Metrum 
(/.  auf  die  Hau2)tarsis.     Z.  B.: 

-        ^        ^  I  _        S^        w.  1  _ 

4im\4*G\d 
Hoch   in  die  Luft   sich   erhob 

ß  auf  die  Arsis  des  zweiten  Momentes: 

<^       -^       S^       ^  I  ^        ^       w» 

^   N  N    N  I     N   >   N 
•    •    •     «      \    9    »    m 

vioXvrn       nehu 
O  wie   si(h   am   Horizont      s 


Vom  Schluss  der  Rhytiimen.  so5 

219. 

b.  Im  gemischten  Metrum: 

«  Auf  die  Hauptarsis 

Lobgesang   erschallt 

{i  Auf  die  Arsis  des  zweiten  Momentes 

—  >p»  — 

Jagdgesang 

220. 

c.  Im  molossischen  Meti-um: 

a  auf  die  Hauptarsis 

Wehklag'  in  der  Luft. 
ß  auf  der  Arsis  des  zweiten  Momentes: 

f  '  f 

!    I    ^    ^  1   >  >   > 

ä    ä   0    m     \  0    0     0 
Tod  fand  in   dem   Labirinth 

y  auf  der  Arsis  des  dritten  Momentes : 

—  —  «-/w    I    —  »^M^»rf 

0     0  0     0      \     4  0    m     0 
Andrang   die  gewaltigere 


id4  A  1 1  ij  e  ra  c  i  n  e  r  T  h  e  i  I. 

22  ] . 
d.  Im  tripodischcn  Metrum: 
a  auf  der  Hauptarsis 

m.  Jr  •    0  •  «^  «    a.  4^  0    I    0. 
hallt  dithyrambischer  Jubelgesang 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  die  Gattung 
des  Gedichtes  beslimmen  muss,  ob  ein  solchex* 
Vers  diese,  oder  die  dipodische  Messung 

habe. 

ß  auf  der  Arsis  des  zweiten  Momentes: 


I  j^  I  ^  I   ^  I    i  >  I 


Ueberall  von  Feindesuiacht  bedrängt 
y  auf  der  Arsis  des  dritten  Momentes: 

d  m    »   »    e  ^ 
schraerzenvoU  geliebt. 

'  222. 

c.  Im   ungeraden  Metrum ,    wozu    besonders 
das     parapäonische,     oder    trochäisch- 
päonische  gehört,  kommen  folgende  ar- 
sische  Schlüsse  vor: 
a  auf  der  ersten  Arsis 

^  Ä  5>  i^  i  > 

J.  ^  e"  J^    I  «J 
schaucrlichp    Gruft 


Vom  Schlüsse  der  Rhythmen. 
ß  auf  der  zweiten  Arsis 

—      w     .w^     »<       I       —      W     W 

«.  «^  e^  e^    I    ».  a    ®    7 

zagte   die  Erröthende, 

223. 

2.  Thetisclie  Schlüsse.     Sie  fallen: 

a.  im  geraden  (spondeisclien)  Metrum: 
«  auf  die  Hauptthesis 


J    '^  j^   I     I     1 
«   0    «1      I    c    • 

blüht   Paradieslust 


|ff  auf  die  Thesis   des  ersten  Momentes: 

_    w    w     I     ^    ^ 

j  ^  ^  I  >  > 

Peinigerinnen 
y  auf  die  Tliesis  des  zweiten  Momentes; 

Af/f  d";  ai»  xttTu  Tcoda 

224. 

6.  Im  gemischten  Metrum: 
«  auf  die   Hauj)lthesis 

_  ^  _  w    I    _  - 

Silberhell   im    Moadslaii;- 


2ü(>  Allgemeiner  Thcil. 

Dieser  rliytlimische  Schliiss  war  bisher  von  dei^ 
Theorien  verkannt  Avorden,  so  wie  die  spon- 
deische  Form  des  gemischten  Metrum  (129)  über- 
haupt. Man  verwechselte  ihn,  durch  die  fal- 
sche Ansicht  der  Unbestimmtheit  in  der  End- 
sylbe  verleitet,  mit  dem  folgenden  Scliluss,  von 
dem  er,  wie  das  ^Maas  zeigt,  ganz  verschie- 
den ist. 

ß  auf  die  Thesis  des  ersten  Momentes: 

J  jN  ;  I  J  /  ?  ' 

Göttermacht   der  Liebe 
Dieser  Schluss  wird  selten  am  Ende  eines  Ver- 
ses vorkommen,   öfter  in  der  Mitte.    Z.  B. : 

^      1      _. ■^      I       -     ^     ■)     -     -^      I      _    w,- 

•  q>Q0Vi]f.iC(TO}v  ineOTiv,   fv&vvog  ßocQVS      Aeschylus. 
Auch  seiger   Himmelsgötter  glanzumwogtes  Reich 

/  auf  die  Thesis   des    zweiten  Momentes: 

J  .N  J 

Morgenröthe 
WO    d^er   Rhythmus    die    ganze    metrische   Form 
ausfüllt. 

225. 

c.  Im  molossischcn  Metrum: 
«  auf  der  Hauptthesis 

,| ^i 

>   "^   I     I     I    /"^    >  I     '    ' 


Vom  Schlüsse  der  Rhythmen.  20- 

Liparei   nitor   Hebri 
wo   das  Land  Raub  der   Gewalt  ward. 
ß  auf  clev  Thesis  des  ersten  Momentes: 

und  die   Schicksalsgöttinnen 
y  auf  der  Thesis   des  zweiten  Momentes: 

^    w     I     _    w    ^ 

1    i     >    >  I     i    >  ,> 
4mm     m    \    •  m    m 

Anstürmt   der   Gewaltige. 
Auch    dieser   rhythmische   Schluss   wird  leicht»  r 
in  der  Mitte:, 

^Vl  JJ.\''!JjV  /w'^IJJJI  J  J 

Dein   Ratlischluss ,    Uuerforschlicher!    wer  im    Weltall 

durchschaut  ihn  ? 

uls  am  Ende  eines   Verses  vorkommen. 

d  auf  der  Thesis  des  di-itten  Momentes : 


w^      1 w 

m  3  m     m     I«««     • 
Rettung  von   den  Rachgöttinnen 

«in  seltner  und  wenig  branchbarer  Rhythmus! 
226. 

d.  Im  iripodischen  Metrum 
«  auf  tler  Hauplthesis: 

m.  m'  m    m.  m^  m    4  4      <  m.    ä.   ^ 


2tj8  Allgemeiner  Th  e i  1. 

Impavidum  fericnt   ruinae 
Hemme   den  Flug,    du    ereiltst   dir  Unlust. 

ß  auf  der  zweiten  Haupttliesis,  weun  näm- 
lich das  zweite  Moment,  wegen  vor- 
hergehender Thesis  aus  Zerfiiliuug 
des  ersten  Momentes,  arsische  Kraft 
bekommt,  und  das  dritte  Moment 
nun  dem  zweiten  als  thetisches  Ge- 
genbild nachklingt: 

J/J.  J. 

Götterweisheit 
eine  nicht  seltne  Form  des  Rhythmus,  z.  B.  mit 
dem  Auftakt : 

^  \    I^J    I    I    >^'^l    Ri^l 

d     i    0  c    d.  «'.    1    •.«*'«     J.  «^  «j  •'. 
v,sivo)v  Xv&evTbjv  Goiig  vno  '/^eQOiv  ava'§     Pin  dar 

Aus   dunkler   Felsicluft  steigen   Gestalten  empor 
und  in  mehren  andern  Versen. 

y  auf  der  Thesis  des  ersten  Momentes: 

J  jN.  J.l  J.^ 

blutge   Kriegsarbeiten 

i  auf  der  Thesis   des  zweiten  Momentes: 

J.N/  Jj^  I  J.  J-l* 

Hingebannt    zu  dunklen  Grabnächten 


e  a 


VomSchluäs  der  Rhythmen.  209 

iif  der  Thesis  des  dritten  Momentes  : 


bei   des   Bachs   Geh'spel 

WO  wieder  der  Rhythmus  die  metrische  Periode 
ausfüllt. 

227. 
e.  Im  ungeraden  Metrum 
«  auf  der  Hauptthesis: 

-      «^      w      ^        I        _      ^ 

Feierliche    Glocken 
/?  auf  der  letzten  Thesis : 

dl.  !.>  »^  m^  I  #J.  #N  J^  *N 
Düsterer  und  schauerlicher. 

228. 
3.  Schwebende  Schlüsse: 

a.  Im  spondeischen  Metrum  sind  sie  unmö^^- 
lich,  Aveil  dieses  keine  Theilung  in  drei 
Momente   gestattet. 

229. 
h.  Im   gemischten  Metrum  finden  sie  sich: 
a  auf  der  ersten  Stelle 


I  "^  '^  &  i^  i  >  ^  > 

Weins   wie  giäuzende   i,ilieu. 


i4 


aiO  Allg  euiei  ner  Theil. 

ß  auf  der  zweiten  Stelle : 

porrige   labra ,  labra   corallina 
Reiche   die  Lippen,    die  süssen,  koralleneii 
und  in  der  Mitle  des  Verses: 

Jam   Cytherea   thoros   ducit  Venus ,    imminente  Lunsi 

H  o  r  a  t. 

Chöre  voa  Tanacnden  führt  nun   Cypria ,    bei  des    Moa- 

des  Lichtglanz. 

25o. 

c.  Im  molossisclien  Metrum  kann  der  schwe- 

bende Schluss  so  wenig  vorkommen,    al» 
im  spondeischen. 

d.  Im  tripodischen  Metrum  kommt  er  vor 
a  auf  der  ersten  Stelle: 


Hoflahrt  leitet   zum  Fall   die   Gewaltigen. 
ß  Auf  der  zweiten  Stelle: 

Wo  sich   in   dumpfen   Geheul   der   Orkan   ankündiget. 


Vom  Schluss  der  Rhythmen.  211 

y  Auf  der  dritten  Stelle: 

I  ^  ^  l^  >  >  i^  > 
'   j  ^  «I  ^  •  j.  i^ « 

Zürnend  floh   die  Erröthende. 

Wahrscheinlich  hat  mancher  für  glykonisch  ge- 
haltene Vers  dieses  Maas.  Mi  st  man  z.  B.  die 
asklepiadische  Strofe  mehr  mit  Hinsicht  auf  cho- 
riambisclien,  als  ionischen  Rhythmus,  so  ist  ihre 
Messung  tripodisch: 

Et  malus   celeri  sauciiis   Africo 

Wie  der  Mast  von  des  Süd  fliegendem  Sturme  wund 

Antennaeque  gemant,   ac    sine  funibus 

t 

»amt  den  Rahen  erseufzt,     und  wie    der    Tau'    ent- 

blösst 

—     «-«     —     «-s^     —     »rf       I       —     ».'     —     w«^     —     .^«^ 

Vis:   durare   carinae   possint  imperiosius  (aequor)      Horat. 

kaum    ausdaureu   der  Rumpf  mehr  kann   den   übergewalti- 
gen  (Meerschwall)      Voss 

und  wir  erkennen  in  dem  letzten  Takt  den 
eben  erwähnten  scliwebenden  Schluss.  Hora- 
tius,  der  die  choriambische  Bewegung  sehr  vor- 
schalkn  lässt,  halle  wahrscheinlicli  dieses  Maas 
im  Sinn,  währeud  die  Gi'iechen,  die  den  ioni- 


212  AllgeiucJuer  Tlieil. 

seilen   Rhythmus    im   asklepiadischeu   Ver.s    vor 
«challen  Hessen ,  vielleicht  so: 

!  N  ^  t  ^  I    I   >  Ej  >  I    I  >   I  -ii 

d  da.  e^  »      I    J.  J.  0^  d     I    •  •'     d  'W 
Auswärts   schauendem,   sanftbogigem   Doppelhüru 
fügt,   anspannend,   er  leichtzitternde  Sehnen  ein. 

J/.^/.'^  I  J.  J. 

V 

Froh  antwortete  Lyra 


»««.  «N«      \   0  d     d 
bald   ambrosischer   Finger  Ruf. 

diese  Strofe  gemessen  halaen. 

202. 

e.  Im  leichten,  ungeraden  Metrum,  kann  der 
schwebende  Schluss  nur  als  Ausfuilung  der  gan- 
zen Periode  durch  den  flüchtigen  Daktylus  vov- 
kommen.  Dieser  Schluss  ist  aber  selten,  v/ie 
denn  überhaupt,  ausser  den  parapäonischen, 
nicht  leicht  quanlilirende  Rhythmen  in  dem 
leichten  ungeraden  Metrum  vorkommen  wenlen. 

255. 
Wie   die    Grammatiker   sich    in   Bestimmung 
der    Schlussverschiedenheiten    der    Verse    durch 
die  Katalexis  helfen,  kann  erst  in  der  Folge, 


Vom  Anfang  der  Rhj'thmen.  2i5 

WO  vom  Vers  selbst  die  Rede  ist,  erläutert  wer- 
den (426). 

Vom  Anfang  der  Rhythmen. 

254. 
Aller  Rhytlimus  fängt  seiner  Natur  nach 
notliwendig  mit  der  Ai'sis  an;  denn  die  Thesis 
ist  etwas  bedingtes,  dessen  Begrili"  nur  unter 
Voraussetzung  einer  Arsis  Sinn  hat.  So  we- 
nig indessen  der  Rhythmus  in  der  Erscheinung 
das  Ende  der  metrischen  Periode  notliAvendig 
erreichen  muss,  eben  so  wenig  ist  sein  reelles 
Hervortreten  au  den  Anfang  dieser  Periode  ge- 
bunden. Wie  er  seine  thetischen  Momente 
ideell  ausfiilien  kann,  so  kann  er  auch  die  ar- 
sischen  ideell  erfüllen,  und  mit  den  thetischen 
erst  sein  reelles  Erscheinen  anfangen.  Vom 
Rhythmus,  dessen  Arsis  im  Ideellen  liegt,  und 
dessen  reeller  Eintritt  mit  der  Thesis  geschieht, 
sagen  wir:  er  fange  im  Auftakt  an.  Die  Mu- 
siker, die  den  metrischen  Sprachgebrauch  um- 
gekehrt anwenden,  sagen:  er  fängt  in  Arsi  an. 

205. 

Wenn  der  reelle  Rhythmus,  mit  der  letzten 
Thesis  der  Periode,  unmittelbar  vor  der  Ilaupt- 
«rsis  (vor  dem  vollen  Takt)  eintritt,  z.  B.: 

;  '1  j }  j.  j. 

Dort   wohnt   er  glanzvoll 


ai4  Allgem  e  iner  Thcil. 

SO  nennen  wir  diesen  Anfang  den  einfachen 
Auftakt;  tritt  er  aber  früher  ein,  so  dass  er 
schon  untergeordnete  Arsen  hören  lüsst,  z.  B. : 

k^       y^       -^^  I  — .«■'«»'NM'*'«'  I  • ^ 

und    es   versanken    die   Monumente 

so  nennen  wir  ihn  den  zusammengesetzten 
Auftakt. 

206. 
Die  Grammatiker  hörten  zwar  olme  Zweifel 
so  gut,  als  wir,  den  Unterschied  zwischen  Auf- 
takt und  Nieder.takt,  und  vernahmen  den  Rhyth- 
mus ^  I  J  J^  J  gewiss  nicht  als  den,  den  wir 
J^  JJ^  I  J  hezeichnen  würden ;  gleichwol  bedien- 
ten sie  sich  für  den  Auftakt  wahrscheinlich  so 
wenig  einer  bestimmten  Bezeichnung,  wie  unsre 
neuen  Musiker  vor  nicht  viel  mehr,  als  einem 
Jahrhundert.  Man  verstand  sich  indessen  auch 
bei  geringerer  Bestimmtheit  der  Bezeichnung, 
und  selbst  bei  Ermangelung  eines  Namens  für 
die  Sache.  In  unsern  Zeiten  war  Begriff  und 
Wort  den  Musikern  längst  bekannt,  als  die  Me- 
Irikcr,  die  an  den  Worten  der  Grammatiker 
hingen ,  noch  die  wunderlichsten  Ansichten  von 
Versen  im  Auftakt  hatten. 


207. 
Benllci    (de  Metris  Terentianis)  scheint,  we- 
Tiiqslens   hei  den  iambischen  Versen,  das  Bediic 


Vom  Anfang  der  Rhythmen.  ai5 

geahndet  zu  haben ,  indem  er  bekennt ,  dass  er 
sie  von  jeher  nach  trochäischen  Dipodien  mit 
Vorschlag  eines  Halbfusses: 

Po  (  eta  dederit  |  quäe  sunt  adolescentium 
sliandirt  habe.  Allein  Hermann  musste  zuerst 
(1796)  die  Melriker  unsrer  Zeit  aufmerksam  ma- 
chen, dass  es  Rhythmen  gebe,  die  nicht  im  Nie- 
dertakt,  sondern  im  xiuftakt  anfangen.  Wenig- 
stens zeigt  der  Name  Anakrusis,  den  Her- 
mann dem  Auftakt  gab,  und  den  die  Metriker 
angenommen  haben,  dass  sie  durch  den  Erfin- 
der des  iSamens  zuerst  von  der  Sache  Kenntniss 
bekamen.  Wir  lassen  ihnen  den  ISaraen,  der 
ohnehin  nicht  ganz  für  die  Sache  zu  passen 
«cheint,  und  bedienen  uns  des  passenden  und 
allgetnein  verständlichen  Wortes:  Auftakt. 

208. 
Ausser  dem  Auftakt  will  Hermann  (de  me- 
tris  p.  21.  und  Metrik  §.  Sg.)  noch  eine  beson- 
dre ,  Avillkürliche ,  und  von  den  Grammalikern 
vcrnacldässigle  Einrichtung  der  Dichter  bemerkt 
haben,  die  er  Basis  nennt.  Da  wir  diese  Sache 
hier  nur  erwähnen,  weil  mehre  Theoretiker  auf 
Hermanns  Autorität  von  einer  Basis  sprechen, 
so  wird  es  am  besten  seyn,  diese  Basis  mit  den 
Worten  des  Entdeckers  zu  beschreiben ;  denn 
an  das,  was  die  Grammatiker  Basis  nannten 
(Verbindung    zweier  Füsse.     S.  Marius  Victorin. 


ai6  Allgemeiner  Theil. 

p.  2489.) ,  ist  dabei  nicht  zu  denken.  Indessen 
wird  es  gut  seyn,  hier  einige  Beispiele  der  Her- 
manuischen  Basis  zu  geben,  damit  die  Leser 
wissen ,  wovon  die  Pvede  sei.  In  folgenden 
Versen : 

Nunc  de- 

Wieder 


Teucer 
Tydeus' 
Quamvis 
Erdum- 


siderium,    curaque  non   levis.      Horatius 

trägt  dich,   o  Schiff,   neues  Gewog  ins  Meer 

Voss 
te   Sthenelus   sciens 


Sohn,  dem   der  Vater  weicht 

Pontica   pinus 

wandelnde  Sterne 
sollen    die    vorn   abgeschnittenen    Sylben    jedes 
Verses    die    Basis    seyn.       Hermann    bezeichnet 
diese  Basis  so  : 

..        ..I—     s./«*     —     *^     — 

KvjtQt-dog  &cilog  wleaev 

hoc  non  pollicitus   tuae. 

259. 
„Noch  verdient  —  sagt  Hermann  §.  09.  — - 
eine  willkürliche,  und  von  den  Grammalikern 
Vernachlässigte  Einrichtung  der  Dichter  erwähnt 
zu  werden.  Sie  setzen  nämlich  vor  manche 
Reihen,  und  gemeiniglich  vor  solche,  die  mit 
der  Arsis,  und  nicht  mit  der  Anakrusis  anfan- 
gen, zwei,  aucli  drei  Sylben  ohne  allen  Ivhyth- 
mus,  gleichsam  um  dadurch  eine  Versammlung 
der  Kräfte  auszudrücken,    die   zu  der  folgouden 


Vom  Anfang  der  Rhythmen.  217 

Ileihe  gebrauclit  werden  sollen.  Dass  diese  Syl- 
hen  gar  keinen  Rliytlimus '  haben ,  ergibt  sich 
aus  dem  Maasse  derselben,  welches  ganz  unbe- 
stimmt ist,  und  mitbin  allen  Rhythmus  aufbebt. 
Wir  nennen  diese  Sylben  Basis.  Sie  lassen  alle 
vier-und  zweisylbigen  Füsse,  und  von  den  drei- 
sylbigen  den  Tribracbys ,  den  Anapäst,  und  den 
Daktylus  zu.  —  Die  zAveisylbigen  Füsse  sind 
in  der  Basis  die  gewöhnlichsten.  Der  dreisylbi- 
gen  bedienen  sich  vorzüglich  die  komischen 
Dichter,  seltener  die  Tragiker  und  Lyriker." 

24o. 
Die   Willkürlichkeit   der  Dichter,  welcher  die 
Basis   ihr  Daseyn   verdanken    soll,    muss   in    ei- 
nem System,    das  bloss  objektive,  formelle  und 
apriorische    Sätze   gelten    lassen    will,    allerdings 
etwas  auffallen.      Soll    die   Willkür   der  Dichter 
einmal    auf  die  Bildung  der   Verse  Einfluss  ha- 
ben,   und    will    die  Theorie  einmal  diese  Will- 
kür   in    Schulz  nehmen,     so  hebt  sie  selbst  sich 
und   ihr    angekündigtes    Gesetz    auf.      Es    wn<l 
sich   aber  zeigen,   wie  das,    was   Hcrman}i   Basis 
nennt,    keineswcges    eine   willkürliche    Einrich- 
tung der  Dichter  ist,   sondern  eine  vollkommen 
^    gesetzliche  Bildung  des  Rhythmus. 

24l. 
Noch   sonderbarer   ist   es,    dass   Hermann    in 
.seinem    grössern    Werke    (rle  raclris    S.  21.)    die 


31 8  Allgemeiner  T  heil, 

Basis  mit  der  Gewohnlicit  der  Musiker  ver- 
gleicht, vor  Anfang  des  Touslücks  ein  paar 
Töne  zu  greifen.  ( Ac  niusiei  quoque  consiie- 
runt,  autequam  symphonias  incipianl,  praeludii 
loco,  binos  sonos  e  pluribus  coucordanlibus  so- 
nis  compositos  praemiltere ,  qnibus  simul  vocis 
genus,  quo  usuri  sunt,  indicant.  "Wenn  wir 
solche  Nachrichten  über  alte  Musik  bekommen 
haben,  wie  uns  hier  ein  gleichzeitiger  Autor 
über  neue  Musik  berichtet,  so  ist  es  wol  nicht 
befremdlich,  dass  wir  nicht  recht  wissen,  was 
wir  daraus  machen  sollen.)  Es  ist  nicht  nö- 
thig ,  das  •  Unpassende  und  Vergriffene  in  die- 
sem Gleichniss  auszuhebei  ?  denn  dass  jenes 
Präludiengeräusper,  das  manche  Musiker  sich 
angewöhnt  haben,  mit  dem  Tonstücke  so  wenig 
in  Verbindung  stehe,  als  der  Passagenunfug 
mancher  Orchester  bei  dem  Einstimmen,  ist 
allgemein  bekannt;  die  Hermaiinsche  Basis  ist 
aber  ein  Theil  des  Verses,  vom  Dichter  selbst 
gebildet,  nicht  vom  Rhapsoden,  oder  Sänger 
hinzugefügt.  VVären  die  Sylben  der  Basis  un- 
rhythmischer Ansatz,  so  Avär  es  der  Natur  des 
Rhythmus  durchaus  widersprechend ,  mit  ihm 
eine  uurhythmlsche  Masse  in  den  engsten  Zu- 
sammenhang zu  bringen,  und  ein  Dichter,  der 
so  etwas  anders,  als  im  Seherz  unternahm,  ver- 
diente von  der  Tlieorie  vielmehr  Tadel,  als  Bel- 
slimmung. 


Vom  Anfang  (Ter  E.hythnifen.  ai'j 

Und  was  soll  denn  überhaupt  diese  unorga- 
nische Masse  an  dem  Kopfe  des  Verses?  „Sie 
soll  eine  Versammlung  der  Kräfte  ausdrücken, 
die  zu  der  folgenden  Reihe  gebraucht  werden.  "^- 
Allcin  im  Vers  (als  Vers,  nicht  als  Dichtwerk), 
ist  Rhythmus  das  einzige  Darstellungsmittcl. 
Soll  Versammlung  der  Kräfte  anschaulich  ge- 
maclit  werden,  so  muss  und  kann  es  im  Rhyth- 
mus und  durch  Rhythmus  geschehn.  Unrhylh- 
misches  findet  keine  Anwendung,  und  avo  es 
angetroffen  würde,  war  es  ein  verwerflicher 
Auswuchs.  Klar  ist  es  also,  dass  die  Herman- 
nische Basis  der  Verskunst  ganz  fremd,  und 
seine  Ideen  von  eineui  unrhythmischen  Ansatz, 
durch  den  man  eine  Kraftversammlung  ausdrü- 
cken könne,  ganz  unhaltbar  und  in  sich  selbst 
widersprechend  sei.  Die  getadelten  Grammati- 
ker irrten  nur  auf  eine  andre,  und  weniger  in- 
consequente  Art,  als  ihr  Tadler. 

242. 

Eben  so  wird  es  sich  am  gehörigen  Orte  zei- 
gen, dass  kein  Dichter  (wenn  er  nicht,  als  ISach- 
bildner,  vom  Irrlicht  der  Hermannischen  Basis 
verlockt  wurde),  jemals  an  eine  solche  unrhyth- 
mischc  Missform  gedacht  habe.  Alle  \  erse,  de- 
ren Anfang  Hermann  nur  durcli  die  Basis  zu 
erklären  im  Stande  ist,  werden  (089)  ohne  diese 
Hülfe,  als  richtige  Rhythmen,  ihre  Messung 
uTul    l'>rMäriinir   finchni. 


220  A  Ugcm  einer  T  hell. 

243. 

"Wollte  mau  den,  der  Hermannschon  Theo- 
rie ganz  unhekannlen,  zn.«animengeselzten  Auf- 
takt (255)  Basis  nennen,  so  hätte  man  zwar  eine 
■wirklich  vorkommende  Sache  lienannt,  aber  die 
Ikrmannische  Basis  damit  nicht  gerechtfertiget ; 
denn  nur  in  einzelnen  Fällen  ist  das  ,  was  Her- 
mann Basis  nennt,  als  zusammengesetzter  Auf- 
takt anzusehn,  z.  B.  in  dem  langen  Asklepia- 
disehen  Vers,  nach  der  Messung,  die  Horatius 
bei  seiner  choriambisch  gehaltenen  Cäsur  wahr- 
scheinlich im  Sinn  hatte: 

-Z   I    ~^^-    1    -ww._   I   _^^_^   I   _ 

«  «  I  0.  0^«  ä.  I  e.  m^ä  m.  i  •.  0^»  es  I  »• 
Tu  ne  quaesierls,  scire  nefas,  quem  mihi,  quem  tibi 
Lass    trübsinnigen    Gram,    sieh  wie    der   Wald  grünende 

Wipfel  hebt ! 

Die  Griechen  maassen  diesen  Vers  wahrschein- 
lich, wegen  des  vortönendeu  ionischen  Rhyth- 
mus im  Niedertakt: 


i  >  ^  ^  ^  !    i    ^  s  >  i    i    >  j>  >  i    i  > 

m  'j    o-   ^  a      I    •.  e.  m^  e      1    9.  ».  9^  0     \    d  ä 


yv-via'^iv  voo^       oiacoqe/.e    -fiyoivdogin-    o^ßolog 

T  h  e  o  c  r  i  t. 
Immer    steht    den     wirthstliH fluchen     Hausfrauen     nach 
dir    das    Jlerz         Voss. 

Ausführlicher     wird    dieses    bei    den    einzelnen 
A  erscn    erläutert   werden.       Man    sieht   indessen 


V  o  m  A  n  f  a  n  g  d  e  r  R.  li  y  t  h  m  e  n,  221 

schon  so  Tiel.  Wollte  man  den  liorazischen 
Vers  mit  ionisclier  Bewegung  messen,  so  be- 
kämen die  Schlusssylben  in  quaesieris  und  ne- 
fas,  ausser  der  dreizeitigen  Länge,  noch  arsische 
Kraft,  wodurch  sie  gegen  Sprache  und  Sinn 
über  die  Gebühr  gehoben  würden.  Ein  ähnli- 
ches Missverhältniss  entsieht,  "Vi'enn  man  den 
theokritischen  \  ei-s  nach  choriambischer  Bewe- 
gung lesen  wollte.  Denn  wiewol  die  rhythmi- 
sche Form  eines  Verses  zuweilen,  nicht  ohne 
Gewinn  derBewegung,  eine  andere  ist,  als  die  me- 
trische (197),  so  dürfen  doch  die  Momente  der 
Kraft,  Arsis  und  Üeberlänge,  nicht  auf  unter- 
geordnete Ptedetheile  in  Wortfuss  und  Sinn, 
gehäuft  werden,  vielmehr  ist  hier  eine  geschickte 
Vertheilung  nöthig  ,  um  schwache,  aber  bedeu- 
tende Sylben  durch  Stellung  zu  heben,  starke 
unbedeutende  dagegen  durch  Stellung  zu  mas- 
sigen. So  erhält  die,  durch  dreizeitige/ geho-  /  '^* 
bene  Schlusssylbe  in  quaesieris  durch  die  Stel- 
lung in  die  Thesis  des  Choriamben  die  nöthige 
Mässigung.  Sollte  in  Lilien  fuss  die  letzte  Sylbe 
besonders  gehoben  werden ,  so  kam  sie  bei  io- 
nischer Versbewegung  in  die  erste  Länge  des 
flüchtigen  lonikers  zu  stehen,  und  der  "Wort- 
choriamb  blieb  rhythmische  Form  ohne  metri- 
sche zu  seyn. 


222  Allgemeiner  Tlieil. 

244. 
Auch  mit  sicli  selbst  ist  Hermann  wegen  der 
Basis  im  Streit.  De  nittris  S.  '25.  heisst  es: 
Basin  ubique  statim  sequitur  arsis.  Allein 
S.  370.  wird  in  einer  angeblichen  Form  des 
priapischen  Verses  die  Basis  unbedenklich  vor 
den  Auftakt  (Ankkrusis)  gesetzt : 

..        ..         I w_w-       II        ..        ..         I       ^ 

Kttt  fxe'hXotrivov  Xaloiv   |   y.ai    Qo\da    ir^ogafatj^MS 

Fröli-  I  eher      grünt     der     Myrtenhain,  1 1     liebli-  |  eher 

blüht    die  Rose 

wobei  die  Umständlichkeit  der  basischen  Kraft- 
\  ersammlung  zu  einer  so  leichten ,  planen  Me- 
lodie ,  einen  ziemlich  sonderbaren  Efiekt  macht. 
Noch  sonderbarer  wird  aber  S.  217.  sogar  ei- 
nem  Yers    die  Basis  in  der  Mitte  eingeschoben; 

xoAttw  aide  iuvd-'  uyvt/.i  ^a^ufg  K^ofco 
Der    ohne    alle   Basis    in    der    Mitte    sich    sehr 
leicht  tripodisch  misst: 

noXnoj  a'ide'-^avd^  ayvut  y^agtreg  Kpoj/o» 

Der  frohen   Jugend   anmiUhge  Begleiterin. 

Man  sieht  wol,  dass  Hermann,  unbekacnt  mit 
der  tripof'ischen  Messung,  die  beiden  unbe- 
stimuiten    Sylben    in   der    Mitte    des  Verses    aus 


Vom  Anfang  der  Rhythmen,  aaä 

seiner  Theorie  nicht  erklären  konnte,  und  sie 
deswegen  zur  Basis  machte.  Allein  die  erste 
dieser  iSylben,  die  im  Metrum  lang  ist,  kann 
als  thetische  Endsylbe  eines  Rhythmus  durch 
eine  kurze,  und  die  zweite,  v.^elche  als  Auftakt 
des  folgenden  Rhythmus  metrisch  kurz  ist,  durch 
eine  lange  Sylbe  (beides  schon  nach  der  Her- 
manuisclien  Theorie)  ersetzt  werden ;  daher 
nimmt  mau  keinen  Anstoss,  wenn  beide  kurz 
sind  ,  z.  B.: 

der  jungen  Rosen   erglühende  Farbenpracht 
wiewol  die  Längen  allerdings  kräftiger  tönen. 

245. 

In  Rücksicht  auf  den  Anfang  unterscheiden 
wir  also  gleich  den  Musikern  Rhythmen  in  Nie- 
dertakt ,   und  Rhythmen  im  Auftakt. 

Der  einfache  Auftakt  lässt  sich  fast  allen  me- 
trischen Formen  anschliessen.  Da  er  dann  oft, 
wenn  auch  nicht  ihre  Natur,  doch  ihren  Na- 
men verändert,  so  ist  es  uöthig,  diese  Formen 
besonders  zu  erwähnen. 

246. 
1.  Im  spondeischen  Metrum  entsteht  aus  der 
daktylischen    Form ,     durch     den     Auftakt     die 
schwere,     oder     vierzeitige     anapäslische, 
mithin: 


•     •      \    m    d    * 


alt  A  1 1  g  e  ni  o  i  n  e  r  T  ii  ü  1 1. 

Es  Ist  ans  der  Messung  musikalisclier  Piliyllimen 
bekannt,  dass  der  (ieliult  des  Auftaktes  dem 
Seidusstakte  abgerechnet  wird,  und  setzt  mau 
mehr  Rhythmen  der  Art  neben  einander,  so 
zeigt  sich  sogleicli  die  INolhwendigkeit  dieser 
Messung;  denn  die  letzten  Sylben  des  einen 
bilden  sich  sogleich  zum  Auftakt  des  folgenden 
Rhythmus: 

so  dass  die  ersten  Kürzen  sich  als  Thesis  eine3 
daktylischen  Rliythmus  zeigen,  dessen  Arsis  reell 
nicht  ei'scheint.  Die  anapästische  Form  ist 
daher : 

denn  ^vie\vol  die  beiden  Kürzen  in  der  metri- 
schen Periode  vorhanden  sind,  so  gehören  sie 
doch  zum  folgenden  Rhythmus.  Der  Auftakt 
des  Anapäst  ist  aber  eigentlich  die  lange  Thesis 
des  Spondeus;  daher  hat  der  Anapäst  diese 
Form : 

>  ^  I  1 

I         I 

und  in  sofern  der  Proceleusmatikus  unter  die 
Foi-men  des  spondeeischen  IMetrum  gehört,  ist 
die  vollständige  Form  des  iVuapäst: 

w     W       '  —  ttl       0        \     0       0 

I  I 

wobei  aber  der  Accent  des  Proceleusmatikus 
(<!/  w  w  w)  wohl  in  Acht  zu  nehmen  ist. 


V  o  m  Anfang    der  R  ii  j»  t  h  ni  e  n.  ■2-ib 

047. 

2.  Im  gemischten  Metrum  eutstehn  durch  den 
Auftakt  folgende  Formen  : 

a.  Aus    der    irochaischen  Form  der  Dipodicj. 
wird  die  iambische  Dipodie: 

—  l  —  ^  —  e  \  0  0  4 
deren  Rhythmus  auf  der  zweiten  Arsis  schliessl 
wiewol  die  metrische  Periode  die  Thesis  ent- 
hält. Bedient  man  sich  der  metrischen  Zeichen. 
mehr  um  die  i'hythmische  Bewegung  zu  bezeich- 
nen ,  als  die  metrischen  Reihen ,  so  fallen  die 
Taktstriche  bei  den  iambischen  Versen  in  der 
metrischen  Bezeichnung  anders,  als  bei  den  mu- 
sikalischen ,  z.  B.  im  iambiscTTcn  Trimeter: 

0     \  4    ^      *  0    \  a    Z'      *  #'*«'« 

Schilt   nicht    den    Fernen !    Fei:;e  iliehn   des   Feindes   Blick. 

Aus    der  \  erwcchselung  dieser  beiden  Arten  zu 
bezeichnen,  entstehen  oft  Irrlhiüner. 


248. 
b.  Aus  der  flüchtigen  ionischen  Form: 


I     N   1^    > 

«.    0.   iT    4 

entsteht   durch    den    Auftakt    die    anlispasti- 
sehe: 


•      \  0-    0      li^ 


1.'» 


2a6  A  11g  emeiner  Th  e  IL 

Die  Messung  zeigt  eleu  Sinn  dieser  Form,  de- 
ren melrisclies  Scliema  ^  _  _  ^  mit  zweizeili- 
gen Längen  gedacht  (J^  |  JJ  J^),  nur  die  Ver- 
mutliung  erregen  kann,  als  habe  irgend  ein 
Grübler,  um  alle  nur  mögliche  viersylbige  Füsse 
aufzuzälen  ,  auch  diese  rhythmische  Missform 
an  das  Licht  gebracht;  denn  ganz  gesanglos,  als 
ein  leerer  Schatten  für  das  Auge,  steht  sie  in 
den  Theorien,  die  sich  vergebens  bemühen,  der 
Uebeitönenden  Wohllaut,  oder  doch  Methode  im 
Uebellaut  anzudemonstrii-en.  Beobachtet  man 
die  wahre  Messung,  so  sind  antispastische 
Rhythmen,  z.  B. : 

7    —    avii^l      w    —    w    — 

Dein  goldlockiges   Götterhaupt 
eben  so  leicht  zu  vernehmen,    und   dem  Gehör 
der  Neuern  nicht  fremder,    als   irgend    ein   an- 
drer Vers. 

249. 
c.  Aus  der  bacchischen  Form    (nach    andern 
palimbacchischen) : 

j.  j ;  _ 

wird  durch  den  Auftakt  die  palimbacchi- 
sclie  (nach  andern  bacchische): 

.^  I J. .' 


Vom  Ani'an^  der  R  h}»  ih  iii  en.  237 

z.   B.  in  dem  Vers: 

l I-- I    -^ 

ti    \  0.  d       »    \  ä.  0      0    \  £-.  0       0    \  0.  0 
tiv    GXTUi',  Tiv    iikav  dfjufiw ;  noc  TtoQfv&co; 

Die   Anmut,   o  Jungfraun ,   gewinnt  mehr  ,     denn  Schönheit. 

Voss 

Voss  (Zeilm.  S.  254.)  will  diesen  Vers  nach 
dreiviertel  Takt  gemessen  haben: 

>   1    J    I      >    I     I    I      >    1   J    I    ^'^   I    J  J 
0      \    0  0.    ä      \    m  0,    0      \    0   g.    0     \    0  0 

vielleicht,  weil  statt  des  Palimbacchius  zuweilen 
ein  Moloss  stehn  kann.  z.  B. : 

----    1    ---    1    ^--    I    «^-- 
Nicht  Schönheit,   o  Jungfraun,   nur  Anmut  beseligt 

oder  auch  wol  ein  loniker: 

Voll  Anmut  der  Jugend,     im  Reiz  bräutlicher  Sehnsucht 

allein,  dass  der  flüchtige  loniker  mit  dem  Bac- 
cli/eos  wechseln  könne ,  zeigen  die  Formen  des 
gemischten  Metrum,  und  die  Länge  statt  der 
Kürze  im  Baccheus  ist,  wie  die  Folge  zeigen 
wird  (S.  Messung  der  letzten  Stelle  iu  metri- 
schen Reihen),  nur  prosodisch,  nicht  metrisch, 
und  so  wenig  befremdend,  als  die  lange  Sylbe 
statt    der    Kürze    am    Sehluss    der    trochaischeu 

Dipodie. 

200. 

d.  Aus  der  leichten  choriambischen  Form: 

J:  ji }  J. 


2'-iÖ  All  gC  111  •    i  :.  •    ;     '.''!i      '1. 

entstellt   clurcli    den   AuiUikl    von    zwei    Küi'zen 

die  Form : 

-^  ^    I    -  -  -'  - 

die  wir  die  flüchtig  a  n  a  p  ä  s  t  i  s  c  !i  e  uen- 
neu.  Man  versuche  die  meisten  anapüslischen 
Ver.se,  und  weit  öfter  wird  man  sich  auf  der 
flüchtigen  und  heftigeren  Bewegung: 

•^  #^    I    «'.    «^  ^     »  J^    6^   \  e.    0"   a     0 
betreffen,  als  auf  der  ernsten  vierzeitigeu 

0    0\00a\00    0i6''!0\0 
die  Messung  nach  Dipodien,  und  die,  so  selten 
verletzte  Cäsur  in  der  Mitte  des  Dimetei'S: 

qiXudilqu  xßTto  day.Qv    nßofAivi]     Soph. 
Dionysos   erscheint  mit    dem    1  igergvspaiin 

scheinen  ehenfalis  darauf  hinzudeuten. 

201. 

3.     Im    molossischen   Metrum  entsteht  durch 
den  Auftakt  die  steigend  ionische   Form: 

0      0         \      0    0 

weiche,  nach  dem  schon  früher  crJnnerlen,  niehl 
mit  der  metjischen  Form  der  molossitchen  Pe- 
riode {J^  J^  J  J) ,  die  im  Jsiedertakt  anfängt,  ver- 
wechselt werden  kann.  Jeuer  Auftakt  kann  auch 
das    unaufgelösete    (h'ilte    Moment   des    Molosses 


Vom  Anfang  der  Rh3'thmen.  a^o 

N  -        I 

1        I  I  I 

und  so  entstehen  in  dieser  \  ersart  manrlic.rliytb- 
misclie  Rütkungen ,  indem  clioi'iainbischc  «iin\1 
schwere  ionische  Bewegung  gegen  einander  stell», 
z.   B,: 

Hoch  schwang  er   das   Schwert ,   und  voran   emstürmt  er  in 

die  Geschw  ader 

v.clcher  Vers  mit  dem  schweren  ionischen  Te- 
trameter glei(']ien  metrischen  Schritt  hält,  und 
nur  in  der  rhythmischen  Bewegung  seinen  ei- 
gculhümiiehen  Charakter  zeigt. 

Vielleicht  gehört  hieher  der  Rhythmus,  oder, 
wenn  mau  will,  Fuss,  den  die  Grammatiker 
Pae(^)n  cjjihaius  nennen.  Nach  Aristides  ( S.  3b. 
Edit.  Meibom.)  Lesteiit  er  aus  einer  langen  The- 
sis,  einer  langen  Arsis,  aus  zwei  laugen  Ihe- 
sen,  uud  nocU  einer  langen  Arsis,  mithin  aus 
fünf  laugen  Sylben.  Nimmt  man  Arsis  und 
Thesis  als  Hebung  und  Senkung  (nach  Hcr- 
mann's  Erklärung),  so  ist  der  Rhythmus  dieser: 


Wpnn    Vollmondlirht    stralt 


2ÖO  AllgeraoinerTheil. 

und  fla  eine  anfangende  Senkung  niclils  anders 
ist,  als  Auftakt,  so  bezeichnen  wir  diesen  Rhytli- 
mus : 

»  r 

oder  in  Musikzeichen: 

•  I  •  •  •  I  m  ^ 
wodurch  eben  ein  molossischer  Rhythmus  mit 
dem  Auftakt  entsteht.  Gehört,  wie  Ügen  ver- 
muthet  (Scolia  CXLIL),  der  von  Clemens  Ale- 
xandrinus  erwähnte  Anfang  eines  Hymnus  zu 
dieser  Gattung  päonischer  Rhythmen,  so  war 
sein  Maas: 

J IJ  J  J 1 J ; J  U  J  J  U 

dem  sich  leicht  eine  passende  Melodie  aneignen 
lä.'ist. 

252. 

4.  Im   tripodischen    Metrum    entsteht  beson- 
ders aus  der  Form : 


I     I    ^    ! 
•.  «  «    « 

durch  den  Auftakt  die  doch  mische  Form: 
^    I    _  _  ^  _ 

die  zwar  manche  gelehrte  Untersuchung  veran- 
lasst hat,  aber  in  ihrem  Rhythmus  wol  kaum  norh 
vernommen  worden  ist.  In  richtiger  Messung  hat 
fh'r    rjoclnrii.sclic    Vers,    wie    der    auli.s])a.stisclie, 


VomAnfangderRhythmen.  23 1 

einen  unserm  Gehör  gar  nicht  widerstrebenden 
Gesang,  selbst  in  Ziisamiaensetzuugcn  nicht,  de- 
ren Möghchkeit  manche  Metriker  bezweifehen, 
z.   B.:  . 


Der  Freiheit  aufdämmerndes  Götlerlicht 

Viel  Sonderbares  über  dochmische  Verse  rührt 
ohne  Zweifel  daher,  dass  man  dochraische  For- 
men aufsuchte,  ohne  Unterschied,  ob  der  Doch- 
mius  dai-in  metrische,  oder  bloss  rhythmische 
Form  sei.  Diese  nannte  man  dann  insgesammt 
dochmische  Verse.  Der  eben  angeführte  Vers 
ist  ein  dochmischer  j  denn  die  Messung  zeigt  in 
ihm  den  Dochmius  als  metrische  Form.  Fol- 
gender Vers  hingegen : 


In  Mainächten  von  Lieb'  entglüht 
Ertönt  Lenzgesang  im  Hain, 
ist,   der   dochmischen   Form   des    zweiten  unge- 
achtet, kein  doclimischer  Vers ;  denn  seine  Mes- 
sung ist  dipodisch: 

0  \  0. 0. 0  0  \  0  0  0 

In  Mainächten  ,  von  Lieb'  entglüht 

Nil    I      > 1  j  ^  ' 
0   \  0.  0     0  \  0  0  0 

'  ertönt  Lenzgesang  im  Hain 


•s";!  '■  i .  Q '- III  ei  n  e r  TheiJ. 

iiiid  die  (locaniische  Form  ist  Lloss  rhyilmiiscli, 
liJclit  metrisch  in  ihm  vorljaiiden.  A-uI"  ähnliche 
Art  kann  in  der  Musik  die  Bewegung  des  Sechs- 
achteltaktes '  im  Dreivierteltakt  rhythmisch  vor- 
kommen , 

ohne  die  Natur  des  Metrum  zu  ändern,  und 
den  Spieler  zu  irren. 

255. 

x^lle  andern  Formen  lassen  ebenfalls  den  Auf- 
takt zu;  allein  da  sie  dadurch  keinen  eigbn- 
ihümlichen  Namen  bekommen,  so  werden  sie 
iii.  ht  besonders  hier  aufgeführt. 

254. 

Man  würde  irren,  wollte  man  glauben,  dass, 
bei  einmal  eingeleitetem  Auftakt,  alle  Rhythmen, 
V. eiche  in  demselben  Metrum  mit  einander  ver- 
bunden sind,  auch  mit  dem  Auftakt  anfangen 
sTiüssen.  Die  Musik  zeigt  das  Gegentheil,  und 
eben  so  der  Vers  in  alten  und  neuen  Gattun- 
gen. Dei'i ambische  Trimeter  z.  B.  langt  in  sei- 
ner üblichsten  Form  im  Auftakt  an,  und  fälirt 
nach  dem  ersten  Einschiritt  im  Niedertakle  fort, 
AVor;iuf  wiederum  ein  Rliythmus  im  Auftakt  be- 
<^oh]i(^sst : 


Vom  Anfang  der  Rhythmen.  235 

Furonie   caecus ,   an  rapit  vis  acrior?      Hoiat. 

Reisit  blinder  Wahnsinn ,   reisst  Gewalt  von  oben  euch  ? 

Voss 

Das  Metrum  behält  liier  freillcli  die  Auftakt- 
sylbe  als  Tliesis;  allein  in  andern  Fällen  wird 
dieses  Moment  selbst  im  Metrum  ideell  zuiu 
Punkt,  oder  zur  Pause,  z.  ^..  in  der  oft  vor- 
kommenden Mischung  des  choriambischen  und 
iambischen  Rhythmus : 

■ 1        -ww_ 

>  M   >   I    I     '^   i^   >  J 
fq^  olgniQ ,  w  '/^Qvaolocfa 
Es  stürzt  den  Feind  Göttergewalt 

Manche  Rhythmen  würden  besser  verstanden 
worden  s^^yn,  hätte  man  hierauf  mehr  geachtet. 
Der  dochmische  Rhythmus  fängt  zwar  allerdings 
im  Auftakt  an;  das  hindert  aber  nicht,  dass  in 
der  Police  mehrer  Doelimier  der  Auftakt  bei  ei- 
nem,  oder  dem  andeim  wegfallen  kann,  z.  B. : 

^MJ^l   |>>N|>i 

Of   TKVTUV,   10)  /ifkfog ,   ovd'f/^M 
er  folgt'  ihr  hinab,  in  das  ersehnte  Grab 

Penn  die  Form  ^  ^  ^  _  ^  _  im  hemiolischen 
Verhall ni.ss  zu  denken,  erschwert  ofleubar  dvu 
Rhyllimus,    uud    es   ist  kein   ririin«!  iui  Vers  vor- 


i34  Allgemeiner  Theil. 


lianfleii,  der  dieses  ungewöhnlichere  Verhähniss 
rechlfci'ligle. 

255. 
Aus  der  angezeigten  Natur  des  Auftaktes  er- 
hellt, dass  Hermann  irrt,  wenn  er  die  Auitakt- 
sylben  „Theile  einer  vorhergegangnen  unend- 
lichen Reihe"  nennt  (Metrik  §.  55.  de  metr. 
p.  20.),  weil  ihnen  keine  Arsis  'mrhergehe.  Sie 
sind  nur  thetische  Theile  einer  vorhergehenden 
Periode,  deren  Arsis  filoss  ideell  ist,  ohne  reell 
zu  erscheinen.  Dieser  Irrthum  war  an  sich  un- 
bedeutend; er  wird  aber  durch  die  Folgerun- 
gen wichtig,  die  Hermann  in  Beziehung  auf 
Versabtheilung,  z.  B.  de  Metr.  Pind.  S.  igS. 
daraus  zieht.  Wenn  ein  Rhythmus  in  der  Ar- 
sis schliesst,  und  der  folgende  fängt  in  der  The- 
sis  derselben  metrischen  Periode  an. 


^    ^    N    I 


Auf  zu  dem  Wald !  Es  ruft  die  Jagd 
SO  ist  diese  Thesis  für  den  zweiten  Rhythmus 
allerdings  Auftakt,  und  ihre  Arsis  ist  in  Bezie- 
hung auf  den  anfangenden  Rhythmus  in  der- 
selben Periode  ideell,  in  welcher  der  vorherge- 
hende reell  auf  der  Arsis  schloss.  Man  denke 
sich  beide  Rhythmen  an  zwei  Stimmen  vertheilt, 
so  ist  die  Sache  klar,  und  jedes  Tonstück  ent- 
hält Beispiele  davon. 


Verbindung  der  Rhythmen.  ajS 

Verbindung  der  Rhythmen. 

256. 
Uebei'  Verbindung  der  Rliytlimen,  so  wich- 
tig der  Gegenstand  auch  ist,  sowol  für  Beur- 
tlieilung,  als  Bildung  der  Verse,  haben  die  me- 
tvisclieu  Theorien  bis  jetzt  gar  nicht,  oder  doch 
sehr  in  den  allgemeinsten  Ausdrücken  sich  ver- 
nehmen lassen.  Die  einzige  Bestimmung,  die 
man  vielleicht  findet,  mochte  die  seyn,  dass  nur 
verwandte  Rhythmen  verbunden  werden  kön- 
nen. Was  sind  aber  verwandte  Rhythmen? 
Sind  es  solche,  welche  die  Theorie  in  demsel- 
ben Abschnitt  behandelt?  Die  Hermannische 
zäh  die  sinkenden  louiker  zu  den  daktylischen 
Rhythmen,  gleichwol  wechselt  dieser  Rhytlunus 
mit  dem  trochäischen;  Daktylen  und  Trochäen 
wechseln  in  logaödischen  Versen,  und  der  Päon, 
der  nach  Hermann  zu  einer  besondern  Klasse 
der  B.liytlimen  gehört,  wechselt  mit  lonikern 
und  iiiil  Trochäen.  Die  Verwandtschaft  war 
also  erst  auszumitteln ,  ehe  selbst  jene  leichte, 
oberfläeidichc  Ansicht  der  Verbinduni?  anwend- 
bar  seyn  könnte. 

257. 
Wie    unter   den   mehrsten  Gegenständen,   so 
findet   auch    unter  den  Rhythmen  eine  dop})ehe 
An  von  Verbindung  Statt,  die  man  als  äusse- 
re und  innere  iinlcr.s<'h<'idcn   kann.  , 


^36  Allge  iii  ein  er  TJif  1 1. 

258. 
Die  ä  II  s  s  e  r  c  Art  der  VerLindung ,  die  wir 
äussere  nennen,  weil  kein  inneres,  bindendes 
(orjjanisii'endes)  Princip  in  ihr  wahrgenommen 
wird,  besteht  in  einer  Jdüssen  Nebeneinander- 
stellung (Juxtaposition)  der  Rhythmen.  "Wir 
finden ,  um  die  Sache  gleich  zu  nennen ,  eine 
Zusammenstellung  der  Rhythmen  dieser  Art  in 
der  prosaischen  Rede,  deren  Benennung  wir 
nur  der  Deutlichkeit  wegen  hier  anliclpiren ; 
denn  die  Kunst  des  prosaischen  Rhythmus,  lä.s.st 
sich  nur  bei  völliger  Einsicht  in  die  Kunst  des 
metrischen  Rhythmus  theoretisch  erläutern. 

2,%. 

Soll  der  rhythmische  Styl  der  Prosa  wirklich 
Styl  seyn,  und  nicht  bloss  die  Bequemlichkeit 
ausdrücken,  welche  die  Entbundenheit  Aom  me- 
trischen Gesetz  gcAvälirt,  so  darf  er  nicht  durch 
metrische  Bewegung  die  Forderung  eines  sol- 
chen Ganges  aufregen,  und  dadurch  das  ünme- 
trische  seines  gewöhnliclien  Schrittes  als  Ab- 
weichung vom  Gesetz  charaklerisiren.  Die  Theo- 
rien tadeln  daher  die  \erse,  oder  Verstheile, 
wel(-he  zuweilen  in  prosaischer  Rede  vorkommen, 
z.  B.  das  esse  videtur,  das  placuisse  Ca- 
toni  und  ähnliche  Rhythmen.  Allein  die  Be- 
trachtung der,  aus  dem  Grundrhythmus  abge- 
leiteten Formen,  zeigt  bald  die  Unmö.-,i!<hkeil., 
<h'm     Umfang     dieser     Forderung     zu     genüg(;n. 


Verbindung  der  Rhythmen.  aSy 

Denn  wir  mögen  die  Wovte  steilen ,  wie  wir 
nur  immer  wollen,  so  stellen  wir  sie  zu  einer 
rhythmischen  Form  zusammen,  und  mitliin  in 
eine  Form,  die  ein  \ers,  oder  ein  \  erstheil 
seyn  kann.  Clodius  (Poetik  S.  55o.)  schreibt, 
indem  er  den  N  ers  in  der  Prosa  tadelt,  selbst 
ein  Stück  Hexameter: 

_  ^  ^   _   _   schreiben  in  lauter  lambon.    Das 

mjösfallt 

Klopstock  (Gramm.  Gespräche  S.  126)  lässt  sich 
einen  aristofauischen  iambischen  Tttrameter  ent- 
fallen : 

Wir  haben,  ich  sehe  es  nun  -vvol  ein,   selbst  gutgeschriebene 

Bücher 
und   S.  229.  einen  dochmischen  Vers  mit  ange- 
hängtem Kretikus: 

w     —     —     w>—       I       _»^_ 

Du  legst  ihr  dadurch  Knoten  an 
ganz  nach  dem  Euripidischen: 

(f6Li    (f.£V    'j(^(QVlßb}V  I  TbiV   iy.il, 

Ja ,  die  unschuldigste  Zeitungsnachricht : 

Halb  zwei  Uhr  verliess  der  Feind  urisre  Stadt 

läuft  Gefahr,   als    dochmischer   Dimeler,     gleich 
dem  Sofokleischen 

Z .-    I    l, w_ 

<ü  na< ,  naiy    viog  vtM   '^vv  f.iOi)(o 
angehallen  zu  werden.      So  schwer  ist  es,  keine 
Verse    zu   raaclien,     und   man  wundert  sich   mit 


2.'5.'  Allgemeiner  T  h  e  i  1. 

Unreclit,  dass  jener  sich  wunderte,  als  er  hörte, 
er  spreche  Prosa.  Gkichwol  wird  der  Leser 
an  allen  diesen  Stellen  in  den  Büchern  selbst 
weniger  Anstoss  finden,  als  wo  man  sie  vor  ei- 
nem prosodischenLängenhüreau  über  ihre  Theil- 
nahme  am  Vers  abhört. 

260. 

Die  Prosa  kann  so  wenig  vom  Rhythmus 
frei  seyn ,  als  der  Klang  der  Rede  vom  Ton. 
Gleichwol  soll  die  Rede  nicht  singend  seyn. 
Der  Sprachton  ist,  wie  Schelling  sich  einmal 
sehr  passend  ausdi-ückt,  ein  Tonchaos.  So  soll 
auch  die  Prosa  gleichsam  ein  Chaos  seyn,  in 
welchem  die  Rhythmen  als  Verselemente  liegen, 
ohne  sich  jemals  zum  wirklichen  \ers  zu  gestal- 
ten. Dieses  Verhaitniss  des  Rhythmus  zur  Prosa 
erhält  der  Prosaist  dadurch :  theils ,  dass  er 
Verbindungen  solcher  Pvhythmen  vei-meidet,  wel- 
che in  demselben  Metrum  sich  an  einander 
schlicssen.  (Nicht  gut  war  z.  B.  die  Wortstel- 
lung : 

In  verzweiÜLingvoller  Verwirrung  focht  unten  die   Legion , 

denn  die  Melodie  des  galliambisehen  Verses  mit 
aller  Lyrik  der  Antithese  seiner  beiden  Hälften 
klingt  durch);  theils,  und  vorzüglich,  dass  er 
in  Stellen ,  wo  das  Metrum  sich  zudrängt ,  sich 
hütet,  eine  rhythmische  Form  (z.  B.  einen  Wort- 
fiiss)    an    solche    Orte   zu   bringen,     wo  diesülbe 


Verbindung  der  Rhythmen.  a3f) 

zugleich  metiisclie  Form  ist.  Zu  versülmlich 
würde  deswegen  klingen: 

Der  anmutige  Wechselgesang  der  kunstliebenden  Jungfraiui; 
denn  die  Melodie  des  priapisclien  Verses  klingt. 
durch,  und  jedes  Wort  hat  die  rhythmische 
Form  der  Periode,  in  welcher  es  steht.  Durch 
entgegengesetzte  Stellnng  kann  sogar  im  wirk- 
lichen Vers  die  Auffassung  seiner  Melodie  ge- 
stört werden.     Der  früher  angefiihrte,  z.  B. : 

«^w      j      w^—ww      I      —  w«*'  ^JM  «^t/  t/  «^  I  •" 

In  dem  Labyrintli  der  gewaltigen  anstürmenden  Melodie 
kann  bei  aller  metrischen  Richtigkeit  in  der 
Prosa  Statt  finden,  weil  die  rhythmischen  For- 
men darin  niemals  zugleich  metrische  sind. 
]Nicht  selten  ist  eine  solche  Stellung  auch  der 
Grund,  warum  manche  der  alten  \erse  nicht 
eher  richtig  vernommen  werden,  bis  man  aus 
andern  Zeichen  erschlossen  hat,  zu  welcher  Vers- 
gattuug  sie  gehören. 

Es  ist  aber  nicht,  genug,  nur  einige  Rhyth- 
men der  metrischen  Form  entgegen  zu  stellen, 
wenn  andre  in  demselben  Satze  wieder  damit 
parallel  laufen.     Der  völlig  metrische  Satz: 

Hallt  Flötengetön  anlockender,    als  der  Ruf  des  Schlacht- 

hürns? 

kann  mit  seiner  ersten  Hälfte  unbedenklicli  in 
der  Prosa  stehn ;  denn  die  rliythmischen  For- 
men Ivcfi'en  niemals  mit  gleichen  metrischen  zu- 


A  U  ü  e  m  ö  i  ti  f  r  T  li  c  i  1. 


sammcii,  soajar  der  ionisolie  Worlfass:  anlo- 
ckender, steht  der  ionisclien  metrischen  Form 
durcli  seine  Stellung  in  der  Periode  : 


t  ^  >  )^  > 


^       w        —        w     M» 

anlockender 


entgegen.     Die  zweite  Hälfte  hingegen: 

als    der  Ruf  des   Schlaclithorns 
gibt  "die  Meibdie  des  ithyfaliischen  Verses 

0  0^0     \  0.    a. 

-   -   -   -    I 

iinverdeckt,  und  gehört  also  nicht  in  die  Prosa. 
Setzt  man  dafür: 

als    Sclilaclithornruf 

SO  ist  zwar  ebenfalls  ein  Vers  vorhanden,  näm- 
lich der  anapästische  Monomcter 

allein  dieser  vereinigt  sich  mit  der  ersten 
Hälfte  nicht  zur  metrischen  Reihe,  und  so  ist 
jener  prosaische  Satz  kein  \ers,  Aviewol  seii.e 
erste  Hälfte,  bei  einmal  eingeleitetem  \ erstakt, 
untadeihaft  im  Vers  srilm  kann.  Sehr  beför- 
dert wird  auch  diese  autimelrisehe  Stellung  ia 
der  Prosa,  wenn  die  Ar.sis  im  Worlrhylhmns, 
lind  der  logische  Acceiit  iiiclil  auf  SltlhMi  trei- 
fen,  die,  wenn  der  Pihylhmus  Theil  eines  ^ivr- 
sts    war,    in    der   Hebung    dieses   Verses    stehe  n 


Verbindung  d  e  v  K  h  y  t  h  m  e  u.  2  i  x 

würden.  Mehr  liicrüber  zu  sagen,  ^vürde  ausser 
den  Gränzen  der  Metrik  lie^^en,  die  ehen  als 
Metrik  nur  den  metriselien  ilhythmus  zu  be- 
handeln hat. 

261. 
Die  innere  Verbindung  der  Rhythmen  muss 
ein  innres  organisirendes  Princip  des  Zusam- 
menhanges in  der  ßeihe  der  verbundenen 
Rhythmen  wahrnehmen  lassen,  so  wie  die  Ele- 
mente des  Rhythmus  selbst  (die  Momente)  durch 
ein  innres  organisirendes  Princip  verbunden 
sind.  Dieses  organisirende  Princip  des  Rhyth- 
mus ist  das  Metrum,  durch  welches  Accent  und 
Quantität  für  den  Rhythmus  zu  sichern  Bestim- 
mungen werden.  Eben  dieses  Metrum  wird  also 
auch  Princip  der  Verbindung  mehrer  Rhythmen 
zu  einem  Ganzen  seyn;  allerdings  aber  in  grö- 
ssern Dimensionen,  als  wo  es  nur  für  rhyth- 
mische Elemente  das  organisirende  Princip  war. 
Dieses  Metrum  in  grössern  Dimensionen  ist  die 
m  e t r i s c h e  P e r i o d e  (in  der  Musik  der  Takt), 
und  das  Ganze  der  verbundenen  Pihythmen,  das 
sie  organisirt,  ist  der  Vers  (in  der  Musik  die 
Melodie). 

261. 
Wie   sicli   nämlich  die   Hauptmomenle  (oder 
die    aus    ihrer    Zerfällung    entstandenen    Füsse), 
zu  der   metrischeu  Periode   (198.   il.)   verhalten, 

x6 


a42  Allgemeiner  'J'heil. 

SO  verhält  sicli  Avicder  die  mclriscfie  Periode 
zum  Vers.  Sie  stellt  das  Haujitraoraent  in  der 
grösseren  Sfare  des  Verses  vor,  und  wie  die  Pe- 
lüode,  nach  der  Zal  der  in  ihr  enthaltenen 
Hauptmomente,  oder  Füsse,  zur  Monopodie,  Di- 
podie  oder  Tripodie  wird,  so  wird  der  Vers 
nach  der  Zal  der  in  ihm  enthaltenen  metri- 
schen Perioden,  bald  Monometer,  bald  Dimeter, 
bald  Trimeter  seyn.  Telrameter  sind  doppelte 
Dimeter,  Hexameter  doppelte  Trimeter  oder 
dreifache  Dimeter.  Wahre  Pentameter  gibt  es 
so  wenig,  als  Pentapodien,  die  sogenannten 
Pentameter  haben  ein  andres  Maas.  Z.  B.  der, 
nach  Monopodien  gemessene  daktylische  Penta- 
meter des  Simmias : 

_^^  I  -wv'  I  — •-<  r  -^^  I  — 

XOii^e,  uvu^,  iTu(J€  C^.&eug  ficcy.u^  »J/^ßi' 
Blühend   und   zart ,   wie   die  Knospe   des   rosigen  Frühling« 
ist    entweder   ein   fiiichtig    daktylischer  Trhneter 
nach  Dipodien: 

«.  e^  i*    «.  «^  e    \  e.  o^  e    e.  er  »    1  #.  #• 
oder  ein  tripodischer  Dimeter: 

d.  />  •  J.  •"  d  J.  «'  •  \  d.  J^  »  «.  d. 
was  aus  den  wenigen  auf  uns  gekommnen  Ver- 
sen dieser  Art  sich  nicht  bestimmen  lässt;  oder 
sie  sind  seltene  Versuche,  denen  das  Gehör  so 
wenig  beistimmte,  als  die  Theorie,  und  die  da- 
her nioht  viel  ISachahmung  fanden.      Zu   diesen 


Verbindung  der  Rhythmen.  245 

scheinen   die   trocliäischen   und   kretischen  Pen- 
tameter zu  gehören. 

262. 
Vielleicht  aher  entstanden  dergleichen  üher- 
lange  Verse  zuweilen  durcli  das,  was  die  Grie- 
chen S  c  h  al  t  in  e  t  r  u  m  ( f-iexQOv  fxecov  )  nennen. 
Um  gleich  eine  anschauliche  Vorstellung  d-ivon 
zu  bekommen,  möge  hier  das  Beispiel  eines 
Schaltverses  stehn.  In  dem  bekannten  Gedicht 
von  Voss: 

Auf  meines   Vaters    Hügel 

Da   steht  ein   schöner   Baum, 

Gern   singt   das   Waklgeflügel 

Auf  meines   Vaters   Hügel, 

und  singt  mir  manchen  Traum 
ist  die  ausgezeichnete  Stelle  ein  solcher  Schalt- 
vers; das  Metrum  derSlrofe  verlangt  die  Schluss- 
zeile nach  der  dritten,  allein  der  Rhythmus 
verweilt  hier  mit  einer  Wiederholung,  und  hält 
so  den  Schluss  um  einen  Strofentakt  (einen  Vers) 
auf.  Es  ist,  wenn  man  den  Ausdruck  nicht 
misdeuten  will,  gleichsam  eine  ausgeführte  Fer- 
mate höherer  Ordnung.  Marder  s  bekannte  (Kom- 
position dieses  Gediciiles  bezeichnet  den  Cha- 
rakter dieses  Schaltverses  sehr  trelleud. 

26.0. 
Was    der  Schaltvers    in    der   Strofe,    das    ist 
das   (xitf^op  fiiGov,    oder    die    Schal  tper  iode, 


24*  A  1 1  j^  e  in  o  J II  er    lljoil. 

in  dem  Vers,  oder  der  Schal  Ltakl  in  der  Me- 
lodie. In  einer  sehr  einfachen  Gestalt  erwähnt 
ilin  schon  der  Verfasser  des  Artikels  Rhythmus 
in  der  Sulzerschen  Theorie,  und  zeigt  in  dem 
Beispiel : 


■\vlc  der  Satz ,  der  eigentlich  nur  vier  Takte, 
seinem  Rhythmus  nach,  enthalten  kann,  durch 
den  eingeschobenen  dritten  Takt  zwar  fünf  Takte 
bekommt,  aber  an  sich  doch  ein  Satz  von  viei' 
Takten  bleibe.  Das  Metrum  des  Hauptrhyth- 
mus hat  hier  eine  eigentliche  leere  Zeit  (62), 
nicht  eine  Pause;  denn  diese  ist  wahres,  erfal- 
lendes metrisches  Moment,  nur  nicht  im  Reel- 
len, sondern  im  Id-eellen  (210).  Eben  so,  wie 
ein  musikalischer  Satz  durch  einen  Schalttakt, 
kann  auch  ein  Vers  durch  eine  Schfiltj^eriode 
aulgehaiten  werden.  Hierzu  gehören  die  Aus- 
'rufe  [fniqMi/r^fiazu  und  [.ifGVf.ivca) ,  welche  man  in 
di'amatischen  und  lyrischen  Gedichten  zwischen 
den  Versen  eingeschaltet  findet,  auch  die  Mono- 
meter  zwischen  Dimelern.  Vielleicht  liegen 
manche  dergleichen  Schaitperioden  in  der  Mitte 
mancher  Verse ,  die  deswegen  Aerkannt  worden 
sind.     Der  Vers  z.  B.: 

Selbst  von   mir ,    durch   eignen   Wahnsinn   (Wehe,   Weli ! ) 
ward  das  Scliicksalsvvort  erfüllt. 


Verbindung'  der  Pi h y tli  m  e m.  »45 

ivird,  des  eingeschalteten  Epifonems  vmgcaclitet, 
kein  Pentameter,  sondern  bleibt  Telrameter,  was 
er  oliuc  das  Schaltmetrum  ist, 

264. 

Bei  den  Grammatikern  bekommen  auch  an- 
dre Thtile  des  Verses  den  Namen  ^uz^ov  f(iCfOt\ 
indem  sie,  nach  ihrer  Art  die  Yerse  auseinander 
zu  nehmen  und  zusammen  zu  setzen,  manche 
längere  Verse  als  auseinander  geschobene  und 
mit  Einschaltungen  ausgefüllte  kürzere  Verse 
betrachten.  Der  Choriamb  ist  ihnen  besonders 
ein  sehr  gebräuclilicbes  Schaltmetnim.  Nach 
dieser  Ansicht  ist  ihnen  z.  B.  der  asklcpiadischc 
Vers  ein  glykouischer  mit  eingeschalteten  Cho- 
riamben 

Vielen  Redlichen,  ach!  [samc  er  beweint]  hinab  \  oss 
der  bekannte  horazische: 


Te  Dens   o[ro,   Sybarin]  cur  properas  amaudo        H  o  r. 
Immerhin   scy   [taub  der  Musik]   Schulenbarbar  und  Welt- 
mann !         Voss 

ein  safGscher  Vers  mit  eingeschaltetem  Choriam- 
ben. Wer  den  Vers  als  Vers  vernimmt,  wird 
diese  Ansiclit  bloss  historischer  Weise  bcmcr- 
kenswerlh  lindcji. 


a46  Allgemeiner  Theil. 

265. 
Betrachten  wir  nun  in  Rücksicht  auf  den 
Vers  die  metrischen  Perioden  als  dessen  Mo- 
mente ,  so  zeigt  sich  die  rhythmische  Einheit 
des  Verses,  der  sich,  gleich  der  ursprünglichen 
rhythmischen  Einheit,  in  zwei  oder  drei  Momente 
(Perioden)  zerlegt,  die  sich  zu  einander  verhal- 
ten, wie  Ar  is  und  Thesis  in  der  einfachen 
rhythmischen  Form.  In  Melodien,  deren  Rhyth- 
mcn  mit  den  metrischen  Formen  der  Periode 
parallel  laufen,  zeigt  sich  deswegen  der  Cha- 
rakter der  Arsis  und  Thesis  im  Dimeter,  als 
Antithese,  und  im  Tetrameter  nochmals  als  hö- 
here Antithese  unter  zwei  dimelrischen  Versen, 
z.  B.  : 

ttjiox^tvuc   fiOi ,   rivog    ovvfua    '^^rj   'O-av/.i^ueiP    uvÖQU 

TiOiriTiiv  /      A  r  i  s  t  o  f. 

Antworte    flu  mir,   weswegen  gebürt  die  Bewund^ung  wo! 

dem  Poeten  ? 

oder  im  io   ischen  Rliythmus: 

_.'_-,    _.^_   II   _3 ,-- 

Piebenlaub    umkränzet    das    Haar,     th3'rsusschwingender 

Mänas. 

Im  Trimeter  wird  diese  Antithese  verdunkelt; 
er  ist  gh'ichsam  eiiJer— vveiterter  Tribrachys,  oder 
flüchtiger  Daklylus,  dessen  Zeitverhältniss  er 
auch  in  seiner  üblichsten  Form: 


Verbindung  der  Rhythmen.  2*7 

Der  Götter  AnÜitz  hab'   ich   oft   furchtlos   geschaut 
andeutet. 

266. 
Aus  diesem  Begriff  des  Verses,    als  grösserer 
Einheit    melrischer    Perioden,     folgt    unwider- 
sprechiich,    dass   jeder    Vers    dadurch,     dass    er 
Vers  ist,  auch  an  den  Takt  gebunden  sei.    Diese 
Taktraässigkeil  liegt  aber  nicht  darin,    dass    der 
Vers  aus  Rhythmen  besteht,  sondern  darin,  dass 
der  Zusammenhang  der  Rhythmen  im  Vers  nach 
einem    metrischen    Princip    Statt    findet.       Jeder 
Fuss  (Messungsfuss,  22)  liat  Metrum  (Takt),  aber 
nicht    jede    Zusammensetzung    von   Füssen    hält 
denselben  Takt  fort.       EJ.en    so  hat  jede  metri- 
sche Periode  Takt,    aber  nicht  jede  Zusammen- 
setzung   von  Perioden  führt  diesen  Takt  gleich- 
formig  weiter.      Jeder  Vers  hat  Takt  in  seinem 
Umfange,  aber  nicht  jede  Zusammensetzung  von 
\  crsen    Uisst  denselben  angefangenen  Takt  fort- 
<rehn.      Durch   dieses  Takthallen  und  ISicbttakt- 
haken    entsteht,    Avie    schon    erwähnt    ist,     der 
Unterschied  zwischen  prosaischer  und  metrischer 
Rede. 

267. 
Wir   haben    schon  bei   mehren  Veranlassun- 
gen des  Unterschiedes   zwischen  metrischen  und 
rhythmischen.  Reihen,  metrischen  und  rliythmi- 


a43  Allgemeiner  Theil. 

sehen  Formen  erwähnt,  nieht  ganz  ohne  cli(i 
Nebenabsicht,  auf  die  Anwendung  dieses  Un- 
terschiedes voi'zubereiten ,  die  hier  davon  ge- 
macht werden  soll,  wo  wir  von  den  vei-schiede- 
nen  Arten  der  Verbindung  rhythmischer  Reihen 
zu  sprechen  haben.  Die  metrischen  und  rhyth- 
mischen Reihen  sind  allerdings  leicht  zu  ver- 
wechseln ;  denn  jede  metrische  Form  ist  auch 
eine  rhythmische  Reihe,  und  jede  rhythmische 
R^eihe  ist  wenigstens  einer  der  metrischen  For- 
men ähnlich,  gesetzt  auch,  sie  stünden  nicht  in 
der  Stelle  der  metrischen  Periode,  auf  welcher 
die  ähnliche  metrische  Form  sich  bildet.  So 
stellt  z.  B.  der  Clioriamb ,  als  metrische  Form, 
mitten  in  der  Periode: 

Wenn  des  Lieds  Wolillaut  sich  erhebt 
(  Es  ist  mit  Vorsatz  in  diesem  Reispiel  der  cho- 
riambische Wortfuss  A  ermieden ,  um  bloss  auf 
die  Wirkung  des  reinen  Rhythmus  die  Sache 
zu  beziehn) ,  er  kann  aber  auch  aus  einer  Pe- 
riode in  die  andre  übergreifen: 

1  ^  ^  ^  N  i   I  >  ! 

Schroffes  Felsengestad   am  Meer 
nnd    dasselbe    findet    bei  jeder  andern  rhythmi- 
schen   Form    Statt,    wie    mehre  früher  gegebene 
r!ris])l(l(>    deullicli    gemacht    haben.      Fs    bri;vi>ift 


Verbindung  der  R  li  y  thr.ien.  a-iq 

sich  nun  leiclit,  dass  der  Charakter  jeder  Form 
ungleich  starker  und  le]>]iafter  hervortritt,  wenn 
die  rhythmische  Form  auf  derselben  Stelle  steht, 
wo  sie  zugleich  auch  als  metrische  Form  ihren 
Platz  hat,  und  dass  im  Gegentheil  der  Cliarak- 
ter  einer  Form  um  so  mehr  verdunkelt  werde, 
je  verschiedener  ihre  Stelle  in  der  Periode  von 
der  ist,  welche  sie  als  metrische  Form  darin 
l)ehauptet.  Zugleich  aber  sieht  man,  ungeachtet 
der  Aehnlichkeit,  auch  die  Verschiedenheit  der 
metrischen  Reihe  von  der  rhythmischen,  die 
selbst  da,  wo  beide  Keihcn  zusammen  treffen, 
noch  unterschieden  werden  können.  Dieses  Zu- 
sanimentrcfren  beider  Arten  von  Keihcn  in  Ton- 
slücken von  stark  markirtem  Pihythmus,  z.  B.  in 
Tänzen,  ist  es  vermutlich,  was  Hermann  mit 
seinem  Rhythmus  des  Taktes  meint,  welcher 
unsrer  Musik  Einförmigkeit  geben,  und  den 
Griechen  unbekannt  gewesen  seyn  soll ;  denn 
den  Takt  selbst  würde  man  doch  nur  sehr  un- 
eigenllich  vuid  in  einer  leeren  Tautologie 
Rhythmus  des  Taktes  nennen. 

268. 

Dieses  Zusammentreffen  und  Auseinanderscyn 
metrisdier  und  rhythmischer  Reihen  culstcht 
nicht  bloss  von  Ungefähr,  sondern  es  deutet 
auf  einen  (iriindiuUersrliied  iu  dem  Priucip  die- 
ser Reilii'u  si'Ihst.      Wir  versli^hn  aber  uiiler  nie-*' 


25o  .  A 1 1  g  e  m  e  i  n  e  r  T  h  e  i  1. 

Irischer  Reihe  allezeit  tlie  metrische  Periode, 
sei  ^ie  nun  Monopodie,  Dipodie,  oder  Tripo- 
die;  unter  rhythmischer  Reihe  aber  jede 
rhythmische  Form,  ohne  Rücksicht,  ob  sie  als 
metrische  Form  an  ihrer  Stelle  sich  befinde, 
oder  in  mehr  als  eine  Periode  sich  ausdehne, 
oder  vielleicht  die  metrische  Periode  nicht  ganz 
ausfülle.  So  erfüllt  z.  R.  der  Choriamb  die  tiü- 
podische  Periode  nicht  ganz,  und  ist  deswegen 
doch  als  rhythmische  Form  im  tripodischen 
Metrum  anwendbar. 

269. 

Rhythmus  und  Metrum  gehn  zwar,  wie  wir 
gesehn  haben,  aus  eincili  und  demselben  Prin- 
cip  hervor,  nämlich  aus  dem  Streben  der  Ein- 
heit sich  zu  gestalten  (man  gestatte  diesen  Aus- 
druck, der  nach  dem  Obigen  jedem  klar  seyn 
muss.)  Gleichwol  lassen  sich  in  diesem  Streben 
zwei  Richtungen  unterscheiden,  die  ausdelniende 
und  die  begränzende.  Die  erste  zeigt  sieh  als 
das  metrische,  die  zweite  als  das  eigentlich 
rhythmische  Princip.  Die  erste  entfaltet  aus 
der  Einheit  die  Momente  in  gemessenem  \  er- 
hällniss ,  und  setzt  dieses  Entfallen  in  jedem 
Moment,  als  einer  neuen  Einheit,  bis  in  das  Un- 
bestimmte fort,  die  zweite  hält  dieses  Entfalten 
an,  indem  sie  die  entfalteten  Momente  als  ein 
entstandenes  Ganzes   aufiasst,    und   so    begränzt. 


Verbindung  der  Rhythmen.  aSi 

Man  kann  dalier  bei  einer  metrischen  Reihe  \on 
ihrem  Rhythmus  abstrahiren,  und  die  metri- 
schen Momente  bloss  als  Material  betrachten, 
welches  von  dem  eigentlich  rhythmischen  Prin- 
cip  begränzt  werden  soll.  Hierdurch  entsteht 
die  Möglichkeit  eines  sehr  mannigfaltigen  Rhyth- 
mus iu  derselben ,  einfachen  oder  zusammenge- 
setzten, metrischen  Reihe.  In  folgenden  \  er- 
sen  z.  B.  ist  die  metrische  Reihe,  im  Einzelnen 
und  in  der  Zusammensetzung  dieselbe  j  sie  sind 
insgesamt  iambische  Trimeter: 

w-w_   I   3-w_    I   Z .- 

Gv  f.iev  rad'av  ttqov/^oi   \   ifo)  de  dtj  ru<f.ov    Soph. 
Als   starr   am  Brautaltar    |    die    Unglücksel'ge  stand' 
^wGova    udikofiO)  [  (fikruTM  |  no^evaofiui     Ders. 

Bald    schliesst    zum    Aufruhr    j    jede    Stadt    |    feiadsel'- 

gen  Bund 

&fQfiriv  iTci  ipv^QOiüt  I  nuo§iav  s'/(ig      Ders. 
Nicht   hohe  Himmelsgötter,    i     nicht   Tiefherrschende 
(f^ikolfvo:; ,      MelijGcug ,   \   ^-^^ivfiag   \     Aristo  f. 
Der   Schlachten  Gott    |    verhängnissvoll    |    entgegennihrt 

Schiller 

allein  in  jedem  sind  die  rhythmischen  Reihen 
anders,  als  in  dem  andern,  Avie  die  Striche  in 
den  Versen  anzeigen.  Auf  diese  Möglichkeit  ei- 
ner Verschiedenheit  der  rhytiimischen  Reihen, 
bei  (Gleichheit  der  metrischen,  gründet  sich  die 
Verschiedenheit    der   Ciistir    in   derselben    Vers- 


Ab'J.  A  1 1  g  e  m  e  i  n  e  r  T li  c  i  i. 

gattung,  wovon  weiter  unten  ^\e  Kode  «eyn 
wird.  —  Eben  so  kann  man  umgekehrt  Lei 
einem  llliyilimus  von  dessen  Metrum  abstrahi- 
ren,  und  ihm  ein  anderes  aneignen,  was  die 
Veränderung  eines  Thema  in  eine  andre  Takt- 
?irt  mögiieh  macht.  (4io) 

270. 

Indem  wir  den  Unterschied  des  rhythmischen 
Priucips  vom  metrischen  genau  beobachten,  zeigt 
sich  auch  unter  ilinen  eine  doppelte  Möglichkeit 
der  Verbindung.  Entweder  beide  Principe  ent- 
wickeln sieh  gleichmässig,  so,  dass  die  rhyth- 
mischen Formen,  weil  sie  aus  einer  und  der- 
selben Einheit  hervorgehen,  mit  den  metrischen 
Formen  zusammen  treffen ,  oder  das  rhythmi- 
sche Princip  der  Begränzung  bestimmt  eine  von 
ihm  unabhängig  entwickelte  metrische  Reihe. 

Bei  ganz  strenger  Beobachtung  sieht  man 
bald,  dass  jene  metrische  Reihe,  welche  wir 
hier  als  bestimmbares  Material  denken,  schon 
in  ihrer  Entstellung  rhythmisch  bestimmt  ist; 
denn  überall  ist  Metrum  ohne  Rhythmus  un- 
denk])ar,  eben  so  ist  die  rhythmische  Reihe, 
welche  wir  hier  als  bestimmende  Form  jenes 
Materials  annehmen,  scliou  an  sich  metrisch 
beslimml;  denn  Rhythmus  ohne  Metrum  ist 
ebenfalls  undenkbar;  allein  bei  der  Verbindung 
der    zweiten    Art,    von    welcher    wir    sprechen, 


Verbindung  der  Rhythmen.  ahö 

■wird  diircli  die  A^erLinJende  Kraft,  die  bestim- 
mende Thätigkeit  des  Rhythmus  auf  ein  Mate- 
rial gerichtet,  das  sich  unler  einer  andern 
rhythmischen  Einwirkung  entwickelte,  und  jetzt 
seine  natürliche  Form  aufgibt,  um  sich  von  dem 
ihm  fremden  Princip  bestimmen  zu  lassen.  So 
hat  z.  B.   die  metrische  Doppelperiode: 

die   natürliche  und  mit  ihr  zugleich  aus  dersel- 
ben    Einheit     entstandene     rhythmische     Form 
zweier  trochäischer  Dipodien,  und  im  Yers: 
Bürgerwohlfahrt   sann   er  rastlos         Voss 

ist  diese  rhythmisch-metrische  Form  ausgedrückt. 
Ferner  hat  die  rhythmische  Reihe: 

Goldiies   Mor^enroth 

•fest  die  natürliche  und  mit  ihr  entstandne  me- 
trische Form  der  Tripodic: 

J  /  J  j"  j. 

In  dem  Vers: 

—      w      —     w       I       _w_.^ 

GoIdiies   Morgenroth   der  Freiheit 

verlässt  aber  die  erwähnte  rhytlimische  Reihe 
ihre  ui'spvungliche  metrische  Form  der  Tripo- 
dic, und  nimmt  dieses  Maas: 

J  j"^  J  .M  J 

Goldnes   Mor"enroth 


a5"t  Allgemeiner  Theil. 

an ,  Iiuleni  sie  nun  zu  einem,  in  der  ersten  Ar- 
sis  endcndeu  rhythmisclien  Scliluss  wird  (219). 
Dagegen  verlässt  die  metrische  Reihe  ihre  ur- 
sprüngliche rhythmische  Begränzung  durch  die 
dipodische  Form,  und  nimmt  in  der  ersten  Ab- 
iheilung des  \erses,  die,  ihrer  ISalur  nicht  ei- 
genthiimiichc,  rhythmische  Bestimmung  vom  tri- 
podischen  Rhythmus  an.  So  trellen  metrische 
und  rhythmische  Formen  gauz  verschiedener 
Art  in  demstlben  \ers  zusammen,  des  en  Me- 
trum sich  von  fremden  Rhythmen  bestimmen 
lässt.  und  eben  dadurch  diese  Rhythmen  zu 
dem  Ganzen  eines  V  crses  verbindet.  Die  Be- 
wegung eines  solchen  Verses  wird  allerdings 
dadurch  freier  und  lebhafter;  sie  entfernt  sich 
aber  auch  in  demselben  Grade  weiter  vom  Ge- 
sangähnlichen, in  welchem  die  Verschiedenheit 
der  metrischen  und  i-hythmischen  Formen  her- 
vortritt. Dies  zeigt  sich  besonders  in  lungern 
Versen,  wenn  die  metrische  Schlussform  des  ei- 
genlhümlichen  Rhythmus,  durch  die  Bcilinimung 
des  fremden  Rhythmus  in  die  Mitle  einer  rhyth- 
mischen Reihe  zu  stehn  kommt.  Z.  B.  im  Te- 
trameter : 

Heiiges  Morgenlicht  der  Freiheit  glüht   empor   aus  dunkler 

Nacht 

fallt  der  metrische  und  rhythmische  Sehluss  der 
ei'sten    Doppelperiode     auf    eine     und    «lieselbe 


Verbindung  der  Rhythmen.  aSS 

Stelle,  und  diviSe  gleiche  rhytlimische  und  me- 
trische Cadenz  orhält  den  Vers  sangbar.  Die 
Stellung  hingegen: 

_W    —    W_W  I  —    W  II  —  I  W    —    «-»    —    *-.>    — 

Heilger  Freiheitmorgen,  Lobgesang  nnd  Jubel  grüssen  dich 
bringt  den  metrischen  Schluss  der  ersten  Dop- 
pelperiode iix  die  JNlitte  eines  Rhythmus ,  und 
so  verliert  der  Yers  den,  nach  den  metrisch- 
rhythmischen  Formen,  ihm  natürlichen  Gesang. 

271. 
Die  erste  Art  der  \erbindung  rhythmischer 
und  metrischer  Reihen,  wenn  nämlich  die  me- 
trische Form  durch  den,  ihr  natürlichen  und 
mit  ihr  selbst  aus  demselben  Princip  evolvirten, 
Rhythmus  bestimmt  wird,  nennen  wir  die  voll- 
kommene, natürliche,  wesentliche  \  er- 
bindung.  Die  zweite  Art  hingegen,  wenn  die 
metrische  Reihe  nicht  von  ihrem  eigenthümli- 
chen,  sondern  von  einem  fremden  rhythmischen 
Princip  bestimmt  wird,  die  un voll kommene, 
fremdartige,  zufällige  Verbindung. 

272. 
Auf  diese  Verschiedenheit  der  Verbindung 
der  rhythmischen  und  der  metrischen  Rtilien 
grünJct  sich  nun  die  dojipelte  Art  der  Verbin- 
dung mehrer  rhythmischen  Reihen  im  Verse 
selbst.     Sie  sind  näjnlich  alle  entweder  aus  der- 


ubi)  Allye  lu  einer  Thöil. 

selben  rliyllunisclieu  Eiiilieit  entwickelt,  und 
stellen  einander  im  \evs  als  grosse  (nicht  mehr 
eleraentarische ,  sondern  organisirte)  Arses  nnd 
Theses  entgegen,  oder  sie  stammen  aus  ver- 
schiedenen Einheiten,  und  vereinigen  sich  nur 
mit  einander  durch  das  Band  des  gemeinschaft- 
lichen ]Metruni.  Wir  werden  die  erste  Art  die 
lyrische  Verbindung  der  Rhythmen  nennen, 
die  andre  hingegen  die  deklamatorische. 

rr 

2  70. 

Lyrisch  verbunden  helsseu  solche  Pihylhmen, 
welche  aus  einer  und  derselben  Einheit  sich 
entwickelt  haben,  xmd  also  wie  Arses  und  The- 
ses sich  zu  einander  verhalten.  Es  fallt  sogleich 
in  die  Augen ,  dass  diese  Verbindung  nur  un- 
ter solchen  Rhythmen  möglich  Ist,  deren  rhyth- 
iniscJie  und  metrische  Form  wesentlich  verbun- 
den ist.  Der  flüchtige  lonlker  und  der  flüch- 
tige Chorlamb  z.  R.  sind  Im  gemischten  Metrum 
aus  derselben  Einheit  hervorgegangen: 
C. 

d.  6. 

wo  sie  daher  Im  gemischten  Äletrum  mit  einan- 
der zu  einem  ganzen  Vers  verbunden  sind,  da 
ist  ihre  Vei'bindung  lyinsch  ,  z.  B. : 

Goldlocklges  Morgengestim 


Verbindung  der  Rhythmen.  207 

Man  sieht  hieraus  schon,  dass  alle  Forn^n  des- 
selben Metrum  in  lyrischer  Verbindung  neben 
einander  gestellt  werden  könneji,  z.  B.: 

GoIdlücki£?es   Götterhaiipt 

Goldbesäamtes   Morgengewölk 

Die  lyrische  Verbindung  wird  dabei  nicht  ge- 
stört ,  Avenn  auch  der  zweiie  Rhythmus  mit  ei- 
nem Auftakt  anfängt.  Denn  die  erste  Form  ist 
rhythmisch  vollendet,  wenn  sie  auch  die  The- 
sis  ideell  im  Punkt  enthält,  deren  Zeit  dann 
der  Auflakt  zur  folgenden  Picihe  einnimmt, 
z.  B.: 

'  Felergelkut    durclihallt    die  Flur 

Hier  ist  der  Choriainb  und  der  Kretikus  mit 
dem  Auftakt,  lyrisch  verbunden,  eine  Stellung, 
welche  die  Hermannische  Metrik  für  eine  Ver- 
änderung des  Choriamben  in  die  iambische  Di- 
podie,  „des  harten  und  beschwerlichen  cliori- 
ambischen  llhythmus  wegen"  ansieht.  (Metrik 
§.  68.).  Uebcrail  slthn  sich ,  wie  man  sieht, 
die  lyrisch  verbuudneu  Khytlimen  anlilhetisch, 
wie  Arsis  und  Thesis,  entgegen,  und  wir  wer- 
den diesen  (lliar;  kter  der  rliylbmiselieii  Kutgc- 
genstellung    die   lyrische  Antilhcse|neuuen.  N^-'*^^^* 

17 


238  A 1 1  g  e  m  t-  i  n  e  r  1'  h  o  i  1. 

274. 

Wir  bemerken,  diese  lyrische  Antithese  bei 
Rhythmen,  weiche  sich  aus  der  ursprünglich 
zweigetheilten  Einheit  entwickeln,  indem  jedes 
Moment  hier  durch  einen  vollen,  aus  ilmi,  als 
untergeordneter  Einheit,  entwickelten,  llhyth- 
mus  repräsentirt  wird.  Allein  auch  die  drei- 
getheille  Einheil  lässt  ihre  Momente  durch  drei 
lyrisch  verbundene  Rhythmen  im  Verse  repra- 
sentiren.     Z.  B.  der  Vers: 

—  w  —  «^    I    —  v^  —  9«.^    I    — — - 
Streng   verhüllt   sich   iinserm   Blick    das   Schicksal 
entwickelt  sich  aus  derselben  Einheit. 
O. 
d  d.  d. 

j.  >         J.       J.        J.  J. 

ä     a     J    e     e  e     »  o     0.    ä. 


Wie  aber  die  tribrachische  Form  sehen  ganze 
Verse  bildet ,  sondern  lieber  in  den  ilüchligen 
Daktylus ,  oder  den  Trochäus  sich  verwandelt, 
so  möchte  auch  die  lyrische  Zusammensetzung 
dreier  rhythmischer  Formen  sehen  auhaltend 
vorkommen.  Dieser  Tri^ueter,  selbst  wo  er  ly- 
risch ist,  gibt  gern  der  ersten  Abtheilung,  gleich 
dem  flüchtigen  Daktylus,  etwas  mehr  Länge: 

_  w .    I    _,s^  -  ^    [    -1 

Stolzer   llcbermiith   erzürnt  cilu'   Göllcr 


Verbindung  d  er  R.  hythmc-n.  iSy 

oder    zielit    beide    Perioden,     gleich    dem    Tro- 
chäen,  zu  einem  Rhythmus  zusammen,  z.  B. : 

Wo   willst   du,    klares  Bäclilein,  hin,  so  munter?    Gdthe. 

oder  in  noch  grössei'n  Rhythmen : 

Irrt   doch   nicht   so,     es     freut    nicht   allein    in    den    Ster- 
nen ,    es   freuet  auch   in   dem   Himmel  Musik. 
Klo|)s  t  o  c  k. 

Seihst  die  Form  des  lamhus  scheint  in  der  Stel- 
lung : 

Qui   vidit   mare   turgidum ,    et 

infames   scopulos  ,   Acroceraunia?        Ho  rat. 
Den   hat  nimmer    des   rankigen 

Weinstocks  Traube  gelabt,  nimmer  der  Liebe  Kuss. 
ZU  Rhythmen  erweitert,  und  so  sehn  wir  im- 
mer das  ursprüngliche  Maass  der  rhythmischen 
Grundform  als  Takt  und  als  Versmetrum  wie- 
derkeliren.  Auch  ist  in  der  Schlussperiode  des 
lyrischen  Trimeters  der  Keim  der  Epode,  und 
der  Sehliissreime  in  der  modernen  Strofe  (chia- 
ve)  niclit  zu  verkennen. 

Wenn  indessen  der  lyrische  Charakter  am  voll- 
kommensten in  solchen  Versen  sich  zeigt,  deren  ur- 
sprüngliche Einheit  zweigetheilt  ist.  so  liegt  dieses 
in  der  iSatur  der  Zal  zwei,  weiclie  den  Gegensatz 
(die  lyrische  Antithese)  am  vollkommensten  aus- 
drückt, wie  die  zwelgetheilte  Saite  den  Gegen- 
sal/,  des  Griuidloues,  die  Oktave.     Lei  der  Ein- 


aßo  Allgemeiner  T  li  «  i  1. 

theilung    in   drei    Tlieilc,     seilen    wir,    wie    das 
di-itte  Moment  zwischen  arsischer  und  theli.sclier 
Natur  schwankt ;  es  ist  Arsis ,    ohne  (ausgenom- 
men   durch    neue  Zerfällung)  eine  Thesis  erwe- 
cken zu  können,    und   ist   selbst    Thesis    in    der 
ursprünglichen  F|Orm  _  ^,  aus  weicher  die  Drei 
erst    durch    Erweckung   des  Gegensalzes    in    der 
Läncre  (*'_'*'  w)  entsteht.      Die  Drei  scheint  da- 
her  der  Grund   der   rhythmischen  Dissonanz  zu 
seyn,    so    wie  die  Quinte,   hei  aller  Konsonanz, 
doch   zugleich    der    Grund     aller    harmonischen 
Dissonanz    ist.      Es    leuchtet  ein ,    dass ,    in  Mo- 
menten   späterer  Ordnungen,    die  Drei  nicht  so 
stark  gegen  die   lyrische  Antithese  dissonire,  als 
in  den  Hauptmomenten;    daher  in  sehr  entfern- 
ten   Oi-dnungen    diese   Dissonanz    in    der  Triole 
so   wenig   bemerkt    wird,     als    die    harmonische 
'Dissonanz  in  schnell  durchgehenden  Psoten.   Der 
Rhythmus  zeigt  uns  auf  diese  Art  ganz  anschau- 
lich den  wesentlichen  Unterschied  zwischen  Zwei- 
mal Drei,  und  Dreimal  Zwei,  wiewol,  arithme- 
tisch belrachlet,  die  Produkte  in  beiden   Fällen 
gleich  sind;     aber   der   Multiplikator   bezeichnet 
allezeit    die   Zal    der    ursprünglichen    Momente, 
und    gibt    daher  dem  Produkt  seinen  Charakter, 
als    liau})tcharakter,    der    Multiplikand us    hinge- 
gen   bezeiclinet    die    der   spätem    und   abgeleite-»- 
leu.     Dieses  lindet  bei  jeder  Multiplikation  Statt, 
und   der  Charakter  jeder  Zal  spricht  sich  daher 


Verb  indu  ng  der  Rhythmen.  361 

am  reinsten  in  ilirer  Poteuziri\ug  aus,  der  ly- 
rlscli-anlitlietisclie  Charakter  z.  R.  im  Tetrarne- 
ter.  Der  dramatisclie  Charakter  würde  sich  im 
tripodischcn  Trimeter  am  bestimmtesten  zeigen. 
Allein  wir  finden  beide  durch  einander  gegen- 
seitig modiGcirt.  Der  gewöhnliche  Telraraeler 
hat  in  seine  letzte  Zei-fällung  die  Drei  aufge- 
nommen, und  wird  dadurch  trochäisch.  Der 
draniHlisehe  Vers  hingegen  hat  in  seine  zweite 
Zerfällung  die  Zwei  aufgenommen,  und  wird 
dadurch  Trimeter  mit  dipodischen  Perioden. 


275. 


lu  Gedicliten,  welche  sich  durch  ihre  Form, 
durch  ihre  Bestimmung  für  den  Gesang,  oder 
durch  andre  Zeichen,  als  lyriscli  ankündigen, 
hat  mau  ohne  Zweifcd  Grund,  eine  lyrische 
Verbindung  der  Rhythmen  anzunelmien ,  und 
daher  das  lyrische  Maass  wieder  herzustellen, 
wo  es  aus  Unkunde  der  wahren  Messung  ver- 
kannt ist.  So  ist  das  Maas  des  alcäischen  Ver- 
ücs  wahrscheinlich  nicht  das  gewölinlich  ange- 
nommene : 

^      \      .w     —     «i«      I      —     ^    >-*    —     '■-'     — 

N  r  I  >  j  jN  I  >  >  ^  j  ^  I  i 

«      1    •  •     d  d      I    •.  •     m^  d  m    \  e. 

V  V 

Aequnm   memento   rebus  in   arduis.       Horat, 
Hervor   des   Nordpols   grimmiger   WintersUiTm 
welches    den    Vci^    ganz   unlyrisch   theilfc,    son- 
ütfrii  vielmehr  diese:-?: 


262  Allgemeiner  Thcil. 

^       I       —>,«_-_        I       s_w»^_v^_ 

V 

Aus  dunkler  Felkliift  weckt  der  Gesang  mich  auf 
das  den  lyrischen  Vers  in  seiner  lyrisclien  An- 
tithese zeigt,  welche  der  Rhapsode  aus  eignem 
Gefühl  hören  lässt.  Man  wird  zu  dieser  Mes- 
sung sogar  gezwungen,  Avenn  man  die  zweite 
Hälfte  mit  dem  Auftakt  anfängt: 

\    ä  et     e.    0  »     \    m.  0^   s     *  ä    -A  0. 

V  V 

Dein    kaltes  Brautbett  in   diinkeler   Todtengruft 
Die    Kürze,    die    sich   zuweilen   auf  der  fünften 
Sylhe  findet: 

w       I       _w>     —     »»^       I       —     w^     —     »-*       I       _ 

Durch   blüh'nde   Fluren    tobte   der  Uebermuth 

kann  uns  nicht  irren ;  denn  so  wenig  diese  Kürze 
zu  empfelilen  ist,  so  stört  sie  doch  auf  der 
Schlusssylbe  der  metrisch  rhythmischen  Reihe 
das  Maas  nicht  (578.  fi".).  Die  Stellung  dieser 
Kürze  in  der  Mitte  eines  Wortfusses  hingegen: 
In   schwarzer  Waldesnacht ,   wo   der  Eber  haust 

und  noch  mehr: 

Zu   bangen   Klaggesängen    herabgestimmt 

Stören  d[en  lyrischen  Charakter  des  Verses.  Ho- 
ratius  braucht  diese  Sylbe  stets  lang,  Avas  Her- 
mann ,    der  immer  tadeln  will ,    was  ausser  dtiii 


Verbindung  der  Rhythuifn.  aß5 

Kreis  seiner  Theorie  liegt,  (de  Metris  598.) 
eine  imnülze  Genauigkeit  nennt.  Ob  das  be- 
kannte : 

la  Bccxyt  q}tt^f^iuy.ov  dagiarov 

in   hulder  Lieblichkeit   heraufzog 

eine  niclit  zu  billigende  Ausnahme  bilde,  oder 
ob  die  Miltelsyibe  in  (fu^fiaxov  nicht  von  abso- 
luter Kürze  sey,  wie  ebenfalls  die  Milteliyll)e 
in:  Lieblichkeit,  ist  hier  nicht  der  Ort  zu 
untci'suchen. 

276. 

Viel  Gedichte  von  offenbar  lyrischer  Zusam- 
menfügung sind  indessen  noch  "vveit  mehr  ver- 
kannt worden  ,  als  der  Alcäische  Vers,  der  doch 
in  der  fremdartigen  Messung  noch  einigen  Ge- 
sang behielt.  In  vielen  andern  Versen  finden 
wir  den  Rhythmus  durch  die  Theorie  auf  die 
soiulerbavsle  Art  entsttjilt  und  verzerrt,  so  dass 
kaum  eine  S:  ur  von  Rhythmus,  am  wenigsten 
von  iln-em  ursprüngiicheu  Gesang,  in  den  Ver- 
sen an/.uireü'en  ist.  Die  Wichtigkeit  des  Ge- 
genstandes wird  es  entschuldigen,  wenn  wir 
•hier  versuchen,  den  ursprünglichen  Rhythmus 
eines  alten  Gedichtes  aus  der  Verwirrung  der 
Theorie  herzustellen.  Wir  wäleu  dazu  dns 
sechs    und    zwanzigste    Skolion    der    Ilgeuschcn 


2^4  A 1 1 1;  f  m  0  i  n  e  r  T  Ji  o  i  F. 

Auscfabe,  über  welches  Bcsselclt  *)  raanclies  Trei- 
feudc  bemerkt  hat,  wiewol  ihm  die  vvahre  Mes- 
sung des  Gedichtes  entgangen  ist.  Das  SkoJion 
heisst  bei  llgen: 

EGTt   fiot    nlovTog   fifyocg    do^v  xai  ^i(fog,    'auc 

TO    HUXOV    kaiOtfl'ov,    7lQ0ßXi](.lU    '^QOitOg. 
TOVTO)    yUQ    tt^JOi,     TOVTO)    -d^S^l^tiij 

TOVTO)  nuTfi'i  TOV  udvv  oh'ov 
€(7tdjii7if?>o)Uß  TOVTO)   öiguoTag  [ivocag  itexlTjfiai. 
Tot,    de    fitj    Tolficovreg   ty/tv    doov ,    xat   iiqiogf 
Hat  TO  Y.uXov  \uiat]iov^  TiQoßhjfta  ^QojTog, 
TtccvTig  yovv7TenTf]OTfg  c'/t'  6v  zvvfovrt. 
öeanOTav ,  '/mi  fityav  ßu(Jili]u   cfOit^eovTt, 

Der  Herausgeber  gibt  ihm  diese  Bezeichnung: 

w  I  -w-w 

w»*.      I ^      I •*) 

^s-        j        _w   —  •^        I        —   ^ 

M<    S^    I ».*         I 

I         ---'-         1 


—    W  <^   —     I 


*)   Beiträge  zurProsodle  und  Metrik.  S,  8o.  ff.  Halle  i8l  3. 

**)  Ilgcn  nennt  in  der  zweiten  Stelle  dieses  Verses, 
ohne  Zweifel  durch  einen  Schreibfehler,  den  driltea 
Epilritu.s  statt  des  im  Vers  vorhandenen  und  hier 
bezeichneten  vierten. 


Verbindung  der  Rhythmen.  2O j 

wodurch    in   der    That   eine    seltsame   Art    von 
Gesung  entsteht. 

Ilgen  nennt  diese  Verse  sinkende  loniker  von 
der  nngehundensten  Gattung  und  verschiedener 
Liinge.  Sinkende  loniker  sind  sie  allerdings, 
allein,  wie  sich  zeigen  wird,  ganz  nach  deiA  Ge- 
setz des  ionischen  E.hythraus  mit  andern  For- 
men wechselnd,  und  übrigens  nicht  von  ver- 
schiedener Länge,  sondern  sämtlich  Tetrametcr, 
Lald  in  der  Arsis  schliessend,  bald  in  der  The- 
sis.  Wir  gehen  zuerst  die  wahre  Messung  des 
Gedichtes,  und  zeigen  dann,  wie  Ilgen  den  Ge- 
sang darin  durchaus  verkannt  hat: 

_w_    1 ^    I .  ^  -  ^    j    _ 

l^M    I    l^l^;5^l^|!T'<r• 

«  o     0.    \     ».    m  e      \    a.  a^  6     g  e      \    e.    ^   7 
lart  fxoi  TrXovrog  ^leyug,  doQv  nac   'ii<f.og, 

Tummle  dich,   Schlachtschwert,   es  leuchtet  der  Ta^   des 

Kampfs ! 

^^>J   1   1    l>l    l>l>l   I    I 

\ut  TO  xulov  kcuG)]  -  i  -  ov  TX()o(3h]Utt  yocorog. 
Fröhlicher  zog   niemals  zum  Streit  die  tapfre  Krie^sschaar. 

,_r       , ,__ 

.'■  .\'f  j' IJ.  ?  r  I  J.  J  .M  J.  J. 

J'üVTli)    yUQ    UQOi ,   '  TOVTO)    0(Ql,-^(a, 

Freiheit  von   GcwaJl,    Freiheit  von   Knechtschaff, 


zGü  AM  gein  ei  n  er  Th  eil. 

ß.  (S,  e^  10      I      «   «     e;   «      I    «.    «^  «    «  ,>      I    «.     ^  7 
rovTia  Ttuieci)  top  ädvv  oivov  an    afXTXclbiv. 

Freiheit,    mit    dem    Schwerte    kämpft    die    mutige    Schaar 

um   dieh. 
(_^_| ^1 

0.  ».    \    0  e     £.    \    e.    0  0      \    0.    0. 
TOVTM  deanorag  fivoiag  xexXi^-ficcc. 

-     Freiheit,   Vaterland,   hochheilgcr   Heersruf! 

0  0     m.    l    0.  «•  tT  0     \    a.   0^  s    0  0      \    e.  ^  7 
TOi  de  fit]  ToXfioiVTSg  tjf^^iv  do^v  xat  iifpog. 

Schütze    sie,    Schlachtschwert,    an    dem  Tage   des    heilgeu 

Kampfs. 

^s^w—      1      __w      1      ^w    —    —      I     —    — 

^I^^J|llJ^|l^J^|ll 

0.  e^  0    4.    \    0-    0  0      \    e  0     0  a      \    e-  0. 
HUI  TO  nakov  Xaiai]  -  i'  ~  ov  nQoßhina  yjJOJTOg, 

Kommst   du  zurück  siegreich ,    dann  windet  statt  des  Lor- 
beers, 


,^  !^  >  i   I   M  ^  r>  ^  >  ^  ^  i   I  j 

a.  &^  0    \    0.  0.    \  t    0    &    0.  0^  0      I    6).  «. 


TiavTig  yovvTcen-     ttj  -  ong  i(.i    ov  xvpiov-Tt 

Aus  LräuLüchem    Festzweig   dir  die  Geliebte  den  Siegkranz, 

JjN.  I  Jj'*.\'!.N  J.NjN  J.  J. 

fiianOTav  ^  nue,  fieyav  ßaaihju  (fcove  -  opct. 
Tapfres  Schwert,  freue  dich,  es  erscheint  der  Tag  der  Freiheit. 


V '"  r  b  i  n  d  u  n  g  d  e  r  E  h  y  t  Ji  m  e  n.  267 

Die  Form  j  J_  liabeu  wir  schon  (129)  unter 
*]en  Formen  des  gemischten  Älttrum  abgeleitet, 
und  mit  mehr  Beispielen  bestätigt.  Die  Form 
i  t^  7  ist  dieselbe,  nur  mit  ideeller  Thesis.  Wer- 
sich,  freilich  ohne  allen  zureichenden  Grund, 
an  diese  stösst,    der  theile  den  Vers: 

TOVTOJ    yuQ    C/.^0}j 
TOVTOt    {yf^t^CD 

Ohne  Zweifel  wird  JNiemand  läugnen  können, 
dass  der  hier  angezeigte  Rhythmus  dieses  Sko- 
lion  sehr  fasslich,  singbar,  und  nicht  ohne  leb- 
hafte passende  Bewegung  sey.  Eben  so  liegt 
vor  Augen,  dass  keiner  Sylbe  Gewalt  gescheh- 
en, und  bloss  die  Verschiedenheil  der  Län- 
gen ,  welche  aus  der  JNatur  des  Rhythmus  ab- 
geleitet wurde,  zu  unsrer  Messung  angewendet 
worden  sey.  Sollte  es  nun  wol  glaublich  seyn, 
dass  dieser,  nach  allgemeinen  Principien  aufge- 
zeigte, Gesang  nur  zufälliger  Weise  in  dem 
Gedicht  entiialten  sey,  nnd  dass  nur  durch  Zu- 
fall selbst  die  logische  Abtheilung,  ja  die  de- 
klamatorische Richtigkeit  (z.  B.  in  dem  geho- 
benen TO^rfjj)  damit  übereinstimme,  dass  ihn 
aber  der  Dichter  niclit  gekannt,  sondern  die 
Verhältnisse  in  seinen  Versen  gedacht  und  ge- 
wollt habe,  welche  uns,  wie  wir  eben  sehn 
werden,  llgen  und  Hermann  angeben? 


i68  A 1 1  g  ft  m  e  i  n  c  r  T  ii  e  i  1. 

Nach  Ilgen  ist  rler  erste  Vers  ein  vollzaliger 
•seclisfassigei'  sinkend  ioniselier  Vers  (lonieus  a 
maiore  hexameter  acalalecticus)  und  seine  Mes- 
sunaf   diese: 


lart  (lOi.  irXovTog  (if/cg  d'0(ju  aai  ^iqjog ,  y.ut   xo  x«- 
).(ju  kuiar,'i'(jii   TTfJoßhjfiu   i^ioixoq. 

Dieser  unfönnliciie  Strccloers  sollte  schon  un- 
ter den  andern  kurzen  befremden,  und  Besseldt 
hat  ihn  mit  richtigerm  Sinn,  als  Hermann,  in 
der  Mitte  nach  ^iq)og  getheilt,  aber  anders  ge- 
messen, als  eben  geschehen  ist.  INoch  mehr  in- 
dessen muss  man  erstaunen  über  die  Füsse, 
welche  darin  dem  sinkenden  loniker  gleichge- 
setzt werden. 

Der  erste  Fuss,    ein  zweiter  Epitrit  {_  ^ ) 

war  an  sich  statt  der  trochäischen  Dipodie  pas- 
send ,  desgleichen  der  zweite,  nämlich  die  tro- 
chäische Dipodie  selbst.  Einer  lyrisclien  Vei'- 
bindung  dieser  beiden  Rhythmen  wird  aber 
durch  den  Wortrhythmus  widersprochen,  der 
aus  einer  Periode  in  die  folgende  üfbergreift. 
In  ach  uusrer  angegebenen  Messung  ist  die  rhyth- 
misclie  Bewegung  und  Verbindung  beider  er- 
sten Perioden  völlig  lyrisch,  wie  es  einem  Ge- 
sang zukommt: 

J    >  J     I     I      1  t 
•  0     ä.     I    c.    •    (^ 


V  e  X-  b  i  n  (1  u  n  g  d  e  r  il  li  y  t  h  ni  e  u.  ^Ct» 

aber  fliese  Leiden  Perioden  enthalten  nicht  so 
viel  Sylben,  als  die  der  Ilgenschen  Abtheilung, 
wiewol  dieselbe  Zeit.  Schon  dieser  lyrische 
Charakter  uusrer  Messung  verbürgt  und  bestä- 
tigt ihre  Richtigkeit. 

Höchst  unrbythmiscli  stellt  der  dritte  Fuss 
mit  der  kurzen  Sylbe  im  Niederlakt,  als  eine 
iambische  Dipodie^  die  nach  Hermann  statt  des 
louikers  stehn  kann,  weil  der  loniker  Avegen 
der  unbestimmten  Eudsylbe  das  Maas  _  _  ^  _, 
und  wegen  der  (von  der  Herraannschen  Theo- 
rie) vorausgesetzten  Scbwäche  der  ersten  Pieihe 
die  Kürze  auf  der  ersten  Stelle  ^  _  ^  ^  zulasse, 
woraus  denn  ^  _  ^^  _  wei'de.  Wir  sahen  bei  der 
Lehre  von  den  Ionischen  \  ersen ,  dass  Hermann  auf 

die    ganz  unpassende  Form  der  lonikers  ^ ^ 

bloss  kam,  weil  er  sich  in  der  Messung  der 
\fcrse  verwirrte,  worin  er  sie  zu  finden  glaubte. 
Z.  B.: 

Qrjüiv  dfdo    I    i.iivriv  ayul'&ip   (fvXuGGS  guvtco. 
Die   Messung  ist  aber : 

J.  J.  r/.\^^.^jN  J.N.M.'.J. 

eine  ähnliche  Bewegung  ist  im  vorletzten  Yer« 
des  obigen  Skolion: 

m.    p.  iT  i  \  0.  c.   \     g    ä    ^    d.  0''  0    \    0.  d. 
7iavT!g  yopVTTtmtj  -   ortg  t/n'  iv  ttvi^eopri 

und  so  loscL  .sich  jene  rliyihmivsche  Unform  de* 

louikers  in  leeren   Schein   auf. 


a70  A 1 1  g  e  ni  e  i  11  (i  r  T  ii  e  i  I, 

Der  vierte  Fus  soll  ein  Moloss  mit  aufgo- 
löseter  Miltelsylbe  .seyn  (_*tr_),  aus  dem  lo- 
inkcr_'^  J"^  entstanden.  Der  Choriamb  kann 
allerdings  unter  den  lonikcrn  stehn,  nämlieli 
der  flüchtige  {J^^J^J.)  eben  so  ein  Moloss, 
wo    er   statt   des   Bacclieus  (__3  ^'_  J    >  )  steht. 

Allein  der  Moloss,  der  seine  Mittellünge  in  zwei 
Kürzen  löset,  gehört  dem  Di-eivicrteltakt,  und 
kann  nieht  unter  louikern  stehn,  die  mit  Tro- 
chäen im  Sechsachteltakt  wechseln.  Dieser  Fuss 
ist  ein  flüchtiger  Choriamlj  und  fängt  den  zwei- 
ten Vers  des  Skolion  an. 

Der    fünfte    Fiiss    hat   die    ungelieure    Form 

^,    welche   Hermann    durch     die    doppelte 

Heihe  in  seinem  loniker  rechtfertigt,  der,  wie 
sein  Antispast,  bald  Ein  Ganzes  seyn  muss,  bald 
zwei.  Hier  steht  sie  bloss  aus  irriger  Messung, 
Sonderbar  ist,  dass  Ilgen  la.iGT,iov  (viersylbig) 
schreibt,  und  doch  das  r^o  zusammenzieht  (ut 
metrum  in  ultimis  pedibus  sibi  constet).  Frei- 
lich kommt  sonst  die  gleichmässige  Sylbenzal 
nicht  heraus,  das  Metrum  aber  bleibt  ungestört: 
I      I       I     I 

1     ^ 
Xaiatj  ~  c  -  ov 

man  lese  dreisyibig,  oder  viersylbig,  nur  in  der 

metrischen  Bezeichnung  entsteht  eine  der  Theorie 

{rcmde    Figur    _  _  ^  _  ^,    welcher    durch    die 

Dreisylbigkeit    ausgewieheu    werden  soll. 


Verbilidung  der  Rhythmen.  271 

Der  sechste  Fuss  ist  wieder  die  trocLäisclie 
Dipodie,  gegen  welche  im  Allgemeineu  nichts 
einzuwenden  war,  nur  bildet  sie  nicht  den  letz- 
ten Fuss  des  Verses,  sondern  zugleich  die  Hälfte 
des  vorletzten: 

SrJjN  J.j. 

OV    7tQ0ßh](Jl<X    ^QbiTOQ 

wie  die  obige  Messung  zeigt. 

Ist  nun  wol  in  diesen  sechs  Füssen  die  Be- 
wegung eines  Verses  zu  finden,  und  nicht  viel- 
mehr bloss  das  peinliche  Streben,  eine  Theorie 
anzuwenden,  die  einen  lebendigen  Leib  aus 
mechanischen  Atomen  zusammenzusetzen  un- 
ternimmt? Hätte  man  den  angegebenen  Gesang 
des  Gedichtes  früher  gehört,  und  nun  wollte 
die  Theorie  in  solche  Füsse  ihn  aus  einander 
legen,  was  würde  wol  der  Hörer  dazu  sagen? 

VS'elchen  Einfluss  die  Hermannsche  Metrik 
auf  die  Kritik  der  alten  Dichter  habe,  mag  nun 
die  Art  zeigen  ,  wie  Hermann  dieses  Sko- 
lion ,  das  seinen  Rhythmus  vollkommen  klar 
ausspricht,  seiner  Theorie  anpasst.  Sic  scriben- 
dum  est  —  sagt  er  de  Melr.  S.  558.  Die  Ac- 
cente   bedeulen   die  Arsis    nach  seiner  Messung : 

tan  (Aol  nKovTog  /ntyu  do^v 

y.ui     ii(f.ng    xuc     zo    ymXÖv    kaia^fi'o  v    n^oßhj/^a 

X!J(^TOg 

TOVTf'J    yUQ     (X()0>,    TOVTfß}    xlf^l^Cü 


272  All  gemel  n  er  Thcil. 

TOVTif)  TtaTSCn  TOP  a  dvv  oifov 

ün    ufiTtifioj  f  roi'ro)  drönoTug  (ivoiug  xfxlrjfLKxi. ' 

Tol  de  fA?j  TO?.f.i(')i'T('g  tyfiv 

6Ö0V  itai  To  y.ci/.oi/  ?Mia}iJop ,    7CQoßh']fiu  ^Qojzog, 

rrävTfg   i'g  yopv  7rf7iTi]oTfg  f'fxoi  nvpiöpii. 

dtonoräp  y.(/.t  fir/üp  ßuGih'ju    ffuji/föpTi. 

So  entstehn  freilich  bequeme  Beispiele  für  un- 
haltbare Sätze,  z.  B.  in  dem  jxiyup  ßaai-7.r,u  zu 
der  angeblichen  päonischen  Form  des  lonikei-s, 
in  dem  ToX-fKopztg  iyfiv  für  die  chorifimbische 
aus  dem  Moloss  u.  s.  w.  Allein  so  verwischt 
auch  der  Metriker  durch  eigenmächtige  Abthei- 
lung und  Wortveränderung  allen  eigenthümli- 
chen  Pihythmus  des  Gedichts,  und  gibt  statt 
des  melodiereichen  kräftigen  Gesanges  ein  Zerr- 
bild ,  desien  verschobene  Gestalt  man  nur ,  we- 
gen, des  vorgehalteiten  Mantels  der  Gelehrsam- 
keit, nicht  in  seiner  wahren  hässlichen  Gestalt 
erblickt.  Statt  des  schönpassenden  (ifyag  muss 
das  falsch  bezogene  [.uya  hergestellt  werden,  um 
die    ausser    der    liermanuischen    Theorie    nicht 

vorhandene  ionische  Form  1  i,  ^  ^  ^  in  irlov- 
zog  fiäya  doQV  zu  bekommen,  wo  man  wenigstens 

^  w  .1  w/  w  ( J  »^  »'"Jj )  l^sen  müsste.  Die  dem 
Rliylhmas  ganz  uneulbehrliclien  Worte:  nai  It- 
ipog  werden,  wo  sie  zum  zweitenmal  vorkom- 
men, gegen  bessere  Lesarten,  gestrichen,  (wic- 
wol  sie  der  ganze  Gang  der  Gedanken  fordert), 


Verbindung  d»r  Rhythmen.  ayj 

weU  sie  nicht  zur  Theorie  passen.  Dagegen 
wird  nach  navifs  im  vorletzten  Vers  das,  wegen 
der  Wiederholung  des  Lautes,  nicht  wohltönende 
es  eingeschoben,  das  weder  Sinn  noch  Rhyth- 
mus fordert,  wenn  man  die  Ilgensche  Lesart  an- 
nimmt. 

Nach  solchen  Bearbeitungen  darf  man  sich 
wol  nicht  wundem ,  wenn  die  alten  Gedichte 
zum  Theil  in  einer  Gestalt  auf  uns  gekommen 
sind,  in  welcher  ihre  Verfertiger  so  wenig  sie 
wieder  erkennen  wüi'den,  als  Unbefangene  sie 
ohne  Affcktation  wohlklingend  finden  werden. 

Die  Abtheilungen  der  andern  Verse  dieses 
Skolion  können  wir  um  so  füglicher  übergehen, 
daBesseldt*)  ihre  Mängel  und  ihre  Unhaltbarkeit 
ziemlich  ausführlich  gezeigt  hat.  Hätte  er  die 
Form  des  gemischten  Metrum  J,  J.  nicht  ver- 
kannt, und  die  Form ^  nicht  als  unbe- 
dingte Form  des  doppelten  Trochäen  statt  des 
lonikers  angenommen,  so  hätte  'ihm  die  wahre 
Messung   dieses  Skolion  nicht  entgehn  können. 

Eben  so  unpassend  ist  die  Abtheilung,  wel- 
che Schweighäuser  (Ausgabe  des  Alhenäus)  von 
Grolefcnd  angenommen  hat.  Das  Skolion  soU 
nämlich  folgendes  Maas  haben  und  au«  zwei 
Strofeu  bestehen : 

*)   A.   a.   O. 

18 


274  Allgemeiner  Th«il. 


Ion.  pur.  Li,^-   \  LL^Z>   \   w^-wj 

Ti'ocli.  1^1^    I  JLy^  LZ  I   1^  IZ 

Ti'ocli.  LZZ^Z  I   l^L^Z 

Ion.  ZL^Z   1  l^lwJ 

Troch.  Iwlw    I  LZ'-^   I   -w 

St.  ir. 

Ion.  pur.  1^'_3   i   l^w«    i    Z^L^Z 
Troch.  l^lw-   I    L^LZ  ^  L^LZ 
Ion.  11^-    ,    LL^Z 
Ion.  ^^^'Ww'jwl.ws.^ 

Trocli.  JZ  w  -1  <-  1  -7w  w  -  «  I  -3 

Egiiv  ifioi  nXovTog  ^tfyag,  doQv  kui  iccpoif 
Hat  xuXov  laiarji'ov,  nQoßXr]/na  yQwtOS' 
TOVTO)  yag  aQco,  Tovno  narfco 

TQV    udvv    QIVOV    CiTl     UflTlslcjV 

tövTco  dianoTcxg  /.ivoiag  x6xh]i.iai. 

Toi  de  i-in  ToX^iwvng  tx^tv  ßoQv  kki  ^i<fiog, 
y.ui'  yMkov  Xuiaifi'ov,  7iQoßlriy.tt  XQOiTog 

TiavTtg  '/ovi!ne7iir,QT6g 

ifAS  nvviovii  dsonoxav, 
v,ai  fxeyuv  ßaaüeu  qjiovsovTi. 

und  um  diesen,  ziemlich  verworrnen,  Rhythmus 
(wenn  eine  solche  Zusammenstellung  Rhythmus 
)ieiisoix    kann)    herauszubringen,    muss    das    igt 


V  e  r  b  1  n  d  u  n  g  d  e  r  R  li  y  t  h  m  e  n.  ayS 

fioi  in  i^Sf  ffiOL  verwandelt,  und  das  tovto)  -üe- 
()iCoj,  was  alle  Lesarten  haben,  weggelassen  Aver- 
den.  So  w'irft  jeder  Metriker  weg,  was  niclu 
in  sgine  Messung  passen  w^ill,  einer  wirft  deiiv 
andern  „die  härtesten  \erwirrungen  der  schön- 
sten Rhythmen"  (Grotefend  bei  Schweighihiser 
S.  280)  vor,  und  zeigt  als  diese  „schönsten 
Rhythmen"  wo  mögLch  noch  verrworrnere  auf. 
Das  Spiel  kann  auch  kein  Ende  nehmen,  weil 
keiner  der  Tadler  und  Besserer  seinem  Rhyth- 
mus eine  bestimmte,  hörbare  Gestalt  gibt,  in- 
dem jeder  sich  mit  dem  nebulislischen  Schat- 
tenbild des  metrischen  Schema  begnügt,  das  er 
nur  sieht,  aber  nicht  höi't. 

Um  die  Sache  ganz  vor  das  Gehör  zii  brin- 
gen ,  möge  hier  der  Gesang  des  Gedichtes  auch 
musikalischer  Weise  Platz  finden.  So  viel  wir 
wissen,  war  die  ionische  Skala  unsrer  diatoni- 
schen Durskala  gleich.  Die  sinnvoll  kräftige 
Melodie  zu  dem  Skolion  von  C.  Schulze  möchte 
wol  also  auch  dem  griecliischen  Ohr  nicht  fremd 
zum  ionischen  R.hylhmus  geklangen  haben,  und 
so  könnte  wol  gegenseitig  das  Vorurtheil  schwin- 
den, als  sei  die  griechische  Musik  von  einer 
Schönheit  gewesen,  die  unser  verwöhntes  Ge- 
hör nur  nicht  begreifen  könne.  Man  behandle 
den  Gesang  mit  aller  Freiheit,  welche  musika- 
lische Deklamation  gestattet,  dann  dient  er  zu- 
gleich als  Beispiel  zu  dtm,  was  früher  (Sg.  6o'.) 


a^G  Allgemeiner  Theil. 

vom.  inteniionellenTakt  gesagt  worden  ist;  denn 
bei  aller  Freiheit  des  Vortrags  bestellt  doch  das 
angegebene  Taktverhältniss  im  innern  Wesen 
jener  Rhythmen. 

(Siehe  Notenbeilage.) 

277. 

Die  zweite  Art  der  Verbindung  der  Pihyth- 
men  im  Vers  nennen  wir  die  deklamatori- 
sche, oder  auch  dramatische,  weil  sie  eine 
Mittelgattung  bildet  zwischen  lyrischem  Gesang 
und  prosaischer  Rede,  wie  sie  das  eigentlich 
poetische  Drama  verlangt.  Wir  sehn  beiläufig, 
dass  diese  Gattung  des  Verses  und  ihr  Gebrauch 
im  Drama  und  in  andern  für  Deklamation  be- 
stimmten Gedichten,  in  der  Idee  der  metri- 
schen Rede  selbst  liegt  und  nicht  durch  Con- 
venienz  entstanden  ist. 

Deklamatorisch  verbunden  sind  Rhythmen, 
welche  nicht  von  derselben  Einheit  abstammen, 
und  nur  durch  die  Einheit  der  metrischen  Reihe, 
in  welcher  sie  erscheinen ,  zusammen  gehalten 
AN  erden.     Die  Rhythmen,  z.  B.: 

Traute  Weinlaubhalle, 

Becherklang 

und  Lieder  preisen   dich 

Stammen  nicht  aus  derselben  Einheit  ab.  Gleich- 
wol  können  sie  in  demselben  Vers: 


Verbi  ndung  der  Rhythmen.  377 

Traute    Weinlaubhalle,     Becherklang    und     Jubel    preisen 

dich 

vereinigt  seyn,  diese  Vereinigung  ist  deklama- 
torisch, sie  hebt  den  rhytiimischen  Charakter 
der  metrischen  Reihe  (des  Tetrameters)  auf, 
welcher  die  lyrische  Antithese  beider  Hälften 
verlangt.  Es  fällt  hier  ebenfalls  nicht  schwer 
zu  bemerken,  dass  die  fremden  Rhythmen,  wel- 
che die  metrische  Reihe  bestimmen,  allezeit, 
eben  weil  sie  fremd  sind,  den  eigenthümlichen 
rhythmischen  Charakter  dieser  Reihe  zerstören, 
oder  doch  so  verdunkeln,  dass  er  nur  in  leiser 
Bewegung  durchhallt :  deswegen  werden  allezeit 
Rhythmen,  welche  den  ursprünglichen  Rhyth- 
mus der  metrischen  Reihe,  in  der  sie  erschei- 
nen, stören ,  dem  Vers  einen  dramatischen  Cha- 
rakter geben ,  gesetzt  auch ,  die  verbundenen 
Rhythmen  liessen  sich  selbst  auf  eine  rhythmi- 
sche Einheit  zurückflvliren,  die  aber  nicht  Ein- 
heit der  metrischen  Evolution  ist,  in  welcher 
die  Rhythmen  erscheinen.  Z.  B.  die  Rhyth- 
men in  dem  Trimcter: 

Dort  wütet  niclit  raubsüchtige   Ruhmbegier 

Stammen   insgesammt   von   einer    und  derselben 
Einheit: 


V.JÜ  A 1 1  g  c  m  ü  i  n  er  T  h  e  i  I, 

a 

a         6  a 

i.    l    J.    j.        J.    J. 

&  \    s  a    6.      0.      ä.  0^  ti    m  4    » 
mid    Jer    Trimelcr   ist    lyrisch.      Stellt   man   sie 
aber  in  düs  Metrum  des  alcäisclien  Verses,    der 
ein  lyrisclier  tripodisclier  Dimeter  ist: 

0     \  m  a    d.  e.   \  o.  tr  »    €  a    m 
Dort  -wütet  nicht  raubsüchtige  Ruhmbegier 

SO  ist  der  lyrisclic  Cliai-akter  des  alcäisclien  Ver- 
ses gestört ,  er  wird  deklamatorisch ,  und  hält 
sich  in  der  lyrischen  Strofe  nur  durch  vorsich- 
tige Behandlung  des  Säugers. 

278. 
Da  im  Trimeter  die  lyrische  Antithese  schon 
durch  die  dreifache  Theilung  verdunkelt  wird, 
lind  selbst  in  lyrischen  Versen  nicht  so  stark  her- 
vorlönt,  als  in  den  Dimetern,  so  schickt  sich  der 
Trimelcr  allerdings  am  besten  zum  dramatischen 
Vers.  Wie  aber  der  Prosaist  sich  vor  Stellun- 
gen zu  hüten  hat,  welche  den  Verstakt  vor- 
scliallcn  lassen,  so  muss  sich  der  Dichter  hü- 
ten, dem  dramatischen  Vers  lyrischen  Charak- 
ter zu  geben.  Man  tadelt  dtiber  mit  Recht  die 
Theilung  des  Triraetcrs: 

cfi?.o'^(vog ,  Äfih;Giag,  'Afivpiag 
Den  sühnt  ckr  Tod,  der  selbst  die  Schuld  des  Bhites  lösrlit 


Verbindung  der  Rhythmea.  275 

mehr  noch  aber  die  Theilung,  •welche  ihn,  nach 
Art  des  Alexandriners,  in  zwei  Tripodien  zer- 
legt.    Z.  B.: 

Gv  fitv  Tttd^ccv  TVQovxot'  f'/o}  ds  dt]  Ta<pov 

verhasster   Weissagung   Terhiingnlssvoller   Spruch ; 

denn  ein  Alexandriner  bleibt  ein  solcher  Vers 
immer,  wenn  es  auch  wahr  ist,  dass  man  nicht 
aus  jedem  Alexandriner,  z.  B : 

Die  Sternlaufbahn   erforsclit  bang  alindend  der  Profet 

einen  Trimeter  bilden  kann.  Das  Muster  des 
dramatischen  Trimeters  bleibt  deswegen  immer 
eine  solche  Theilung,  welche  lyrische  Abschnitte 
vermeidet,  ohne  das  Grundmetrum  in  seinem 
leisen  Anklang  gan^  zu  verwischen.  Es  ver- 
steht sich  von^  selbst,  dass  durch  ein  solches 
Muster  nicht  der  Freiheit  leidenschaftlicher  Stel- 
lung Zwang  angelegt  werden  soll.  Eben  diese 
Freiheit  wii'd  dann  am  meisten  anschaulich, 
wo  sie  die  Anregung  lyrischer  Abschnitte  vcr- 
jueidt't. 

Wenn  die  lyrische  Antithese  nicht  bloss  ein- 
fache Perioden ,  sondern  ganze  Verse ,  in  einem 
grössei'n  Verse,  mit  einander  vei'bindet,  so  ist 
es  zum  Bcstelin  des  lyrischen  Charakters  nicht 
nolhwendig,   dass    In    jeder    Vershälfle    ebenfalls 


u<io  Allgemeiner  Theil. 

die  lyrische  Verbindung  beobachtet  sey,  z.  B. 
im  Tetrameter: 

Deiiie   Blüten  kehren  "wieder,     deine  Tochter  kehrt  nicht 

im  Gegentheil  gewinnt  die  Bewegung  des  Ver- 
ses, und  wird  selbst  in  der  lyrischen  Antithese 
grossartiger,  wenn  nur  die  Vershälften  lyrisch 
zum  Verse  verbunden  werden,  während  die 
Rhythmen  in  jeder  Hälfte  die  deklamatorische 
Verbindung  annehmen,  z.  B. : 

vuvTtxog  oxQUToq  xuxu&iig  m^ov  colics  arpuTOv 

A  e  s  c  h. 

Jede  Nacht  durchdrang    der  Klagruf  bang  und   wehmuth- 

Toll  den  Wald 

oder  in  noch  grössern  Verhältnissen : 

Gzafiiv   ivtnnov  ßuotXijt   KvQuvug ,  6(fQa   KOj^a^oyTt 

CVV   u^fJüiatltt    Pind. 

Als    im    schicksalvollen     gewaltigen  Weltkampf   siegesfrojx 
herstürmte   die  mutige   Schaar. 

Der  Vers  ist  nämlich  ein  tripodlscher  Tetrame- 
ter, dessen  Hälften  lyrisch  zum  Ganzen  ver- 
bunden sind,  während  in  beiden  Dimetern  de- 
klamatorische Verbindung  Statt  findet,  wodurch 
die  Bewegung  gehoben  wird.  Betrachtet  man 
ihn  als  dipodischen  Hexameter,  so  besteht  er 
aus  zwei  Trimelern. 


Verbindung  der  Rhytlimen,  abi 

280. 
Accentirte  Melodien  eignen  sich  mehr  dem 
Lyrischen,  als  dem  Dramatischen;  denn  ilii-e 
rhythmischen  Formen  können  sich  nur  wenig, 
und  nur  im  Unwesentlichen,  von  den  metrischen 
Formen  trennen.  Der  lyrische  \ers  war  auch 
deshalb  unstreitig  älter ,  als  der  dramatische,  und 
noch  jetzt  schwankt  der  dramatische  Vers  sol- 
cher Sprachen,  die  bei  prosodischer  Bildung 
nur  accentirte  Pihythmen  bilden,  sehr  auf  die 
Seite  des  Lp'ischen ,  und  verlangt  daher ,  wenn 
er  nicht  eintönig  werden  soll,  sehr  abwech- 
selnde Wortfiisse.  Die  Dichter  in  solchen  Spra- 
chen haben  das  Lyrische  der  Verse ,  die  weni- 
ger für  Gesang,  als  Deklamation  gebildet  w'aren, 
zuweilen  dadurch  gemildert,  dass  sie  nicht  so- 
wol  Wortfiisse  mit  Zeitfüssen,  als  vielmehr 
Wortaccent  mit  Versaccent  kontrastiren  lassen- 
Z.  B.: 


Cöme  Ic'gno   dal  boscu   allora  tratto 

dalier  behaupten  einige  Theoretiker,  der  accen- 
tirte Vers  zäle  die  Sylben  bloss,  ohne  sie  zu 
messen.  Der  Vers  für  den  Gesang  bedient  sich 
indessen  dieser  Freiheit  mit  Unrecht,  und  kommt 
dadurch,  wo  er  von  der  Musik  nicht  frei  be- 
handelt werden  darf,  mit  dieser  in  Widei'streit. 
Z.B.  im  Choral,  wovon  wir  im  Deutschen  aus- 
ser   dem: 


Allgemeiner  Theil, 
Vater  unser  im   HimmelreiGh 


und: 


Nun  I.isst  uns   den  Leib   begraben 

wenig    Beispiele,    mclir    aber    in    französischen 
Kirchensjesänsen  haben. 


'o^ 


Verbindung  der  Verse. 

281. 

Wir  müssen  der  Eutwickelung  des  Begrif- 
fes Vers  vorgreifen,  um  nicht  durch  zu  viel 
Abstraktion  zu  ermüden.  Vers  nennen  wir  vor- 
läufig eine  Verbindung  von  Rhythmen  zu  ei- 
nem Ganzen,  das  nach  metrischen  Perioden  ge- 
messen wird. 

Dieselbe  Verschiedenheit,  wie  bei  Verbin- 
dung der  Rhythmen,  wird  auch  bei  Verbindung 
ganzer  Verse  vorkommen  können.  Ohne  das 
Gesagte  zu  wiederholen,  verw^eisen  wir  auf  den 
ganzen  vorigen  Abschnitt. 


Verse  können  gleich  den  Rhythmen  verbun- 
den wei'den,  entweder  durch  Zusammenstellung, 
oder  nach  metrischem  Princip. 

Die  freie  Zusammenstellung  steht  in  dieser 
Sfäre  der  rhetorischen  Zusammenstellung  der 
Rhythmen    iu    der   Prosa    gegenüber,     In   Anse- 


Verbindung  der  Verse.  233 

liimg  der  Stimme  dem  ßecitativgesangj  in  der 
Musik  der  Fantasie. 

Jeder  \ers  hat  zwar  seine  eigne  metrische  Ein- 
lieit,  allein  die  Folge  der  Verse  lässt  sich  nicht 
in  einer*  hohem  metrischen  Einheit  auffinden, 
oder  %vas  dasselbe  ist,  jeder  Vers  hat  seinen 
eignen  Takt,  aber  mehre  Verse  führen  nicht 
nothwendig  denselben  Takt  fort.     Z.  B. : 

Du  stehst  mit  unerforschtem   Busen, 

geheimnissvoll ,   offenbar,  n 

über  der  erstaunten  V.^elt 

und   schaust  aus    Wolken 

auf  ihre   Reiche   und   Ht.riHchkeit, 

die   du   aus    den  Adern   deiner  Brüder 

nebcQ   dir   ■\^•ässerst.  Göthe. 

Das  Gefühl  des  Taktes  ist  indessen  so  unaus- 
tilgbar, dass  selbst  iu  solchen  freien  Zusammenr- 
slelluugen,  ohne  den  Willeu  des  Dichters,  der 
Takt  sich  einmischt, 

283. 

In  der  metrischen  Verbindung  der  Verse 
lässt  sich  ebenfalls  die  lyrische  Verbindung  und 
die  dekiamalorlsche  unterscheiden,  v.ie  bei  der 
Verbindung  der  Rhythmen. 

Eine  dramatische  Verbindung  dramatischer 
(oder  deklamatoi'ischer)  Verse  findet  namentlich 
Statt    im    eigentlichen   dramatischen    Dialog   des 


:i84  All^emoiner  Theil. 

Drama  selbst.  Der  Hhytlimus  eudet  nicht  noth- 
ncudig  auf  der  Scldusssylbe  eines  Verses,  son- 
dern greift  oft  mit  dem  logischen  Satz  aus  dem 
Scliluss  eines  Verses  in  den  Anfang  des  folgen- 
den hinüber.     Z.  B.: 

oijttg  ya(j  ev  7ioX/,oiai.v,  (Dg  iyo),  xanotg 

^)j,   noig  X.   T.  A.  ö  o  p  h. 

Wo  durch  die  Waldeinöde,   Tag   und  Nacht,    der  Wolf 

Heult  u.  s.  w. 
i\iif  gleiche  Art  werden  heroische  Hexameter 
unter  sich  verbunden,  wo  sie  mehr  deklamato- 
risch, als  lyi'isch  behandelt  sind ,  z.  B.  im  Idyll, 
in  der  Epistel  und  im  Epos  selbst,  dessen  Vor- 
trag höchst  wahrscheinlich  kein  Gesang  war. 

284. 
Auch  unter  lyrischen  Versen  kann  eine  de- 
klamatorische Verbindung  Statt  finden,  wovon 
die  Beispiele  im  Drama  ebenfalls  nicht  selten 
sind.  Die  trochäischen  Tetrameter  greifen  sehr 
oft  in  einander  über,  selbst  wenn  sie  in  ihrer 
Mitte  den  lyrischen  Abschnitt  regelmässig  hal- 
ten. Ob  die  strofischen  Chorgesänge  eine  lyri- 
sche, oder  dramatische  Verbindung  der  Verse 
enthalten,  wird  sich  nicht  eher  bestimmen  las- 
sen, bis  wir  sie  eben  so  bestimmt  in  ihrem  ur- 
sprünglichen Rhythmus  vernehmen,  wie  die  be- 
kanntesten Verse.  Bis  jetzt  ist  dieses  bei  wei- 
tem noch  nicht  der  Fall. 


Verbindung  3er  Verse.  285 

285. 
Eine  lyrische  Verbindung  dramatischer  Verse 
kann  ebenfalls  vorkommen ,  und  wir  haben 
schon  gefunden ,  dass  die  Halbverse  der  lyri- 
schen Tetrameter  gewönlich  deklamatorischen 
Rhythmus  haben.  So  finden  wir  auch  mehr 
deklamatorische  Verse  zuweilen  lyrisch  verbun- 
den, und  diese  Verbindung  zu  Systemen  anti- 
strofisch  einander  entgegengesetzt,  wie  Hermann 
in  mehren  Stellen  seiner  Schriften  ausführlich 
in  den  Dramen  der  Alten   nachgewiesen  hat. 


Die  lyrische  Verbindung  lyrischer  Verse  eig- 
net sich  vorzüglich  für  den  Gesang.  Die  ei- 
gentlich lyrische  Strofe  entsteht  dadurch,  die 
sich  also  von  der  dramatischen  so  unterschei- 
det, wie  der  lyrische  Vers  vom  deklamatori- 
schen. Metrum  undRhythmus  gehn  in  der  ly- 
rischen Strofe  gemeinschaftlichen  Schritt,  die 
Strofenkomposition  selbst  ist  mit  den,  in  dem 
Vers  enthaltenen,  metrischen  und  rhythmischeii 
Formen  aus  derselben  Einheit  entwickelt.  E$ 
zeigt  sich  daher  in  der  Strofe  selbst  der  lyrisch 
antithesische  Charakter.  Z.  B.  in  der  ältesten 
Strofe,  dem  Distichon,  ist  der  Hexameter  und 
Pentameter  in  Antithese,  und  jeder  trägt  wieder 
in  sich  den  anlithcsischsa  Charakter  zweier 
Uälftea: 


2S6  Allgemeiner  T hell. 

Feuer    des    göttlichen    Augs    I   und    des    Munds   ambrosi- 
sche  Süsse 
Mischt'  Afrodite    und   schuf    |    süsse  Konstanzia,    dich. 

Wie  aber  die  metrische  Periode  auch  Tripodie, 
der  Vers  auch  Ämeter  ist,  so  zeigen  sich  auch 
Strofon,  in  welchen  ein  drittes  Moment  die 
Antithese  schliesst.  Eine  solche  Strofe  in  ih- 
rer einfachsten  Gestalt  ist  der  daktylische  He- 
xameter mit  der  sogenannten  daktylischen  Pent- 
hemimeres  vereinigt.  Dieser  Hexameter  ist  aber 
richtig  betrachtet,    ein  iripodischer  Dimeler: 

Als   in    der    Laube,    die    Nacht    j     durchblickt    von    dem 

Strale    des     Vollmonds 
dich   dem   Geliebten  rereint. 

In  jeder  lyrischen  Sti'ofe,  welche  der  Dichter 
nicht,  von  fremden  Principien  verleitet,  ver- 
künstelt hat,  wird  man  diesen  Charakter  der 
Antithese  sowol  in  einzelnen  Versen,  als  in  ver- 
bundenen, finden ,  oft  auch  nach  der  Antithese 
den  Schluss,  so  dass  man  jede  Strofe  wieder 
als  einen  erweiterten  Vers  ansehn,  und  das  Ver- 
hältniss  einer  Strofe  in  irgend  einem  Vers  vor- 
bildlich nachweisen  kann.  So  ist  z.  B.  die  as- 
klepiadische  Strofe,  welche  bei  Horatius  mit 
choriambischem  llhythmus  den  Vers  in  der 
Mitte  theilt: 

^Z  -  ^  ^  -   I    ~w^ ill   dreimal 

1   ?>   ^   ^  A  I  ^ 


•  «   « 


.  *^  ^  »  »    \  6.   ^  7  ^  7 


Verbindung  der  Verse,  2S7 

Sjcriberis   Vario   fortis,   et  Iiostlum 
Victor,   Maeonii    carmiuis  aliti, 
Quam   rem   cunque   ferox  nävibus,  aut  eqins 
IVIiles  te   duce   gesserit. 

die  strofische  Erweiterung  des  in  der  letzten 
Arsis  scliiiessendeu  Tetrameters.  Jeder  Fnss 
ist  nämlich  zur  Periode  geworden: 


Die  sclionste  Form  dieser  Strofe  wird  dalier 
seyn,  wenn  die  ersten  zwei  Yei'se  mit  den  letz- 
ten die  lyi'ische  Antithese  bilden.  Der  ei'ste 
Vers  verträgt  mit  dem  zweiten  deklamatorische 
Verbindung,  der  zweite  mit  dem  dritten  nicht; 
denn  mit  dem  dritten  fangt  die  lyrische  Anti- 
these an,  der  dritte  und  vierte  macht  die  Anti- 
these gegen  die  erste  Hälfte  der  Strofe*  und 
der  vierte  rhylhmisirt  selbst  die  Antithese,  in- 
dem er  gegen  den  dritten  ein  Nachbild  der 
riauptantithese  (gleichsam  eine  Antithesen-The- 
sis  gegen  die  stärkere  Arsis  der  Hauptantithesc) 
bildet.  Das  Horazische  Beispiel  zeigt  diese  An- 
ordnung. 

287. 

Von  accentirten  Strofen  gilt  dasselbe,  AVas 
oben  von  accentirten  Versen  behauptet  wurde. 
Sie    nähern   sich  ihrer   Natur  nach    mehr   dein 


388  Allgemeiner  Theil. 

lyrischen,  und  ihre  Verbindung  ist  daher  mehr 
IjTJsch ,  als  dramalisch.  Hierin  liegt  auch  der 
Grund  des  Reimes ,  der  in  accenlirten  Versen 
(wo  er  wirklicher  Reim,  nicht  bloss  voller  as- 
sonirender  Anklang  seyn  soll) ,  das  Ende  des 
Verses,  und  die  antithetische  Natur  der  Zu- 
sammenstellung bezeichnet  und  heraushebt. 

Indessen  lässt  sich  auch  in  der  accentirten  und 
gereimten  Strofe  eine  dramatische  und  eine  lyri- 
sche Verbindung  der  Verse  unterscheiden,  wie- 
wol  die  erstere  durch  den  Reim  schon  so  von 
der  Lyrik  modificirt  wird,  dass  die  accentirte 
dcclamatorische  Strofe  der  lyrischen  quantitiren- 
den  gleich  steht.  Die  Reimstellung  niimlich,  wel- 
che zwei  Reime  unmittelbar  auf  einander  folgen 
lässt,  sie  seyen  männlich  oder  weiblich  (z.  B. 
Band,  Land:  Bellona,  Teutona),  ist  für  den 
gereimten  Schluss  (wo  also  zwei  Verse  als  Eins 
betrachtet  werden)  dasselbe,  was  der  arsische 
Schluss  für  den  reimlosen  Vers  ist.  Die  Reim- 
stellung hingegen,  wo  die  Reime  getrennt  auf 
einander  folgen  (z.  B.  Bellona ,  Land :  Teutona, 
Band,  oder,  um  nicht  durch  den  Wechsel  des 
Steigenden  und  Fallenden  zu  täuschen:  Hoheit, 
Teutona:  Rohheit,  Bellona)  gleicht  dem  theti- 
schen  Schluss  im  reimlosen  Vers.  Betrachtet 
man  in  dieser  Hinsicht  die  Struktur  der  heroi- 
schen Stanze  (ottava  rlma),  so  findet  man  in 
ihr  ebenfalls  das  Schema  des  Tetrameters  durch 


Verbindung    der    Verse.  üSg 

Reim  und  Strofc  erweitert,  die  Periode  wird  zur 
Reimstellun^^ ,  die  ersten  drey  tlietisch  sclilies- 
senden,  zu  WecLselveimen  (ab  ab  ab),  die  vier- 
te, arsisch  scliliessende,  zu  unmittelbarer  Reim— 
folge  (cc)  und  auch  die  Verhältnisse  der  Anti- 
these zeigen  sich  in  der  Octave,  auf  dieselbe 
Art,  wie  im  Tetrameter ,  oder  der  nach  ihm  ge- 
bildeten quanlitirenden  Strofe. 

Le   lagrime  e  i  sospiri   degli   amanti , 

l'inutil  tempo,   che  si  perde  a  gioco  , 

e  l'ozio  liingo    d'uoraiai    ignoranti , 

rani  disegni ,  che  non  han  mai  loco, 

I  ranl  desideri  sono   tanti 

che  la  pii  parte  ingombran  di  qnel  loco  : 

Cio  che,   iiiÄomma,   quaggiu    perdesti    raai> 

La  ju  salendo ,   ritrovar   potrai, 

Ar  I  OST  o. 

Verliebter  Seufzer  »ind  aJldort  und  Thränen, 

die  leere  Zeit,   die   man  beim  Spiel  verliert , 

die  Mujse,    die  Unwissende  vergähnen, 

die   eitlen    Plane,   die  man  nie  vollführt: 

In  «olcher  Meng'  ist  das  vergebne  Sehnen, 

dass  ihm  des  Raumes  grösster  Theil  gebührt  j 

Was  du  verlorst  ailhier,   mit  Einem  Worte, 

dat  Alle»  findest  du  an   jenem    Orte, 

G  r  i  e  s. 

Die  älteste,  oder  sicilischc,  Form  der  Stanje, 
welche  auch  in  den  beiden  Schlusszeilen  diesel- 
ben   Wechselreirae    wiederholt,    ist  der  ihetisch 

19 


2t)0  A 1 1  g  e  m  e  i  HC  r     1  h e  i  i. 

scliliessenJe  strofisclie  Tetrametcr,  in  wclclinTu 
die  blosse  einfache  Hauptantitliese  voihaudeii 
ist,  nicht  jener  Nachklang  der  Antithese ,  in  der 
Mitte  der  zweiten  Hälfte,  welcher  den  Schluss- 
zeilen einen  leichten  Anflug  des  epodisch(Mi 
Charakters,  und  dadurch  der  neuern  italischen 
ottava  riraa  den  eigenthümlichen  Reiz  gibt.  Das 
Ausfühi'lichere  über  das  Yerhä^ltniss  quantiti- 
render  Verse    zu    accenlirten   Strofen   gehört    in 


eine  besondre  Abhandl 


^^• 


Die  lyrische  accentirte  Strofe  hält  den  lyri- 
schen Charakter  nicht  bloss,  wie  die  quautiti- 
rende,  in  den  grössei-n  Gliedern  der  Antithese; 
jeder  Rhythmus  vielmehr,  wenn  er  nur  das  Ende 
eines  Verses  erreicht,  ist  an  den  lyrischen  Cha- 
rakter gebunden.  Zu  diesen  lyrischen  Strofen 
gehöret  vorzüglich  die  Strofe  des  eigentlichen 
Liedes,  z.  B.  die  Choralstrofe.  Diese  ist  ganz 
streng  an  die  Schlusspause  jedes  Verses  gebun- 
den, und  an  die  Antithese  in  den  Theilen  der 
Strofe.  Ein  Choraldichter,  der  diese  lyrische 
Natur  der  Choralstrofe  nicht  beobachtet,  ver- 
dii-bt  den  Gesang,  und  manche  Veränderung, 
die  man  mit  alten  Kirchenliedern  vorgenommen, 
hat  sich  auch  in  dieser  Hinsicht  keineswegs  als 
Verbesserung  bewährt. 


V  e  1-  b  i  lul  u  n  2    der   ^'  a  r  s  e. 


29 1 


289. 
Die  Walirlieit  dieser  Satze,  die  -wir  ganz  a 
priori  aus  der  Idee  des  Rhythmus  abgeleitet  ha- 
ben, zeigt  sich  Überali,  auch  in  der  Erfahrung, 
z.  B.  in  der  Art,  wie  die  Musik  sich  einem  Ge- 
dicht aneignet.  Wir  finden  hier  dieselbe  Be- 
ziehung zwischen  Gedicht  und  Musik,  die  wir 
oben  (267)  zwischen  Metrum  und  Rhythmus  be- 
merkten. Mit  dem  lyrischen  Verse  und  der  lyri- 
schen Slrofe  ist  die  Musik  in  ihrem  rhythmischen 
Theile  zugleich  entstanden.  Der  Komponist  ei- 
nes Chorals  z.  B.  darf  von  dem  Metrum  und 
dem  Rhythmus  des  Gedichtes  sich  nicht  die 
geringste  Abweichung  erlauben,  der  Dichter  selbst 
durfte  es  eben  so  wenig,  seine  Beschränkung  durcli 
den  Rhythmus  kommt  nur  nicht  zum  Vorschein , 
weil  der  Rhythmus  selbst  ei-st  mit  dem  Gedicht 
vor  die  Anschauung  kommt.  Deswegen  tadeln 
wir  den  Dichter  mit  Recht,  der  im  Kirchenlied 
den  zusammenhängenden  Redesatz  aus  einem  Ver^ 
in  den  andern  überbeugen  wollte.  So  ist  z.  P». 
Ramlers 

Ihr  Augen  weint ! 

der  Menschenfreund, 

der  Edle,  der  Gerechte,' 

wird  rerachtet,   u.   s.   f. 
für  den  Choral  viel  zu  deklamatorisch  und  ver- 
nachlässigt,   über    dem     deklamatorisciien,    den 
laothwcndigen    Ivriicheu    Schlnss    am    l^idc    cIöj- 


aijj  AI  ly  e  111  c  i  n  er   Iheil. 

«Iritteii  Zeile,  der  Monotonie  des  immer  wieder- 
kehrenden E  nicht  zu  gedenken.  In  Abschnitl 
und  Antithese  ist  das  ahe    Vorbild: 

O   Traurigkeit! 

O   Herzeleid! 

Ist    das    nicht   zu    beklagen  ? 

tier  Nachbildung  vorzuziehen,  und  das  accen- 
tirte  zu  ist  nicht  schlimmer,  als  Ramlers  ac- 
cenlirtes  der  auf  derselben    Stelle. 

Die  deklamatorische  Strofe  hingegen  hat  ihre 
Musik  nicht  in  sich  selbst.  Sie  ist,  gleich  der 
metrischen  Keihe ,  die  von  einem  fremden  Pvhyth- 
mus  bestimmt  wird  (270),  das  Material,  wel- 
ches von  der  INlusik  rhythmische  Bestimmung 
erhält.  Hier  ist  also  die  Musik  freier,  als  beim 
Lied,  und  unsre  neuern  Komponisten  möchten 
das  Rechte  nicht  ganz  verfehlt  haben,  wenn  sie 
deklamatorische  Gedichte  durchkomponirten, 
und  ganz  anders  behandelten ,  als  bei  lyrischen 
Gedichten  zu  billigen  seyn  würde. 

Verbindung     der     Strofen. 

290. 
"Wir  bezeichnen  mit  dem  Wort  Strofe  hier 
iiberhaujJt  jede  verbundene  Anzal  von  Versen. 
Ijnter  diesen  Strofen  können  ebenfalls  verschie- 
tlene  ArJ^en  von  Verbindungen  statt  finden, 
welche  sich  auf  die  Verschiedenheit  der  Vers- 
verbindung beziehen.  : 


Verbindung    der    Strofea.  aqS 

Freie  Zusammensetzung  von  Strofen  Verschie- 
dener Art  findet  sich  nicht  selten.  Sie  gibt  dem 
Gedicht  den  äussern  Charakter  des  Deklamato- 
rischen, und  schickt  sich  daher  am  besten  zu 
solchen  Gedichten,  deren  Inhalt  mehr  zur  De- 
klamation, als  zum  Gesang  geeignet  ist. 

292. 
Die  deklamatorische  Verbindung  der  Stro- 
fen sieht  nur  auf  Gleichheit  derselben,  wäh- 
rend der  logische  Sinn  aus  dem  Schluss  einer 
Strofe  in  den  Anfang  der  andern  übergreifen 
kann ,  wie  dies  zuweilen  bei  Horatius  der  Fall 
ist.     Z.  B. 

possint   imperiosius 
Aequor. 

kann   den    übergewaltigea 
Meerschwall,  Voss. 

Die  Musik  zu  solchen  Oden  kann  unmög- 
lich lyrischen  Charakter  gehabt  haben,  wenn 
sie  überhaupt  gesungen  wurden,  und  Lyra  uud 
Pl6ktrum  nicht  bloss  als  allegorische,  schmük- 
kende  Attribute  von  ihnen  gehen.  "Vielleicht 
war  auch  manche  horazische  Ode  den  Sängern 
und  Musikern  nicht  sehr  willkommen, 

293. 
Die   lyrische   Verbindung    der    Strofen    zeigt 
ilircn  Charakter  iu  dem  bcstinnntcu  Schluss  der 


,1  A 1 1  g  e  m  e  'i  n  s  r  T  L  e  i  1. 

5iiüfe  und  in  tlei'  Antithese.  Hier  finden  wirauck 
flic  Anlillicse  in  nocli  grösserer  Erweiterung 
iils  S  t r  o  f  e  und  A  n  t  i  s  t r  o  f  e ,  wozu  nach  dem 
^  othild  der  dreifachen  Theilung  zuweilen  noch 
dif  Epode  kommt.  Ob  in  den  anlistrofischen  Ge- 
di'.hlen  des  Aherthums  zuweilen  mehr  antistrofi- 
s»he  Form  als  antislrofischer  Charakter  vorhanden 
sei,  kann  erst  dann  mit  Sicherheit  untersucht  wer- 
den, wenn  der  wahre  Gesang  jener  Gedichte  auf- 
gcluuden  worden  seyn  wird,  was  allerdings  nach 
den  vielen  Bemühungen  metrischer  Kritiker  kein 
iciclites  Geschüft  ist. 

294. 
In  accentirten  Strofen  ist  mit  dem  Reim  der 
Gipfel  des  Lyrischen  erreicht,  und  da  dieser  in 
der  Verbindung  der  Strofen  nicht  einen  Gegen- 
salz in  einem  grössern  Verhähniss  antrifft,  so 
scheint  hierin  der  Grund  zu  liegen,  dass  den 
gereimten  modernen  Gedichten  der  anlistrofi- 
sche  Gegensatz  fremd  ist.  Einzelne  Versuche 
mancher  Dichter  in  dieser  Gattung  fanden  keinen 
Eingang,  eben  weil  der  accentirte  Vers  im  Reim 
sclion  strofisch  geordnet,  und  in  der  Strofe 
seil 011  antistrofiscii  und  epodisch  behandelt  ist. 
So  erregt  die  Wiederholung  derselben  Reime  in 
der  förmlichen  Antislrofe  nicht  die  Empfindung 
des  Gegensatzes,  sondern  vielmehr  der  Monoto- 
nie, die  man  in  Sestincn,  Kranzsoneten  vmd 
aluiiiehcn  poetischen  Künsteleien,  oft  bemerkt. 


\    o  m     V  e  1-  s.  -2,^ 

Etwas  dem  Aulistrofischen  ahnliclies  zeigt 
sich  indessen  im  Sonet ,  dessen  ganze  Struktur 
antistrofiscb  und  epodisch  ist.  Eigentlicli  aber 
Lüdet  es  eine  einzige  Strofe,  in  welcher  die  in- 
nere antistrofi^.clie  Coustruklion  sehr  deutlich 
sich    auszeichnet. 

V  o  m      V  e  r  5» 

290. 

In  der  Musik  sind  es  Töne,  in  welchen  der 
Khylhmus  erscheint.  Diese  Töne  liaben  an  sich 
noch  kein  fremdes  Princip,  was  ihre  verschie- 
dene Dauer,  oder  ihren  Accent  bestimmte ;  bei- 
de Arten  der  Bestimmung  bekommen  sie  erst 
durch  den  Rhythmus  selbst,  der  sich  mit  ihnen 
verbindet.  Ganz  anders  ist  es  mit  dem  Stoff  des 
Verses,  der  Sprache.  Die  Sylbeu,  in  welchen 
die  Momente  des  RliYthmus  dargestellt  werden, 
sind  nicht  einzelne,  unbestimmte  tönende  Ele- 
mente, sie  sind  schon  auf  eine  doppelte  Art  be- 
stimmt, einmal  als  Längen  oder  Kürzen,  durch 
die  grössere  oder  geringere  Zeit,  welche  ihre 
Aussprache  erfordert,  (denn  z.  B.  wohl  ver- 
langt oirenl)ar  mehr  Zeit,  als  die  Sylbe  ob. 
und  ist  daher  laug)  dann  zweitens,  als  accen- 
tirtc  Sylben,  durch  den  Accent,  den  sie  indem 
Worte  ciunchracn,  in  welchem  sie  stehen. 


aijf)  Allgemeiner  Tlicil. 

296. 
Jedes  Woi't  nämlicli  soll,  um  die  Einlieit 
seilies  Begriffs  auszudrücken  ,  nicht  als  eine  \  iel- 
licii ,  sondern  ids  eine  Einheit  (als  ein  Ganzes) 
walu'genoimnen  werden.  Da  nun  die  Einheit 
in  der  Zeit  Rhythmus  ist,  so  muss  jedes  Wort 
eine  rhythmische  Reihe  seyn,  um  als  Ganzes 
zu  gelten.  In  einsylbigen  Wörtern  wird  diese 
rhythmische  Beschaffenheit  latent ,  weil  sich  die 
Elemente  der  Sylbe  so  innig  vereinigen,  dass 
man  sie,  wie  etwa  einen  schnell  arpeggirten 
Accord,  als  gleichzeitig  vernommen  betrachtet; 
daher  wir  auch  nicht  Buchstaben,  sondern  Syl- 
ben  als  rhythmische  Elemente  der  Sprache  an- 
sehen. In  mehrsylbigen  Worten  ist  die  Mehr- 
heit der  Sylben  die  Vielheit ,  welche  im  Wort 
rhythmisch  vereinigt  seyn  muss ,  um  als  Ganzes 
wahi'genommeu  zu  werden.  Ganz  anders  z.  B. 
spricht  man  das  Wort:  Filister  aus,  als  die  im 
Laut  ähnlichen  drei  einsylbigen:  Viel  isst  er. 

297. 
GewÖnlich  nimmt  man  den  Accent  als  ver- 
bindendäs  Princip  der  Sylbenvlelheit  zur  Wort- 
einheit an,  und  allci'dings  ist  er  das  ani  mei- 
sten auffallende  Mittel,  wodurch  jene  Verbin- 
dung entsteht;  allein  in  prosodisch  gebildeten 
Sprachen  zeigt  sich  nicht  weniger,  als  in  quau- 
titirenden  Rhythmen,    auch  eine  metrische  Pro- 


Vom     Vers,  297 

portion  der  Quantität ,  die  zur  Bestimmung  der 
Wortrhythmeu   mitwirkt. 

298. 
Wer  sich  einem  andern  scliriftlicli  mittlieilt, 
braucht  aus  Bequemlichkeit   wol  zuweihn    man- 
che  Abkürzung    seiner    Wörter,    und   ist  über- 
zeugt, der  Leser  werde,  durch  die  Zeichen  an- 
geregt ,  das  Undeuthche,  oder  Fehlende  aus  dem 
Zusammenhange    zu    ergänzen   im   Stande    seyn. 
So  halten  es  auch  sehr  häufig  die  Sprechenden. 
Der  Gegenstand,    von    dem    eben    die  Rede  ist, 
gibt  den  Schlüssel  zu  den  undeutlichen  Artiku- 
lationen, und  daher  verstehen  es  die  Hörer  ge- 
w  önlich  zum  erstenmal  nicht  genau ,     wenn  ein 
solcher    Sprecher   mit  kühner   Wendung    zu  ei- 
nem fremdartigen  Gegenstand    überspringt.       Je 
mehr  eine  Sprache  dieser  bequemen  und  leich- 
ten Art  der  Conversation  dient,  um  so  undeut- 
licher   wird    der   Rliylhmus   in    ihren   Wörtern, 
der  sich  am  Ende  noch  kaum   in    einer    schwa- 
chen Spur  des  Accentes  zeigt,    so  dass  das  me- 
trische    Verhältniss     der     Quantität     unbemerkt 
bleibt.     Will  man  daher  von  den  Bestimmungen 
der  Worlrbvlhmen    richtig    urlheilen,     so    muss 
man  nicht  die  Aussprache  des  gemeinen  Lebens 
zum  Grund  legen,     sondern  die,     welcher  man 
sich  dann  selbst  bedient ,     wenn    man  ein  Wort 
ohne    All'ektalioa    deullicli     uimI    ohne     logische 


agS  AIIgcmoinerTheil. 

Beziehung  als  einzelnes  Wort  ausspricht.  Dann 
•wird  man  fiuJen,  dass  wenigstens  in  der  deut- 
schen Sprache  —  \on  den  alten  klassischen 
Sprachen  ist  es  ohnehin  bekannt  —  ausser  dem 
Accent  auch  die  Quantität  als  metrisches  \er- 
hiiltniss  den  Rhythmus  der  Worte  bestimmt. 
Spricht  man  z.  B.  das  Wort  Moosrose,  so 
bemerkt  man  auf  der  ersten  Sylhe  den  Haupt- 
accent,  auf  der  z^veilcn  den  untergeordneten 
der  zweiten  Arsis,  und  auf  der  dritten,  als  the- 
tischer  Sylbe,  keinen  Accent: 

♦  *  ♦ 

Moos  -  ro  -  St. 

Diese  Accentirung  deutet  schon  auf  das  Quan- 
tität-Verhültniss  in  diesem  Piliythmus,  und  die 
Aussprache  zeigt,  dass  die  erste  Sylbe  drei  Mo- 
mente, die  zweite  zwei,  und  die  dritte  ein  Mo- 
ment enthalte.  Die  ganze  rhythmische  Form 
des  Wortes  ist  also: 

Jr  J'  .^ 

Moos-ro-se,  '■ 

wovon  sich  jeder  durch  genaue  Achtsamkeit  auf 
sein  eignes  Sprechen  bald  überzeugen  kann. 
Nur  zweifle  ein  Unbekannter  mit  der  Musik 
nicht  an  der  Sache,  weil  er  das,  was  er  ver- 
nimmt ,  nicht  vollkommen  zu  unterscheiden  und 
z'.i  bezeichnen  im  Stande  ist.  Wie  lange  brach- 
ten die  Musiker  zu,     ehe  sie  den  ganz  gleiclien 


0  V  o  na     V  e  r  s.  2g(^ 

luuslkalisclien    Rhytlimus   unzweideutig  Bezeich- 
neu  und  mesien  lernten! 

299- 
Die  accentlrte   SylLe   unterscheidet   sich  von 

der    accentlosen  nicht  durch   ein  längeres  Ver- 
weilen der  Stimme  darauf,  sondern  durch  stär- 
,keren  Ton,  der  «ch,    der  Natur  des  Sprechens 
gemäss,     durch    Erhebung    der     Stimme    zeigt. 
INIan  sagt  deswegen  von  der    accentirten  Sylbe, 
»ie  stehe  in  der  Hebung   des   Wortes   («(xr«?, 
clatio),  von  der  accentlosen  hingegen,   sie   stehe 
in  der  Senkung  {-^ioig,  positio).      Die  accent- 
lose  Sylbe  kann  daher  lang  seyn,  z.B.  dieSylbe 
"Wahl   in  dem  Worte  Auswahl,     wo  sie  in  der 
Senkung    steht;     dagegen    kann   eine   accentirte 
Sylbe  kurz   seyn,     z.  B.  die  erste  in  ovofiu.      In 
neueren  Sprachen ,  z.  B.  der  deutschen ,  gilt  jede 
Sylbe,  welche  einen  Hauptaccent  hat,  für  lang, 
obgleich  Worte  von  geringem  BegrilFsgchalt  und 
ohne  Quantitätlänge,  z.B.  oder,  weder  u.d.g. 
besser  pyrrhichisch  gemessen  würden.     Der  un- 
tergeordnete Accent  fällt  indessen  auch  im  Deut- 
schen   auf   unbezweifelbar   kurze  Sylben,     z.  B. 
feierlicher,    Piächerinnen    und    ähnliche, 
die  in  quantilirenden   Versen   nur  mit    Vorsicht 
in  die  Stelle  der  Länge  eintreten  dürfen. 
5oo. 
Welche    Sylbe    eines    Wortes    accenlirt    sei, 
li.sM    sich  aus   dem  Aeussern  der    Sylbcnzusam- 


5o«  AlIgeM«incrTheI!,  • 

mensetzung  nicht  bestimmen.  Wo  die  Quantität 
nicht  entschieden  ist,  die  zuweilen  auf  den  Ac- 
cent  zurückwirkt,  da  wird  der  Accent  eines 
Wortes  Yon  einem  inuern  Grunde  bestimmt, 
nämlich  von  der  Bedeutung  des  Woi'tes,  und  in 
der  Regel  bekommt  diejenige  Sylbe  den  Accent, 
welche  den  Hatiptbegrifl'  enthält. 
001. 
So  lange  in  einem  Worte  keine  Sylbenquan- 
tität  bemerkbar  ist,  weil  alle  Sylbeu  vou  glei- 
cher Quantität  sind,  entscheidet  der  Accent  al- 
lein über  dessen  Rhythmus.  Denn  ob  die  Syl- 
ben  lang  oder  kurz  seien,  ergibt  sich  erst  aus 
der  Vergleichung  mit  einem  andern  Wort. 
Dergleichen  Worte  sind :  Anmuthvoll,  ovof*« , 
hominibus  und  äimliche.  Da  aber  durch  jede 
rhythmische  Bestimmung,  sei  es  durch  Quan- 
tität oder  Accent,  sogleich  metrische  Verhält- 
nisse entstehen,  so  erfolgt  dieses  nothwendig 
auch  hier.  Indem  der  Accent  sich  fixirt,  be- 
kommt also  das  dadurch  rhythmisirte  Wort  sein 
metrisches  Verhältniss,  es  entsteht  Arsis  und 
Thesis  und  dadurch  eine  metrische  Reihe.  So  liat: 
anmuthvoll  das  metrische  Verhältniss  daa, 
Kanzleirath  dieses:  a  üa,  und  Domprob- 
st ei  dieses:  aa  ä.  Wir  finden  in  dergleichen 
Worten  dasselbe,  was  wir  früher  oft  von  Rhyth- 
men bemerkt  haben,  die  bloss  in  Hauplmomen- 
tcn  sicli  bewe;:;cn. 


•  VomVers,  3oi 

5o2. 

Sobald  in  einem  Wort  ausser  dem  Accent 
(denn  dieser  fehlt  niemals)  auch  ein  Quantität- 
Yerhältniss  unter  den  Sylben  statt  findet,  so 
äussert  auch  diese  Quantitätverscliiedenheit  ih- 
ren Einfluss  auf  den  Rhythmus  der  Worte,  der 
nun  solchen  Rhythmen  gleichen  wird ,  die  mit 
Momenten  verschiedener  Ordnungen  wechseln. 

Es  fragt  sich  aber,  wodurch  eine  Sylbe  lang 
oder  kurz  werde  ? 

5o5. 

Auf  der  accentirten  Sylbe  hebt  sich  der  Toa 
wegen  der  Intensität,  die  er  dieser  Sylbe  mit- 
theilt. Wenn  aber  der  Ton  auf  einer  Sylbe 
verweilt,  länger  als  auf  der  andern,  so  ist  diese 
Sylbe  lang.  Dieses  Verweilen  des  Tons  ist  nicht 
vom  Begriff  abhängig,  sondern  von  der  Con- 
slruktion  der  Sylbe ,  auf  welcher  der  Ton  ver- 
weilt, daher  linden  wir,  wo  der  Accent  nicht 
die  Quantität  bestimmt,  Hauptwörter  aus  kur- 
zen Sylben  bestehend,  z.  B.  'O-fog,  oQog  und  un- 
bedeutende Wörter,  z.  B.  nui,  eig  aus  langen. 
Wenn  wir  also  den  Accent  ein  inneres,  ideelles 
Princip  nennen,  so  ist  die  Quantität  ein  äusse- 
res, reelles  Princip  des  Wortrhythmus.  Die 
Sache  bedarf  aber  einer  nähern  Betrachtung. 


V 


3o2      %  Allgameiner 'ihexl,  ^ 

Allgemeine     Prosodie. 

3o4. 
Das  Körperliche ,  Materielle  der  Sprache  Le- 
s,telit  Lekanntlich  aus  Vokalen  und  Konsonan- 
ten. Die  Vokale  sind  der  eigentlich  tönende 
Bcstaudtheil,  und  jede  Sylhe  muss,  um  bestimmt 
arlikulirt  zu  lauten ,  wenigstens  Einen  Vokal 
enthalten.  Mit  diesem  Einen  Vokal  ist  sie  als 
Sylbe  für  die  Aussprache  beschlossen.  Enthält 
die  Sylbe  mehr  Vokale,  als  diesen  Einen,  zur 
Aussprache  nothwendigen ,  so  wird  der  Ton  ge- 
nöthigt,  länger  auf  ihr  zu  verweilen,  als  auf 
andern  Sylben,  die  nur  einen  Vokal  enthalten, 
die  Sylbe  bekommt  daher  Länge.  Es  bedarf 
kaum  einer  Erinnerung,  dass  mehr  Vokale  nur 
dann  in  derselben  Sylbe  zusammentreffen, 
wenn  sie  als  Ein  Laut,  nicht  aber  als  verscliie- 
dene  Laute  ausgesprochen  werden;  denn  im 
letzten  Fall  würden  sie  nicht  Eine,  sondern 
mehre  Sylben  bilden.  Dies  ist  z.  B.  der  Fall 
mit  den  beiden  A  in  Fraartes,  Canaan;  in 
Aal,  Meer,  Boot  hingegen  bilden  beide  Vo- 
kale nur  Eine  Sylbe. 

oo5, 
V  okale  von  gleichem  Laut,  in  derselben  Sylbe 
enthalten,  }>ilden  einen  langen  Vokal,  der  in  ei- 
nigen Sprachen  durch  besondere  Figur,    in  an- 
dern  durch  Verdoppelung,     durch    Anhängung 


Allgemeine     Prosodle  5o3 

des  Spiritus,     oder  durch  ein   Dehnungszeichen 
angedeutet,     oft    aber    ohne     besonderes     Zei- 
chen,  entweder  aus  seinem   Stand  in  der  Sylbe 
erkannt,    oder  aus  dem   Sprachgebrauch  erlernt 
-wird.      Die  griechische  Sprache  hat  bekanntlich 
für    die   langen   Vokale  besondere    Formen  und 
überdies  noch  am  Circumflex    ein  Dehnungszei- 
chen ,  die  lateinische  erkennt  den  langen  Vokal 
in  der  vorletzten  Sylbe  an  der  Betonung,  in  der 
letzten  an  prosodischen  Bestimmungen  und  zum 
Theil  an   der  Analogie   des   Accentes  in  Verän- 
derungen des  Wortes.     Diese  Analogie   und  der 
Gebrauch  der  Dichter  bestimmen    die  Quantität     ^ 
der  andern  Sylben.     Die    deutsche    Sprache  be- 
dient sich  der  Vokalverdoppelung  (Aar,   leer, 
Moos),  des  augehängten Spii-itus  (Ehre,  ohne, 
Noth),  des  stummen,  bloss  dehnenden  E  (w  i  e- 
der,  Liebe)  welches  im  Hochdeutschen  die  Stelle 
eines  Dehnungszeichen  vertritt.      Doch  überlässt 
die  deutsche  Sprache  nur  zu  oft  dem  Gebrauch 
die  Bestimmung  des  langen  und  kurzen  Vokals, 
und   ohne   durch    ein    Zeichen    belehrt   zu  wer- 
den, muss  man  bloss  lernen,  dass  in  Mond  das 
O  lang,  in  blond  kurz  ist.   (Scharf  nennt  man 
gewöhnlich    den    kurzen   Vokal,    der    in    einer 
durch  Position,  oder  Accent  langen  Sylbe  steht.) 
Dtiher  variiren  auch  oft   die    deutschen  Dialekt« 
liicrin,    und   Tag  wird   z.  B.  von  manchen  §e* 
dehntj    von  manchen  scliarf  gesprochen.     Di«se 


ju-t  Aligdinelncr  Theil. 

Yerschiedeiiheil  zeigt  sich  zuweilen  auch  in  der 
Schreibart,  und  Vater,  Eret,  wird  in  manchen 
Dialekten  auch  Vatter,  Brett  gesprochen  und 
geschrieben. 

5o6. 
Bernhardl  (Sprachwissenschaft  i8o5.  S.  65.) 
behauptet,  auf  einen  Parallelismus  gestützt, 
diese  Dehnung  könne  sich  nur  auf  die  Vereini- 
gung zweier  Vokale  erstrecken ,  und  gramma- 
tisch sey  aa  und  aaa  dasselbe ,  wiewol  ein  mu- 
sikalischer Unterschied  eintrete.  Da  B.  in  der 
Prosodie  hierauf  den  Satz  gründet,  dass  jede 
Länge  nur  zwei  Kürzen  gleich  sei,  so  muss  je- 
ner Behauptung  widersprochen  werden.  Die 
Contraktion  eines  kurzen  (einfachen)  Vokales, 
und  eines  langen  (doppelten)  zu  Einem  Vokal 
oder  Difthong  zeigt  die  Vereinigung  dreier  Mo- 
mente in  derselben  Sylbe  grammalisch,  und 
überhaupt  muss  grammatisch  und  musikalisch 
nicht  widersprechend  seyn,  sobald  von  absolu- 
ten rhythmischen  und  metrischen  Sätzen  die 
Rede  ist.  Bloss  prosodisch  betrachtet  ist  aber 
die  Sylbe  weder  dreizeitig,  noch  zweizeitig,  son- 
dern bloss  lang  im  Aligemeinen.  (5 18.  4o3  11'.) 

307. 
Vokale    von    verschiedenem    Laut    in    ein»r 
Sylbe    ausgesprochen,     bilden    Difthongen,     die 
gleichfalls  und  aus  demselben  Grunde  den  Ton 


Allgemeine     Prosodie.  5o5 

zum  Verweilen  nöthigen,  und  der  SylLe  dadurch 
Länge  ertheilen.  Von  den  alten  Sprachen  ist 
dieses  bekannt,  in  der  deutschen  Sprache  hat 
man  es  lange  nicht,  und  auch  bis  jetzt  noch 
nicht  allgemein  anerkannt :  weil  man  die  Quan- 
tität der  deutschen  Sylben  bloss  aus  dem  Prin- 
cip  des  Accentes,  welches  sich  auf  Begriffe  be- 
zieht, herleitete.  Daher  brauchte  man  die  Wörter 
aus,  auf,  euch,  auch  und  ähnliche,  weil  sie 
keine  Hauptbegriffe  bezeichnen  und  bloss  ver- 
binden, unbedenklich  als  Kürzen.  Dem  Ver- 
stand gefiel  dieses  freilich  ,  und  dass  dieser 
selbst  in  Sachen,  wo  der  Sinn  einzig  entschei- 
den kann,  sich  eine  richterliche  Tirannei  an- 
gemaasst  hat,  ist  bekannt  genug.  Dasselbe  gilt 
auch  von  den  langen  Vokalen  im  Deutschen, 
die  gewönlich  ebenfalls,  wenn  der  Begriff  die 
Sylbc  nicht  hebt,  kurz  abgefertigt  zu  werden 
pflegen,  z.  B.  ihr,  wohl  und  ähnliche. 
3o8. 
Als  zweiter  Bestandtheil  der  Sprache  zeigen 
sich  die  Konsonanten.  Wiewol  sie  grössten- 
theils  nicht  selbst  tönen ,  sondern  nur  dem  Ton 
des  Vokales  sich  anschliessen ,  so  erfordern  sie 
doch  einige  Zeit,  um  ausgesprochen  zu  werden, 
und  verlängern  mithin  die  Dauer  der  Sylbe. 
Trost  z.B.  erfordert  offenbar  mehr  Zeit,  als  das 
einfache  O.  Besonders  auffallend  wird  dieses, 
wenn  mehre   Konsonanten   in    Einer   Sylbe  zti- 

ao 


3o6  All^jciueiuei   Tiicil. 

sammentreffen,  die  ohne  einen  dumpf  dazwisclien- 
•  tönenden  Halbvokal  (  Sclnva  )  nielit  ausgespro- 
chen werden  können,  z.B.  in:  Sanft,  Pabst, 
wo  man  zwischen  den  schliessenden  Konsonan- 
ten den  dumpfen  Halbvokal  vernehmlich  hört. 
Weniger  auffallend  tont  dieses  Schwa  in  andern 
Sylben;  aber  wo  es  tönt,  vermehrt  es  doch 
ohne«  Zweifel  die  Dauer  derSylbe,  und  nölhigt 
den  Ton  ebenfalls  auf  der  konsonantenreichen 
Sylbe  zu  verweilen.  Hierdurch  also  erhalten 
auch  die  Konsonanten  Einfluss  auf  die  Quanti- 
tät der  Sylben,  der  in  der  Prosodie  unter  dem 
Namen  der  Position  bekannt  ist.  Eine  Sylbe 
erhält  näudich  durch  Position  Länge ,  wenn  der 
Ton  durch  die  Anzal,  oder  den  Widerstand  der 
darin  befindlichen  Konsonanten  genöthigt  wird, 
länger  auf  ihr,  als  auf  andern  Sylben,  in  wel- 
chen diese  Hindernisse  nicht  angetroffen  wer- 
den ,  zu  verweilen.  Es  erhellt  hieraus ,  dass  die 
Länge  durch  Position  bloss  relativ  ist,  und  dass 
unter  Sylben,  die  bloss  aus  einfachen  Vokalen 
bestünden,  schon  Ein  Konsonant  der  Sylbe  Po- 
sitionlänge ertheilen  würde.  Die  Frage  :  wie 
viel  Konsonanten  zur  Position  'erforderlich  seyen, 
lässt  sich  mithin  nicht  im  Allgemeinen  beant- 
worten, sondern  die  Beschaffenheit  jeder  Spra- 
che muss  darüber  im   Einzelnen   entscheiden.  *) 


'')  Diese  Grundsätze  über  Position  -mirden  schon  in  der 


Allgemeine     Prosodie.  5q^ 

In  Spraclieti',  Avorin  der  grö.^ste  Tlieil  der  Syl- 
ben  mit  Vokalen  anfängt ,  oder  mit  Vokalen 
schllesst,  ist  gewönlicli  jeder  Vokal  von  dem 
andern  durch  Einen  Konsonanten  getrennt;  das 
ZusammentrefTen  zweier  Konsonanten  v.ird  da- 
her den  Ton  über  das  Gewöhnliche  aufhallen 
und  dadurch  eine  Position  bewirken.  So  ist  es 
auch  in  der  That  in  der  griechischen  und  la- 
teinischen Spraclie,  worin  sich  die  Ausnahme 
dass  z.  B.  der  stumme  mit  dem  fliessenden  Kon- 
sonanten nur  unvollkommene  Position  bildet 
sehr  leicht  aus  der  geringern  Verweilung  er- 
klärt, die  der  Ton  hei  dem  leichten  Leber<,^an<'^e 
zu  dem  fliessenden  Konsonanten  nötliifr  hat. 
Findet  sich  hingegen  bei  der  Mehrzal  der  Syl- 
ben  in  einer  Sprache  Vorn  und  hinten  ein  Kon- 
sonant, so  ist  das  Zusammentrefien  Von  zwei 
Konsonanten  das  Gewöhnliche,  und  es  wird  nur 
dann  Position  entstehn,  wenn  w^enig  tens  drei 
Konsonanten  unmittelbar  auf  einander  fob'on. 
Diese  Bewandniss  hat  es  mit  der  deutschen  Spra- 
che, und  man  sieht,  wie  sonderbar  seiht  Klopslock 
schloss,  weil  die  Regel  alter  Sprachen  von  ^  er- 
längung  einer  Sylbe  durch  Zusammentreffen 
zweier  Konsonanten  unanwendbar  scy,  und  es 
ihm   gelang,    einen    verfelilten    deutschen    Ilexa- 

Leipzi^er  Literatur  -  Zeitung  1809.  N.  il>5.  ,  bei  Ge- 
lege^nheit  einer  Anzeige  von  Voss  Uebeisetzung  de» 
Iloralius,  von   dem   Vf.    aiii-cslcllt. 


5o5  A  I  i^ein  oiiicr  TlieiJ. 

meter  nach  den  Regeln  der  griechischen  Proso- 
die  zu  erfinden: 

Tönender  sangen  verborgene  Nachtigallen, 
SO  sey   es   lächerlich   und   ungereimt,    im  Deut- 
schen   Position     anzunehmen,     und     überhaupt 
Quantitäthestimmungen    aus    der   äussern    Natur 
der  Sylben  herzuleiten. 

509. 
Etwas  ähnliches  hat  Bothe  *)  behauptet,  und 
praktisch  durchgeführt.  Nur  beschränkt  er  die 
deutsche  Position  zu  eng  durch  die  Kegel  der 
griecliischen  und  lateinischen.  Dennoch  möchte 
er  den  Spottvers  des  Beurtheilers  in  den  Hei- 
delberger Jahrbüchern  (i8i3.  April)  nicht  ver- 
dienen. Wenn  aber  der  Leipziger  Recensent 
(Lit.  Z.  1812.  N.  295.)  die  Sache  erst  dann  als 
streng  bewiesen  annehmen  will ,  „wenn  ein  wirk- 
lich grosser  Dichter,  wie  Klopstock,  in  der  von 
Bothe  bestimmten  Prosodie  sich  nicht  gezwun- 
gen fültj"  so  möchte  man  fragen,  warum  der 
grosse  Dichter,  der  allem  Zwang  so  abhold  ist, 
sich  überhaupt  die  Fesseln  des  Verses  anlegt? 
Wenn  manchen  recht  guten  Dichter  die  Reime 
im  Deutschen  geniren,  ist  darum  der  Reim  aus 
der  deutschen  Sprache  zu  verbannen?  Ist  die 
Regel  einmal  in  der  Natur  gegründet,    so  ist  e« 


*)  Antikgemessene  Verse  Ton  Bothe.    1812, 


Allgemeine     Prosodie.  505 

etwas  wundcrlicli ,  und  eben  nicht  sehr  genial 
vom  grossen  Dichter,  wenn  er  sich  nur  halb 
fügt,  und  halb  widerstrebt.  Was  wäre  aber  so 
wunderlich,  das  ein  Kritiker  nicht  behauptete! 

3io. 

Der  lange  Vokal,  oder  Difthong  macht  also 
in  jeder  Sprache  die  Sylbe  lang.  Desgleichen 
wird  in  jeder  Sprache  die  Sylbe  durch  Position 
lang;  nur  muss  aus  der  Natur  jeder  einzelnen 
Sprache  selbst  bestimmt  werden,  wie  viel  Kon- 
sonanten zusammentreffen  müssen,  um  eine  Po- 
sition zu  bewirken.  Es  verbirgt  sich  indessen 
hierbei  die  Bemerkung  nicht,  dass  Sprachen,  in 
welchen  wenig  Konsonanten  zur  Position  genü- 
gen, weit  leichter  Sylbenquantität  zeigen,  als 
andre,  welche  nur  durch  viel  Konsonanten  Po- 
sitionlänge hervorbringen.  Der  Unterschied  der 
Positionlänge  durch  zwei  Konsonanten  von  der 
Kürze  beträgt  Eins,  der  durch  drei  Konsonan- 
ten nur  zwei  Drittel,  und  der  durch  vier  Kon- 
sonanten würde  gar  nur  ein  Viertel  betragen. 
Mithin  wird  der  Unterschied  der  Länge  von  der 
Kürze  immer  geringer,  und  immer  mehr  ver- 
dunkelt, je  mehr  Consonanten  zur  Position  er- 
forderlich sind,  und  in  gleichem  Verhältniss  mit 
der  Positionlänge  verdunkelt  sich  auch  unter  der 
Masse  von  Consonanten  die  Quantität  des  lan- 
gen Vokals,  so,  dass  man  die  Portion  von  drei 


5iü  AUge  tue  in  er  T  1;  e  il. 

Konsonanten  wolil  als  Glänze  wird  annehmen 
müssen,  auf  welcher  die  Quantitätbestimmung 
noch  deutlich  Yernehmbar  ist.  Je  mehr  aber 
das  eine  Piüncip  verschwindet,  um  so  mehr  tiütt 
nothwendig  das  andre  hervor.  Wo  die  Quan- 
tität sich  verherl ,  wird  der  Accent  Hauptprin- 
cip  des  Khythmus  in  der  Sprache;  wo  hingegen 
die  Quantität  sehr  leicht  vernehmbar  ist,  wird 
diese  voi'herrschendes   Princip. 

5ii. 

Hieraus  wird  klar ,  warum  Sprachen  '^mit 
leichter  Quantilätbestimmung  sich  mehr  zu 
quantitirenden  Rhythmen  neigen,  und  da  in 
diesen  der  Tripeltakt  vorherrscht ,  besonders 
auch  zu  diesem  (180.)  Dies  ist,  wie  die  Folge 
zeigen  wird,  in  dem  Griechischen  fast  durch- 
gehends  der  Fall,  und  der  grösste  Theil  lyri- 
scher Verse  bewegt  sich  in  ionischem  oder  tri- 
podischem  Metrum,  so  dass  man  fast  keinen 
Vers  anführen  kann ,  der  ganz  unzweideutig  ge- 
raden Takt  hielt.  Sprachen  hingegen  mit  viel 
Konsonanten  eignen  sich  leichter  den  accentirten 
Rhythmen,  z.  B.  die  englische  und  andre  nor- 
dische Sprachen.  Dass  die  italische  und  spani- 
sche Spi'ache  ihre  Quantitätverhältnisse  im  Vers 
nicht  gellend  macht,  liegt  nicht  an  der  Sprache, 
sondern  in  den  Verhältnissen,  unter  welchen 
sich  die   Poesie  bei  diesen  Völkern  ausbildete. 


Allgemeine    Prosodie.  5ii 

Der  Wolillaut  des  durch  beide  Sprachen  so  be- 
günstigten Reimes  und  der  Assonanz  hat  die 
Poesie  auf  einen  Weg  geführt,  der  zu  anlok- 
kend  ist,  um  ihn  einer  Schönheit  (der  Bewe- 
gung) willen  zu  verlassen,  welche  die  Musik 
leicht  dem  Gedicht  zubringt. 

Ein  bemerkenswerther  Beleg  hierzu  ist ,  dass 
die  Musik,  die  am  freiesten  in  accentirten 
Rhythmen  sich  bewegt,  ihre  hauptsächlichste 
Ausbildung  unter  solchen  Völkern  fand,  deren 
Sprache  bloss  acceulirt,  oder  nur  wenig  quan- 
tilirt.  Wo  man  bei  leicht  quantitirender  Spra- 
che auch  in  quantitirenden  Rhythmen  dichtete 
und  sang,  z.  B.  in  Griechenland,  da  blieb  die 
Musik  zu  sehr  an  die  selbst  musikalische  Spra- 
che gebunden  und  folgte  Ton  für  Ton  den 
Sylben  "des  Gedichtes.  Ihre  Melodieen  behiel- 
ten deshalb  zwar  mehr  Zierlichkeit,  als  die  ro- 
hen accentirten  Gesangweisen  des  Nordlandes 
haben  mochten ;  allein  diese ,  welche  nicht  von 
der  Sprache  gefesselt  wurden,  konnten  sich 
freier  bewegen  und  der  Musik  einen  Spielraum 
anweisen ,  wo  die  Sprache  nicht  mehr  dem 
Ton  Sylbc  vor  Sylbe  folgen  konnte.  Hierin 
liegt  ein  Ilauptuntcrschied,  nicht  sowol  der  al- 
ten Musik  von  der  neuern,  als  vieiraehr  der 
Verbindung  der  Musik  mit  dem  Vers  zum  Ge- 
sang in  aller  und  neuer  Zeit.  Wie  der  accen- 
tirte  Gesang  in  Italien   iil>or  den  quantitirenden 


3  i  :i  A 1 1  g  e  m  e  i  u  e  r  T  h  e  1 1. 

siegle,  und  wie  durch  die  Aufnahme  quanliti- 
render  Rhythmen  in  die  accentirten  Formen 
griechische  Eleganz  mit  nordischer  Kraft  verei- 
nigt wurde,  wird  in  der  Folge  nachgewiesen 
werden. 

3l2. 

Die  deutsche  Sprache  steht  wegen  ihres 
nachgewiesenen  Positionverhähnisses  auf  der 
Gränze  der  quantitirenden  und  accentirenden 
Sprachen;  deswegen  äussern  Leide  Principien 
ihren  Einfluss  auf  den  Wortrhythmus.  Der 
Hauptaccent  gibt  der  Sylbe ,  auf  welche  er  fällt , 
wäre  sie  auch  an  sich  kurz,  doch  den  Charak- 
ter der  Länge.  In  Rosse  z.  R.  gegen  Rose 
gehört,  ist  die  erste  Sylbe  der  Quantität  nach 
kurz,  allein  der  Accent  gibt  ihr  Länge.  Weil 
aber  der  Accent  als  ein  innres  und  vom  Ver- 
stand abhängiges  Princip  erscheint,  so  äussert 
er  seine  verlängende  Kraft  nicht  auf  unbedeu- 
tende Sylben,  die  nur  den  arsischen,  nicht  den 
BegrifFsjiccentKrhalten.  Die  dritte  Sylbe  in  krie- 
gerische ist  deswegen  ,  des  Accentes  ungeachtet, 
kurz.  Darum  duldet  der  quantitirende  Trime- 
ter  die  Sylbenstellung  nicht : 

W     —     •«'—       I       y*     —     >m'     —       I       t^     —     »^     -^ 

Des   schauerlichen   Zuges  feierliche  Pracht 

wohl  aber  der  accentirende  Alexandriner: 

der  schauerliche  Zug   in    feierlicher   Pracht 


Allgemeine     Prosodie.  5i3 

und  eben  so  der  zehn  und   elfsylbige  jambische 
Vers: 

Voll  schauerliclier  Ahndung  sank   die  Nacht. 
Eben   deswegen    äussert    der   Accent    auch  sein« 
verlängende  Kraft  weniger   in   solchen    Worten, 
die  bloss  Nebenbegrifte  bezeichnen ,  z.B.  oder, 
"weder   u.  a.  m. ,    und  die    accentirten ,   an  sich 
kurzen    Sylben   solcher   Wörter   bekommen   nur 
eine  zweideutige  Länge,  d.  h. ,  sie  können  nach 
Willkühr  als  Längen,    oder   als  accentirte  Kür- 
zen gelten.     So  haben  wir  allerdings  pyrrhichi- 
sche  Wortfüsse  in  der  deutschen  Sprache,    frei- 
lich ziemlich  wenig,   indessen   sollte   man   doch 
diese  wenigen  anerkennen, 
OlD. 
Nicht    allein   in   Sylben   und    Worten    findet 
der    Rhythmus    die    Sprache   schon   unabhängig 
von    sich    bestimmt,     sondern    auch    in    ganzen 
Sätzen.     Wie  nämlich  das  einzelne  Wort  seinen 
grammatischen  Accent  hat,    so  hat  der  Satz  sei- 
nen logischen  Accent ,    der  ihn  zur  Einheit  ver- 
bindet, und  dessen  veränderte  Stelle  bekanntlich 
auch  den  Sinn  des  Satzes  verändert.      Auch  die 
Position    findet   nicht    allein   in    der    Mitte    des 
Wortes,     sondern  oft  und   hauptsächlich  in  der 
Zusammenstellung  der  Worte  Statt,  so,  dass  die 
Endsylbe  eines  Wortes  von  veränderlicher  Quan- 
tität ist,   je  nachdem  sie  vor  einem  Vokal,  oder 
vor  einem  Konsonant  sieht. 


5i4  A  llgem  einer  Theil. 

Eine  ähnliche  Veränderlichkeit  der  Quantität 
findet  auch  bei  dem  langen  Vokal  Statt,  der, 
wo  der  Accent  keinen  Einfluss  auf  die  Quanti- 
tät äussert,  vor  einem  andern  Vokal  kurz,  oder 
doch  von  zweideutiger  Quantität  wird.  Auch 
im  Deutschen  sind  die  Endungen  der  Worte : 
bei,  einerlei  u.  d.  g.  vor  einem  Vokal  zwei- 
deutig, die  accentirten:  Abtei,  herbei,  blei- 
ben lang ,  eben  so  einsylbige  Ilauptworle ,  als : 
Thau,  froh,  Schnee  und  ähnliche. 

3i4. 

Der  logische  Accent  des  Satzes  gibt  einer 
kurzen  Sylbe  nicht  nothwendige  und  unbedingte 
Länge,  am  besten  steht  sie  als  Kürze  in  der 
Hebung  des  Taktes.  Will  sie  der  Dichter  als 
Länge,  vielleicht  gar  als  dreizeitige,  in  die 
Hauptarsis  stellen,  so  muss  Rhythmus  und  Me- 
trum schon  sehr  entschieden  seyn,  sonst  ver- 
wirrt eine  solche  Stellung  z.  B. 

Das  hab'  ich   erkämpft,     das  hab'  ich  errungen, 
hält  sich  in  der  ionischen  Bewegung 

I   ^  5  N"  I  I  ^  ^  I  I  j^  j^  >  I  I   >  y  9 

lt.   m.   ä^  m     \   a.    S^  7  \   J.   J.   J^  d     I   «.   •     /   / 
als  Accentlänge ;  allein  wenn  die  Bewegung  noch 
unentschieden  ist ,  so  kann  man  lesen : 

Daher  ist   eine  solche    Accentlänge  zum  Anfang 
nicht  zu  empfehlen. 


Näher'e    Bestimmung     des     Verse«.  3ij 

Nähere  Bestimmung  des  Verses. 

5i5. 
Findet  nun  verschiedene  Sylbenquant^tät  in 
den  Worten  einer  Sprache  Statt,  so  tritt  auch" 
in  dieser  Rücksicht  sogleich  ein  metrisches  Ver- 
hältniss  ein;  denn  eine  Sylbe  ist  im  Rhythmus 
nicht  im  Allgemeinen  lang  oder  kurz,  sondern 
sie  ist  es  nach  einem  bestimmten  Verhältniss. 

3i6. 
Dieses  bestimmte  Verhältniss  der  Länge  und 
Kürze  erkennen  die  Metriker  an;  allein  sie  be- 
stimmen es  für  alle  Fälle  als  das  Verhältniss  von 
Zwei  zu  Eins,  ohne  einen  Beweis  für  diese 
Behauptung  zu  führen.  Der  einzige ,  Bernhardi , 
gibt  in  einem  Parallelismus  wenigstens  eine  Art 
von  Beweis.  (3o6.)  Es  muss  jedem  Unbefange- 
nen auffallen,  wie  sehr  das  Nachsprechen  frem- 
der Worte  unsern  Denkern  eigen  sey,  da  sie 
gegen  die  laute  Stimme  der  Musik  und  der  Aus- 
sprache ,  und  gegen  alle  Beweise  aus  der  Natur 
des  Rhythmus ,  dennoch  auf  jener  willkührli- 
chen  Behauptung  bestehen,  und  sich,  mit  Ver- 
läugnung  ihres  Sinnes,  lieber  dem  alten  Vorur- 
ihcil  fügen,  eh'  sie  von  einer,  von  allen  Seiten 
probchaJteudcn ,  Ansicht  Notiz  nehmen. 

317. 
Dasselbe   metrische   Verhältniss,    welches  bei 
quantitirenden  Rhythmen  überhaupt  Statt  findet, 


5;i6  Allg  e  meiner  Th  eil. 

muss  aucli  Lei  Worthrhytlimen  eintreten.  Es 
ist  kein  Grund ,  es  anders  zu  erwarten ,  und  so 
ündet  es  sich  aucli  in  der    That. 

In  den  absoluten  Rhythmen  —  so  nennen 
wir  sie  in  ihrer  reinen  Gestalt,  ohne  Verbin- 
dung mit  Wort  oder  Ton  —  fanden  wir  dreier- 
lei Quantität  der  Länge,  in  Musikzeichen  aus- 
gedrückt: J.  J  und  e'.  5  und  zweierlei  Quantität 
der  Kürze  ^  und  Js  Diese  Verhältnisse  werden 
sich  in  der  Sprache,  so  fern  sie  rhythmisch  in 
Ansehung  der  Quantität  betrachtet  wird,  eben- 
falls finden.  Nachweisungen  von  dergleichen 
metrischen  Formen  in  der  Sprache  sind  schon 
früher  gegeben  worden.  Man  spreche  das  Wort : 
Anmutig,  so  spricht  man  es  in  der  metrischen 
Form  des  Bacchius: 

!    J    > 

B-        —         •«> 

Anmutig 

Mau  spreche:  Anmutiges,  so  spricht  man 
das  Wort  in  der  Form  des  Jonikers: 

I     ^   ^  > 
•.  c.  e^  • 

Anmutiges 
und  in  diesen  beiden  Beispielen  findet  man  alle 
verschiedenen  Quantitäten  der  metrischen  Län- 
gen und  Kürzen.  Eine  vierte  Gattung  der  Länge, 
die  nicht  metrisch ,  sondern  prosodisch  ist ,  kann 
erst  später  angezeigt  werden. 


Nähere     Bestimmuiig     des     Verses.  617 

5i8.' 
Es  ist  bei  der  ersten  Entwickelung  des  Me- 
trum erwiesen  worden,  dass  das  Metrum  kein 
absolutes,  sondern  ein  relatives  Maas  sey,  näm- 
lich ein  Proportionmaas  des  Rhythmus.  Das 
Allgemeine  des  Metrum,  nämlich  der  Begriff 
eines  Verhältnlssmaasses ,  entsteht  mit  dem  All- 
gemeinen des  Begriffes  Rhythmus.  Die  bestimmte 
Proportion  aber  entsteht  mit  dem  bestimmt  ge- 
gebenen Rhythmus.  Daher  ist  es  nicht  nur  er- 
laubt, sondern  nothwendig  und  in  der  Natur 
der  Sache  gegründet,  dass  dieselbe  Sylbe  in 
verschiedenen  Wortrhythmen  ein  verschiedenes 
metrisches  Verhältniss  habe ;  denn  sie  bekommt 
überhaupt  erst  irgend  ein  metrisches  Verhältniss 
durch  die  Stelle,  in  welcher  sie  im  Wortrhyth- 
inus  steht.  Die  Sylbe  Glück  z.  B.  hat  in  dem 
Wort:  glücklich  zweizeitige  Länge;  denn  das 
Wort  ist  ein  Trochäus  (JJ^);  in  glückse- 
lige hat  sie  dreizeitige  Länge;  denn  sie  nimmt 
die  erste  Stelle  eines  flüchtigen,  sinkenden,  io- 
nischen Wortrhythmus  (  j.  J.  ^  J  )  ein;  in 
Unglücklicher  hat  sie  unvollkommene  Län- 
ge, denn  sie  steht  auf  der  zweiten  Stelle  dersel- 
ben ionischen  Form.  Von  der  metrischen  Quan- 
tität ist  also  die  prosodische  Quantität  wohl  zu 
unterscheiden.  Diese,  die  prosodische,  nennt 
die  Sylben  bloss  lang  und  kurz ,  ohne  alle  Rück- 
sicht auf  ein  metrisches  Verhältniss  dieser  I^änge 


5x8  Allgemeiner  Theil. 

xind  Kürze,  nicht  'einmal  auf  das  sich  zuerst 
darbietende  von  Zwei  za  Eins,  und  wir  wer- 
den späterhin  sehn,  dass  die  prosodische  Lange 
in  einigen  Fällen  sogar  metrische  Kürze  ist. 
Die  Prosodie  sondert  nur  in  der  Sprache  Syl- 
ben ,  welche  die  Verhältnisse  metrischer  Längen 
aufnehmen  können,  von  solchen,  welchen  die 
Verhältnisse  metrischer  Kürzen  sich  aneignen 
lassen,  und  nennt  die  ersten  ohne  Unterschied 
lang,  die  zweiten  kurz,  diejenigen  aber,  mit 
welchen  sich  metrische  Verhältnisse  beider  Art 
vereinigen  lassen,  mittelzeitig.  Durch  die 
Verwechselung  der  prosodischen  Quantität  mit 
der  metrischen,  entstanden  ungemein  viel  Ver- 
wirrungen im  Maas  unbekannter  Versformen, 
und  in  den  metrischen  Theorieen  selbst. 

519. 

Ist  die  Relativität  des  Metrum  erwiesen,  so 
sieht  man,  wie  weit  Hermann  von  einer  richti- 
gen Begründung  der  Metrik  entfernt  ist,  wenn 
er  (Metr.  §.49.)  sagt:  „Metrum  bezeichnet  bloss 
das  Verhältniss  der  Länge  der  Zeitabtheilungen 
gegen  einander,  ohne  allen  Rhythmus." 
Ein  Verhältniss  der  Zeitabiheilungen  ist  aber 
nur  im  Rhythmus  denkbar.  Zu  dieser  Unklar- 
heit der  BegrilFe  kommt  nun  noch  folgender 
Satz  (das.  §.  5o.) :  „So  vielfach  das  Maas  der 
Zeitabtheilungen   in   dem  Rhythmus    der    Musik 


Nähere     Bestimmung     des     Verse  3.  3  ig 

und  Tanzkunst  ist,  so  hat  doch  die  Sprache, 
die  nicht  bloss  zum  Ausdruck  der  Empfindun- 
gen erfunden  ist,  und  der  eben  deswegen  eine 
zu  grosse  Mannigfahigkeit  des  Maasses  lästig 
seyn  würde,  nur  eine  einzige  \  erschiedenheit 
des  Maasses,  ein  einfaches  und  ein  doppeltes." 
—  In  der  That,  ein  sehr  befremdendes  Versin- 
ken in  die  materiellste  Empirie ,  von  einer  Theo- 
rie ,  die  auf  formale  -  objektive  Gesetze  a  priori 
mit  bis  zur  Trockenheit  strengem  Ernste  dringt! 
Indessen  lernen  wir,  dass  Bequemlichkeit  und 
Unklarheit  der  Grund  ist,  worauf  die  Verwer- 
fung andrer  metrischer  Verhältnisse  im  Vers 
als  des  beliebten  Eins  zu  Zwei  sich  gründet, 
und  dass  gelehrte  Filologen,  die  am  Maas  der 
Verse  und  der  Musik  des  Alterthums  bessern 
und  meistern,  nicht  einmal  im  Stand  sind,  das 
Maas  ihrer  eignen  Aussprache  zu  vernehmen, 
wenn  sie  ionische  Wortrhythmen ,  z.B.  Ankün- 
digen; (  J.  «'.  ,N  ^  )  aussprechen.  Würden  sie 
sonst  das  Maas  der  Sprache  auf  jenes  Verhäit- 
niss :  Eins  zu  zwei  beschränken  wollen  ? 

520. 

Es  ist  mithin  mit  den  Worten,  wie  rhit  den 
absoluten  Rhythmen:  das  metrische  Verhältniss, 
auf  den  Accent  bezogen,  bildet  die  Arsis  und 
Thesis;  auf  die  Quantität  hingegen  bezogen, 
bildet  es  das  rhythmische  Sylbenverhältniss  der 
Länge  und  Kürze. 


32o  Allgemeiner  ThelL 

Wortfüssc. 

021. 

Wenn  wir  die  Wörter  einer  Spraclie  nach 
ilirem  metrischen  Verhältniss  betrachten,  so 
erkennen  wir  in  ihnen  den  Rhythmus,  und  wir 
haben  sie  in  dieser  Piücksicht  schon  oft  Wort- 
rhythmen  genannt.  Betrachtet  man  aber  die 
Wörter  bloss  in  Hinsicht  auf  die  prosodi- 
sche  Quantität  ihrer  Sylben,  ohne  Beziehung 
auf  Rhythmus  und  metrischen  Gehalt,  so  nennt 
man  die  Wörter  Wortfüsse.  So  ist  z.  B. 
A  n'm  u  t  i  g  e  r  zugleich  ionischer  Wortrhythmus 
und  Wortfuss  (  J.  J^  ,^  J^  -  -  w.  ^  ) :  Aus- 
drü'cklicher  hingegen  ist  zwar  ionischer  Wort- 
fuss (  _  —  ^  «^  ),  aber  nicht  ionischer,  sondern 
iambischer  Wortrhythmus  (  J^  |  j  j^,^  7  7  )  oder 
auch  daktylischer  mit  Auftakt    (  J  [  J    j^  J^  )• 

322. 

Zu  Bezeichnung  der  Wortfüsse  reichen  die 
üblichen  metrischen  Zeichen ,  (die  man  richtiger 
prosodische  Zeichen  nennen  könnte)  vollkom- 
men aus.  Nur  vergesse  man  niemals  bei  ihrem 
Gebrauch,  dass  sie  bloss  Länge  und  Kürze  in 
prosodischer  Ansicht,  keineswegs  aber  in  metri- 
scher Beziehung  anzeigen.  Sie  deuten  also 
eben  so  wenig  auf  das  Verhältniss  Eins  zu 
Zwei,  als  auf  irgend  ein  anderes.  Ein  Vers- 
schema  in  solchen   Zeichen    i«t    gleichsam  eine 


Wort  füsse.  Sax 

Aufgabe  zur  Construktion  eines  Verses,  wo  der 
Verskünstler  die  Verhältnisse  zu  finden  hat,  wie 
etwa  der  Zeicliner,  der  aus  fünf  zufällii;en  ge- 
gebenen Punkten  eine  Figur  construiren  solL 
Mancher  Vers  in  den  Theorien  sieiit  wirklich 
aus,  als  hätte  der  Zeichner  bloss  einige  mensch- 
liche Glieder  an  die  Stelle  der  Punkte  gesetzt, 
und  die  Figur   vergessen. 

Eben  so  bekommen  die  Wortfüsse  von  dem 
Rhythmus  ihre  metrische  Bestimmung,  die  ver- 
schiedenartig seyn  kann,  v/eil  die  prosodische 
Quantität  verschieden  bestimmbar  ist.  Der  Wort- 

fuss w  -    kann    eben    sowol    den  Rhythmus 

J.  J*^  .^  J"  als  den  J  J  .^"^  oder  diesen:  J  1  J  /> 
oder  folgenden:    ^  \  J^   ^   j^     enthalten.       Ein 

V 

Vers  aber  enthält  nicht  unrhythmische  Sylben- 
massen,  sondern  Rhythmen.  Im  Vers  ist  also 
das  Maas  des  Wortfusses  metrisch  bestimmt,  er 
■wird  Wortrhythmus ;  und  hier  zeigt  es  sich  von 
neuem,  dass  es  blosse  Willkührlichkeit  sei, 
wenn  man  aus  den  vielfachen  Bestimmungen  des 
Maasses  bloss  das  von  Eins  zu  Zwei  als  das  al«? 
lein  gültige  heraushebt. 

S25. 

Uibrigens  ist  der  Ausdruck  Wortfuss,  wenn 
er  auch  vielleicht  nicht  vollkommen  passend 
seyn  sollte,  seit  Klopstock  angenommen,  un,d 
als  einmal  eingeführt   beizubehalten,  wenn  man 

21 


oaa  AllgtineiiierTlieil,  . 

ihn  nur  6orgfaliig,  was  selbst  von  Klopslock 
und  andern  nicht  immer  geschehen  ist ,  vom 
Worlrhylhmus  unterscheidet.  Alle  oben  ange- 
gebenen Füsse,  oder  rhythmischen  Formen,  von 
zwei  bis  zu  sechs  und  mehr  Sylben,  können 
Worlfiisse  werden,  wenn  ein  Wort  sie  ganz 
ausfüllt.  So  ist  Emporstreben  ein  antispa- 
stischer Worlf uss ,  Vernachlässigung  ein 
dochmischer,  Magnet  ein  jambischer,  Dop- 
pelrubin  ein  choriambischer,  General- 
marsch ein  steigendionischer  u.  s.  w.  Von 
dem  Gebrauch  der  Worlfiisse  im  Vers  kann 
erst  später  die  Rede  seyn;  hier  müssen  wir  uns 
begnügen,  ihren  Begriff  zu  bestimmen. 

524. 

In  etwas  weiterm  Sinne  erfordert  man  zum 
Wortfuss  nicht  ein  geschlossenes  Wort  in  buch- 
stäblichem Verstände;  man  rechnet  gewönlich 
den  Artikel,  Konjunktionen  und  andere  Hülfs- 
wörter  mit  in  den  Wortfuss  ein.  So  geht  z.  B. 
die  Gewallthat  unter  den  steigendionischen 
Wortfüssen.  VV^er  indessen  genau  beobachtet, 
unterscheidet  unter  denselben  Wortfüssen  sogar 
nach  ihrem  verschiedenen  innern  Zusammen- 
hang. So  sind  die  Worte :  Tausenderlei;  Fu- 
rien tanz;  Völkergeschick;  Todmeteor, 
sämmtlich  choriambische  Worlfüsse  (und  zugleich 
chorlamJjische  Wortrhylhmen);  allein  die  verschie- 


Verbindung  des  absoluten  Rliylhmus  mit  der  Sprache.  523 

dene  Zusammensetzung  ändert  ihren  Charakter. 
Tausenderlei  und  Todmeteor  haken  sich 
im  Dreiviertehakt  {  s  J  J  J  ),  Furientanz 
und  Völkergeschick  nur  im  Sechsachteltakt- 
(  •'.  J^  J  J.  )•  Jene  können  zwar  diesen,  nicht 
aher  diese  jenen  gleichen  Schritt  haken.  Der 
Grund  ist  der  verschiedene  Rhythmus  in  den 
Bestandtheilen  des  zusammengesetzten  Wortes, 
der  den  Worlfuss  nicht  ändert,  wol  aber  sei- 
nen rhythmischen  Gebrauch  bestimmt,  und  dem 
Wort  seinen  Charakter  mittheilt.  Jagdgesang 
z.  B.  hat  wegen  der  iambischen  Struktur  mehr 
Munterkeit,  als  derselbe  ki-etische  Wortfuss  und, 
Wortrhythmus  :  J  ä  g  e  r  1  i  e  d.  Aus  demselbea 
Grunde  ist  T  i  r  a  n  n  e  i  ni  o  n  u  m  e  n  t  heftiger , 
als  :  von  Ti  rannen  erbaut;  heftig  mit  nach- 
druckvollem Ernst:    Tiranneidenkmal. 

Verbindung  des  absoluten  Rhythmus  mit 
der  Sprache. 

525. 

Wie  der  Musiker  Pihythmen  und  Melodien, 
durch  Töne  darstellt,  so  stellt  der  Dichter,  ia 
so  fern  er  zugleich  Verskünstler  ist,  die  Rhyth- 
men und  ihre  Zusammensetzungen  duixh  die 
Sprache    dar. 

Es  erhellt  aus  dem  Vorhergehenden,  dass 
der   Dichter    hiei-bei    beschränkter   ist,     als   der 


'ii^  A  t,l  y  c  m  e  i  Ji  e  r  'T  li  e  i  L 

Tonkünstler.  Denn  wenn  dieser  die  Töne  m 
Ansehung  des  Rhythmus  noch  völlig  bestim- 
munglos findet,  so  trift  der  Dichter  sein  Ma- 
terial (die  Sprache)  schon  dirchgängig  von  ei« 
nem  fremden,  rhythmischen  Princip  bestimmt, 
und  zugleich  prosodisch  in  absolute  Längen  und 
Kürzen  gelheilt.  Er  ist  daher  genöthigt,  die 
Worte  für  seine  Gedanken  so  zu  wälea  und  zu 
ordnen,  dass  ihr  eigenlhümlicher  Rhythm  is 
dem  Rhythmus,  welchen  er  im  Vers  darstellen 
will,  entspreche.  Wie  dies  derX)ichter  bewerkstel- 
lige, und  wodurch  die  Sprache  sich  willig  dem 
Gedanken  und  dem  Rhythmus  anschmiege,  ist 
Sache  der  Kunst.  Pfiemand  glaube  doch,  dass 
Kenntniss  der  Sprache  und  Uibersicht  der  ganzen 
metrischen  Wissenschaft,  ihn  ohne  eigentliche 
Kunst,  oder  Poesie,  in  den  Stand  setzen  werde, 
vollkommene  Verse  zu  bilden;  denn  nur  in  den 
Augenblicken  der  Begeisterung  ist  auch  die 
Kraft  wirksam,  die  aus  der  Sprache  schöne, 
freie,  lebendige,  rhythmische  Gestalten  bildet, 
und  wer  diese  Kraft  für  eine  mechanische  Fer- 
tigkeit hält,  irrt  nicht  weniger,  als  wer  das 
Gedicht  für  ein  Erzeugniss  der  Bemühung  und 
des  Verstandes   ansieht. 

Hier  hat  die  Wissenschaft  bloss  zu  untersu- 
chen, wie  weit  der  allgemeine  Rhythmus  durch 
den  vorherbestimmten  Rhythmus  der  Sprache 
und  ihre  Prosodie  darstellbar  sei,  und   wie  der 


Verbindung  des  absoluten  Rhythmus  mit  der  Sprache.     SaS 

allgemeine  Pihyllimus  ( den  wir  hier  den  poe- 
tischen nennen  können)  den  Rhythmus  der 
Sprache  und  die   Prosodie    modificire. 

526. 
Der  bloss  accentirte  Yei's  -  Rhythmus  beach- 
tet in  der  Sprache  allein  die  Arsis  und  The- 
sis,  ohne  sich  durch  Quantität  in  seinem  Gange 
auflialten  zu  lassen.  Da  accentirte  Rhythmen 
gewÖnlicli  bei  Völkern  entspringen ,  deren  Spra- 
clie  selbst  kein,  oder  doch  kein  merklichei 
Quantitätverhältniss  hat :  so  liegt  in  diesem 
Nichtachten  der  Quantität  nichts  befremdendes 
und  keine  Härte.  Nur  dann  erscheint  der  Vers 
hart,  wenn  Arsis  und  Thesis  des  Wortrhyth- 
mus der  Arsis  und  Thesis,  welche  der  Vers 
verlangt ,  widersprechen, 

527. 
Einsylhigc  Worte  zeigen  sich  in  der  Sprache 
Weder  als  Arsis,  noch  als  Thesis;  daher  sind  sie 
in  accentirlcn  Rhythmen  von  gleichgültiger  metri- 
scher Beschaßenheit.  Sie  folgen  bloss  dem  abso- 
luten Rhythmus,  und  nehmen  jede  metrische  Be- 
stimmung an,  die  er  verlangt.  Durch  Verwech- 
selung des  Acccutes  mit  der  Länge  entstand  aus 
diesem  wahren  Salze  der  ganz  falsche :  dass  ein- 
sylbige  ^Vorle  von  gleichgültiger  Quantität 
seyeu  ,  den  Ramlcr  nebst  andern  deutschen 
Verskünstkrn    aufslcllle    und   befolgte.      Indem 


3iG  Allgeinüiner  Thejl. 

man  nun  quantilirendc  Verse  bilden  wollte,  und 
In  der  Sprache  nur  Accentbestimmungen  an- 
nalun,  musslen  nalüi'licli  die  Verse,  welche  zwar 
den  accentirenden  llhythmen  analog,  aber  den- 
noch, quantitirend  sind,  z.  B.  Hexameter,  durch 
prosodisclie  Härten  höchst  ungelenk,  oder  im 
entgegengesetztcAi  Fall  bis  zur  Dünnheit  schwäch- 
lich werden,  z.  B. 
an   dem   rieselnden  Bach  in   dem  Gemurmel  der  Wellen. 

Diejenigen  Verse  aber,  welchen,  wegen  des 
Wechsels  der  Momente  verschiedener  Ordnun- 
gen ,  die  Analogie  mit  accentirten  Rhythmen 
fremd  Ist,  mussten  ganz  unmöglich  für  die 
INachahmung  scheinen,  und  überdies  verkannte 
man  selbst  in  den  Originalen  ihren  Rhythmus, 
weil  man  die  Quantität  theils  zu  einseitig  be- 
stimmte, theils  überhaupt  nur  als  iiccentvei*- 
scliiedenheit   hörte. 

328. 
Wo  einzig  der  Accent  den  Vers  und  die 
Sprache  rhythmisch  und  metrisch  Bestimmt,  da 
kommt  allerdings  auch  dem  logisclien  Accent 
einiger  Eintluss  auf  dtis  Metrum  zu.  Er  kann 
zv.'ar  einer  Sylbe  nicht  absolute  Länge  erthei- 
Icii ;  allein  von  Länge  Ist  auch  im  accentirten 
Vers  die  Rede  nicht.  Indessen  erlheilt  er  der 
Sylbe,  auf  welche  er  fallt,  die  Eigenschaft,  sich, 
wenn  sie    auch    an    sich    un])edeutcnd    wäre,    m 


Verbindung  des  absoluten  Rhythmus  init  der  Sprache.     3^7 

der  Arsis  des  Verses  zu  halten.  Allerdings  fin- 
det man  accenlirte  Verse ,  in  welchen  der  Rhyth- 
mus die  Sprache  gewaltsam  mit  sich  fortreisst, 
so,  dass  bloss  der  absolute  Rhythmus  herrscht j 
und  kaum  in  mehrsylbigen  Worten  die  Arsis 
des  Wortes  mit  der  Arsis  des  Verses  verbunden 
wird.  Die  extemporirten  Gesänge  kriegerischer 
Völker  mögen  auch  wohl  in  alter  Zeit  dem 
Pihythnms  des  Gesanges  diese  Gewalt  über  die 
Sprache  gestattet  haben.  Dass  aber  die  Harmo- 
nie des  Sprachaccentes  mit  dem  absoluten  in 
accentirten  Versen  dem  Kontrast  beider  vorzu- 
ziehen sei,  kann  wol  nur  Lust  an  Paradoxie 
bezweifeln. 

329. 

Die  Gewalt  des  logischen  Accentes  in  accen- 
tirten Versen  hat  zur  natürlichen  Folge,  dass 
zweisylbige  Worte  von  untergeordneter  Bedeu- 
tung, im  Tripeltakt,  ihre  Arsis  der  Hauptarsis 
des  logisch  accentirten  Wortes  unterordnen ,  und 
daher  mit  beiden  Sylben  thetisch  —  gleichsam 
als  Accenlpyrrhichien  —  erscheinen.  Es  ist  also 
kein  Fehler,  was  manche  Kritiker,  Accent  und 
Quantität  verwechselnd,  tadeln,  wenn  zweisyl- 
bige Worte  in  accentirten  Versen  als  dergleichen 
Accenlpyrrliichicn  behandelt  werden,  z.  B. 

and    in   sad    cyprcss    let   mo   be   laid. 

1  am   slajn    by    a    fair   cruel    niaid.         Sliakesp. 


3a3  Allgemeiner  TU  eil. 

Ihren  Schleier  hebt    keines  Sterbllclien   Hand. 

Schiller. 

Dass  es  keine  Accent  -  Tribrachen  (als 
Worlfusse)  geben  könne,  versteht  sich  von 
selbst,  weil  es  keine  andern  Formen,  als  aa 
und  daa,  im  accentirten  Metrum  gibt. 

53o. 

Je  mehr  eine  Sprache  Quanlitälverhältnisse 
in  sich  ausbildet,  um  so  mehr  nehmen  selbst 
die  accenlirenden  Rhythmen  in  ihr  neben  der 
Accentbestimmung  auch  Quantitätbestimmungen 
an.  So  entsteht  statt  des  geraden  accentirten 
Metrum"  der  trochäische  Vers ,  wo  die  Kürze  die 
Stelle  der  Thesis  vertritt,  und  statt  des  unge- 
raden, der  daktylische  Vers,  in  beiden  Fällen 
also  quantilireud  genommen,  eiu  ungerades  Me- 
trum ,  allein  die  Quantität  ist  hier  nicht  im  Me- 
trum. ,  sondern  in  der  Prosodie  vorhanden.  Denn 
wie  die  Musik,  welche  im  Gebiet  des  Accentes 
herrscht ,  die  quantilirenden  Rhythmen  des  Ver- 
ses gern  in  accentirte  transponirt,  so  übersetzt 
die  prosodisch  gebildete  Sprache,  die  im  Ge- 
biet der  Quantität  mächtiger  ist,  die  accentirten 
Rhythmen  der  Musik  gern  in  quantilirende. 
Der  Beweis  zeigt  sich  auffallend  in  Gesängen , 
welche  in  accentirten  Rhythmen ,  selbst  bei  tro- 
chäischem Sylbcnmaas  des  Verses,  doch  den 
geraden  Takt  halten,  (178.)  z.B.  Choräle.   Dass 


Verbindung  des  absoluten  Rhythmus  mit  der  Sprache.   829 

accentirende  Verse  neben  quantitirenden  auch 
in  prosodisch  gebildeten  Sprachen  fortdauern 
können,  zeigt  die  Geschichte  der  lateinischen 
Sprache.  Der  Saturnische  Vers  erhielt  sich  iin 
Saliarischen  Gedicht  noch  zu  Cicero's  Zeit  und 
die  Antworten  der  Wahrsager,  z.  B. 

Ludos  minus   diligenter  factos   pollutosque, 

zeigen ,  dass  man  ihn  zu  feierlichen  Gebräuchen 
noch  lange  beibehielt.  Wahrscheinlich  würde 
man  auch  unter  den  griechischen  Versen  accen- 
tirte  antreffen,  wenn  man  sie  aufzufinden  wüsste. 
Vielleicht  —  wenn  eine  Vermuthung  hier  er- 
laubt ist  —  erklären  sich  manche  Formen  quan- 
litirender  Verse  nur  aus  einem  Zurücktreten 
des  Rhythmus  in  die  Alterthümlichkeit  der  Ac- 
centbestimmung,  wie  manche  der  neuern  Musik 
ungewönlich  harmonische  Fortschreitung  an  den 
Ernst  des  Alterthums  erinnert,  indem  sie  in 
der  verschollenen  Form  einen  Laut  der  einfa- 
chem Vorzeit  hören  lässt.  Besonders  charak- 
teristisch in  dieser  Art  scheint  die  Verlänaunsr 
der  Kürze  vor  der  schliesscnden  Arsis  zu  seyu. 
Z.  B. 

«^  —  —  «»«w>~«'  — 

Mit  'weithallendem  Maditautruf, 
oder: 

BlutTolIe   ^\  ahnsiuntthat : 


53o  Allgemeiner  Theil. 

denn  die  Korrektlieit  d^.  «ruantitirenden  Rhyth- 
mus verlangt  hei  der  trochäischen  Bewegung  an 
dieser  Stelle  eine  reine  Kürze,  wie  etwa  die 
moderne  musikalische  Skala  von  der  Septime 
zur  Oktave  einen  halben  Ton  verlangt.  Die 
Abweichung  von  der  Regel  gibt  hier,  wie  dort, 
den  Charakter  des  Ernstes,  und  man  kann  die 
abweichende  rhythmische  Stellung  so  wenig  im 
Allgemeinen  regellos  nennen,  als  den  Schritt 
in  die  Oktave  des  Haupltons  durch  einen  gan- 
zen   Ton. 

33i. 

Quantitirende  Rhythmen,  die  den  accentir- 
ten  analog  sind,  lassen  sich,  wie  schon  einige- 
mal erwähnt  ist,  in  acceutirenden  Sprachen  ge- 
wissermaassen  mittelst  des  Accentes  nachbilden, 
indem  der  Accent  die  Stelle  der  Länge  vertritt', 
und  durch  die  accentlose  Sylbe  eine  Kürze  re- 
präsentii't  wird.  Diese  Art  der  Versbildung  war 
unter  den  deutschen  Dichtern  üblich  von  der 
Zeit,  woKlopstock  griechische  Versgattungen  und 
ihnen  ähnliche  Versmaasse  einführte,  bis  aut 
Voss,  der  zuerst  auf  Quantität  in  der  deutschen 
Sprache  aufmerksam  machte ,  und  accentlose 
Längen  anerkannte  und  selbst  als  Längen  im 
Vers  brauchte.  Je  mehr  die  Sprache  ihre 
Quautilätbestimmung  ausbildet  und  festsetzt, 
um   so    molir   schwindet  auch   das    Analoge  sol- 


Verbind;i3-g  des  absoIiUcn  Rliythmus  mit  du-  Sprache.  55 1 

eher  tjuantitirenden  Rhytlimen  mit  den  accenti- 
renden,  und  sie  \verden  als  völlig  quantitirend 
in  der  prosodischen  ausgebildeten  Sprache  wie- 
der gegeben. 

032. 
Je  mehr  das  Quantitätverhältniss  in  einer 
Sprache  ausgebildet  wird,  um  so  mehr  ver- 
schwinden in  ihren  Wörtern  die  Bestimmungen 
durch  den  Accent.  Das  Kriterium  der  hohem 
Ausbildung  für  Quantität  ist.  wie  wir  gesehen 
haben,  die  leichtere  Empfänglichkeit  für  Posi- 
tion. Je  weniger  Konsonanten  nöthig  sind,  um 
durch  ihr  Zasammentreffeu  Länge  zu  bewirken, 
um  so  höher  ist  die  Empfänglichkeit  einer 
Sprache  überhaupt  für  Längen-  und  Kürzen- 
bestimmung, sowol  durch  Position,  als  Vokal- 
quantität, und  um  so  veränderlicher  sind  des- 
wegen besonders  die'  Endsylbcn,  die  bald  durch 
Zusammentreffen  der  Konsonanten  lang,  bald 
durch  Nebeneinandcrstellung  der  Vokale  kurz 
werden.  So  entstehen  oft  Längen  auf  Svlben, 
welche  in  Ansehung  des  Wortacccnles  ganz  un- 
bedeutend sind.  Dieser  wird  also  dadurch  ver- 
dunkelt, und  zwar  um  so  mehr,  je  mehr  die 
(luantitätverhältniise  in  dem  Worte  sich  aus- 
zeichnen. 

535. 
Denkt  man  sicli  dieses  Steigern  der  Quanti- 
tätverhäilnissc    auf  dm    lH)r1i;st<:u    T'unkt    gctrie- 


532  Allgemein  er  Tlieil. 

ben ,  so  war  der  Acceiit  im  Wort  ganz  aufge-» 
hoben,  es  fand  kein  Wortrhythmus  mehr  Statt, 
und  die  Worte  wären  in  unzusammenhängcnde 
Sylben  zerlegt ,  die  der  absolute  Rhythmus  bloss 
als  Längen  und  Kürzen  zusammenstellte,  ohne 
sich  durch  das  ihm  fremde  Princip  des  Wort- 
accentes  und  Wortrhyihmus  gehindert  zu  fin- 
den. Dieses  reine  Extrem  findet  sich  nun  zwar 
in  keiner  der  bekannten  Sprachen  (es  würde 
auch  die  Sprache  dem  unmetrischen  Gebrauch 
ganz  entziehn) ;  allein ,  je  näher  eine  Sprache 
ihm  steht ,  um  so  freier  herrscht  der  absolute 
Rhythmus  im  Vers  über  den  Wortrhythmus. 
Daher  finden  wir  in  der  griechischen  und  la- 
teinischen Sprache  Sylben,  die  bloss  zufällig 
durch  Position  lang  sind,  als  Längen  in  der 
Hebung  des  Verses,  während  oft  eine  accenlirte 
Sylbe,  wegen  ihrer  Stellung  vor  einen  Vokal, 
als  unbedeutende  Kürze  in  die  Senkung  des 
Taktes  zu  stehn  kommt.  Von  den  sehr  musi- 
kalisch gebildeten  neuern  Sprachen,  z.  B.  von 
der  italischen,  kann  man  auf  eine  ähnliche  Art 
sagen,  dass  sie  den  Wortaccent  in  der  Poesie 
aufheben,  um  den  accenlirten  Rhythmus  freie 
Gewalt  über  die  Sprache  zur  Bildung  des  Ver- 
ses zu  lassen;  daher  denn  der  sclion  früher  be- 
merkte Widerstreit  des  prosaischen  Wortaccen- 
les  mit  der  Accentirung  des  Verses  entsteht. 
Welches  die  Grenzen  dieser  Freiheit  des  acccn- 


VerbJnfliing  des  absoluten  Rhythmus  mit  der  vSprache.  533 

lirten  E.hylliinus  über  die  Sprache  in  den  Ge- 
dichten der  italischen  Dichter  seyen,  ist  eine 
für  diesen  Platz  zu  weitläuflige  Untersuchung. 

354. 
Die  deutsche  Sprache  steht  durch  ihr  Posi- 
tionverhältniss  (3o8.)  in  der  Mitte  zwischen 
quantitirenden  und  accentirenden  Sprachen.  So 
lan^e  sie  nicht  zu  einem  andern  Positionver- 
hältniss,  durch  Vermehrung  oder  Verminde- 
rung ihrer  Konsonantenmasse,  gelangt,  ist  da- 
durch auch  das  Verl) ältniss  des  absoluten  Rhyth- 
mus im  Vers  zu  dem  Rhythmus  in  ihren  Wor- 
ten bestimmt. 

Es  entsteht  nämlich  dadurch  die  Forderung : 
dass  in  mehrsylbigen  Worten  keine  von  Natur 
kurze,  und  nur  durch  Position  lange  Sylbe  als 
Länge  in  der  Hebung  des  Verses  stehn    könne. 

Dieser  Satz  ist  nicht  aus  den  besondern  Ei- 
genheiten der  deutschen  Sprache  ahstvahirt, 
«ondern  er  gilt  nothwendig  von  jeder  Sprache, 
welche  in  der  Mitte  der  accentirenden  und 
quantitirenden  Sprachen  steht,  und  deswegen 
unter  mehren  Sprachen  auch  von  der  deutschen, 
welche  diesen  Platz  durch  das  Verhältniss  ihrer 
Konsonanten  zu  den  Vokalen   behauptet. 

Schon     aus    diesem    Grunde    war   also    der 
Klopslockische  Spollvcr*; 


55  ik  A 1 1  g  e  m  e  i  n  e  r  T  li  e  1 1. 

Tönender  sangen   verborgene   Nachtigallen, 

und  der  des  Heidelberger  Kritikers: 

Bothe,   dein  antikes  Sylbenmaas,   das  du  so  empfiehlst, 
Prüfe  mit  echt  deutschem  Geiste  doch  und  kritischem^ 

gegen  die  Position  in  der  deutschen  Sprache, 
unpassend.  Er  -würde  auch  eben  so  unpassend 
seyn,  wenn  die  Position  aus  drei  Konsonanten 
gebildet  war,  z.  B. : 

Floh    za  §  e'  n  d    zum  Gebirg ,     such  e  n  d     dort    sichere 

Freistatt, 

Denn  die  bezeichneten  Sylben  sind  nur  durch 
Stellung  lang,  und  halten  sich  daher  nicht  als 
Längen  in  der  Hebung  des  Verses.  Wollte  man 
den    lateinischen  \ers: 

ill'   inter  sese  magna    vi   brachia  tollunt 

Im  Deutschen  nachbilden ,  so  könnte  dieses  nicht 
durch  Positionlängen  geschehn ,    z.  B. : 

Zeus  schleudert    zürneud    tausend  roth  flammend© 

Blitze  ; 

dagegen  halten  sich  ursprüngliche  Längen,  ob- 
schon  in  der  Senkung  des  Wortes,  sehr  gut  in 
des  Verses  Hebung: 

Der   müh  s  a  m    Zuk  u  n  f't    aus  späht,    voll    sorglicher 

Bangniss. 

So  gibt  auch  umgekehrt  die  Fähigkeit  einer 
Sylbe,  sich  als  Länge  in  der  Hebung  des  Verses 
zu  halten,  ein  Merkmal  ihrer  ursprüngHcheu 
Länge   iu   der    deutschen    Sprache.       Die   End- 


Verbindung  des  absoluten  Ilhyllimus  mit  der  Sprache.  555 

sylben  der  Wörter:  Freiheit,  Drangsal, 
Reicht h um,  Demut h,  Ambos,  Ankunft, 
Altan,  Antlitz,  Hoffnung,  Frühling, 
Niemand,  niemals,  langsam,  mannhaft, 
dreimal,  mutvoll,  singbar,  arglos, 
vielfach  und  ähnliche,  welche  sich  in  des 
Verses  Hebung  als  Längen  halten,  sollten  nie- 
mals kurz  gebraucht  werden.  Die  Endsylbe  e  n  d 
ist  bloss  in  dem  Wort  Elend  von  absoluter 
Länge, 

335. 

Dieses  sind  im  Allgemeinen  die  Grundsätze, 
auf  welchen  das  Erscheinen  des  absoluten  Rhyth- 
mus im  Verse  beruht.  Der  Beurlheiler  eines 
Verses  muss  erwägen ,  ob  er  einen  accentirenden, 
oder  quantitirenden  Rhythmus  vor  sich  habe, 
und  ob  der  Vers  in  einer  accentirenden  oder 
quantitirenden  Spi'ache  geschrieben  sei.  Ohne 
diese  Rücksicht  wird  er ,  wie  von  mehren  Theo- 
retikern geschehn  ist,  an  die  eine  Gattung  Verse 
Forderungen  machen,  die  nur  die  andere  be- 
friedigen kann;  er  wird  mit  dem  Gefül  in  ste- 
tem Widerspruch  sich  befinden,  und  bei  Ver- 
ständigen seiner  Ansicht,  bei  Voreiligen  der 
Kritik  überhaupt  den  Vorwurf  der  Pedanterei 
veranlassen. 


356  Allgemeiner  Theil. 

Von    der    Gäsur. 

536. 

Was  von  den  Formen  der  Rhythmen  im 
Allgemeinen  gesagt  worden  ist,  und  von  ihrer 
bald  lyrischen,  bald  deklamatorischen  Verbin- 
dung, haben  wir  nun  auf  den  Vers  selbst  an- 
zuwenden. 

Um  die  Ansicht  zu  erleichtern,  betrachten 
wir  den  Vers  als  eine  (einfache,  oder  verbun- 
dene) metrische  Reihe,  auf  welche  der  R.hyth- 
mus  seine  verschiedenen  Figuren  zeichnet.  Fal- 
len die  rhythmischen  Figuren  so,  dass  sie  die 
metrischen  Formen  jener  Reihe  gleichsam  dek- 
ken ,  so  erkennen  wir  die  vereinte  Wirkung  des 
metrischen  und  rhythmischen  Princips ,  und  nen- 
nen diese  Verbindung,  wie  oben  erwähnt  ist, 
die  lyrische,  z.  B.  : 

%^ 

—     —     w       I      _Ww<—      I       —     —     •«»».*      l      —     — 

Horch,  Nachtigallengesaiig  schallt  ferne  vom  Buchhain. 
Decken   sich   hingegen    die    metrischen    Formen 
nicht    gegenseitig,     z.  B.    in  folgendem  trochäi- 
schen Tetrameter : 

Schöner  blickt  durch  grüne  Laubgewinde  her  des  Monde* 

Licht, 

SO  erkennen  wir   die  verschiedene   Wirksamkeit 

lieider  Principien,  und  nennen  die  Verbindung 

deklamatorisch. 


Von     der     Cäsur.  55j 

537. 
Die  Gränze  der  rliytlimlschen  Figur  auf  der 
metrischen  Reihe,  gleichsam  ihr  UnuMss,  der 
sie  von  dem  übrigen  Theil  der  metrischen  Pveihe. 
abschneidet,  (also  der  Punkt,  wo  die  rhythmi- 
sche Reihe  auf  der  fortgehenden  metrischen  en- 
diget,) heisst  die  Cäsur.  Fällt  diese  Cäsar 
auf  das  Ende  einer  metrischen  Periode,  so 
begränzt  sie  einen  Rhythmus,  dessen  Foi-m  die 
metrische  Form  deckt,  in  welchem  also  Metrum 
und  Rhythmus  wesentlich,  vollkommen,  oder 
lyrisch  verbunden  sind.  Wir  werden  deswegen 
diese  Cäsur  die  lyrische  nennen,  oder  auch 
den  Abschnitt  des  Verses.  Fällt  die  Cäsur 
hingegen  in  die  Mitte  einer  metrischen  Pieihe, 
W'O  also  rhythmische  und  metrische  Form  nicht 
gleichen  Schritt  halten,  so  nennen  wir  sie  die 
deklamatorische  Cäsur,  oder  den  Eiu«- 
schnitt  des   Verses. 

338. 
Die  metri*;che  Form  ist  vollendet,  wenn  die 
Hauptthcsis  der  metrischen  Periode  getönt  hat, 
denn  z.  B.  j  J  J.  ist  eben  so  volle  metrische 
Form ,  als  j  /  J  J^  —  Es  ist  also  lyrische  Cä- 
sur vorhanden,  wenn  der  Rhythmus  auf  der 
Arsis  des  letzten  Hauplmomenlt  s  schliesst .  eben 
so  wol,  als  wenn  auch  die  Thesis  dieses  Momen- 
tes nachlönte.     Der  trochäische  Tetra meter  z.  B. 

23 


33.^  A 1 1  g « m  c  i  II e  1-  T hulL 

j  j^j  /u  jN.  in  .'^J  .M  J  ^N 

Durch   die  Einsamkeit   des    Hains     tönte    dumpf    der 

Klaggesang. 

hat  eben   sowol    lyrische    Casur ,    ( nur   in  einer 

andern  Form) ,  als  der  gewönliche  : 

Armes    Herz   von   namenloser  Kümmernis»    gepeiniget, 

Voss. 

Auch  wird  die  lyrische  Cäsur  nicht  aufgehoben, 
wenn  die  Thesis  nach  der  Cäsiir  wirklich  er- 
scheint, aber  als  Auftakt  des  folgenden  Rhyth- 
mus,   z.  L.: 

i      \     S.   0.   0^  »      \     d     »     »  ^      \     t>.   t.    0^  0      \     0.   0 

und  voll   stralet   des   Mondes  Licht  auf  schönsinkenden 

Nachtthau. 

Denn  der  Kretikus  ist  eben  so  gut  volle  metri- 
sche Form,  als  der  Ditrochäus.  Die  Thesis  ist 
ideell,  während  eine  zweite  Stimme  gleichsam 
mit  dem  zweiten  Pvhythmus  des  Verses  einsetzt. 

559. 

Man  kann  mithin  die  lyrischen  Cäsuren 
wiederum  eiutheilen  in  unbewegliche  und 
bewegliche.  Durch  die  bewegliche  Ciisur 
entsteht  eine  Mittelklasse  zwischen  lyrischen  und 
deklamatorischen  Versen.  Ein  Vers  mit  beweg- 
licher  lyrischer    Cäsur    ist   z.B.    der     sotadi- 


Von    der    C  a  s  u  r.  33g 

sehe  Vers,  (so  heisst  nämlich  der  fiürhlig  io- 
nische Vei'S  im  jNieflertakt  von  vier  Perioden) : 

«.  ».  g^  a    \    0    s    0    »     \  \    «.  t.  9^  ä     }    9.  ä. 
ii  xai  ßaaikevg  ■JTiq)Vi(ug,  ojg  '&.'7]Tog  uxovgop 

Hell    glänzen    die    Meereswellen,     fi-oh     tan.^.end    im 

IMondiicht 

cot  TOVTO  ysi'ic&o}  rpilo%> ,   /LUid'uf-iojg  utay.r(iv 
Thetis  -winkt  zu  blaawogendera  Weilenbad  die  Jungfrau 

tJff  nfvr,g  '&£)mv  i'/eiv ,  xai  nlovaiog  nkfov  ff^^iv 

Auf    gowundner     Muschel     blässt     ein     kunsterfahrner 

Triton 

zuweilen  schweift  er  auch  wol  in  die  Gattnnff 
deklamatorischer  Verse  über,  was  jedoch  bei 
seiner  lebhaft  markirten  Bewegung  durch  den 
Vortrag  des  Sängers  gemildert  werden   kann : 

.^}}j.  I A  j  j" !  j  }^  j"  ij.j 

itcct  TO  xukov  ?,uiG>]top  n(Joßhj,uu    '^^(orog 

Tönt'    in    dem    Heer    Schlachtliedgesang    zu    tapferm 

Angriff. 

Der  priapische  Vers  hingegen  hat  unbeweg- 
liche lyrische  Cäsur: 


Lieder    tönen ,     es   rauscht    des   Bergs    rehenbekränzete 

Waldung 

hunc  lucum   tibi   dedico,   consccro({ue  Priapc.   Catull. 


54e  Allgemeiner  Theii. 

und  ist  gleiclisam  ein  zur  Ruhe  gekommncr  so- 
tadischer  Vtrs,  der  sich  bloss  durch  die  unbe- 
^vegliche  Casur    unterscheidet. 

Unter  Verse  von  feststehenden  Cäsuren  soll- 
ten allerdings  nicht  andre  derselben  Gattung 
gemisclit  werden,  welche  eine  veränderte  Cäsur 
haben,  so  würde  unter  trochäischtn  Tetrame- 
tei'n  mit  dem  gewönlicheu  Abschnitt: 

Keine  Macht  vermag  'des   Schicksals    ernstem  Schlu«s 

zu  widersteha, 

folgender,  mit  veränderter  Cäsur: 

Darum   strebe   nie   der    Mensch,    bethört    -^on    üfaer- 

müth gern    Wahn , 

nicht  wohl  lauten,  wiewol  er  an  sich  selbst 
nicht  tadeis werth  seyn  möchte.  Weniger  stö- 
rend ist  es,  wenn  die  lyrische  Cäsur  in  die 
Zusammensetzung  eines  Wortes  fällt: 

Aus   dem   Abgrnnd  tönt  geheimnissvoUes  Schicksals- 

wort  empor, 

und  es  ist  bekannt,  dass  selbst  Brechungen  der 
Verse  in  der  Zusammensetzung  des  Wortes  Statt 
finden;  nur  breche  man  die  Worte,  wo  es  nicht 
auf  komischen  Eliekt  abgesehn  ist,  nicht  so, 
dass  die  schliessende  Hälfte  für  sich  einen 
scheinbai'en,  dem  beabsichtigten  fremden  Sinn 
gibt,  was  schon  in  der  Wortstellung,  auch 
ohne  Brechung,   feierhaft  ist. 


Von    der  Cäsur.  54i 

54o. 
Im    deklamatorischen    Vers   findet   keine  be- 
stimmte  Cäsur   Statt;     sie    wechselt    durch    alle 
Stellen   des   Verses.       Beispiele    geben    der  epi- 
sche Hexameter: 

Glücklichen  mehre  das  Glück,  j  und  dem  TJnglückselgeu 

die   Hoffnung. 
Ringsher  schallte  das  Feiergeläut ,   j   und  es  schimmerte 
'  Sternglanz. 

der  iambische  Trimeter,  von  welchem  früher 
Beispiele  angeführt  sind,  und  mehre  Versarten, 
die  bald  lyrisch  ,  bald  dramatisch  gebildet 
werden. 

54i. 

Indem  wir  behaupten,  dass  der  Rhythmus 
sieh  bald  in  lyrischen  Versen,  mit  der  metri- 
schen Reihe  parallel  und  in  gleichen  Formen 
cvolvire,  bald  in  dramatischen,  oder  deklama- 
torischen Versen  sich  von  ihr  unabhängig,  in 
ganz  verschiedenen  Formen,  entwickele,  so  schrei- 
ben wir  dadurch  dem  Rhythmus  gleichsam  eine 
freie  Thliligkeit  zu.  Es  fragt  sich  nun,  wie 
diese  freie  Thätigkeit  des  Rhythmus  entstehe? 
Wir  nennen  sie  aber  frei,  in  Beziehung  auf  die 
metrische  Reilie,  in  der  sie  zwar  erscheint,  abei? 
unabhängig  von  ihrer  Evolution;  denn  sonst 
Viitr  sie  an  die  Formen  dieser   Reihe   gebunden. 

In  dem  absoluten  Rhythmus  unterscheiden 
wir  zwar  das    rhythmische   und  metrische  Prin- 


342  A  11  geni  einer  T  h  e  i  1. 

cip  (269.)  und  sehen  aucli  in  der  Theorie  schon 
die  iMöj^iichkeit ,  dass  eine  metrische  Evolution 
durch  ein  ihr  fremdes  rhythmisches  Princip  be- 
stimmt werden  könne;  allein  wir  sehen  noch 
keinen  Grund,  dass  diese  Richtung  eines  rhyth- 
mischen Princips  auf  eine  ihm  fremde  meiin- 
sche  fleihe    wirklich    werde. 

Soll  ein  solcher  Grund  der  Wirklichkeit 
eintreten,  so  kann  er  natürlich  nicht  in  dem 
absoluten  Rliythmus  liegen;  deun  dieser  evol- 
virt  sich  metrisch  und  rhythmisch  gleichmassig , 
sondern  er  rauss  in  dem  Material  liegen,  durch 
w^elches  der  absolute  Rhythmus  zur  Erscheinung 
konmt.  In  dieser  Hiiisicht  ist  das  erwähnte 
fremde  rhythmische  Princip  n  o  t  h  w  e  n  d  i  g ,  so 
wie  es  in  Hinsicht  auf  die  von  ihm  zu  bestim- 
mende Reihe  ,    f  r  e  i  genannt  worden  ist. 

Liegt  in  dem  Material,  welches  dem  Rhyth- 
mus zur  Erscheinung  dient,  kein  Gesetz,  nach 
welchem  es ,  seiner  Natur  nach ,  selbst  eine  Suc- 
cession  hervorbringt  ,  so  kann  der  absolute 
Rhythmus  von  ihm  nicht  beschränkt  werden. 
Daher  denn  auch  blosse  Schailmomente  (z.  B. 
im  l'rommelschlag)  sich  dem  absoluten  Rhyth- 
mus ohne  Widei'stand  fügen,  und  deswegen 
bloss  Rliythmen  darstellen,  die  sich  gleichmas- 
sig  und  parallel  mit  dem  Metrum  entwickeln. 

Ijiegt  aber  in  jenem  Material  selbst  schon 
ein  Gesetz  rhythmischer  Evolution ,  so  tritt  die- 


Vou    dar     Cä«ur.  345 

ses  mit  dem  absoluten  Rhythmus,     dem    es  zur 
Erscheinung  dienen  soll,   in  Wechselwirkung. 

In  den  Tönen  zeigt  sich  die  Harmonie  als 
ein  solches  Gesetz  rhythmischer  Evolution.  Mau 
denke  nur  an  die  Auflösung  der  Dissonanz,  die 
in  einer  Succession  geschieht,  wo  also  die  Har- 
monie Grund  einer  melodischen  Fortschreitung 
wird.  Hier  kann  es  gescJiehn ,  dass  sich  im 
Fortschritt  der  Harmonie  eine  andre  rhythmi- 
sche Figur  evolvirt ,  als  der  darzustellende  ab- 
solute Rhythmus  verlangt.  So  kann  z.  B. ,  wie 
man  es  oft  in  Sinfoniemenuetsiilzen  findet,  in 
die  Grundbewegung  des  Dreivierteltaktes  durch 
die  der  harmonischen  Fortschreiiung  eigne  Be- 
wegung ein  Rhythmus  im  Zweivierteltakt  ent- 
stehn. 

342. 

In  der  Sprache  ist  der  "Wortrhythmus  und 
der  Rhythmus  logischer  Satze  der  Grund  einer 
fremden  rhythmischen  Bewegung,  oder  das 
fremde  Princip,  welches  in  die  metrische  Evo- 
lutio/i  des  absoluten  darzustellenden  Rhythmus 
seine  Figuren  zeichnet.  Er  ist  mit  einem  Wort 
der  Grund  der  Verscäsur.  Der  Rliytlimus  des 
logischen  Satzes  bildet  die  rhythmischen  Haupt- 
figuren im  Vers,  der  Wortrhytlmnis  die  be- 
weglichen Glieder  in  jeder  Hauptfigur.  In  dem 
llcxamrter  z.  B. ; 


544  All  gern  einer     Tlitil. 

Weit  umtönt  von   dem  Feiergeläut ,  sank  dämmernder 

Abend 

ist  mit  dem  Wort  Feiergcläut  der  erste  Bhyth- 

mus  Ijescliiossen ,  oder :  die  rhythmische  llaiipt- 

cäsur  fiUl  nach  Fciergeläut.  Ausserdem  bilden 

die  Wortrhythmen: 

Welt  umtÖiit  j  von  dem  Feiergeläut 

die  kleinern  Glieder  des  grössern  rhythmischen 
Salzes,  den  Avir  also  aus  einem  Moloss  und  ei- 
nem DoppelanapUst  zusammengesetzt  finden. 

Man  .sieht  hieraus  vorläufig,  wie  die  Unge- 
wissheit  und  der  Streit  mancher  neuen  Metri- 
ker, z.  B.  Hermann's,  Seidler's,  Böckh's  und 
anderer,  ob  eine  Sylbe  Schlusslhesis  des  ersten, 
oder  Anfanganakrusis  (Auftakt)  des  zweiten 
Rhythmus  in  einem  Verse  sei,  bloss  aus  der 
Vermengung  metrischer  und  rhythmischer  Eei- 
hen,  und  aus  dem  vmsichern  Begriff  von  PJiyth- 
mus  und  von  Ctisur  entstehen  konnte.  Z.B.  im 
Versschema : 


könnte  die  mit  o  bezeichnete  Stelle  diese  dop- 
pelte Beziehung  zulassen,  und  man  könnte  den 
Vers  theilen,    entweder: 

oder  so: 

Die    metrischen    Zeichen    vcrmelircn    noch    die 


Von     der     Cäsur.  -3^5 

Verwirrung:  denn  .sie  können  bedeuten,  ent- 
weder : 

»•  m^  e    «.  0^  •    e    e    \  &.  »^  e    d.  sr  »    0. 

o 

oder  auch : 

•.  «^  «  «.  «^  «  1  g.  ä.  \  ».  ä^  a  0,  gr  t  I  «.  ^  / 
Zu  ■welcliem  Verstheile  nun,  in  jeder  dieser 
verschiedenen  Messungen,  die  angezeigte  Svlbe 
gehöi'e,  zeigt  die  Ciisur  des  Verses,  oder  der 
Melodie,  ganz  unzweideutig.  Heisst  der  Vers 
z.  B.: 

Uippiger  grünte  die  Waldung,   frölicher  b'ühte  die  Flur, 

SO    ist   kein    Zweifel,     dass    jene    Sylbe   Schluss- 
ihesis  sei.     In  folgendem   Vers    hingegen: 
Glockengeläulraelodie    durclihallte    den    Feiergesang, 

ist  sie  offenbar  Auftakt.  Diese  Verschieden' 
heit  ist  bloss  rhythmisch.  In  der  metrischen 
Reihe  ist  jene  Sylbe  in  allen  Fällen  Thesis, 
welche  vom  Rhythmus  erst  die  Bestimmung  als 
schliessend  oder  anfangend  bekommt.  Denn 
der  Auftakt,  Avie  oft  gesagt,  ist  eine  Thesis, 
deren  Arsis  nicht  reell,  sondern  ideell  vorhan- 
den ist. 

343. 
Aus  diesem  Begriff  der  Cäsur  folgt,  dass  mit 
jeder    Cäsur  ein    logischer   Satz    und  ein  Wort- 
rhythmus   endet.       Alan    kann    diesen    Satz    nur 
dann    als   Regel    ausdrücken,     wenn    von    einer 


540  A 1 1  g  e  m  0 1  n  e  r  T  h  r  i  1. 

bestimmten  uiivcränderliclien  Cäsur  im  absolu- 
ten Khydimus  die  Rede  ist,  wo  man  vei'iangt, 
dass  der  Rhythmus  der  Worte  luid  (]cs  Satzes 
mit  dem  absohiten  Rhythmus  gleichen  Schritt 
haken  solle.  Dieses  ist  der  Fall  bei  der  lyri- 
schen Cäsar. 

Die  Eigenschaft  des  lyrischen  Rhythmus, 
dass  seine  rhytlimische  Form  sich  mit  der  me- 
trischen gleichmässig  entwickele,  erscheint  also 
für  die  lyrische  Cäsur  als  Regel ,  deren  Uiber- 
schreitung  den  lyrischen  Charakter  des  Verses 
schwächt,    oder  ganz  zerstört. 

544. 
In  Hinsicht  des  dramatischen  Verses  kann 
man  obigen  Satz  nicht  als  Regel  ausdrücken: 
das  Ende  eines  Satzes,  oder  eines  Woi'tcs, 
müsse  dahin  fallen,  wo  im  Vers  eine  Cäsur  ist; 
denn  überall,  wo  das  Ende  eines  solchen 
Sprachrhyt^mus  hinfällt,  enlsteht  eben  dadurch 
eine  Cäsur.  Hier  gilt  jener  Salz  nur  verneinend 
ausgedrückt:  V^o  im  dramatischen  Vers  die 
Cä'sur  nicht  hinfallen  darf,  (nämlich  an  eine 
Stelle,  die  ihm  lyrischen  Charakter  geben  wiu'- 
de},  da  darf  auch  der  logische  Satz  sich  nicht 
endigen,  ja  nicht  einmal  ein  vinbezwcifeller 
Worlrljylhnius.     Nicht  zu  empfehlen  ist  daher : 

Als  nun  Alle  berathcteii,  {loh  /.n  dem  Walde  der  Jüngling, 
wegen  der  Hauptcäsur,  und; 


Von   der    Cäsur.  54y 

Aber   die    schneeweissscliimidisrnden    lenkte    der    Fürst 

Ei-ymanüieus , 

wegen  des  Wortrhythmus. 

Wenn  nun  gleich  der  dramatische  Vers  nicht 
die  symmetriiC^ie  Eiulheilung  des  lyrischen  ver- 
trägt,  so  erfordern  doch  seine  Glieder  eine 
schickliche  Gruppirung-,  wie  vom  Gemälde  nicht 
architektonische  Symmetrie  gefordert  wird,  v>ol 
aher  geschickte  Anordnung  der  Figuren.  Fehler- 
haft ist  in  dieser  Rücksicht  die  iSebencinauder- 
stellung  von  Rhyllmienkolossen  und  Zwergen , 
was  dem  sonst  so  glücklichen  und  sorgsamen 
Versbildner,  Baggesen,  zuweilen  begegnet,  eben 
so  fehlerhaft  das  Verschwimmen  der  Rhythmen 
in  einander  ohne  bestimmte  Contoare  ,  und  von 
der  andern  Seite  die  harten  Umrisse,  welche 
die  Rhythmen  durch  Darstellung  in  bloss  logi- 
schen kurzen  Sätzen  erhalten;  doch  kann  seihst 
das,  was  im  Allgemeinen  fehlerhaft  war,  durch 
den  Gebrauch  fiir  Darstellung  vorzüglich  wer- 
den. Solche  darstellende  \erse  sind  z.  B.  der 
Vossischc  i 

Bald,    wie    gedrängt  Ber^llut   in    Geklüft   weint,   weinte 

der  Tonfall, 

und  der  von  Baggesen  : 

Und  noch   lang,     als   schwieg   der   Gesang,      sang    ferne 

dT  Nachklang. 

Der  V<:rs]nldner  geht  am  sichersten,  W!':in 
er  bei  dem  lyrischen  \cys  imnuv  den  Charakter 


343  Allgemeiner  T  h  o  i  1. 

des  Musikalischen ,  bei  dem  deklamatorischen 
Vers  den  des  Pittoresken  iu  Anordnung  und 
Darstellung  feslzahaiten    sucht. 

545. 
Wie  viel  Leben  die  Wortrhythmen  dem  de- 
klamatorisclieu  Vers,  und  eben  so  den  dekla- 
matorischen Gliedern  lyrischer  Verse  ( 279. ) 
geben,  lässt  sich  schon  aus  diesem  Wenigen 
vermuthen.  Worlrhythmen  kann  man,  um  sich 
die  Sache  noch  deutlicher  zu  machen,  mit  den 
musikalischen  Noteufiguren  vergleichen,  die  in 
denselben  Hauch,  oder  in  denselben  Bogen- 
strich verbunden  werden ,  nur  dass  jene  für  den 
\'ers,  der  die  grosse  Mannichfaltigkeit  musika- 
lischer Abwechselung  nicht  hat,  noch  btdeu- 
teuder   werden. 

Der  Ver5]>ildner  hat  sich  hierbei  besonders 
vor  Einförmigkeit  zu  hüten.  Die  am  ei'Sten 
sich  darbietende  Vorsichtregel  ist  ohne  Zweifel 
diese,  dass  er  die  Wortrhythmen  nicht  mit  den 
metrischen  Füssen  gleichen  Scluütt  halten  las- 
se. Sehr  matt  würde  klingen: 
Morgen  j  ■  Öth--  j  goldne  j  Frühe  I  unsr*- 1  Lieder  j  schallen  j  dir« 

Diese  malte  Bewegung  wird  sogleich  gehoben 
durch  veränderte   Wortfusse: 

Morgenroth ,    ■wilik.omraucr    Lichtstral ,    Lobgesang   er- 
schalle dir ! 

Auch   in   Füssen,     die   nicht   mit   dem   Metrum 


Von    der   Cäsur.  349 

gleichen  Schritt  halten,  ist  Einförmigkeit  zu 
vermeiden.     Unleidlich  klingt: 

.    .   .   wo  rings  um 
Schroffe    Gestade    des    Meeres ,     die    Wogen    gewaltig 

erbrausten , 

weil  fünf  Amfibrachen  unmittelbar  auf  einander 
folgen.  Verbessert  wird  der  Vers  durch  wech- 
selnde und  kraftvollere  Worlfiisse.  Z.  B.: 

Schroffe    Gestadfelshöhn    unermüdlicher    Wogentumult 

braust. 

Schon  im  elegischen  Pentameter  ist  die  Stel- 
lung der    Wortfüsse: 

— .    I    ^ I    w_    II    ->^    I    »w-w    1    ^_ 

Tönen  im  grünen  Gebüsch  Lieder  zur  Feier  der  Braut, 

nicht  zu  loben,  weil  der  Amfibrach  jedem Theile 
seinen  Chai-akter  und  dem  Ganzen  dadurch  Ein- 
förmigkeit gewährt.     Vorzuziehn  ist: 

Frühlingslaubeu  enthallt  bräutlicher  Feiergesang. 

346. 
Nicht  bloss  Einförmigkeit  ist  zu  vermeiden; 
auch  vor  schwachen  und  tändelnden  Wortfüs- 
sen  mu.ss  der  Versbildner  sich  hüten,  besonders 
dann,  wo  es  kraftvolle  Darstellung  gilt.  Zu 
solchen  schwächlichen  Wortfiissen  gehört  vor 
andern  der  Amlibrachys,  der  zwar  iarabische 
und  li'ochäische  Bewegung  vereinigt,  aber,  weil 
seine  Länge  beiden  Bewegungen  zur  Stütze  die- 
nen soll,   beide  Charaktere  nur  verwischt.       Er 


35o  A 1 1 g e  tn ü  i n  e r  Th c-  i  1. 

gibt  der  rliythmi sehen  Figur  etwas  Nehulislisches, 
■was  sie  entstellt ,  wo  *e5  um  charaklerisiisehe 
Gestall  zu  thun  ist.  Selbst  grössern  Worlfüsseu 
iheilt  er  diese  Eigenschaft  mit.  Man  vergleiche 
folgende  Wortrhythmen  ,  die  sämmtlieh  elegisch« 
Schlussvershäiften*  Lüden: 

Meerestorallciigezweig 

Allerbeseli'gerin , 

Slatuenjugendlichkelt , 

Fejerlichkeitmelüdie , 

Fcisengestadlabirint , 

Volkstiraniieiiiioriument. 
Der  erste  ist,  wegen  des  in  ihm  enthaltenen 
Ani^braehys ,  der  schwächste ;  der  letzte ,  wegen 
des  Doppelanapästen,  der  heftigste.  So  hängt 
von  der  Zusammenfügung  der  Elemente  der 
Charakter  der  ganzen  Figur  ab. 

347. 
Auch  die  Stellung  der  Wortrhythmen  im 
Vers  ist  nicht  zu  vernachlässigen,  und  es  ist 
darüber  schon  früher  im  Vorbeigehen  gespro- 
chen worden.  Im  dt  klamatorischen  Vers  steht 
ein,  der  metrischen  Versform  gleicher,  Wort- 
fuss  nicht  wol  auf  dieser  metrischen  Form ,  eben 
so  wenig  in  deklamatorischen  Vershälften  lyi'i- 
scher  \'ei'se.     Nicht  gut  ist  deswegen: 

Schattenreiche,   grauenvolle,   grabesdimkle  Mitternacht. 
in   cpxantilircnden   \ersen    wird    die    Bewegung, 
sehr    gehoben,     wenn   der   Wortaccent   mit  der 


Von   der    Cäsur,  55i 

Arsis  des  Verses  konlrastirt.  Denn  indem  die 
Arsis  des  Verses  .der  Tliesis  des  Wortes,  und 
vimgekclirt ,  die  Arsis  des  Wortes  der  Thesis  des 
Verses  Kraft  mitlheill,  gewinnen  beide  an  Ener- 
gie, und  der  Vers  bekommt  dadurch  einen  fe- 
stoi-n,  kraftvollem  Gang.     Der  Vers  von  Voss: 

Düsterer   zog   Sturmnacht ,    graunvoll    rinps   wogte   das 

Meer  auf, 

im   Gegensatz  der  natürlichen  Stellang: 

Düstere    Sturmnacht    zog,     und    graunvoll    wogte   das 

Meer   auf, 

ist  hinlänglich   bekannt. 

348. 
Energie  gewinnt  auch  der  Vers  und  Würde 
durch  grosse  mehrsylbige  Wortfüsse.  Es  müs- 
sen dieses  nicht  eben  aufgeschwollene  zeilenge- 
streckte Wortkolosse  seyn,  indessen  wird  auch 
niemand  behaupten,  dass  ein  in  viel  Sylben 
zersplitterter  Vers ,  z.  B. : 

Golden   erglänzet  das   Schloss  umringt  mit  Säulen  tou 

Marmor , 

so  voll  töne,  als  wenn  er  in  grössern  Wort- 
rhythmen sich  bewegt ,  z.  B. : 

Goldenen  Fürstenpallasts    scliöuprangendc   Marmorum- 

säulung. 

Unter  einander  gewoi'fene  grosse  und  kleine 
Wortfüsse  ohne  schickliche  Grtippirung  machen 
indessen  auch  einen   UibeLstand,    und    daber  ist 


3j2  A  1 1  g  e  m  e  i  n  e  r  T  li  e  1 1. 

der  Pentamelerausgang  in  einen  einzigen  Wort- 
luss  nicht  leielit  passend,  wenn  nicht  die  erste 
Hälfte  aiieh  volltönend  auftrat,    z.  B. : 

Neige  den    Oelbaumzweig,    Friedeverkündigerin. 

Ganz  zu  vermeiden,  Avo  es  nicLt  Parodie  gilt, 
sind  Wortkolosse,  die  den  Begriff  der  einzelnen 
Worte  darin  nicht  verstärken,  z.  B. : 

Hochzeitvermälungsfestlichkeitaufzug    der   Braut, 

füllt  beinall  den  ganzen,  übrigens  regelrechten, 
Trimeter,  sagt  aber  nicht  mehr,  als  das  kurze: 
Brautzug.  Dieses  sind  schwülstige  Wortblasen, 
die,  ausser  der  Parodie,  den  Vers  entstellen. 
Etwas  anderes  sind  Zusammensetzungen,  die 
durch  Zusammeudrängung  zweier  Begriffe  den 
Sinn  beider  Worte  im  zusammengesetzten  ver- 
stärken. So  sagt  fr  oh  aufrauschende  Meer- 
flut mehr,  als  das  getrennte:  froh  aufrau- 
schende Meerflut,  schon  dadurch,  dass  es  das 
Bauschen  und  die  Flut  mehr  und  zu  stärkerer 
L<jitlenschaft    personißcirt. 

549. 
Uibrlgens  sieht  man,  dass  Wortrhythmen 
nur  in  deklamatorischer  Verbindung  mit  einan- 
der stehn,  und  nicht  einer  den  andern  als 
seine  Thesis  erzeugt.  Ganz  willkürlich  und  un- 
haltbar ist  daher  Hermann's  Behauptung:  man 
dürfe   mit   vielsylbigen   Worten    den    Hexameter 


Von    der    C  ä  s  u  r.  353 

und  Pentameter  niclit  schliessen:  weil  sonst  Jle 
letzte  Reihe  im  Vers  grösser,  als  die  vorherge- 
hende würde.  Sie  beweiset  nichts,  als  dass 
Hermann  zwischen  metrischen  und  rhythmischen 
Reihen  nicht  zu  unterscheiden  vei-stand.  Die 
Griechen  hatten  und  liebten  sogar  Verse,  in 
welchen  die  Wortfüsse  in  arithmetischer  Pro- 
gression wachsen ,  wie  z.  B.  im  homerischen : 

Spes    Deus   aeternae   stalionis   conciliator,         ' 

Steigt    aufwärts     ausbreitend    ergrünende    Blätterum- 

kränzung. 

Man  nannte  diese  Verse  Keulenverse  (rho- 
palicos)  weil  sie,  gleich  einer  Keule,  (^onaXov) 
nach  oben  zu  anschwellen.  Möge  dieses  Spiele- 
rei seyn,  so  zeigt  doch  das  homerische  Beispiel, 
dass,  wo  der  \ers  nicht  aus  müssiger  Künstelei 
iu  diese  Kolbenfox'm  gezwungen  wird,  gegen  die 
Fortschreitung  in  wachsenden  Wortfüssen  nichts 
einzuwenden  sey. 

35o. 
Das  Ende  einer  metrischen  Reihe,  als  sol- 
cher, macht  keine  Cäsur.  Nur  dann  findet  an 
einer  solchen  Stelle  Cäsur  Statt,  wenn  das  Ende 
der  metrischen  Reihe  zugleich  Ende  einer  rhyth- 
mischen Reihe  ist,  z.  B. : 

—  «rf  —  %^   I    ^>.i<_i.rf 

Mädchenrosc ,   Liebesblume.       Tiek. 

Die   metrische    Reihe    braucht    daher    nicht   mit 

25 


5j-i  Allgemeiner    llieii. 

dem  Ende  eines  Wortes  zu  schliessen,  ausser 
wenn  sie  zugleich  Ende  einer  rliylhmischen 
Pieihe  ist.  Dieser  Salz  liegt  zwar  ganz  in  dem 
vorigen;  es  ist  aber  vielleicht  nöthig,  ihn  noch 
besonders  hier  aufzustellen,  weil  die  Theorien, 
vorzüglich  die  Hermannische,  metrische  und 
rhythmische  Reihen  nicht  unterscheiden.  Des- 
wegen findet  man  auf  metrische  Reihen  man- 
ches angewendet,  was  nur  von  rhythmischen 
Reihen  gilt,  und  umgekehrt.  Hauptsächlich  ist 
dieses  dar  Fall  hei  der  Lehre  von  der  unbe- 
stimmten. Sylbe,  oder  vom  Älaas  der  letzten 
Sylbe  in  metrischen  und  rhythmischen  Reihen, 
welche  durch  Hermann  durchaus  verfehlt  und 
verwirrt  worden   ist. 

Von  der  unbestimmten  Sylbe, 
55i. 
Unter  „unbestimmter  Sylbe"  versteht  man  in 
diesem  Sinne  nicht  die  prosodische  Mittelzeit 
einer  Sylbe,  nach  welcher  sie  im  Vers  bald 
lang,  bald  kurz  gebraucht  werden  kann,  z.  B. 
die  Sylbe  vor  einem  stummen  und  fliessenden 
Consonanten.  Denn  es  ist  hier  nicht  von  pro- 
sodischer,  sondern  von  metrischer  Unbestimmt- 
heit die  Rede.  In  Versen  nämlich  kommen  me- 
trische Stellen  vor,  welche  eben  sowol  eine  ent- 
schieden kurze,  als  entschieden  lange  Sylbe  zu- 
lassen.    Der  alcäischc  Vers  z.  B.  kann  eben  so-» 


Von    der   unbestimmten  Sylbe,  555 

wol  mit  einer  kurzen,  als  einer  langen  Sylbe 
anfangen : 

Es   drängt   zum   Aufruhr , 
Bald   drängt  zum   Aulruhr, 

und  eins  ist  so  richtig,  als  das  andere;  eLen  so 
kann    der    Tetraraeter    in    der    Mitte    mit    eiutr 
kurzen  oder  langen  Sylbe  scliliessen: 
Wenn  im   Frühlingtanz   die   Mädchen, 
Wenn  im  Frühlingtanz   die   Jungfraun ; 
er  kann  seine  erste  Periode  sogar    in  fortgehen- 
dem  Rhythmus    mit    einer    kurzen,  oder  langen 
Sylbe  beschliessen: 

Wenn   des    Glockenthurms   Geläute, 
Wenn   vom   Dorfkirchthurm    Geläut  hallt, 

und  beides  ist  richtig,  wiewol  das  Metrum  eine 
kurze  Sylbe  ursprünglich  verlangt.  Die  Iheo- 
relikcr,  z.  B.  Iloratiiis  in  seiner  Poetik,  ver- 
langen sogar  die  Länge  in  solchen  Stelleu  als 
eine  Schönheit   des  Verses. 

352. 

Dergleichen  Stellen  im  Verse,  welche  sowol 
lange,  als  kurze  Sylben  zulassen,  nennt  man 
unbestimmte  Stellen.  Mit  Unrecht!  Denn 
solche  Stellen  sind,  wie  wir  sehn  werden,  we- 
nige Fälle  ausgenommen ,  metrisch  eben  so  voll- 
kommen bestimmt,   als  andre. 

Die  Metriker  behaupten,  tliese  Unbestimmt- 
heit   komme   der   letzten    Sylbe    jeder  Reihe  zu. 


•"3  ijli  A Hg  ein  ei  Ji er   Tliml.       Vo<i>   dem  Maas 

well  mau  in  ihr,  als  letzter  Sylbe,  das  Maas 
niclit  Letiierke.  Um  die  Sache  genau  in  das 
Auge  zu  fassen,  müssen  wir  also  vor  Allem  von 
dem  Maas  der  letzten  Sylbe  in  rhythmischen 
und  metrischen   Reihen   sprechen. 

Von  dem  Maas  der  letzten  Sylbe  in 
rhythmischen  Reihen. 

355. 
Ehe  wir  die  Meinungen  Andrer  über  diesen 
Gegenstand  anführen  und  widerlegen,  wird  es 
gut  seyn,  die  Sache  nach  ihrer  wahren  Beschaf- 
fenheit 3;u  betrachten.  Fremde  Meinungen  wer- 
den sich  dann  historischerweise  anzeigen  lassen, 
um  ihre  Irrthümer  zu  widerlegen. 

354. 
Wenn  eine  rhythmische  Reihe     (von  der 
metrischen   ist   hier  nicht  die  Rede)     in  der 

Arsis  schliesst ,   z.  ß. : 

—      s..      «./      _      .^      ^      _ 

mächtiges  Orgelgetön, 
SO  kommt  die  Quantität  einer  solchen  Schluss- 
sylbe  gar  nicht  in  Betrachtung.  Denn  da  sie 
als  blosse  Arsis  erscheint,  so  liegt  bloss  die 
Mö^^lichkeit  eines  mclrischen  Quantitätverhält- 
uisses  in  ihr;  weil  aber  diese  Arsis  schliesst, 
und  keine  Thesis  aus  sich  entwickelt,  so  kommt 
jenes   metrische    Quantitätverhältniss     nicht    zur 


der  letzten  Sylbe  in  rhythmischen  Reihen.  ob-j 

Wirkllclikeit.  Es  bleibt  mitbin  diesem  Scbhiss- 
moment  der  bloss  arsiscbe  Cbaraktcr,  der 
zwar  dem  Metrum  angehört,  aber  ohne  Quan- 
titrät.  Befremden  wird  dieses  Niemand,  der  sieb 
erinnert,  dass  in  accenlirten  Kbytbmen  Arsis 
und  metriscbes  Verbäitniss  obne  Quantität  über- 
haupt Statt  findet.  Es  gilt  dabei  gleichviel,  ob 
die  scbliessendc  Arsis  die  Hauptarsis  einer  me- 
trischen Periode  >  oder  die  Arsis  eines  zerfäll- 
ten Hauptmomentes  sei,  sobald  sie  sich  nur  als 
Arsis  charakterisirt ,  indem  sie  durch  eine  The- 
sis  von  der  vorhergehenden  Arsis  getrennt  ist* 
Z.  B.  in  dem  Pthythmus: 

«M      ^      —      «^      S.^      ~> 

schwebte   sie   flüchtiger   «uf, 
kann  die  letzte  Arsis  eben  so  richtig  eine  Kürze 

seyn : 

schwebte  die  Flüchtigere. 

Denn  die  vorhergehenden  metrischen  Momente 
iestimmcu  zwar  ihre  Qualität  als  Arsis,  aber 
um  Quantität  zu  haben,  müssten  Momente 
folgen,  Avas  hier  nicht  möglich  ist,  da  sie  als 
Schlussarsis  betrachtet  wird.  Diese  Eigen- 
schaft der  Schlussarsis  gibt  ihr  daher  nur  Mög- 
lichkeit der  Quantität,  und  eben  deswegen  Un- 
bestimmtheit; denn  durch  Folge  der  Momente 
kann  sie  eben  sowol  zur  Länge   werden: 

s(hwcbte   die   Flüchtige  fern  im   Gewölk  , 
als   zur  Ki'irzc: 


ibä        Allgemeiner    Theil,     'Von  "dein  Maas 

—       tB«V^        t^       •^       ■i^       Mmt       *^      w^ 

•chwebte  die   Flüchtige  zu   dem  Gewölk, 

In  Musikzeicheu  kann  diese  Unbestimmihell 
liicht  ausi^cdrückt  werden,  weil  man  die  ganze 
Periode  (den  Takt)  mit  ideellen  Zeilmomenten , 
(Pausen)  aasiliUt.  Hierdurch  bekommt  jene 
Sciilussarsis  eine  Folge  von  Momenten,  die, 
wenn  sie  auch  ideell  sind,  doch  die  Zeit 
bestimmen.  Der  reelle  Rhythmus  schliesst  da- 
her mit  der  Arsis,  die  ideellen  Momente  be- 
stimmen ihi'  aber  eine  Quantität,  die  jedoch 
vor  dieser  Bestimmung  willkürlich  ist.  Wir 
bezeichnen  deswegen,  wo  wir  uns  der  Musik- 
zeichen bedienen,  diese  unbestimmte  Stelleo 
durch  das  Zeichen  •'  ,  welches  dem  metrischen 
'Ol  analog  ist.     Z.  B. : 


Fiulenbesänftigei-jij. 


355. 

Wenn  wir  behaupten,  die  schliessende  Arsis 
eines  B.hythnius  sei  ohne  bestimmte  Quantität , 
so  beziehet  sich  dieses  nur  auf  den  Pihythmus, 
welchen  sie  beschliesst.  In  Beziehung  auf  einen 
Vers,  in  dessen  Mitte  vielleicht  der  rhythmische 
Schluss  vorkommt,  hat  jene  Schlussstelle  aller- 
dings  ihre   bestimmte    Quantität   auf    eben    die 


der  letzten  S3lbe  in  rhythmiachen  Heilicn.  Säg 

Art,  wJe  üLerliaupt,  wenn  die  Periode  mit  ideel- 
len Momenten  ausgefüllt  wird,  und  so  tritt  also 
der  Fall  ein,  dass  eine  metrische  Länge  von 
einer  prosodisclien  Kürze  repräsentirt  werden 
kann,    z.  B.: 

Orania  vincit  anior,   et   nos   cedamus   amori.      Virg. 

Ostentans  artem  pari t  er,   arcumqne  sonantcm.    Ders. 

Will  man  die  prosodische  Quantität  mit  dem 
metrischen  Yei-hältniss  vereinigt  ausdrücken ,  so 
erfüllt  man  das,  in  der  Quantität  der  Sylbe 
Fehlende ,  durch  eine  Pause : 

JJIJ.VI/r.\NJ.\MJ.VIJJr 

/ 
Nee,  quae  praelerii  t ,   iterum  revocabilur  unda.    Ovid, 

Mau  würde  mithin  sehr  irren,  wenn  man,  sol- 
cher prosodisclien  Kürzen  wegen,  welche  dir 
Stelle  metrischer  Längen  (im  Vers)  vertreten, 
ein  aiidres  Maas  des  Verses  zu  finden  glaubte, 
und  z.  ß.  den  Hexameter  so  : 

Omnia  vlnclt  amor ,   et   nos  redauius   Amori, 

messen  wollte.  Dieses  fällt  auf;  gleicliwol  mes- 
sen die  Metriker  andre  Verse  eben  so  iring, 
weil  sie  die  prosodische  Quantität  von  der  me* 
Irischen  nicht  unterscheiden,  und  die  Pause, 
welche  nacli  der  Kürze,  wenn  man  sie  metriscl» 
betrachtet,  fallen  muss,  nicht  anerkennen. 


5ÖO         Allgemeiner    Th e i  1.        Von    dem    Alüa» 

356. 

So  wie  wir  jetzt  die  Unbestimmtheit  der 
schliessenden  Arsis  erklärt  haben,  muss  der 
Salz  verstanden  werden,  den  manche  Theoreti- 
ker aufstellen:  dass  die  Gäsur  eine  kurze  Sylbe 
lang  macheu  könne. 

Die  gewönliche  Erklärung  der  Cäsur  ist  näm- 
lich, dass  sie  der  Einschnitt  sey,  den  das  Ende 
eines  Wortes  in  einen  Zeitfuss  mache,  z.  B. 

Itali  -  am   cur  -  su    peti  -  tis  ,    ven  -  tisque    vo  -  catis. 

Virgil, 

Wolkenem  - por  auf- stürmt   das   Ge- schrei,  furcht- 
bare   Verwüstung. 

War  nun  der  Satz  richtig,  dass  Cäsur  in  die- 
sem Sinne  die  kurze  Sylbe  lang  mache,  so 
müsste  folgender  Hexameter  auch  richtig  seyn. 

Feierli  -  eher     tön-ten      Lie-der,       prei-send     die 

Be-  glücktern. 

Niemand  aber  wird  sich  bei  diesen  Längen  be- 
ruliigen ,  weil  nicht  wirkliche  Rhythmen,  son- 
dern bloss  untergeordnete  Theile  von  Rhyth- 
men schliessen.  Die  Schlusssylbe  des  Wortes 
Lieder  beschliesst  zwar  einen  Hauptrhythmus; 
da  sie  aber  in  der  Thesis  des  Wortrhythmus 
steht ,  so  kann  sie  im  Deutschen  Vers  we- 
gen des  Einflusses  des  Accentes  nicht  in  der 
Arsis  des  Verses  als  Länge  (selbst  als  Kürze 
nur  mit  Mühe)  sich  halten.       Anders  ist  es  mit 


der  letzten   Sylbe  in  j  hytlimischen  Reihen.  5Ci 

der  Schlusssylbe  des  "Wortes:  Feierlicher, 
das  sich  in  choriambischer  Bewegung  ausspre- 
chen lässt,  wo  dann  die  Endsylbe  als  Arsis  die 
Kürze  statt  der  Länge  gestattet.  So  hält  sich 
dieses  Wort  im  Vers,  wo  es  den  Rhythmus  be- 

schliesst ,  z.  B. : 

Glockengeläut    scholl    feierlicher:     Schon    nahte    dei- 

Festzug , 
wie  das    griechische : 

uiäoiog  TS  (A,Qi  iGoi ,  (fiXs  iavQSf  deivog  x£, 

Home  r. 
nicht  aber : 

Feierlicher   scholl   Glockengeläut, 

und  so  bewährt  sich  die  Kichtigkeit  der  von 
uns  gegebenen  Ansicht. 

Was  die  Dichter,  dem  Gefül  gemäs,  ausüb- 
ten, ward  von  den  Grammatikern  zwar  bemerkt, 
aber  ohne  dieses  Gefül  in  einseitiger  Reflexion 
aufgefassl.  Sie  bemerkten  die  unbestimmte  Sylbe 
zwar  richtig  am  Schluss  der  rhylhmischeu  Reihe; 
es  entging  iJinen  aber,  dass  der  Schluss  auf  der 
Arsis  der  Grund  sei,  warum  diese  Syll)c  keine 
Quantität  haben  könne.  So  Stellleu  sie  den 
Satz  auf:  die  letzte  Sylbe  einer  Reihe  (im  All- 
gemeinen) sei  von  unbestimmlcr  Quantität,  und 
Hermann,  um  die  Sache  nicht  unerklärt  zu  las- 
sen, setzt  binzu:  In  der  letzten  Sylbe  werde  das 
Maas  ohnehin  nicht  bemerkt,  weil  nichts  darauf 
folge,     flie     Poeten     thuen    dalier    Re(;ht   daran. 


5C)3,  Allgemeiner   Theil.      Von   dem   Maa» 

wenn  sie  mit  der  Quantität  der  Endsylbe  es 
nicht  so  genau  nelimen ,  als  hei  den  andern  Syl- 
ben.  Allerdings  eine  etwas  zu  bequeme  Erklä- 
rungsart für  eine  Theorie,  die  sich  mit  so  viel 
Ernst  lind  Strenge  ankündigt,  als  die  Ilcrmann- 
sche  I  Doch  wiir  diese  Bequemlichkeit  nicht  so 
sehr  zu  tadeln,  enlslünden  nur  nicht  aus  ihr 
die  grösslen  Willkürlichkeiten  und  Irrthümer, 
durch'  die  sich  überhaupt  Hermaun's  Theorie 
vor  allen  andern  auszeichnet. 

.  358. 
Nach  den  Grammatikern  und  Hermann  ist 
die  letzte  Sylbe  einer  Reihe  (metrische  uml 
rhythmische  Pveihen  werden  von  dem  neuen 
Theoretiker,  wie  von  den  altern,  nicht  unter- 
schieden) von  unbestimmter  Quantität,  d.  h. , 
sie  kann  lang  seyn,  wo  das  Metrum  sie  kurz 
verlangt  {  Z  )  und  kurz ,  wo  das  Metrum  Länge 
fordert  {  -  )•  Von  dem  zweiten  Fall  haben 
wir  eben  gesprochen.  Der  erste  Satz  hingegen: 
dass  die  kurze  Endsylbe  einer  Reihe  unbestimmt 
sei ,  und  deswegen  au  ihrer  Stelle  die  Länge 
zulasse,  ist  durchaus  falsch,  sobald  von  rhyth- 
mischen Reihen ,  (nicht  von  metrischen , )  die 
Rede  ist. 

559. 
Hier  zeigt  sich   nun    die   Verworrenheit  der 
Hcrmannischen  Theorie,  die  aus  der  Unklarheit 


der  letzten  Sjibe  in  rhytliraischen  llelKen.  5G3 

der  Begriffe  von  Reihe  über  die  ganze  Metrik 
sich  verbreitet.  Es  ist  nÖthig,  darauf  aufmerk- 
sam zu  machen,  da  die  Filologen  auf  den  Her- 
mannischen Sätzen  auszuruhen  scheinen,  und. 
die  Wissenschaft  durch  ihn  für  geschlossen  hal- 
ten. Wir  wei'den  nachweisen,  wie  die  Herman- 
nische Theorie  die  Unbestimmtheit  und  Viel- 
deutigkeit des  Begriffes  von  Reihe  gebraucht, 
um  bald  dieses,  bald  jenes,  nachdem  es  der 
Gegenstand  erfordert,  daraus  abzuleiten.  Wil* 
heben  hier  nur  etliche  seiner  Sätze  aus,  und 
stellen  sie  gegen   einander. 

„Cäsur  heisst  jeder  Ort  in  einem  Verse, 
wo  eine  Reihe  sich  endiget."  Hdb.  d.  Metrik. 
§.   87. 

„  Wo  sich  eine  Reihe  Im  Rhythmus  des  Ver- 
ses endigt,  da  muss  auch  eine  Reihe  im  Rhyth- 
mus der  Worte ,  mithin  ein  Wort  geendigt  wer- 
«ien."     Das.  §.  89. 

„Die  letzte  Sylbe  einer  jeden  Reihe  ist  un«- 
bestimmt."     Das.    §.  46. 

„Daher  ist  es  auch  die  letzte  Sylbe  der  tro- 
chäischen  Dipodie. "      Das.    §.  48.  108. 

Nolhwendige  Folgerung  hieraus  ist,  dass, 
weil  die  trocliäische  Dipodie  sich  durch  die 
unbestimmte  Eudsylbe  als  vollendet^  Reihe  an- 
kündigt, auch  jedesmal  ein  Wort  mit  der  letz- 
ten Sylbe  der  Dipodie  schliesscu  müsse.  Gleich- 
wol  ist  allgemeiu  bekannt,    dass   gerade  die  be- 


364        Allgemeiner   Theil.        Von   dem   Maas 

sten  trochäischen  Verse  solche  sind,  in  welchen 
nicht  jede  Dipodie  mit  dem  Ende  eines  Wortes 
schliesst,   z.  B. 

Ei  Tt  firj  duificov  TTttXuiog  vvv  fii&«nf]y.e   gt^utm, 

Aes  eh. 

Wenn    des    Glücks    uralter  Dämon    nicht    vom  Heer 

treulos   entwich. 

Hier  endigt  mit  der  ersten  und  dritten  Dipodie 
das  Wort  nicht;  gleichwol  steht  zu  Ende  bei- 
der Dj'podien  die  lange  Sylbe  statt  der  kurzen. 
Ist  nun  also  die  trochäische  Dipodie  eine  Reihe, 
oder  ist  sie  keine?  Lnd  steht  die  lange  Sylbe 
statt  der  kurz,c;u  zu  Ende  der  ersten  und  drit- 
ten Dipodie  am  Ende  der  Reihe ,  oder  in  der 
Mitte?  So  ist  die  Hermannische  Theorie  mit 
sich  selbst  uneins  I 

An  sinh  ist  die  Sache  sehr  leicht  zu  erklä- 
ren. Die  trochäisehe  Dipodie  ist  eine  metri- 
sche Reihe.  Ihr  Ende  macht,  wo  es  nicht  zu- 
gleich eine  rhythmische  Reihe  beschliesst,  keine 
Cäsur.  Die  Schlusssylbe  einer  metrischen  Reihe 
nimmt  aber,  aus  Gründen,  welche  in  dem  fol- 
genden Abschnitt  erläutert  werden,  die  proso- 
dische  Länge  statt  der  Kürze  an.  Da  nun  der 
Schluss  der  metrischen  Reihe ,  weil  er  keine 
Cäsur  macht,  nicht  mit  dem  Ende  eines  Wor- 
tes zusammenzufallen  braucht,  so  kann  die 
Länge  statt  der  Kürze  auf  der  Schlusssylbe  der 
Periode,     mitten   im    Wort    und   mitten   in  der 


der  letzten  Sylbe  in  rhythmischen  Keihen.  565 

rhythmischen  Reihe  Statt  finden,  wie  unzälige 
Beispiele  künftig  beweisen  werden. 

Trift  die  rhythmische    Reihe    mit  der  metri- 
schen im  Schluss    durch  lyrische   Cäsur  zusam-. 
mcn ,    z.  B. : 

(o  TittTQccg  0r]ßt]g  ivotxot, 

Als  der  Abendthau    herabsank, 

SO  ist  allerdings  auch  die  kurze  Endsylbe  der 
rhythmischen  Reihe  durch  eine  lange  Sylbe  re- 
präsentirt  worden ;  allein  diese  Länge  gehört  der 
metrischen  Reihe  an,  nicht  der  rhythmischen. 

•^      36o. 

Dass  dieses  so  sei,  erhellt  noch  mehr  aus 
Folgendem : 

Unter  den  Cäsuren  des  heroischen  Verses 
wii'd  von  allen  Theoretikern  (auch  von  Hermann) 
die:  xura  tqitov  xQoyutov  genannt.  Sie  fällt  nach 
der  zweiten  Sylhe  des  dritten  Fasses,  wenn  er 
ein  Daktylus  ist: 


TtttVTUs  yuQ  qttXifGMv,   odta  Im  oixiu  vatojv. 

Homer. 

Flog   sie  hinein  zu  der   Stube,     wo    schon    mit   dem 
Greise   der  Jüngling.      Voss. 

Ist  hier  nun  eine  Cäsur,  so  ist  hier  auch  nach 
Hermann  das  Ende  einer  Reihe,  und  ist  hier 
das  Ende  einer  Reihe,  ^o  findet  auch  hier, 
nach  demselben  Metriker,  die  unbestimmte  Sylbe 


3G6  Allgemeiner  The  iL      Von   dem  Maas 

Slalt,  folglich  müsste  der  Hexameter  diese  Form 

dulden  : 


Furchtbar  heulte   die  Wind  braut,    und  hoch   auf 
schäumte   die   Brandung  , 

die  keinen  Vcrllieidiger  finden  diirfte. 

Eljen  so  kommt  im  iambisclien  Trimeter 
die  Casur  vor: 

ßbi[.ioiGi  naiiqjkexTOKXtV   ix  de  -O^vfiaTtov.     Soph, 
Zweileibger,  unwirthbarer ,    rosshufwandelnder. 

Hier  stellt  ebenfalls  die  unbestimmte  Sylbe  in 
der  Mitte  des  Wortes  (tt«^« q/Xix roiaiv )  und  des 
Rhythmus  ;  die  Endsylbe  der  rhythmischen 
Reihe  hingegen  behält  das  bestimmte  Maas  der 
.  Kürze  j  denn  folgenden  Trimeter : 

w .  ^   I   w_3,_   I   Z  -  ^  ~ 

Leicht  wird    die    Last    des    Unglücks,     trägt    ein 

Mann  es   leicht , 

möchten  wol  wenige  vertheidigen ,  und  Hermann 
selbst  nicht;  wiewol  ihn  die  Theorie  von  der 
unbestimmten  Endsylbe  vollkommen  rechtfer- 
liget. 

56i. 

ISiemals  ist  also  die  Schlusssylbe  einer  rhyth- 
mischen Reihe  im  Allgemeinen  von  unbestinmi- 
ler  Quantität.       Sie  duldet  nur   die  Kürze  statt 


der  letzten  bylbe  in  rhjithnilschen  Reihen.  067 

der  Länge,     wenn    sie    auf  eine  Arsis  im  Verse 
fällt,  und  die  Länge  statt  der  Kürze,    weni^sie 
zugleich    Sclilusssylbe     einer    metrischen     Reihe 
ist.     Es  war  fast  unLegreiflich,     wie  sich  dieser 
Irrthum  Lei  den  offenbarsten  Beweisen  vom  Ge- 
gentheil  in  den    Cäsiiren    des  Hexameters,    Tri- 
meters  und   andrer  Verse   hat  erhalten    können, 
wenn    nicht    eben   die   Unklarheit   des  Begriffes 
von  Reihe   in   der   Hermannischen   Metrik  sol- 
che Irrthümer  begünstigte.     Denn  Reihe  hedeu- 
td   bei    ihm  bald   so    viel   als   Rhythmus,     bald 
einen  Bestandtheil   des   Rhythmus    (§.  68.)    so, 
dass  nirgends    ein  bestimmter   Begriff  davon  zu 
treffen  ist. 

Hermann  sucht  zwar  einige  Widersprüche 
seiner  Theorie  dadurch  zu  heben,  dass  er  zwi- 
schen periodischen  Reihen  und  nicht  pe- 
riodischen unterscheidet.  Periodische  Reihen 
nennt  er  solche,    die   von  gleicher  Länge  sind, 

z.  B.  (§.  57.): 

f 

Romuli   nepotes  , 
oder  von  abnehmender,  z.  B.: 

Pinifer  Olympus  et    Ossa ; 
denn   hier  habe   die    erste   Arsis    den    stärksten 
Ictus,    und    die    folgenden   Reihen   flicssen  ganz 
leicht  au«  der  ersten  so,    dass    das  Gehör  selbst 


3G8  Allgemeiner   Tlieil.       Von  dem  Maas 

den  Zusammenliang  nud  die  Causalvcrbindung 
dei'felben  wahrzunehmen  scheint.  Nichtpei-io- 
dische  Reihen  hingegen  nennt  Hermann  solche, 
die  nicht  aus  der  ersten  Arsis  hervorgehen, 
sondern  deren  jede,  weil  sie  grösser  als  die  vor- 
hergehende ist,  mit  einer  neuen  Arsis  anhebt, 
z.  B. 

—      <k»      W«^_t«<>^V^ 

Rex   Olyniple   caellcola. 

Solche  Reihen  köinie  man  nicht  sprechen,  ohne 
bei  jeder  Arsis  mit  einem  neuen  ictus  eine  neue 
Reihe  anzufangen.  Allein  dieser  Unterschied 
ist  nur  scheinbar,  die  Reihe: 

besteht  eben  so  wenig  aus  abnehmend,  als  diese: 

aus  zunehmend  langen  Reihen,  ajle,  in  beiden, 
grossem  enthaltenen  kleinei-n  Reihen  sind  sich 
vollkommen  gleich ,  und  nur  die  unzweckmäs- 
sige metrische  Bezeichnung  täuscht  mit  dem  der 
Ungleichheit.      Dir  Maas   ist: 

—    >^    ■»^     ■>•*      I      —    s^<^      1      —     «^ 

«.  «^  «^  ä^    \    m.  ü^  m     \    m    » 
Pinifer  Olympus  et   Ossa, 

Nieder  zu   dem  Haine   der  Barden, 

und  von  der  andern: 

J  j  I  j.  tf*^  j   1  J.  «^  j  \  •  y 

Rex  Olympie  caelicola, 


der  letzten  Sylbe  in  rhytiimischen  Reihen.  Bog 

und  so  war  die  Hermannisclie  Uuterscheidung 
der  ßeihen  schon  in  sich  selbst  grundlos.  War 
aber  auch  der  Unterschied  nicht  bloss  scheinbar, 
so  würde  er  doch  durch  Hermanns  Anwendung 
zu  einem  bloss  willkürlichen.  Denn,  wenn 
Reihen  von  gleicher  Länge,  so  viel  man  nur 
will  ( §.  58.)  in  eine  periodische  Reihe  verbun- 
den werden  können,  warum  ist  denn  der  tro- 
chäische   Vers : 

nicht  eine  einzige  periodische  Reihe,  sondern 
in  vier  dergleichen  abgetheilt,  deren  jede  die 
unbestimmte  Endsylbe  hat  ?  Und  wenn  det 
Vers  nicht  Eine  Reihe  seyn  soll,  warum  ist 
nicht  jede  einzelne  Reihe  (  _  ^  )  selbststän- 
dig ,  sondern  nur  zwei  und  zwei  (  _  .«<  _  ^^  )  ? 
Dieses  wird  auf  einmal  aus  der  blossen  Empi- 
rie beantwortet  ( §.  48.):  „weil  nämlich  trochäi- 
sche Verse  nach  Dipodien  gemessen  werden^ 
die  mithin  nur  am  Ende  der  zweiten  Reihe 
(  _  ^  _  3  )  die  unbestimmte  Sylbe  zulassen." 
Allein  die  Anapästen  werden  auch  nach  Dipo- 
dien gemessen;  gleichwol  soll  nicht  mitten  im 
System,  sondern  nur  am  Ende  desselben  (§.280.) 
die  unbestimmte  Endsylbe  Statt  finden.  Wollle 
man  sagen,  dies  sei  die  iNatur  des  Systems,  so 
stehn  wieder  die  trochäischen  Systeme  entgegen, 
wo  jede  Dipodie  die  unbestimmte  Endsylbe  hat« 

24 


Öjo         Allgemeiner     Tlit'il.        Von    dem    iViaas 

So  zeigen  sicli  überall  tlie  WiJersprliclic  der 
Hcrmannjstliea  Metrik,  wenn  man  sie  tiefer,  als 
auf  der  Oberfläche    betrachtet. 

Jetzt  wird  es  nöthig  seyn,  zu  untersuchen, 
woher  die  lange  Sylbe  statt  der  kurzen  am 
Schltiss  der  metrischen  Pieihen    entstehe. 

Von  dem  Maas  der  letzten   Sylbe  in 

metrischen  Reihen. 

56^. 

Eine  rhythmische  Reihe  ist  mit  der  Cäsur 
geschlossen.  Sie  ist  ein  Ganzes,  das,  selb- 
ständig, für  sich  besteht.  In  ihr  selbst  liegt 
kein  Grund  eines  Wcitci'strebens  über  die  Cä- 
sur hinaus;  man  kann  also  nicht  sagen,  eine 
rhythmische  Reihe  erzeuge  aus  sich  eine  andre, 
so  wie  die  Arsis  eine  Thesis  erzeugt.  Der 
Rhythmus  z.  B.: 

Alles   gewährt  Kühnheit, 
kann  für  sich  allein   stehn;     es   kann   ihm  aber 
auch  ein  andrer  folgen,    als: 


und   den   Wagenden   schützen   die   Götterj 

oder  ein   andrer: 

*•  ^^  %./  •—  ^w  ^i.^  -« 
Wagende  schützet  das    Glück,; 

im   Rhythmus    ist  also    kein    Grund  vorhanden, 
da.^s    noch    ein    Rhythmus    folge    und    welcher. 


der  letzten    Sylbe    in    meln'ychen    Reihen.  5-i 

Sollen  Rhythmen  als  mit  einander  verLunden 
wahrgenommen  wei'den,  so  liegt  der  Grund  ausser 
ihnen ,  irämlich  im  Metrum ,  welches  die  Rhyth- 
men bald  lyrisch,  bald  deklamatorisch  verei-^ 
nigt. 

565. 
"Was  uns  die  Wahrnehmung  an  vorliandenen 
Pihythmen  zeigt,  fanden  wir  schon  früher,  als 
wir  die  Natur  beider  ursprünglich  verbundenen 
Principien,  des  R.hythmischen  und  des  Metri- 
schen ,  betrachteten.  Das  rhythmische  Princip 
zeigte  sich  nämlich  als  das  formende,  begran- 
zende.  Was  aber  begränzt,  kann  nicht  zugleich 
den  Grund  des  Hinausstrebens  über  die  Gränze 
enthalten.  Entgegengesetzt  zeigte  sich  schon 
früher  das  metrische  Princip  ('^69.),  als  das  aus- 
dehnende. Die  metrische  Periode  ist  zwar  ein 
Ganzes,  allein  sie  lässt  sich  wieder  als  Arsis  zu 
einer  Thesis  betrachten,  indem  die  ganze  Pe- 
riode a]$  Entwickelung  der  Arsis  gedacht  wird^ 
in  welche  ursprüngliche  die  rhythmische  Einheit 
sich  nebst  einer  Thesis,  welche  die  folgende 
Periode   bildet,   zerlegte: 


d 

Arsis. 

0 
EJaiieit. 

d 
Thesis. 

J      J 

J  .N  .^ 

Erste  Periode. 

J      J 

Zweite  Periode. 

572         Allgemeiner   Theil.        Vou   dem   Maas 

Dieses  Verhältniss  des  Zusammenhangs  zweier 
Perioden,  oder  die  Erzeugung  der  zweiten  aus 
der  ersten,  erkennen  wir  zwar  theoretisch,  al- 
lein im  Vers  soll  es  sinnlich  anschaulich  dar- 
srestellt  werden,  so  wie  das  Verhältniss  der  Ar- 
sis  zur  Thesis  überhaupt.  Die  hervorbringende 
Periode  muss  also  den  Charakter  der  Kraft  ge- 
gen die  zweite  ausdrücken,  und  da  dem  Anfang 
der  Periode  unmittelbar  die  Thesis  zuvorgeht, 
so  wird  gefordert,  dass  diese  Thesis  die  Kraft 
ausdrücke,  welche  die  folgende  metrische  Pe- 
riode erzeugt.     In  der  Dipodie  also: 

»Im'     —     <..<       I       —     -^     —     w> 

soll  die  mit  dem  Häckchen  bezeichnete  Note 
(  J^  )  jene  hervorbringende  Kraft  ausdrücken. 
Sie  soll  metrischer  Weise  Thesis  bleiben  (schlech- 
ter Taktt-hcil),  soll  aber  dabei,  ohne  metrische 
Arsis  zu  werden,  bloss  das  Intensive  der  Arsig, 
die  Kraft,  wahrnehmen  lassen. 

364. 
Sehn  Wir  von  den  Worten  des  Verses  ab, 
lind  halten  uns  bloss  an  die  einfachere  Erschei- 
nung des  Metrum  in  Tönen,  so  löset  sich  diese 
Aufgabe  sehr  leicht.  Die  bezeichnete  thetisch© 
Stelle  erhäh  kräftigeren  Anschlag,  und  schliesst 
sich,  um  das  Hervorbringende  noch  mehr  aus- 
zudrücken ,  durch  Bindung  an  die  folgende  Ar-. 


der  letzten  Sylbo   in  metrischen  Reihen.  575 

«Is  der  neuen  Periode.  Man  überzeugt  sich  da- 
von leicht,  ohne  noch  auf  Musik  Rücksicht  zu 
nehmen,  indem  man  den  Trommelschlag  beob- 
achtet : 

j  .^  j  .;T.^  i"  j"  J. 

Die  Musik  braucht  zu  diesem  Ausdruck  das 
sforzaudo,  ebenfalls  die  Bindung,  und  auch 
•wol  die  Kraft  der  Dissonanz.     Z.  B. 


=^T^..t   '  > 


^j" 


Der  beabsichtigte  Ausdruck  wird  hierdurch  er- 
reicht, aber  es  fällt  in  die  Augen,  dass  die  me- 
trische Quantität  der  gehobenen  Stelle  nicht 
verändert  wird.  Sie  bleibt  Kürze,  wie  sie  der 
Natur  des  Metrum  nach  seyn  soll. 

564. 

Die  Prosodie  der  Sprache  bedient  sich,  um 
dieses  sforzando  in  dem  Vers  :  uszudrücken , 
des  Mittels,  das  sie  in  ihrem  Gebif.  dazu  fin- 
det. Wie  der  stärkere  Ton  gleichsam  ein  Ag- 
gregat von  Tonen  ist,  deren  Gehalt  sich  in  ei- 
nen einzigen  conceulrirt,  so  conccntrirt  die 
Sprache  in  der  langen  Sylbe  den  Gehalt  mch- 
rer  kurzen,  wie  wir  denn  auch  den  langen  Vo- 
kal als  Summe  zweier,  oder  dreier  kurzen  be- 
iraelitct    haben.       Indem    nun    die    prosodische 


'ö-^i         Allgemeiner     The  iL       Von   dem  Maas 

Läzige  im  Vers  an  die  Slclle  der  metrischen 
Kürze  gesetzt  wird,  so  erliält  sie,  ganz  nacli 
ullgcmcinem  mechanisclien  Gesetz,  das  an  Kraft 
zugesetzt,  was  sie  an  der  Zeit,  die  sie  proso- 
disch  erfüllen  sollte,  in  dieser  Stelle  der  me- 
li-isclien  Kürze  aufgeben  muss.  Die  prosodisclie 
Länge  in  der  Zeit  der  metrischen  Kürze  ausge- 
sprochen, ist  also  gleich  dem  sforzaudo  in  der 
Musik. 

565. 
Hieraus  folgt  unwidersprechlich ,  dass  die 
prosodische  Länge,  welche  die  metrische  Kürze 
rcpräsentirt,  im  Verse  durchaus  nicht  das  Maas 
der  Länge,  sondern  der  Kürze  habe.  Eben 
darin  besteht  auch  ihre  ganze  Wirksamkeit  und 
ihr  ästhetischer  Charakter,  dass  sie  den  Gehalt 
einer  Länge  in  die  Zeit  einer  Kürze  zusammen- 
drängt. Es  ist  daher  ein  Ii'rthum,  wenn  Voss 
( Zeitmess.  S.  io5.)  den  trochäischen  Dimeter, 
wegen  des    Spondeus  im  Viervierteltakt; 

e.  a    9    0    \    e.  e    e    ä 
Bürgerwohlfalirt  saun   er  rastlos," 

und  eben  so  den  iambischen   Trimeter; 

Jl  J-d^J  Jl  J..N  Jl  J..N^ 

Arbeite   mutvoll ,   Träge   üielit    Cllickseligkeit, 

messen  will.     Das  Maas  bleibt  allezeit  der  Sechs- 
achteltakt : 


(lüi-    ktztcri    öylbö    in    metrischen    Reihen.  5;ö 

Schwer  drllckt  geheimnissvoller  Welssaguiiäen  Last. 

Die  bezelclmetcn  Stellen  haben  bloss  repräsen- 
lirende  Länge,  cl.  b.,  sie  sind  zwar  prosorliscU 
lang,  baben  aber  im  Vers  das  Maas  der  Kürze. 
Wenn  der  Deklamator,  der  iiberbaupt  nicht 
seharf  skandiren  soll,  diese  Länj^e  nicht  im 
strengsten  Maas  der  Kürze  ausspricht,  sondern 
zuweilen  (wenn  keine  Cäsar  unmi Heilbar  vorber- 
gelit)  der  Lunge  des  Trochäen  etwas  abbricht, 
um  CS  der  kraftvollen  Kürze  zuzusetzen,  so  än- 
dert dieses  das  eigentliche  Maas  des  Verses 
nicht;  auch  lässt  sich  dieses  Davon-  vmd  Dazu- 
thun  nicht  berechnen,  eben,  weil  es  Sache  der 
deklamatorischen  Kunst  ist.  Mcuisch  bleibt 
das  Maas  dieser  repräscntircndon  Länge  allezeit 
das  der  Kürze. 

566. 

Es  ist  anffcdlend,  dass  Ilcrmaun  das  wahre 
Maas  dieser  repräsentirendcn  Länge ,  wenn  auch 
nicht  den  Grund  der  Repräsentation,  an  einem 
Ürie  einzusehen  scheint ,  während  er  doch  ,  wo 
von  der  wirklichen  Messung  solcher  Sylben  die 
Rede  ist,  seine  eigne  ISIeinung  vergisst,  imd 
ihnen  das  Maas  zweizeitiger  Längen   zuthcilt. 

Er  sagt  nämlich  (De  Metris  S.  29.):  nullo 
numeri  dispendio  in  fine  ordinum  promiscue 
lüuga  vel  brevis  syllnba  poni    polcit,   (piae  qui- 


SjG        Allgemeiner    Tlieil,      Von   dem  Maas 

tlcm  liac  sempcr  mensura  esse  crecliiur,  quam 
numerus  exigit;  und  eben  so  (Metrik  §.48.  S.  22.): 
Man  sieht  leicht,  dass  die  ganze  Lehi'e  von  der 
unbestimmten  Sylbe  sich  eigentlich  bloss  auf  die 
Prosüdie  bezieht.  Denn  durch  den  Rhythmus 
ist  natürlich  das  Maas  dieser  Stelle  eben  so  ge- 
nau, wie  das  der  übrigen,  bestimmt,  und  sie 
mag  in  dem  Worte,  das  an  einer  solchen  Sylbe 
(Stelle?)  steht,  lang  oder  kurz  seyn,  so  hat  sie 
doch  in  dem  Verse  nur  4as  vom  Rhythmus  be- 
ßliinmte  Maas. 

Gleichwol  misst  Hermann  (Vorrede  S.  XXIII.), 
um  seine  Meinung  von  der  Taktlosigkeit  der 
Pdiythmen  durchzusetzen,  in  einer  Stelle  des  Pin- 
darus  alle  repräsentirenden  Längen  eines  trochäi- 
schen Verses  als  zweizeitig;  wodurch  denn  frei- 
lich jenes  taktlose  Gewirr  entstehn  muss,  das 
uns  die  Metx'iker  als  unbegreifliche  Schönheit 
anrühmen.  VVie  Hermann  jene  Stelle  des  Pin- 
darus,  seiner  Meinung  nach,  für  die  Musik  be- 
cfuem  mischt,  ist  früher  gezeigt  worden.  Jetzt 
wird  das  wahre  Maas  und  der  Rhythmus  dieser 
Stelle  begreiflich  seyn,  nämlich: 

1  ^  1   ^  I  j   ^  1   f^  1  ^  f^  >  ^  ^  >  I  J 

V  V 

yQVGftt  (poQfAty'i  ^ A-nollcüvog  KUt   ion\oKaf.i(av  y 

Froli  begriisst  Wohllaut  des  Frühlings  blütcn^efejerten 

Tanz. 


Öer  letzten  Sylbe  in  metrischen  Reihen.  377 

—     km>     —     »-^       I       ^     s^     >m*     m^ 

m    m    •    ft     \    9.  e^  m    ä. 

ÜVvdlKOV    MoiQttV     HTfUVOV, 

Fluss   und  Wald  rauscht  jubelnd  im  Chor , 

oder,    wenn   man   den   Satz   als    zusammenliän-^ 
genden  Vers  betrachtet: 

i  n  ^  I  j  .^J  ^  \  .\VAV  I  J.J  j"  1  j  ,\\^'^  I  'j. 

Moiaav  -/.naiov , 
(vergl.  wegen  des  -vorletzten  Taktes  388  ff.) 

wodurch  in  der,  angeblich  taktlosen,  Pteihe,  dei' 
wirkliche  Takt  zum  Vorschein  kommt.  So  dai'f 
man  sich  auf  die  Theorie  und  das  Gehör  der 
sprachgelehrten,  aber  musiklosen  Metriker  ver- 
lassen ! 

067. 
Verse ,  in  welchen  dieser  Zusammenhang  der 
Perioden  nicht  anschaulich  gemacht  werden 
kann,  weil  die  rhythmische  Form  auf  der  Ar- 
sis  schliesst ,  und  die  Thesis  nur  idecU  im  Punkt 
vernehmen  lässt,  erscheinen  daher  immer  von 
etwas  lockerm  Zusammenhang  und  fast  abgestos- 
sen.  Dahin  gehören  die  kretischen  und  chori- 
ambischen. Vielleicht  fühlte  Horatius ,  dass  in 
choriambischen  llhythmen  deswegen  aucli  der 
Wortrhythmus  choriambischen  Schritt  halten 
müsse,  und  beobachtete  darum  die  choriam- 
bische Ciisur  im    asklepiadischeu  Vers,     dem  er 


578         Allgcniöiner    Theil.       Von    dem    Maas 

clioriamLisclx  (lachte,  sorgriiltigtT,    als  die  Grie- 
chen. 

568. 
Dieser  Zusammenliang  der  metrisclien  Reihen, 
durch  die  Kraft  der  verhiudenden  Thcsis  (  J*^  ), 
ilndet,  der  Natur  der  Sache  nach,  nur  dann  Statt, 
wenn  mit  der  erüleu  metrischen  Reihe  nicht  zu- 
gleich eine  rliythmischc  Reihe  sich  endigt,  son- 
dern der  Rhythmus  vielmehr  aas  einer  Periode 
in  die  folgende  übergreift.  Denn  endigte  sich 
der  Rhythmus  mit  der  metrischen  Reihe  gleich- 
förmig, so  wären  beide  Perioden  nicht  sowol 
mit  einander  verbunden,  als  vielmehr  in  lyri- 
scher Antithese.     Z.  B.  in  dem  Dimeter: 

^-^1 .  -  ^ 

Morgenröthe  ,    goldne   Frühe , 

sind  beide  Perioden  in  lyrischer  Antithese 5  in 
folgender    hingegen : 

—  «^..«^    1    —  »kf  —  ^j 
Stille  Nachtwallfahrt    der  Jungfraun , 

WO  der  Rhythmus  nicht  mit  der  Periode  schliesst, 
sind  sie  durch  die  Kraft  der  Thesis  anschaulich 
verbunden. 

069. 
Wenn   mit    der    metrischen    Reihe    zugleich 
eine   rhythmische   schliesst,     so    ist   diese   Reihe 
vollkommen  geschlossen.     Gewönlich  findet  die- 
ser Haiiptschluss  Statt  am  Ende  des  Verses,  oder 


tier  letzten   Sylbe   in  metrischen    Reihen.  3-a 

eines  solchen  Yerstlieiles ,  der  mit  dem  andern 
iu  lyrischer  Anlitliese  steht.  Wie  nun  die 
Schlusslhesis  verbuiidener  Perioden  den  Cha- 
rakter des  Weiterstrebens ,  des  Hervorhringens 
einer  neuen  Periode,  annimmt,  so  hat  die 
Schlusslhesis  der  Periode  in  der  lyrischen  An- 
tithese den  Charakter  des  Vollendeten,  Be- 
schlossenen, Ruhenden;  denn  der  Pihythmus 
hegränzt  das  Metrum  an  der  Stelle,  wo  es 
selbst  sein  Ziel  gefunden  hat,  und  beide  Prin- 
cipe sind  zu  ilirer  ursprünglichen  Vereinigung 
zurückgekehrt. 

Wie  aber  jenes  W^eiterstreben  und  Hervor- 
bringen einer  neuen  Pei'iode  anschaulich  wer- 
den musste,  so  auch  dieses  Ruhen  des  vollen- 
deten rhythmischen  Satzes. 

Dieses  Anschaulichwerden  besteht  darin,  dass 
der  Schluss  des  Rhythmus  die  ursprüngliche, 
bestimmunglose  Urform,  in  welcher  nOch  Me- 
trum und  Pihythmus  uagctrennt  liegt ,  hören 
Iksst.  In  dieser  |LIrform  erscheint  der  Rhythmus 
bloss  als  -Bild  und  Gegenbild,  mithin  frei  von 
Quantitätbestimmungen.  Die  Schlusslhesis  muss 
also  hier  ebenfalls  quantitätlos  erscheinen,  bloss 
als  iNachhail  der  Arsis.  Wo  nun  die  Arsis  eine 
Länge  ist,  da  \\ird  ihr  auch  die  Thesis  als  the- 
tische  Länge  nachhallen.  Allein,  weil  die  nach- 
gcjjildele  Urform  des  Rhythmus  qiianlilällos  ist, 
•so   kann  diese  nachliallende  ihelisehe  Läns/e  nur 


33o        Allgemeiner    Theil.      Von   dem    Maas 

eine  prosodische  Länge  seyn,  während  sie  im 
Verse  selbst  nur  das  Maas  hat,  welches  das 
Metrum  des  Verses  fordert.  Wir  werden  diese 
Art  der  repräsentirenden  Länge  mit  dem  Zeicheu 
J^  bemerken,  um  sie  von  der  (363.)  früher  be- 
merkten zu  unterscheiden.     Z.  B. : 

_^_3    I    -  ^  -  Z    I    _w-C    I    _^^- 

Morgenroth ,     wilikomraner   Liclitstral ,    sei    mir  &n« 

dachtvoll   gegrüsst. 

370. 
Es  kann  nur  bei  einem  flüchtigen  Uiberblick 
auffallend  scheinen ,  dass  vorwärtsstrebende  Thä- 
tigkeit  und  schliessende  Ruhe  gleichmässig  durch 
prosodische  Länge  anschaulich  gemacht  werden 
sollen.  Denn  bei  genauem  Aufmerken  unter- 
scheidet man  bald  den  verschiedenen  Charakter 
dieser  Längen.  Die  kräftige  übertönt  die  Arsis , 
welcher  sie  nachfolgt,  weil  sie  gewaltig  an  die 
folgende  andringt,  und  den  Grund  ihres  Ent- 
stehens ausspricht.  Deswegen  liebt  diese  Stelle 
besonders  eine  Länge,  welche  in  der  Arsis  des 
Wortrhythmus  steht.  Besser  ist  z.  B. : 
Rings   umher   graunvolle  Wildniss, 

als: 

Rings   die  furchtbarödo  "Wildniss  j 
denn  die  Commissur   des   Worts:    furchtbar- 
öde  fällt  auf  den  Schluss  der  Periode,  und  die 


der   letzten    Sylbö  in  metrischen    Reihen.  58 1 

Thesis  Im  Wort:  furchtbar  auf  die  llielische 
Stelle  im  Metrum.  Daher  klingt  etwas  von  ly- 
rischer Cäsar  durch,  welches  dem  Fortschrei- 
tenden gerade  entgegengesetzt  ist.  Die  ruhende. 
Länge  hingegen  liebt  thetische  Längen  im  Wort- 
rhythmus, weil  sie  der  Arsis  als  schwacher  Wi- 
derklang nachhallen  soll,  z.  B. : 

Uiberall   umtÖnt  von    Wohllaut. 
Dieser   Charakter   des    Nachhallens   ist    so  wirk- 
sam,   dass  er  selbst  die  fehlende    lyrische  Cäsur 
ersetzt,    z.  B. : 

Als  um  Mitternacht  die  s  chicks  al  volle  Kriegsai-heit 

begann. 

Ein  geschickter  Eliapsode  wird  den  Unterschied 
dieser  beiden  Arten  repräsentirender  Längen  nie- 
mals verfehlen. 

571. 
In  diesem  Charakter  der  nachhallenden  Länge 
liegt  wahrscheinlich  der  Grund ,  warum  im  iam- 
bischen     Trimeter    statt    des    vierten    Trochäen 
nicht  gern  ein  spondeischer  Wortfuss,  oder  Wort- 
ausgang, gesetzt  wird.     Der  Vers  würde  nämlich 
bei    der   gewönlichen    Cäsur   nach    dem   zweiten 
Ti'ochäen,  zum  zweitenmale  lyrisch  geschlossen, 
und  verlor  den  Jambischen  und  sogar  deu  dra- 
matischen Charakter.      Nicht  gut  ist  daher: 
tpaixiv  namarovg  ol  nov^jQot  rovg  y.aXovg , 
Feindselges    Buiidiiiss    schliesst  zum    A  11  f  ruh  r  jedf) 

Stadt , 
tind  besser  die  Stellung: 


5^2         Allgemeiner    Theil.        Von    dem   Maas 

Bald    schliesst    ^um     Aufrulir    jede   Stadt   feindselgCÄ 

Ennd. 

Deswegen  will  man  aucli,     wenn    man  diese 

Cäsur   nicht   ganz    vermeiden   kann,     doch    den 

vollen  lyrischen  Schluss  nicht   durch  die   Länge 

noch    hörbarer    machen,     und    zieht   an    dieser 

Stelle  den  Trochäus  dem  Spondeus  vor,  z.B.: 

iliv'/Qog  not  avTO)v  ■&fQ!iov  utfiu  TcUTut,   Sofokl. 

Mit  jeder   Gallin   "wird   die   Reue   dir  yerraält, 

trennt  man  diese  nachhallende  Thesis  von  ihrer 
Arsis  durch  eine  Cäsur,  so  v/ird  der  lyrisclie 
Charakter  des  Schlusses  gestört,  was  in  der  oft 
angeführten  Cäsur  des  heroischen    Verses: 

Schönheit   selbst  und  Geschlecht  gibt  Alles   der  gross© 

Monarch:    Gold, 

der  Fall  ist,  und  in  allen  andern  Versen  mit 
thetischem  Schluss,  z.  B. : 

big  7i£vt]g  d^fXo)t>  i'/^eiv ,    act  nlovaiog  nXeov  o'/^etv. 

372. 
Da  diese  rcpräsentirende  Länge  nur  auf  der 
Schlusssylbe  einer  (metrischen)  Reihe  vorkom- 
men kann,  wie  die  rcpräsentirende  Kürze  nur 
auf  der  Schlusssylbe  einer  (rhythmischen)  Reihe 
in  der  Arsis  vorkommt ,  so  wurden  die  Meti-iker, 
die  beide  Arten  von  Reihen  nicht^  unterschie- 
den, zu  der  Meinung  verleitet,  die  Schlusssylbe 
sei  überhaupt  von  unbestimmter  Quantität,  und. 
Hermann  hat  für  die  Länge,  wie  für  die  Kürze, 


der   letzten    Sylbe   in    mttrisclien    Reihen.  3S3 

den  Erklärunggrund,  dass  man  am  Ende  der 
Reihe  den  Verstoss  gegen  die  Regel  nicht  be- 
merke, und  der  Dichter  doch  nichts  davon  ha- 
ben würde,  wenn  er  sie  noch  so  pünktlich  be- 
folgte. Das  erinnert  freilich  an  die  Verstösse 
gegen  den  reinen  Satz  in  der  Musik,  die  man- 
che Komponisten  sich  erlauben,  weil  sie,  an 
manchen  Stellen,  ihrem  Ausdruck  nach,  „sich 
mit  durchfressen."  E  smerkensw^erther  aber  ist 
folgendes:  Bekanntlich  lassen  die  Poetiker  (z.B. 
Iloratius)  den  Dichtern  die  Spondeen  (welche 
durch  rcpräsentirende  Längen  entstehn)  in  iam- 
bischen  und  trochäischen  Versen  nicht  bloss  als 
nicht  aufrallende  und  deswegen  verzeihliche  Ver- 
stösse gegen  die  Regel  hingehn,  sondern  sie 
fordern  sie  von  ihnen  als  Bedingung  der  Schön- 
heit und  Würde  des  Verses,  besonders  des  tra- 
gischen, den  sie  bitter  tadeln,  wenn  er  dieser 
Zierde  ermangelt.  Lässt  sich  nun  wol  ein 
durchschlüpfender  Fehler  als  Zierde  denken, 
oder  ist  wol  die  Theorie  gründlich  zu  nennen , 
welche  Schönheiten  des  Verses  (und  zAvar  nicht 
scherzhafte  jNaivetäten,  oder  Parodieen)  aus  Ver- 
stössen gegen  die  Richtigkeit  erklärt,  die  man 
ntir  an  dem  Ort,  wo  sie  verschuldet  werden, 
nicht  bemerkt? 

575. 
Die  rcpräsentirende  Länge  auf  der  Schlass- 
thesis  der  metrischen  R«ihe  gehöi-l,  wie  wir  g<?- 


584        Allgemeiner    The  II.       Von   dem   Maas 

sehn  haben,  nicht  sowol  der  Richtigkeit,  als 
vielmehr  der  Schönheit  des  Verses  an.  Sie  wird 
also  dann  unstatthaft  seyn,  wenn  der  Charak- 
ter, den  sie  darstellen  soll,  nicht  im  Verse  vor- 
handen ist.  Dieser  Fall  tritt  ein,  wenn  der 
Periode,  die  als  hervorbringend  gedacht  wird, 
nicht"  eine  ganze  Periode  folgt,  sondern  nur  ein 
Moment  derselben.  Hier  würde  die  Sclilussthe- 
sis,  wenn  sie  die  Länge  annehmen  wollte,  eine 
Kraft  darstellen ,  die  zar  Entwickelung  eines  ein- 
zigen Momentes  unverhältnissmässig  gross  scheint, 
z.  B. 

—     %l^     —     wy       [       — 

banger  Angstausruf, 

und  zugleich  würde  die  Häufung  der  Längen, 
besonders  in  thetischen  Schlüssen,  dem  Verse 
ein  aufgeschwollnes ,  ungeschicktes  Ansehn  ge- 
b6n,  z.  B. : 

^  *^  -  w    I 

heiige   Festnachtwallfahrt. 

In  solchen  Fällen  kann  daher  die  Länge  auf 
der  Schlusssylbe  der  Periode  nicht  Statt  finden. 
Deswegen  verliert  aber  die  Periode  nicht  den, 
anschaulichen  Ausdruck  des  Hervorbringens, 
sondern  sein  charakteristisches  Zeichen  tritt  nur 
um  eine  thetische  Stelle  zurück,  wie  auch  der 
VV^ortaccent  bei  Verlängerung  des  Wortes  oft 
seine  eigentliche  Stelle  verlässt,  z.  B. : 


letzten    Sylbe   in   metrischen    R»ilteu.  38s 

Angstausruf  ertönt, 
oder : 

unwirthbare    Felskluft. 

Die  Anwendung  dieser  Sätze  auf  den  Yers  zeigt 
sich  bald.     Im  Tetranieter: 

Wenn   des    Glücks    uralter    Dämon   nicht    Tora   Ileet 

treulos    entwich , 

Stellt  jede  rcpräsentirende  Länge  am  Schluss  der 
Periode,^  und  die  Stellung: 

---■-'    I    -  <-  - 
nicht  treulos   vom   Pleer   entwich, 

■v\"är    felilerliaft.      Man  verkürze  aber  den  Vers; 

Wenn    des    Glücks    uralter     Dämon     nicht     treulos 

entwich , 

SO  ist  diese  Stellung  in  der  zweiten  Hälfte; 

-  Z .   I   _ 

nicht   treulos   entwich  , 

richtig ,  und  die  Länge  auf  der  Schhisssylbe  der 
Periode  war  fehlerhaft. 

Durch  diese  Rückung  der  repräsentirenden 
Länge  entsteht  die  Form  der  Dipodie  _  _  _  ^ , 
die  man  nur  nicht  als  allgemeine  Form,  sondern 
bloss  als  bedingte  betrachten  darf,  um  nicljt 
über  ihre  Natnr  und  Bedeutung  za  irren. 


506         Allgemeiner    Theil.       Von    dem    ülfla« 

574. 
Was  hier  vom  Ende  des  Verses  gesagt  ist, 
darf  man  nicht  auf  das  Ende  einer  rltythmi- 
schen  Pieihe  in  dem  Vers  bezielm;  denn  indem 
der  Vers  nach  dem  Ende  jener  rhythmischen 
Reihe  noch  fortgeht,  erzeugt  die  Periode  nicht 
Hoss  das  zum  SchUiss  des  Rhythmus  nöthige 
Stück,  sondern  die  ganze  Periode  des  fort- 
schreitenden Verses.     Der  Pihythmus   z.  B.: 

_    s^    _    w     I     _ 
Sank    geläutdurchtönt, 

ist  im.  Tetrameteranfang  vollkommen  richtig, 
denn  die  Periode  geht  fort: 

Sank  geläutclurchtönt   der  Abend, 

Oft  wird  man  daher  die  Unregelmässigkeit  ei- 
nes Verses  nur  scheinbar  finden,  indem  ein 
solcher  Schluss  nicht  dem  Ende  eines  Verses, 
sondern  nur  einem  Rhythmus  in  demselben  an- 
gehörte, z.  B. : 


Dort  hallt  Wehklagruf, 
aus   üder  Felskluft, 

i.sl  ein  einziger   Vers: 


.'^  IJ.J  ,N  J  ^N.M  J.  J 


der  letzten   Sylbe    in    melrisclien    Reiher.  537 

8er  in   dem   ehcu  Gesagten  seine  völlige  Erklä- 
rung findet. 


375. 


In  Laccliisclien  und  palimbaccliisclien  Versen: 


Die   Anmuth,   o  Jungfraun,   gewinnt  mehr,   denn  Schön- 
heit,     Voss, 

■würde  die  Länge  auf  jeder  Schlusssylbe  der  Pe- 
rioden der  Scliöiilieit  des  Verses  Eintrag  thun, 
indem  alle  Manniclifaltigkeit  gestört,  und  sogar 
die  Verwechselung  mit  molossischer  Bewegung 
möglich  würde: 

z  \  —  3|  —  z  \  —  ri  — 

"Wo  sich  der  Vers  lyrisch  in  zwei  Hälften  theilt : 
Z  \ w| ii-^r ^1 

Dort  lebt   ohne    Mühsal   ein  frohsinnges  Bergvolk  , 

da  gilt  von  der  lyrischen  Vershälfte  dasselbe , 
"Was  vom  ganzen  Vers  gilt,  nämlich:  das  Ende 
darf  mit  Längen  nicht  überhäuft  werden ,  und 
die  Sylbe  vor  dem  Schluss,  dem  arsischen,  wie 
dem  thetischen ,  muss  die  natürliche  Quantität 
behalten.  Lst  diese  lyrische  Theiluug  nicht  vor- 
Jianden,  so  wird  sich  der  Dichter,  wie  jeder 
^ndre  Künstler,  vor  Uiberladuug  mit  dem  Cha- 
raklcrislischcn  zu  hüten  haben.     Der  %ers: 


den  man  Tür  einen  doclimischcn  mit  zwei   Kre- 


383         Allgemeiner  iTheil.        Von    dem   Maas 

likern  sdilicssendcu  Vers  anseliri  köiiule,  zcln 
sich  hald  als  ciu    baccliisclier: 

Z    i Z    \ -'I- -1- 

'■^     1       i       1      M     J       I       >     1       I       !       ^     1      I 
Dort   flamait  ohne   Rast  rotho   Glut    himmelan  ^ 

und    so    ist    die    etwas    sonderbare     Form    de« 

Doclimlers    Z Z  -    gewiss    nur   sehr   selten 

vorhanden,  wo  sie  dann  bloss  als  ein  rhythmi- 
sches Zurücktreten  in  die  Alterthiimlichkeit  de« 
Accentes  zu  betrachten  ist.  (33o.) 

076. 
Wir  haben  die    letzte   Sylh3    der  metrischea 
Periode  jetzt   als    ursprüngliche    Kürze  betrach- 
tet.      Die    Uibersicht    der    metrischen    Formen 
zeigt  aber,  dass  diese  Thesis  auch  als  ursprüng- 
liche Länge  vorkommen  kann,    nümlich    in   der 
Form :  g',  j.    wo    beide    Hauptmomente   der   Pe- 
riode  uuzerfallt   bleiben.       Denn    war   das  erste 
Moment  zerfällt,    z.  B.  in  der   kretischen    Form 
(  *   e*  J.  )  ?  stJ  nähme  die  Hauptthesis   gegen  die 
Vüi'hergehende     Thesis    zweiter    Ordnung    arsi- 
schen  Charakter  an;  man  könnte  also    nicht  sa- 
gen: sie  sei    lange    Thesis.       Was    nun  von  der 
Dipodie  gilt,  versteht  sich  auch  von  der  Tripo- 
die,     wo     die    lange     Thesis    in    den    Formen: 
l  ;^  J.  J.  und  J.  J.  J   j^  vorkommt. 


der   letzten    Sylbe    in    inctiischen    Ileiheii.  ö8() 

377. 
Da  diese  Tliesis  iirsprünglicli  lang  ist,  so 
hat  sie  schon  den  Charakter  des  Fortslrebeiis , 
welcher  der  ursprünglich  kurzen  Thesis  ei'st 
durch  die  repräsentii;ende  Länge  beigelegt  wird. 
AYo  also  jene  in  der  Mitte  einer  rhythmischen 
Reihe  vorkommt,  da  bleibt  sie  zwar  unverän- 
dert, sie  muss  aber  ihre  Länge  prosodisch 
streng  behaupten,   z.  B, 

I  J   1  J   ^  '   1   I  J  J^  !  J  J 

fOVTO)    öicnoTug  (ivoiocg  xe  -  v.h]ixu-^ , 
■\V  e  li  m  u  t  volles  Lied    trostloser   Sehnsucht  j 


«.  gl.    I    •««#•«    e      I    •    e    *    e      1    •  •  «, 
L}]Qiv   dfdof.iiv7]v  uyu&r/V  ifivkuaus  acivrat. 

Aufschwingt    zu    dem   Olymp    sich    in    niäch^em 

Flug   die  Kühnheit, 

sonst  würde  sie  den  Vei'S  verwirren ,  z.  IP. : 

—  »<    I    —  «»<  — 
Deines  Volkes    Ruf, 

noch  mehr,   wenn  der  Wortrhythmiis    über  di? 

Periode  wegreicht; 

—  w    I    ^  «^  _ 

Eichenkranz    belohnt. 

Zur  liebung  dieser  Thesis  dient  ludessen  noeli 
die  Wortstellung,  indem  eine  stark  accentirte, 
und  der  folgenden  sieh  anschliessende  lange 
iSylbc  den  Platz  der  TIh  sis  rrfüllt. 


5 ijo        A 1 1  g e ni  c  1  n  er  Tii e i  1.        \'on    d em   Maas 

578. 
Wenn   diese  lange    Thesis    zuj^leich    auf  das 
Ende  einer  rliytlimisclien  Pieihe  fällt,    z.  B. 

Kränzt  die  Locken  mit  Efeu,  fiillt  die  Becher  mit  Wein, 

SO  ist  durch  die  lyrische  Caisur  die  Reihe  voll- 
kommen geschlossen,  und  der  Rhythmus  ist 
erfüllt,  sohald  die  Thesis  angeschlagen  ist.  Ob 
sie  am  Scliluss  des  Rhythmus  ihren  ganzen  Zeit- 
r,ehalt  erfülle,  ist  für  den  Rhythmus  gleichgül- 
lig  und  das  Metrurp.  ersetzt  das  au  dem  realen 
Moment  fehlende  durch  Pausen.  Die  lange 
Thesis  kann  also  in  lyrischer  Cäsur  durch  eine 
Kürze  repräsentirt  werden,  ohne  dass  Rhythmus 
oder  Metrum  dadurch  gestört  wird.  Dasselbe 
aber,  was  von  der  lyi'ischen  Ciisur  gilt,  ist  eben 
auch  von  dem  Ende  des  ganzen  \erses  güllig. 
In  obigem  Vers  z.  B.  konnte  die  erste  Hiilfte, 
statt: 

Kränzt  die   Locken  mit  Efeu 

cLca  so  richtig  heissen: 

%^       >*(       V.^         I  —       

Kränzt  die  Locken   mit   Rosen ,' 

wiewol   weniger   schön    und  volltönend,      Eben 
so  kann  aiu  Ende    des  \crses: 

Frohrauschend  empfingt  das  Gewog  wejsssfhäumender 

Meeriliit , 


der  lelzlen    Sylbe   in   metrischen    Reihen.  39 1 

Statt  des  Spondeus:  Meerflut,  der  Trocliaus: 
Fluten  stehen,  aber  der  \ers  verliert,  wenn 
auch  nicht  die  Richtigkeit,  doch  die  Yollto- 
uigktit. 

Im  tripodischen  Metrum  findet  dasselbe  Statt: 
der  llhylhnius: 

jNJ  J'J.J. 

"Wenn  kalter   Nordhauch, 
verträgt  am  Schluss  die  Kürze: 

AVenu  frostge  Stürme. 
Daher  findet  mau  beide   Formen  im  Alcäischen 
\'  ers  : 

Wenn   süsser  Wohllaut  über   die   Fluren  zieht, 
und  Silberquellen ,    froh  der  Entfesselung , 

die  Kürze  aber  nur  in  lyrischer  Gäsur.  Die  Stel- 
lung : 

Gern  wohnt  in  Blütenhainen   die   Nachllsall , 

Stört,  oder  verdunkelt  doch,  selbst  im  Munde 
des  geschicktesten  Khapsodeu,  die  waluc  Mes-» 
sung.      Hingegen: 

Gern   ■wolint  in  rrülilingshsiinea    die  Kachtigall , 

hält  sich  in  dem  tripodischen  Maas,  wiewol  die 
Ca  iir  übergangen   ist. 


3^2         Allgemeinei-   Theil,      Voji    dem    Maas 

58o. 
Die  Piichtigtcit  der  Sache  wird  noch  deulli- 
clier  an  Beispielen  im  Auftakt.     Im  epionischen 
Vers: 


^1    Ij^^^^l     I    I     11    ^IJi^'^'^J^IJ 

f>  \  t>  d  e.  s^  0  I  •.  0  '  '  9  I  •  ^  «•  «^  «  1  «. 
AV'ie   schön   aus   dunklem     Gewölk    blickt    des    Mondlichts 

lieblicher  Stral, 

nimmt    schon    der    einfache    Auftakt    eine    der 

drei  Zeiten  weg,     welche    die  lange    Thesis  er- 

iidlen    sollte.       Bei    zweisylbigem  Auftakt,  z.  B. 

im  galliambischen  Vers: 

'»^i|   r^i   ^ll   ^||J'^^ll   ^^^^|J 

lu   dem  Aug  entbrannten  Gluten,    die   Verkünderinuen 

der  Lust , 

ist  die  Kürze  selbst  durch  das  Metrum  gerecht- 
fertigt, wiewol  immer  die  Länge  vorzüglicher 
hleüjt: 

^^!  I  ^J  ^I  i  ^Ä•*l  i   ^^^^|   i 

(««      lae»«      \    o.  e.  a^  9      \    0    e    o    0    »      \    0. 
Wie    erbebt  iin   Glanz   die     Wcinlaub'    o    Beseliger   du  er- 
schienst.      Voss, 

So  erklären  sich  manche  Verse  sehr  leicht,  wel- 

t:lie  «lie  Melriker    zu    den   sonderbarsten   Hypo-» 

thesen  verleiteten ,  z.  B. : 

0^     \aa0.  07b\^.  0^0000 
"NVillkoramnes  Abends    erlabende    Dämmerung, 


der  Eu«Uylbe  des  flüchtigen    Daktylus.  SvjS 

Avo    Hermann   die    Leiden    nebeneinanderstellen- 
den unbesünimten    Sylben   durch    die   von   iluii 
ausgedacbte  Basis    (De  Metris.  S.  217.) 
^^_w—    i«»»ti—  ""«^  —  ■»/<«,» 
zu    erklären    sucht.       Ob   der   Metriker   hierbei 
wül  hören  mochte,    ^vas  er  bezeichnete? 

Dass  die  Verkürzung  dieser  von  Natur  lan- 
c;en  Thesis  dem  Vers  eine  Schönheit  entxieht, 
statt  ihm  eine  neue  zu  ertheilen,  ist  schon  er- 
innert worden. 

Vom  Maas  der   Endsylbe  des  flüchtigen 

Daktylus  am  Scldiiss  metrischer  und 

rhythmischer  Reihen. 

58i. 
Die  Schlussthesis  der  metrischen  Reihe  kommt 
nicht  blo»s  in  der  spondeischen  (••  *•  )  und  tro- 
chäischen (••*»),  sondern  auch  in  der 
Iribrachischen  und  flüchtig  daktylischen  Form 
vor. 

582. 
Die  tribrachische  Form  ist  nicht  als  Grund- 
form von  Versen,  sondern  nur  im  Wechsel  mit 
Trochäen    und    andern    Formen    bekannt.       So 
wechselt  z.  R.  der  trochäische  Vers: 
_^_3    I   _w_^ 

Durch   des  Lieds   anmuthgen  Wolillaut, 


594         All  2  ein  ei  li  er    Theil.        Von   dem    Maas 

an  jeder  Stelle  mit  Tribraclien ,  iiulem  di« 
Länge  des  Trochäen  sich  in  zwei  Kiii'zen  auf- 
löset 

In   des   Gesang«   anmtfthgem    Wohllaut. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  die  Schlussthesis  der 
metrischen  Periode  auch  dann  die  repräsenli- 
rende  Länge  annehme,  wenn  der  letzte  Tro- 
chäus trihrachische  Form  angenommen  hat? 
z.  B.: 


Schwebte  zu  der  lichtvollen   Sternbahu, 
»  r  —  t  —  I  w 

nov  (.wt  xa  la,  rcov  {lOi  tu  qqÖu  tiov  fioc  ra  '/.aXa  aeXiva 

"Wenn  dieser  letzte  Vers  iambisches  Maas  über- 
haupt hat,  wie  Böckh  behauptet.  Im  fortgeh- 
enden Hhythmus  findet  diese  Länge  allerdings 
Statt,  und  so  ist  der  Ausdruck  der  Theoretiker 
zu  verstehn,  dass  in  den  gleichen  Stelleu  tro- 
chäischer Verse  (dem  zweiten,  vierten,  sechsten 
Trochäen  u.  s.  f.)  der  Anapäst  statt  des  Tro- 
chäus Statt  habe.  Der  Ausdruck  ist  freilich 
nicht  der  glücklichste;  denn,  da  man  gewönlich 
die  Kürzen  des  Anapäst  im  Auftakt  ( w,  w  i  - ) 
hört,  so  klingt  es  sonderbar,  dass  der  Anapäst 
den  Trochäus  rcpräscutircn  solle. 


der  Eiulsylhe   des   flUclitigeü  Daktylu».  SgS 

383. 
In  der  lyrisclien  Cäsur  liiiigegen  würde  über- 
haupt die  Auflösung  derArsis  den  ganzen  Sclduss 
entslellen;  denn  der  Charakter  der  Thcsis  ist 
hier  jNachhail,  welcher  durch  das  Zerstückeln 
der  Arsis  aufgehoben  wird,  z.  B.: 

Uiberall  umtönt  von    Melodie. 

Gelehrten  Künsteleien  dieser  Art  werden  wir 
immer  das  einfache:  umtcint  von  Wohllaut, 
vorziehn.  Auch  ohne  die  lange  Endsylbe 
schwächt  die  aufgelösele  Arsis  schon  den  Cha- 
rakter des  thetischen  lyrischen  Schlusses ,  z.  B. : 

Grössre  stet»  und  kriegerischere  Haufen  drängt 

der  Feind  heran. 

Daher  dürfte  diese  Stellung  nicht  leicht  bei  vol- 
lem lyrischen  Schluss^  r.m  wenigsten  in  dem 
Ende  des  Verses  zu  brauchen  scyn,  z.  B.  im 
Schluss    anapästischer  Systeme: 

in  den   Staub   hiasLiirzte   den   Obelisk. 

384. 
Dass  der    flüchtige   Daktylus   des   Tribrachys 
Stelle    vcrirele,     isc    früher    schon    oft    bemerkt 
worden;     er   findet   daher    auf  jeder  Stelle    der 
rcriode  anstatt  des  Trochäen  sich  ein  z.  B.: 


SgS         Allgemeiner    ThoiL       Von     dem    LTaws 

XQriOiv  ohr^GTri(ju  Barjov  y.ct(iuoq.OQOv  lißvug  u(juv  , 

P  i  n  d  a  r. 

Mit  dem  ZwHIlngton.    des  Waldhorns  wechselte  fröhlicher 

Doppelgesang , 

nioht  bloss  ain  Schluss  der  Periode,  "wie  man- 
che gemeint  haben,  indem  sie  ihn  aas  der  Auf- 
lösung des  Spondeus  statt  des  Trochäus: 


—  *j  —  \j 


irrigerweise  erklärten.  Denn  ^a  diese  Länge 
das  Maas  der  Kürze,  also  Eine  Zeit  hat,  so 
kann  sie  nicht  in  zwei  einzeitige  Küxzen  aufge- 
löset  werden.  Es  fragt  sich  aber  hier  wieder, 
ob  der  Daktylus  am  Ende  der  Periode  auf  der 
letzten  Kürze,  gleich  dem  Tribrachys,  den  er 
repräsentii't ,  die  Länge  annehme  ?     Z.B.: 

Bunter  Elüten  r  e  i  c  h  t  h  u  in  des  Friihlhigs, 
Man  hört  den  Mislaut  bald.  Buntes  Blüten- 
geßld  hält  sich  im  Yers,  goldner  Frucht- 
reichthum  gleichfalls.  Die  Endlänge  im  Dak- 
tylus zeigt  sich  also  dem  Gehör  als  unstatthaft. 
Dass  : 

—    o    —    o(j1   —    u    —    "J 
Müde   Rosse  bergauf  sich    ahraüün, 

im  Verse  sich  halte,  werden  nur  die  behaup- 
ten, welchen  ein  steigender  Spondeus  (bergauf) 
mit  demlambus  (hinauf)  gleich  tönt.  Richti- 
ger ist: 


der    ÜJidsyltie    des   llüchtigen    Daktylus.  697 

Müht  bergauf  sich  das  matte  Samnross. 
Der  Gruiicl  liegt  in  der  Natur  des  flüclitigea 
Daktylus ,  der  schon  *ile  Kraft  in  seiner  ersten 
Ai*is  versammelt  hat,  und  daher  ohne  Uiber- 
ladung  und  Widerstreit  nicht  auch  die  letzte 
Sylbe  verstärken  darf.  Wie  die  Periode  sicli 
dennoch  al$  hervorbiungend  charakterisirt,  wird 
bald  näher  bestimmt  werden.  Uiberhaupt  schlies- 
sen  sich  die  flüchtigen  Daktylen  schon  von  selbst 
lebhafter,  als  die  Trochäen  an  die  folgende  Ar- 
sis  an,  so,  dass  in  der  daktylischen  Form  be- 
reits der  Charakter  des  Fortschreitenden  an- 
schaulich dargestellt   ist. 

385. 
Eine  andre   Frage  ist:     ob    die    Schlasssylbe 
in  flüchtig  daktylischen  Rhythmen  unbestimmt 
sei,     und    also    die  Länge   statt  der    Kürze  ge- 
statte?    Z.  B. 

E.uft  ZU  Jt-m  hciUgca  Kampfe  das  Vaterland. 

Die  Theoretiker  behaupten  es  ,  nach  ihrer 
lUgcl:  die  Endsylbe  der  Reihe'  (ob  metrisch, 
ob  rhythmisch,  unterscheiden  sie  nicht)  sei  un- 
bestimmt. Die  Dichter  haben  auch  '»viiklich 
dieser  Freiheit  sich  bedient,    z.  B. : 

noct  ßt^aaug  Cqiwv  Sv<r rtumaXo  vg,  n'tog  ^¥  i(p  vß'iS.- 


3g3  Allgemeiner    Tlieil.       Von    dem    Maa» 

und  für  solche  Freiheiten  lässt  sich  allerflings 
nichts  als  die  Herniaunisclie  Bet[uemlichkeitsx*e- 
gel  anfuhren:  dass  sie  hingehen  mögen,  wo 
man  sie  nicht   sehr  hemcrkt. 

Wir     wüi'Jen    inJessen    den    Virtuosen    mit 
Grund  tadeln,  der  die  letzte  Note  der  Figur: 

••  *^  *    •    7  7 

I 

oder: 

^  l^  > 

l 

nicht  kurz  abfertigte,  sondern  mit  einem  langen 
Bogenstrich  gleichsam  darauf  ausruhete.  Soll- 
ten wir  also  am  Dichter  rühmlich  finden,  oder 
uns  dabei  beruhigen,    wenn  er  anstatt: 

Lippen,  wie   glühender  Morien     crröthende, 
nach    jener   Freiheit : 

Lippen,   geröthet,   wie   glühender  Morgenstrahl,' 

boren  lies?  —  Der  Unterschied  ist  wohl  ziem- 
lich vernehmbar,  und  Aver  hören  kann,  wird 
sich  von  Hermann  nicht  üJjerreden  lassen,  man 
höre  den  Unterschied  zwischen  Lange  und  Kürze 
an  dieser  Stelle  nicht.  Weniger  auffallend  ist 
CS  freilich,  wenn  eine  Positionlänge,  oder  doch 
eine  nicht  gedehnte,  sondern  scharfe  Länge 
schlicsst,    z.  B. : 

Blickte   das   Auge ,  so  mild  und  so   liebevoll. 

Docli  wird  ein  geschickter  Yersbiidner  selbst 
solche   Stellungen   nur   als   Ausnahme    und   nur 


der   Endsylbe   des   üächü^rsn   Da'^tylus.  Sgg 

dann  gebrauchen,     wenn    er  der  grossem  Kor- 
rektheit  grössere    Schönheiten    des    Ausdruckes 
opfern     mllsste;     denn    vom     Dicliter     verlangt 
man  mit  Recht  eine  solche  Gewandtheit  im  Den- 
ken, und  eine  solche  Vertrautheit  mit  der  Spra- 
che, dass  ihm  die   Gedanken   ohne    langes  Sin- 
nen   gleich    im    anständigen    Wortgewande   er- 
scheinen.      Oder    würden   wir  die  Ungeschickt- 
heit  dessen  rühmen ,  der ,  anders  als  im  Scherz, 
ein   Sonnet   mit   dem    Reimwort    Mensch    an- 
fangen wollte,     und  dann  sich  quälte,     weil  er, 
seihst  mit   der   Diogeneslaterne    aller  Wörterbü- 
cher,    kein    Gegenstück   in   der   Sprache   finden 
könnte?     Horatius  scheint  dieses  gefühlt  zu  ha- 
ben j     wenigstens   vermeidet  er  sorgfältig  in  der 

Ode  (I.  4.): 

Solvitur   acds   hiems   grata  vke  Verls   et  favoni, 
die  lange  Endsylbe  des  letzten  Daktylus.     Hier- 
aus widerlegt  sich  auch  die  Hermannische  Theo- 
rie des  sinkenden  lonikers.       Nach    diesem  Me- 
triker  nämlich    soll   jeder   ionische   Fuss   seinen 
eignen  ßhytlimus  haben,    und    durch  keine  pe- 
riodische Reihe  mit  dem  andern  zusammenhän- 
gen;   deswegen  soll  das  Maas  der  Endsylbe  des 
ionischen  Fusses  unbestimmt  seyn,  und  der  lo- 
niker  mithin    diese  Form:   S  S  ^  -   annehmen, 
wodurch  denn  der  loniker  zugleich  der  trochäi- 
schen Dlpodie    ( _  J  _   y  )  und  der  iarabischen 
(  ^  -  •  -  )    gleichgGselxl  wird.      Ai4f  diese  Art 


H.OO  Allgemeiner  TheiL 

wird  also  nicht  allein  tier  Endsylbc  des  loni- 
kcrs  in  einem  Illiythmus  die  unbestimmte 
Sylbe  gestattet,  z.  B.  : 

—  o    —    u    —    —    uo     I     —    o    —    O    —    u 

y.at  ro  f.u]  na^ov  f^i 7]  -Oekeip'  ovöe  ya()  aov  tariv, 
(auf  dieselbe  Art,  Avic  in  obigem  Beispiele: 
dvancnnuXovg^  sondern  der  End.sylbe  jedes  io- 
nisclien  Fusscs  als  einer  ( inelrisclien)  Beihe, 
gleich  der  trochäischen  Dipodie,  wodurch  denn 
freilich  Verse  entstehn  würden,  z.  B. : 

—  —   u—  !—   —    vj—  lu    —    u—  I  —   — 

Laut  ruft  das  Schladithorn  uns  zum  Kampf,   erhebt  das 

Schwert  muthvoll , 

WO  man  weniger  Gehör,  als  Theorie  besitzen 
muss,  um  den  gemeinten  ionischen  B.hythmus: 

W.  S.  e^  t>  I  #.  «.  «^  0  I  ».  «.  «^  0  \  e.  a  7 
herauszufinden.  Es  zeigt  sich  also,  diese  Her- 
mannische Form  des  lonikers  JL  ±  ^  —  dem 
Rhythmus  ganz  zuvrider,  und  avo  sie,  ausser 
dem  Ende  wahrer  rhythmischer  Reihen ,  bei 
Hermann  vorkommt,  ist  sie  nicht  im  Vers,  son- 
dern nur  in  der  falschen  Hermannischen  Mes- 
sung" enthalten,  z.  B.: 


1^     —     v^     —     I—     —     —     wl—     —     —     Ol 


Denn  dieser  Vers  hat,  wie  früher  erinnert  wor- 
den, folgendes  Maas: 


Von    dem  Maas    der    AuftaJttsylbe.  4oi 

o    —    u    I  — 

I-O-l Ol 

1    1  1  I  ^  j  I  !    I    >  1  j  j 

TOVTi'i  öianorag  ftpoiag  aeyJaj/Accc. 

Selbst  am  Ende  rhythmischer  Reihen  Ist  die 
Missform  S  J.  ^J  -  und  ,j  ^  c»  ^  nicht  so  oft 
vorhanden,  als  Hermann  sie  nachweisen  will, 
z.  B.  der  Vers : 

/  ,     '     '  ,     r  t 

\j     KJ      \J     —     yj       I       O     —     U—      I       \J     Kr     \j     —     \j       \      —     ^ 

hat  nicht  dieses  von  Hermann  angegebene  un- 
rhythmische Maas,  sondern  folgendes  ganz  mu- 
sikalische: 

KJ     ^     u     —     \^     ^      \     —     u    —     1      OUÜ    —    o      I      —    — 

^^^^^^!    i    ^J    i    ^t^ni    ^  \    \    i 

B    m    0    m.  e^  m     \4ite.    \mmädm      \    d.  ä. 

in  dem  geflücelten  Wechseltanz  mit  der  geliebten  Jungfrau^ 

ohne  irgend  eine  jener  Missformen.  In  den 
meisten  Fällen  Ist  auch  diese  Länge  zweideutig, 
wegen  folgendes  Vocales,  oder  blosse  Position- 
lange  ,  die  am  Schluss  der  llhythmen  nicht  mehr 
störend  ist,  als  der  Hiatus.    i^^Q'J.) 

Von  dem  Maas  der  Auftaktsylbe. 
386. 
Wir  sprechen  hier  nur  vom   einfachen    Auf* 
takte,  niclit  vom  zusammengesetzten.    (235.) 

26 


402      A 11  ä«»u  einer   Tlieil.       Vou  einer  besonderii 

Die  Auftaktsylbe  haben  wir  schon  oben  (234.) 
als  eine  Thesis  aus  einer  vorhergehenden,  aber 
jiur  in  dieser  Thesis  reell  vorhandenen  metri- 
schen Reihe  kennen  gelernt.  Dass  sie  ideell 
ganz  vorhanden  sei,  zeigt  noch  die  vormalige 
Art  der  Bezeichnung,  welche  die  ideellen  Mo- 
mente durch  Pausen  angab : 

-  d"l   d  d   I   d  - 

Betrachtet  man  nun  den  Auftakt  als  Thesis  der 
vorhergehenden  metrischen  Reihe,  welche  die 
folgende  unmittelbar  an  sich  anknüpfet,  so  gilt 
von  dem  Auftakt  dasselbe ,  was  von  der  verbin- 
denden Thesis  im  Allgemeinen  (563  ff.)  gesagt 
ist.  Soll  diese  Verbindung  anschaulich  darge- 
stellt werden,  so  erfordert  die  Auftaktsylbe  die 
repräsentirende  Länge ,  welche  ihr  auch  von  den 
testen  Dichtern  gewönlich  zugetheilt  wird,  z.B.; 

W|      —       W       —       «,»1—       W       —       S-|_W_ 

fi7j  TOiv  uQiCTtüv  UUT6XCI  ßovXevfiaxoiv.  Sofokle«. 
Arbeite  mutvoll,  Träge  flieht  Glückseligkeit.      Voss. 

"Wir  bezeichnen  sie  an  dem  Musikzeichen  eben- 
falls mit  dem  Häkchen  (  J  ).  Ihr  Maas  aber  ist 
dasselbe,  wie  das  Metrum  es  fordert,  also  kura 
in  iambischen  und  ähnlichen  Versen. 

38;. 
Die   Auftaktsylbe    ist    Thesis    einer    frühem 
metrischen  (nicht  rhytlimischen)  Reihe.     Wo 
sie  aho  im    Vers  vor  einer  bloss   rhythmischeu 


Art  der  reprasenllrenden  Länge.  4o5 

Keihe  (die  nicht  zugleich  eine  metrische  an- 
fängt) vorkommt,  kann  sie  die  repräseiuii-ende 
Länge  nicht  annehmen,  sondern  sie  bleibt  auch 
prosodisch    kurz ,    z.  B. : 

Fürwahr,  der  Argwohn    ist  der  Uibel  übelstes. 
Falsch  würde   seyn: 

Blick'  auf!  h  e  1 1  schimmernd  glänzt  im   Morgenstral 

das  Schloss. 

Denn  die  dritte  Sylbe  ist  zwar  Auftakt  einer 
rhythmischen  Reihe,  nicht  aber  zugleich  einer 
metrischen,  und  duldet  daher  nicht  die  proso- 
dische  Länge.  Da  Hermann  i'hythmische  vmd 
metrische  Kcihen  nicht  unterscheidet,  so  würde 
nach  seiner  Theorie  auch  eine  solche  Sylbe  die 
Länge  annehmen. 

Yon  einer  besondern  Art  der  reprasen- 
llrenden Länge. 

588. 

Ausser  den  angezeigten  Fällen  der  repräsen- 
tirenden  Länge  gibt  es  noch  einen,  sehr  häufig 
Vorkommenden,  aber  von  den  Grammatikern, 
und  besonders  von  Hermann,  durchaus  verkann- 
ten Fall  dieser  Länge. 

Die  repräscntirende  Länge  auf  der  Thesis 
(  J^  )  zeigt  die  Intention  an,  etwas  hervorzu- 
briogen;  was,  dem  gewönlichen  Lauf  nach,  nicht 


^o'-i       Allgcuic'i  uer    'i'heil.       \  ou    einer  bcsonderu 

ZU  erwarten  war.  Mit  der  Thcsis  war  eigent- 
lich die  metrliciie  Reihe  zu  Ende,  allein  sie 
äussert  ihre  Kraft  über  das  Ziel  hinaus.  Diese 
Intention  muss  aber  nicht  nolhwendig  auf  Her- 
vorbringung  einer  neuen  Reihe  gerichtet  seyn ; 
sie  kann  in  der  angefangenen  Reihe  selbst  et- 
was ungewönliches  vorbringen ,  und  die  darauf 
zu  verwendende  Kraft  durch  repräsentirende 
Länge  ausdrücken.  Dieses  ist  der  Fall,  wenn 
in  einer  angefangenen  Irochäischen  Reihe  sich 
ein  Trochäus,  oder  mehrere,  in  Daktylen,  di'ci- 
zeitige  nämlich ,  verwandeln.     Z.  B. : 

I      N    >    ^    >    ! 
Durch   die    bläuliche  Flut. 
Hier  nimmt  der  Trochäus  vor  dem  eintretenden 
Daktylus    auf  seiner    Thesis    gern    die    prosodi- 
sche  Länge  an  und  verwandelt    sich   also    in  ci- 
licn  Spondeus: 

!     >   ^   ^   ^  J 

Durch  biauv/ogtnde  FIuU 

Dieser  Spondeus  ist  aber  ebenfalls  nur  proso- 
discherwcise  Spondeus  ;  melrisch  betrachtet 
bleibt  er  dem  Trochäus    im  Maasse  ganz  gleich, 

009. 
Der  theoretische  Grund  hiervon  liegt  in  den 
oben    ausgeführten    Sätzen.       Ls    i^t   hier   bloss 


^  'N  ^  >  i  I   i 


Art  der  repiäsentlrenden  Längs.  io5 

nachzuweisen,  flass  die  Dichter,  von  ihrem  Ge- 
fühle geleitet,  diesen  Grundsatz  befolgt  haben. 
Die  Fälle,  dass  Daktylen  nach  Trochäen  ein- 
treten, sind  besonders  in  folgenden  \erseii  ent- 
halten: 

Im  Ferekrati sehen   Verse: 

■Wild  a  n  stürmende  Heerschaar  , 
olog  y.ai  Ilagig  tk{}(ov, 

im  Glykoiiischen   Vers: 

Non   praeter  solltum   Ices,      Horat. 
Solch'   a  b  scheulichen   I\Ioderätaul) , 

im  Faliikischen  Ilendekasyllahus: 

•    ^    •.  «^  •      \    0    0    m    0      \    et.  s. 
Schön  a  u  f  steigendes  Morgenroth  des  Festtags, 
Et  tristes   animi  levare   curas  ,       Catull. 

im  Asklepiadisch  en  Vers: 

-    Z ■    s^      \ ww^I-^- 

Nos  convivia  ros  praclia    virginum^      Hoiat. 
Auf  blondlockigem  Haupt  grünte  der  M}Ttenkvaii:, 

in  der  Foi'm  des  a  n  a  k  r  c  o  n  t  i  s  c h  c  n  \  erse^ ; 


4o5      Allgemeiner   Theil.      \on  einer  bcsondcrn 

j^ji\}  «^^'!J^l  J.J 

ixvafit^ufiev  /jtovvai'} ,      Anacreon,' 
in  der  monddurchleuchteten  "Lenznacht  ^ 

in  dem  epionischen    Vers: 

1^       I        —      V      —      «^«^       I        —      —      »^       I       —     *,»     —     fci*»*       I       mm 

^  I  •  -  /  »^ «   i  •.  ^  ^  i  <)  ^  •.  tf*^  •   i  «I. 

f^f«  TiQWTOv   (HSV    vjraQ/etv    navTOiV   iarj'/o^iuv» 

Empfangt   frohlockend  im  Festschmuck  der    Jungfraun 

tanzenden  Chor. 

üiberall  in  diesen  und  mehren  andern  ähnli- 
clien  Versen  findet  man  vor  dem  Daktylus  die 
rcpi^äsentii'ende  Länge  in  der  zweiten  Sylbe  des 
Trochäus.  Diese  unbestimmten  Sylben  haben 
sowol  die  Grammatiker,  als  Hermann,  in  den 
Vei'sen  bemerkt;  allein,  weit  entfernt,  den  wah- 
ren Grund  davon  einzusehen,  erschöpften  siclj 
jene  in  Aufzälung  einer  Menge  Verschiedenhei  - 
ten  des  ersten  Halbfusses  in  antispastischen  Ver  - 
sen,  und  dieser  verlor  sich  in  die  willkürlich- 
ste und  unhaltbarste  aller  Träumereien,  näm- 
lich in  seine  Lehre  von  der  Basis,  welche 
schon  früher  (238  ff.)  erwähnt  worden  ist.  Wir 
"werdeiv  später  bei  den  Versgattuugen ,  die  Her- 
mann nach  seiner  Basis  messen  Tvlll,  das  Wei- 
lcrc davon  anrühj'en  und  widerlegen, 


Art  der  repräsentlrenden  Länge.  4ü7 

590. 
Nach    diesem    Grund     der    repräsentirenden 
Länge    dürfte    sie    auch   in    trochäisclien  Versen 
Äuf    ungleicLen   Stellen  vor  dem  Daktylus  nicht 
befremden,  z.  B. : 

Wo  dumpflieulend  in  öder  Felskluft  jNaclitunholde  der 

Wolf  begrüsst. 

Allein,  wenn  auch  die  alten  Dichter  so  ge- 
schrieben haben ,  so  darf  man  sich  doch  nicht 
wundern,  dass  ilu'e  Verse,  nach  so  vieljähriger 
Bemühung  der  filologischen  Metiüker,  nur  in  der 
Gestalt  auf  uns  gekommen  sind ,  wie  sie  mit  der 
Meinung  dieser  Kritiker  übereinstimmen.  Bei-- 
spiele  solcher  Emendatiouen  haben  wir  an  dem 
Skolion  des  Hybrias  {'^-jQ.)  bemerkt.  Mehr 
finden  sich  in  Hermanns  Schriften,  wo  wirk- 
lich (de  Metr.  S.  118.)  ein  Spondeus  vor  eincDX 
Daktylus  : 

TTOvTog,  ^.ixcpi  6"  dxga  yvQiov  u()(fvop  iGTUTai 

V!(fOg,      Archilochus. 
Wenn  Gesang,  vom   "weitaushallenden  EarLiton  be- 
gleitet,  tönt, 

wegemendirt  wird.  Eben  so  wird  im  iambi- 
schen  Vers  auf  der  zweiten  Stelle  der  iambi- 
schcn  Dipodie  (  u  -  3  -  )  die  repräsentii'cnde 
Länge  statt    finden,   z.  B. : 

Fern   hallt  Krjegsdonner ,  die  Schlacht  beginnt ,   laut 

brülk  der   Tod, 


io8       Allgemeiner   Thoil.       Von    einer  Ijeaondeni 

aber  auch  diese  dürfte  grösstentliells  durch  kri- 
tische Emendatioaen  vcrscliwunden  seyn.  In- 
dessen werden  diese  Fälle  schon  darum  nicht 
sehr  häufig  seyn,  weil  die  bessern  Dichter  den 
letzten  Trochäen  der  Dipodie  lieber  in  spoudei- 
scher  als  daktylischer  Form  gebrauchen. 

391. 
Vor     dem    Tribrachys    statt     des    Trochäen 
wird  die  reprasentirende  Länge  nur   dann  Platz 
finden,     wenn   die    erste    Sylbe    des    Tribrachys 
iichei'  und  stark  accentirt  ist,    z.  B. 

Hochzeitliche ,   sehnsüchtige    Wehmut ; 
nicht  aber  umgekehrt: 

sehnsüchtige   hochzeitliche   Wehmut. 

Denn  diese  Sylbe  ist  accentlos.  Wo  der  Tri- 
brachys charakteristisch  steht,  um  Flüchtigkeit 
darzustellen,  thut  man  überhaupt  nicht  wohl, 
diese  Flüchtigkeit  durch  einen  vorschreiteuden 
Spondeus  zu  hemmen, 

592. 
In  lyrisch  zusammengefügten  Rhythmen,  de- 
ren  zweiter   Theil  bestimmt  die   flüchtigdaktyli- 
sche Form  hält,    wird    die  hervorbringende  ar- 
ßisclic  Natur   der   ganzen   ersten   Hälfte  zuweilen 


Art  der  repr'Jsentirenclen  Lajige.  4oa 

dadurch  anschaulicli  gemacht,  dass  diese  Jie 
Trochäen  ganz  verwirft  und  bloss  Daktylen,  oder 
Spondeen  annimmt,  z.  B.: 

Schau  hülfreich  auf  uns,  Flutcnbesäaftigorin  — • 
Heiljges  Prachtdenkmal  sinkt  in  den  grausen  P>.uiu. 
wodurch  der  Schein  entsteht,  als  sei  der  Spon- 
dcus  durch  Zusammenziehung  der  Kürzen  im 
vierzeitigen  Daktylus  entstanden.  Die  flüchtigen 
dreizeitigen  Wortdaktylen  solcher  Verse  zeigen 
aher,  dass  sie  der  angegebnen  dreizeitigen  Mes- 
simg angehören. 

395. 

Diese  Stellung,  so  wie  manche  andre,  gab  den 

.komischen  Dichtern  wahrscheinlich  Gelegcnlieit  zu 

karikirender  Parodie,  luid  so  entstanden  vielleicht 

manche   Verse,     die    den    Gesetzen  des  Metrum 

widerstreiten.     Zu  diesen  gehört  z.B.  die  Form: 


—    O     I^    — 


oIk    Old'   cog   i\uag  rcvO-^   txcji' ,      Aristo  f. 
ScJnvermutvoIl   aufseufzet   der   Hain, 

die  Lei  Horati  us: 

Te  Dpos    oro ,   Sybarin, 
Immerhin   sei   taub    der   Musik,      Voss. 

und  andern  in  reinem  metrischen  Verhältniss 
vorkommt,  und  noch  mehr  die  zweite  Hälfte  das 
Metrum  Eupolideum  j^olyschemalistum  : 


4io      Allgemeiner  Theil.      Bemerkungen    über 

ci)X  ovo"  wg  vfiag  nod-"  ivMv  n^cjÖMau   rovg  d(-* 

Itovg. 

Schwermutvoll  aufseufzet  der  Hain ,  laut  voll  Wehmut 

ächzt  der  Bach. 

VielleicLt  war  auch  das  Grundschema  dieses 
Verses  ein  Uiberrest  aus  der  Zeit  accentirter 
llhythmen ,  von  denen  die  Dichter  noch  im  Ko- 
mischen Gehrauch  machten,  so  wie  etwa  in  un- 
serer Zeit  der  vormals  angesehene  Alexandriner 
und  der  alte  deutsche  sogenannte  Knittelvers 
noch  humoristisch  gebraucht  wird.  Wenigstens 
wird  man,  ausser  den  Komikern,  selten  odt^' 
nie  dergleichen  Versformen  antrelFen. 


Bemerkungen  über  die  reprasenllrenden 
Längen  und  Kürzen. 

394. 
Aus  Allem,  was  über  die  repräsentirendon 
Längen  und  Kürzen  gesagt  worden  ist,  erhellt, 
dass  ihr  Gebrauch  nicht  zur  Richtigkeit  des 
Metrtim  erfordert  wird,  sondern  einzig  und  al- 
lein der  Schönheit  des  Verses  wegen.  Ein  Vers 
bleibt  eben  so  richtig  ohne  repräsentirende 
Längen,  als  mit  denselben,  aber  es  mangelt  ihm 
ein  wesentliches  Stück  der  rhythmischen  Schön- 
heit, vorausgesetzt,  dass  nicht  vielleicht  sein 
Inhalt  den  Ausdruck  der  Leichtigkeit  und  Schnei- 


die  repräsentirenden  Längen  und    Iliirzea.  4n 

ligkelt   fordert,     dem  viel  repräsentirende    Län- 
gen zuwider  seyn  würden. 

595. 
Bei  dem  häufigen  Gebrauch  solcher  Längen 
in  alten  und  neuen  Dichtern  und  nach  den 
vielen  Erörterungen  darüber  in  den  Schriften 
der  besten  Metriker,  muss  es  allerdings  be- 
fremden, wenn  man  in  der  neuesten  Zeit  sogar 
Lehrbücher  findet,  in  welchen  die  lange  Auf- 
taktsylbe  als  eine  Nachlässigkeit  des  Dichters 
getadelt,  und  verbessernd  in  eine  kurze  ver- 
wandejit  wird,  gleichsam  als  ob  der  so  oft  em- 
pfohlne  Gebrauch  der  Spondeen  in  iambischcii 
Versen  eine  zwar  zu  bemei'kendc,  aber  nicht 
zu  befolgende  licentia  poetica  war.  So  tadelt 
z.  B.  D.  Gräffe  in  seiner  Anweisung  zum 
Rhythmus  (Göttingen  1809.)  S.  62.  den  Vers: 

Gott  ruft  der   Sonn'    und  schafft  den  Mond , 

und  verbessert  ihn ,  seiner  Meinung  nach ,    so : 

Der  Sonn'  ruft   Gott  u.  s.  w. , 

weil,  wie  er  sagt,  die  Worte:  Gott  ruft,  feh- 
lei'haft  als  ein  Jambus  gebraucht  scyen ,  da  docli 
das  Subslaniivum:  Gott,  nie  kurz  werden 
könne.  Dergleichen  Tadel  des  Bessern  und 
Veränderung  in  das  Schlechte  findet  sicli  häufig 
in  diesem  Buche,  der  drolligen  Orthomctrio 
(Frkf.  a.  d.  Oder  1808.)  nicht  zu  gedenken,  die 


4i2       All  gera  feiner    Thoil.       Von  der  Kraft  der 

im  preziosesten  Palhos  licxametcjr  maclicu  ichrt, 
'vie  sie  niclit  sevii    sollen. 


096. 
Von  repväsenlJrcnden  Kürzen  wird  nur  die- 
jenige dem  Vcrijjildner  zu  empfehlen  seyn, 
•«velche  dev  Schlusssylbe  der  in  der  Arsis  en- 
denden rhythmischen  Reihe  zukommt;  denn, 
inidem  sie  die  Kraft  der  Arsis  seihst  in  der  pro- 
sodischen  Kürze  anschaulich  macht,  bildet  sie 
eine  Art  von  metiüschem  Inganno.  ]\iir  hüte 
sich  der  Leser,  diese  Sylhe  zur  Länge  zu  deh--" 
nen;  sie  muss  vielmehr  nach  strenger  Quantität 
kurz  gesprochen  -vvcrden  (die  Pause  erfüllt  die 
metrische  Zeit )  wie  die  kurze  iSote  in  ähnli- 
chen Fällen  vom  \irtuoscn  vorgetragen  -\vird; 
denn  sonst  wird  eben  dieses  Inganno  zerstört. 
Hieraus  folgt  zugleich,  dass  eine  solche  Kürze 
in  gereimten  Versen  nicht  als  männlicher  Pieim 
jrebrauclit  werden  kann,     so   selir    sieh  auch  ei- 

o 

nige  Dichter  (z.  B.  Kosegarten)  in  Reimen 
der  Art  (z.  B.  Liebliche,  frischer  Schnee) 
gefallen  mögen. 

Die  Kürze  statt  der  schliessenden  langen 
Thesis  ist  immer  nur  ein  Nothhehelf,  und  ent- 
zieht dem  Veis,  besonders  in  der  lyrischen  Cä- 
sur,  seine  natürliche  Schönheit.  Sie  ist  deswe- 
gen möglichst  zu   vermeiden. 


Aiiiö,   ciuc   kuiiSe   Sylbe  zu  ■verlangen.  4i7i 

Von  der  Kraft  der  Arsis,  eine  kurze 
Sylbe  zu  verlangen. 

597.^ 
Mit   cTcr    Bemerkung  p     dass  die  rliytlimisclie 

ScLlussIiinge  auf  der  Arsis  dui-ch  eine  K,ür/.e 
rcpräsenlirt  werden  könne,  verLiuJet  sich,  die 
Frage,  ob  wol  üLerLaupt  die  Arsis  die  Krafi 
Labe,  eine  kurze  Sylbe  im  Kbytbmus  an  dti 
Stelle  der  metrischen  Länge  zu  balten?  Es  ist 
dabei  nur  von  solclien  Stellen  die  Rede,  wo 
nicht,  wie  am  Schluss,  die  metrischen  Momente 
durch  Pausen   ei'setzt  werden  können. 

In  accentirteu  \erscn  kann  zwar  die  Arsis 
des  Vcrslaktes  die  Sylbe  nicht  eigentlich  ver- 
langen, weil  hier  überhaupt  von  Lang  und 
Kurz  nicht  die  Rede  ist,  sondern  nur  von  He- 
bung und  Senkung.  Allein  die  Arsis  dts  Vers- 
taktes kann  derselben  Sylbe  Hebung  geben,  die 
sonst  in  der  Senkung  stehen  kann.  So  steht 
die  Endsylbe  des  Wortes:  Schattendes  im 
ungeraden  Takt  in  der  Senkung: 

Wölbet  ein   s  ch  a  1 1  e  n des,   j^rünes    Gemach, 
die  im  geraden  Takt  in  der  ilebung  steht: 

Ihr   Zweige,    baut   ein    sciiattendos   Gemacli. 

Schiller. 

.Denn  der  Irochäische  Vers  gehört  im  acccnti- 
ren den  Rhythmus  dem  geraden  Takt  an  (^liaäa). 
In  der  oft  erwülinttn    Mittelklasse    zwischen  ac- 


! 

-iii       Allgemeiner   Tlieil.      Von  der  Kraft  der 

cenl'irten  und  quanlitii'enden  Rhythmen  verlangt 

man   zu   dieser    Hebung ,     dass    entweder    die 

Sylbe  im  Worlrbytlimus   nicht    absolut    ihetisch 

sey;     (darum   kann   man  die   zweite    Sylbe     des 

Wortes:  Schatten  nicht  in  die  Hebung  stellen, 

wol  aber   die  dritte    in    schattendes,    welche, 

wie  jedes  dritte  Moment  [  --  yj  ),  zugleich  arsi- 

sehe  und  thetische  Natur    hat     ( 92.  Sy'k. ) ,    und 

daher     eine     untergeordnete     Hebung    verträgt) 

oder,     dass    die    Sylbe    wenigstens    lang    sei, 

wenn  auch  in  der  Senkung  des  Wortes,  z.  B.: 

Roichthum  vergeht ,   der    Welt    Hoheit  rer- 

schwindet.      Vos». 

Der  bloss  accentirte  Vers  hingegen  lässt  den 
Yerstakt  über  den  Wortaccent  herrschen.  Je 
mehr  nun  eine  Sprache  sich  den  Qua,ntitätbe- 
stimmungen  eignet,  um  so  mehr  fügt  sich  selbst 
dtir  accentirte  Vers  den  beiden  angezeigten  For- 
derungen jener  MiUeiklasse. 

598. 
In  der  flüchtig  daktylischen  Bewegung  wird 
die  Arsis  am  leichtesten  diese  Kraft  ausüben; 
denn  da  der  flüchtige  Daktylus  überhaupt  tri- 
l)rachisches  Maas  hat,  so  wird  er  durch  den 
Tribrachys  auch  leicht  rcpräsentirt.  Darum 
liält    sich    unter     leichten     sinkenden     lonikcrn 

{  J.  m^  ^  J^ u  u  )     auch    der    erste    PäoQ 

\«.  »    dl    J    —  i/»j(j)z.  13. ; 


Arsis,  eine  kurze  Sylbe  zu  verlangen.  j4i5 

Hell   stralet  des  Mondes    Glanz    dem    fröhlicheren 

Kachtfest. 

und  selbst  im  Hexameter,  den  man  riclitiger 
als  dreizeitigen,  denn  als  vierzeitigen  daktyli- 
schen, Vers  betrachtet,  z.  B.: 

und  der   Gesang    auf    der    Bleich'    und   die   einsam© 
Flöte   des   Schäfers.      Voss. 

mdoiog  xe  (.wt  eaat,   <pile    txv^s,    dtivog  t(. 

Homer. 

599. 
Nicht  so  leicht  hebt  die  Arsis  die  Kürze  zur 

vollen  Länge  des  Trochäen.       Beispiele  solcher 

Hebungen  gibt  es  zwar  unzählige   bei  alten  und 

neuen  Dichtern: 

o  Tcsvr,g  i?.eiiTal,  ö  ds  7T?.ov(nog  cp'&oveiTue. 

zu    dem    goldenen     Praclitschloss ,      zu     der    Hütt« 
schleicht   die  Armuth , 

allein   etwas  Sylbenzwang  bleibt  es  immer,  eine 

absolute  Kürze  allein  durch  den  Takt  zur  Länge 

zu   heben.       Ist    ein    Dichter   zu    einer    solchen 

Stellung    gezwungen,     so    ist    Vorsicht    nöthig, 

damit  das  Metrum  nicht  gestoi-t  werde,    z.  B.: 

yXvxvntxQov  ■  uuayavov  oQuirov , 

von   der  blutigen   Geissei   der  Rächerin, 

lässt  zweifelhaft,    ob  es  nicht  vielmehr  im  Auf- 
takt: 

zu  XcsQTX  sei.       Am  sichersten  ist  es,    die  Kürze 


4 1 G         Allgemeiner    T  ]i  e  1 1,       Von  der  Kreft  «ler 

nur  dann  an  eile  Stelle  der  Länge  zu  setzen, 
wcmi  der  Gang  des  Verses  so  entscliiedcn  ist, 
d;-.ss  der  Leser  und  Hörer  nicht  mclir  getäusclit 
werden  kann,  und  auch  dann  muss  die  Kürze 
von  der  Art  SL-jn,  dass  sie  schon  im  Wort- 
rhythmus eine  untergeordnete  Arsis  hat,  oder 
doch  haben  kann,  ais  eiasylbigcs  Wort  näm- 
lich. So  hält  sich  das  Wort:  schauerlicher 
nolhdürilig  als  Doppcllrochäus  im  Teti'ameter: 

llincs  bedrohten  uns    die    Schrecken    schauerlicher 

iMltternacht , 

und  wenn  die  trochäische  Bewegung  ciamal  ent- 
schieden ist,  auch  im  iVnfang: 

1  n   des  Hains   verschwiegne    Schatten. 
Auch  ihut  man  bei  solchen    leichten   Stellungen 
wohl,  die  andern  Theile  des  Vei'ses  nicht  durch 
viel     kräftige     Worliüsse     und     repräsentirende 
Längen  in  zu  starken  Kontrast  zu  setzen,  z.  B.: 


Df.s   so    furchtbar  wie   der   Ausspruch  , 

Aviirdc    steigenden     ionischen    Piliythmus    hören 
lassen,    und: 

Zorncifüilt   durchzog  Poseidon   das   erzitternde  Gewog, 

wird  durch  den  dün])en  Ausgang  des  vollenAn- 
fange«  fast  komisch    x\nd   parodirend. 

Vielleicht    wollte   auch    Aristofanes    derglei- 
chen Verse  (Lysistr.   loii.)   parodiren: 


Arsls,  eine  kurze  Sylbe  zu  verlangen.  417 

ovÖiv  iari  -Oti^iov   yvvuixog  u/.taxojTfQOv\, 

Nimmer  ward   durch   Weiberlist  verderblicheres   aus- 
gedacht, 

wenn  sie  nicht  vielmehr  so  zu  messen  sind: 

J  jN^""  I  J  jN  ^N  J.  .'' .^N  J  .N 

Berg  und  Thal  bewohnte  niemals  fröhlichere  Hirtenschaar. 

Auf  jeden  Fall  sind  diese  Verse  Veränderungen 
des  trochäischen  Tetrameter;  denn  wenn  auch 
Hermann  v.  1016  und  17  wesemendiren  will 
so  geht  doch  die  ganze  Stellung  nach  und  nach 
in  die  gewönliche  Form  des  Tetrameters  über, 
welche  von  v.  io5o.  unzweifelhaft  eintritt. 

4oo. 

Im  Hexameter  vor  der  langen  Thesis  kann 
sich  ebenfalls  mit  gehöriger  Vorsicht  die  Kürze 
in  der  Ai-sis  halten: 

Vom   anhauchenden  Winde  gekühlt.      Voss. 
Ist  aber  diese  Kürze  die  erste  Sylbe  eines  Wor- 
tes und  dessen  Auftakt,     so  hält  sie  sich  nicht, 
weil   ihr    absolut    thelischer    Charakter    nie   der 
Arsis  entfremdet,  z.  B. : 

E  r  tönt  lauter  im  Feld   das  Kanonengekrach'  und  der 

Schlachtruf, 

oder  auch: 

Die  Schönheit    der  Natur  jn   bewunderndem  Sinnen 

betrachtend, 

WO    der    Artikel    zu    eng    an    das  folgende  Wort 

2-7 


4i8        Allgömeiner     Theil.       Von  der  Kraft  der 

sicli  anscliliGsst,  um  als  lange  Arsis  Lestelien  zu 
küinien. 

Ob  der  Ilomerisclie  Vers  (II.  20,  2.): 

imcöt]  vr,ag  re  aui    EWrtOnovrov    lnovro , 
m  dieser  Gestalt  ursprünglich    acht   sei,    mögen 
andre   entscheiden.       Hefästion    führt  ihn  als 
Beispiel  einer    Synekfonesis     ( Zusammenziehung 
zweier  Sylben  iu  Eine)  an,  -wo  er: 
indd-t]  eis  v^jag  u.  s.  w. 

gelesen  wird.  Auf  ähnliche  Art  steht  bei  Ae- 
s  c  h  y  1  u  s : 

060  V     flfP    iVVUTflQU    U^QOOiV ,       -O^iOV     ds     Xttt 

|M?;r»;^o   i(fvg, 
und  bei  E  u  r  i  p  i  d  e  s : 

tJ  OT(q,ij  Tov  qi^.ruTOv  ^oc  deotVf  uyulfiuv  ev'i'u, 

unter  trochäischen  Tetrametern,  anderer  Bei- 
spiele von  Synekfonesen ,  die  Hefästion  anführt, 
nicht  zu  gedenken. 

4ol. 
Statt  der  dreizeiligen  Länge  wird  sich  eine 
Kürze  höchst  selten  halten  können,  ausser  am 
Ende  der  rhythmischen  Reihe,  welcher  Fall 
aber  nicht  hieher  gehört.  Wo  sie  in  andern 
Fällen  sich  hält,  da  ist  es  entweder  Täuschung 
durch  den  logischen  Acccnt,  der  ihr  den  Schein 
der  Länge  gibt,  z.  B.  (5i4.) 
I      ^    li    >  I    I 

Das   liab'  ich   ertümpft. 


Arsis ,  eine  kurzi^  5>ylbe  zu  verlangen.  4ig 

oder    der    einmal   eingeleitete    Verstakt    besticlit 

das   Gehör: 


N     {\     ^ 

0.      «^     « 


Sanft  lönet   das   Waldhorn   in   Liebesgesänge; 

aber  im  zweiten  Fall  bleibt  die  Kürze  immer 
ein  übler  ]>iüthbelielf,  der  den  \ers  entstellt. 

Hermann  behauptet  zwar,  da.«s  der  ionische 
Fuss,  dessen  erste  Länge  nach  unsrer  Ansicht 
dreizeitig  ist,  in  dieser  Form:  ^  J.  ^  ^  vorkom." 
me .  und  so  schiene  denn  die  dreizeitige  Länge 
durch  eine  Kürze  repräsentirt.  Allein  diese 
Form  des  lonikers  exislirt  bloss  in  der  Herman- 
nischen Schule,  aber  in  keinem  Vers,  in  wel- 
clic  sie  Hermann  nur  durch  seine  ganz  vergrif- 
fene Messung  gelegt  hat. 

So  findet  er  sie  z.  B.  in  folgenden  Versen 
(de  Metr.  S.  558.): 

■nuvTfg  ig  yo\v}'   TT^nrijOTfg  |  t^ioi^  xvv e\6vxc 
dtanoTuv  xui  \  (.liyuv   ^«at-|  A?-;«  (pwfe  -  |  oi'Tt. 

Das  IMaas  ist  abei',  selbst  nach  Hermanns  Lesart : 

—     w     —     »^w      I      —     —      I      «^s*«>^— .w«w      I      —     — 

m    »    »■  0^  »      \    m.  6.    \    0    »    tt    ».  m^  s      I    #.  «. 
nuprrg   f^  yovv    ix^nct}  -  fjrfg   t/xot    y.tntovTtf 

m0    0.    \00    0.  0^ä      \    S    ä    ä    d      \    ä.  0. 


420  Allgemeiner    l'heil.         Von    dtr 

Tincl  so  ist  denn  an  jene  Unform  nicht  zu  den- 
ken.    Die  Saffischen  Verse : 

dt'dvy.i  f.iiv  ü.  2ie\(/.vKl 
Welche   Hermann   noch    als  Beleg  anführt,    sind 
oüenhar  im  Auflakt  zu  messen : 

^1—  *''^  —  *-'I—  — 
dt  -  dvxe  f-iBv  «  2:iluvuj 

von  ßrautmelodieu   des    FrüLlings, 

und  beweisen  daher  ebenfalls  nicht. 

4o2. 

Leichter  hält  sich  die  Kürze  statt  der  Länge 
des  aus  der  dreizeitigen  Länge  entstandenen 
Trochäen,  wiewol  der  schon  erwähnte  Sylhen- 
zwang  auch  hier  unvtirkennbar  ist.     Z.  B. : 

ort  TcavTig  ocfoi  thqiggov  7}&6?,t]auv  (v^iiv. 
Alabasterne   Nymfenchöre  hüten   dort  die    Quellüut. 

Dass  die  Stelle,  welche  hier  der  Pyrrhichius 
einnimmt,  dreizeitig  sey,  zeigt  sein  Wechsel 
mit  dem  Trochäus  und  Tribrachys.  Ohne  diese 
llücksicht  lässl  der  \  ers  auch  die  Messung  im 
Auftakt  zu: 

•^     1^       [       —      s^     <^     —     t,t       I        —      —        I        —      >^     —     ^»       I        —  -  — 

wo  der  Spondcus  aus  zwei  dreizeitigen  Längen 
besteht. 


Bestimmung  der  Sylbenquantität  durch  den  Ilhythmus.  42i 

Von  der  Bestimmung  der  Sylbenquanlltäl 
durch  den  Rhythmus. 

4o5. 
Das  Metrum,     wie   schon  melirmals  erinnert 
worden ,    ist    ein   relatives    M  a  a  s.     Es    zeigt 
nicht  an,  -welchen  Gehalt  eine  Sylbe  an  und  llir 
sich  habe,    sondern  bloss,     welches    Verhältniss 
das  rhythmische  Moment,     das  sie    ausfallt,   zu 
den  andern  rhythmischen  Momenten  habe,    mit 
welchen  es  in   Beziehung    steht.       Die    Prosodie 
hingegen   betrachtet    die    Sylben    isolirt,     ohuc 
alle  iBeziehung    aut    Wortrhyllnnus,     oder  Yei'S, 
und  sagt  bloss  aus,     diese  sei  lang,     jene  kurz, 
höchstens:     diese    schwebe   zwischen  Länge  und 
Kürze  und  neige  sich  entweder   auf  diese,   oder 
auf  jene  Seite.      Wie  lang  aber  eine    Sylbe  sei, 
oier  gar,     wie  viel  mal   länger,  als  eine  andre, 
darnach  fragt  die   Prosodie   nicht.       Man  denke 
sich      ohne    doch  das  Gleichniss  zur  Ungebühr 
auszudehnen,     die    Sylben  als  ein  Aggregat  von 
Musivstiften,     welche   die    Prosodie    nach    ihrer 
verschiedenen  Grösse  aussucht.       Der  Melriker, 
der  seinen   J\hythmus  mit  ihnen    ausfüllen  will, 
■wählt    sie  nach  ihrer  Grösse,    den  Forderungcu 
eines  jeden  rhythmischen  Momentes  gemäss,  aus, 
und  zeigt  in  dieser  (prosodischen)  Wahl  richligeu 
oder  unrichtigen  Sinn,    wie  der    Künstler   rich- 
tiges Augenmaass  zeigt,     indem   er    den    Musiv- 


422  Allgemeiner    Thcil,         Von     der 

slift    wühlt,     der   die   passende   Grösse  für    den 
Ort  liat,  dg;i  er  auszufüllen   bestimmt  wird. 

4ü4. 
Erst,  wenn  die  Sylbe  im  Rliythmus  steht, 
bekommt  sie  dureh  diesen  ihr  bestimmtes  Maas. 
War  sie  vorher  bloss  lang,  so  wird  sie  nun 
dreizeilige,  zweizeilige,  unvollkommene,  oder 
auch  repräsentirende  Länge ,  alle  für  die  Proso- 
die  gleich,  oder  doch  nicht  nach,  bestimmtem 
Maas  unterschieden.  So  ist  z.  B.  die  Sylbe : 
Meer  prosodisch  lang,  in  M e e r herrscher  wird 
sie  dreizeilig,  in  Meergcstad  zweizeitig,  in 
Meertirannei  (  ^'.  J\  ^  J.  )  unvollkommene, 
und  im  Vers: 

Meer  fluten  theilend  zog  das  ScliilF  nach  ferriC-ra  Ldud, 

ist  sie  repräsentirende  Länge. 

4o5. 
Erst  durch  den  Rhythmus  wird  also  die 
Sylbenquantitä  t  zum  Sylbenmaas.  So  wie 
nach  Franchino  die  Notenfigur  d  zwar  lang 
und  diese  J  kurz  bedeutet,  aber  erst  durch  den 
Taktschlüssel  (der  gleichsam  die  Uiberschrift 
ist,  und  das  kurz  ausspricht,  was  der  ganze 
Rhythmus  sagt)  das  Maas  der  Länge  ei'hält,  so 
widerfährt  es  der  prosodischeu  Länge  durch  den 
Rhythmus,  dessen  Metrum  der  Sylbe  ihren  bc- 
.slinunlen  Gehalt  gibt. 


üesliinmun^'  der  Sj'lbeiic[uantitä't  durch  den  n.'.ythmus.  423 

Dieses  Maas  zeigt  sich  zuei'st  im  PJiyllimus 
jedes  mehr  als  einsylbigen  Worles,  und  so  Avie 
der  Accent  überhaupt  noch  vor  der  Quauiilät 
die  Grundform  des  Rhythmus  bestimmt ,  so  auch 
hängt  der  Rhythmus  des  Vv^ortes  und  das  Maas 
seiner  Sylben  vom  Accent.  ab.  Um  also  die 
Wortrhytlnntu  zu  beurtheiicn,  muss  man  die 
wirkliche  lebende  Aussprache  des  Wortes  genau 
kennen,  die  aber  freilich  in  den  alten  soge- 
nannten lodten  Sprachen  Air  uns  immer  in 
vielen  Worten  ungewiss  bleiben  wird,  daher 
wir  von  ihr  nur  hypothetiscli  sprechen  können. 
Ist  es  z.  B.  gegründet,  dass  die  Griechen  das 
Wort  üv&QOiTxog  auf  der  ersten  Sylbc  acccutir- 
ten,  und  also  im  vollen  Takt  anüngen,  so  war 
ihnen  der  Rhythmus  dieses  Wortes  ein  bacchi- 
scher  (  j.  j  I"  ).  Die  accenlirte  Sylbe  halte 
dreizeitige  Länge ,  und  sie  sprachen  es  eben  so , 
wie  wir  das  Wort  androhen  sprechen.  Aen- 
dei'le  sich  der  Accent  im  Sprechen  bei  dpßQta- 
nov,  wie  der  geschriebene  sich  ändert,  so  spra- 
chen sie  es  dann  als  einen  Spondeus  mit  dem 
Auftakt  (  J  I  J  J  ),  wie  wir  das  Wort  P roh- 
st ei  wald  aussprechen.  Es  ist  ein  molossischcr 
Worlfuss,  dsr  in  der  Äliltc  die  liebung  hat, 
gleichsam  ein  Acccntamfdjrucliys.  Weiss  man 
also  Aon  einem  Wort  die  prosodische  Quanti- 
tät und  den  Accent,  so  findet  man  den  Rhyth- 
mus    desselben,     indem    man  es  gegen  die  me- 


4zi  Allgemeiner    Theil.        Von    der 

Irischen  Formen  hält,  deren  jede  ihren  Rhyth- 
mus hat, 

4o6. 
Ein  Vers  besteht  nicht  bloss  aus  einzelnen 
Sylben,  deren  i'hythmisches  Maas  noch  unbe- 
stimmt ist,  sondern  zum  grossen  Tlicil  (die  ein- 
sylbigen  Wörter  bloss  ausgenommen)  aus  schon 
rhythmisch  bestimmten  Wortfüssen.  Hierbei 
entsteht  nun  die  Frage :  löset  der  Pihythmus  des 
Verses  den  Rhythmus  der  Worte  auf,  und 
.«teilt  er  in  ihren  Sylben  die  bloss  prosodische 
Ouantität  her,  die  er  nun  selbst  durch  s^in 
cigenthümliches  Metrum  bestimmt?  oder,  ist  der 
Vers  an  den  Rhythmus  der  Worte  so  gebun- 
den, dass  jede  Sylbe  im  Vers  dasselbe  metri- 
sche Verhältniss  in  Ansehung  der  Arsis  und  der 
Quantität  behalten  muss,  "welches  sie  im  ein- 
zelnen Worte  hat? 

407. 
Man  erkennt  in  diesem  hier  erwähnten  Ge- 
gensatz des  Versrhythmus  mit  dem  Wortrhyth- 
mus bald  eine  Analogie  des  Gegensatzes  zwischen 
rhythmischer  und  metrischer  Reihe.  Wie  in 
dem  gleichmässigen  Schritt  beider  R.eihen  der 
lyrische  Charakter  (das  Singbare),  in  dem 
ungleichen  Schritt  der  deklamatorische 
Charakter  des  Verses  sich  zeigt,  so  geschieht 
dasselbe  im  Zusammeotreflen  des  Wortrhyfhmus 


ßestimmung  der  Sylbenqiianthat  durch  den  R.hythmus.  4^5 

mit  dem '\^crsrliythmus,  und  iii  dem  Abweichen 
beider  Arten  von  Pihytbmen.  Nocb  deutlicher 
%vird  dieses  Verhültniss,  wenn  man  bedenkt, 
dass  eigentlich  der  Wortrhythmus  nicht  sowol 
mit  dem  Pihythmus  des  Verses ,  als  vielmehr 
mit  den  meti'ischen  Formen  desselben  kollidirt. 
Z.  B.  der  llhythmus  des  Wortes:  hochzeit- 
liche ist  ionisch  {  J.  m.  J^  J  ),  im  Vers  kann 
aber  das  Wort  gestellt  werden: 

•     I    e.  «    0    •     \   ti,    a 
Ilochzcltlicho  BekräiiEung. 
düss    die    Periode     päonisclicn    Rhythmus    hat, 
und  der  ionische  Worlfuss  aus  einer  Periode  in 
die  andre  reiclit,     indem  er  einen  unvolizäligcn 
Päon  mit  dem  Auftakt  bildet. 


4o8. 
Jene  Frage  (4o6.)  beantwortet  sich  also  nicht 
im  Allgemeinen,  sondern  immer  nui*  in  Bezie- 
hung auf  den  Charakter  des  Verses.  Wo  der 
lyrische  Cliaraktcr  vorherrschen  soll,  wird  die 
metrische  Form  des  Verses  Wortfüsse  von  glei- 
cjicr  metrischer  Form  verlangen ,  z.  B.  im  Liede. 
Wo  hingegen  der  deklamatorische  Cliai'akler  der 
herrschende  ist,  z.  B.  im  e])ischen  und  im  dra- 
matischen Verse,  da  wird  die  Verschiedenheit 
der  metrischen  Bedeutung,  in  welclier  <lie  Syl- 
])cn   im   Wortrhythiuus   und    iui    Versrhythmus 


4x6  Allgemeiner   T  h  e  1 1.        Von   der 

erscheinen,  dem  Yers  Lebendigkeit  und  Bewe- 
gung erllicilen.  Hierdurch  v.ird  der  Vers  zum 
Darslellungsmlllel  der  Empfindung  und  die  Me- 
trik trilt  aus  dem  Gebiet  der  Wissenschaft  iu 
den  Kieis  der  Kunst,  wo  die  Hegel  schweigt, 
und  aliein  das  Gefühl  des  Dichters  entscheidet. 
In  dem  Vossischen  \ers: 

Düsterer  zog  Sturmnaelit,   graunvoll   rings   wogte   da» 

JMeer   auf, 

■wird  jeder  mehr  Bewegliches  und  Darstellendes 
erkennen,  als  in  der  SteLung: 

Düstere     Stui-ninaciit     zog,     und    grauiiYoIl    ■wogte    da« 

Meer    auf, 

WO  jeder  Wortrhythmus  rcr  metrischen  Stelle, 
auf  welcher  er  steht,  gleich  ist. 

4c9. 
Im  Schluss  des  Ves&ss,  wo  metrische  und 
rhythmische  lltiheu  sich  vereinigen  ,  gleicht  auch 
in  der  Regel,  .selbst  im  deklamatorischen  Vers, 
der  schlicssende  V/ortrhythmus  der  schliessen- 
den  meti-ischen  Form.  Es  ist  daher  der  Gipfel 
des  deklamatorischen  Ausdrucks ,  wenn  selbst 
im  Schluss  der  Worlrhythmus  eine,  der  metri- 
schen Schlussform  ungleiche,  Beihe  bildet,  z.B. 
wenn  im  Hexameter  der  Schlussrhythmus  (-  -  } 
gethcilt  und  die  erste  Sylbe  an  den  vox'hcrge- 
henden  Bliylhmus  gezogen  wird: 


Besümmimg  der  Sj-lbeiniuauüiät  durdi  den  Rhj'tlimux.    427 

Ne   quis   huraare  Teilt   Alaccni,    Atrida ,   vetas ;    cur? 

Horat. 

Schonlieit   selb^t  und  Geschlecht  giht   alles  der  grosse 
Monarch :    Geld.       Voss. 

Deswegen  empfehlen  diesen  Scliluss  aucli  die 
Aesllietikcr  nur  zu  erhabenen   Gegenständen: 

vsqeh]y(QSia     Zevg ,  Homer. 

Der  Herrscher  im  Doiiuergewölk,   Zeus,      Voss, 

oder  zu  Parodieen  des  ErhaLenen  : 

nascetur  ridiculus    mus,  Horat. 

komm   doch  heraus  ,    Jlaus  !  Y  o  s  s. 

und  ralheu ,  ^^o  er  ohne  solchen  Ausdruck 
seyn  soll,  ihn  durch  ein  unmittelbar  vorausge- 
hendes ,  ebenfalls  eiusylbiges  Wort  zu  mildern : 

Principibus   placuisse    viris ,    no.i  ultima  laus   est, 

Dennoch   fragt   er   dazwisclien:   wo   bleibt  mein   Töch- 
terchen?   rchläft  sie?      Wo  SS. 

wodurch  aus  beiden  elusylügen  Worten  gleich- 
sam ein  zweisilbiger  Wortfuss  entsteht.  Dass 
aber  die  INIetriker,  die  jedem  einsvlbigen  Hexa- 
meterschluss  den  pathetischen,  oder  parodirenden 
Charakter  beilegen,  die  Wahi'heit  verfelilen, 
zeigen  mehre  einsylbigc  Schlüsse,  in  denen  mau 
jenen  Charakter  nicht  bemerkt ,    z.  B. : 

Home  r. 
Quod    tiLi  deläto  Ortygiam   dicturus  Apollo  est.   Virg. 


428  Allgemeiner    Theil.       Von    der 

Ist  nicht   Frau   Bischöfin  gesellt  ilim :   dennoch    erzählt 

man.      Voss. 

Denn  UHsträflich  zu  scyn  in  Kircli   und  Hause   begelir' 

ich.      Ders. 

Soll  jene  Wirkung  hervorgebracht  werden,  so 
muss  ein  rhylhmischer  Einschnitt  vor  die 
Sclilusssylbe  lallen,  der  sie  von  der  vorherge- 
henden trennt.  Ein  kräftiger  Wortfuss  bewirkt 
oft  einen  solchen  Einschnitt,  hauptsächlich  aber 
ein  Hauptwort  als  Schlusssylbe,  das  sich  durch 
den  Gehalt  seines  Begriffes  von  dem  vorhergeh- 
enden trennt.      Die  Stellung   z.  B. : 

Denn  nicht  Hekatomben  begehr'   ich, 
ist  unwirksam,     weil    das  Pex'sonwort  sich  nicht 
genug  von  seinem  Zeitwert  trennt.    Anders  ist: 

Denn  nicht  Hekatomben  begehrt  Zeus, 
WO  das  Schlusswort  einen  abgesonderten  Begriff 
enthält,  und  also  von  dem  vorigen  mehr  ge- 
trennt erscheint.  —  In  der  jNIusik  ist  der  Ge- 
brauch dieser  Stellung  sehr  häufig,  aber  der 
harmonischen  Verhältnisse  wegen  nicht  immer 
von  so  auffallender  Wirluing,  als  die  volle  Cä- 
sur  vor  der  Schlasslhesis  im  Vers.  Die  meisten 
Male  gleicht  sie  nur  dem  einsylbigen  Schluss- 
wort ohne  Cäsur, 

Im  gereimten  Vers  dagegen  scheint  diese 
Stellung  auffallender,  besonders  im  Deutschen, 
wo    wir   zu   sehr  an   die    klanglosen    weiblichen 


Bestimmung  der  SylbeuqiiantJtät  durch  den  Rhythmus,   429 

Ausgänge:  Sonne,   Wonne,    Leben,  Stre- 
ben, gewölmt  sind,     so    dass   manche   Kritiker 
diese  stumpfen  Reime  als  Regel,    die  volltönen- 
den hingegen,    z.B.    Wahrheit,    Klarheit,    . 
oder   gar:   machtvoll,    prachtvoll,    als  Re- 
gellosigkeiten und  Härten  betrachten.       Manche 
nennen  dann  auch  wol   ihre    Ungewandtheit    im  ^ 
Handhaben  der  Sprache    den    Genius  derselben, 
der  das  nicht  gestatten  soll,  was  ihnen  nicht  leicht 
genug  wird.     Den  Reim  aus  zwei  Worten ,  z.B.: 
.      der  nichts  minder    ar*;  wohnt, 
als  dass  die  Braut  bleich  und  erstarrt  im  Sarg   wohnt, 

duldet  diese  Kritik  noch  weniger.  Erkennt  man 
aber  weibliche,  in  beiden  Sylben  volltönende 
Reime  überhaupt  für  vorzüglicher  an ,  als  die, 
durch  halbstumme  Endsyl])en  E  und  En  abge- 
stumpften ,  so  verliert  sich  auch  das  Auffallende 
in  dem  doppelten  Reimwort,  sobald  nur  nach 
der  ersten  Sylbe  kein  Einschnitt  folgt.  Die 
Stellung  z.  B.  : 

Der  Bursch'  im  Mastkorh  war  noch  euer   Heiland, 
Euch  rettete  vom  Tod  sein  lauter   Schrei:   Land! 

setzt  durch  die  Cäsiir  die  Relmwortc  in  auffal- 
lenden Widerstreit,  und  möchte  daher  bloss 
zum  komischen  Gebrauch  dienen.  Uiberhaupt 
muss  im  Gebrauch  soh'her  Reimstelluugen  ein 
feiner  Takt  den  Dichter  leiten,  dass  er  nicht 
eine  ernst  gemeinte  Stelle  durch  Anklang  des 
Koniisclicii    verderbe.        i'j'nc     zu     schwerfällige 


43o  A 1 1  s  c  m  c  i  n  c  r    T  Ii  e  i  I.        Von    iltr 

Stellung  kann  dieses  bewirken,  und  ehen  so 
eine  zu  leichte  prosaische.  Die  heroische  Stanze 
des  romantischen  Epos  gibt  besonders  in  ihren 
Schlusszeilen  einen  schicklichen  Ort  für  der- 
gleichen Pveimstellungen;  denn  der  Humor  luid 
die  leichte  Ironie  des  romantisch  -  epischen  Ge- 
dichtes vertragen  gern  seihst  den  Anklang  des 
Komischen,  der  so  leicht  durch  jene  volltönen- 
den Reime  in  zwei  Worten  entsteht.  Voss  wollte 
in  seinen  bekannten  schwergereimlen  Oden  wahr- 
scheinlich nur  den  Missbrauch,  vielleicht  auch 
die  Misgeburten  mancher  Dichter,  die  aus  Un- 
behülflichkeit  schwer  reimen,  parodiren.  Denn 
gegen  die  Reime :  Aga,  Bragaj  Tuba,  Juba; 
Sion,  Kronion;  Vv^ermut,  Schwermut, 
lässt  sich  nichts  einwenden,  und  Voss  selbst 
empfahl  späterhin  (ü  i  b  e  r  B  ü  r  g  e  r's  Sonette, 
in  der  Jenaischen  A.  L.  Z.  1808)  sehr  nach- 
drücklich die  volltönenden  Reime:  Indus, 
Pindus;  Seemann,    Lern  an  u.  a.  m. 

Einigen  Eiufiuss  auf  die  Brauchbarkeit  sol- 
cher Reime  hat  allerdings  die  Versgaltung,  in 
welcher  sie  vorkommen.     Göthe's  : 

Mfin  Busen  ,    der   vom  Wissensdrang    g  e  Ii  e  i  1 1    ist, 
soll   keinen   Schmerzen  Iviinftig  sich   verschliessen , 
und  was  der  ganzen  Menschheit  zuge theilt    ist, 
will  ich   u.   s.   w. 
wird  im  dramatischen  V^ers  wenig  auffallen ,   und 
verliert  im  Gegentheil  von   dem   Charakter  die- 


Bestimmung  der  S^'Ibenquantltk'i  durch  den  Rhyllimus.    451 

scs  Reimes  durch  den  verscliiedenen  Acceut 
(geheilt  ist,  zugctheilt  ist)  beider  Pieimworte 
bei  der  durch  einen  Zwischenvers  getrennten 
Stelhing.  Stärker  würde  der  Effekt  dieses  E.cir 
mes  seyn,  wenu  nicht  der  erste  und  dritte ,  son- 
dern der  zweite  un(i  vierte  Vers,  als  die  eigent- 
lich schliessendeu  Verse,  mit  zwei  Worten  reim- 
ten. 

In  lyrischen  Versen  ist  diese  Art  Reime  nicht 
wohl  zti  gehrauchen,  wiewol  in  Balladen  be- 
sonders in  alten  englischen,  sie  nicht  selten  ge- 
funden werden ,  z.  B. : 

and  hooly,   hooly,    1  e  f  t    h  i  m  , 
and  sighan  say  d ,    slie   coiild   not   stay/ 
since   death   of  life   had  reft    Iilnu 


od 


er; 


beg'd  to  be    buried    b  y    h  i  m 
aud   sore   repented   of    die    daye 

that  slie   did  ere   dcnye    Iiim." 

Dass  Assonanzen  sich  in  zAvei  Worte  theilen 
können,  leidet  keinen  Zweifel.  Im  Deutschen 
ist  zwar  die  Assonanz  schon  von  mehren  Dich- 
tern gehrauclit  worden,  aber  in  weiblichen  En- 
dungen gewönlich  nur  mit  dem  stumpfen  Aus- 
gang, z.  B.  Adel,  Vater,  bahnen,  wiewol 
die  deutsche  Sprache  an  zweisylbig  volltönen- 
den Assonanzen  niclit  ganz  arm    ist,    z.  B.: 


43  i  AIl'jemeJnerThcil. 

Mutter,    schweig   mit  solchen    Worten! 

Wahre  Liebe   liebt  nur     einmal, 

liebt   die   Qual   noch    des   Verlustes , 

drum  ist  Liebesclinierz   unheilbar. 

Glaub»  nicht,   weil   er  mir  treulos, 

dass  ich  Groll  ihoi  heg'  und     Feindschaft. 

U.  S,  W. 
Unter  solclicn  Assonanzen  -wird  auch  die  Thei- 
lung  nicht  auffallender  scheinen,  als  am  Hexa- 
nieterschluss,  oder  im  Beim.  Die  Cäsur  zwi- 
schen den  assoaireuden  Sylben  wird  dagegen 
fast  dieselbe  \  orsiclit  im  Gebrauch  fordern, 
als  die  Cäsur  zwischen  den  Worten  eines  iheli- 
sehen  Reimes. 

4io. 
Voss  war  der  erste ,  der  diese  Stellung  der 
Wortrhylhmeu  gegen  die  metrische  Form  in 
deutschen  Versen  gebrauchte.  Es  darf  nicht 
befremden,  dass  die,  mit  den  Versen  der  Grie- 
chen und  Pvömer  unbekannten,  Deulschen  an- 
fangs einigen  Ansloss  an  dieser  Behandlung 
nahmen,  welche  den,  durch  bloss  lyrische Vcrs- 
gattungen  Verwöhnten,  fremdartig  vorkommen 
mussten.  Dass  aber  die  Filologen,  die  sich 
vertrauter  Bekanntschaft  mit  der  klassischen 
alten  j^oetischen  Literatur  rühmten,  die  Vossi- 
schc  jNachbildung  nicht  begrilfen,  und  deswegen 
verunglimpften,  dürfte  wol  clAvas  befremdend 
scheinen,    wenn   man    nicht   wüsste,     wie  leicht 


Von  dea  Veränderungen  des   Rhythmus.  433 

filologisclie  Metriker  in  Einseitigkeiten  hefangen 
werden,  die  sie  hindern,  ihre  Götter  in  andern 
Tempeln,  als  den  selbsterbauten,  wieder  zu  er- 
kennen. Klopstock,  dessen  Hexametei'  nur  in 
einzelnen  Ausnahmen  die  Vergleicliung  mit  dem 
homerischen  ausliält,  soll  dagegen  nach  man- 
chen dieser  Filologen  sogar  die  Griechen  oft 
übertroffen  haben.     So  mächtig  ist  Vorurtheill 

Von  den  Veränderungen  des  Rhythmus. 
4ii. 
Unter  dieser  Aufschrift  soll  nicht  Herman's 
Kapitel  mit  derselben  Rubrik  (Metrik,  Buch  I. 
Kap.  6.)  kommentirt  werden;  denn  wir  sind 
nicht  der  Meinung  dieses  Metrikers :  „  es  gebe 
einige  beschwerliche  Rhythmen,  die  durch  an- 
dre gemildert  werden  müssen. "  Eben  so  wenig 
möchten  wir  die  Veränderungen  des  Rhythmus 
für  eine  „willkürliche  Einrichtung  der  Dichter" 
mit  jenem  Meiriker  halten,  bei  dem  die  Will- 
kür der  Dichter  sehr  oft  die  Stelle  der  Theo- 
rie und  fester  Grundsätze  vertreten  muss.  Hier 
soll  gezeigt  werden,  wie  ein  Rhythmus,  sowol' 
in  seiner  Bewegung,  als  in  seinem  Metrum, 
verändert  werden  könne,  ohne  seinen  wesentli- 
chen Gesang  zu  verlieren. 

4l2. 

Ein  Rhythmus  wird   in    Ansehung    der  Be- 
wegung   veräudert,    indem    die   Form    seiner 

a8 


43*  Allgemeiner    I'heil. 

melrlsclicn  Periode  mit  tler  einer  aii<lern  ver- 
tauscht wird.  So  ist  die  ionische  Form  eine 
Veränderung  der  trocliülschen  Periode,  und  es 
darf  cialier  nicht  befremden,  •\venu  in  einem 
ionischen  Verse  statt  des  lonikers  die  trochäi- 
sche Dijjodic  steht.     Z.    B. : 

£1  Hat  ßuGilivg  nKfV'/Mg ,  ojg  ^i/7]Tog  uxovaou. 
Schön  waren  die  goldnen  Träume,  unhold  das  Erwachejä, 

Ehen  so  sind  folgende  beide  Verse: 

'^Hq^v  nore  cpaatv  Jia  tov  xiQitr/AQuvvov , 

Laut    rufen    die     frohschailendeu     Waldhörner     zum 

Festrcilin, 
und: 

—      ^       —      w         I         -.»»/      —      («y         I         _W      —      ^         (        —      — 

(xig  nevr^g  ■9£lo)v  i'/^ttv,  y.at  TtXovGiog  nkcov  Gj^fii^, 

Haben   will   der   Arme  stets,   und   mehr  begehrt,    wer 

viel     hat, 

sotadlsche  Verse.  Wie  der  loniker,  so  sind 
aber  auch  die  Formen:  J.  J  ^  und  J  «j  ,.  ,N  «' 
Formen  der  Periode  des  gemischten  Metrum, 
und  deswegen  schickliche  Variationen  dieser  Pe- 
riode j  daher  stehn  sie  ebenfalls  im  ionischen 
Vers  ,  und  folgender : 

i.j^^j"  I  J.J  j'  I  J/.\'^jN  J.J 

nut  TOig  fieyaloiotp  ttaitoig  yfyijd^fv    6  xonfiog, 

Hell    schimmert    im    Mondstral    die   leichtgekräuselta 

Meerflut, 


Von  den  Veränderungen  des  Rhythmus.  455 

ist  gleiclifalls  ein  sotadisclier  Vers,  dessen  Mes- 
sung Hermann  (M.  §.  333.)  ganz  verfehlt   so: 

t     t  I      t  r      r  f 

___W,^       I       __«,_       1       w     —      W.W       I        —     M* 

3ta*  TOtg  (^isyaXotGiv  y^anoig  ysyrj&ev   6   noaiiog, 

aufstellt,  wiewohl  seine  angenommene  Lesart: 
fieyaXoiGiv  statt  {.isyaloig^  den  Vers  verbessert, 
denn : 

iitti  TOtg  ^iyuXoig  xaxoig   yfy?]&av  6  KOGinogf 
hell    schimmern     im    Mondesstral     die     Wellen     der 

Meerflut , 
klingt    zwar   nicht   fremdartiger   im    sotadischen 
Vers,  als  die  Verlängung  der  Kürze  zu  Anfang: 

r 

o  Tcevtjg  ikeetTcce, 
in  dem  grünenden  BuchhaJn,' 
allein  zu  empfehlen  ist  eines  so  wenig,  als  das 
andre,  und  war  auch  die  Hermannischc  Lesart 
nicht  Wiederherstellung,  so  ist  sie  doch  gewiss 
rhythmische  Verbesserung.  Eben  so  steht  der 
erste  Päon  statt  dts  lonikers  im  sotadischen 
Vers : 

J  J\'  .^  I  J..\^J^  I  J.J^^^.^  I  J.J. 

Clocfcenton   erschallt  in   den  Gesang  fröliches  Danlliöd», 
wo    Ilcrmanu's    überladendes    intfiniiTTome    ganz 


<436  Allgemein  fcr    Theil. 

unnöthig  ist,  und  überdies  einen  andern  B.hyth-* 
mus  gibt,  als  der  Yerbesserer  will,  nämlich 
diesen : 

—  u    —    o     1     —    uO—     1     —    —    oo     I     —    — 

J  .N  .M.':.'*j\'.  I  J.j\^^  I  J.i 

Glockenton   erschallt  in  das  Lied  froh  dankender  Andacht 

oder  auch  mit  der  repräsentirenden  Länge, 
diesen : 

—  u    —     Ü      I     —     v^-UO      I      —    —    uw      I     —    — 

er  will  aber,  nach  dem  gesanglosen  Schema; 

uu    

—  (_)     —     <_'      I      —     —     t)vj       I      —     —     U(J       i      —     — 

'^layv^oi  YQuq.övTl  Inenninxfäiis  j^eküvt], 

welches  Dreiviertel-  und  Sechsachteltakt  unter- 
einander wirft.  Manches  zu  Hülfe  gerufene  Di- 
gamma  wii^d  als  unnöthig  erscheinen ,  wenn 
man  durch  das  Vernehmen  des  wahren  Rhyth- 
mus sich  überzeugt,  dass  ihm  die  Kürze  an  sol* 
clien  Stellen  eben  so  natürlich  ist ,  als  die  Länge, 
Die  spondeische  Form  ist  schon  mehr- 
mals im  sotadisclien  Verse  nachgewiesen  wor- 
den ,  z.  B. : 

—    —     I     OOU    —    0(J      I     —u    —    u     I     —    — 

d.  m.    \    •    •    s    »•  o^  1     \    d    m    ä    ä     \    ».  m. 
QtiGcv  didoi-uvrfV  uyaOi^v    cpvluaoe  cuvtou 

V.einlaub  in   dem   Gelock,   den  Pokal  bekränzt  mit 

Efeu. 


Von  d«n  Veränderungen   des  Rbytlmnis.  k'Si 

Was  würde  man  wol  von  dem  INIusiker  denken , 
der    diesen  musikalischen   Pvliytlimus  so   llieilte: 

So  misst  Hermann  diesen  Vers : 

oi]Qiv  didoi.uvnv  oiya<^nv  q.vXÜGae  aavuo. 
Da   die    kretische    Form    ebenfalls    dem    ge- 
mischten  Metrum    gehört,     so    steht    sie    auch, 
wiewol  von   den   Metrikern   verkannt,     in    dem 
ionischen  Vers,  z.  B. : 

J.J.  I  j;j.  I  J.J.N  J.J. 

rouTO)  de(T7T0Tug  ^ivoiug  a(y.h',i.iai. , 

Schon  webt  blutge    Seh  aar    furchtbar    das 

Schlachtnetz , 

und  man  sieht  aus  diesen  Beispielen,  dass  der 
Regel  nach  in  jedem  Rhythmus  die  Formen  sei- 
ner metrischen  Periode  unter  einander  verwech- 
selt werden  können,  ohne  dass  der  Rhythmus 
dadurch  etwas  anderes  erleidet,  als  die  Varia- 
tion seiucr  Bewegung.  Ausuahmcn  werden  hald 
angezeigt  werden. 

4i5. 
Diese  Verlauschharkelt  der  mclrlschen  Formen 
haben  die  Metriker  bisher  nicht  anerkannt ,  und 
daher  dieselben  Rhythmen  oft  fiir  ganz  verschie- 
den angesehen,  oder  auf  die  wunderlichste  Art 
zerrissen,  weil  sie  die  Gleichheit    der   rhythmi- 


4  53  Allgemeiner  Theil. 

Süllen  Form  unter  der  Manniclifaltigkeit  ihrer 
Hewegung  verloren.  So  will  Seidlcr  cinea 
doclimisclien  Yei-s,  z.  B.: 

wegen  des  zweisylbigen  Auftakts  nicht  für  einen 
doclimischen,  sondern  nur  dem  doclimischea 
iilmliclien  Vers  gehalten  haben,    als  oh: 

wegen  des  zweisylbigen  Auftaktes  kein  iamhi- 
scher  Yers  war.  Andre  Metriker  wollen  den 
Griechen  ein  so  üherfeines  Gehör  zuschreiben, 
dass  sie  die  Vertauschung  des  K.retikus  z.  B.  mit 
dem  Ghoriamb: 

—  O      —      KJ     —      \J     %j     — 

Uiberall  tönt    Jubelgesang',' 

anstatt  t 

—  o  —   u<^—   o  — 
Rlngsher  tönte   der  Jubelscliall  j 

nicht  hätten  ertragen  können;  gleichwol  sollen 
sich  diese  feinhörenden  Griechen,  nach  densel- 
ben Metrikern,  den  Diiambus : 

<J    —    c    — 

Belvüramerniss , 

Statt  des  lonikers: 

—   —    U    Ü 

Weliklagencle , 

und  die  Form: 


"  Voii  ilc'U  Veräaderuaijen   dts  Kiijihaius.  439 

u    —    u    —    vj 
Justizverwalturg , 

alalt  der  doclimischeu,: 

w     —    —     U     — ' 

Vernachlässigung , 
haben  gefallen  lassen,  weil  eine  Thcorif  die 
iiiclil  verstandenen  Verse  in  solclie  Formen  aus- 
einanderwirft. Wir  haben  theoretisch  die  me- 
trische Gleichheit  der  Formen  ( in  jeder  Ai't  des 
Metrum)  abgeleitet  und  erwiesen,  und  zugleich 
die  wirkliche  Vertauschung  dieser  Formen  un- 
ter einander  in  den  Versen  aller  Dichter  auf- 
gezeigt. So  kann  wol  weder  von  der  metri- 
schen, noch  von  der  filologischen  Seite  ein 
Zweifel  gegen  die  Sache    übrig  bleiben. 

4i4. 
Bei  aller  Veränderung  der  rhythmischen  Be- 
wegung muss  doch  die  charakteristische  Gestalt 
des  Rhythmus  unverändert  bleiben  5  sonst  ent- 
stände nicht  ein  veränderter,  sondern  ein  andrer 
Rhythmus.  Deswegen  duldet  die  Schlussform 
eines  Rhythmus  keine  Veränderung.  Was  Schluss- 
form sei ,  begreift  sich  leicht  aus  dem,  was  oben 
(210  fr.)  von  den  rhythmischen  Schlussformen 
gesagt  worden  ist.  So  wie  man  diese  Schliiss- 
form  variirt,  so  entsteht  ein  andrer  Rhylhmtis. 
Die  erste  Hälfte  des  galliambischeu  Verses  z.  I>. 
schliessl  in  der  spondeischeu  Form : 


44o  Allgemeiner     Theil. 

UO      I      —    —    KJ    f->      I      —    — 

.^^IIJ^J^J-  I  J.J 

in   der  giündämmenidcn   Waldnacht  ^ 
wollte  man  die  kretische  Form  beschliessen  las- 
sen, so  entstand  ein  ganz  verschiedener  Rhyth- 
mus; 

Owl    —   —   uu    I    —   w   — 

in  der  gi-ündämnaernden  Waldesnaclit, 

Verse,  in  welchen  der  Pvhythmus  nicht  noth- 
wendig  am  Schluss  des  Verses  endet,  sondern 
ohne  bestimmte  Cä&ur  aus  einem  Vers  in  den 
andern  übergeht ,  z.  B.  in  Systemen ,  die  gleich- 
sam ein  langer  Polymeter  sind ,  haben  eben  we- 
gen dieser  Natur  keinen  bestimmten  Schluss, 
lind  wechseln  daher  an  jeder  Stelle,  auch  am 
Ende  des  Verses,  mit  andern  Formen.  So  kann 
in  einem  iambischen  Systeme  der  einzelne  Vers 
mit  der  tribrachischen  Form  statt  der  iambi- 
schen  schliessen: 

—  —  uo 

was  im  selbständigen  iambischen  Vers  fehlerhaft 
ßcyn  v/ürde.  Eben  so  duldet  der  dochmische 
^er«,  bei  fortgehendem  Rhythmus,  die  A.uflö- 
sung  seiner  Schlusslänge  (Auflösung  ist  Verän- 
derung der  Form)  in  zwei  Kürzeu; 

—  VJU  — 

O     —    —     s-f    —     U—    —     O     — 

Schon    zog   feierlicher    Triumfeug   hersn, 


Von  den  Voränderuagen  des   Rhythmus.  .         44i 

nicht  aber  am  eigentliclien  Schluss  des  Rlivth- 
mus.  So  findet  auch  hier  Bestätigung,  was  frü- 
her (383.)  erinnert  wurde,  dass  am  Versende, 
oder  in  lyrischer  thetischer  Cäsur,  die  Auflö- 
sung der  Arsis  den  Schluss  entstellt,  wenn 
man,  z.  B.: 

—  0(J  — 

—    O    —    w      l     —    Kj    —    %j 

Uiberall  umtönt  von  Melodie , 

Statt  :  u  m  t  ö  n  t  von  Wohllaut,  künsteln 
wollte.  Nur  wo  es  nicht  um  Festhaltung  der 
lyrischen  Cäsur  zu  thuu  ist,  sind  solche  Stel- 
lungen anwendbar.  Beispiele  aus  alten  Dich- 
tern, welche  die  erste  Tetrameterhälfte  mit  auf- 
gelüscter  Arsis  schlicssen,  sind,  besonders  bei 
Euripides,    nicht  ganz  selten: 

JcK^dccvov  TCQog  do)jiic(&',   'Elivriv  ^Tfvileoig  onojs 

UiS  uq"  '/(piyiveiup  'Elsvi^g  voGTog  tjp  TcsiiQoinsvoi. 
•i  &vYC(TiQ,    ^xsig  in    oh&goi  y.ui  av ,    -auc  fir^rr,^ 

indessen  werden  alle  Beispiele  nicht  beweisen, 
was  die  Natur  der  Sache  widerlegt.  Auch  wird 
man  selbst  in  dergleichen  Beispielen  nicht  leicht 
den  vollen  lyrischen  Schluss  auf  der  zweiten 
Dipodie  finden,  sondern  die  Cäsur  des  Verses 
fällt  gewöhnlich  auf  die  deklamatorische  Art, 
früher  oder  später. 


44i  Allg(#meiner    Theil. 

4i5. 
Die  Stelle  vor  der  rhythmischen  ScMuss- 
form  verlangt  zwar  prosodischc  Reinheit,  d.h., 
sie  nimmt,  in  der  Regel,  nicht  die  repräsenli- 
rende  Länge  an;  allein  dieses  hindert  nicht, 
dass  sie  mit  andern  metrischen  Formen  wech- 
sele.    So  wird  zwar    der  glykouische  Vers, 

—  o-^ot»    —    u    — 

schönaufglühendes   Morgeuroth , 

nicht  die  vorletzte  SylLe  prosodisch  verlangen : 

heissaufgliihender  Ivlittagsstral } 
allein  es  ist  kein  metrischer  (wenn  auch  viel- 
leicht mancher  ästlietische )  Grund  vorhanden, 
warum  der  Trochäus  vor  der  Schlussarsis  nicht 
tribrachische,  oder  flüchtig  daktylische  Form  an- 
nehmen sollte  ,  z.  B. : 

—  O     —     U     —     O     Kf     ~~ 

Dunkles  Hains    hochwipflige    Pracht. 

So  viel  Widerspruch  auch  dieser  Salz  bei  den 
Metrikern  finden  mag,  so  wird  doch  vor  seiner 
Verwerfung  wenigstens  seine  Widerlegung  nö- 
thig  seyn, 

4i6. 
Die  Regel,     dass   im  Vers  die  verschiedenen 
Formen   der   metrischen    Periode    mit    einander 
vertauscht  werden  können,     leidet  indessen   ei- 
nige   Ausnahme. 


Von  deil  Veränderungen  des  Rhytlimus.  445 

1.  Verse,  die  einen  bestimmten  ruliigen 
Gharakter  haben  und  aussprechen  sollen,  ge- 
statten jene  Vci-tauschung  der  Formen  nicht. 
Dahin  gehören  die  eigentlich  dramatischen  Ver.s- 
gattungen  (nicht  die  lyrischen  Verse  in  Dramen). 
Im  iambischen  Trimeter  z.  B.  würde  es  un- 
schicklich seyn,  die  antispastische  Form  mit 
der  iambischen  wechseln  zu    lassen. 

Z    -    ^    -      \     "^ s..|w_w_ 

Gelegenheit  macht    oft  Helden  und  Köm'ge, 
anstatt : 

w_Vrf_        1       Z>     —     ^     "       I       w/     —      1^     — 

Gelegenheit  macht  Helden,    macht  selbst  Könige. 

Eben  so  würde  im  trochäischen  Tetranieler  des 
Drama  die  ionische  Form  unschicklich  statt  der 
trochäischen  stehn : 

Unsicheren     schlimmen   Rathschluss    fasst  im   Zorn 
des   Menschen   Sinn, 

und  nur  im  komischen  Gebrauch  möchte  eine 
solche  Stellung,  z.  B.  des  Päon  statt  der  Dipo- 
die  (399.)  zu  rühmen  seyn. 

Indessen  sind  auch  diese  Versarten  nicht  so 
fest  an  eine  einzige  Form  gebunden,  dass 
keine  andern  Zeitfüsse,  als  die  herrschenden, 
z.  B.  Trochäen,  in  ihnen  Yorkommen  dürften. 
Auch  in  ihnen  können  verschiedene  Formen 
wechseln,    jedoch   ßichl  Formen  aus  Momenten 


444  Allgemeiner  Theil. 

verschiedener  Ordnungen  zus.immengesetzt. 
Der  trocliäische  und  iambi^clie  dramatische  Vers 
duldet  daher,  statt  des  Trochäus,  den  Tribra- 
chys  und  den  Daktylus,  welche  auch  seihst  bei 
den  tragischen  Dichtern  nicht  ungewöhnlich 
sind  z.  B. : 

xat  yaicc  nohloiv  ovofiuTOJv  (lOQcpr}  fna.    Aesch. 

Viel   treibt  die  Armuth   in    die   Gefahr  unwürd'ger 

That. 

Denn  Tribrachen  sind  eben  soAVol  rhythmische 
Grundformen,  als  Trochäen,  und  eben  so  die 
flüchtigen  Daktylen,  welche  die  Tribrachen  re- 
präsentiren  (iii).  Uiber  diesen  Gegenstand, 
nämlich  über  die  Zulässlichkeit  der  Daktylen 
und  Anapästen  im  tragischen  Trimeter  hat  be- 
kanntlich Hermann  in  seiner  Vorrede  (gegen. 
Porson)  zur  Hekuba  des  Euripides,  sehr  weit- 
läuftig  und  gelehrt  gehandelt,  ohne  doch  auf 
ein  sicheres ,  nicht  bloss  subjektives ,  Resultat 
zu  gelangen.  Denn  die  Behauptung:  die  Ana- 
pästen stören  den  iambischen  Pdiythmus,  und 
dürfen  dalier  nur  in  unentbehrlichen  Eigennah- 
men, z.  B.  Agamemnon,  oder  in  ungern  ent- 
behrten poetischen  Prachtworten,  z.  B.  Ixaroy- 
KUQ^vov  gebraucht  werden,  ist  doch  kein  siche- 
res festes  R^esultat  zu  nennen,  da  Hermann  die 
Anapästen  vierzeitig  misst  und  sie  deswegen 
durchaus  verwerflich  finden  müsste,    möge    das 


Von   den  Veränderungen  des  Rh^-thmus.  445^ 

Prachtwort  nocli  so  brillaut  seyn.  Die  Anapä- 
sten und  Daktylen  in  trocliäiselien  Reihen  sind 
aber  dreizeitig  und  stören  den  iambischen  Rhyth- 
mus nicht.  Metrisch  also  finden  sie  in  dem 
Verse  Statt,  ob  sie  aber  mit  dem  ästhetischen 
Charakter  des  Verses  im  Widerstreit  sind,  ist 
eine  andre  Frage.  Ausführlich  wird  hierüber 
in  dem  Abschnitt  von  iambischen  Versen  ge- 
handelt werden. 


417. 


2.  Die  zweite  Ausnahme  machen  Verse,  de- 
ren Form  überhaupt  als  unveränderlich  festge- 
setzt ist.  Dahin  gehört:  der  heroische  He- 
xameter, der  bloss  mit  Daktylen  und  Spon- 
deen  wechselt ;  denn  einzelne  Trochäen,  Anapa- 
sten, oder  Proceleusmatiker  gehören  unter  die 
Unregelmässigkeiten.  Ferner  die  Verse  in  den 
Strofen  lyrischer  Oden,  als  der  alcäische, 
saf fische  Vers  und  ähnliche.  Dergleichen 
Verse  dulden  in  den  Oden  selbst  durchaus  keine 
Vertauschung  der  metrischen  Formen,  wiewol 
sie,  einzeln  genommen,  dieselbe  lyrische  Frei- 
heit haben  würden,  wie  andre.     Der  Vers  z.B.: 

Noch   tönt  der   Nachhall   feierndes    Jubelgesangs, 
i^t  eine  Veränderung  das  Alcäischen  Verses ,  der 
mit    dem     Kretikus     statt     diesen     Choriamben 
schliesst;     gleicliwohl  würde  man    in  der  Alcäi- 


446  Allgemeiner    Theil. 

sehen  Strofe  ihn  nicht  brauchen  können.  Bei 
diesen  so  ganz  bestimmten  Formen  finden  nicht 
einmal  Auflösungen  und  ZusammSnziehungen 
Statt.     In  der  alcäischen  Strofe  würde  z.  B.  der 

Vers: 

Durch    das  kannibalisch    wüthende    Rä'ubervolt, 

nicht  Statt  haben,  es  war  denn,  dass  ein  Dicb- 
ter  diese  Form  absichllich  durchführen  und  da- 
durch eine  modificirte  alcäische  Sti-ofe  bilden 
wollte,  wie  man  ia  neuen  Zeilen  eine  durch 
vei'schiedene  Stellung  des  Daktylus  modificirte 
safüsche  Strofe  gebildet  hat. 

4i8. 
"Wie  die  rhythmische  Bewegung  bei  gleicher 
metrischer  verändert  werden  kann,  so  kann 
auch  umgekehrt  die  metrische  Bewegung  bei 
bestehendem  Rhythmus  verändert  werden.  In 
der  Musik  ist  die  Sache  bekannt :  eine  Melodie 
z.B.  im  Viervierteltakt  kann  leicht  in  den  Sechs- 
achteltakt transponirt  werden,  und  man  wird 
keine  Folge  von  Variationen  finden,  wo  nicht 
eine,  oder  mehre  den  Takt  änderten.  Was  aber 
vom  musikalischen  Rhythmus  gilt,  beruht  auf 
allgemeingültigen  Sätzen,  und.  gilt  mithin  auch 
Vom  Versrhylhmus.  Bei  solchen  Variationen 
niuss  immer  die  Periode  der  Periode  gleich 
bleiben,     und    die    accentutt'  Kürze  wird  durch 


Von  dea  Verduddruiigt-a    de«  iUiyt}imus.  4'i7 

Läno'e,  oder  umgekehrt,  diese  durcli  jene  reprä- 
sentirt.       Der     vierzeitige    Rhythmus  z.  B.: 

V 

In  eilendem  Fluge  Teriausclien  die    Stunden, 

verwandelt  im  gemischten  Metrum  seine  zv,ei- 
zeitif^e  Länge,  die  ein  Hauptmoment  füllt,  in  die 
dreizeitige,  die  ebenfalls  in  dem  gemischten. 
Metrum  ein  Hauptmoment  füllt,  und  die  accen- 
tirle  Kürze  wird  zur  zweizeitigen  Länge.  So 
entsteht  der  Lacchische  Vers: 

j^  1  j.  j  .M  j.  j  ;^  I  j.  j  J'  1  i  j- 
-,  —  I  —  wi  —  i  — 

In  rastloser    Arbeit   entfliehn  uns   die   Stunden. 

Wollte  man  in  das  molossische  IMetrum  varii- 
ren,  so  entsteht  der    bekannte  ionische  Vers: 

^    ^      1      _«^w      I      -^    -    ^    ^      I      _-ww      I       -- 

Wenn  im  Frühroth  das   Gewölk   glüht,     bis  der  Nacht- 

tliau  sich  herabsankt , 

der  im  tripodischen  Metrum  noch  weitere  und 
mannichf»ltigere  Veränderungen   zulasst. 

419. 
Dergleichen    Veränderungen    werden      zwau 
nicht  oft  in  Gedichten  selbst  vorkommen,    wie- 
Wül   sie    die    Wedisclge.^ärigo    besser,     als    ganz 


-iiS  Allgemeiiier  Thell. 

vcrscliiedenartlge  Pvliytlimcn ,  zuweilen  cliarak- 
lerisiren  würden ;  allein  hier  ist  der  Punkt,  von 
wo  man  einsieht,  wie  die  Musik  nicht  an  das 
Jauchstäbliche  Yerhältniss  des  Gedichtes  gebun- 
den ist ,  sondern  das  Recht  hat ,  den  Rhythmus 
desselben  auch  in  verändertem  Metrum  zu  be- 
gleiten. So  wird  es  möglich,  dass  vierzeitige 
Melodieen  zu  Gedichten  in  dreizeitigem  Rhyth- 
mus komponirt  werden  können.  Dem  Musik- 
rhythmus z.  B. : 


i^^^^^^l^ 


würde ,  streng  genommen ,  nur  ein  vierzeitiger 
Versrhythmus  entsprechen : 

Rings  umher  durchhallet  die   Nacht    Liebesgesang  voll 

Sehnsucht. 

Allein  folgender : 

Rings    ertönt   auf   blühender   FIuv   Liebesgesang  und 

Festreihn, 

Tviewol  er  dieses    Maas  hat: 

j  jN  j'  I  j^^.^i  1  .^^jN  .m  j.j; 

Te  Deos   oro   Sjbariu   cur    properas    amando , 

lassl  sich  bequem  mit  jenem  musikalischen  be- 
gleiten; denn  was  hier  Kürzen  sind,  triftt  dort 
auf  den  schlechten  Takttheil,  und  so  führt  die 
Musik    durch    ihre    vierzeiligeii    Mclodieeu    dio 


Von  (ien  Veränderungen  des  Rhythmus.  449 

CTuantitirenden  Rhythmen  auf  die  Natur  der  ac- 
centirten  zurück,  was,  wie  die  Folge  zeigen 
wird ,  durch  den  gregorischen  Kirchengesang  im 
Gi'ossen  bewirkt  wurde.  Ob  die  alte  griechi- 
sche Musik  im  vierzeitigen  Metrum  dreizeitige 
Rhythmen  begleitet  habe,  lasst  sich,  wenn  auch 
nicht  bestimmt  verneinen ,  doch  aus  vielen  Grün- 
den bezweifeln.  Sie  ging  höchst  wahrscheinlich 
mit  den  Versen  Schrill  vor  Schritt,  und  jedes 
Moment  hatte  seine  eigene  Sylbe,  wo  es  nicht  auf 
eine  Pause  traf.  Man  sollte  daher  um  so  mehr 
envarten,  dass  nur  aus  der  Musik  Aufklärung 
über  die  alten  Rhythmen  zu  erwarten  sei,  und 
da  die  Gleichheit  unsrer  neuen  Musikrhythraen 
mit  alten  Versrhythmen  uns  so  oft  entgegenli*itt , 
wie  hier  ebenfalls  in  dem  angeführten  horazi- 
schen  Vers,  so  sollte  das  alte  Vorurtheil  der 
gänzlichen  Verschiedenheit  alter  und  neuer  Mu- 
sikrhythmen wol  endlich  als  blosses  Vorurtheil 
erscheinen. 

Dagegen  ist  allerdings,  wie  mehrmals  schoil 
bemerkt,  die  Art,  wie  die  Musik  unsrer  Zeit 
den  Rhythmus  eines  Gedichtes  modificirt,  sehr 
von  der  Art  verschieden,  wie  die  Musik  der  al- 
ten Zeit  sich  dem  Rhythmus  des  Gedichtes  an- 
«chloss.  Uiisre  neue  Musik  transponirt  nicht 
allein  öfters  den  Rhythmus  aus  seinem  eigen- 
thümlichen  Metrum  in  ein  anderes;  sie  behan- 
delt   ihn    zugleich   mit    einer   Freiheit,     welche 

29 


45o  Allgemuiuer     Theil. 

das  grieclilsche  Alterthum ,  bei  der  Un Vollkom- 
menheit der  Musik  als  selbständiger  Kuust, 
Wahrscheinlicii  nicht   kannte. 

Unsre  Zeitgenossen  haben  die  Revolution  im 
Gebiet  der  Tonkunst,  aus  welcher  die,  nicht 
jnit  Unrecht  so  genannte,  deklamatorische 
Musik,  hervorging,  zum  Theil  selbst  durchlebt. 
Ohne  uns  in  eine  Geschichte  des  Streites  für 
und  gegen  diese  Gattung  einzulassen,  sei  hier 
bloss  an  das  erinnert ,  was  wir  oben  ( 54  IF. ) 
über  die  Freiheit  des  Deklamators  bei  metri- 
schen Stellen  erwähnt  haben.  Das  Subjektive 
der  Deklamation  in  der  Behandlung  der  einfa- 
chen und  erweiterten  Fermate  kann  selbst  wie- 
der Objekt  der  Musik  werden ,  welche  dann  die 
Bestimmung,  die  der  Versrhythmus  durch  die 
Deklamation  erhalten  hat,  als  eigentlichen P\.hyth- 
mus  desselben  annimmt,  und  auf  dieselbe  Art 
behandelt,  wie  anderwärts  die,  durch  Deklama- 
tion nicht  modificirten,  Versrhythmen.  Kenner 
der  Musik  werden  einsehen,  dass  diese  Behand- 
lungsart eine  selbständig  gewordene  Instrumen- 
talmusik voraussetzt,  die  man  im  klassischen 
Alterthum  zu  ei  warten  keine  Veranlassung 
findet. 

Eine  andre  Freiheil,  welche  die  Musik  über 
denVersrhytlnnus  ausübt,  nämlich  einzelne  Syl- 
ben  so  lange  zu  halten,  dass  sie  einer  ganzen 
Folge  von  Tönen  als  Träger  dienen,     wodurch 


Von  .den  Veränderungen  des  E.hythinu5.  45i 

die  Stimme  des  Sängers  fast  zum  Instrument 
wird ,  war  vielleicht  dem  klassischen  Aiterlliume 
nicht  so  ganz  fremd,  als  die  Gelehrten  behaup- 
ten wollen;  wenigstens  finden  wir  Spuren  da- 
%'on  im  Kii'chengesang  der  ältesten  Zeit ,  wo  er 
dem  griechischen  Gesang  auf  das  genaueste 
nachgebildet  wurde.  Die  rohen  Gesänge  meh- 
rer wenig  kullivirter  \  ölker  zeigen  ein  ähnli- 
ches Absingen  mehrer  Töne  auf  derselben  Sylbe, 
so  dass  man  in  den  ersten  Zeilen  der  Musik 
bei  den  Griechen  ein  solches  Dehnen  der  Syl- 
ben  nicht  unwahrscheinlich  finden  kann.  Viel- 
leicht dauerte  aucli  diese  Art  des  Gesanges  noch 
neben  dem  spälern,  rhythmisch  geregelten,  fort, 
wie  auf  ähnliche  Weise  in  Rom  der  Gesaug  des 
saliarischen  Gedichtes  und  der  Gebrauch  an- 
drer accentirten  \erse  neben  den  (Juantitiren- 
den  fortdauerte. 

Dieses  Foitsingen  mehrer  Töne  auf  Einer 
Sylbe  ist  allerdings  oft  gemlssbraucht  worden; 
allein  an  sich  ist  diese  Behandlung  dem  voU- 
kommncu  Gesänge  nicht  durchaus  fremd,  und 
bei  volistimmigem  konlrapunktischen  Satz,  schon, 
der  Struktur  des  Ganzen  wegen,  oft  erforder- 
lich. Allein,  auch  abgcsehn  von  diesem  Mecha- 
nismus, ist  das  Forthalteu  einer  Sylbe  auf  einer 
Folge  von  Tönen  oft,  als  Darsielliingsniittel, 
You  kräftigem  Eü'ekt  und  unentbehrlich,  wo  es 
der   Mii^ik   zvdiommt,    die  Empfindung  fortzu- 


4J3  Allgtmciner    Thejl, 

halten,  welche  in  gleichem  Scliritt  mit  den 
Worten  des  Gedichts  zu  schnell  vorübereilen 
würde.  Der  Dichter,  welcher  die  Opersituation 
YOn  der  Situation  des  Schauspiels  zu  unter- 
scheiden weiss ,  steht  auf  dem  rechten  Gesichts- 
punkt für  die  Beurtheilung  des  Komponisten, 
der,  wo  die  Idee  des  Gedichtes  musikalischen 
Ausdruck  fordert ,  diesen  gewährt ,  ohne  sich 
von  dem  Buchstaben  des  Gedichtes  irre  leiten 
zu  lassen.  Man  muss  in  der  That  mit  den  fi- 
lülogischen  Nichtmusikern  an  der  engen  Vor- 
stellung haften ,  dass  die  Musik  der  Poesie  nur 
diene,  ohne  sich  jemals  der  Idee  einer  Verei- 
nigung zweier  Künste  zu  nähern,  um  in  dieser 
Art,  wie  neue  Musik  den  Vers  behandelt,  ein 
Verderbniss  unsrer  Musik  zu  finden.  Unserer 
INI  u  s  i  k  nämlich ;  denn  dass  im  weitern  Raum 
mehr  Irrwege  möglich  sind,  als  im  engen,  dass 
also  unsre  Musiker  auf  mehren  Seiten  aus- 
schweifen können,  als  die  der  Vorzeit,  leidet 
keinen  Widerspruch. 

In  andern  Künsten  bemerkt  man  gern  bei 
dem  Urtheiler  einige  Kenntniss  der  Sache;  son- 
derbar genug  aber  ist  man  gewohnt,  über  das 
Verhältniss  alter  und  neuer  Musik  Gelehrte 
uvtheilen  zu  lassen,  die  bei  jedem  Worte  be- 
weisen, dass  ihnen  auch  die  ersten  Anfänge  der 
Kunst  unbekannt  sind,  über  welche  sie  ent- 
scheidend abzus])rechen  im  Begrill"  sind. 


Von  den  Versmessungen  der  Grammatiker.  453 

Von  den  Versmessungen  der  Grammatiker. 

420. 
Die  griechischen  Grammatiker  theihen  einige 
Verse  nach  Füssen  ab,  andere  nach  Doppel- 
fiissen  (Dipodien).  Nach  Füssen  maassen  sie 
daktylische,  kretische,  choriambische,  steigend 
und  sinkend  ionische,  päonische  und  antispasti- 
sche Verse.  Jeder  Fuss  macht  ein  (ait^ov  aus ;  der 
choriambische  Dimeter  z.  B.  enthält  also  zwei 
Choriamben,  der  daktylische  Trimeter  drei Dak - 
tylen  u.  s.  f.  Nach  Dipodien  hingegcu  maas- 
sen sie  anapästische,  trochäische  und  iambische 
Verse.  Bei  diesen  macht  der  Doppelfuss  ein 
Metrum  aus.  Ein  trochäischer  Dimeter  enthält 
also  zwei  irochäisclie  Doppelfüsse ,  oder  trochäi- 
sche Dipodien,  ein  iambischer  Trimeter  drei 
iambische  Dipodien. 

421. 
Alan  findet  nirgends  einen  Grund  angegeben, 
warum  die  Grammatiker  diesen  Unterschied  be- 
obachteten. Rufinus,  ein  lateinischer  Gram- 
matiker, sagt  bloss:  es  sei  ein  altes  Herkommen, 
den  heroischen  Vers  nach  Füssen,  den  ianibi- 
schen  nach  Dipodien  zu  messen.  Gleichwol 
wichen  auch  die  lateinischen  Metriker  von  die- 
sem Herkommen  ab,  und  maassen  auch  iambi- 
che  und  trochäische  Verse  nach  Füssen.    Daher 


434  Allgemeiner  Theil. 

lieisst  bei  ihnen  der  iambisclic  Trimeter  Senarius, 
tler  trochüisclie  Tetrametcr  Octonarius  u,  s.  f. 

422. 

Nach   unsrcr  Ansicht  zeigt  sich  diese  schein- 
Lai*  willkürliche  Messung  als   eine  Ahndung  des 
Wahren.        Sieht  man    den  Daktylus,     mit   den 
Grammatikern,     als  einen  vierzeitigeu ,  dem  ge- 
raden Metrum  angehörigen,  Fuss  an,  so  erfüllt  er 
so,  wie  der  ^w*  ihm  gleiche  Spondeus,  eine  volle 
metrische  Periode.       Daktylische   Verse    würden 
also  vollkommen  richtig  nach  Füssen,  oder  Mo- 
nopodien  gemessen.       Betrachtet    man    aber  den 
Pyrrhichius  als  Grundfuss  (wie  im  gemischten  Me- 
trum den  Trochäus),  so  war  die  Messung  des  ge- 
raden Metrum  ebenfalls  dipodisch ,  nämlich  nach 
Pyrrhichien,  tleren  zwei,  also  eine  pyrrhichische 
Dipodie,     eine    metrische    Periode    des    geraden 
Metrum    erfüllen.       Im   gemischten   Metrum   er- 
füllt die  trochäische  Dipodie  eine  volle  Periode; 
folglich    findet    bei    trochäischen  Versen  dipodi- 
sche  Messung  Statt.     Choriambische ,  päonische, 
kretische,  bacchische  und  ähnliche   Füsse  erfül- 
icu  ,  gleich  der  trochäischen   Dipodie,    eine  Pe- 
riode   des    gemischten    Metrum;     jeder    Fuss    ist 
also    ein    Maass,     und  in  solchen    Versen  findet 
inonopodische  Messung  Statt,  so  lange  diebenen- 
ncndfe    Form   des    Vci-ses   nicht  mit  der  Dipodie 
wechselt;    es    enlslcht  aber  durch  diesen  Wech- 


Von  den  Versmessungcu  der  Gifinunaüker.  455 

sei  kein  verändertes  Maas,  sondern  nur  eine 
veränderte  Benennung  desselben  Maasses;  denn 
im  Choriamben  und  andern  Foi'men  des  ge- 
mischten Metrum  ist,  wie  wir  wissen,  die  iro- 
chäische  Dipodie,  nur  in  verschiedener  Bewe- 
gung völlig  enthalten.  Der  (schwere)  steigende 
loniker  erfüllt  eine  Periode  des  molossischen 
Metrum,  dessen  Verse  daher  nacl^  Moi^opodien 
gemessen  werden. 

420. 

Tripodische  Messung  kannten  die  Gramma- 
tiker nicht,  wiewol  sie  ohne  Zweifel  dieses 
Maas  im  Verse  z.  B. : 

^     \    ä    m    ».  ä    m     \    m.  m^  e    m    4    » 

—  .   "^   — 

der  frohen  Jugend    anmuthge    Begleiterin  j. 

SO  gut  als  Avir  Vernahmen.  Sie  bemühten  sich 
aber,  das,  was  sie  mit  dem  Gehör  auffassten, 
auf  die  einmal  festgesetzte  theoretische  Bezeich- 
nung zurückzuführen,  so  unvollkommen  sie 
auch  das  Vernommene  ausdrücken  mochte. 
Wenn  z.  B.  manche  Wörterbücher  den  Laut 
des  G  im  Englischen  durch  dsj  bezeichnen,  so 
bedienen  sie  sich  der  vorhandenen,  wiewol  un- 
zulänglichen Zeichen  :  deswegen  behält  aber  doch 
jener  Laut  sein  Eigenlhündiches ,  unddcrFrem- 


»56  Allgemeiner    Theil. 

de y  der  nach  dem  Wörterbuch  gelernt  hat, 
wird  vergebens  mit  dem  Eingebornen  darüber 
streiten.  So  gehört  aucli  manchem  Vers  tripo- 
dische  Messun'g,  wenn  sie  auch  im  Schema  der 
Grammatiker  sich  nicht  findet. 

22I. 
Die  Grammatiker  sonderten  in  der  Theorie 
nidit  den  Auftakt  von  der  Periode,  Sendern 
fingen  ihr  (xstqov  mit  dem  Auftakt  an.  Daher 
maassen  sie  die  iambische  Dipodie  nicht,  wie 
wir  sie  messen  würden:  J^|  J  J*^J  sondern:  ü-u- 
und  ein  Trimeter  hat  bei  ihnen  diese  Abthei- 
lung  : 

die  wir  richtiger  so: 

schreiben  würden.  Dasselbe  gilt  von  allen  Ver- 
sen im  Auftakt.  Ein  steigend  ionischer  Dime- 
ter  wird  von    ihnen  so : 

abgetheilt ,  richtiger  von  uns : 

Der  antispastische  Dimeter  wird  von  den  .Gram- 
matikern so: 

von  uns ; 

W        I        •m     mm      \mf      *>>        |        «p^.. 

.M  J.  j^  j«  .M  J  .f*  J 


Von  den  Versmessungen  der  Grammatiker.         487 

bezelclinet;  denn  jede  Periode  fängt  nothwendig 
mit  dem  vollen  Takt  (der  Arsis)  an. 

42  5. 
Nachdem  nun    die   metrische   Periode  in  ei- 
nem Yers  einmal,  oder  mehrmal   enthalten   ist, 
nannten  die  Grammatiker  den  Vers  Monome- 
ter,    Dimeter,     Trimeter,     Tetrameter, 
Pentameter,      Hexameter    u.   s.   f.      Man 
sieht,     dass  man   einen  Vers  erst  genau   seiner 
metrischen  Bewegung  nach  kennen  muss,  ob  er 
diesem  oder  jenem  Metrum  zugehöre,    ehe  man 
im  Stande  ist,   ihn  richtig  zu  messen,    und,  da 
wir  über   den   eigentlichen    Gesang    der    Verse 
nicht  vollkommeu  unterrichtet  sind,    so   darf  es 
nicht  befremden,  wenn  das  Dilaas  mancher,  selbst 
bekannter,     Verse    auf  verschiedene  Weise   an- 
gegeben werdeijL  kann.     Der  saffische  Vers  z.  B. 
iLisst  das  dipodische  Maass   zu: 

J  .N  ."1  ."^.^N  j^l  J.j. 

'jioiy.t?,\üQov'  güccvcct'    'AcfQodiTU,     Saffo, 
Oed'  und  einsam  trauert  der  Sitz  der  Liebe, 

vmd  eben  sowol  das   tripodische: 

J  .N  ,^"  J5 .'' I  J  ."^  J.  j. 

Integer  vitae,  scelerijque    purus,     Horat, 

trüb'  und  -wehmutliToU ,  in  des  Hains  Umscliattun»," 

und  bei  sehr  vielen  Versen  finden  ähnliche  Ver- 
hältnisse Statt.     Oft  gibt  die  Strofe,  in  welclier 


458  Allgemeiner  Thejl. 

ein  Vers  steht,  oft  die  Cäsur  den  Aufiscliluss, 
welche  Art  der  Periode  vom  Dichter  als  Maas 
seines  Verses  gebraucht  wurde.  Horatius  scheint 
mit  seiner  bekannten,  sehr  unrecht  von  Hermana 
getadelten,  Cäsur  auf  das  tripodische  Maas  zu 
deuten. 

426. 
Nicht  alle  Verse  füllen  indessen  dieses  Maa« 
des  Dimelers,  Triraeters    u.  s.  f.  nach  der  Mes- 
sung der  Grammatiker  vollkommen  durch  reell« 
rhythmische  Momente  aus.     Der  Vers  z.  B. ; 
—  «♦*  —  »^   1   _-%i*_ 
Rosen   auf  den   Weg  gestreut  ^ 

füllt  die  zweite  metrische  Periode,  nach  der 
Messung  der  Grammatiker,  nicht  vollkommen 
aus.  Diesen  unzureichenden  Schluss  nennen  die 
Grammatiker  Katalexis,  und  Verse,  welche 
auf  diese  Art  vor  dem  Ende  des  fiszQov  ( der 
Periode)  schliessen,  katalektische  Verse, 
Obiger  Vers  ist  also  zwar  ein  trochäischer  Di- 
meter;  aber,  weil  er  das  Maas  des  Dimeter  nicht 
ganz  erfüllt ,  ein  katalektischer  Dimeter.  Im 
Deutschen  könnte  man  diese  Verse  unvoll- 
zälige  Vei'sc  nennen. 

427. 
Da  die  Grammatiker  den  Auftakt  in  die  Pe- 
riode   einrechnen    (424.),     so   entsteht  bei   dem 


Von  den  Versmessungen  der  Grammatiker.  459 

Maas  von  Versen  im  Auftakt  eine  ganz  entge- 
gengesetzte Bezeichnung.  Ein  iambischer  kata- 
lektischer  Dimeter  würde,  nach  richtiger  An- 
sicht des  Auftaktes,  der  eben  erwähnte  trochäi- 
sche Vers  mit  dem  Auftakt  seyn: 
^  I  _.^_^  I  —te/  — 
Mit  Rosen  uns   den    Weg  bestreut. 

Allein  nach  der  Messung  der  Grammatiker  be- 
steht der  iambische  katalektische  Dimeter  aus 
zwei  iambischen  Dipodien,  deren  letzter  die 
Schlusssylbe  fehlt: 

mit  Rosen  kränzt  die    Lockend 

Es  war  also  ein  Irrthum,  wenn  man  bei  kala- 
lektisclien  Versen  an  unsre  weiblichen  Endun- 
gen denken  wollte  j  denn  ob  die  Katalexis  stei- 
gend oder  fallend  sei ,  hängt  von  der  Versart 
ab,  in  welcher  sie  voi'kommt« 


428. 

Schliesst  ein  Vers  ohne  Katalexis,  also  mit 
der  vollen  Periode ,  so  nannten  ihn  die  Gram- 
matiker akatalcktisch  ( vollzäldig).  Folgen- 
der Vers: 

Mit   Rosen  uns   den  Weg  bestreut," 
ist  also  ein  akatalektischcr  iambischer  Dimeter', 


46o  Allgemeiner  Theil. 

nach    Jer  Messung   der   Grammatiker,     so    wie 
folgender : 

WO  die  Glut  hoch   zu   Gewölk   stieg, 
ein  steigend  ionischer  akataleklischer   Dimeter. 

429. 
Verse,  die  in  der  Mitte  der  Periode  schlies- 
sen,     nennen   die   Grammatiker   brachykata- 
lektische  ( halb  vollzählige)  Verse.     Folgender 
Vers  z.  B.: 

■^  t^  —  ^   ]   —  «•< 
Sucht   die   grüne  Waldung, 

ist  ihnen  ein  brachykatalektischer    trochäischer 
Dimeter. 

43o. 
Wenn  endlich  ein  Vers   nur  um  eine  Sylhe 
länger  ist,  als  sein  Maas,    so  heisst  er  hyper- 
katalektisch  ( übei-zählig).     Folgender  Vers: 

..,     ttf     —'     •mt       l       —     t^     —     ^^       I       — 

Morgenroth  des  lang   ersehnten  Tags, 

würde    ein    überzähliger   .trochäischer    Dimeter 
seyn. 

4oi. 
Bei  diesen  Messungen  gilt  es  gleich,    ob  die 
Form  schliesst,    welche    dem    Verse  den  Namen 
gibt,     oder    eine,     die    nach    der   Tiieorie  der 
Grammatiker  mit  ihr  wechselt.     So  ist: 


Von  den  Ver$messungen  der  Grammatiker.         4Gi 

Hochwipfliche  Fichtenwaldung  J 
ein  akatalektischer  ionischer  Dimeter^  ' 

-m      k^      w        I        —      MI      — 

Weissstämmiger  Birkenwald,' 

ein  katalektischer    Dimeter; 
—  —  ••«  >i«   I   —  «^ 

Hochragende  Fichte, 
ein  brachykalalektischer  Dimeter,   und 

Schöngriinender  Hain  , 

ein  liyperkatalektischer  ionischer  Älonometer; 
denn  die  Grammatiker  erkennen  den  Wechsel 
der  trochäischen  Dipodie  mit  dem  sinkenden 
louiker  eijenfalls  an. 

452. 
Wo    diese    Bestimmungen    nicht    zureichen, 
benennen    die    Grammatiker   die    Kataiexis  nach 
der  Zahl  der  Sylben.       So  heisst  der  päonische 
Vers: 

Folgte  den  Gewaltigen, 
rin    Dimeter   catalecticus   in   trisyllahum     (drei- 
sylbig    unvollzäliger    Dimeter),    und   folgender: 

Heiligere      Liebe, 
'•in  dimetrr   catalecticus  in   bisvllabui». 


462  Allgemeiner    Theil, 

In  dieses  Maas  der  Verse  werden  jedocli  von 
den  Grammatikern  die  ScLaltperioden,  oder 
im  Allgemeinen  Sclialtmetra  (262  fF.)  nicht 
mit  eingerechnet ,  sie  mögen  am  Anfange  des 
Verses  stehn,  oder  in  dessen  Mitte.  Zu  An- 
fange des  Verses  finden  sich  dergleichen  Schalt- 
pei'ioden,  Schaltfüsse,  oder  SchaJtsylben  ziem- 
lich   häufig,    z.  B. : 

<p£v,   q)€V'    ov  VW  f.i£   TtfJoTOv,    cc?.Xk  nokXaxcg i 

f     K^eov ,     Eurip. 

Bcc'  IIo2,vf.i}]GTO^  cJ  dvarccvi i    reg  d  aiKalias ; 

D  e  r  s. 

ungerechnet  die  Stellen ,  welche  gewönlich  durch 
Synekfonese  erklärt  werden,  z.  B.: 

D  ers. 
27«*  tiSg  ov  ßkcmig  {*  svxt^Xov,  uofitvog  fi   idojv. 

D  ers. 

In  der  Mitte  des  Verses  finden  sie  sich  selt- 
ner, lind  sind,  wo  sie  sich  finden,  grössten- 
iheils  von  den  Kritikern  wegemendirt,    z.  B. : 

{TloX.)  ddcy.in  ye  at] ,  (o  -d^foi.   {-Er-)  Blvzrivaig, 
(.{1]  'v'&ttd'  UfanaXfi'  'Otovg,    Ders. 

WO  mehre  Kritiker  bald  das:   (o  -esot  weglassen, 

hald: 

Kdi-Aca  /,  cJ  {)£oc.    3Ivy.r,vaig  fo;  'pdad'  avaxakst 

{)£ovg, 

lesen  wollen.       Der  Scholiast  sagt  ausdrücklich: 
to  tu  -^lOi  öici   usaov.       Also   waren   Schaltmetra 


Von  den  Versmessungen  der  Grammatiker.  4G5 

tei  den  Dichtern  nicht  ungewönlich;  sonst 
konnte  sie  der  Scholiast,  man  mag  ihm  viel 
oder  wenig  Umsicht  zutrauen,  nicht  als  etwas 
tekanntes  nennen.  Sind  aher  einmal  Schaltme- 
tra vorhanden,  so  ist  kein  Grund  in  dieser  an- 
geführten Stelle  Worte  zu  streichen ,  deren  kei- 
nes der  Sinn  des  Verses  ohne  Entstellung  enl- 
Lehreu   kann. 

435. 
Man  sieht  hald ,  wie  unvollkommen ,  schwan- 
kend und  falsch  diese  Eintheilungen  seien.  Be- 
trachtet man  die  wahre  Messung  der  Verse,  so 
zeigt  sich,  dass  viele,  die  von  den  Grammati- 
kern für  katalektisch  gezälilt  werden,  ganz  voll- 
zählig sind,  aher  nur  mit  einer  andern,  bei 
oberflächlicher  Ansicht,  der  katalektischen  ähn- 
lichen Form  schliessen.  Der  sotadische  Vers 
z.  B.  heisst  ein  Tetrameter  ionicus  a  maiore  bra- 
chycatalecticus ,  und  die  Grammatiker  messen 
ihn: 

Jl^r^p  Tiort  (fiaoiv  diu  top    TfQnixeQavvov. 

Es  ist  aber  ein  vollzähliger  Trimeter  und  schliesat 
mit  der  spondeischcn  Form  des  gemischten  Me- 
trum: 

i..\^j''\J..^  5.f  I  J.j-^j^.M  J.J. 

Laut  rufen   die  frotichallend«n  Waldhörner  aar /agdIlUt 


464  Allgemeiner   TheiL 

Mehr  Beispiele  wevden  jedem  Leser  aus  dem 
Vorliergelienden  einfallen.  Da  übrigens  die 
Grammatiker  die  tripodisclie  Messung  nicht 
kannten,  und  eben  so  wenig  die  durch  drei- 
zeitige Lange  entstehenden  Formen  des  gemisch- 
ten Metrum,  so  muss  man  zwar  ihrem  Fleiss 
' Gex'echtigkeit  widerfahren  lassen,*  allein  ihre 
Abtheilungen  dürfen  und  können  uns  nicht  als 
Muster  dienen.  Indessen  wird  bei  jedem  Vers 
immer  auf  die  Messung  der  Grammatiker  zu- 
rück zuweisen  seyn,  da  ihre,  den  \ersen  er- 
theilten  Namen  einmal  technisch  geworden  sind. 

Von  polyscliematischen  Versen. 

-ioi. 
So  viel  Mühe  die  Grammatiker  sich  auch 
gaben ,  jeden  Vers  nach  ihrer  Ansicht  auf  gew  isse 
Grundfüsse  zurückzuführen,  so  musste  ihnen 
doch  dieses  Bestreben  oft  misslingen,  weil  sie 
aus  Unbekanntschaft  sowol  mit  der  tripodischeii 
Versmessung,  als  mit  dem  dreizeitigen  Maas  der 
Länge,  keine  vollständige  und  richtige  Ansicht 
des  Versmaasses  haben  konnten.  Dieses  Miss- 
lingen trat  besonders  dann  ein,  wenn  entweder 
eine  prosodische  Quantität  die  ihr  entgegen- 
gesetzte metrische ,  oder  eine  metrische  Form 
eine  andre ,  ihr  gleiche ,  repräsentirt.  Denn , 
wiewol  die  Grammatiker  einige  Fälle  der  peprä- 
sentirenden  Quantität  anerkannten,    so   war  si« 


Von  polyschematischen    Versen.  465 

ihnen  doch  in  vielen  andern  Fällen  unbekannt, 
und  bildete  dann  für  sie  eine  unerklärliche  Aus- 
nahme von  der  Regele  und  weil  sie  die  Gesammt- 
heit  der  Formen  im  gemischten  Metrum  nicht 
kannten,  so  schien  ihnen  ein  Wechsel  dieser 
Formen  ebenfalls    eine  Ausnahme. 

455. 
Verse  dieser  Art,  wo  entweder  eine  reprä- 
«entirende  Quantität  in  einer,  den  GramiUHiikern 
nicht  bekannten,  Art  sich  einstellt,  oder  wo  eine 
metrische  Form  gegen  eine ,  von  den  Gramma- 
tikern nicht  für  gleich  geachtete,  vertauscht 
wird,  nannten  sie  polyschcmatische  \erse 
(V.  polyschematisti ) ,  d.  i.  Verse,  die  verschie- 
denartige Formen  zulassen.  Aus  dem  eben  Ge- 
sagten erhellt,  dass  diese  Verse  zweiei'lei  Art 
sind. 

436. 

Zu  der  ersten  Art  polyschematischer  Verse 

gehören   die,     in    welchen    die    repräsentirende 

Länge   an   einer    Stelle    gefunden  wird,     wo  sie 

nach  der  Ansicht    der   Grammatiker    nicht   Statt 

findet.       Dahin    gehört    der   epionische    Vers 

(Metrum  epionicum  polyschematistum)  : 

b)  y.c<llc<TTi]  TXoXt  TiuaiZv  üGag  A^sojv  tcpoQcCf 

Wie   schön  durch  leichtes   Gewölk   blickt    des    Mond- 
strnls  lieblicher  Schein, 

den  die  Grammatiker   so  messen: 

5o 


4t)t» 


A 1 1 8  u  iii  e  i  a  i;  r    T  h  c  i  1. 


lu  tlicsem  Vers  findcl  sicli  oft  in  den  ianibl- 
äclicn  Dipodien  stall  des  zweiten  laniben  ein 
Spondeiis,  der  aucli  hier  im  iScVieraa  bezeiclinet 
ist.  Nach  der  Theorie  der  Grammatiker  findet 
aber  die  repräsentirende  Länge  nur  auf  der 
Kürze  des  ersten  lamben  Statt.  Deswegen  nen- 
nen sie  diesen   Vers    polysebemaliseh. 

Hermann  (§.  369.)  iheik  diesen  Vers,  um 
diese  repräsentirende  Länge  durch  die  Endsylbe 
einer  B.eihe  zu  erklären,  so  ab: 

und  vergisst,  dass  er  §.  i5i  für  eine  so  schwa- 
che Keilie,  wie  ein  einziger  Trochäe  ist,  eine 
ianqe  Anakrasis  uaschickhch  fand.  iSacb  un- 
srer  xlnsicht  ist  die  Messung: 

3i  -  Z ^  I i ^  i- 

und  die  repräsentirende  Länge  steht  wegen  des 
folgenden  Daktylus  (383).  Es  ist  also  kein  Po- 
lyschematismus  in    diesem   Verse. 

437. 
Die  meisten,  für  polyschematisch  ausgege- 
benen Verse  lassen  sich  auf  ailgemeiae  Princi- 
pien  zurückführen,  sobild  man  nur  über  Rhyth- 
mus und  Metrum  überhaupt  im  Klaren  ist.  In- 
dessen   finden   sich    unter    den    alten   Versen  ei- 


Von    |Jüly.-üh«niatisci;eii  Verden.  .iß-r 

iiige,  die  man  vergebens  suchen  wird  mit  den 
Sätzen  der  Metrik  in  üebereinstimmung  zu  brin- 
gen. Dieses  ist  der  Fall  tbeils  bey  unrichtigen 
Vei-sen,  welche  der  Zufall  erhalten  hat,  iheils 
und  vielleicht  am  öfteisten  in  der  Parodie  sol- 
cher Verse.  Zu  diesen  scheint  der  Vers  des 
Eupolis  zu  gehören,  von  welchem  schon  früher 
im  \orbeigehn    (395.)    die  Rede  war: 

-  Z I .w-    I    -  Z  -  Z    I   -  ^  - 

tjTTtj&etg,  ovK  u^iog  tov.  tuvt   ovv  vfuv  fif/j,<pofitti, 

A  1"  i  s  t  o  p  h. 

der  die  Spondäen  an  schicklichen  und  unschick- 
iichen  Stelleu  häuft.  So  wie  Aristoplianes  man- 
che Manier  der  Dichter  durch  Karikatur  paro- 
dirt,  so  scheint  er  auch  diesem  durch  Karikatur 
schwerfälligen  Verse,  in  der  bekannten  Stelle 
der  Wolken  v.  ^17,  sein  Recht  getlian  zu  ha- 
ben. Ist  dieses,  wie  es  denn  wenigstens  höchst 
•wahrscheinlich  ist,  so  würde  man  sich  verge- 
bens um  eine  theoretische  Rechtfertigung  diesem 
Verses  bemühen ,  man  müsste  ihn  denn  als  bloss 
accentirten  Vers: 

_3|_w| ,w|_ii-3i_w|_^_ 

in  Dreiachteltakt  messen  wollen,  durch  welches 
Maass  man  Alles  rechtfertigen  kann,  Die  Gram- 
matiker verfuhren  daher,  indem  sie  ihn  j>oly- 
schematisch  nannten,  wenigstens  konsequenter 
als  Hermann,  der  ihn  durch  seine  Basis  erklä- 
ren   will : 


40  J  A 1 1  ^  e  111  e  i  u  e  r    T  h  e  i  1, 

wodurch  aber  nichts  erklärt  wird.  Denn  durch 
eine  „wlllkührliche  Einrichtung  der  Diclilcr" 
das  als  richtig  zur  Hinter ihür  in  die  Theorie 
einführen,  was  mau  a  priori  als  rhythmuswidrig 
verworfen  liat,  heisst  docli  niemals:  Erklaren. 
Eben  so  gut  konnte  man  ein  körperliches  Ge- 
hrechen als  eine  Willkühj-lichkeit  der  plasti- 
schen Natur,  unter  den  Yei'häitnissen  der  schö- 
nen   Form  aufführen. 

438. 
In  der  zweiten  Gattung  ]5olyscheraatisch  ge- 
nannter Yerse  sind  die  metrischen  Formen  mit 
einander  vertauscht.  Denn  was  wir  metrische 
Formen  nennen,  da.^  kommt  bei  den  Gramma- 
tikern unter  dem  iVamcn  Schema  \or.  So 
nennen  sie  z.  B.  einen  daktylischen  Vers,  der 
mit  keiner  andern  Form  wechselt :  monoschema- 
listüm   dactyliciun. 

In  diesem  Sinne  können  alle  Verse  polysche- 
matisch  genannt  werden ,  die  mit  den  Formen 
wechseln ;  doch  sind  nur  diejenigen  so  benannt^ 
deren  Wechsel  nicht  aus  den  gewönlichen  Auf- 
lösungen der  Längen  in  zwei  Kürzen  zu  erklä- 
ren ist.  Wo  z.  B.  der  Trochäus  mit  dem  Tri- 
brachys  wechselt,  ist  von  keinem  Polyschema- 
lismus    die    B.ede;     wol   aber    dann,     wenn    der 


Von    polyschematisclien  Verden.  46^ 

Daktylus  mit  dem  Trochäus  wecliselt.    So  nimmt 
z.  B.  der  Glykonisclie  Yers : 

—     w       I       —     s^     >**       I       _•»^     — 

Schönaurglühendes  Morgenroth, 

zuweilen  die ,  bloss  in  der  Bewegung  variirende 
Form  an : 

Morgcnrolli,    licUslüheruIer   Stral . 

und  wird  nun,  weil  der  Daktylus  nacli  der 
Theorie  der  Grammatiker  nicht  aus  dem  Tro- 
chäus abgeleilet  werden  kann,  für  einen  poly- 
schemalischen  Ters  ausgegeben,  was  im  allge- 
meinen Sinn  des  Polyschematismus  wahr,  im 
specicUen    der  Grammatiker  aber  falsch  ist. 

459, 
Verse,  welche  mit  Formen  wechseln,  deren 
Gleichheit  die  Grammatiker  einsahen,  nennen 
sie  auch  nicht  polyschtmatisch,  sondern  sie 
merken  gk-lcli  in  der  Eeschreibung  des  Yer  es 
an,  mit  welchen  Formen  die  Ilauptform  ver- 
bunden werden  könne.  So  bemerkt  Hefästion 
gleich  zw  Anfang  vom  sinkenden  loniker,  dass 
er  mit  der  trochäischen  DIpodie  verbunden  wer- 
den könne;  aber  ohne  den  metrischen  Grund 
davon  anzugeben. 


4-0  AUjju  meiner     iiieil. 

4-io. 
Als  polyschcmalische  Verse  werden  besonder« 
der  giykon  isclie  und  der  priapisclie  Vers 
angegeben,  welcher  letztere  aus   einem    glykoni- 
schcn  und  ferekratischen    Verse    bestellt: 

Hunc   ego ,   jiivenes  locum   villulamque   palustrera. 

Fackeln  leuchten   dem  Feiertanz    Bacchos   heiliger 

Festnacht. 

Der    ganze   Polyschematismus    beruhet    auf    der 

verschiedenen  Stelle,     die    der    Daktylus    in  der 

trochäischen  lleihe  einnimmt : 

—     -'      —     •-'     —     >-'—       I       —     —     —     s^     —     ~- 

xac  f.ich).ojTivop  IuImv  zat  ^oda  TiQOdearjgcug , 
_~ w .-    I    -3-w^ 

riQiGrf]Gaiiev  iiQiov  linrov  (.iiXQOV  dnozlag, 
_w_3_«^w_    I .-ww 

ov    ßtßrtXog    cJ  zeUrut,   tov    veov  AiowGov  y 
und  mit  doppeltem    Daktylus: 

■  vri   «vadhÖQadoyv  unukag  ccGTia^cc&org  ncitojvxfg, 

0)  Hula/ag  [a.£v  i'^f^wv ,  avanvioiv  ^^   vcv/.tv&ov. 
Die  Form: 

tl>    ^itflO)Pt    Ä(i)TO(fOgoi    XVnflQOV    T£    d^OGUtdli, 

EfcMiIaub   umlcränzet   «Tis    Haar    thyrsosschwingende» 

Mänas , 


^ 

V'v«    polyschemalischi  u   \  oiütji.  ^y  i 

gtliört  zu  den  Verstärkungen  der  rliytlini? sehen 
Charakteristik,  von  denen  früher  gesprochen 
worden  ist.  Hier,  ^vo  die  bfeideu  Perioden  da- 
durch in  Antithese  gesetzt  werden  : 


d: 


dient  sie  zwar  zum  Darstellungsmiitel ,  ist  aber 
doch  für  den  einzehien  Daktyhis  ein  zu  schwe- 
res Gegengewicht.  Horalius  hat  auch  hierin  im 
oft  angeführten  \ers: 

Te  Deos   oro ,    Sybarin    cur  properas    amando, 
sein  feines  Gehör  bewiesen. 

44i. 
Eigenthch  polyschcmatische  Verse ,  in  wel- 
chen ganz  verschiedene,  nicht  zu  demselben 
Metrum  gehörige ,  Formen  mit  einander  \  er- 
tauseht  werden  können,  finden  der.  Natur  des 
Rhythmus  nach  gar  nicht  Statt.  Wo  der  Schein 
eines  solchen  Tausches  eintritt,  da  ist  entweder 
der  Vers  unrichtig,  oder  verderbt,  z.  B.  wenn 
man  im  heroisclien  Hexameter  slatt  des  Spon- 
deiis  einen  Molossus  fand:  oder  die  Form  hat 
neben  der  unzulässigen  noch  eine  andre  Mes- 
sung. So  scheint  mit  dem  sinkenden  loniker 
der  Moloss  zu  w  echseln : 

In  de»  crschnicn  Abends   f oldeinluiücnder  Dämmrung. 


472  Allgemeiner    Th  c  i  1. 

Allein  dieser  Moloss  ist  ein  Bacchios  mit  pro- 
sodisch  langer  Eud.sylbe  am  Schluss  der  Periode, 
und  also  keine  fremdartige  Form.  Hermann  he- 
hauplet  ebenfalls,  dass  es  keine  polyschemati- 
schen  Verse  gebe;  gibt  es  wol  aber  bei  den 
Grammalikern  einen  sclilinimern  Heteroscliema- 
tismus,  als  er  selbst  annimmt,  indem  er  die 
Formen:  ^  -  c  u  und  ^^  _  ^  _  als  verlausch- 
bar  mit  dem  sinkenden  loniker:  _  _  ^  „  auf- 
nimmt ? 


Von  widerstrebend  zusammengefügten 

Versen. 

{MsTQtt  y.av    KVTinadstav  fJiiKTtii.) 

442. 

Eine  andre  Gattung  unregelmässiger  Verse 
bildeten  die  Grammatiker  aus  solchen,  in  wel- 
clien  Formen ,  die  sie  für  heterogen  hielten , 
nicht  so  wol  gegen  einander  vertauscht  werden, 
als  vielmehr  mit  einander  zu  einem  Verse  ver- 
bunden sind.  Solche  \erse  nannten  sie  Avider- 
slrebeud  zusammengefügt  ( ^iTQu  x«^'  dvxinaßnav 
(iixrci).  Dieser  Begriff  widerstrebender  Zusam- 
men fügung  widerstrebt  aber  selbst  dem  Begriff 
des  Verses.  Schon  hieraus  lässt  sich  vermuthen, 
dass  nicht  im  Vers,  sondern  in  der  Unbekannt- 
schafl   der   Grammatiker  mit    der    wahren  Mes- 


Von  -widerstrebend  zusammengefügten  Versen.      475 

sung  der  Grund  lag,    warum  diese  Verse  ihnen 
widerstrebend  zusammengefügt   scliieuen, 

445. 

Zu  solcLen  Versen  rechneten  die  Gramma- 
tiker folgende : 

1.  Den  Epionicus  uvaalMixevog,  nach 
Hefästion : 

i)[(i  HIV  '^vdQOfiiöci   nclttv  ujiioißcxV' 

Durch  sanfLe  Liebesgevv'alt    der  holden  Jungfrau.' 

Hefästion  misst  ihn  so: 

als  bestehe  er  aus  einer  iambischcn  Dipodic  und 
zwei  steigenden  lonikern  (^^o  —  --!«  u  —  —)r 
welche  nach  den  Grammalikeru  durch  eine  um- 
xlaoiq  (Umbeugung,  Synkopie  der  ISoten: 
/i^j  ^ä  I  A^J  j  )  diese  Form  uu-u  I  -o-u 
annehmen  sollen,  wie  bei  dem  molossischen Me- 
trum weiter  erörtert  werden  wird.  Vielleicht 
fand  sich  auch  der  Vers  zuweilen  in  reiner  io- 
nischer Form: 

Z ,-      I     ^    ^ I     W.W 

ntoiooov'  ctt  y(/.(i  '^nolloiv  6  ?,vKe7oet 
Mit  sanfter  Liebesgewnlt  Vi^ehrte  die  Jungfrau, 

mit  jenem  vermischt.  So  sieht  nun  freilich  der 
Vers  sehr  widerstrebend  zusammengefügt  aus; 
denn  wer  mochte  diesen  Rhythmus: 


i;4  A  I J  f^  e  m  oiiip  r    T  ii  •,  .  1. 

fluiden?  Er  zeigt  sich  aber  in  walirer  Gestalt, 
sobald  man  nur  die  Musikzeiclicn  ordnet: 

,1^1  j  /  .^  ;>  .M  j.  .^'5  j^  i  J.J 

von  dem  nun  jener  ccvaxkojfifvog : 

'^  I  '  J^  j'^  ^  j'^  i  J  ^  J   ^  I  '  J 

«      I    «    i    ^.  «^ji^      \    d    0    ä    9      \    0.  ä 

Z  \  — .-^wi  — .  — ,| 

eine  sehr  leichte  Variation  ist.  So  lös't  sich 
das  Widerstrebende  in  beiden  Versen, 

444. 

2.     Den  Saf fischen  Vers,    den  die  Gram- 
matiker so  messen: 

—      «*      —      <^        I        —      la/,.«..        I        i^      .^     s^ 

Als  der  Jugend  liebliches  Licnt  dahinscliwand. 

Das  Widerstrebende  entsteht  bloss  durch  Ne- 
beneinanderstcllung  der  Füsse ,  wo  drei  Tro- 
chäen anfangen ,  und  zwei  lamben  nebst  einer 
unbestimmten  Sylbe  schliessen: 

Der  wahre  Gesang  dieses  Verses  in  zweierlei 
Mötrum  ist  früher  schon  (425)  angegeben. 

Hermann  tadelt  des   Iloratius    Cäsur: 


Von  ^vicIerstrebend   zusammengefügten  ^  ersen.       475 

Integei-    vitae,    scelerisque    purus , 

Wenn   ron ,  dir  unhold  mich  die  Parze  scheidet  — 

Voss. 

weil  dann  der  zweite  Trochäus,  al^  mitten  iö 
der  Reihe  Leflndlich,  nothwendig  rein  bleiben 
musste.  Sollte  denn  aber  Horatius  sein  besse- 
res Gehör  verläugnen,  weil  sein  Kritiker  metri- 
sche und  rhythmische  Reihen  nicht  zu  unter- 
scheiden weiss ,  und  übrigens  vcrgisst,  dass  im. 
Irochäischen  Tetrameter  von  ihm  selbst  an  der 
Stellung: 

—      >_/      —      V*        I        —      «-'      —     «.<        I        r—      w<      —      \./        I        —      »^_ 

^(ÜOt    UvdQCÜTiMV.      XaKlGTU    Tu)   ^CVOPTl    yiV^TUl  , 

kein  Anstoss  genommen  wird,  obgleich  die  re- 
präsentirende  Lange  am  Schluss  der  Periode 
nicht  am  Ende  einer  rhythmischen  Reihe,  son- 
dern in  der  Mitte  eines  Wortfusses,  steht  ? 

445. 
3.     Folgenden  Vers,    nach  Hefäslion: 

o    —    u—     I     —    —    vju     I     —    o    —    tj 

ionkox\  ayvci,  fjnkt'/o finde  ^an(fOc. 

Des  Herbstes  Froslhauch  ))leichte  die  grünen  Blatter. 

Hermann  misst  ihn  richtiger: 

ü    —    <j"-ij     I     —    \_»0    —    w    —    V» 

Man  kann  ihn  betrachten  als  einen  Sa f fi- 
schen Vers  mit   dsm  Auftakt,    oder  als  einen. 


4^6  AI]  g  eme  iriü  r     Thtil. 

mit  der  schliesscndea  Tliesis  verlängerten,  Ai« 
c  ä  i  s  c  h  e  n. 

Der  pindarische  Vers: 

U      —     —      (J        I       —     \J     <~>      —      U      —      Kf 

0   IlIovGuyezag  f.ie  y.aXii  '^Ofievaai, 

Empoi-  dringt   der  Muth  zu  der   GÖltei-wohniing," 

ist  eine  Variation  des  vorigen,  indem  die  bac- 
cliisclie  Foi'm  statt  der  trochäisclien  zu  Ajiifaiig 
steht : 

cl      —    —     ul—     VJÜ    —     ül—    — 

.      446. 

*  4.  Den  Alcäi scheu  Vers,  nach  Hefa- 
Stion: 

<j    —    O—      I—    —    yOl—    o    — 

tu  Va§  'jlnQl.l.MV^   7i(x7  fi^yuXoi  Jiog- 

Ein  -weiser  König  schützet  die  Wissenschaft.    Voss. 

Hermann  misst   ihn: 

Vj    —    u    —    t/     I     —    OO    —    oo 

und  so  fällt  schon  das  Widerstrebende  weg. 
Wahrscheinlich  aber  ist  die  Messung  tripodisch^ 
und  die  fünfte  Sylbe  von  Hefästion  nicht  ohne 
Ginind  als  Länge    angezeigt: 

^  I  J  .N.J.  l.'^is.N.'^J 

u     1     —    u    —    —     1     —    Uly    —    o    — 
Mors    et  fijgacem    persequitur    virum.      Horat. 


Von    Asyn arteten. 


/t'-' 


Mehr  über  äivse  wichtige  Versart  wird  bei  den 
*  Verseu  des  tripodischen  Metrum  gesagt  werden. 

Von     As  yn  arteten. 

447. 
Versus  asynarteti  entstehn,  nach  der  Meinung 
der  Grammatiker,  wenn  zwei  Riiythmen  zwar 
in  Einem  Verse  cnthahen  sind,  aber  mit  sich 
selbst  nicht  zusammenhängen.  Dieser  Mangel 
an  Zusammenhang  oiFenbart  sich  nach  Hermann 
(§.  075.)  dadurch,  dass  jeder  dieser  Rhythmen 
die  unbestimmte  Endsylbe  hat,  und  den  Hiatus 
zulässt. 

Hiermit  ist  nun  freilich  nichts  andres  gesagt, 
als:    es   habe    den   Dichtern    gefallen,     zuweilen 
zwei  für  sich   bestehende  Verse  zu  einem  einzi- 
gen zusammenzusetzen,  so,  dass  sie  auch  in  der 
Zusammensetzung  noch  geschieden  bleiben,  und 
jeder  schliesst,    als  ob  er  für  sich  allein  stände. 
Dringt  man  nun  darauf,     zu  wissen,    ob   solche 
Verse    zwei    Verse   seyen,    oder  nur  Einer,     so 
lässt  die  Hermannische  Theorie,  so  wie  die  Lehre 
der   Grammatiker   über   diesen    Hauptpunkt   die 
Auskunft   fehlen.       Um   aber    genau   zu  wissen, 
wovon  die  P^ede  sey,  ist  es  nölhig,    das  Daseyn 
der    Asynartetcn    zuerst    als    empirisches    Datum 
aufzunehmen.     Dann  wird  es  sich  aus  ihrer  Ver- 
gleichung   mit    den   allgemeinen   Principien    des 


478  Allgemeiner    T  h  e  i  I. 

Rhyttinus  von  seihst  zeigen,  welcher  Natur 
diese  Verse  seyn. 

448. 
Als  Asynarteten  werden    aufgeführt: 
1.     Ein  Vers    des  Archiiochus: 

<j    —    v.>o    —    «ja    —    u     I     —    o    —    u    —    u 
£g<xGfiovidri  XuoiXuf ,    yjjtjpu  rot   yfKoiov. 

Es  blüht  an  dem  schäumenden  Ijeuher  Myrtenzweig  und 

Rose. 

Für  einen  Asynarteten  wird  dieser  Vers  gehal- 
ten, wegen  der  uuheslimmten  Endsylhe  seines 
ersten  Theils,  die  nicht  auf  den  Schluss  einer 
Dipodie  fällt.  Allein  sie  fällt  allerdings  auf  den 
Schluss  einer  metrischen  Periode;  denn  der 
Vers  ist  tripodisch  zu  messen : 


O      |—    (JU    —    uw    —    u      |—    u    —    w    —    u 

Die  Cäsur  ist  nicht  an  eine  bestimmte  Stelle 
gebunden,  wie  die  von  Hefästion  und  Hermann 
angeführten  Beispiele  nebst  mehrern  andern 
zeigen : 

V     I    —    ^o    —    u(J— ?u     I     —    u    —    ü    —    <-» 

Ti]g  -^fiere^ug  aoifiag  y.QiT7}g  uQiGxe  navzMV. 

<-»        I       —      V.iU      —      OU      —      <_l        I       —  5U      —      (-»""^ 

6Q)(^ovnfvov  ogrig   un^f^Xaliv  ^^^^v   rQvyotdotv. 

Ar  isto  ph. 
Mit  weitaushallendem  Becherklang  das  Lied   begleitend. 


Von    Asj-nar  Le  teil.  4y^ 

Diese  veränderliche  Caesur  maclit  auch  die  an- 
gegebene tripodische  Messung  wahrscheinlicher, 
als  die  mögliche  dipodische: 

>  1  ?N  5  .N  >  ^  > 


«s 


j^j::^^  !  j.j.  I J  .N  J"  N.J. 


V 

Denn  die  dreizeitige  Thesis  der  dritten  Periode 
könnte  in  der  Mitte  des  Worlrhythmus  nicht 
als  Kürze  stehn,  wie  es  oft  in  diesen  Versen 
der  Fall  ist. 

Der  Vers  des    K  r  a  t  i  n  u  s : 

;::  i  — .  ^  — ■  ~  z  \  _^-«._w. 

'Uftaafiovidi]  ßcc&innf ,    tmv    aoiQoKsuov  ^ 
ist  nichts  als    eine    Variation    des    vorigen,     die 
ganz  deutlich  die  trochiiische   Natur   jener  Dak- 
tylen  zeigt. 

In  beiden  Versen  bemerkt  man  bald  die 
Achnlichkeit  mit  dem  Saturnischen  Verse  der 
Pvömev : 

w   I   _^_^_3   I    -w Z 

Mortales  immortales    flere   si   foret    fas, 

Mehr   Leiden ,  als    die    Krankheit  führt    herbei    die 

Rettung, 

der,  genau  genommen,  ein  accentirter  ist: 

a  \  ä   a  ä   a  d  a  \  ü  a   ä   a   ci  a 
und   an   jeder   Stelle    die    Tripelbewegung     an- 
nimmt : 

Slmul   alius  aliunde    ruininant   inter  se 
weswegen  er,  wenn  mau  ihn  als  fjuantitircnden 
Vers     betrachtet,      an    itder     Stelle     Trocliiicji . 


48u  Allgeraeiner  Theil. 

Spondeen,  Tribracheu,  Anapästen  und  Dakty- 
len zuzulassen  scheint.  Jener  Arcliilochische 
"Vers  ist  also  das  Scliema  des  Salurnisclicn  \er- 
sesj  in  die  quantitirende  Gattung  transponirt. 

Für  die  Geschichte  der  Rhythmen  sind  der- 
gleichen Nebeneinandei'Stellungen  ähnlicher  Verse 
Sehr  interessant.  Sie  zeigen  dasselbe  Grund- 
schema in  sehr  verschiedenen  Versen  durch  Kul- 
tur der  Sprache  und  Nalionalcharakter  modiii- 
cirt  und  ausgebildet.      Das  einfache  Schema: 

war  der  Grund  des  epischen  Verses  bei  den 
Griechen  und  Römern,  (\es  Hexameters  (der 
Anfangs  wahrscheinlich  ebenfalls  accentirte),  und 
des  Saturnischen  Verses.  In  seiner  Einfachheit 
schwankt  es  theils  auf  die  dramatische  Seite  im 
dipodischen   Trimeter : 

wo  es  in  Daktylen  von  trochäischem  Maas,  die 
mehr  deklamatorische,  als  lyrische  Form  des 
Hexameters  in  Episteln  und  ähnlichen  Dichtar- 
ten bildet,  wie  künftig  weiter  ausgeführt  wer- 
den wird,  theils  auf  die  lyrische  Seite  im  di- 
podischen  Tetrameter : 

J  .N  .N  J.J.  IJ  /J  .N  J.J 

wohin  vielleicht  der  Yers  der  SafTo: 

dev^o  diVTe,  Moifsai,  ^^vaeov  Xinotacii^ 


Von    Asynarteton.  48 1 

gehört,  und  wo  sich  die  grosse  Zal  der  ioni- 
schen Verse  in  ihrem  mannichfahigeu  Formen- 
wechsei  bildet. 

449. 
3.     Ein  andrer  Vers  des  Archilochus: 

_  S~Z,  _  J~^  -  -T^  _-w   I ' 

OVK  i&'  üfiiog  '&ul\{ig  dnaXov  XQoa'  xu()(ffTai.  yccQ 

Vitae  summa  bravis  spem  nos  vetat  inchoare  longam. 

H  o  r  a  t. 

Wenn    der    G<^sang    Festmale    verherrlichet,    scheuche 

weit   die    Schwermuth. 

Das  Maas  dieses  Verses  ist    folgendes: 

j^  i!  J^^'«  .N  .^^\\'«  / 1 J  jN  ."  IJ.J. 

Dem  Metrum  nach  ist  er  also  ein  trochäischcr 
Tetrameter.  Der  Charakter  des  A.syiiartetus  soll 
jedoch  darin  liegen,  dass  die  Endsylbe  der  dak- 
tylischen Reihe  die  reprasentirende  Länge  g^" 
statte: 


xtti  ßrjGGag  üQfiov  dvgnumuXovg  olog  riv  ((p    ^]ß^g. 

Beute  der     freudlos    traurigen     Unterwelt     ward     der 

GlauB  der  Schönheit. 

Was  aber  bei  der  Endsylbe  daktylischer  Rhyth- 
men iin  Allgemeinen  bemerkt  wurde,  gilt  auch 
hier.  Der  Krelikus,  statt  des  schliessenden 
Daktylus,  bleibt  allemal  ein  Zwang  des  Rhytli- 
mus;  denn  der  Charakter  des  Daktylus  ist  Flüch- 


Ji 


HÜ»  AllgemeiiKsr    Theil. 

tigkcit,  -welche  sich  nicht  bloss  in  der  Schnel- 
ligkeit zeigt,  mit  der  die  Sclilusssylbe  zur  fol- 
genden forteilt,  sondern  zugleich  in  der  Leich- 
li"^keit,  init  der  sie  an  sich  selbst  kurz  verhallt. 
Diese  Leichtigkeit  gibt  der  repräsentirenden  pro- 
sodischen  Kürze  auf  der  schliessenden  Arsis 
ästhetischen  Charakter,  und  darf  daher,  wo  sie 
von  INatur  steht,  nicht  durch  repräsentirende 
Länge  verdrängt  werden.  Man  versuche  nur 
Vv^orte,  wie  Völkerwohl,  Gottesfurcht, 
Uebermuth  und  ähnliche  flüchtig  abzufertigen 
und  man  wird  sich  überzeugen.  Leichte  und 
scharfe  Längen  halten  sich  allerdings  an  solchen 
Stellen,    z.  B. : 

Helle,  liebliclae  Flutenbewegerin,  ebne  sanft  die  Wogen, 

und  stören  die  Flüchtigkeit  nicht,  da  sie  ohne- 
dies von  zweideutiger  Länge  sind. 

Eoi'atius  wusste  sich  in  Gedichten  der  Frei- 
heit unbestimmter  Sylben  zu  bedienen ,  dennoch 
hat  er  in  der  Ode  (I.  4.)  Solvitur  acris  hiems 
die  daktylische  Hälfte  dieses  Verses  nieoials  mit 
dem  Kretikus,  sondern,  von  richtigem  Gefühle 
geleitet,  allezeit  mit  reinen  Daktylen  beschlos- 
sen. Voss  beobachtete  in  «einer  Uibersetzung 
dieser  Ode  dasselbe. 

Der  Archilochischc  Vers  ist  also  kein 
Asynartetus,  so  wenig  als  der  Soladische  Vers, 
von   welchem    dieser  AroUiioch loche   eine  Varia- 


Von    Asyn  arteten.  4S3 

tion    mit    stehenclen    daktylischen   und    trochäi- 
schen Formen    scheint: 

_  JZ  -  ^  ^    I    -  -  -  -  ^ -.    I    -  w  -  w    I    _  « 

I         ^ÖMJ         ^^^II^1^!^IJI 

S.         «^.s\    I  ä.        «.  cJ     I  JJ.  oV    I  ä.'i. 

^^^^ft^l  ^J^^^^.^|  j  M  ^I  j  j 

J.  «'J  «.  «^0  I  <».  ^ä  c.  jT^  t  ^  ^  'J  :^  I  <^.  ^. 
^HotiV  TTOTS  quaiv  ^lu  xav  TfQnr/.egoivvov. 
Nunc   decet   aut  viridi    nitidum  caput   impodire    mjTto. 

H  or  at. 

'Folgender  Vers  des  Kratinus  ist  eine  Va- 
riation davon: 

•.  ^  J    ».  t^  «     \    g.  0^  d    d    J     I    0    d    d    r      I    «.  d. 
^uiQfre  TtavTiq  ^eot  noXvß(OTOv  Tcovriav  2^fQi<f0Vf 

Alles  gewährt  IVIuth vollen  das    Schicksal.      Miith    besiegt 

die   Götter, 

und  ehen  so  wenig  ein  Asynartetus.       Das  ganz 

trochäische  Grundschema  beider  Verse  ist: 

j  j-^j  jN  i^i i^\  j  jN  :•  I  jj. 

Ol'«?'  ^yJfi(ix\iav  oQuTi  nxoixov  ovt    fq)*   t]fxiv. 
Wenn  der  Mitternacht    Beschattung    Flur   und   Wald 

umdunkelt. 

45o. 
5.  Noch  ein  Vers  des  Archilochus: 

ulXa  f.1    (j  IvnififXr/g  (o  \aiQ(  SafAvarac  nodog. 
JloUibus  in  pucris   aut    in   put-Ilis    Orere,       H  o  r  a  t. 
AU  er  von  blühendem  Mund  «Icghaft    den   Erstlingkuss 

geraubt. 


484  Allgemeiner  'I'h eil. 

Seine  Messung    ist: 

Wenn  die  Arsis  der  zweiten  Pe^'iode  als  iliyth- 
musbeschliessend  die  Kürze  annimmt,   z.  B. : 

Inachia  furere,   sylvis  honorem   decutit, 

Wale  den   Mächtigeren  !     Kein   Schwacher  schützt  yor 

solchem   Feind, 

30  maclit  dieses  den  Vers  noch  zu   keinen  Asy- 

narteten,     so    wenig  als    die    kurze  schliessende 

Arsis    in : 

Omnia  vincit  amor,  et  nos   cedamus  amori, 

den  heroischen  Hexameter.  Wollte  man  diese 
Kürze  bei  vernachlässigter  Cäsur  anwenden,  so 
war  der  Vers  entstellt,  z.  B. : 

o 

—     OU     —     «JU—      I       fj     —     ij     —     KJ     —     \J     — 

Flocht  sich   ein  blutiges  Diadem  und  herrscht*  im  öden 

Land. 

Uiherhaupt  ist  dieser  Vers   streng    an  die  Cäsur 

gebunden,     wegen    der    Pause    in  seiner   Mitte. 

Man  versuche: 

Breitet  erglühende  Farbenpracht  am  Abendhimmel  aus, 

und  der  Vers  ist ,  ohne  grossen  Sylbenzwang, 
nicht  mehr   derselbe. 

45i. 
Eben  wegen  dieser  so  unverändei^Iichen ,  und 
durch  eine  Pause  begi*anzten^  Cäsur,  sollte    man 
diesen  Vers  nicht  sowol    für    einen    asynartetus . 


Von     Aaynartclen.  <i83 

als  \ielmthr  für  zwei  getrennte  Verse  anselm, 
wie  denn  auch  mehre  Ausgaben  des  Horatius 
diesen  \ers  trennen: 

fervidiore    mero 

arcana   promorat  loco. 
Welch    ein    Geplauder    von   mir ! 

Wie  reut   mich  jedes  Lustgelag.      Voss, 

Es  ist  bekannt,  wie  sich  Bentlei  gegen  diese, 
von  Lambinus  ausgehende,  Trennung  des  Ver- 
ses ereifert;  allein  genau  betrachtet,  beweiset  er 
nichts,  als  dass  es  mit  den  Lanibinischen  Ma- 
nuskripten eine  zweideutige  Sache  seyn  mochte, 
dass  die  Grammatiker  die  Asynarteten  weder 
für  Eins,  noch  für  Zwei  mit  Bestimmtheit  aus- 
gaben, und  dass  der  Hiatus  (mero  arcana) 
und  die  unbestimmte  Sylbe  schon  nach  Hefii- 
stion  am  Ende  eines  Pvhythmus  ( Colon)  eben 
sowol  ,  als  am  Ende  eines  ganzen  Verses  Statt 
habe.  Ist  dies  aber  hinlänglich,  um  gegen  die 
trennende  Schreibart  zweier  Rhythmen  zu  ei- 
fern ,  die  an  sich  durch  eine  Pause  getrennt 
sind?  Eine  andre  Bewandniss  hat  es  mit  dem 
folgenden  Verae. 

452. 

4.  Die  Umkehrung  des   Vorigen: 
-  -  u  o 

«J     —     W     —     W     —     U—      I      --njtu     —     U«J     — 

Deformis    aegrimoniae   dulcibus    alloquiis.       Horat. 
Wenn  spät  des  Abends  Dämmerschein   dich  dem  Gelieh- 

ten  vereint. 


486  Allgemeiner    Theil. 

Sein  Maas  ist: 

•N  j  /j  ^M  j  .^J.  \.u,\f:i>:\ii ' 

Wenn  die  Schlusssylbe  der  ersten  Hälfte  kur« 
ist,  so  ist  der  Grund  die  schiiessendc'  Arsis, 
oline  dass  man  nöihig  hat,  einen  Asynartetus  in 
diesem  Verse,  zu  sehen,   z.  B.: 

Levare   diris   pectora   eoUicitudinibua.     Horat. 

Als  dunkle  Nacht  die  Liebenden  schützend  in  Schleier 

gehüllt. 

Wollte  man  die  Cäsur  übergehen ,  so  müsste  dJe 
Schhisssylbe  von  ganz  bestimmter  Länge   seyn: 

Verbann'   aus  unsrer  Brust  den  misslannigen   Sorgen- 
tumult,     Voss, 

sonst  entsteht  ein  verschiedener  Vers: 

Aus  freier  Brust  die  öoigen  verbannet  in  frolicher 

Lust, 

der  das  Maas  haben  würde : 

Dasselbe  geschieht,  wenn  das  Wort  zwar  mit 
der  Kürze  endet;  aber  im  Begriff  sich  zu  eng 
an  das  folgende  anschliesst: 

Als  dunkle  Nacht  die  Liebenden  barg.    Der  geheiligt* 

Hain. 

Der  Vers  ist  also  kein  Asynartetus.  Indessen 
haben    auch  ihn    einige   Herausgeber  des  Hora- 


Von     Asynartetsn.  48? 

tius ,  ^viewolil  mit  weniger  Grund ,  als  den  vori- 
gen, in  zwei  verschiedene  Verse  getlieiit. 

455. 

Warum  aber,  könnte  ein  Zweifler  hier  ein- 
wenden, duldet  der  Schluss  der  ersicn  Peiita- 
meterhälfle  nicht  die  Kürze  statt  der  Länge, 
wenn  bloss  die  schliesseude  Arsis  hinlänglich 
ist,  sie  zu  rechtfertigen? 

Allerdings  lautet  die  Regel  der  Grammati- 
ker, dass  diese  Stelle  unAcränderlich  lang  seyn 
müsse;  auch  habeo  die  Dichter  von  jeher  diese 
Regel  befolgt.  Allein,  wenn  nur  die  CUsur  auf 
dieser  Stelle  ganz  bestimmt  eintritt,  so  ist  kein 
Grund,  warum  nicht  hier,  wie  bei  jeder  andern 
schliessenden  Arsis,  die  Kürze  Statt  finden 
könnte^   z.  B.; 

aLer  die  duntle 
Nacht  schwieg  schauerlicher,   düsterer  blickte  der  Mond, 

Denn  dass  auf  ähnliche  Art  die  Kürze  im  Hexa- 
meter stelle,  ist  schon  öfter  bemerkt  woi-den. 
Allerdings  ist  diese  Pcntameterlünge'  dreizeitig; 
aber  auch  die  dreizeitige  Lange  in  der  schlies- 
senden Arsis  duldet  die  prosodische  iCürzc,  z.  B. : 

Schüchtern  sang  die  Erröihende ;    schweigend  horchte 

der  Buchbain. 

Nutrlvi  magis  et  inagis  ut  beata  q^notannis.      Catull, 
Wahrscheinlich  bedienten   sich  die  Dichter  des- 


488  Allgemeiner   Theil. 

wegen  bei  dem  elegischen  Verse  dieser  Freiheit 
nicht,  weil  der  Vers  durch  eine  so  ganz  be- 
siimmie  Cäsar  zu  eintönig  werden  würde,  wie 
bei  der  weitern  Erörterung  des  elegischen  Pen- 
tameters noch  deutlicher  werden    wird. 

454. 
5.     Der   enkomiologische  Asynartctus: 

^  (>'   Irt  Jeivoi-UVit  tm    TvQixyiiii'i. 

Aber  hinaus,  wo  der  Fluss  durch  Wald  und  Berghöhn. 

Er  hat  vielleicht  tripodisches  Maas: 

.f: .^ J' .\^ i" i  ^"11  .N.J. 

vielleicht  aber  auch  diese   dipodische: 

.N'!  .\N«!  /  I  J  /  J  /  1  J.J. 

Wegen  der  Länge  statt  der  Kürze  des  ersten 
Trochäen  in  der  zweiten  Dipodie  vergl.  das  5y5 
Gesagte.  Die  Kürze  der  Schlusssylbe  in  der 
ersten  Reihe  hat  ihren  Grund  ebenfalls  iu  der 
schliessenden    Arsis ,    z.  B. : 

Alles   beseligende ,  huldreiche   Göttin. 
Falsch  würde    seyn: 

KUes  beseligende  Gewalt  der   Liebe. 

Denn  die  Schlusskürze  wurde  über  die  metri- 
sche Zeit  hinweggezogen  werden,  und  man 
würde    die    Bewegung : 

~<-»«»  —  »t»    I    S0>  f  *^  —  '^^    I    —-• 


Ton    Asynarteten.  489 

ZU  vernehmen  glauben.  Auch  hier  ist  es  also 
nicht  nöthig,   einen  Asynartetus  anzunehmen. 

455. 
6.     Der  lambeiegus,  der  die  Ordnung  des 

vorigen  umkehrt: 

—  >>> 

.«>  —  *.<  —  «.«1—  «««w  —  «■««■«^ 

Aus   dunkler  Felskluft   weeken  Gesänge   mich  auf. 
Das  Maas  dieses  Verses  ist  tripodisch: 

,M  J  .N.J.  I  .':.'* y\N'* .N 

Er  ist  so  wenig  ein  Asynartetus,  als  der  Alkäi- 
sche Vers,  dessen  letzten  Kretikus  der  lambeie- 
gus in  den  Choriamben  variirt. 

456. 
7     Der  Platonische  Vers: 
jfaf()e  naXaioyovMV  dvö^cov  ■&£ut<x}v    ^vXXoys  nap- 

Scheuche  den  düsteren   Sinn,    noch  blüht  die  Jugend, 
lächlet  die  Freude  dicli  an , 

von  Plato,  dem  Komiker,  so  genannt.  Hefä- 
stion  misst  diesen  Vers  mit  richtigem  rhythmi- 
schen Gefühl   so: 

wobei  er  vielleicht  an  die  Art  dachte ,  wie  Gram- 
matiker, manchmal  auch    wol  Dichter,   Vex'«zu- 


49°  Allgemeiner   Theil. 

sammensetziingen  erfanden.  Sie  setzten  nämlich 
in  die  Mitte  eines  bekannten  Verses  ein  Sclialt- 
uictrum  {fifT()op  /.ifaov.  S.  262.),  wozu  gewönlich 
der  Choriarah ,  das  iambische  Penlliemimere» 
(  ~  _  „  _  ^ )  und  das  daktylische  Penlhemi- 
nieres  {-.^J^J-.^J^-)  gebraucht  Aviu-de.  In 
diesem  Platonischen.  Vers  iöl  zwischen  die  Hälf- 
ten des  elegischen  Verses  jene  iambische  Figur, 
Penthemimeres  genannt,  eingeschaltet,  wie  die 
Messung  Hefästions    zeigt. 

Der  Messung   und  iil>tlieilung: 

—     wo     —     'JW       —     W—    lO     —     t>     —     WU      —    OÜ-" 

V 

'/f^-iQ'^  TcalaLoyovtav  KvÖQiov  d^iarcop  ^vlXoye  TrapToaoq:cov 
widerspricht  die  Stelle  der  repräsentirenden 
Länge. 

Hermann    will  den   Grammatiker  verbessern 
und  misst  den  Platonischen  Vers   so: 

_t^y   —   oü— "oi—   »^~v/l   —   u*j   —   00  — 

Freuden  umflattern  die  Jugend ,  graue  Weisheit  bannet  sie 

neidisch  hinweg. 

Rhythmi  ch  betrachtet  wird  der  Vers  durch 
diese  Theilung  sclileppend,  indem  ihn  die  bei- 
den auf  einander  folgenden,  thetisch- lyrischen 
Cäsuren,  gegen  das  von  liefästiou  angeführt« 
?ieis])iel  entstellen. 


Von    Asy narteten.  691 

Die  Messung  ist   tripodisch: 

vielleicht  aber  auch  c!ipo''isch,  "wie  Lei  dem 
Elegiambus  (454.)  beide  MessuDgen  Statt  findun: 

.^*  jV  .5  j-^  I  j  /  j /i  j.  j.  1  .^^  j\';  ,^  .N  j. 

wo  ev  aber  besser  als  zwei  ^erse  betrieb tet 
würde : 

—  uü  —  ou    I    —  O  —  ü    i    —  — 

Denn  er  ist  seinem  Rhythmus  nach  ein  Elegi- 
ambus mit  noch  einer  Penlameterhälfte.  In  so 
fern  hat  er  auch  auf  der  ersten  Arsis  der  zwei- 
ten Periode,  inderCäsur  die  prosodische  Kürze : 

u  — 
—  ou  —  w«j   !  — u  —  w  I  •— — •  I  — 00  —  uü  I  — 

Alles  beseligende,  hiildmcho  Göttin,  höre  den  Feier- 
gesang. 

Hermann  'scheint  diese  Kürze  zu  bezweifeln, 
wiewol  er  sie  bei  dem  enkomiologischen  Vers 
anerkennt;  daher  kommt  ohne  Zweifel  seine, 
den  Hhylhmus  entstellende  Theilung. 

458. 
8.    Der    Pindarische  Vers,    nacli   Hefä- 
stion's    Messung : 

\J   —    \f   —    \^    I    —    «w—    uO—    l    c»~o    —    u 

OS  xat  Ttmfig  ayvo)  nAiitd  rixtro  ^uv&av  ^'&uvui/. 

Dort  blUlit,  Tora  jNordtturm  nimmer  bedroht,  in  dem  Thai 

•in  ewger  Frühling  , 


49s  Allgomciner     Theil. 

scheint,  dem  Schema  nach,  die  Umkehrung  des 
platonischen  zu  seyn;  denn  die  Daktylen  sind 
hier  in  der  Mitte  und  werden  auf  beiden  Sei- 
ten von  lamben  eingeschlossen.  Seine  Messung 
würde  nach  dieser  Ansicht  folgende   seyn: 

Hermann  tadelt  auch  hier  den  Grammatiker  und 
theilt  den  Vers  so  : 

Ü     —     V-»     —     U       I       —     <J^     —     VKJ     —     %J       I       —0     —     0 

wo  der  Rhythmus  freylich  bis  zur  höchsten  Mo- 
notonie in  den  drei  lyrisch-  thetischtn  Cäsuren 
schleppend  wird.  Denn  dass  Hermann  metrisch 
nach  Tripodien  den  Vers  habe  iheilen  wollen, 
lässt  sich  nicht  erwarten ,  tlieils,  weil  er  die  Tii- 
podie  nicht  kennt,  theils,  weil  er  in  andern 
Versen  niemals  die  Au/taktsylben  in  die  vor- 
hergehende Periode,  metrischer  Weise,  zuschrei- 
ben pflegt. 

Vielleicht  ist  aber  keine  dieser  Messungen 
die  wahre,  wenigstens  bieten  uns  die  Versbei- 
spiele bei  Hefästion,  wenn  wir  von  seiner  zu- 
sammengesetzten Messung  absehn,  einen  weit 
schönern,  lebendigem  PUiythmus  dar,  nämlich 
diesen : 
—  _  o  ~ 

V0~(fi0t  di  'AUL  ro  ftrjSfT  ccyuv  fuog  aivrjaav  niQiOGtag 


Von     Asyn  arteten.  49S 

die  mit  O  bezeiclmete  Stelle  gestattet  als  sclilles- 
semle  Arsis  die  prosodische  Kürze,  ohne  den 
Vers  zum  Asynartetus  zu   machen. 

459. 
Die   einfachere   Form    dieses  Verses    ist   der 
Eur^pideische   sogenannte  Asynartetus : 

Dort  wohnt  in  FrühlingsblUteupiacht  ewger   Reiz    der 

Jugend. 

Die  Messung  erklärt  sich  von  selbst,  aber  es  ist 
dieser  Vers  so  wenig  ein  Asynartetus,  als  ein 
andrer.  Gibt  man  dem  Schluss  der  ersten  Hälfte, 
die  in  der  /dreizeitigen  Schlusslänge  ideell  ent- 
haltene Thesis:  als  reelles  Moment,  so  zeigt  sich 
der  iambische  Tetrameter : 

oder  metrisch  getheilt: 
z  I Z  I  -_-(Z)| |__ 

als  Grundschema  des  Verses. 

46o. 
Es  würde  unnöthig  seyn,  alle  andre  Verse, 
die  von  Hcfästion  und  Hermann  als  Asynarte- 
ten  angeführt  werden,  besonders  durchzugehn. 
tiberall,  wie  in  den  Angefülirlen,  sieht  man, 
dass  die  unbestimmte  Sylbe  ihren  Grund  ent- 
weder   im    Schluss    einer    metrischen    Periode , 


49*  Allgemeiner  Thail. 

welche  die  Grammatiker  verkannten  (<5er  Tri* 
podie),  oder  im  arsischen  Schluss  eines  Rhyth- 
mus, oder  in  der  verkannten  dreizeitigen  Lange, 
oder  in  etwas  ähnlichen  findet ,  ohne  dass  man  nÖ- 
thig  hätte,  eine  besondre  Gattung  von  Versen, 
die  Asynarteteu,  anzunehmen,  um  jene  Freiheit 
der  Sylben  zu  rechtfertigen.  So  verschwindet 
denn,  neben  den  poly&chematischen  und  anti- 
palhetischen  Versen  auch  das  Fantom  der  Asyn-» ' 
arteten,  deren  Begriff  schon  schwankend  lässt, 
ob  von  Einem  \  erse  die  Rede  sei ,  oder  vou 
Zweien. 

Archilochus  wird  als  Erfinder  der  Asyn- 
arteten  genannt.  Diese  Erfindung  konnte  in 
nichts  andern  bestehen,  als  dass  Archilochus 
feines  Gehör  genug  hatte ,  um  in  Versen ,  wel- 
che man  sonst  für  verschieden  hielt,  die  metri- 
sche Gleichheit  zu  bemerken,  und  in  Beziehung 
aui  diese  Gleichheit,  ihre  Zusammensetzung  zu 
versuchen.  So  lang  ein  solcher  Vers  das  Zei- 
chen seiner  Zusammensetzung  in  einer  bestimm- 
ten lyrischen  Cäsur  behält ,  ist  es  gleichviel ,  ob 
man  ihn  als  Einen  Vers  schreibt,  oder  als  zwei. 
Wenn  aber  rhythmische  Künstelei,  oder  Muth- 
^ville  der  Komiker,  diese  Cäsur  verwischt,  dann 
findet  die  Trennung  freilich  nicht  mehr  Statt, 
und  so  entsteht  erst  der  widersprechende  Be- 
griff eines  Asyuarteten,  indem  die  Worte  des 
Verses  Einheit  andeuten ,  und  der  Rhythmus  des 


Vom     Hiatus.  iga 

Verses  an  sich  die  zwei  verbundenen  Rliythmen 
eewönlicli  in  lyrisclier  Antithese  nachweiset.  So 
findet  man  in  manchen  Äsynarteten  die  lyrische 
Cäsur  von  Archilochus  selbst  genau  beobachtet, 
und  von  Kratinus  und  Aristofanes  in  derselben 
Versart.  willkührlich  verlegt. 

Vom      Hiatus. 

#  461. 

Der  angebliche  Charakter  der  Äsynarteten, 
dass  sie  in  den  Endsyiben  das  unbestimmte 
Maas  und  auch  den  Hiatus  gestatten,  macht 
es  nölhig,  hier  einiges  vom  Hiatus    zu  erinnern. 

Unter  Hiatus  versteht  mau  den  Misslaut, 
der  durch  das  unmittelbare  Zusammentreffen 
zweier  Vokale  oder  Difthongen  entsteht,  z.B.: 

Nicht    Europa    allein 
^         und    er    redete    also 
Leda    aber  begann 
das  blaue  Auge. 

Man  kann  es  sieh  nicht  verbergen,  dass 
Verse  durch  solchen  Uibcllaut  entstellt  werden, 
und  Dichter,  die  mit  einem  feinen  Gehör  be- 
gabt sind ,  suchen  ihn  möglichst  in  ihren  Ver- 
sen zu  vermeiden.  Indessen  trifft  man  doch  zu- 
weilen zusammenstehende  Vokale,  ohne  durch 
einen  Misslaut  beleidigt  zu  werden.  Der  Hiatus 
scheint   also    nur    unter    gewissen    Bcdingungeu 


496  Allgemeiner    Theil. 

durch  das  ZusammentrefFen  der  Vokale  zu  ent- 
stehn,  oder,  wenn  man  mit  Einigen  jedes  Zu- 
sammdutreffen  der  Vokale  Hiatus  nennt,  so 
scheint  er  nur  unter  gewissen  Bedingungen  fe- 
ierhaft, unter  andern  aber  zulässig  zu  seyn, 
und  selbst  der  feierhafte  Hiatus  kann  unter 
manchen  Verhältnissen  aufhören  feierhaft  zu 
seyn. 

462. 

Man  bemerkt  bei  einiger  Achtsamkeit,  dass 
Vokale,  die  in  der  Mitte  eines  Wortes  zusam- 
mentreffen, keinen  Misslaut  erregen.  In  Fraar- 
tes,  Kanaan  und  ähnlichen  Worten  duldet 
man  die  beiden  a  unbedenklich.  Wollte  man 
hingegen  einen  Vers  anfangen:  da  ahndete, 
so  war  der  misslautende  Hiatus  vorhanden. 
Zeus  blauäugige  Tochter,  lesen  wir  ohne 
Tadel;  genau  aufmerkend  hingegen,  oder: 
Sank  der  Nacht th au  auf  die  Flur,  würde 
missfallen. 

465. 
Der  Grund  dieser  Verschiedenheit  Hegt  ohne 
Zweifel  darin :  Jedes  Wort  ist  durch  eine,  zwar 
oft  geringe  ,  aber  doch  immer  vorhandene 
Schlusspause,  von  den  benachbarten  Wörtern 
abgescldossen ,  wie  die  Zweideutigkeiten  durch 
Vernachlässigung  dieser  Pause  ( z.  B.  der  Zei- 
tung gleich,  statt:   der  Zeit  ungleich)   beweisen. 


Vom     Hiatus.  4^-, 

Die  Vokale  innerhalb  eines  Wortes  empfangen 
nun  beim  Aassprechen  keinen  besondern  Än- 
stoss  (Spiritus)  und  werden,  wie  gebiindne  No- 
ten, gleichsam  mit  demselben  Bogenstrich  ab- 
gefertigt. Sprechen  wir  Fraartes,  so  werden 
beide  a  in  demselben  Hauch  gesprochen  und, 
ohne  besondern  Einsatz,  nur  gelind  markirt. 
(  *  ^  *  I*  )  Anders  hingegen  ist  es,  wenn  zwei 
VokaJe  an  der  Gränze  zweier  Worte  zusammen- 
treffen. Der  wortanfangende  Vokal  bekommt 
einen  besondern  Kehlansioss  (Spiritus  lenis) , 
der  zu  seiner  Aussprache  nöthig  ist.  Geht  ihm 
nun  in  dem  Ende  des  vorigen  Wortes  ein  Kon- 
sonant vor,  so  präparirt  das  Schwa,  das  dem 
Konsonant  nachtönt,  diesen  Spiritus  lenis,  und 
der  Anstoss,  mit  welchem  der  \okal  einsetzt, 
wird  durch  diese  Vorbereitung  gemildert.  Tont 
aber  am  Ende  des  Wortes  ein  Vokal,  so  muss 
der  Anfangvokal  des  neuen  Wortes  entweder, 
die  Wortpause  verletzend,  mit  dem  vorherge- 
henden zusammenfliessen,  oder  mit  jenem  An- 
stoss eintreten,  der  hier  um  so  härter  tönt, 
weil  er  in  das  weiche  Aushallen  des  Endvokals 
sich  eindrängt,  und  dieses  scharf  absclmeidet. 
Diese  Härte,  mit  welcher  der  Spiritus,  den 
Nachhall  abbrechend,  seiuen  \okal  einfülirt, 
ist  der  Hiat  us. 

464. 
Ans  dieser  Natur  des    Hiatus    folgt: 

A2 


.,ijy  All  .c  L- m  e  i  u  c  r    Tlieil. 

1.  Der  Spiritus  asper,  mit  dem  tin  Wort 
anfangt  (das  II) r-  lit^bt  den.  Hiatus  auf,  indem 
er  das  Eintreten  des  \  oiials  vermittelt.  Das  H 
ist  das  Schwa  vom  Konsonantenkörper  entbun- 
den, indem  es  also  dem  Anfangvokal  vor- 
tritt, führt  es  ihn  so  leielit  in  den  Klang  ein, 
als  tönt'  es  als  Schwa  einem  vorhergehenden 
Konsonant  nach. 

(Man  denke  sich  den  frei  eintretenden  Vo- 
kal wie  den  \iolinton,  der  in  Berührung  der 
Saite  mit  ruhendem  Bogen  anfängt,  den  aspi- 
rirten  aber  als  den,  welcher  durch*  Berührung 
der  Saiten  mit  schon  bewegtem  Bogen  entsteht. 
Die  Friktion  des  Ansatzes  bei  jenem  ist  der 
Spiritus  lenis  des  freieintretenden  Vokales  mit 
dem    Hiatus.) 

465. 

2.  Worte,  die  so  genau,  wie  Sylben,  zusam- 
menhängen und  gleichsam  einen  einzigen  Wort- 
fuss  ausmachen,  bilden  mit  ihren  zusaramen- 
Irell'enden  Vokalen  keinen  Hiatus.  Blauäugig 
spricht  sich  leicht,  Amerika  aber  dagegen 
bildet  einen  Hiatus;  noch  missjaulender  ist: 
aus  grüner  Au  aufsteigend.  Eben  so  ist  es 
bei  verschiedeneu  Vokalen:  forderte  auch, 
Europa  endlich;  nur  dass  der  Misslaut  ver- 
mehrt wird,  wenn  gleiche  Vokale  zusammen- 
trefl'en:  wie    ihm,    da    alle    er    zu    untei'st. 


V"  ü  lii     H  i  a  t  II  s.  4qr» 

466. 

3.  Eu,  ei,  au,  u.  i,  bilden  am  Wortende 
vor  andern,  als  ihnen  gleichen,  Vokalen,  keinen 
so  harten  Hiatus,  als  die  andern  Vokale,  oder 
Difthonge.  Z.  B.  Blau  a  n  g  e  t  h  a  n ,  bei  uns, 
treu  oder  untreu,  du  aber,  wie  oft.  Der 
Grund  ist ,  weil  i  und  u  leicht  in  die  Conso- 
nanten  j  und  w  übergehen,  und  dieser  schwe- 
bende Halbkonsonant  vertritt  einigermassen  die 
Stelle  des  Spiritus  asper.  Dieser  Halbvokal 
drängt  sich  oft  zwischen  die  Vokale,  und  zwar 
nach  o,  wegen  dessen  Verwandtschaft  zum  u, 
daher  rovina  aus  ruina:  und  dass  er  im  Di- 
gainma  sich  bis  zum  F  steigert,  ist  bekannt. 
jNach  e  drängt  sich  wegen  dessen  Verwandt- 
schaft zum  I  das  j;  daher  die  Verwechselung  der 
Endungen  in  ea  und  eia,  z.B.  Hhiöfiu,  Medea. 
Wie  das  w  zu  f,  so  steigert  sich  das  j  durch  g' 
und  ch  bis  zum  r  und  schwächt  sich  vom  r 
herab  zum  j.  Daher  notajo;^  calzolajo  statt 
notaro,    calzolaro. 

467. 

4.  Wenn  die  Paiise  nach  dem  endenden 
Vokal  so  bedeutend  ist,  dass  dieser  verhallen 
kann,  ehe  der  neue  eintritt,  so  findet  kein  Hia - 
tus  Statt.  Deswegen,  weil  nach  dem  Ende  ei- 
nes Verses  in  der  Regel  eine  solche  Pause  cin- 
Irjil.    kann    7A\ischen    Versende   und   V«rsanfang 


6oo  A  1 1  g  e  111  «  i  11  e  r    T  h  e  i  1. 

die  Stellunc;  clcr  Vokale  Statt  finflen,  flie  zwi- 
schen Wortende  und  \\  ortanfang  einen  fiiatus 
bilden  würde.  Allein  dasselbe  liudel  aiuli  in 
demselben  Verse  zwi.^clicn  lihyllinmsende  und 
Rbylhmiisanfang  Statt,  z.  B.  : 

Als   in  dem    Ost   Friihroth    aufdämmerte.      Ahndende 

iJofFnuiig, 

VVie  diese  Pause  den  Hiatus  hindert,  so  hindert 

sie  auch  die  Position,  z.  B. : 

.    .    .   und  er  naiite  sich  huldigend.    Frohe  Bewunderung. 

Nur  absolute  Längen  sollten  durch  das 
Ende  der  rhythmischen  Reihe  nicht  verkürzt 
werden. 

468. 
Hört  man  die  Metriker  über  den  Hiatus, 
und  bemerkt  man,  wie  viel  sie  bei  der  Kritik 
alter  Dichter  auf  den  Hiatus  Rücksicht  nehmen, 
so  sollte  man  meinen,  diese  Metriker  hätten 
ihre  Lehre  aus  dem  tiefsten  Wesen  der  Sprache 
geschöpft,  und  die  alten  Dichter  hätten,  entwe- 
der durch  gleiche  Wissenschaft  belehrt,  oder 
durch  ein  das  Wissen  ersetzendes  Gefühl  gelei- 
tet, unwandelbare  Grundsätze  über  den  Hiatus 
befolgt.  Dass  dieses  aber  nicht  der  Fall  sei, 
leuchtet  bei  nälierer  Betrachtung  bald  ein. 
Böckh*)  hätte  bei  seinen  Untersuchungen  über 

*)    Uiber  die    Versm.    des  Pindaros ,    im   Mus,   der  AI- 
lerth.  Wiss.   II.  2. 


Vom     Hiatus,  601 

lue  Verse    des   Pintlaros    ohne    Zweifel    manches 
Vorlref liehe  und  Wahre  gefunden ,  -wi.jin  er  sieli 
nicht  zuviel  bei  Hermanns  mangelhaften  Sül- 
zen  beruhigt  hätte.     INach  Hermann    (§.  4öi.) 
soll  ein  kurzer    Vokal  vor  einem  kurzen,     oder 
langen  Vokal  oder  Difthongen  ohne  die  geringste 
Härte  seyn.     Folgende   Stellaugen  wären  mithin 
nach  diesem   Metriker    unladelhaft: 
die   flüchtige    Antwort, 
das   duiilcle    Auge. 
Da  also   ohne  Ehre   erst   du   unterlagst  , 
Kämpfeade  Edle  erlagen,   da  eilte  er  wie  im  Gewitter. 

Doch  möchten  sie  wenig  andern  gefallen.  Wenn 

man  an  Stellungen,    wie: 

Stets    kam    die    Antwort, 

durch    die     e  n  t  götterten    Tempel , 

Aveniger  Anstoss  nimmt,  so  dürfte  dieses  nicht 
der  Kürze  des  Vokales  zuzuschreiben  seyn,  son- 
dern der  Natur  des  Vokales  und  seiner  Ver- 
wandschaft zum  folgenden,  in  vielen  Fallen  auch 
wol  der  engen  Verbindung  der  beiden  Worte 
selbst,  die  zusamiuen  einen  einzigen  Wortfuss 
bilden^ 

469. 
Fei'ner  soll  nach  Hermann  (§.  45o.)  ein 
langer  Vokal,  der  wegen  eines  folgenden  Vo- 
kals oder  Difthonges  verkürzt  wird,  nnl  diesem 
keinen  beleidigenden  Hiatus  bilden,  weil  er, 
wie  ein   an  sich    kurzer  Vokal  hinrollc. 


5o2  Allgemeiner     1'  h  o  11. 

Hiergegen  gilt  das  iii  dem  vorigen  Paragra- 
feu  in  Beispielen  Angeführte.  Der  kurze,  oder 
der  verkürzte  Vokal  kann  den  Hiatus  nicht  liin- 
dcvn;  denn  das  Wesen  des  Hiatus,  nämlich  das 
unvorbereitete  Eintreten  des  Vokales,  wird  durch 
die  Verkürzung  des  vorigen  Vokales ,  wenn  keine 
Pause  dazwischen  fallt,  nicht  aufgehohen.  Die 
Beispiele,  die  Hermann  anführt  (Metrik  §. 43o) : 

ovdf:  rc  fwi  TxffjixecTut,    inft  nu&ov  ukyea  'Qv^ibi 

Ulil    il.l}]V    IpVpii'    U.    S.    f. 

beweisen  nicht;  denn  ijn  ersten  hebt  die  Pause 
nach  der  Cäsur  den  Hiatus,  und  in  beiden  ent- 
steht durch  den  in  I  endenden  Difthong  jener 
Halbvokal ,  der  den  Hiatus  im  Werden  hindert. 
In  dem  Pindarischen  (Nem,  ii.  Ant.  2.): 

wird  Niemand  den  Mislaut  des  «  cc  wegtheore- 
tisiren.  OiTenbar  ]irüft  Hermann  nicht  den 
Vers  an  dem  Grundsatz,  sondern  modelt  den 
Grundsatz  nach  den  vorkommenden  Beispielen. 

470. 

Auch  soll  nach  Hermann  kein  missfälliger 
HiiUus  cnlstehn,  wenn  der  erste  Vokal  lang  ist 
lind  deji  ictus  im  Verse  liat.       Untadelhaft   war 

dalicr  : 


Vom     Hiatus.  oos 

und   es    sah    Agamemnon 
und  er  stieg    zu  der    grünenden   Au     auf 
blühenden  Klee     e  hm  als,     jetzt    Stroh    oft  trägL 
er   zur    Streu    ein. 

was  Niemand  billigen  wird.  Hermanns  Bei- 
spiel : 

'Jhov   inTTjGdai,   ivvaiO(iivov    titoIu&QOv. 

beweiset  wieder  nicht;  denn  tlieils  bildet  sick 
hier  jener  Halbvokal,  tbeils  hindert  den  Hiatus 
die    Cäsur.  ^ 

471. 
Der  letzte  Fall,  den  Hermann  in  seiner 
Metrik  angibt,  ist  dieser:  Avean  der  erste  \o- 
kal  laug  ist,  oder  ein  Diflhong,  und  an  einer 
Stelle  des  Verses  sieht,  wo  er  keinen  ictus  hat, 
und  überdies  lang  ist,  oder  lang  scyn  kann. 
Wo  unter  cheser  Bedingung  eui  Hiatus  vor- 
kommt, soll  es  ein  Zeichen  einer  verderbten 
Lesart  seyn,  indem  er  nicht  anders,  als  am 
F.nde  eiaes  Verses  vorkommen   könne. 

Der  Fall,  den  Hermann  hier  augiebt,  wird 
allerdings  auch  ohne  Hiatus  häufig  das  EjicIc 
eines  Verses  andeuten;  denn  eine  lange  Sylbe 
ohne  ictus,  .ilso  in  der  Thesis,  steht  gcwönlich 
am  Ende  einer  metrischen  Periode,  wohni 
in  der  Mitle  des  Verses  nicht  gern  ein  rhyth- 
mischer Einschnitt  fällt,  der  die  Periode  lieber 
in  der  Mitte  schneidet.       Es    ist  daher  niohi   /" 


5o4  Allgemeiner    U'lioil. 

verwundern,  dass  man  boi  dem  Hiatus  an  solch 
einer  Stelle  nicht  eijcu  des  Hiatus,  sondern, 
der  Stelle  selbst  wegen,  auf  ein  Versende,  oder 
doch  auf  eine  lyrische  Casur  schliessen  kann, 
z.   ß.   in  dem  bekannten  Vers  der  Saffo  : 

>  \  ^  ^  >  I  ]N  t  j  I   ^  1  ^  Ji  >  i  >  i  i  i 

vvarfg,  nuQcc  ötQ^it'  cjQa,  tyo)  df  (lova  na&ev&O). 
Ausserdem  findet  der  lange  Vokal  in  der  The- 
sis  ijorh  Statt  im  Auftakt,  und  in  Trochäen 
mit  der  reprasentirenden  Länge,  In  solchen 
Fällen  wird  sich  aber  der  Dichter  vor  dem  Hia- 
tnr^  iiüten,  damit  nicht  durch  die  Stellung  vor 
dem  \  -..kal  die  beaböichligte  repräsentirende 
Länge  vciioren  gehe,  oder  geschwächt  werde. 
Es  wird  also,  wo  eine  solche  Stellung  vor- 
kommt, in  den  meisten  Fällen  auf  das  Ende 
eines  Verses  geschlossen    werden   können. 

472. 

Diesen  Hiatus,  behauptet  nun  Hermann,  ba- 
ten die  alten  Dichter  sorgfältig  vermieden,  und 
hierin  hat  er,  in  Beziehung  auf  das  eben  Ge- 
sagte, ganz  Recht.  Sehr  auffallend  aber  sind 
die  Ausnahmen,  die  er  von  diesem  Satze  (434) 
macht.  Die  alten  Dichter  haben  nämlich,  sei- 
ner Meinung  nach,  diese  Sti-enge  nicht  beob- 
achtet: 

1.  Im  heroischen  Hexnmeter,  „desscu  feier- 
licher Gang  eher    einige  Schwerfälligkeit  in  der 


Vom    Hiatus,  ^oä 

Prosodie  vertrage."  Ein  eigener  Einfall,  in  der 
That,  die  Würde  eines  Verses  zum  Deckman- 
tel der  Nachlässigkeiten  und  ICakofonieen  zu 
machen!  Und  ist  denn  der  Hiatus  eine  pros- 
odische  S:"hwerfälligkeit?  Im  Gegentheil  ist  er 
doch  vielmehr  ein  Aufheben  der  Schv*'ere ,  das 
mit  der  Feierlichkeit  des  heroischen  Verses  eben 
sehr  übel  kontrastirt.  Wenn  in  den  von  Her- 
mann angeführten  homerischen  Beispielen: 
(oSf  ßiTjV  T    äya&ov ,  Tiat  '/Xiov  iq.i  avaacftv. 

der  Hiatus  gemildert  wird,  so  liegt  dieses  theils 
in  dem  Auftakt  und  der  Natur  des  Bindewortes 
Kai,  das  mit  dem  folgenden  Wort  sich  zu  einem 
Wortfuss  vereinigt,  theils  an  dem,  nach  dem 
y.ub  zwischen  beide  \okaIe  hineinklingenden., 
Halbvokal.     Man   versuche   aber:    - 

Steigt   Aurora    auf,    an    der  östlichen    Pforte   des 

Himmels , 

und  der  Hiatus  ist  mit  aller  Härte  mitten  im 
heroischen   Verse   vorhanden. 

473. 

2.  In  den  lonicis  a  maiore,  „deren  gebroch- 
ner  und  matter  Rhythmus  durch  diesen  schlep- 
penden Hiatus  nichts  verliere." 

Also  erst  wird  der  Hiatus  wegen  der  Würde, 
und  nun  wegen  der  Unwürde  desVerses  zugelassen ! 
Sollte  man  in'cht  meinen,  der  Metriker  scherze  nur. 


5oG  Allgemeiner    Theil. 

oder  spräche  liier  im  eigenlliclisten  Sinn,  wie 
der  Blinde  von  der  Farbe  ?  Freilich  nacli  der 
Hermannschen  Theorie  ist  der  ionische  Rhyth- 
mus gebrochen  und  matt;  denn  die  erste  Hälfte 
des  lonikers  besteht  nach  Hermann  aus  einer 
Reihe,  die  mehr  anfängt,  als  sie  ausführen  kann, 
und  eine  zweite  zur  Hülfe  braucht.  Allein  die- 
ses Hermanniöche  FauiaEraa  isL  zum  Glück  kein 
ionischer  Riiytlimus.  Der  ionische  Vers  hat^ 
wie  wir  oft  ^eaehn  habfn,  diesen  Gesaug: 

Hell   schimmert    im     MondessUal    die    loichtwailenda 

Meerflut. 

el  xal  ßuailevg  nfqjiiyMg,    ojg  &vrjTog  u^ovnoV' 

Wer,  der  diesen  Rhythmus  hört,  und  nicht 
bloss  im  metrischen  unvollkommnen  Schema : 

musiklos  beschaut,  wird  ihn  wol  matt  und  ge- 
brochen nennen?  So  wallen  aber  unsre  gepine- 
senen  Metriker  mit  verschlossnen  Sinnen  im 
Reiche  des  Gesanges,  über  Dinge  entscheidend, 
deren  Wesen  ihnen  so  fremd  ist,  als  dem  Blin- 
den die  Farbe.  Wäre  der  sinkend  ionische 
Rhytlimus  matt,  so  war  es  der  antispastische 
nicht  minder;  denn  er  unterscheidet  sich  von 
dem  ionischen  allein    durch  Aitu  Auftakt: 

Wie   hell  schimmert  im    Mondcsstral   die   leichtwallende 

IVloerflul-, 


Vom     Hiatus.  §07 

oder  in  Musikzeichen  deutlicher; 

J  \  «.  d.  a^  9  \  »  s  e  e  \  0.  d.  e^  a  i  c.  « • 
Was  die  Alten  an  ionischen  Gesä]igen  tadelten, 
bezog  sich  hauptsächlich  auf  ihren  Inhal!. 
Wenn  spätere  Grammatiker  sie  unsangbar  fan- 
den, so  lag  dieses  an  ihrer  unpassenden  Mes- 
sung, die  sie  zum  Vernehmen  des  ionischen 
Rhythmus  so  wenig  kommen  Hess,  als  zum  Auf- 
fassen der  antispastischen  und  dochmischen 
Rhythmen,  die  noch  In  ihrem  Namen  den  Be- 
weis führen,  dass  ihr  Gesang*  den  Theoretikern 
ein  unerforschtes*  Geheimniss  war. 

474. 
5.  Richtig  ist  allein  der  dritte  Fall  von  Her- 
mann aui^egehen  ( §.  45i.) ,  dass  nämlich  am 
Ende  des  Rhythmus  ein  schliessender  langer 
Vokal  mit  dem  folgenden  anfangenden  Vokal 
des  neuen  Rhythmus  keinen  Hiatus  bilde,  z.B.: 
Schon   hallt   die    Tuba!    überall  tönt    Schlachtgeschrej. 

Der  Grund  ist  der  schon  (467.)  angegebene, 
weil  nämlich  der  schliessende  Vokal  in  der 
Pause  z-wischen  den  Rhythmen  Zeit  findet,  zu 
verhallen ,  imd  in  der  Rede  allezeit  verhallt  seyn 
muss,  wenn  die  Stimme  mit  einem  neuen  Satz 
eintrilt. 

Dieser   Grund    Hegt,     wie    man   sieht,  ni<hi 
im  Rhythmus,   sondern  in  der  Rede;    denn    im 


5q8  Allgemeiner  Theii. 

Rhythmus  bildet  sich  der  Hiatus  nicht,  sondern 
hl  den  arliitulirten  Lautei? ,  Avelche  den  ilhyth- 
mus  erscheinen  lassen.  Hieraus  erkennt  man 
den  Irrthum  der  Metriker,  die  den  Hiatus  un- 
ter rhythmischen  Bedingungen  erlaubt,  oder  un- 
erlaubt finden  wollen,  da  er  doch  beides  bloss 
unter  grammatischen  und  logischen  Bedingun- 
gen seyn   kann. 

Es  ist  auch  mithin  falsch,  wenn  die  Metri- 
ker im  Allgemeinen  behaupten,  dass  am  Ende 
des  Verses  der  lliatus  erlaubt  sei.  Er  ist  es 
nur,  wenn  am  Ende  des  Verses  ein  logischer 
Abschnitt,  der  jene  Pause  zulässt,  Statt  findet, 
z.  B. : 

Hell   glüht   im    Purpurlicht    Aurora, 
Aus    jedem     Hain     ertönt    ("■eaang ; 

nicht  aber,  wenn  dieser  Abschnitt  fehlt,  z.  B.: 

als   hell   im  Purpurlicht   Aurora 
aufstieg. 

In  der  Mitte  des  Elegiambus  (45o)  trennen 
die  Pausen  beide  Tiieile  so  bestimmt,  dass  der 
Abschnitt  in  der  Rede  nicht  übergangen  werden 
kann;  der  Hiatus  wird  daher  an  dieser  Stelle 
gar  nicht  bemerkt ,     z.  B. : 

Fervidiore    mero   arcana    promorat  loca.      Horat. 
Eben   so    entsteht    im   lambelegus    kein    Hiatus, 
wenn    die     Cäsur    in    der    Mitte  auf    das    Ende 
eines  logischen  Satzes  fallt,     üntadelhaft   würde 
sevn : 


Vom     H  i  a  l  u  s.  5og 

Uns  ruft  Walhalla  !      Auf  in  die  blutige  Schlacht. 

Falsch  hingegen : 

Ihn  stösst  Walhalla    aus    von    der  seligen  Lust. 

Noch  übk^r: 

Uns  lockt  Walhalla  an    mit    der  seligen  Lust. 

Ein  anders  ist,     wenn    die  Vokale  in  der  Mitte 
eines  Wortes    stchn: 

Auf  regte  Zeus'  blauäugige   Tochter    den    Streit. 

Denn    hier   hebt  die   Einheit     des    Wortes   den 
Hiatus  auf. 

475. 
Aus  dieser  Natur  des  Hiatus  kann  man  leicht 
beurtheik^n,  wie  unsicher  es  sei,  ihn  zum  Merk- 
mal des  Yerscndes  zu  machen,  da  Verse,  be- 
sonders deklamatorischer  Gattung  und  in  de- 
klamatorischer Verbindung,  oft  schliessen,  ohne 
dass  der  rhythmische  Gedanke  mit  dem  logi- 
sclien  zugleich  endet,  und  da  umgekehrt  der 
Hiatus  am  Ende  des  logischen  Satzes  ( in  der 
Cäsur)  Statt  finden  kann,  ohne  dass  eben  ein 
Versende  vorhanden   seyn  muss,  z.  B.: 

Zeus    in   Gewölkhöhn 

donnerte ;  unten  im   Thal  rauscht  u.  s.  f. 

oder  in  der  langen  Thesis  : 
So 

•weissagte   Mauto :  Untergang   droht  allem   Volk. 

Wie  unsicher  mitliiu  und  willkürlich  die  Kriti- 


:;  1 1 )  A  1 1  j^  e  m  e  I  n  e  r  'I'  li  e  i  l. 

ker-J)ei  Bestimmung  des  Vcrsen<]e.s  diircli  den 
Iliatu.s  verfulircn,  da  sie  Aveder  die  dreizeitige 
Länge,  noeli  den  flüeLtigoii  Daktylus,  weder 
den  Schluss  in  Hauptraojnentcn  {  g.  J.  ),  noch 
das  tripodisehe  Versmaas  kannten,  fällt  in  die 
Augen. 

Von  der  Brechung  der  Worte  am  Ende 
der  Verse. 

476. 
Der  Fall,  von, dem  wir  sprechen,  ist  dieser: 
Gewönlich  endet  ein  Vers  mit  dem  Ende  eines 
Woi'tes,  ja,  man  slösst  sogar  an,  wenn  das 
letzte  Wort  ein  bindendes  ist,  das  den  Vers 
mit  dem  Folgenden  in  den  genauesten  Zusam- 
menhang bringt,  z.  B. : 

.   .   ,    .    doch  zu 
lange  bediiiiket  es   ihn. 

Gleichwol  finden  wir  Verse,  deren  Ende  in  die 
Mitte  eines  Wortes  fallt,  selbst  bei  Dichtern, 
welche  den  Wohllaut  und  das  Schickliche  im 
Vers  hinlänglich  ehren.  So  hat  Voss,  der  den 
sogenannten  Asynartetus  : 

in  zwei  Theile  zerlegt,  in  seiner  Uibersetzung 
des  Horalius  Epod.   i5,  V.   i4.    die  Trennung: 

Verbann'    aus   unsrcr   Brust   den    miss- 
lauijjgon  Sorgentumult , 


\  an  der  Brechung  der  \Vurte  am  Ende  der  Verse.     5ii 

und  V.   23 : 

Kie   trägt   zum   Hause    dich   die    meer- 
farbjge  Mutter  zurück. 

Auch  im  Hexameter: 

....   nahte  mit   düsterem ,    unhold- 
seljgem  Blick  , 

wlü'de  die  Brechung  mehr  der  Seltenheit,  als 
der  Härte  -wegen  auffallen.     Lesen  wir  dagegen: 

....   schwingend   die  Keul'    und   den  Spiess,   Zeus' 

Sprössling,  da   kamen,    die  Braut  ver- 
langend die  Beiden  zusammen  ,    und   Kypris ,   die 
Reizvolle ,   sass  , 
oder : 

Länger  siehst   du    nicht 
diesen    Mann ,  —  ein    gross- 
sprechrisches   Wort !  —  ■wie   keinen  un- 
ter  dem   Heer   Troja  je , 

SO  wissen  ^vir  kaum,  ob  der  Dichter  nicht  bloss 
mit  uns  scherzt,  und  erst,  wenn  uns  die  Filo- 
logen  versichern,  die  Alten,  als  Pindaros.  ha- 
ben-eben  so  abgetheilt,  z.  B.  Isthm.  I.  21.  nach 
Hermann : 

^  KttGTOQetoi ,    1]  lola- 
ov  hu(j(.ioi.tti   {.iir  i'(.tvcij , 

nehmen  wir  unser  Gefiil  gefangen,  und  verrau- 
then  eine  liefe,  uns  nur  unbekannte  und  un- 
vernclimliclie  Schönheit  thirin. 


iiia  Allgemeiner    Theil.        Von   der 

477. 
Ob  die  Dichter  des  Alterllnims  hierin  so 
ganz  verschieden  von  uns  gefühlt  haben,  ist  in 
neuern  Zeiten  silbst  von  Filologen  bezweifelt 
worden.  Voss  (Zcitm.  S.  243.)  war  einer  der 
ersten,  die  behaupteten,  nicht  die  Dichter,  son- 
dern die  Grammatiker,  hätten  aus  Unkenntniss 
der  Avahreu  Abtheilung  die  V^erse  in  der  Mitte 
des  Wortes  gebrochen,  und  ßöckh  hat  in  dem 
Versuch  einer  neuen  Abtheilung  der  pindari- 
schen  Verse  diese  Behauptung  praktisch  ausge- 
führt. 


So  viel  ist  gewiss:  In  allen  Versen,  deren 
Maas  wir  genau  kennen,  finden  sich  Brechun- 
gen der  VV^orte  am  Versende  höchst  selten,  und 
dann  kommen  sie  nur  auf  eine  solche  Art  vor, 
welche  die  Brechung  bloss  scheinbar  macht,  d. 
h. ,  nur  zusammengesetzte  Worte  werden  gebro- 
chen, und  zwar  nach  der  Commissur  ihrer  Zu- 
sammensetung ,  z.  B. : 

Quanto    cum  fastu ,    quanto   molimine   circum- 
specteraus.      Horat. 

Mit  wie  schwellendem  Stolz,    wie  hochehrwürdig  wir 

ringsum- 
her anschaun.        Voss. 

Die   sogenannten    Hyrermeter,     in    welchen   dir 
letzte  öyibe  des  Verses  eiidirt  wix'd: 


Von  der  Brechuug  der  Worte  am  Ende  des  Verses.    5i5 

Orania  Mercurio  similis  ,   vocernque    coloremqu© 
Et  ilavos    crines,       Virgil, 

und  der  Lekannte  Homerische: 

TQMag  anwGaa&ut ,  -/.ui  iQvxffASv  evQvoncc  Zt]' 
V,  aviou  y..  t.  X.  ■. 

geliöreu  niclit  lileher.  Nur  die  Schreibart ,  wel- 
che den  letzten  Buchstaben  zu  dem  folgenden 
Verse  rechnen  will,  gibt  den  Schein  einer  Bre- 
chung. 

In   saffischen    Oden   scheint    eine    andre   Art 
Brechung    vorzukommen : 

nvxva   diviovni  an    (üquv    ai&e- 
^og  dea  (xeOGOi  ,     Sappho. 

Labitur  ripa,    love    non    probante ,   u- 
lorius  amnis.      Horat. 

Siegs/jesang  umher ,  und  des  freiqn  Volks  ver* 
götternder    Zuruf, 

die  auf  die  Zusammensetzung  der  Worte  keine 
Rücksicht  nimmt,  und  daher  selbst  einfache 
Worte  trennt.  Allein  Andre  haben  schon  be- 
merkt, dass  diese  Brechung  nur  zwischen  dem 
dritten  Vers  der  Strofe  und  dem  angeliängtcn 
Adoniker  vorkomme.  Hierauf  gründet  sich  die 
Vei-mulhung,  dass  der  Adonius  mit  dem  vor- 
hergehenden Saffischen  \ersc  enger  verbunden 
sei,  als  die  di-ei  Saffischen  Verse  unter  sich. 
Und  so  ist  es  auch  in  der  That,  wie  bei  Mes- 
sung der  Saffischen  Strofe  nachgewiesen  werden 
wird. 

35 


i)l4  Ail^'^uiciue  t     1  heil. 

4-9. 
Nur  in  unbekannten  Versarten ,  namentlich 
In  denen  der  chorischen  Strofen  bei  den  Dra- 
matikern, und  hti  PIndaros,  finden  wir  Bre- 
chungen der  \ er.se.  Unbekannt  dürfen  wir  diese 
Versarten  wol  unbedenklich  nennen,  da  fast  je- 
der Kritiker  sie  anders  abtheilt,  was  unmöglich 
seyn  würde,  war'  ihr  Rhythmus  bekannt  und 
unzweifelhaft.  Hieraus  und  aus  der  Analogie 
der  bekannten  Versarten  sollte  man  wol  schlies- 
sen  dürfen,  dass  die  Dichter  dasselbe  Gesetz 
befolgt  hätten,  wie  bei  bekannten  Versarten,  dass 
aber  die  Verse  von  den  Grammatikern  nicht  als 
Vei'se  vernommen ,  sondern  nach  einem  ganz 
fremdartigen  Priacip  abgetheilt  worden  wären, 
gleichsam  als  wollte  ein  Ünmusiker,  der  keine 
dreifache  Theilung  kennt ,  und  von  Pausen 
nichts  weis,  den  bekannten  Menuettrhythmus: 


=^^M 

-     .  p     _>    '    rf         .^^ 

>      .'.J-nJ        1      '         1       M 

so  abtheilen : 


^.3=: 


und  metrisch  als    zwei  Verse: 


_       ^       ««         1         I*.       W       —       N.«         I 
M«       <*«       «^       «.«         I         —       — 


bezeichnen.       In   dieser  Art  ist  z.  B.   Hermanns 
Theilung  des  ionischen   Tctrametcr  . 


Von  der  Brechung  der  Worte  am  Lnde  des  Verses.     5i5 

J  .N.  I  J.J  jN  j'.'^jN  .^  1  J. 

'^'    i/    / 
in  folgende  Stücke: 

iari  fiot  nlovros  fxeya  doQV 
-  w    I    - 

oder  nach  seiner  Angabe  des  Rhythmus: 

—  <«>     —     --       I       —     «^w**«.» 

4  -  CTi  fitoi  nXovTog  fifya  do^v 

—  s..     —  '•*' 

Xttt  ii(fog, 

WO  möglich  noch  schlimmer  zerrissen,  als  jeuer 
Menuetrhythmus.  Erinnert  man  sich  zugleich, 
dass  diese  Versabtheiler  bloss  zweizeilige  Län- 
gen kannten,  dass  sie  die  prosodische  Quanti- 
tät der  unljestlmmten  Sylbe  mit  dem  metrischen 
Maas  (Neuere  oft  auch  dieses  mit  jener)  ver- 
wechselten, so  kann  man  im  Voraus  weit  eher 
unrichtige,  als  richtige  Abtheilungen  von  \ersen 
erwarten ,  die  nicht  durch  regelmässige  Wieder- 
kehr, gleich  den  bekannten  Vei'sarten,  ihi-c  Mes- 
sung liefer  und  bestimmter  einprägten.  Was 
blieb  also  d>sen  Theoretikern  übrig,  als  die 
unbekannten  Sylbenreilien  mit  bekannten  Kliylh- 
nien  zu  vergleichen,  und  so,  besonders  in  an- 
tisirofischen  Gedichten,  wo  die   Verse  sich  ent- 


öi(i  Allgonieiuer    i'heii. 

6prechen  sollten,  zuweilen  Anfang  und  Ende 
eines  Verses  in  die  Mille  des  Woi'tes  zu  le<j,en'i 
Dass  dieses  geschehen  sei,  lehrt  jeder  Blick  in 
irgend  eine  Ausgabe  der  Dramatiker  oder,  des 
Pindaros. 

48o. 
Nach  Voss 's  Meinung  (Zeitm.  S.  245),  der 
auch  Bock  h  *)  beistimmt ,  haben  die  Verse  in 
den  Strofen  der  Chöre  eben  so  wenig  Wort- 
brechungen, als  die  in  lyrischen  Strofen.  Man 
soll  nämlich  die  Verse  in  der  Strofe  betrachten 
als  grosse,  wied«;rum  aus  kleinem  Versgelenken 
bestehende  Glieder,  welche  sich  antistrofisch 
bloss  im  Ganzen  entsprechen,  wie  etwa  zwei 
Hexameter,  nicht  aber  in  den  einzelnen  kleinem 
Gliedern,  die  sich  auch  in  den  Hexametern 
niclit  entsprechen,    z.  B. : 

Malo    me    Galatea  potit,   lasciva    puella, 

et  fugit  ad  salices,   et  se  cupit  ante  videri.'  Virgil, 

sind  beides  Hexameter,  aber  jeder  ist  im  Ein- 
zelnen anders  gegliedert ,  als  der  andre.  So  fasst 
auch  Böckh  in  Einen  Vers    zusammen: 

^^^aei'  otxTj-GzTjoct  Barrov  xagnoqo^ou  yJißvug  UquVj 
Mit   dem  Zwillington    des    Waldhorns    wcrhselte    frölicher 

Dopptlj^oaang, 

* )    Uiber  dif?  Vernmaasse  des  Pinilaros.      Im  Museum  dar 
Alterth.  Witsenschaft.  II.  Band.    2.  Stck. 


Von  der  Brechung  der  Wonn  am  Kndc  des  Verses.      aiy 

was  die  Ausgaben  (Pyth.  4,  v.  lo.  ii)  in  zwei 
Vei"se  iheilen,  und  vermeidet  dadurch  die  Bre- 
climig  in  der    Gegenstrofe: 

cpafii  yaQ  ru^d    ti,   v.'f.tTTluy- 

UTOv  nore  yuq  'ünuqolo   aogav , 

Als    vom   Tlial   laut   scholl   Triumfaus- 

ruf  in  des   Sclilachtcngesaiigs   Melodie  , 

indem  beide  \  erse  nun  einen  einzigen  Telra»- 
meter  mit  beweglicher  Cäsur  bilden.  Allerdings 
kommen  durch  dieses  \ erfahren  zuweilen  etwas 
kolossale  Verse  zum  Vorschein,    z.  B.: 

^  \ä  d  m  0  \0  »  t  3  •  \mB*ä0\0»dä^  \*.0.tr»  \e.J^0  « 

c^ltiag  yfy()C(7TTori.  ylvy.v  yao  avTM  /iFlog  6qfi?.o)v  inc- 
Xi).ud-\  (a  3Ioia,  a.).).o  gv  y.cct  dvyavTjo. 

Herbei  zum  Siegsmahl,  wo  der  Pokal  schänrot,  und  mit  dem 
Kriegshall  in  den  Gesang  laut  einstürmt  der  Posaune 

Gewalt. 

Ferner : 

£i).{t'  Kuoi'tt  (pdtfuvov  no).vdfV'/.rig  KcirroQog  sv  ito- 

Eitler  Schüiulierrtchaft  Diadem  und  der   Drangsal  glänzen- 
des   Schmachmonument , 

oder  noch    liingin*: 


5i5  Aligemciiicr    Theil. 

Gtc'ixfv  eviTVTiov  (jaddi^t  KvQuvag  o(fQtt  noi^iu^ovii  ovv 

Als    im    Schicksal  vollen    gewalligen    Welticampf    siegesfroh 
hcrstürnito  die    mutige  Schaar, 

die ,  wie  Bock  h  selbst  meiut ,  in  ihrer  Lange 
sogar  lächerlich  scheinen  könnten,  wenn  man 
Vtrgisst,  dass  ihre  Länge  allein  aus  der  Auffüh- 
rung zu  einem  grossen  Tanz    erklärlich  sei. 

48i. 
Es  ist  hier  der  Ort  noch  nicht,  über  diese 
Vci-skolosse  etwas  zu  bestimmen.  Allerdings 
müssen  einige  von  ihnen  befremden,  nicht  so- 
vvol  durch  ihre  Lange,  als  durch  den  Wider- 
streit des  logischen  Abschnittes  mit  dem  rhyth- 
mischen, selbst  in  solchen  Stellen,  wo  man 
AVcgou  der  hervortönenden  lyrischen  Antithese 
eine  Uibereinstimraujig  der  logischen  und  me- 
trisch-rhythmischen  Cäsur  erwarten  sollte.  Dies 
'i?t.  um  einen  bekannten  Vers  zum  Beispiel  zu 
nelimcn,  im  trochäischen  Telrameter  der  Fall, 
der  bei  Pindaros,  ohne  die  gewönliche  Cäsur 
in  der  Mitte,    vorkommt: 

JubelvoU   anhub    geläutdurchhallt   des  firaiilz'.igs  Fest- 
gesang. 

iMan  soll   freilich   durch  den   Mangel  der   tren- 


Von  der  Bi-ecliung  der  Worte  am  Ende  des  Verses,      iig 

nendeiiCäsur  gleichsam  gezwungen  werden,  den 
Vers  als  ein  ungelheilles  kolossales  Ganzes  zu 
vernehmen;  allein  das  Wesen  eines  Dinges  lässt 
sich  nicht  wegkünstein,  und  so  tönt  immer  die 
lyrische  Cäsur  als  ein  rliythmisches  Postulat 
durch,  dem  der  cäsurlose  Tetrameter  nicht  ge- 
nügt." Oder  wollte  man  behaupten ,  statt  jener 
lyrischen  Cäsur  sollten  hier  die  drei  rhythmi- 
schen Glieder: 

^.z  —  -—  —  «^  w^ 

dnrchkllngen ,  so  scheint  dtr  Charakter  des  Te- 
irameters  gestört,  der  sich,  wie  alle  zweige- 
theilte  Verse,  mehr  zu  dem  Lyrischen  neigt. 
Die  dreigetheilten,  z.  B.  der  Trimetcr,  haben 
mehr  deklamatorische  Natur« 

482. 

Viele  jener  Verskolossen  lösen  sicli  anch  bei 
genauer  ßeirachlung  in  bekannte  Formen  auf, 
die  nur  deswegen  bei  dem  ersten  Anblick  be- 
fremden, weil  ihr  Maas  (die  metrische  Periode) 
nicht  das  gewönlichc  monopodische,  oder  di- 
podische,  sondern  das  längere  tripodische  ist. 
Dies  ist  der  Fall  bei  dem  oben  angeführten  Vers: 


520  Allgemeiner  TJi  e  i  1. 

orufifv  ivmnou  ßaaiXrji  KvQuvug  oqiQa  y.ojftct^ovit   ovv 

^(jy.ifFlAU  , 

der  ein  ti'ipüdischcr  Tetrameter  ist,  aber  mit 
der  Cäsur  wechselt,  so  dass  der  zweite  Theil 
des  Verses  zuweilen  einen  Auftakt  bekommt: 

yv(x){^i  vvv  TV.V  Oidmodci  aoq^iav.  fl  yuQ  rig  o^ovg  o|ü- 

To/nco   Tit^emi: 

Goldner  Lichtstral  frohes ,   ersehnetcs  Tags  ,    wie  bald  um- 
zog dich  feindlicher  Stürme  Gewölk! 

Durch  das  rechte  Maas  der  Verse  verwandeln 
sicli  also  viele,  die  von  Böckh  zu  den  zusam- 
mengesetzten B-hythmen  gezält  werden ,  in  ein- 
fache, durch  gleiche  metrische  Perioden  zu 
messende  \erse,  und  vielleicht  gelingt  es  einer 
künftigen  Untersuchung,  durch  gehörige  Mes- 
sung auch  in  den  noch  fremdartig  scheinenden 
Vei'sen  Variationen  der,  allgemeinen  rhythmi- 
schen und  metrischen  Formen  aufzufinden. 
Denn ,  was  man  auch  von  Pindaros  höher  re- 
gelloser Schönheit  rühme,  sollen  es  nicht  leere 
tönende  Worte  seyn,  mit  welchen  man  Uner- 
fahrne blendet,  aber  Unterrichtete  nicht  täuscht^ 
so  zeige  man  doch  nur  erst  diese  erhabenen 
Khythmen  in  ihrer  regellosen  Schönheit,  jedoch 
ganz  bestimmt  und  verstandlich  auf.  Aber  son- 
derbar genug  stimmen  alle  Kritiker  im  Lobe  der 
Pindarischcn   Rhythmen    überein,     während   sie 


Von  der  Brechung  der  Worte  am  Ende  des  Verses.     621 

Über  uichts  uneiniger  sind,  als  eben  über  diese 
Fibythmen  selbst,  die  einer  so,  ein  andrer  an- 
ders zusammensetzt,  emendirt  und  ordnet.  Wo 
bleibt  aber  Pindaros  unter  allen  Pindarisken? 
„Der  geniale  Dicbter  —  sagt  sein  vorzüglicher 
Bearbeiter  Bö ckh  —  scbmiegte  sieb  natürlicb 
Tiiclit  in  vorgeschriebene  Formen,  da  ihm  bei 
der  grossen  IMenge  von  rhythmischen  Möglich- 
keiten überall  die  Bahn  offen  war;  aber  gewiss 
hielt  er  sich  an  die  festgesetzten  Regeln  der 
rhythmischen  Bildung,  welche,  nach  dem  Vor- 
gang vieler  Musiker  und  Lyriker,  ohne  Zweifel 
eben  so  bestimmt  wai-en,  als  heut  zu  Tage  viele 
Gesetze  der  musikalischen   Komposition." 

483. 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  dass  Brechungen 
der  Worte  am  Ende  der  Verse  nicht  anders, 
als  in  der  Kommissur  zusammengesetzter  Worte 
Statt  finden  können. 

Ob  Brechungen  der  Worte  in  der  Kommis- 
sur der  Asynarteten  Statt  haben,  ist  eine  un- 
nütze Fi'age ,  da  es  keine  Asynarteten  im  ge- 
wönlichen  Sinne  gibt.  Will  man  \evse,  deren 
Hhyihmus  bestimmte ,  besonders  lyrische  Cäsur 
hat,  so  nennen,  so  wird  durch  die  Brechung 
der  Worte  in  der  Kommissur  der  Khythuius 
nicht  gestört,   z.  B.: 

Als  um  Mitteruacht  die  icliicksal-volle  Kriegsarbeit  begann. 


52»  Allgemoiner    Theii. 

Ausser  der  Kommissur  gebrochene  Worte  hin- 
gegen stüi'en  die  Cäsur,  besonders  da  gewön- 
lich  alsdann  ein  andrer  rhythmischer  Charakter, 
sogar  ohne  Brechung,  bloss  dui-ch  den  verän- 
derten Einschnitt  entsteht ,  z.  B. : 

—     «»>     »irf       I       —     w/—  ?«^       (       —     ^<     —     .^       I       .«»^_ 

Oedes  Felseiland  im  Meer ,  vom  wilden  Raubthier  nur 

bewohnt. 

Ein  solcher  Vers  bleibt  zwar  metrisch  ein  tro- 
chäisclier  Tetrameter,  rhythmisch  genommen 
aber  ist  er  von  dem  lyrisch  gelheilten  Tetrame- 
ter ganz  unterschieden. 

Wenn  ein  Vers  unvollzälig  ist,  und  also  mit 
Pausen  schliesst,  so  findet  am  Schlüsse  nicht 
einmal  die  Brechung  in  der  Kommissur  deis 
Wortes  Statt,  z.  B.  im  cpionischen  Vers: 

Er  trotzt  unheiliger  Herrschaft  und  beugt  sich    nimmer 

dem  Schick- 
sal, u.  s,  w. 

Dasselbe  gilt  von  der  Casiir  eines  Verses,  nach 
welcher  eine  Pause  eintritt ,  z.  B.  in  folgendem : 


Fröllcher  tönet  der  Jagd-gesang  zu  muntrer  Hönier 

Schall, 

Denn   ein   solcher   Vers   ist     seiner   Natur    nach 

nicht  Ein  (janzes,  sondern  Zwei. 


Vou  der  Brechajig  der  Worte  am  Ende  des  Verses.     525 

Der  ersleu  Haifte  des  elegisclien  Yerses  folgt 
keine  Pause.  Duldet  man  am  Hexameterscliluss 
die  Wortbreclnmg  in  der  Kommissur,  so  ist 
kein, Grund,  sie  hier  zu  tadeln,  z.B.  bei  Kal- 
limaclius: 

iiQa  vvv  de  Jiog-  KovQidita  yevef]^ 
und  Voss: 

Sauk  ein  dunkeles   Sühn-opfer  in  heiterer  Nacht, 

Vucli  hier  aber  haben  die  Metriker  (vergl.  Her- 
mann'« Metrik  §.  2.^9  bis  245)  eine  Menge  Vor- 
schriften erdacht ,  die  nichts  sind ,  als  Resultate 
einseitiger  willkürlicher  Theorien,  und  vom  völ- 
ligen Mangel  eines  richtigen  Gehörs  bei  ihren 
Erfindern  zeugen.  Lixsst  sich  z.  B.  wol  etwas 
widersinnigeres  denken,  als  der  getheilte  fünfte 
Fuss  im  sogenannten  Pentameter,  von  dem  je- 
der Abschnitt  eine  Hälfte  haben   soll, 

nm  fünf  Füsse   zu   zälen?      Gleichwol    ist    diese 
Messung  noch  immer   die  übliche. 

484. 

Einen  indirekten  Beweis  gegen  die  Zulässig- 

keit   solcher   Brechungen   gibt    ilir  Gebrauch  zu 

Bewirkung    des    Komischen,       Man    kennt  den 

Vossischen  Vers, 

Gesättigt  reicht   dem   Herrn   PiJtori 
sein   Glas  der  dicke  Konsistmi- 
iilralli , 

t 


^2*  Allgemeiner    Theil. 

und,  um  den  Einfluss  des  Picims  zu  entfernen, 
Klopstock's : 

Lebe    die    KlubbergmunizipalgüIIotinoligokra- 
tierepublit! 

in  dena  Gedicht:  dns  Neue,  wo  der  wilde  Hu- 
mor des  Dichters  den'  Meropsfluf;  nicht  in  die- 
ser einzigen  Stelle  nimmt,  desgleichen  das  Ai'i- 
stofanische  : 

l.onadora(itt)^oaf}.ayoyvl(o~ 

i(^avio?.en{iut'odoif.tu7iüT(jiiffjiaTO- 

■ü  ikq  io:'M<Juoi.i^li  r'iy.uTuy.f  yv  nivO" 

xi,y/,ke7tiv.0Gf)vq:0Tifi)iOTe(ja- 

kfy,TQvovomfK&a>u/.)uoviyy.kon£- 

K(io\ay(x)OGiQaioßa(f.i}r(juyuvomiQvy(av. 

Nicht  aber  bloss  das  anschauliche  Ausdehnen 
des  Wortes  macht  den  konischen  Eilekt,  son- 
dern zngleich  das  Aufheben  des  gefühlten  Ge- 
setzes, dass  der  Vers  ein  Ganzes  seyn  soll.  Die- 
ses deutet  auf  eine  Unbehülflichkeit  des  Dich- 
ters, dem  die  Sprache  durchzugehen  scheint, 
während  er  den  Vers  zu  halten  bemüht  ist.  Der 
komische  ElFckt  ist  daher  allezeit  um  so  stäi'- 
ker,  je  mehr  die  Leichtigkeit,  Sprache  und  Vers 
vereint  gehen  zu  lassen ,  in  die  Augen  leuchtet. 
Denn  so  erscheint  jene  Unbehülflichkeit  als  ein 
freier  Scherz  des  Dichters,  Avie  eine  dümmliche 
Maske  vor  einem  geistreichen  Gesicht.  Manche 
Verse  der  alten  Komiker  möchten  wol  ei.st  von 
dieser  Seite  ihren  wahren  meti'ischen  Sinn  zei- 
Sfcn    könnfu,    besonders  w^nn  man  berücksich- 


Von  der  Brechung  der  Worte  am  Ende  des  Verses.     525 

tJgt,  wie  gern  die  Komiker  parodirlen  und  pa- 
i'odirend  persifilirteu.  Aehnlichen  Effekt  maclit 
schon  das  Aufheben  der  Wortti'eunuug,  indem 
mehre  für  «ich  hcstehende  Worte  zu  Einem 
kolossalen  Wort  verbunden  werden,  ohne  dass 
sie,  wie  jener  aristofanische  vielzeilige  Wort- 
riese, die  Gränze  des  Yersendes  überschreiten, 
z.  B. : 

Gcc}>7TtyyoXoy'^vn7]i^adat ,    acx^xttGf.i07nTvo)(ccf.i7iT(i(i , 

A  r  i  s  t  o  f , 
oder: 

Giftwütlirichfallkrautwolilverleidürrblätterstaub, 

WO  ein  Wort  den  ganzen  Trimetcr  erfüllt.  Et- 
was  ahnliches  ist  das  aristofanische : 

—     ijvj    —  —     <jO    —     VU 

tj    yj  —  ^    U  —'    I     <-ii.)-Uv>>—     I     Uü-^<-'w  —    I     UU 

Gi(VTr,g  ßulavTjg  dkqcruftoißoi  TO^pevTCtG7TidoXv^on7]yot 

Hochreichsf'relherrlicher    Bibliothekar,   auch  Titulareduka— 

lionsrath  , 

WO  die  Wortfüsse  im  aristofanischen  Yers  fast 
wie  im  rh opalischen    Hexameter   wachsen. 

In  modernen  Versen  ist  etwas  ähnliches  die 
Vermeidung  des  Reimes,  wo  er  sich  von  selbst 
zudrängt.  Beispiele  sind  aus  Shakespeare  und 
alten  Volksbüchern  bekannt. 

485. 

Hermann   hat   sehr  umständlich  in    seinem 

Handbuclie   der   Metrik  von   der   Brechung    der 

Worle  gehandelt.       Allein    da  wir  die  Brechun- 

jea  ausser  der   Kommissur    der   Worte,     über- 


426  Allgemeiner   Theil. 

liaupt  für  unstatthaft  ansehen,  so  war'  es  uu- 
iiöthig,  das  Einzchie  in  den  Erläuterungen  je- 
nes Metrikei's  besonders  zu  widerlegen.  Eben 
so  wenig  kann  hier  von  dem  bekannten  Streite 
die  Rede  seyn,  ob  Ahlwardt,  oder  Böckh. 
der  erste  war,  welcher  die  Unschicklichkeit  der 
Wortbrechungen  einsah,  und  eine  Abtheilung 
alter  lyrischer  Gedichte  ohne  Brechungen  ver- 
suchte. Mehr  als ,  alles  andre  muss  doch  der 
Gesang  einer  Yersgattung  über  das  Ende  der 
Verse  entscheiden.  Wie  kann  man  also  über 
Eintheilung  eines  Gedichts  in  Verse  sprechen, 
so  lang  der  Gesang  der  Verse  nicht  vollkommen 
entschieden  ist?  Das  oben  (276)  rhythmisch  re- 
stituirte  Skolion  zeigt,  dass  weder  Wort-  noch 
Sinn -Brechungen  darin  Statt  finden,  wie  in 
den  gewönlichen  Abtheilungen,  und  dass  die- 
selbe Versgattung,  jedoch  in  vielfachem  Wech- 
sel rhythmischer  Bewegung,  vpn  Anfang  bis 
zum  Ende  durchgeht. 

Metrische  und  rhythmische  Eintheilung 
der   Verse. 

486. 
Das   Metrum   und    der  Rhythmus  gibt  einen 
doppelten  Eintheilunggrund  der  Verse.     In  An- 
sehung des  Metrum  gehören  sie  niimlich  entwe- 
der dem  geraden,  oder  dem  ungeraden  Metrum  an, 


^Metrische  iind  rliythmlsciie  üintheilur.g  der  Verse.       Saj 

tmd  die  ersten  wiederum  entwedei'  dem  spondei- 
scben,  oder  dem  gemischten,  die  Ictztei-n  aber 
dem  schweren,  oder  leichten  dreizeitigen  Metrum. 

487. 

Der  Rhythmus  bewirkt  in  zweierlei  Hinsicht 
Verschiedenheit  unter  den  Versen,  nämlich  in 
Ansehung  der  Bewegung  und  in  Ansehung  der 
Form. 

Der  Bewegung  nach  sind  die  Verse  durch 
die  metrische  Form,  oder  Periode  bestimmt  und 
bestimmen  sich  als  daktylische,  ionische,  cho- 
riambische   u.  s.  w. 

Der  Form  nach  sind  sie  verschieden  ,  je  nach- 
dem sie  im  Nicdertakl,  oder  Auftakt  anfangen, 
und  auf  diesem,  oder  jenem  Moment  der  Perio- 
de schliessen,  und  mehr,  oder  weniger  Perioden 
erfüllen. 

488. 
Eine  vollständige  Eintheilung  der  Versarten 
hat  auf  alle  diese  Verschiedenheiten  Kiicksicht 
zu  nehmen.  Wir  werden  daher  die  verschie- 
denen Versgattungen  in  folgender  Ordnung  ab- 
handeln : 

I.     Verse  des   geraden  Metrum,    welches  zwei 
Hauptmomenle  enthUlt.      Diese  sind: 
1.  Verse  des  spondeischen    Metrum,     in 
>Yclchem  sich  jedes    liauptmoment  in  zwei 


iiU^  Allgemeindr    Theil. 

Momente     zweiter    Ordnung    zerlegt;     die 
Zerlegung    geschehe  iibrigens     reell,     oder 
ideell.     Diese  sind  wiederum  : 
a.  daktylische  Verse,  wenn  sieimKie- 

dertakt    anfangen.       Diese    begreifen    die 

spondeischeu      und      proceleusmatischen 

unter   sich. 
h.  Anapästische    Verse,     wenn   sie    im 

Auftakt  anfangen. 
2.  Verse  des  gemischten  Metrum,  in  wel- 
chem jedes  der  beiden  Hauptmomenie  sich, 
reel  oder  ideel ,  in  drei  Momente  zweiter 
Ordnung  zerlegt.  Diese  sind,  der  rhyth- 
mischen Bewegung,  und  form  des  Anfangs 
nach: 
a.  flüchtig     daktylische,     nebst    den 

äolischen  und   logaödischen, 
h.  trochäisch c, 
c.  iambische, 
cZ.  choriambische, 

e.  flüchtig  anapästischc, 

f.  ionische, 

g.  antispastische, 

7i.  bacchische  mit  Inbegriff  der  ersten 
päonischen  Gattung  (  -  w  u  u  ) 

i.  palimbacchische, 

Ji.  kretische,  mit  Inbegriff  der  zwei- 
ten päonischen  Gattung  (vierter 
Päon  J""^  «j  -  ) 


Metrische  und  rhythmische  Eintheilung  der  Verse.       629 

In  einem  vollstündigen  System  der  Metrik 
war'  es  allerdings  zweckmässiger,  diese  verschie- 
denen Benennungen  der  Verse  des  gemischten 
Metrum  ganz  zu  verwerfen,  und  die  trochäi- 
schen und  iambischen  Verse  als  Grundformen, 
die  andern  aber  als  Variationen  derselben  zu 
betrachten.  Denn  es  muss  befremden,  wenn 
z.  B.  unter  ionischen  Versen  Verse  aufgeführt 
werden,  in  welchen  auch  nicht  Ein  ionischer 
Fuss  vorkommt: 

J«W«.  •"«      \0»e-\*B«ee      \    s.  m   7 

J«JW     —     Ov)       I      -U-       I       UUU     —     «-z       I      —     — 

im  Diadem  der  Vergötterung  sich  zum  Olymp  erhebend, 

der  ihnen  doch  den  Namen  geben  soll.  (Denn 
im  Doppeliambus ,  0  ^n)  ^ilft,  wird  kein  Wohl- 
hörender mit  Hermann  die  ionische  Form  er- 
kennen.) Allein  die  nothwendige  Rücksicht  auf 
bestehende  Ansichten  macht  die  Beibehaltung 
jener  Benennungen  unentbehrlich,  und  so  müssen 
jetzt  noch  manche  Versgattungen  unter  den  her- 
gebrachten Namen  abgehandelt  Averden ,  wicwol 
die  gleichnamige  Form  oft  weder  vorwaltender, 
noch  cluiarakterisirendtT  Bestandtheil  solcher  Verse 
ist.  Indessen  wird  jede  Versgaltung  immer  mit 
Rücksicht  auf  ihr  Grundschema  und  ihre  Va- 
riationen abgehandelt  werden. 

Die  Form   des  Vex-sendes    und   die    Zal  der 


:>+ 


53ü  Allgemeiner    Theil. 

Perioden  macht  den  JE  iniheil  ungsgrund  der  Ver- 
se in  jeder  einzelnen  Klasse,  nach  der  früher 
(218  IF.)  gegebenen  Eintheilung  der  rhythmischen 
Schlüsse. 

II.  \ erse  des  ungeraden  Metrum,  welches  drei 
liauptmomente  enlhält,  sind: 

1.  Verse  der  schweren  Gattung,  diese  sind: 
a.  molossische,     welche   jedes  der  drei 

Hauptmomente  in  zwei  Theile  zerfallen , 
h.  tripodische,  oder  molossisch-trochä- 
ische  Verse ,  in  welchen  jedes  der  drei 
Hauptmomente  in  drei  Momente  zweiter 
Ordnung    zerfällt. 

2.  Verse  der  leichten  Gattung.  Diese  sind: 
a.  päonische    Verse   der    dritten    Art 

(  -  o   vj   v-r  )      oder     parapäonische, 

die  durch  Zerfäiiung  der   Momente  ent- 

steha , 
&.  m  o  n  o  p  o  d  i  s  c  h  - 1  r  o  c  h  ä  i  s  c  h  e  Verse, 

in    welchen    die    Momente    nicht  zerlegt 

werden. 
Wie  wir  bei  den  spondeisclien  Versen  von  der 
ersten  rhythmischen  Urform  jL  _  oder  d  a  aus- 
gingen, so  beschliessen  wir  in  den  monotro- 
chäischen  Versen  mit  der  zweiten  rhythmischen 
Urform  -  o  •  Denken  wir  uns  den  Cyclus  al- 
ler Versgattungen,  so  sehn  wir,  dass  zwischen 
diesen  beiden  Extremen  auf  der  einen  Seite  des 
Kreises  die  ganze  Pieilie  der  q  uan  litirendeu 


Schlussbemerfcung.  55i 

von  uns  aufgezälten  Versgattungen  liegt.  Auf 
der  entgegengesetzten  Seite  liegt  zwischen  den- 
selben Extremen  die  Reihe  der  a  c  c  e  n  t  i  r  t  e  u 
Verse ,  die  sich  im  spondeischen  und  mono- 
trochaischen  Metrum  an  beide  Extreme  quanti- 
tirender  Verse  anschliessen.  Diese  accentiren- 
den  Gattungen  werden  den  zweiten  Theil  der 
besondern  Metrik    ausmachen. 

489. 
Wenn  Hermann  alle  einfachen  Verse  in 
trochäische,  daktylische  und  päonische  theilt, 
so  ruht  vielleicht  die  Idee  dieser  Einlheilung 
auf  dem  ysvog  laov ,  dcnlaaiov  und  ijf.uohov,  nur 
dass  Hermann  mit  dem  ysvog  dtnXaaiov  in  den 
Trochäen  anfängt.  Wie  unvollkommen  indes- 
sen diese  Ansicht  sey,  fällt  in  die  Augen;  die 
anlispastischen  Verse  z.  B.  werden  zu  den  Iro- 
chäischen  gezält,  während  die  sinkend  ioni- 
schen, die  doch  jenen,  den  Auftakt  ausgenom- 
men, ganz  gleich  sind,  unter  den  daktylischen 
genannt  werden.  Es  sei  auch  hinlänglich  diese 
Abtheilung,  die  sehr  empirisch  für  eine  aprio" 
tische  Theorie  klingt,  nur  angeführt  zu  haben. 

S  c  h  1  u  5  s  b  e  m  c  r  k  11  n  o'. 

490. 

Werfen   wir  zum    Schluss    noch  einen  Blick 
auf  das   Ganze   der  vorstehenden   üntersuchuu- 


i'j'i  A  1 1  g  c  111  e  1 1.  c  i     ilieil. 

gfu,  SO  iindeii  Avir  folgende  Salze  bewiesen   uud 
als  Haupisälze  unsrer  Theorie  aufgestellt: 

Die  lUiylhmen  der  alten  Musik  und  der  al- 
len Verse  sind  von  den  llhythmen  der  neuen 
Musik  im  Wesentlichen  durchaus  nicht  verschie - 
den.  Sie  haben  ganz  auf  dieselbe  Art,  wie  un- 
sre  jMusikrhythmen,  einen  bestimmten  Takt, 
nach  welchem  sie  vernommen  und  getnesscn 
werden. 

Der  Grund,  warum  der  Takt  in  der  alten 
Musik  und  in  den  alten  \ersen  von  den  Me- 
trikern bezweifelt  woixlen  ist,  liegt  bloss  in  der 
verfeldten  IMessung  der  Rhythmen.  Verfehlt 
Wtirde  sie  dadurch,  dass  man  alle  Längen  ohne 
ünlerschied  mit  demselben  Zeichen  (-)  und 
ebenfalls  alle  Kürzen  mit  demselben  Zeichen 
(u)  bezeichnete,  und  nun  den  >\illkürlichen 
Satz  aufstellte:  jede  Lange  sey  dem  Maasse 
zweier  Kürzen  gleich.  Man  wende  diese  Be- 
handlungsart auf  unsre,  unbezweifelt  taktmässige 
Melodien  an,  und  man  wird  Sie  zu  derselben 
Taktlosigkeit  umgestalten,  wie  es  mit  den  anti- 
ken geschehen  ist. 

Das  Mittel ,  den  wahren  Gesang  der  alten 
Pihythmen  zu  erkennen  und  wiedei*herzustellen , 
ist  die  Aufhebung  jener  einseitigen  Art  zu  mes- 
sen. Man  verlasse  die  unbestimmte,  vieldeutige 
metrische  Bezeichnung  und  bediene  sich  der  be- 
stimmten Musikzeichen,  wo  man  nicht  mit  dem 


i  G  li  1  u  s  s  b  e  ra  e  r  k  u  u  g.  553 

allgemeinen  BegrifF  der  Länge  ausreiclit,  son- 
dern das  bestimmte,  sehr  verschiedeue  Maass 
der  Länge  (  J.  j   ,.  und  ,1^  )     bezeichnen    muss. 

V 

Nur  in  solchen  bestimmten  Zeichen  kann  man 
die  ^vahre  Bewegung  der  Rhythmen  unzweideu- 
tig vernehmen  und  Anderen  deutlich  machen. 

Uibrigens  überzeuge  man  ^ich  aus  der  Natur 
des  Rhythmus,  dass  alle  diese  verschiedeneu 
Gattungen  der  Länge  und  der  Kürze  nicht  eine 
willkürliche  Annahme  unsrer  Theorie  seyen,  son- 
dern eine,  in  dem  Wesen  des  R.hythmus  selbst 
begründete  Sache,  dahingegen  die  Behauptung 
der  Metriker:  jede  Länge  sei  zweizeitig  und  jede 
Kürze  einzeitig,  ein  dem  Wesen  des  E.hythmus 
widerstreitender  Ausspruch  derWilikührist,  für 
dessen  Gültigkeit  auch  nicht  der  Schatten  eines 
Beweises  von  den  Metrikern  beigebracht  wor- 
den ist. 

Wie  unsicher  und  inkonsequent  die  Metri- 
ker in  ihren  Messungen  verfahren ,  und  zu  wel- 
chen Widersprüchen  sie  durch  ihre  bloss  zwei- 
zeitige Länge  gezwangen  werden,  mag  noch  fol- 
gendes Beispiel  zeigen. 

Hermann  hatte  in  seiner  Metrik  behauptet; 
die  Thcsis  könne  zwar  im  Maasse  der  Arsis 
gleich  seyn,  auch  kleiner,  aber  durchaus  nicht 
grösser ,  weil  die  Wirkung  ( §.  42)  niemals  gros- 


554       '  Allgemeiner     Thcil. 

ser  seyu  könne,  als  die  Ursache.  Aufmerksam 
gemacht ,  dass  auf  diese  AjL't  der  Päon  ( -  u  u  u), 
dessen  Arsis  nur  zwei,  die  Thesis  aber  drei 
Zeiten  habe,  jener  Theorie  widerspreche,  er- 
klärt er  seinen  Satz  auf  eine  Art,  die  man  kaum 
glaublich  finden  würde,  las'  man  sie  nicht  in 
seinem  Briefe  an  Böckh  (Mus.  der  Alterth. 
Wiss.  Bd.  II,  St.  2.  S.  556).  „Nie  hab'  ich  — 
schreibt  der  Metriker  —  behauptet ,  noch  konnte 
ich  behaupten,  dass  Alles,  was  die  Thesis  aus- 
macht, der  Arsis  gleich  seyn  müsste.  Dann 
müsste  ja  z.  B.  in  diesem  Verse  von  Klopstock: 

Nieder  zu  dem  Haine  der   Barden  senkt, 

bloss  der  zAveite  Fuss  ein  richtiges  Maas  haben; 
im  ersten  aber  die  Länge  dreien  Kürzen,  im 
dritten  eine  Kürze  der  Länge  gleich  seyn.  Ich 
habe,  wie  Sie  aus  §.  42  ff.  der  Metrik  sehen 
können,  bloss  behauptet,  die  Arsis  könne  kein 
kleineres  Maas  haben,  als  jede  einzelne 
Sylbe  der  Thesis  hat,  wol  aber  ein  länge- 
res. Daher  ist  derTribrachys  ein  eben  so  rich- 
tiger Rhythmus ,  als  ^  w  u  u  u  u ,  wo  die  Arsi« 
nur  o  w  gilt." 

Durch  diese  Erklärung  fällt  unbezweifelt  das 
ganze  Gebäude  der  Hermannischen  Metrik  zu 
Boden.  Abgerechnet  das  Widersinnige,  dass 
nicht  die  ganze  Thesis,  sondern  nur  jede  Sylbe 
derselben,     als   Bewirktes    von    der  Arsis,   kein 


Schlussbemerkung.  i3S 

grösseres  Maas  haben  dürfe  als  diese  (wodurch 
der  empirische  BegrilF  Sylbe  auf  einmal  in  das 
formal  aprioi-ische  Gesetz  des  Rhythmus  gezo- 
gen wird) ,  so  Avird  ja  durch  jene  Erläuterung 
durchaus  jede  mögliche  Reihe  von  La'ig  uiid 
Kurz,  zum  untadelhaften  Rhythmus 5  denn  wie 
sollte  man  denn  auch,  wenn  man  die  Sylben 
durch  des  Loos  ordnete,  gegen  jenes  Gesetz  feh- 
len können,  da  es  unmöglich  ist,  wenn  man 
mit  der  Länge  als  Arsis  anfängt,  eine  thetische 
Sylbe  zu  finden,  die  ein  grösseres  Maas  hätte 
als  die  lange  Arsis  ?  Zu  was  denn  nun  also 
die  Ankündigung  und  Aufstellung  eines  Ge- 
setzes, das  der  frivolsten  Wilikühr,  ja  selbst  dem 
gesetzwidrigen  Vorsatz  freies  Spiel  lassen  muss  ? 
Zu  was  die  Aufstellung  eines  kritischen  Grund- 
satzes, der  nie  Anwendung  finden  kann,  weil 
das,  was  er  verbietet,  absolut  unmöglich  ist? 
Zu  solchen  Hülfsmitteln  muss  sich  die  Ilerman- 
nische  Theorie  flüchten!  Hat  wol  je  einer  der 
so  oft  gescholtenen  Grammatiker,  oder  irgend 
ein  andrer  Melriker,  auf  diesen  Gipfel  der  Un- 
"wissenschafilichkeit  sich  verirrt? 

An  sich  ist  die  Sache  sehr  leicht  zu  erklä- 
ren. Der  Satz:  keine  Thesis  kann  grösseres 
Maas  haben,  als  ihre  Arsis,  ist  a  priori  voll- 
kommen richtig  und  bewährt  sich  in  jedem 
empirischen  Rhythmus,  wenn  man  nur  die  Zer- 
fällung  der  Momente  beobachtet: 


Jj36  Allgemeiner    Theil. 

Arsis.         Thesis. 


Spondeus. 


J  I    J 

-     I    o  u  u    Päon. 

J,  I  .f'  /  j-^ 


—   u 


Bacchius. 


J.  I  J  / 

-    I    -  u  w     loniku«. 

J.  1  j:  Ji ." 

Uiberall  ist  die  Thesis  der  Arsis  im  Maasse  gleich 
mid  so  zeigt  sich  wieder  in  jedem  denkbaren 
Rhythmus  die  Richtigkeit  der  angegebenen  Theo- 
rie, und  die  nolhweudige  Gleichheit  des  arsischen 
und  thetischenMaasses  postulirt  ^viede^  die  drei- 
zeitige Länge,  welche  wir  aus  der  Natur  de« 
Rhythmus  abgeleitet   haben. 

Das  kürzere  Maas   der  Thesis: 
—     o 

ist  aus  dem   Obigen  ebenfalls   klar. 

492. 
Vergleicht  man  nun  die  Begeisterung,  mit 
welcher  unsre  Metriker  von  der  ganz  über- 
schwenglichen Schönheit  der  alten  Rhythmen 
sprechen,  mit  der  Ungewissheit,  in  der  sie 
selbst  über  den  wahren  Gesang  jener  alten  Rhyth- 
men schweben,  indem  fast  jeder  Melriker  sie 
anders  vernimmt  und  ordnet ,  so  trifft  man  woi 


Schlussbemerkung.  537 

das  Wahre,  wenn  man  Aermutliet,  die  Metriker 
haben  niemals  einen  antiken  Rhythmus  (mit 
A-usnahme  der  bekanntesten )  wirklich  vernom- 
men, sondern  sprechen  jene  Begeisterung  nur 
den  Schriftstellern  des  Alterlhums  auf  Treu  und 
Glauben  nach.  Betrachtet  man  nun  über  dieses 
noch  die  Missforraen,  welche  die  Metriker  für 
antike  Rhythmen  ausgeben  und  als  solche  be- 
wundern ,  und  bemerkt  man ,  wie  diese  Missfor- 
men aus  dem  Zerreissen  verkannter  Rhythmen 
entstehn,  so  muss  jene  Vermuthung  zur  Ge- 
wissheit werden.  Man  sollte  nun  glauben ,  der 
wahren  Begeisterung  für  das  Schöne  müssten 
Aufschlüsse  über  die  Natur  des  Verkannten  will- 
kommen seyn,  gleichwol  lehrt  die  Erfahrung, 
dass  die  Metriker,  der  aufgezeigten  wahren 
rhythmischen  Formen  ungeachtet,  bei  ihren 
rhythmuswidrigen  Ansichten  beharren. 

Dieses  Festhalten  der  Metriker  bei  ihrer 
Messung  und  die  Beharrlichkeit,  mit  welcher 
sie  der  für  den  Gesang  zweckmässigeren  Mes- 
sung widerstreben ,  würde  fast  unbegreiflich 
seyn,  wenn  man  nicht  wüsste,  wie  imgern  die 
Bewunderung  von  einem,  Gegenstand  ablässt, 
dem  sie  nicht  aus  Anerkennung  der  Wahrheit 
beipflichtet,  sondern  im  glaubenden  Erstaunen 
huldiget.     Man  ist  gewohnt .    die  Rhythmen  der 


538  Allgemeiner    Theil. 

alten  Musik  und  Poesie  in  einem  Glanz  uner- 
reicbbarer  VortrefFliclikeit  zu  denken,  und  diese 
nicht  unangenehme  Illusion  wird  durch  die  man- 
gelhafte Kenntniss  von  ihrem  wahren  Gesang 
am  sichersten  unterhalten.  Zeigt  nun  eine  he- 
stimmte  Messung  das  wahre  Wesen  jener  Rhyth- 
men, und  dass  sie  keine  andern  waren,  als 
solche,  die  unsre  Musik  uns  langst  hat  hören 
lassen,  so  verschwindet  jenes  bewunderte  Schat- 
tenbild, und  die  Fantasie  scheint  zu  verarmen, 
indem  der  Verstand  ihre  Alcinous  Gärten  zu 
gewönlichen  Blumenstückeu  und  Lusthainen  ver- 
arbeitet. Der  Bewundrer  der  alten  Rhythmen 
zieht  deswegen  jede  Erklärung,  die  ihm  das 
Verstehn  jener  Rhythmen  schwer,  ja  wo  mög- 
lich unmöglich  macht,  einer  solchen  vor,  die 
ihm  den  Ausruf:  weiter  nichts  ?  !  abnöthigen 
könnte,  weil  er  sieht,  dass  er  mit  der  bewun- 
derten Schönheit  längst  Bekanntschaft  halte, 
ohne  sein  Glück  zu  kennen.  Aber,  wenn  man 
auch  in  der  Dichtung  gern  den  Marmorfelsen 
zusehn  mag,  die  sich  nach  der  Musik  glätten, 
formen,  und  zum  Wunderpaiiast  zusammenfü- 
gen, so  wird  doch  ein  wirklicher  Baumeister 
den  Kopf  schütteln  und  sich  mit  dem  Bau  nicht 
befassen  wollen,  verspricht  man  ihm  nicht  ne- 
ben dem  Musikus  noch  die  nöthigen  Werkleute. 
So  kann  man  auch  wol  mit  dem  Dichter  sich 
gern  an  den  Wundern  der  alten  unbegreiflichen 


Schlussbemcr  kun  g.  559 

Musik  crfi'cuen,  und  dennocli  den  Kopf  schüt- 
teln, wenn  der  Metriker  uns  die  Sache  erklä- 
ren will,  und  Mittel  augieht,  wodurch  ein  Con- 
cert  entsteht,  das  uns  andere  Empfindungen  ge- 
währen würde,  als  die,  um  welche  wir  die 
griechischen  Zuhörer  der  Vorzeit   beneiden. 

Hierzu  kommt,  dass  vorzüglich  Hermann 
seine  Metrik  mit  dem  Glanz  seiner  Gelehrsam- 
keit ausgeschmückt,  und  zugleich  Kennern  und 
Nichtkennern ,  durch  den  Schein  der  bis  zur 
Trockenheit  strengen  wissenschaftlichen  Form 
so  imponirt  hatte,  dass  man  kaum  wagte,  hin- 
ter so  ernsten  Umgeh migen  das  unhaltbare  Fan- 
tasma  zu  vermuthen,  welches  dieses  tJieoreti- 
sche  Labirinth  bewohnt.  Uiber  dieses  hat  die 
Hermannische  Metrik  schon  so  viel  Einfluss  auf 
die  Veränderung  der  Lesarten  in  den  Dichtern 
des  Alterthums  gehabt,  dass  mit  dem  Fall  die- 
ser Theorie  nothwendig  auch  die  mühvolicn  und 
ernsten  Bestrebungen  vieler  Kritiker  als  ver- 
fehlte Versuche  erscheinen  müssen.  Hieraus  er- 
klärt es  sich,  warum  die  Metriker  die  Untersu- 
chungen über  den  Rhythmus  in  das  Gebiet  der 
Filologic  zu  ziehen  suchen,  da  es  doch  offenbar 
ist,  und  der  leichtesten  Betrachtung  einleuch- 
tend, dass  die  Filologie  zwar  in  Ansehung  der 
Kritik  durch  metrische  Untersuchungen  gewin- 
nen kann;  dass  aber  diese  Untersuchungen  selbst 
weder  in  das  Gebiet  der  Filologie  gehören ,  noch 


5i6  Allgemeiner  Theil.       SchlussbemeiKuuj,. 

unter  Einwirkung    filologisclier  Rücksichten  ge- 
führt   werden    dürfen. 

Unter  diesen  Verhähnissen  darf  es  uns  nicht 
befremden ,  wenn  unsre  Theorie  bei  den  Metri- 
kern der  Schule  keinen  Beifall,  sondern  bloss 
heftigen,  aber  gehaltlosen  Widerspruch  findet. 
Unbefangene  Prüfung  hingegen  wird  das  Wahre 
bald  erkennen,  und  von  dem  täuschenden 
Prunk  leerer  Irrgebäude    unterscheiden. 


D  r  u  c  k  f  e  1  e  r. 


S.       4   Z.    1    V.   u.   st.  zufällig,  1.   zufällige. 

«•      4:1    -    17    st.    Fil  o  s  o  fis  che,     I.   f  ilo  s  o  fis  ch  e, 

-  5i   -    l5   st,    con   expi-essione    1.   con   espres- 

s  i  o  n  e. 
6i  -  4  V.  u.  St.  ni]Vttt,    1.  7it]yat. 

-  82    -   6   st.   Insensität,  1.  Intensität. 

-  o4   -   5   T.   u.   st    Ausdehnung,  1,   Ausdehnun- 

gen. 

-  QC)   -    16   St.  ein    Trochäus,   1.   im  Trochäus. 

-  106  -   10  St.  a}^X-)^).ovv,    1.  akkriXo t'iv, 
-125-2    letzt.  Takt,     st.  ^'^  J^    1.   ^      > 

-  i52  -  5^st.  J  J  1.  J  ^'^ 

-  IZiJ    -   10  ßt.   Tiimeter,    !.   Tetrameter, 

-  l4t)   -  8    St.   aerisj    1.   acris, 

-  l36   -    20   St.   den   i.   die. 

-  168  -  3  st.  celerirate,  I.  celeri  ratt,      , 

-  169  -  1  V.  u.  St.  dem  1.  den. 

-  l84  -  5  T.  u.  St. 

ist   zu    lesen : 
—    ov— 5<j|—    u    — 

-  208   -   2    St.    ereiltst,   1.   ereilst. 

-  220    -  4   V.    u.   St.  steht,  '1.    stehet. 

-  221    -   g  st.drei  ze  i  tige,    1,  dreiü  eilige  Länge. 

-  226  -  i4  St.  ^  _  ^  _  1.  3  _  _  ^ 

-  209  -  .10   feit  der  zweyte   Takt:  -    „    ^    _ 

-  246  -  16  St.    '&avftCcce IV ,    1-  -d^uv/iiaCdv. 

-  —     -  10   St.    Bewunderung,    1.   Bewundrung. 

-  262    -  9   u.    10   ist  der  letzte  Taktstrich  auszustreichen. 

-  268   -    1    V.   u.   St.     ^     1.    7 

-  269  -    l4    St.   sahen,   1.    sehen  künftig. 

-  'J^5  -    1    St.    igoj^    \.   iaxtv. 


S.  28o   -  4  St.    kehrt,    I.    kehret, 

-  286   -   5   St.   Dimeter,  1.   Trimeter, 

-  3'2g    -    17    St.   u  ng  (i  Av  ön  li  ch  ,   1.   ung  e\vö  n  lieh  e, 

-  359   -   3    V.  u.  St.    rebenbekraiizete,    1.    reben- 

bekränzte. 

-  55o   -  8   St.  Allerbes  eligerin,    1.    Allcsbese- 

lig  eri  n. 

-  55l   -   5  V.  u,   St.   Goldenen,    1.   Goldenes. 

-  56o   -    18   st.   Beglücktem,    1.  Beglückten, 

-  4oi    -Sst.    r_^_^l,    ^j_^_ 

-  432   -    6   V,  u.  st.  m  uss  ten  ,    I.   musste. 

-  45/   -  8  V.  u.   St.    7l0l-Ml(>i&  Qov',    1.      noiKiko-, 

"&  QOV. 

-  462    -    ^    &t.    TtOjTOV,     1-    7lQ0)T0V- 

-  475    -    8    St.    ,      _    ^ 1.    u    -    o 

-  5oO   -   10  St.  Bewunderung,   1.   Bewundrung. 

-  620  -  8  St.  6'^ovg,   1.  o^ovg. 

Geringere  Feier ,  welche  sich  leicht   im   Lesen  verbessern^ 
hielt  man  anzumerken  für  unnöthig. 


Gesang.  ^^^fL^F^TJ^^ 

iemals  zum  Streit  die  tapfre  Heerschaar. 
}.ai<sr]  -  'i-ov       TTQoß/.Tjua     XQüjtos, 


=t: 


Begleftun 


m 


^^ 


1^ 


r 

! 
ICE 


:^4= 


-ä—^^^ 


Frelhehaarum  dich. 
TOV  ~  TK u-Tre  -/.UJV. 


Freiheit!    Vaterland! 


i^3^ 


^^ft==ES 


tei-^  t   . 


^ 


Hochhcdu  zurück  siegreich,  dann  windet  statt  des 
ftvoiaTu    y.aXov      Xai-orj-'i  -  ov  irgo^Ar^fia 


Kräftis^-. 


Gesang. 


Begleitung. 


^iC!  ff'  ^^^''="='«"''^^"'.  «■'  leuchtet  der  Tag  des  Kampf«!         Fröhlicher  zog  niemals  rum  Streit  die  tapfre  Heerschaar. 
,01     n/.ov        Toe  ^jyas      öo-qv    y.ai   ^i-ipog,  xaiToxa-Xov    !.ator,  -  i-op      n^oßl^ixa     x?<"ros, 


Hochlicllger 
firoias  «£  • 


Heersruf!   Tummle  dich,  Schlachtschwert,  an  dem  Ta-ge  des  heiigen  Kampfs!         Kommst  du  zurück  siegreich,  dann  windet  statt  de$ 
-y.}.7],uai,      Toe     Se     fiT]       toi,   -    /iojv  -  tis     i-jrcivSo-^v   xaj  |»  -  90s,  x«e     tu    xaXov      lai-aij-'C  -  ov  liiioßhifm 


Lorbeers    aus  bräutlichem   Feslzweig   dir  die  Gelieb -te  den  Siegkianz.  Tummledich,  tapfres  Schwert,  es  beginnt  der  Kampf  um^    ^y""  T    \T' 


3M»   >  ifS' 


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